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Welche Fragen Arbeitgeber auch zum Thema Sozialversicherungsrecht bewegen: Die Rechtsdatenbank der AOK liefert die Antworten – einfach, fundiert und topaktuell.

Schwerbehinderte Menschen - Benachteiligungsverbot
Schwerbehinderte Menschen - Benachteiligungsverbot
Inhaltsübersicht
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Information
1. Information
Im betrieblichen Alltag besteht die Gefahr, dass Mitarbeiter durch ihre Behinderung benachteiligt werden. Dies verstößt aber gegen die Verfassung (Art. 3 Abs. 3 S. 2 GG). Das Grundrecht hat der Gesetzgeber insbesondere durch das SGB IX wie auch durch das AGG im Detail realisiert. Außerdem setzt insbesondere das AGG die europäischen Richtlinien zu Gleichbehandlungsfragen und zum Schutz vor Diskriminierungen in nationales Recht um.
2. Allgemeines
Nach § 164 Abs. 2 SGB IX dürfen Arbeitgeber schwerbehinderte Beschäftigte nicht wegen ihrer Behinderung benachteiligen. Dies gilt sowohl bei der Einstellung wie auch im Rahmen des bestehenden Arbeitsverhältnisses. Der schwerbehinderte Mensch kann bei einem Verstoß gegen das Benachteiligungsverbot eine Entschädigung erhalten. Das Verbot der Benachteiligung schwerbehinderter Menschen bindet auch die Tarif- und Betriebsparteien (BAG, 18.11.2003 - 9 AZR 122/03).
Eine Regelung, die den Anspruch auf tarifvertragliche Ausgleichszahlungen entfallen lässt, sobald eine ungekürzte Altersrente für schwerbehinderte Menschen bezogen werden kann, benachteiligt schwerbehinderte Arbeitnehmer gegenüber nicht schwerbehinderten Arbeitnehmern, die sich in einer vergleichbaren Situation befinden und die erst ab einem höheren Lebensalter ungekürzte Leistungen der gesetzlichen Rentenversicherung beanspruchen können (LAG Rheinland-Pfalz, 06.11.2018 – 8 Sa 26/18). Solche Regelungen sind nach § 164 Abs. 2 SGB IX, § 7 Abs. 2 i.V.m. Abs. 1 AGG unwirksam.
Eine unmittelbare Benachteiligung schwerbehinderter Beschäftigter liegt ebenfalls vor bei einer ausdrücklich an die Rentenberechtigung aufgrund der Schwerbehinderung anknüpfenden Pauschalierung der Sozialplanabfindung (BAG, 17.11.2015 – 1 AZR 938/13). Von einer mittelbaren Benachteiligung schwerbehinderter Beschäftigter ist auszugehen, wenn die Pauschalierung ohne ausdrückliche Erwähnung der Schwerbehinderung an den "frühestmöglichen Renteneintritt" anknüpft - jedenfalls dann, wenn von dieser Regelung im Betrieb nur oder überwiegend schwerbehinderte Beschäftigte betroffen sind. Die "Überbrückungsfunktion der Sozialplanabfindung" eignet sich nicht als Rechtfertigungsgrund für die mittelbare Diskriminierung. Die durch einen Sozialplan vorgenommene Beschränkung des Abfindungsanspruchs durch die Berücksichtigung des "frühestmöglichen Renteneintritts" für Schwerbehinderte verstößt gegen § 75 Abs. 1 BetrVG und ist daher unwirksam. Dies gilt auch, wenn der Sozialplan durch Beschluss der Einigungsstelle zustande gekommen ist. Für die Betroffenen ist eine Anpassung nach oben vorzunehmen, damit sie dieselben Leistungen erhalten wie die nicht betroffenen Arbeitnehmer. Dies gilt selbst bei erheblichen finanziellen Belastungen des Arbeitgebers (BAG, 27.07.2020 – 1 AZR 590/18 – siehe auch 3.2).
