Pressemitteilung

„Gefährliche Mixtur in unsicheren Zeiten“

15.09.2022 AOK Hessen 4 Min. Lesedauer

Morgen steht im Bundesrat das GKV-Finanzstabilisierungsgesetz auf der Agenda. In der kommenden Woche erfolgt die erste Lesung im Bundestag. Der Gesetzentwurf wird seinem Namen aber nicht gerecht. Im Gegenteil: Die Gesetzliche Krankenversicherung (GKV) wird durch die Pläne der Bundesregierung finanziell destabilisiert. Zu diesem Schluss kommen die Vorsitzenden des Verwaltungsrates und der Vorstand der AOK Hessen. Das werden vor allem die Beitragszahlenden zu spüren bekommen.

Schwere Kritik am Gesetzesentwurf

„Selten zuvor hat ein Gesetzentwurf im gesundheitspolitischen Kontext so viel Kritik von unterschiedlichen Seiten hervorgerufen wie dieser“, kommentiert Detlef Lamm, Vorstandsvorsitzender der AOK Die AOK hat mit mehr als 20,9 Millionen Mitgliedern (Stand November 2021) als zweistärkste Kassenart… Hessen, die Pläne der Bundesregierung. „Noch ist Zeit etwas zu ändern.“ Im Statement der hessischen AOK-Spitze finden sich hierzu klare Worte:

Politik destabilisiert die Gesetzliche Krankenversicherung / Zweifel an der Vereinbarkeit mit dem Grundgesetz

Mit dem sogenannten GKV-Finanzstabilisierungsgesetz sollen die für 2023 erwartete Finanzierungslücke in der gesetzlichen Krankenversicherung in Höhe von mindestens 17 Mrd. € geschlossen und die Finanzen stabilisiert werden. Der bisherige Gesetzentwurf wird seinem Namen aber nicht gerecht – im Gegenteil. Die Krankenkassen bluten finanziell aus, und den Menschen drohen dennoch steigende Beitragssätze. Zudem kommt ein Gutachten des Staatsrechtlers Professor Stephan Rixen zu dem Ergebnis: Die im Gesetzentwurf enthaltene Vermögensabgabe ist verfassungswidrig.

Destabilisierung der GKV – Insolvenzen drohen

Krankenkassen, deren Finanzvermögen 0,2 Monatsausgaben, also die gesetzlich vorgeschriebene Mindestrücklage, übersteigt, sollen das oberhalb dieser Grenze liegende Vermögen weitestgehend an den Gesundheitsfonds abführen. Durch diesen erneuten Zugriff auf die kasseneigenen Finanzreserven sinken die zur Verfügung stehenden Finanzmittel auf 5 bis 6 Tagesausgaben. Unerwartete Ausgabensteigerungen, z. B. pandemiebedingt, können damit kaum noch abgefedert werden. Gleichzeitig dürfen sich die Krankenkassen nicht verschulden und sind insolvenzfähig. Das ist eine gefährliche Mixtur in unsicheren Zeiten, in denen doch gerade die sozialen Sicherungssysteme Sicherheit geben sollten. Stattdessen drohen den Bürgerinnen und Bürgern nicht nur zum Jahreswechsel Beitragssatzerhöhungen, sondern auch unterjährig. Im schlimmsten Fall drohen sogar Insolvenzen einzelner Krankenkassen.

Eingriff in die Finanzautonomie verfassungswidrig

Darüber hinaus kommt ein Gutachten von Professor Stephan Rixen (Universität zu Köln) zu dem Ergebnis, dass ein staatlicher Zugriff auf die Finanzreserven der Krankenkassen nicht mit dem Grundgesetz vereinbar ist. Der Rücklagenzugriff verletze das rechtsstaatliche Willkürverbot, indem die Finanzautonomie der selbstverwalteten Krankenkassen missachtet wird und deren finanzielle Stabilität und Funktionsfähigkeit gefährdet werden. Die in der Folge notwendigen Anhebungen der Zusatzbeiträge verletzen überdies die Grundrechtsposition der GKV-Versicherten. Zudem: Gegen die Zwangsvermögensabgabe aus dem Jahr 2021 – damals hieß es, diese würde wegen der coronabedingten Ausnahmesituation einmalig umgesetzt – haben mehrere Krankenkassen Klage erhoben. Das Urteil hierzu steht noch aus.

Alternativen vorhanden

Nicht akzeptabel ist zudem, dass die für das Jahr 2023 prognostizierte Finanzlücke weitestgehend die Beitragszahlenden schultern sollen. Denn zusätzlich zum gesetzlichen Zugriff auf die Reserven der Krankenkassen in Höhe von rund vier Mrd. Euro sollen sie ab 2023 auch höhere Zusatzbeiträge zahlen. Dabei gibt es Alternativen. Der Staat – also Bund, Länder und Kommunen – muss endlich seinen Verpflichtungen nachkommen und die Ausgaben, die den Krankenkassen dadurch entstehen, dass sie originäre staatliche Aufgaben übernehmen, vollständig ausfinanzieren. Allein für die gesundheitliche Versorgung der ALG-II-Beziehenden erhalten die Krankenkassen vom Staat pro Jahr rund zehn Mrd. Euro weniger aus Steuermitteln, als sie für diese Versorgung ausgeben müssen. Ebenso ist nicht nachvollziehbar, warum für Tierfutter und Blumen der ermäßigte Mehrwertsteuersatz gilt, für lebenswichtige Medikamente aber der volle Mehrwertsteuersatz fällig wird. Durch die Senkung der Mehrwertsteuer auf Arznei- und Hilfsmittel von 19 Prozent auf sieben Prozent könnte ein Einsparvolumen von ca. fünf Mrd. Euro erzielt werden.

Wir fordern den Gesetzgeber dringend auf, den Gesetzentwurf in diesem Sinne zu korrigieren.

André Schönewolf, Dr. Stefan Hoehl  

(Vorsitzende des Verwaltungsrates der AOK Hessen)

Detlef Lamm, Dr. Michael Karner, Dr. Isabella Erb-Herrmann       

(Vorstand der AOK Hessen)

Eine ausführliche Stellungnahme der AOK-Gemeinschaft zum sogenannten GKV-Finanzstabilisierungsgesetz ist hier zu finden.

Pressesprecher

Riyad Salhi

AOK Hessen