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Beziehung

Besser mit Kritik umgehen: 5 Tipps für die Partnerschaft

Veröffentlicht am:10.09.2021

7 Minuten Lesedauer

Kritik soll Situationen verbessern oder dafür sorgen, dass sie nicht noch einmal vorkommen. Sie ist also in der Regel gut gemeint. Wieso fällt es dann oft so schwer, sie zu äußern – und noch viel schwerer, sie anzunehmen? Vor allem in einer Partnerschaft, in der sich die Liebenden vermeintlich alles sagen können. Diplom-Psychologin Friederike von Tiedemann erklärt, wieso das so ist, wie wir Kritik konstruktiv äußern beziehungsweise wie wir sie besser annehmen können und warum sie trotz allem so wichtig ist.

Konstruktive Kritik hilft Paar bei einem glücklichen miteinander.

© iStock / monkeybusinessimages

Warum ist Kritik in einer Partnerschaft so wichtig?

Kritik ist nicht nur für eine Partnerschaft wichtig, sondern auch entscheidend für jede Art des Zusammenlebens. Warum das so ist, erklärt Psychologin Friederike von Tiedemann: „Grundsätzlich ist Kritik ein Steuerungsinstrument zur Herstellung eines sozialen Konsenses, zur Gestaltung des sozialen Raumes, in dem Menschen miteinander interagieren.

Vor allem im Zusammenleben mit anderen Menschen begegnen wir jemandem, der eine andere Wahrnehmung hat als wir selbst. Das ist völlig normal, weil wir unterschiedlich geprägt sind. Mit diesen Unterschieden müssen wir umgehen können. Als Paar fragen wir uns deshalb gerade bei unterschiedlichen Meinungen häufig: Wie gehen wir damit um? Wie gestalten wir unsere Kommunikation im Alltag auch dann konstruktiv, wenn sich unsere Wahrnehmungen sehr unterscheiden?“

Kritik hat oft einen negativen Beigeschmack. In Paarbeziehungen sollte man sich vielleicht eher fragen: „Wie gehen wir mit Unterschieden um und welche Möglichkeiten bestehen, sie auch offen ansprechen zu dürfen?“ Entscheidend ist dabei nicht nur die Form der Kritik, sondern auch die Methode, wie die Partner ihre ganz persönliche Sichtweise beschreiben und formulieren. Vor allem in emotional nahen Beziehungen passiert es oft, dass sich ein Partner durch kritische Worte als Person herabgesetzt fühlt.

Diese Erfahrung hat auch Psychologin Friederike von Tiedemann in ihrer Funktion als Paartherapeutin gemacht: „Oft kann man nicht unterscheiden: Hat diese Kritik jetzt mit meiner Person zu tun oder mit meinem Verhalten oder nehme ich selbst sachliche Rückmeldungen rasch als Kritik wahr? Das wird oft nicht differenziert. Deswegen hat Kritik einen existenziellen, meist negativen Effekt. Ich fühle mich als Person abgelehnt und dagegen wehre ich mich.“ Ändern können Paare dies nur, indem sie lernen, konstruktiv zu kritisieren.

Kritik soll im besten Falle eine Veränderung und Verbesserung herbeiführen und nicht Distanz zwischen den Partnern schaffen.

Ein Paar übt aneinander Kritik aus.

© iStock / PeopleImages

Kritik gehört zu jeder gesunden Beziehung, doch meistens führt sie zu Streit. Dagegen hilft die sogenannte WIEV-Methode, mit der sich Kritik einfacher konstruktiv äußern lässt.

Richtig kritisieren: Wie geht das?

Positiv interagieren

Aus wissenschaftlichen Studien ist bekannt, dass Paare, die sich selbst als glücklich einschätzen, einen hohen Umsatz an sogenannten positiven Interaktionen haben. Zu diesen positiven Interaktionen zählen freundliche Gesten, kleine Berührungen, das Benennen von Selbstverständlichkeiten („Das fand ich gerade ganz toll, wie du mit deiner Mutter gesprochen hast“), ein Lächeln, ein nett gemeintes Lob.

