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EU-Ticker April 2024

30.04.2024 AOK-Bundesverband 5 Min. Lesedauer

Die EU plant neue Initiativen zur „Sozialen Säule“. Sie basieren auf den 2017 verabschiedeten 20 Grundsätzen für die Sozialpolitik der EU. Außerdem: Neues zum „Dauerbrenner“ Arzneimittelreform und zur Europawahl.

Europa-Fahne im Anschnitt, fünf goldene Steren auf tiefblauem Grund

EU plant neue Initiativen zur „Sozialen Säule“

Das Europaparlament, die EU-Kommission und die EU-Mitgliedsländer wollen in der nächsten Legislaturperiode die Umsetzung der europäischen Säule sozialer Rechte intensivieren. Bei einer Konferenz unter Leitung der belgischen Ratspräsidentschaft formulierten die Teilnehmer am 16. April erste Schwerpunkte. Gemeinsam mit Gewerkschafts- und Arbeitgeberverbänden unterzeichneten EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen, Parlamentspräsidentin Roberta Metsola und der belgische Premierminister Alexander De Croo im belgischen La Hulpe eine Erklärung, in der die 2017 verabschiedeten 20 Grundsätze der „Sozialen Säule“ als maßgeblicher Rahmen für die Sozialpolitik der EU bestätigt werden. Das betrifft die Politik der EU, aber auch die der Mitgliedstaaten in den Bereichen Chancengleichheit und Zugang zum Arbeitsmarkt, faire Arbeitsbedingungen sowie Sozialschutz und Inklusion. Die damit verbundenen Initiativen und Maßnahmen sind in einem Aktionsplan zur europäischen Säule sozialer Rechte zusammengefasst.

2021 hatten die Staats- und Regierungschefs drei Kernziele formuliert, die bis 2030 erreicht werden sollen: Eine Beschäftigungsquote von 78 Prozent in den EU-Staaten, eine Teilnehmerquote von 60 Prozent im Bereich der Erwachsenenbildung und eine Verringerung der von Armut oder sozialer Ausgrenzung bedrohten Menschen in der Union um mindestens 15 Millionen.

Die Tagungsteilnehmer vereinbarten jetzt für 2025 eine Überprüfung der bisherigen Bemühungen und eine Aktualisierung des Aktionsplans. Um Chancengleichheit, Zugang zum Arbeitsmarkt und faire Arbeitsbedingungen zu verbessern, sollen Initiativen für lebenslanges Lernen und berufliche Bildung gefördert werden. Zudem wollen die Mitgliedstaaten die Gleichstellung verbessern und – auch mit Blick auf Arbeits- und Fachkräftemangel – das Anerkennen von Fähigkeiten und Qualifikationen innerhalb der EU erleichtern. Ebenfalls auf dem Schirm: Faire Arbeitsbedingungen für die Beschäftigten in den Branchen, die besonders durch Digitalisierung geprägt sind, etwa die Telearbeit. Beim Thema Sozialschutz geht es der EU insbesondere um das Einbeziehen Selbständiger und „atypisch Beschäftigter“ sowie mehr Rechte für Menschen mit Behinderungen. Überdies soll das System zum Austausch von Sozialversicherungsdaten erweitert werden

Parlament legt bei der Arzneimittelreform vor

Das Europaparlament hat am 10. April seine Position zu den Vorschlägen der EU-Kommission für eine Reform des EU-Arzneimittelrechtes verabschiedet. Der Rat der Mitgliedsländer hat dagegen noch keine gemeinsame Stellungnahme vorgelegt. Damit kann die bereits vor der Legislaturperiode von 2014 bis 2019 angestoßene Reformdebatte erst in der nächsten Wahlperiode fortgesetzt und abgeschlossen werden.

