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Kultursensible Pflege: Beispiele für die Umsetzung im Pflegealltag

Veröffentlicht am:08.11.2022

6 Minuten Lesedauer

Was ist gute Pflege? Je nach Herkunft und kultureller Prägung haben Menschen auf diese Frage ganz unterschiedliche Antworten. Pflege, die allen gerecht werden will, achtet kulturelle Unterschiede. Wie das gelingen kann, lesen Sie hier.

Krankenschwester schiebt ihren Patienten im Rollstuhl durch den Flur.

© iStock / andresr

Was bedeutet kultursensible Pflege?

Vermutlich versteht jeder Mensch unter Kultur ein bisschen etwas anderes. Das erschwert das Verständnis von Begriffen wie kultursensible Pflege oder kultursensible Altenpflege. In diesem Zusammenhang ist mit Kultur all das gemeint, was Menschen beim Heranwachsen in einer Gesellschaft und in ihrer persönlichen, familiären Umgebung geprägt hat und immer noch prägt: Sprache, Religion, Ernährung oder Verhaltensweisen, die im Alltag in bestimmten Situationen als angemessen gelten. All das macht unser kulturelles Umfeld aus. Es beeinflusst die persönlichen Vorstellungen und Werte. Gesellschaftswissenschaftler und -wissenschaftlerinnen nennen das Ergebnis dieser soziokulturellen Prägung auch die kulturelle Identität.

Die kulturelle Identität ist auch im Bereich der Pflege wichtig. Eine pflegerische Versorgung soll gewährleisten, dass pflegebedürftige Menschen entsprechend ihrer individuellen Werte sowie ihrer kulturellen und religiösen Bedürfnisse leben können – das ist eine gängige Definition für kultursensible Pflege, auch multikulturelle Pflege genannt. Es ist letztlich unerheblich, ob eine pflegebedürftige Person als Kind deutscher Eltern hierzulande aufgewachsen ist oder als Migrantin und Migrant ursprünglich aus einem anderen Kulturkreis stammt. Es geht um die Menschenwürde und den Respekt vor dem individuellen Menschen unabhängig von seiner Herkunft, seiner Werte oder seines Glaubens.

Dieser Aspekt ist dem Gesetzgeber bei der Pflege so wichtig, dass er im Sozialgesetzbuch direkt angesprochen wird. Dort heißt es, dass den „Bedürfnissen nach einer kultursensiblen Pflege nach Möglichkeit“ entsprochen werden soll.

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Warum wird kultursensible Pflege immer wichtiger?

In Deutschland steigt die allgemeine Lebenserwartung. Außerdem sind die geburtenstarken Jahrgänge schon im Rentenalter oder erreichen es in den kommenden Jahren. Dies hat zur Folge, dass immer mehr alte Menschen in unserer Gesellschaft leben. Damit wächst auch die Zahl der Pflegebedürftigen. Über die notwendigen Konsequenzen wird politisch viel diskutiert.

Hoher Pflegebedarf in allen gesellschaftlichen Milieus

Weniger im öffentlichen Bewusstsein ist hingegen, dass auch die Zahl der pflegebedürftigen Menschen aus anderen Kulturkreisen zunimmt. Das liegt vor allem daran, dass Angehörige der ersten Generation der sogenannten Gastarbeiter und -arbeiterinnen, die in Deutschland eine dauerhafte Heimat gefunden haben, mittlerweile ein hohes Lebensalter erreicht haben. Deshalb sind auch immer mehr Menschen aus Einwandererfamilien auf ambulante Pflegeleistungen oder stationäre Pflegeeinrichtungen angewiesen. Schätzungen gehen davon aus, dass ihr Anteil an den Menschen, die eine pflegerische Versorgung in Anspruch nehmen, in den nächsten Jahren auf rund 12,5 Prozent steigen wird. Diese Personen wünschen sich eine Pflege, die auf ihre kulturelle Identität Rücksicht nimmt.

