Unser Rezept für eine gesunde Gesellschaft

Haltung einnehmen. Medikamente sind für uns Menschen lebenswichtig. Gelangen ihre Wirkstoffe bei der Produktion aber durch das Abwasser in die Umwelt, können sie resistente Keime fördern. Was wir als AOK Baden-Württemberg tun, um nachhaltige und faire Standards bei Herstellern zu fördern.

Ergebnisse der Pilotstudie zur nachhaltigen Versorgung mit Antibiotika

Pressekonferenz vom 10. November 2023 in Berlin

Nachhaltige Produktion im Kampf gegen resistente Keime

Multiresistente Keime sind für Mensch und Umwelt ein Problem. Sie können die Wirksamkeit von Antibiotika gefährden und tauchen vor allem in belasteten Produktionsabwässern auf. Wenn diese unbehandelt in Flüsse und Seen zurückgeleitet werden, verbreiten sich die multiresistenten Keime dort – mit erheblichen gesundheitlichen und finanziellen Folgen für die gesamte Weltbevölkerung.


Ein globales Risiko

Mit Keimen belastete Binnengewässer sind für viele Millionen Menschen weltweit eine wichtige Süßwasserquelle – vor allem in ärmeren Ländern, in denen oft das Geld für die Wasseraufbereitung fehlt und die Versorgung wegen desolater Infrastrukturen ohnehin sehr schlecht ist. Antibiotikaresistenzen sind ein globales Risiko und gefährden die zukünftige Gesundheitsversorgung. Die Vereinten Nationen haben das Problem deshalb längst neben dem Klimawandel und dem Terrorismus als globale Gefahr eingeordnet. Die WHO bezeichnet es seit mehreren Jahren gar als eines der wichtigsten globalen Gesundheitsthemen.

Wir als AOK Baden-Württemberg möchten, dass Infektionen im Ernstfall auch künftig wirksam mit Antibiotika behandelt werden können. Dazu müssen Hersteller zwingend ihr Produktionsabwasser umweltgerecht aufbereiten und die Umweltbelastung vor Ort auf ein Minimum reduzieren. Wir tragen eine Verantwortung und setzen uns für sozial- und umweltverträgliche Produktionsbedingungen ein. Denn auch Arzneimittel, die auf dem deutschen Markt landen und in deutschen Apotheken verkauft werden, werden zum Teil unter umweltschädlichen Produktionsbedingungen hergestellt.

Vorstandsvorsitzender der AOK Baden-Württemberg

Johannes Bauernfeind

 „Wenn sich multiresistente Keime über das Industrieabwasser ausbreiten, ist die Wirksamkeit von Antibiotika insgesamt stark gefährdet. Daher muss die Herstellung unter strengen Auflagen für den Umweltschutz stattfinden“

Neben den Produktionsbedingungen spielt eine große Rolle, wie Medikamente angewandt werden und ob sie umweltgerecht entsorgt werden können. Beispiel Diclofenac: ein weitverbreiteter Wirkstoff gegen Entzündungen und Schmerzen, der mittlerweile vermehrt in Binnengewässern nachgewiesen werden kann. So zeigen Studien, dass die durch die entsprechende Umweltqualitätsnorm (UQN) vorgeschlagene Konzentration von 0,05 Mikrogramm pro Liter in deutschen Fließgewässern im Durchschnitt weit überschritten wird.


Das Problem: Wird Diclofenac äußerlich auf der Haut angewendet, gelangt es beim Duschen direkt ins Abwasser. Kläranlagen können den Wirkstoff nicht herausfiltern. Unsere Lösung: Die AOK-Gemeinschaft nimmt die Darreichungsform von Diclofenac als Gel oder Salbe aus ihren Arzneimittelausschreibungen heraus. Damit wollen wir dazu beitragen, die Wasserverschmutzung durch den Wirkstoff zu reduzieren.

Wir sind bereit, mehr zu zahlen

Als AOK-Gemeinschaft ermöglichen wir mit den Rabattverträgen nicht nur eine wirtschaftliche Versorgung. Wir setzen uns für eine nachhaltige Arzneimittelversorgung in drei Dimensionen ein:

  • Ökologisch: Wir möchten die Entstehung von Antibiotikaresistenzen vermeiden, indem wir Umweltkriterien in der Arzneimittelproduktion berücksichtigen.
  • Sozial: Wir möchten Lieferengpässe vermeiden, indem wir Lieferketten stabilisieren und verkürzen.
  • Ökonomisch: Wir möchten eine wirtschaftliche Versorgung ohne Qualitätsverluste sicherstellen, indem wir unsere Arzneimittelrabattverträge konsequent weiterentwickeln.

