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Eine Tablette Ehrlichkeit

Die Coronakrise hat die Fragilität globaler Lieferketten gezeigt. Auch im Arzneimittelsektor waren Medikamente und Wirkstoffe betroffen. Die Pharmabranche nutzt die Situation erneut, um gegen jede Form der Preisgestaltung zu mobilisieren. Sie lenkt damit von der eigenen Verantwortung ab und verstell

Jedes Unternehmen will Gewinne erzielen – auch in der Pharmabranche. Vor diesem Hintergrund ist erklärbar, dass sich die Pharmahersteller geradezu reflexartig gegen jede Form der Einflussnahme auf Preisgestaltungen wehren.

Ob es sich dabei um Preismoratorien, die Höhe von Festpreisen oder Arzneimittelrabattverträge handelt. Und so konstruiert die Pharmabranche irreführende Argumente, um von der eigenen Verantwortung für eine zuverlässige Arzneimittelversorgung abzulenken.

Populismus versus Realismus

Oftmals im Fokus: die Arzneimittelausschreibungen der gesetzlichen Krankenkassen. Diese würden zu einem Preisdruck im generischen Markt führen und seien deshalb für Lieferengpässe verantwortlich. „Die Behauptung ist falsch. Und doch eignet sie sich, Ängste zu schüren“, ärgert sich der Vorstandsvorsitzende der AOK Baden-Württemberg Johannes Bauernfeind. Das Gegenteil sei der Fall: „Die Arzneimittelausschreibungen tragen dazu bei, die Versorgungssicherheit für alle Beteiligten zu erhöhen.“ Bei der AOK-Gemeinschaft werden Arzneimittel präferiert im sogenannten Einpartnermodell ausgeschrieben. Das bedeutet, dass ein einziger Hersteller den exklusiven Marktzugang erhält. Dadurch erreicht der Hersteller Planungssicherheit und kann seine Produktionsmengen zuverlässig kalkulieren.

Im sogenannten Mehrpartnermodell, bei welchem in der Regel bis zu drei Anbieter den Zuschlag erhalten, ist diese Planungssicherheit nicht gegeben, da sich die Abgabemengen nicht gleichmäßig auf alle Anbieter verteilen. Diese Unsicherheit hält vor allem kleinere und mittelständische Unternehmen von einer Ausschreibungsbeteiligung ab und führt damit zwangsläufig zu einer Marktzentrierung – obwohl das Gegenteil erreicht werden sollte. Zusätzlich werden in den AOK-Ausschreibungen verpflichtende Sicherheitsreserven vorgeschrieben, um einen Engpass kurzfristig auffangen zu können.

Höchst irreführend sei es gewesen, „dass die Pharmaindustrie auf dem Höhepunkt der Coronakrise fabulierte, dass Lieferengpässe mit den Arzneimittelausschreibungen zusammenhingen, obwohl durch die Pandemie über einen langen Zeitraum und bis heute globale Lieferketten gestört sind“, sagt Bauernfeind. Die Coronakrise habe vielmehr die Konzentration der Wirkstoff- und Arzneimittelproduktion gerade im asiatischen Markt aufgezeigt.

„Die Arzneimittelausschreibungen für die Abwanderung der Hersteller nach Asien verantwortlich zu machen, ist scheinheilig und verstellt den Blick auf die wahren Ursachen“, so Bauernfeind. Ein Trend zur Verlagerung gebe es seit den späten siebziger Jahren, da die Differenz zwischen niedrigen Herstellungskosten und hohen Verkaufspreisen die Margen der Hersteller erhöhe.

Um welche Arzneien geht es bei den Arzneimittelausschreibungen?

Die von der AOK Baden-Württemberg federführend für die gesamte AOK-Gemeinschaft ausgehandelten Arzneimittelausschreibungen beziehen sich ausschließlich auf Generika. Generika sind Nachahmerprodukte, die nach Auslaufen des Patentschutzes für das Originalpräparat auch von anderen Pharmaunternehmen hergestellt werden dürfen. Wie alle Medikamente werden Generika vor der Zulassung geprüft und unterliegen den hohen Standards des Arzneimittelrechts. Sie entsprechen in der Zusammensetzung der Wirkstoffe exakt dem Originalpräparat, können aber vom Original bei den wirkneutralen Hilfsstoffen abweichen.

Versorgungssicherheit stärken

„Es ist deutlich zu sehen, dass die globalen Lieferketten sehr anfällig sind bei exogenen Schocks – etwa durch Pandemie oder Krieg“, betont Bauernfeind. Daher haben die AOKs als erste Krankenkassen in Deutschland bei ihren Ausschreibungen das Preisargument zurückgestellt. „Mit der Sondertranche Z1 wurde das Ausschreibungsdesign so weiterentwickelt, dass robustere Lieferketten und Umweltschutzaspekte zum Tragen kommen. Beides Aspekte, die uns sehr wichtig sind und die Versorgungssicherheit langfristig erhöhen können. Der Preis sollte am Ende nicht der ausschlaggebende Aspekt sein.“

Prompt klagten international aufgestellte Pharmaunternehmen, weil sie sich standortbedingt benachteiligt sahen, und bekamen vor dem Oberlandesgericht Düsseldorf recht. „Die Absurdität der Argumente gegen eine Ausschreibung zu klagen, die Lieferketten robuster macht, ist nur damit zu erklären, dass es den Herstellern nach wie vor um Gewinnmaximierung geht und weniger um die Versorgungssicherheit“, so Bauernfeind.

Die Arzneimittelausschreibungen seien der Garant dafür, Versorgungssicherheit herzustellen und Lieferengpässe zu vermeiden. „Patientinnen und Patienten haben ein Recht darauf, exakt den Wirkstoff zu bekommen, auf den sie eingestellt sind“, betont Johannes Bauernfeind. Er appelliert an die Politik, die pharmazeutischen Unternehmen zu verpflichten, mehr Transparenz über die Herstellungsorte und Lieferketten zu schaffen. Zudem brauche es ein verpflichtendes Frühwarnsystem für eventuell aufkommende Engpässe, wie es bereits seit Jahren für Arzneimittel im stationären Bereich existiert und sich dort bewährt hat.

Außerdem plädieren die AOKs für eine erweiterte Vorratshaltung für alle kritischen Arzneimittel. Neben diesen Vorschlägen sollten sich Politik, Hersteller und Krankenkassen gemeinsam auf eine umfassende Strategie einigen. Letztlich geht es darum, sich speziell bei versorgungsrelevanten Wirkstoffen unabhängiger von fragilen Lieferketten zu machen.