Geringe Nutzung der Pflegeangebote

Im Vergleich zur Mehrheitsbevölkerung nehmen aber sehr viel weniger Migranten und Migrantinnen bzw. deren Nachkommen professionelle Pflegeleistungen in Anspruch. Das liegt nur bedingt daran, dass Pflegebedürftige mit Migrationshintergrund innerhalb ihrer Familien versorgt werden. Auch in migrantischen Milieus wird die Betreuung der Älteren immer seltener vollständig familiär abgedeckt. Gründe für die Abweichung der tatsächlichen Nachfrage vom eigentlichen Bedarf dürften deshalb auch Barrieren sein, die für einige Menschen nur schwer zu überwinden sind: sprachliche Probleme, bürokratische Hürden oder die Sorge darum, dass kulturelle Bedürfnisse bei der Pflege nicht ausreichend berücksichtigt werden. Für eine allgemeine Teilhabe aller Menschen an angemessener pflegerischer Versorgung ist es wichtig, solche Hindernisse aus dem Weg zu räumen.

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Wie kann kultursensibel gepflegt werden? Ansätze aus dem Pflegealltag

Aus- und Fortbildung des Personals

Pflege, die den kulturellen Ansprüchen der Pflegebedürftigen gerecht wird, setzt entsprechendes Hintergrundwissen und Einfühlungsvermögen voraus. Das Personal hat aber oft einen anderen kulturellen Hintergrund als die zu pflegenden Menschen, weshalb interkulturelle Inhalte Eingang in die Pflegeausbildung gefunden haben. Solche Kenntnisse sollten durch regelmäßige Fort- und Weiterbildungen gefestigt werden. Leider ist wegen der Personalnot im Pflegesektor eine individuell und kulturell angepasste Pflege nicht immer umsetzbar. Eine Erweiterung der Pflegeausbildung um kultursensible Aspekte kann die Situation für alle Pflegebedürftigen zwar verbessern, aber kurzfristig nichts an diesem grundsätzlichen Problem ändern.

Muttersprachliches Pflegepersonal

Die Übersetzung von Informationsmaterial für Pflegebedürftige und ihre Angehörigen in verschiedene Sprachen ist der erste Schritt, um Sprachbarrieren zu überwinden. Im pflegerischen Alltag ist darüber hinaus eine funktionierende Kommunikation zwischen Pflegeperson und Pflegebedürftigen unverzichtbar, um kulturelle Rücksichtnahme sicherzustellen und damit zum Beispiel spezielle Wünsche erfüllen zu können. Fachpersonal, das die Muttersprache eines Betreuten spricht, ist hier sehr hilfreich. Manche stationären Einrichtungen setzen bewusst auf Angestellte mit einer Einwanderungsgeschichte und entsprechenden Sprachkenntnissen. Das geschieht auch im ambulanten Bereich. Vor allem in Ballungsräumen gibt es mittlerweile auch mehrsprachige Pflegedienste.

Religion

Viele Pflegeeinrichtungen ermöglichen ihren christlichen Bewohnern und Bewohnerinnen den Besuch eines Gottesdienstes innerhalb der Einrichtung. Im Sinne der Religionsfreiheit sollte es im gleichen Maße auch Andersgläubigen ermöglicht werden, ihren religiösen Bedürfnissen nachzukommen. Pflegeeinrichtungen können spezielle Gebetsräume schaffen und ihre Pflegeabläufe dahingehend anpassen, dass die Ausübung religiöser Rituale möglich ist – etwa die fünf Gebete am Tag, die für strenggläubige Muslime sehr wichtig sind. Auch die Einhaltung des Fastenmonats Ramadan ist vielen muslimischen Menschen trotz einer Pflegebedürftigkeit wichtig. Hier kommt es auf ein sorgfältiges Angleichen von religiösen Bedürfnissen und der Organisation des pflegerischen Alltags an.