Basis für konstruktive Kritik schaffen

Die meisten glücklichen Paare haben ein Verhältnis von kritischen und positiven Interaktionen im Verhältnis von eins zu fünf. Und genau das ist für die Psychologin von Tiedemann die Basis für konstruktive Kritik: „Paare, die einen hohen Grundumsatz an positiven Interaktionen haben, verfügen über einen stabilen Boden an Wohlwollen in Form von freundlichen Gesten, auf dessen Basis Kritik gut angenommen werden kann. Ein kritisches Wort schadet dann nicht gleich der Beziehung.“

Den Gegenüber nicht abwerten

Doch wie gelingt es, den Partner so zu kritisieren, dass er sich nicht verletzt fühlt? Von Tiedemann führt dabei zunächst ein negatives Beispiel an: „Wenn ich nach Hause komme und erstmal mehrere Sachen aufzähle, die ich nicht gut finde: ,Du hast ja gar nicht aufgeräumt, da liegt schon wieder Staub auf dem Boden rum, die Schüssel ist immer noch in der Spüle‘, ist das schon eine nicht konstruktive Form.

Noch schlimmer sind generalisierende Abwertungen wie: ,Hier sieht es aus wie im Sauladen‘. Dagegen wird sich der Partner immer wehren. Denn Menschen lassen sich nicht gerne etikettieren. Wir haben einen hohen Autonomieanteil in uns und wir wollen nicht, dass uns schlechte Absichten oder allgemeingültige negative Eigenschaften zugeschrieben werden.“

Die WIEV-Methode – 5 Schritte zur konstruktiven Kritik

Doch wie kann es besser funktionieren? Laut Friederike von Tiedemann benötigt man dafür fünf Stufen. Psychologen nennen dies die WIEV-Methode. Egal ob geschäftlich oder privat, ermöglicht sie es Partnern, konstruktive Kritik zu äußern und bietet dabei eine hohe Wahrscheinlichkeit, dass der Partner diese Kritik auch annehmen kann. Die fünf WIEV-Schritte erklärt von Tiedemann wie folgt:

  • W – Wertfreie Wahrnehmung

    „Zunächst einmal kann ich meinem Partner meine Wahrnehmung beschreiben, wie durch eine Kamera, wertfrei und ohne Interpretationen: ,Ich bin nach Hause gekommen und da habe ich gesehen, dass die Staubflocken in der Ecke liegen und die Schüssel in der Spüle ist.‘ Das, was ich sehe oder höre, entspricht meiner subjektiven Wahrnehmung, die aber auch von Dritten wahrnehmbar und damit objektiv ist. Daran kann mein Partner nicht rütteln.“

  • I – Die besonders heikle Interpretation

    „Der zweite Schritt ist die Interpretation des Erlebten. In Paarbeziehungen ist von solchen abzuraten, da sie oft verletzend wirken können. Besser ist es in diesem Falle, meinem Partner eine hypothetische Frage zu stellen. In dieser Form: ,Ich vermute, ich interpretiere, es kommt mir so vor, dass mein Wunsch nach Sauberkeit und Ordnung von dir nicht so ernst genommen wird‘. So vorsichtig als Frage formuliert, hat mein Partner die Chance, dazu Ja oder Nein zu sagen.“

  • E – Mein Empfinden, meine Emotionen

    „Und dann kommt der dritte Punkt: Mein Empfinden und meine Emotionen. ,Du bist fünfmal zu spät gekommen und das ärgert mich.‘ Das entspricht meinem Erleben, meinem Empfinden, meiner ganz persönlichen Wirklichkeit, an welcher mein Partner nicht rütteln kann. Wenn ich beim Ansprechen kritischer Punkte mit meiner Wahrnehmung und meinen Emotionen (1. + 3.) einsteige, persönliche Interpretation der Situation weglasse und abwarte, wie mein Partner darauf reagiert, erhöhe ich die Chance, dass meine Kritik gut angenommen werden kann.“

  • V – Mein Verhaltenswunsch

    „Schließlich empfiehlt es sich, einen konkreten Verhaltenswunsch zu äußern. ,Ich möchte, dass du bei unserem nächsten Treffen darauf achtest, pünktlich zu sein.‘ Manchmal ist es nötig eine Verhaltenskonsequenz anzukündigen, um dem Partner Orientierung über die Wirkung seines Verhaltens zu geben: ,Ich werde nicht mehr auf dich warten‘.“

  • Positive Gegenseitigkeit herstellen

    „Die Schritte von eins bis vier sind umso erfolgreicher, wenn eine Beziehung von positiver Gegenseitigkeit und freundlich-wohlwollendem Umgang geprägt ist. Vor allem für Beziehungen, die auf Dauer angelegt sind, ist es eine wichtige Aufgabe, diesen positiven Emotionen im Alltag immer wieder Aufmerksamkeit zu schenken. Geraten Paare irgendwann nur noch in eine sogenannte negative Rückmeldungsschleife, nehmen positive Gefühle ab. Beziehungen werden sozusagen von alleine schlechter. Das Paar fühlt sich nicht mehr wohl miteinander, man ist nicht mehr gerne gemeinsam zu Hause oder bleibt lieber länger im Büro. Auch die körperliche Nähe verschwindet.“

    Natürlich kann Kritik auch unangemessen sein: „Wenn die Kritik als unfair erlebt wird, kann der Partner sagen: ,Sorry, da bin ich nicht deiner Meinung‘. Unterschiedliche Wahrnehmungen sind in einer stabilen Partnerschaft leichter möglich auszuhalten,“ so von Tiedemann.

