Die Insulintherapie

Viele Patienten erschrecken bei dem Wort Insulin und machen sich selbst Vorwürfe. Doch zur Insulinbehandlung überzugehen bedeutet nicht, dass sich die Erkrankung verschlimmert oder der Patient selbst Schuld trägt. Ganz im Gegenteil: Das Medikament soll das Eintreten von Begleit- oder Folgeerkrankungen des Diabetes verzögern und zusammen mit anderen Maßnahmen wie einer Lebensstiländerung dazu beitragen, dass sich bestehende Erkrankungen nicht weiterentwickeln.
Das Injizieren von Insulin wird notwendig, weil die insulinproduzierenden Zellen in der Bauchspeicheldrüse (Beta-Zellen) mit der Zeit ermüden und nicht mehr genug von dem Hormon produzieren. Die Medizin kann diesen Prozess trotz aller Fortschritte noch nicht aufhalten. Es gibt jedoch heute so gute Insuline, dass die Therapie immer leichter fällt. Außerdem werden die Injektionsgeräte, die Pens, ständig verbessert, sodass man sich das Medikament einfach und schmerzfrei spritzen kann. Dabei wird zwischen zwei Formen der Insulintherapie unterschieden.
Insulin und Tabletten

Bei der ersten Form kombinieren die Patienten das Spritzen von Insulin mit der Einnahme von Tabletten. Diese sogenannte basalunterstützte orale Therapie (BOT) ist oft der Einstieg in die Insulintherapie. Dabei injiziert sich der Diabetiker vor dem Zubettgehen ein Verzögerungsinsulin. Es sorgt dafür, dass der Blutzucker (BZ) während der Nacht gut kontrolliert wird. Außerdem entlastet es die Bauchspeicheldrüse. Tagsüber reichen Tabletten, um gute BZ-Werte zu erzielen.
Die Bestimmung der Insulindosis
Meist beträgt die Startdosis bei einer BOT sechs bis zehn Einheiten, die gegen 22 Uhr gegeben werden. Die Dosis darf und soll der Patient selbst anpassen. Als Faustregel gilt dabei:
Liegt der Blutzucker bei der aktuellen Insulindosis am nächsten Morgen zwischen 80 und 120 mg/dl, stimmt die Dosis.
Liegt der Blutzucker höher als 120 mg/dl, so sollte die Insulindosis um zwei Einheiten erhöht werden.
Liegt der Blutzucker am nächsten Morgen unter 80 mg/dl, sollte die Dosis für die folgenden Tage um zwei Einheiten reduziert werden.
Insulin zu den Mahlzeiten

Die sogenannte supplementäre Insulintherapie (SIT) ist eine Erweiterung der BOT. Der Patient behält dabei das Basalinsulin vom Abend bei. Er reduziert jedoch die blutzuckersenkenden Tabletten vom Tag oder lässt sie ganz weg. Stattdessen injiziert er zu den Mahlzeiten zusätzlich ein schnell wirksames Insulin.
Die Bestimmung der Insulindosis
Die notwendige Insulindosis kann auf zweierlei Weise ermittelt werden:
- Man misst jeweils vor den Mahlzeiten den Blutzucker und liest aus einer vom Arzt erstellten Dosier-Tabelle ab, wie viel Insulin man benötigt. Je höher der aktuelle Blutzucker, desto mehr Insulin wird gebraucht. Der Vorteil dieser Methode ist, dass man nicht rechnen muss. Ihr Nachteil besteht darin, dass man die Kohlenhydratmengen für die Hauptmahlzeiten einmal festlegt und dann nicht mehr stark verändert.
- Der Diabetiker rechnet sich selbst aus, wie viel Insulin er spritzen muss. Das geht mithilfe des sogenannten KE-Faktors. Der KE-Faktor drückt aus, wie viel Einheiten Insulin jemand benötigt, um eine Kohlenhydrateinheit (KE) in den Stoffwechsel zu bringen. Die richtigen KE-Faktoren gibt ebenfalls der Arzt vor. Wer diese Therapieform anwendet, ist bei den Mahlzeiten flexibler, er muss die Methode allerdings zunächst trainieren.
Beispiele:
Eine Person, deren KE-Faktor 2 beträgt (= zwei Einheiten Insulin pro Kohlenhydrateinheit), muss
- für drei KE sechs Einheiten Insulin injizieren und
- für vier KE acht Einheiten.
Zu dem Insulin für die Kohlenhydrateinheiten kommt noch Insulin zur Absenkung eventueller zu hoher BZ-Werte, das Korrekturinsulin. Die Korrekturregel gibt an, um wie viel mg/dl sich der BZ-Wert aufgrund einer Einheit Insulin verändert.
Beispiele:
Liegt der Korrekturwert bei 40, bedeutet das, dass der BZ-Wert mit einer Einheit Insulin um 40 mg/dl gesenkt wird.
Wenn der aktuelle BZ-Wert 140 mg/dl beträgt, ergänzt man das Mahlzeiteninsulin um eine Insulineinheit, um auf 100 mg/dl zu kommen.
Liegt der Blutzuckerwert bei 60 mg/dl, reduziert man die für die Mahlzeit ermittelte Insulinmenge um eine Einheit, um auf 100 mg/dl zu kommen.
Die Therapie sicher gestalten

Lassen Sie sich von Ihrem Diabetesteam beide Therapievarianten ausführlich erklären und wägen Sie gemeinsam ab, welche für Sie die beste ist. Eine Insulintherapie lebt nicht nur vom richtigen Insulin, sondern auch von der richtigen Injektionstechnik. Nicht jedes Insulin darf in jede Körperstelle injiziert werden.
Bei der Vielzahl der vorhandenen Präparate sollte man die empfohlenen Injektionsorte daher mit dem Diabetesteam genau festlegen und die Spritzstellen regelmäßig innerhalb der jeweiligen Region wechseln. Injiziert man das Insulin immer genau in die gleiche Stelle, bilden sich schnell Verhärtungen. Außerdem funktioniert eine Insulintherapie nur dann gut, wenn der Blutzucker regelmäßig gemessen wird.
Besprechen Sie darum auch die Häufigkeit der Messungen mit dem Diabetesteam. Und schließlich trägt auch eine gesunde Ernährung zu einer erfolgreichen Insulintherapie bei. So neu und schwierig Ihnen die Insulintherapie anfangs vorkommen mag: Mit ein wenig Geduld und nach einer Schulung wird die richtige Umsetzung für Sie kein Problem darstellen.
Prof. Dr. Thomas Haak, Chefarzt des Diabetes Zentrum Mergentheim, Mergentheim