Die Befristung des Arbeitsvertrages mit einem schwerbehinderten Arbeitnehmer auf den Zeitpunkt des frühestmöglichen Altersrentenbezugs unter Hinnahme von Abschlägen ist jedenfalls aufgrund ungerechtfertigter Benachteiligung wegen der Behinderung unwirksam, wenn sie im Rahmen eines Vorruhestandsmodells dem Personalabbau aus Gründen der Kosteneinsparung und der Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit des Unternehmens dient und dazu führt, dass der Schwerbehinderte früher und - ohne vollständige Kompensation durch das Unternehmen - mit höheren Rentenabschlägen ausscheiden muss als ein nicht behinderter Arbeitnehmer mit gleichem Vertrag (LAG Düsseldorf, 24.07.2018 – 3 Sa 257/17).
Schwerbehinderte Arbeitnehmer genießen im Arbeitsrecht einen besonderen Schutz. Daraus ergibt sich aber auch die Pflicht für den Mitarbeiter, seinen Arbeitgeber zu informieren, wenn die Schwerbehinderung und somit auch die dadurch bestehenden, besonderen Rechte wegfallen. Macht der Arbeitnehmer diese Rechte weiterhin geltend, obwohl er weiß, dass ihm diese nicht mehr zustehen, liegt damit ein Verstoß gegen die Rücksichtnahmepflicht nach § 241 Abs. 2 BGB vor (LAG Hessen, 08.08.2018 – 13 Sa 1237/17).
3. Benachteiligungsverbot
3.1 Allgemeines
§ 164 Abs. 2 Satz 2 SGB IX verweist auf die Regelungen des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes (AGG). Den Grundsatz stellt § 164 Abs. 2 Satz 1 SGB IX auf: "Arbeitgeber dürfen schwerbeschädigte Beschäftigte nicht wegen ihrer Behinderung benachteiligen". Wann eine solche Benachteiligung vorliegt und wer dies im Streitfall zu beweisen hat, regelt durch den Verweis in Satz 2 das AGG.
3.2 Anwendungsbereich des AGG
Durch das AGG sollen Benachteiligungen u.a. wegen Behinderungen verhindert oder beseitigt werden (§§ 1, 7 AGG). Aufgrund § 2 Abs. 1 Nr. 1 und 2 AGG darf eine Person wegen einer Behinderung, insbesondere bei der Begründung eines Arbeits- oder Dienstverhältnisses, beim beruflichen Aufstieg, bei Weisungen oder einer Beendigung des Vertragsverhältnisses, nicht benachteiligt werden. Als Benachteiligung i.d.S. gilt jede Differenzierung rechtlicher oder tatsächlicher Art, die entweder unmittelbar an die Behinderung anknüpft oder die auf bestimmte Merkmale abstellt, die nur der behinderte Mensch bzw. nur der Nicht-Behinderte aufweist und so den Betroffenen aus sachfremden Gründen ungünstiger behandelt als andere Beschäftigte in vergleichbarer Lage.
Das Benachteiligungsverbot findet insbesondere Anwendung bei individual- oder kollektivrechtlichen Vereinbarungen oder Maßnahmen (§ 2 Abs. 1 Nr. 2 AGG). Regelt ein Sozialtarifvertrag den Umfang einer Nettoabsicherung nach dem Zeitraum bis zum frühestmöglichen Wechsel in die gesetzliche Rente, liegt darin eine mittelbare Benachteiligung schwerbehinderter Arbeitnehmer, da diese unter bestimmten Voraussetzungen schon mit 60 Jahren eine vorzeitige Rente beanspruchen können (§ 236a Abs. 1 S. 2 SGB VI). Weil ihre Nettoabsicherung deshalb niedriger ausfällt als bei anderen Arbeitnehmern, verstößt dies gegen §§ 1 und 3 Abs. 2 AGG(BAG, 16.07.2019 - 1 AZR 537/17). Ausschlaggebend für die Entscheidung war auch, dass der Sozialtarifvertrag bei der Höhe der Abfindung auf die Dauer zwischen dem Ausscheiden des Arbeitnehmers aus seinem Arbeitsverhältnis bis zum "frühestmöglichen Wechsel" in die gesetzliche Rente abstellt. Dieses Tatbestandsmerkmal führe zu einer übermäßigen Beeinträchtigung der legitimen Interessen der schwerbehinderten Arbeitnehmer, da die Betriebsparteien damit zur Begrenzung der Höhe der diesen Arbeitnehmern zu zahlenden Abfindung an einen sozialversicherungsrechtlichen Vorteil anknüpfen, dessen Daseinsberechtigung gerade den Schwierigkeiten und den besonderen Risiken Rechnung tragen soll, mit denen schwerbehinderte Arbeitnehmer konfrontiert sind (Hinweis auf EuGH, 06.12.2012 – C 152/11). Der Arbeitnehmer ist in solchen Fällen ist so zu stellen, wie er als nicht schwerbehinderter Mensch stehen würde (LAG Köln, 18.11.2019 – 2 Sa 361/19). Dies gilt auch, wenn der Sozialplan durch Beschluss der Einigungsstelle zustande gekommen ist und wenn der Arbeitgeber durch die fällig werdenden Nachzahlungen erheblich belastet wird (BAG, 28.07.2020 – 1 AZR 590/18).