Wir schließen bevorzugt Verträge mit Partnern, die sich entschlossen haben, umweltschonend und unter Berücksichtigung von Sozial- und Arbeitsstandards zu produzieren. Es erhalten nicht die günstigsten Angebote automatisch den Zuschlag, sondern vor allem die Unternehmen, die in Nachhaltigkeitsmaßnahmen investiert haben. Auf diese Weise fördern wir Hersteller, die bei der eigenen Produktion und innerhalb ihrer Lieferketten auf die Gesundheit der Menschen und den Umweltschutz achten.

Nachhaltigkeit hat ihren Preis

Als ein Akteur des Arzneimittelsektors sehen wir unsere Verantwortung darin, die Arzneimittelversorgung nachhaltig zu gestalten, sodass wir Menschen helfen können, ohne dabei der
Umwelt zu schaden. Darum haben wir bereits 2020 als erste und bisher einzige Krankenkasse den Umweltschutzaspekt in unseren Arzneimittelausschreibungen verankert.


Das funktioniert grundsätzlich so: Wollen Pharmaunternehmen die Mitglieder einer Krankenkasse mit generischen Arzneimitteln versorgen, müssen sie sich an Arzneimittelausschreibungen beteiligen. Generische Arzneimittel sind Medikamente, bei denen der Patentschutz abgelaufen ist. Krankenkasse und Hersteller schließen dann einen Vertrag, in dem der Hersteller die Arzneimittelversorgung übereinen bestimmten Zeitraum garantiert.


In der Praxis erhält meist das Unternehmen den Zuschlag, das den niedrigsten Preis für seine Produkte aufruft. Dafür erhält der Hersteller einen exklusiven Zugang zu den Versicherten der
Krankenkasse. Denn die Apotheken sind verpflichtet, immer das Medikament auszugeben, für welches die Krankenkasse des Versicherten einen Rabattvertrag mit dem Hersteller abgeschlossen hat. Die AOK Baden-Württemberg koordiniert zentral für die AOK-Gemeinschaft die Gestaltung der Arzneimittelrabattverträge und ist die bundesweite Verhandlungsführerin.


Damit nicht nur der Preis in der Ausschreibung entscheidend ist, haben wir Nachhaltigkeitsaspekte als Bonuskriterien bei der Ausschreibung entwickelt, um Anreize für eine umweltgerechte Produktion von Antibiotika zu schaffen.


Gemeinsam mit dem Umweltbundesamt haben wir maximale Wirkstoffkonzentrationen im Produktionsabwasser definiert. Pharmaunternehmen, die sich gemeinsam mit ihren Wirkstoffherstellern verpflichten, diese Werte einzuhalten, werden durch einen Bonus in der Ausschreibung bevorzugt. Die Einhaltung wird durch Experten und Expertinnen vom unabhängigen Wasserforschungsinstitut IWW Rheinisch-Westfälisches Institut für Wasserforschung durch die Entnahme und Analyse von Proben vor Ort überprüft. So stellen wir sicher, dass das Nachhaltigkeitskriterium eingehalten wird. Zudem werden Gewässerproben der durch die Produktionsstätten beeinflussten Umwelt auf Antibiotika untersucht.


Bei nachgewiesenen Konzentrationsüberschreitungen im Produktionsabwasser wurden die pharmazeutischen Unternehmen dahingehend aufgeklärt und sensibilisiert sowie zur Veranlassung von Nachbesserungen an den Produktionsstätten aufgefordert.

Eine Gefahr für die lokale Bevölkerung und das Risiko einer globalen Ausbreitung

Unabhängige Expertinnen und Experten konnten bisher an drei Produktionsstätten sowie an einem direkt von einer vierten Produktionsstätte beeinflussten Gewässer teils massive
Schwellenwertüberschreitungen für die ausgeschriebenen Vertragsantibiotika nachweisen. Bei Ciprofloxacin wurde eine Abwasserkonzentration erfasst, die den vertraglich vereinbarten
Schwellenwert um erschreckende 11.000 Prozent überstieg.