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Warum es schwerfällt, Kritik anzunehmen

Nicht immer und nicht jedem fällt es leicht Kritik anzunehmen. Weder Kinder, Ehe- noch Geschäftspartner werden gerne kritisiert. Um das zu verbessern und um Kritik besser annehmen zu können, gibt es in der Psychologie das klassische Sender-Empfänger-Modell. Das bedeutet, so von Tiedemann: „Wenn der Sender keine gute Sendequalität hat, dann ist es schwer, die kritische Rückmeldung richtig zu verstehen.“

Doch was bedeutet das für ein Paar? Es gilt also an der „Sendung“ zu arbeiten. Bevor jemand Vorwürfe über sich ergehen lassen muss, wie dreckig die Küche aussieht, rät von Tiedemann dazu, folgendes zu sagen: „Du, könntest du einfach nur beschreiben, was du wahrgenommen hast und diese Interpretationen und Zuschreibungen weglassen, sonst kann ich dir nicht gut zuhören.“ So kann der Kritisierte den Kritisierenden (den „Sender“) auf konstruktive Weise „steuern“ und hat nicht gleich das Gefühl, in einer Endlosschleife zwischen Vorwurf und Verteidigung zu landen.

Ganz konkret bedeutet das: Wer möchte, dass seine Kritik vom Partner angenommen wird, muss auf die Sendequalität achten. Hierfür sollte man sich, so von Tiedemann, von Unterstellungen und Zuschreibungsworten befreien und sich auf seine Wahrnehmung und seine Emotionen konzentrieren.

„Um die Kritik auf eine konstruktive Ebene zu heben, könnte der Kritisierte den Kritisierenden bitten, Interpretationen und Zuschreibungen wegzulassen und nur das Wahrgenommene zu beschreiben.“

Friederike von Tiedemann
Dipl. Psychologin

Ein gutes Selbstwertgefühl hilft, Kritik gut anzunehmen

Kritik gut annehmen zu können, ist natürlich auch immer eine Frage des gesunden Selbstwertgefühls. „Es gibt Personen“, so von Tiedemann, „die haben einen tiefen Selbstzweifel in sich. Das gilt beispielsweise für narzisstische Persönlichkeiten. Menschen, die in ihrer Kindheit zu viel Entwertung erfahren mussten und selten positive Resonanz erhielten, können eine gewisse Dünnhäutigkeit entwickeln: „Wenn die leiseste Kritik kommt, dann haut sie das gleich um. Solche Menschen empfinden rasch ein existenzielles Vernichtet-sein-Gefühl. Sie verschließen sich gegenüber kritischen Rückmeldungen und werden zu sogenannten kritikunfähigen Menschen.“

Wer ein gutes Selbstgefühl hat, spürt schnell, was richtig oder falsch ist. Und kann deshalb auch mit Kritik besser umgehen. Für eine Haltung wie „Ach, so siehst du das, ich sehe das anders“, ist, so die Psychologin, ein gesundes Selbstwertgefühl wesentliche Voraussetzung.

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Nur wer kritisiert wird, kann auch mit Kritik umgehen

Andere wurden in ihrer Kindheit wiederum nie mit Kritik konfrontiert. „Gerade heute wird vielen Kindern vorenthalten mit Kritik umzugehen“, sagt die Psychologin. „Dabei ist genau das ein wichtiges Learning für Kinder“, so von Tiedemann. „Wir haben eine narzisstische Erziehungstendenz, die die Menschen unfähig macht, mit eigenem Fehlverhalten angemessen umzugehen. Später im Arbeitsprozess entstehen größte Probleme, Kritik anzunehmen, weil es nie gelernt und geübt wurde.“

Das Annehmen von Kritik fällt auch dann schwer, wenn der Kritikpunkt etwas trifft, was der Angesprochene ablehnt: „Wenn ich restlos von meinem Tun überzeugt wäre, dann könnte mich keine Kritik treffen. Wenn ich jedoch im Stillen bei mir selbst bestimmte Eigenschaften als Manko sehe, bin ich auch schneller verletzt, wenn sie ein anderer anspricht.“

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