Erfüllt der Betrieb die Beschäftigungsquote nach § 154 Abs. 1 SGB IX nicht, liegt darin kein Indiz für die Benachteiligung eines (potentiellen) Arbeitnehmers durch die Schwerbehinderung. Die Beschäftigungsquote ist keine Verpflichtung gegenüber dem einzelnen Schwerbehinderten, sondern eine öffentlich-rechtliche Pflicht (BAG, 16.05.2019 – 8 AZR 315/18). Die Nichterfüllung der Quote kann sehr unterschiedliche Ursachen haben.
Eine ordentliche Kündigung, die einen Arbeitnehmer, auf den das Kündigungsschutzgesetz keine Anwendung findet, aus einem der in § 1 AGG genannten Gründe diskriminiert, ist nach § 134 BGB i.V.m. § 7 Abs. 1, §§ 1, 3 Abs. 1 S. 1 AGG unwirksam (LAG Rheinland-Pfalz, 31.07.2018 – 8 Sa 16/18).
Eine Kündigung wegen krankheitsbedingter Fehlzeiten kann eine Diskriminierung wegen einer Behinderung sein (EuGH, 11.09.2019 – 397/18).
3.3 Einstellung
3.3.1 Allgemeines
Der Arbeitgeber ist verpflichtet, zu prüfen, ob freie Arbeitsplätze mit schwerbehinderten Menschen, insbesondere solchen, die arbeitslos oder arbeitssuchend gemeldet sind, besetzt werden können (§ 164 Abs. 1 SGB IX). Vor der Stellenausschreibung muss der Arbeitgeber daher frühzeitig Kontakt mit der Bundesagentur für Arbeit aufnehmen. Sie oder ein Integrationsfachdienst können geeignete Bewerber benennen.
Die Arbeitgeber müssen über die Vermittlungsvorschläge und vorliegende Bewerbungen unmittelbar nach Eingang die Schwerbehindertenvertretung und die Personalvertretung informieren.
Öffentliche Arbeitgeber geben mit der Meldung über freie Stellen ihre Zustimmung zur Veröffentlichung der Stellenangebote durch die Bundesagentur für Arbeit. Gehen Bewerbungen schwerbehinderter Menschen ein, sind sie zwingend zum Vorstellungsgespräch einzuladen.
Der Begriff "öffentliche Arbeitgeber" ist in § 154 Abs. 2 SGB IX legal definiert. Um einen solchen Arbeitgeber handelt es sich nicht bei den Fraktionen des bayrischen Landtages. Daher steht einem Bewerber, der nicht zum Vorstellungsgespräch eingeladen wurde, keine Entschädigung nach § 15 Abs. 2 AGG zu (BAG, 16.05.2019 – 8 AZR 315/18). Die US-Stationierungsstreitkräfte gelten nicht als öffentlicher Arbeitgeber i.S.d. dritten Teils des SGB IX. Ihnen obliegen daher nicht die Pflichten aus §§ 154 ff. SGB IX(LAG Rheinland-Pfalz, 06.11.2019 - 7 Sa 120/19).