Auch in der Umgebung der Gewässer wurden hohe Antibiotikaresistenzen erkannt. Das betrifft neben vielgenutztem Weideland auch bewohnte Gebiete. Darunter ist auch eine Viehweide, die durch den Überlauf von Regenwasser bei der nahegelegenen Produktionsstätte besonders betroffen ist. Die hier gemessene Konzentration von Azithromycin übersteigt den ökotoxikologischen Schwellenwert um mindestens 1.600.000 Prozent. Um sich das bildlich vorstellen zu können: Entspräche der Schwellenwert der Größe von Stuttgart, hätte die Überschreitung die Fläche der gesamten EU

Nicht nur die lokale Bevölkerung ist akut durch diese Schwellenüberschreitungen gefährdet. Durch Tourismus, Arbeitsreisen und den globalisierten Handel können sich Antibiotikaresistenzen schnell weltweit verbreiten.

Positive Entwicklungen

Dank der Untersuchungen gab es innerhalb der letzten zwei Jahre aber auch erste positive Entwicklungen: Eine der inspizierten Produktionsstätten hat ihre Abwasseraufbereitung verbessert und konnte die Konzentration des gemessenen Antibiotikums deutlich verringern. Eine weitere Produktionsstätte hat die Lagerung und das Recycling optimiert und so einen nachhaltigeren Umgang mit den Wirkstoffen etabliert. Andere Produktionsstätten planen bereits die Umstellung ihrer Abwasseraufbereitung

Es besteht Handlungsbedarf – für uns alle

Die bisherigen Ergebnisse zeigen den hohen Handlungsdruck auf nationaler, vor allem aber auf europäischer Ebene. Wenn die Weltgemeinschaft das Problem der Antibiotikaresistenzen in den Griff bekommen will, müssen grundlegende Rahmenbedingungen geschaffen werden. Nur so kann etwas gegen negative Folgen für Umwelt und Gesundheit getan werden. Die Wirkung der Rabattverträge ist im Hinblick auf die globalen Herausforderungen begrenzt. Es braucht daher einen europäischen Ansatz, mit dem das gesamte Gewicht des europäischen Marktes in die Waagschale geworfen werden kann. Hierfür ist ein geschlossenes und starkes Auftreten Deutschlands im europäischen Kontext erforderlich.

Wir müssen jetzt handeln, um Antibiotikaresistenzen, die damit einhergehenden Erkrankungen und steigende Gesundheitskosten in der Zukunft zu vermeiden.

Unsere Forderungen für eine gesunde Arzneimittelproduktion

Als AOK Baden-Württemberg haben wir ein Policy Paper aufgesetzt, in dem sämtliche notwendige Handlungsempfehlungen gesammelt nachzulesen sind. Damit wir zusammen gegen Antibiotikaresistenzen vorgehen können.

Über Gefahren aufklären

Mit neuen Ausschreibungskriterien und zusätzlichen Investitionen möchten wir unserer gesellschaftlichen Verantwortung gerecht werden. Gleichzeitig möchten wir die öffentliche und politische Diskussion vorantreiben. Darum haben wir es uns zur Aufgabe gemacht, über die Gefahren von Antibiotikaresistenzen und Medikamentenrückständen in Abwässern aufzuklären. Positive Veränderungen im Arzneimittelsektor erreichen wir jedoch nur, wenn wir die Unternehmen fördern, die unsere Werte und unsere Vision teilen: In einer gesunden Gesellschaft helfen Arzneimittel den Menschen, ohne der Umwelt zu schaden.

Umweltprogramm greenAOK

Wir als AOK Baden-Württemberg leisten mit dem Umweltprogramm greenAOK unseren Beitrag für eine intakte, saubere und zukunftsfähige Umwelt. Dazu gehören Maßnahmen zu Energieeffizienz und Ressourcenschonung sowie zur Vermeidung von Müll und Kohlendioxid.

Klimastudie

In einer gemeinsamen Studie haben die AOK Baden-Württemberg und das Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt erstmals den Einfluss bestimmter Klima- und Umweltfaktoren auf die Gesundheit der Menschen in Baden-Württemberg untersucht. Der Forschungsansatz der beiden Partner öffnet die Türen für weitere wissenschaftliche Untersuchungen.

Service

Für unsere aktuelle Nachhaltigkeitskampagne nutzen wir als AOK Baden-Württemberg vor allem umweltfreundliche Werbemittel und sorgen für frischen Wind in Stuttgart und Mannheim. Dabei werden durch ein spezielles Material Schadstoffe aus der Umgebung gefiltert. Aber wie genau funktioniert das?