Interview Prävention

Epstein-Barr-Virus: Mit Impfung bald vorbeugen?

13.05.2024 Tina Stähler 4 Min. Lesedauer

Die Infektion mit dem Epstein-Barr-Virus (EBV) bleibt in den meisten Fällen ohne Folgen. Doch das Virus kann – oftmals viele Jahre später – auch schwere Krankheiten wie Krebs und Autoimmunerkrankungen auslösen. Ob eine Impfung gegen das Virus in Zukunft solchen Folgeerkrankungen vorbeugen könnte, erläutert Henri-Jacques Delecluse vom Deutschen Krebsforschungszentrum im Interview mit G+G.

Foto: Eine Hand mit einem Gummihandschuh hält eine Blutprobe auf der "EBV" steht.
Weltweit sind mehr als 90 Prozent der Bevölkerung lebenslang mit dem Epstein-Barr-Virus infiziert. Es verbreitet sich vorwiegend über Speichel, primär durch Tröpfcheninfektion und engen Kontakt.
Foto: Porträtbild von Prof. Dr. Dr. Henri-Jacques Delecluse, Deutsches Krebsforschungszentrum Heidelberg
Prof. Dr. Dr. Henri-Jacques Delecluse forscht am Deutschen Krebsforschungszentrum (DKFZ) zur Pathogenese infektionsbedingter Tumore.

Herr Professor Delecluse, das Epstein-Barr-Virus (EBV) ist vielen Menschen in Deutschland nicht geläufig, das Pfeiffersche Drüsenfieber dagegen schon. Handelt es sich hierbei um dieselbe Krankheit?

Delecluse: Das Pfeiffersche Drüsenfieber ist in den meisten Fällen, aber nicht immer, durch das Epstein-Barr-Virus verursacht. Wiederum ist EBV ein pathogener Faktor für weitere zahlreiche Krebs- und Autoimmunerkrankungen, die sich vom Pfeifferschen Drüsenfieber unterscheiden.

In welchem Alter erkranken die meisten Menschen in Deutschland an EBV und welche Symptome haben sie?

Delecluse: In Deutschland verursacht EBV vor allem das Pfeiffersche Drüsenfieber und in dessen Konsequenz zum Beispiel chronische Müdigkeit. Dies betrifft vor allem Jugendliche und junge Menschen, die Fieber, zervikale Lymphknoten, ein grippales Syndrom sowie typische Blutveränderungen (Lymphozytose) zeigen. EBV verursacht auch Krebs, beispielsweise Morbus Hodgkin bei jungen Erwachsenen und eine spezielle Art von Magenkarzinom, das in der Regel bei Patienten über 50 auftritt. Weiterhin ist EBV ein großer Risikofaktor für Autoimmunkrankheiten, allem voran Multipler Sklerose (MS).

Was ist das Tückische an EBV?

Delecluse: Das Virus kennt unsere Zellen sehr gut und kann sie zu seinen Gunsten manipulieren, ohne sie umzubringen, wie Viren es sonst typischerweise machen. Das bedeutet unter anderem, dass das Virus sich nach der ersten Infektion in unseren Zellen verstecken kann und damit unsichtbar für das Immunsystem ist. Das Virus kann jedoch wieder aufwachen und eine neue Infektionsrunde beginnen.

Was kann, oftmals viele Jahre im Anschluss an die EBV-Infektion, passieren – sozusagen als Folgeerkrankung?

Delecluse: EBV besitzt die Fähigkeit, nach der Infektion einer Person lebenslang im Körper dieser Person zu bleiben. Das heißt, das Virus kann 30 Jahre nach einer Infektion Krankheiten verursachen.  Dazu zählt Krebs. Das Risiko an Morbus Hodgkin zu erkranken ist doppelt so hoch nach einem Pfeifferschen Drüsenfieber. Patienten mit MS entwickeln klinische Symptome im Schnitt sieben Jahre nach einer EBV-Infektion. Krebsarten wie das Nasopharynx-Karzinom (Nasen-Rachen-Krebs) oder manche Fälle eines Magenkarzinoms entstehen Jahrzehnte nach einer Infektion.