Wird der Verpflichtung zur Einladung des Bewerbers nicht Rechnung getragen, tritt bereits mit der Nichteinladung zu dem Vorstellungsgespräch eine behinderungsbedingte Verletzung des Bewerberverfahrensanspruchs ein. Die Nichteinladung begründet regelmäßig die Vermutung einer Benachteiligung wegen der Behinderung (LAG Mecklenburg-Vorpommern, 07.01.2020 – 5 Sa 128/19). Diese Pflichtverletzung ist grundsätzlich geeignet, den Anschein zu erwecken, an einer Beschäftigung schwerbehinderter Menschen nicht interessiert zu sein. Dies gilt jedoch nicht, wenn der Arbeitgeber die Einladung ordnungsgemäß auf den Weg gebracht hat (LAG Mecklenburg-Vorpommern, 07.01.2020 – 5 Sa 95/19). Dann kommt es nicht mehr darauf an, ob die Schwerbehinderung bei der anschließenden Einstellung noch eine nachweisbare Rolle gespielt hat. Mit der Benachteiligung im Bewerbungsverfahren ist bereits ein Entschädigungsanspruch nach § 15 Abs. 2 AGG dem Grunde nach entstanden (LAG Köln, 23.08.2018 – 6 Sa 147/18). Der schwerbehinderte Bewerber hat aber nach § 22 AGG die Indizien zu beweisen, die eine Benachteiligung wegen eines in § 1 AGG genannten Grundes vermuten lassen (LAG Mecklenburg Vorpommern, 07.01.2020 – 5 Sa 95/19).
Haben sich schwerbehinderte Menschen im Rahmen des Verfahrens nach § 165 SGB IX auf einen solchen Arbeitsplatz beworben oder sind sie von der Bundesagentur bzw. einem beauftragten Integrationsfachdienst vorgeschlagen worden, müssen sie zu einem Vorstellungsgespräch eingeladen werden. Dies gilt auch, wenn die Stelle nur intern ausgeschrieben wurde (BAG, 25.06.2020 – 8 AZR 75/19).
Von einer Einladung kann abgesehen werden, wenn der Bewerber offensichtlich nicht über die notwendige Qualifikation verfügt (§ 165 S. 4 SGB IX; BAG, 16.02.2012 - 8 AZR 697/10). Dies gilt insbesondere, wenn bereits die Bewerbungsunterlagen zweifelsfrei erkennen lassen, dass die durch das Anforderungsprofil zulässig vorgegebenen fachlichen Kriterien nicht erfüllt werden (LAG Mecklenburg- Vorpommern, 23.01.2018 – 2 Sa 166/17). Dabei ist nicht auf das formelle Anforderungsprofil abzustellen, sondern auf die Anforderung, die der Arbeitgeber an einen Bewerber stellen darf. Die Festlegung des Anforderungsprofils muss im Hinblick auf die Anforderungen der Stelle sachlich nachvollziehbar, d.h. frei von sachfremden Erwägungen sein (LAG Köln, 02.03.2018 – 10 SaGa 21/17). Bloße Zweifel an der fachlichen Eignung rechtfertigen es nicht, von einer Einladung abzusehen, weil sich die Zweifel im Vorstellungsgespräch ausräumen lassen können. Der schwerbehinderte Mensch soll nach § 165 S. 3 SGB IX die Chance haben, sich in dem Vorstellungsgespräch zu präsentieren und den öffentlichen Arbeitgeber von seiner Eignung zu überzeugen (LAG Mecklenburg-Vorpommern, 07.01.2020 – 5 Sa 128/19). Ein schwerbehinderter Mensch, von dem feststeht, dass er zwar fachlich, aber nicht persönlich geeignet ist, muss nicht zum Vorstellungsgespräch eingeladen werden; dem stehen § 165 S. 3 und 4 SGB IX nicht entgegen (LAG Düsseldorf, 27.06.2018 – 12 Sa 135/18). Ggf. muss der öffentliche Arbeitgeber beweisen, dass für die Nichteinladung nur solche Gründe vorgelegen haben, welche die fehlende Eignung des Bewerbers und nicht dessen Schwerbehinderung betreffen (BAG, 11.08.2016 - 8 AZR 375/15, siehe auch Arbeitsplatz - Schwerbehinderte).