Eine Gruppe älterer Menschen werden von Pflegerin umsorgt.

© iStock / SeventyFour

In einer Pflegeeinrichtung sind Bewohner und Bewohnerinnen individuell – auch was die eigene Kultur angeht. Kultursensible Pflege ist daher sehr wichtig.

Ernährung

Der Aspekt der individuellen Ernährungsgewohnheiten überschneidet sich mit der Rücksichtnahme auf religiöse Bedürfnisse. Menschen jüdischen und muslimischen Glaubens dürfen keine Lebensmittel vom Schwein essen, was auch Zutaten wie Gelatine einschließt. Die Rücksichtnahme auf kulturelle Bedürfnisse bei den Mahlzeiten beschränkt sich aber nicht auf Menschen mit Migrationshintergrund. Auch in der christlich geprägten Mehrheitsbevölkerung gibt es immer mehr alte Menschen mit besonderen Ernährungsgewohnheiten. An diesem Beispiel zeigt sich, dass die Anforderungen an kultursensible und an eine generell individuell ausgerichtete Pflege gar nicht so sehr voneinander abweichen.

Geschlechterverhältnis

Es ist vermutlich das schwierigste Thema: Menschen haben kulturell und religiös bedingt unterschiedliche Vorstellungen über Geschlechterbeziehungen und die Rolle der Frau. So kann etwa der Wunsch nach ausschließlich gleichgeschlechtlicher pflegerischer Versorgung bestehen. Dem können viele Pflegedienste und ‑einrichtungen schon wegen der angespannten Personalsituation nicht immer entsprechen. Außerdem stehen sie vor dem grundsätzlichen Problem, die Rücksicht auf die kulturelle Identität Pflegebedürftiger mit den möglicherweise abweichenden Wertvorstellungen der Pflegenden in Einklang bringen zu müssen. Eine Pflegekraft mit den gleichen kulturellen Einstellungen wie denen des jeweiligen Pflegebedürftigen kann Konflikte vermeiden helfen.

Welche Beratungsangebote hat die AOK zu Pflegedienst und ambulanter Pflege?

Die Leistungen der AOK unterscheiden sich regional. Mit der Eingabe Ihrer Postleitzahl können wir die für Sie zuständige AOK ermitteln und passende Leistungen Ihrer AOK anzeigen.

Die Gesellschaft ist vielfältig – die Zukunft der Pflege ist es auch

Jeder Mensch ist einzigartig – unabhängig von religiösen oder kulturellen Fragen. Der Anspruch an gute Pflege ist, eine pflegebedürftige Person in ihrer Einzigartigkeit wertzuschätzen. Die Rücksichtnahme auf migrantisch geprägte Bevölkerungsgruppen kann daher helfen, die gesamte Pflegelandschaft zu verbessern.

Allerdings ist Deutschland von einem flächendeckenden interkulturell-pflegerischen Angebot noch entfernt. In der ambulanten Pflege, die in den eigenen Räumlichkeiten der Pflegebedürftigen stattfindet, lässt sich eine Rücksichtnahme auf deren kulturelle Bedürfnisse noch am leichtesten umsetzen. Im stationären Bereich gibt es zwei grundsätzlich unterschiedliche Konzepte. Einerseits Einrichtungen, die sich exklusiv an eine bestimmte gesellschaftliche Gruppe richten. Ein Beispiel hierfür ist das Altenzentrum der Jüdischen Gemeinde Frankfurt am Main. Und andererseits Versuche, den kulturellen Bedürfnissen unterschiedlicher Bewohnerinnen und Bewohner innerhalb einer gemeinsamen Einrichtung gerecht zu werden. Dieser Weg wird zum Beispiel im Hans-Sieber-Haus in München beschritten, das über einen speziell gestalteten Wohnbereich für Menschen muslimischen Glaubens verfügt.

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