Gesunde Füße bei Diabetes

Jeder Mensch wünscht sich, lange körperlich fit und beweglich zu bleiben. Diabetiker müssen sich ganz bewusst um die Gesundheit ihrer Füße kümmern, um ihre Mobilität möglichst lange zu erhalten, sagt Prof. Andreas Fritsche von der Universität Tübingen. Fritsche leitet die Abteilung Ernährungsmedizin und Prävention und ist Mitglied des Vorstands der Deutschen Diabetes Gesellschaft.
Was ist die diabetische Polyneuropathie für eine Erkrankung?
Prof. Dr. Andreas Fritsche: Bei dieser Krankheit handelt es sich um eine Schädigung der Nerven. Man unterscheidet zwischen einer sogenannten peripheren und einer autonomen Neuropathie. Im ersten Fall sind die sensiblen Empfindungs- und motorischen Bewegungsnerven geschädigt, meist zuerst in den Beinen, im anderen Fall sind innere Organe des Körpers betroffen.
Was ist die Ursache der Neuropathie und wie äußert sich die Krankheit?
Prof. Dr. Andreas Fritsche: In der Wissenschaft überwiegt die Auffassung, dass die Nerven durch den erhöhten Blutzucker geschädigt werden. Bei einem Teil der Patienten verursacht die Neuropathie Schmerzen und Missempfindungen in den Beinen. Viele Betroffene spüren ein Brennen und „strumpfförmige“ Schmerzen. Das belastet oft sehr und schränkt die Lebensqualität der Patienten stark ein. Aufgrund der Schädigung der Nerven werden die Beine aber häufig auch gefühllos. Das normale Schmerzempfinden und die Sinnesempfindungen in den Beinen überhaupt gehen verloren. Man bekommt nicht mehr signalisiert, wo man geht und steht.
Was für Konsequenzen hat das?
Prof. Dr. Andreas Fritsche: Zum einen führt das oft zu einem unsicheren Gang. Damit steigen die Sturzgefahr und das Risiko von Frakturen. Zum anderen: Wer keine Schmerzen empfindet, spürt auch nicht, wenn die Schuhe zu klein sind oder wenn ein Fremdkörper im Schuh ist. Da kann es passieren, dass man zwei Wochen mit einem Steinchen im Fuß herumläuft, ohne etwas zu merken. Dazu kommt, dass infolge der Neuropathie die Haut oft rissig wird. Dann können Keime eindringen und es entstehen Geschwüre, die eine Gefahr für die Füße darstellen und im schlimmsten Fall zu Amputationen von Teilen des Fußes oder sogar des ganzen Fußes führen können.
Wie wird die Neuropathie behandelt?
Prof. Dr. Andreas Fritsche: Das Wichtigste ist, den Blutzucker zu senken. Das ist die einzige Therapie, die an der Ursache der Erkrankung ansetzt. Der Zusammenhang ist erwiesen: Die Schmerzen nehmen ab, die Beschwerden bessern sich, wenn sich der Blutzuckerspiegel normalisiert. Natürlich braucht das seine Zeit, mindestens drei bis sechs Monate. Und bis eine Besserung der Nervenfunktion eintritt, kann es durchaus ein Jahr dauern. Das muss der Patient wissen, sonst kommt er nach kurzer Zeit und sagt: Sie haben doch versprochen, dass sich meine Beschwerden bessern, wenn der Blutzuckerwert sinkt.
Welche anderen Behandlungsmöglichkeiten gibt es?
Prof. Dr. Andreas Fritsche: Die Schmerzen können wir medikamentös behandeln. Viele Patienten kommen wiederholt zum Arzt, bis ein geeignetes Medikament gefunden ist. Deshalb sollten bei Bedarf auch Neurologen oder Schmerztherapeuten in die Behandlung einbezogen werden. Bei der Therapie kommen manchmal auch Antidepressiva zum Einsatz, also Medikamente gegen Depressionen. Die bekommt der Patient aber nicht deshalb verschrieben, weil er Depressionen hat, sondern weil sie die Schmerzen bekämpfen. Mit Hilfe der Medikamente kann man die Schmerzen meist soweit eindämmen, dass die Patienten eine deutlich höhere Lebensqualität erreichen und nachts nicht mehr wegen brennender Füße wach liegen.
Kann der Patient selbst auch etwas tun?
Prof. Dr. Andreas Fritsche: Natürlich. Der Patient sollte seine Füße unbedingt zwei bis drei Mal täglich selbst kontrollieren. Kontrollieren bedeutet, sich die Füße genau anzuschauen und mit den Händen abzutasten. Wer nicht mehr so beweglich ist, kann Hilfsmittel wie einen Spiegel benutzen. Oder man bittet die Partnerin oder den Partner um Hilfe. Wir sind es gewohnt, dass uns unsere Füße dienen und tun oft zu wenig, um sie zu pflegen und gesund zu erhalten. Wer Diabetes hat, kann sich das nicht leisten. Er muss sich ganz bewusst um seine Füße kümmern.
Was hat es mit der anderen Form der diabetischen Neuropathie auf sich?
Prof. Dr. Andreas Fritsche: Diese sogenannte autonome Neuropathie schädigt die Nerven von inneren Organen. Die Symptome können ganz verschieden sein. Sie reichen von Verstopfung und Durchfall bis zu Erektionsstörungen bei Männern und Schmerzen beim Geschlechtsverkehr bei Frauen. Aber auch das Herz kann betroffen sein. Es passt sich nicht mehr an wechselnde Belastungen an, sondern schlägt in einem durch. Das kann dann zu Herzrhythmusstörungen führen.
Bei diesen Symptomen ist diese Form der Erkrankung wahrscheinlich nicht ganz einfach zu diagnostizieren, oder?
Prof. Dr. Andreas Fritsche: Genau so ist es. Die Symptome sind sehr unspezifisch. Die autonome Neuropathie tritt allerdings meist erst auf, wenn ein Patient schon lange an Diabetes erkrankt ist. Bei Patienten, bei denen das nicht der Fall ist, kann man zunächst von anderen Ursachen ausgehen. Diese Form der Neuropathie kommt im übrigen deutlich seltener vor als die periphere Neuropathie.
Und wie sieht die Behandlung aus?
Prof. Dr. Andreas Fritsche: Im Prinzip ganz ähnlich wie bei der peripheren Neuropathie. Senkung des Blutzuckers, Einsatz entsprechender Medikamente. Je nach Krankheitsbild werden auch Fachärzte hinzugezogen, beispielsweise Urologen. Und bei den Magen-Darm-Problemen sollte als erstes eine Ernährungsberatung durchgeführt werden.
Wie groß ist denn überhaupt die Gefahr, eine Neuropathie zu entwickeln?
Prof. Dr. Andreas Fritsche: Ich habe zunehmend Patienten in der Uni-Klinik Tübingen, die seit 50 bis 60 Jahren einen Typ-1-Diabetes haben oder seit 40 Jahren einen Typ-2-Diabetes, die keine schweren Folgeerkrankungen haben. Das heißt: Man kann heute als Diabetiker eine normale Lebenserwartung haben und eine hohe Lebensqualität erreichen, wenn man den Zucker rechtzeitig gut einstellt. Doch selbst dann, wenn man eine Neuropathie hat, kann man durch eine gute Pflege und Kontrolle der Füße das Schlimmste verhindern und erreichen, dass die Erkrankung einen milderen Verlauf nimmt.