Sind sehr gute Sprachkenntnisse einer oder mehrerer Sprachen Inhalt des Anforderungsprofils einer Stelle, sind Bewerber, die diese Kenntnisse nicht aufweisen, bereits offensichtlich fachlich ungeeignet i.S.v. § 165 S. 4 SGB IX. Sie sind daher nicht zu dem Vorstellungsgespräch einzuladen (LAG Berlin-Brandenburg, 08.01.2018 – 4 Ta 1489/17).
Wird eine Stelle zunächst extern ausgeschrieben, aber im Lauf des Einstellungsverfahrens intern besetzt, steht einem schwerbehinderten Bewerber keine Entschädigung nach dem AGG zu, wenn er wie alle externen Bewerber nicht berücksichtigt wird (ArbG Lübeck, 19.12.2017 – 3 Ca 2041 b/17).
Weitere Einzelheiten siehe Arbeitsplatz - Schwerbehinderte.
3.3.2 Stellenausschreibung
Der Arbeitgeber ist insbesondere bei der Besetzung von Stellen an die Vorgaben des SGB IX und des AGG gebunden. Dies beginnt schon bei der Stellenausschreibung, bei der jeder Hinweis auf eine Benachteiligung Behinderter vermieden werden sollte.
Praxistipp:
Vermeiden Sie Aussagen wie "körperlich belastbar", "mobil" oder "geistig fit". Besser ist es, die vorgesehene Tätigkeit möglichst konkret zu beschreiben, da sich daraus solche Voraussetzungen ableiten lassen.
3.3.3 Anforderungen der Stelle
Eine unterschiedliche Behandlung des behinderten Menschen gegenüber anderen Beschäftigten ist grundsätzlich zulässig, wenn die Differenzierung nicht auf der Behinderung beruht. Eine unterschiedliche Behandlung ist aber auch wegen der Behinderung ausdrücklich zulässig, wenn die von dem Beschäftigten geforderte Tätigkeit ihm aufgrund seiner Behinderung nicht möglich ist (LAG Berlin-Brandenburg, 31.01.2008 – 5 Sa 1755/07).
Eine bestimmte körperliche Funktion, geistige Fähigkeit oder seelische Gesundheit muss allerdings für die geforderte Tätigkeit eine "wesentliche und entscheidende" Anforderung darstellen (BAG, 04.03.2007 – 9 AZR 823/07). Es genügt daher nicht, wenn die Tätigkeit von einem Nicht-Behinderten lediglich schneller ausgeführt werden könnte, außer dies wäre, z.B. wegen eines fixen Liefertermins, unabdingbarer Bestandteil der auszuführenden Tätigkeit. Der Arbeitgeber ist verpflichtet, evtl. Nachteile durch entsprechende Maßnahmen am Arbeitsplatz (§ 164 Abs. 4 SGB IX, siehe auch Schwerbehinderte Menschen – Ansprüche gegen Arbeitgeber) auszugleichen.
3.3.4 Vorstellungsgespräch
Auch im Vorstellungsgespräch muss jeder Anschein einer Benachteiligung infolge der Behinderung vermieden werden. Der Bewerber ist nicht verpflichtet, auf seine Behinderung hinzuweisen. Darüber hinaus besteht nach der neueren Rechtsprechung auch kein generelles Recht des Arbeitgebers, nach einer Behinderung zu fragen. Lediglich hinsichtlich körperlicher oder geistiger Fähigkeiten, die für die konkreten Anforderungen der Stelle erforderlich sind, kann gefragt werden.
3.3.5 Einstellungsentscheidung
Entscheidet der Betrieb sich – entgegen § 154 Abs. 1 SGB IX – für einen anderen Bewerber, kann es zu Entschädigungsforderungen kommen.
Praxistipp:
Um Angriffsflächen zu vermeiden, sollte die Absage möglichst allgemein gehalten werden. Intern sollten aber für evtl. gerichtliche Auseinandersetzungen die Gründe für die Ablehnung des Bewerbers dokumentiert werden.