„EBV besitzt die Fähigkeit nach der Infektion einer Person lebenslang im Körper dieser Person zu bleiben.“

Prof. Dr. Dr. Henri-Jacques Delecluse

Deutsches Krebsforschungszentrum

Stichwort: Multiple Sklerose – auch diese Erkrankung kann als Spätfolge von EBV auftreten. Warum?

Delecluse: Wir wissen, dass eine Infektion mit EBV das Risiko an MS zu erkranken deutlich steigen lässt. Das ist, einfach gesagt, so ähnlich wie der Zusammenhang von Rauchen und Lungenkrebs. Welche Rolle das Virus bei der MS-Entstehung spielt, wird jedoch noch intensiv erforscht. Die gegenwärtig bevorzugte Hypothese ist, dass die EBV-Proteine (Eiweiße) eine große Ähnlichkeit mit menschlichen Proteinen aufweisen. Dies führt in Menschen mit einem besonderen Erbgut zu einer Verwirrung des Immunsystems. Das Immunsystem denkt fälschlicherweise, dass die eigenen Nervenzellen mit EBV infiziert sind und getötet werden müssen. Es gibt jedoch zahlreiche andere Hypothesen, die gegenwärtig untersucht werden.

Was macht das Epstein-Barr-Virus so komplex?

Delecluse: Das Virus gehört zu der Familie der Herpesviren. Diese Viren sind sehr groß, produzieren etwa 100 Proteine, darunter viele, die unseren eigenen Proteinen ähneln und zahlreiche andere Moleküle, die man in menschlichen Zellen findet, sogenannte nicht kodierende RNAs.

Würde eine Impfung gegen EBV auch die Folgeerkrankungen eindämmen? Wie ist der aktuelle Stand bezüglich einer Impfung und was erhoffen Sie sich von ihr?

Delecluse: Prinzipiell kann eine Impfung gegen EBV Menschen gegen die oben genannten Krankheiten schützen. Allerdings herrscht bei den meisten Spezialisten Konsens, dass es sehr unwahrscheinlich ist, dass eine Impfung eine EBV-Infektion im Laufe des Lebens komplett unterdrücken kann. Aber es ist gut möglich, dass die Impfung Krankheiten wie dem Pfeifferschen Drüsenfieber und hoffentlich zum Teil auch MS vorbeugen wird.

Was fordern Sie von der Politik, um EBV besser bekämpfen zu können?

Delecluse: Ich würde mir wünschen, dass wir ausreichend Zeit hätten, um in Ruhe forschen zu können. Sonst kann man nicht innovativ sein.

Woran forschen Sie im Moment beziehungsweise was ist gerade Ihr wichtigstes Projekt?

Delecluse: Wir untersuchen die Rolle der EBV-Infektion in der Entwicklung von Krebs und Autoimmunkrankheiten.

Mitwirkende des Beitrags

Beitrag kommentieren

Alle Felder sind Pflichtfelder.

Datenschutzhinweis

Ihr Beitrag wird vor der Veröffentlichung von der Redaktion auf anstößige Inhalte überprüft. Wir verarbeiten und nutzen Ihren Namen und Ihren Kommentar ausschließlich für die Anzeige Ihres Beitrags. Ihre E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht, sondern lediglich für eventuelle Rückfragen an Sie im Rahmen der Freischaltung Ihres Kommentars verwendet. Die E-Mail-Adresse wird nach 60 Tagen gelöscht und maximal vier Wochen später aus dem Backup entfernt.

Allgemeine Informationen zur Datenverarbeitung und zu Ihren Betroffenenrechten und Beschwerdemöglichkeiten finden Sie unter https://www.aok.de/pp/datenschutzrechte. Bei Fragen wenden Sie sich an den AOK-Bundesverband, Rosenthaler Str. 31, 10178 Berlin oder an unseren Datenschutzbeauftragten über das Kontaktformular.