Das Parlament stimmte jetzt dem Vorschlag der Kommission zu, das seit 20 Jahren nicht mehr modernisierte, umfangreiche Arzneimittelrecht in einer EU-Verordnung Einige Leistungen der gesetzlichen Krankenversicherung bedürfen einer schriftlichen Anweisung durch… und in einer EU-Richtlinie neu zu kodifizieren. Die Reform soll dazu beitragen, die Verfüg- und Bezahlbarkeit wichtiger Medikamente in allen Mitgliedsländern zu sichern – unter anderem durch mehr Wettbewerb. Zudem sollen Pharmaforschung und Entwicklung innovativer Arzneimittel Nach der Definition des Arzneimittelgesetzes (AMG) sind Arzneimittel insbesondere Stoffe und… vor allem im Bereich seltener Erkrankungen, bei Antibiotika und Arzneimitteln für Kinder gefördert werden. Durch die Pandemie bekam die Reform eine weitere Stoßrichtung: Angesichts krisenanfälliger globaler Lieferketten sollen Arzneimittelforschung und Produktion in Europa besonders gefördert werden. Teil des EU-Pharmapaketes sind zudem Maßnahmen des „Europäischen Plans gegen den Krebs“. Auch Umweltschutz und Nachhaltigkeit im Bereich der Arzneimittelproduktion sollen verbessert werden.

Die Europaabgeordneten unterstützen das Vorhaben, Hersteller von neuen Medikamenten mit einem nachgewiesenen Mehrnutzen durch längere Abschottung vor dem Generikawettbewerb zu belohnen. Eine bis zu einem Jahr längere „Marktexklusivität“ bekämen danach neue Präparate zur Behandlung seltener Erkrankungen (Orphan Drugs) oder dringend benötigte neue Antibiotika. Für Orphan Drugs soll eine Marktexklusivität von bis zu elf Jahren möglich sein, wenn durch das neue Medikament „große Lücken in der medizinischen Versorgung“ geschlossen werden”. Längere Schutzfristen soll es zudem geben, wenn ein erheblicher Teil der Arzneimittelentwicklung in der EU und zumindest teilweise in Zusammenarbeit mit EU-Forschungseinrichtungen stattfindet.

Das Entwickeln dringend benötigter neuer Antibiotika will das Europaparlament durch „Markteintrittsprämien“ und Geld für das Erreichen von Etappenzielen fördern. Umstritten ist der Vorschlag, Unternehmen als Anreiz zur Forschung im wenig lukrativen Antibiotikabereich Gutscheine zu gewähren. Sie dürften eine verlängerte Marktexklusivität verkaufen, um damit die eigene Forschung zu refinanzieren und Gewinne zu erzielen. Die Käufer könnten mit dem „Voucher“ ein eigenes, besonders lukratives Produkt länger vor dem Generika sind Nachahmerprodukte, die nach Ablauf des Patentschutzes für ein Originalpräparat auf den Markt… -Wettbewerb abschotten.

EMA: Kein Beleg für Suizidgedanken durch Abnehm-Präparate

Nach Angaben der EU-Arzneimittelagentur (EMA) gibt es keine Belege dafür, dass Diabetes-Medikamente, die inzwischen auch als Abnehmpräparate eingesetzt werden, Selbstmordgedanken oder Selbstverletzungen auslösen. Zu diesem Schluss kam der für die Bewertung von Arzneimittelrisiken (Pharmakovigilanz ist ein Überbegriff für alle Maßnahmen, mit denen Nebenwirkungen einer Arzneitherapie erkannt und… ) zuständige EMA-Ausschuss in seiner jüngsten Sitzung Mitte April. Seit Juli 2023 hatte der Ausschuss Studien zu fünf Wirkstoffen (Glucagon-ähnliche Peptid-1-Rezeptoragonisten – GLP 1) ausgewertet. Sie werden in Medikamenten zur Behandlung von Typ-2-Diabetes eingesetzt. Einige sind unter bestimmten Bedingungen auch zur Gewichtskontrolle bei Erwachsenen mit Fettleibigkeit oder Übergewicht zugelassen.

Die Überprüfung ging auf Fallberichte über Suizid- und Selbstverletzungsgedanken zurück. Entsprechende Nebenwirkungen wurden in den EU-Produktinformationen für die Arzneimittel bisher nicht aufgelistet. „Nach Prüfung der verfügbaren Beweise aus nichtklinischen Studien, klinischen Studien, Überwachungsdaten nach dem Inverkehrbringen und den verfügbaren Studien“ kam der EMA-Ausschuss zu dem Ergebnis, „dass eine Aktualisierung der Produktinformationen nicht gerechtfertigt ist“.

