Es hakt… immer weniger

E-Health in Deutschland – das ist bisher keine Erfolgsstory gewesen. Dabei begann alles vor 16 Jahren durchaus vielversprechend: Mit dem „Gesetz zur Modernisierung der gesetzlichen Krankenversicherung“ gab der Bund frühzeitig den Rahmen für die digitale Vernetzung des Gesundheitssystems. Aber das sonst so hochgelobte deutsche Gesundheitssystem zeigte sich wenig fähig zur digitalen Modernisierung. Mittlerweile jedoch tut sich etwas.
Bereits auf das Jahr 2006 fiel der geplante Start der Telematikinfrastruktur (TI). Erste Anwendungen sollten das elektronische Rezept und eine damit verbundene elektronische Arzneimittel-Sicherheitsprüfung sein. Aber die TI kam nicht. Selbst ein Jahrzehnt nach dem geplanten Start waren die Praxen und Krankenhäuser noch nicht angebunden. Es hakte überall. Dabei spielten technologische Probleme keine große Rolle. Die Einführung verzögerten Interessenskonflikte und Machtkämpfe innerhalb der Selbstverwaltung und die Unfähigkeit der Politik, den Einführungsprozess zu steuern. So wurde die TI vom erhofften Exportschlager zum Symbol der mangelhaften Fähigkeit des deutschen Gesundheitssystems zur Digitalisierung und Modernisierung.
Schon mal ein positive Wende
Telemedizinische Anwendungen wurden zudem in großer Zahl erprobt, fanden aber keinen Eingang in das allgemeine Versorgungsgeschehen. Die Optimierung der Prozesse in den Krankenhäusern (und analog auch in den Arztpraxen) schritt zwar voran, allerdings bei Weitem nicht so schnell wie in anderen Ländern.
Seit etwa drei Jahren tut sich jedoch was. Hürden werden abgebaut, und die Haltung der verantwortlichen Akteure dreht sich ins Positive. Ein Impuls zur Veränderung war das E-Health-Gesetz, das Anfang 2016 in Kraft trat. Hier wurde spürbarer Druck auf die Selbstverwaltung ausgeübt. Weitere Gesetze brachten unter anderem die Übernahme der Kontrolle über die Gesellschaft für Telematikanwendungen der Gesundheitskarte (gematik) durch das Bundesgesundheitsministerium und die Forcierung eines Herzstücks der Digitalisierung, die Patientenakte. So soll das Tempo der Digitalisierung des Gesundheitswesens zunehmen. Vieles davon ist überfällig – andere Länder sind längst davongezogen.
Zur positiven Wende haben auch eine Reihe von Krankenkassen beigetragen – darunter die AOK Baden-Württemberg. Diese Kassen haben durch Forderungen an die Politik sowie eigene Projekte und Initiativen zusätzlich Druck aufgebaut und gezeigt, wie sich bisherige Ideen und Visionen auch von der Theorie in die Praxis umsetzen lassen.
Das Versäumte aufholen
Ist demnach heute in Sachen E-Health und Digitalisierung in Deutschland alles im grünen Bereich? Noch lange nicht. Probleme und Hürden gibt’s weiterhin reichlich. Es hakt durchaus noch – aber bei Weitem nicht mehr so sehr wie vorher. Jetzt, da der Wille zum Wandel auch auf oberster Ebene endlich spürbar ist, geht es um die möglichst schnelle Umsetzung der großen Vorhaben in die Praxis. Jetzt müssen Politik, Ministerialverwaltungen, Ärzteverbände und Krankenkassen an einem Strang ziehen, um aufzuholen, was jahrelang versäumt wurde. Auch Digitalinitiativen der Landesregierungen können ihren Teil zum Wandel beitragen. Die Frage ist heute, ob diese neue, positive Haltung der Verantwortlichen auch im komplexen Umsetzungsalltag zu einem weniger an Partikularinteressen ausgerichteten gemeinschaftlichen und konstruktiven Handeln aller Akteure führt. Vieles spricht dafür – denn der Druck, eine wirkliche digitale Transformation im deutschen Gesundheitswesen in Gang zu setzen, ist riesengroß.
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Hans-Peter Bröckerhoff ist Gründer und Herausgeber des Fachmagazins „E-HEALTH-COM“
Bildcredit: © Stephanie Wunderlich