Im Herbst 2023 hatte das Gremium nach mehrmonatiger Prüfung bereits entschieden, dass von „Abnehmspritzen“ wie Ozempic und Wegovy kein erhöhtes Risiko für Schilddrüsenkrebs ausgeht.

Zahnamalgam wird 2025 endgültig aus der EU verbannt

Ab 2025 soll in der EU kein quecksilberhaltiges Zahnamalgam mehr verwendet werden. Das EU-Parlament stimmte Mitte April abschließend einem weitgehenden Verbot zu. Alternativen seien inzwischen wirtschaftlich und technisch machbar und ohne Weiteres verfügbar. Danach sind Ausnahmen nur erlaubt, wenn Zahnärzte eine entsprechende Füllung aus medizinischen Gründen für zwingend notwendig halten. Die Verwendung von Amalgam bei Schwangeren, stillenden Müttern, Kindern und nierenkranken Menschen ist in der EU bereits seit Mitte 2018 untersagt. Zudem müssen die Zahnarztpraxen bereits über gesonderte Quecksilber-Abscheider verfügen.

Das endgültige Verbot ist Teil der EU-Quecksilberverordnung, mit der Gesundheit und Umwelt vor den gesundheitsschädlichen Auswirkungen von Quecksilber geschützt werden sollen. Durch das Einatmen von Quecksilberdämpfen können Gehirn, Lunge, Nieren und das Immunsystem dauerhaft geschädigt werden. Mit der Verordnung ist die EU Vereinbarungen des 2013 von 90 Staaten geschlossenen Minamata-Abkommens nachgekommen. Darin hatten sich auch die Union und ihre Mitgliedstaaten verpflichtet, die Verwendung von mit Quecksilber versetzten Produkten schrittweise zurückzufahren. Nach Angaben der EU-Kommission wurden in der EU trotz der verfügbaren Alternativen zuletzt noch rund 40 Tonnen Quecksilber für Zahnamalgam verwendet.

Laut Parlamentsbeschluss ist ab dem Januar 2025 zudem die Ausfuhr von Dentalamalgam aus der EU verboten. Ab dem Juli 2026 sind dann auch Import und Herstellung grundsätzlich untersagt. Nach der Entscheidung des Parlamentes muss jetzt noch der Europäische Ministerrat zustimmen.

Parteienverbände vereinbaren fairen Europawahlkampf

Die europäischen Dachverbände der im Europaparlament vertretenen politischen Parteien haben einen Verhaltenskodex für den Europawahlkampf unterzeichnet. Die Initiative dazu kam von der EU-Kommission. In der Vereinbarung verpflichten sich die Parteien zu ethischen Grundsätzen und fairen Wahlkampf-Praktiken. Dazu gehört zum Beispiel, dass die Parteien und Gruppierungen „keine diskriminierenden Erklärungen oder Vorurteile gegenüber bestimmten Gruppen aufgrund ihres Geschlechts, ihrer ethnischen Herkunft, Religion oder Weltanschauung, einer Behinderung Nach der sozialrechtlichen Definition liegt eine Behinderung vor, wenn die körperlichen Funktionen,… , ihres Alters oder ihrer sexuellen Ausrichtung abgeben, verwenden oder verbreiten“. Zudem verpflichten sich die Unterzeichner, „keine politischen Anzeigen zu schalten, die von nicht deklarierten Quellen gesponsert werden, oder anderweitig Vermittler zu beauftragen, Wahlkampfbotschaften ohne entsprechende Kennzeichnung zu platzieren“.

„Wahlen sollten die Bühne für den Wettbewerb der Ideen sein und nicht für schmutzige Manipulationsmethoden wie KI-Deepfakes“, sagte Kommissionsvizepräsidentin Věra Jourová bei der Unterzeichnung am 9. April in Brüssel. Angesichts „der wachsenden Besorgnis über den Schutz der Integrität der Wahlen in Europa vor internen und externen Bedrohungen“ komme dieser Verpflichtung große Bedeutung zu.

Der Ethik-Kodex bezieht allerdings nur die Dachorganisationen ein, so zum Beispiel die Europäische Volkspartei (EVP/Christdemokraten) oder die Progressive Allianz der Sozialdemokraten. Der Wahlkampf wird jedoch hauptsächlich von den nationalen Parteien in den Mitgliedsländern bestritten.