Erfolglose Bewerber haben keinen Anspruch auf Auskunft, weshalb sie nicht zum Zuge kamen. Allerdings kann die Verweigerung dieser Auskunft ein Indiz für eine Diskriminierung sein (EuGH, 19.04.2012 - C 415/10).
Eine Benachteiligung wegen der Behinderung ist dann zu bejahen, wenn die Behinderung des Bewerbers zumindest eins von mehreren Motiven für die ablehnende Entscheidung des Arbeitgebers ist. Es muss ein kausaler Zusammenhang zwischen der Behinderung des Bewerbers und der Maßnahme bestehen. Das Benachteiligungsverbot verbietet nicht nur die unmittelbare, sondern auch die mittelbar auf die Behinderung bezogene Ungleichbehandlung (§ 3 Abs. 1 und 2 AGG, BAG, 27.04.2004 - 9 AZR 18/03).
Nicht die Benachteiligungsmaßnahme als solche ist entscheidend, sondern der Benachteiligungsgrund (LAG Nürnberg, 01.04.2004 - 7 SHa 4/04). Ein Entschädigungsanspruch wegen Verstoßes gegen das Benachteiligungsverbot ist nicht gegeben, wenn der Bewerber nicht von vornherein wegen seiner Schwerbehinderung, sondern wegen fehlender Übereinstimmung mit dem Anforderungsprofil abgelehnt wird (LAG Hamm, 04.06.2004 - 15 Sa 2047/03).
Das Benachteiligungsverbot gilt auch bei der Beendigung des Arbeitsverhältnisses. Tarifvertragliche Regelungen, die das Ausscheiden eines schwerbehinderten Beschäftigten vor Vollendung des 65. Lebensjahres bei Altersrente wegen Schwerbehinderung vorsehen, stellen jedoch keine unzulässige Benachteiligung dar (BAG, 27.04.2004 - 9 AZR 18/03).
Soweit die Schwerbehindertenvertretung oder der Betriebsrat die Ablehnung des schwerbehinderten Bewerbers nicht mittragen, ist der Arbeitgeber verpflichtet, mit ihnen die Gründe der Entscheidung zu erörtern; der betroffene Schwerbehinderte wird dabei angehört (§ 164 Abs. 1 S. 7 und 8 SGB IX). Dieses Verfahren gilt aber nur, wenn der Arbeitgeber die Beschäftigungspflicht nach § 154 Abs. 1 SGB IX nicht erfüllt (BAG, 28.09.2017 – 8 AZR 492/16). Außerdem gilt die Verpflichtung nur, wenn bei dem Arbeitgeber eine Schwerbehindertenvertretung bzw. ein Betriebs- oder Personalrat gebildet ist. Ist das nicht der Fall, entfällt die Pflicht, die Entscheidung mit den Gremien zu erörtern. Außerdem entfällt auch die Verpflichtung, den Schwerbehinderten anzuhören und ihm die Entscheidung begründet mitzuteilen (LAG München, 11.04.2018 – 10 Sa 820/17).
4. Entschädigungspflicht
4.1 Allgemeines
Wird gegen das Benachteiligungsverbot bei der Begründung eines Arbeits- oder sonstigen Beschäftigungsverhältnisses verstoßen, kann der hierdurch benachteiligte schwerbehinderte Mensch eine angemessene Entschädigung in Geld verlangen (§ 15 Abs. 2 AGG). Die Vorschrift regelt die Entschädigungspflicht im Falle einer nachgewiesenen Benachteiligung. Die Entschädigungspflicht entfällt bei materiellen Schäden, wenn der Arbeitgeber die Pflichtverletzung, d.h. die Benachteiligung nicht zu vertreten hat, also weder Vorsatz noch Fahrlässigkeit vorliegt (§ 15 Abs. 1 AGG). Zugunsten des benachteiligten Bewerbers wird das Verschulden vermutet. Dagegen besteht bei immateriellen Schäden (wie z.B. beim Schmerzensgeld) unabhängig vom Verschulden Anspruch auf Entschädigung (§ 15 Abs. 2 AGG, siehe BAG, 22.01.2009 – 8 AZR 906/07). Die Entschädigung nach § 15 Abs. 2 AGG setzt deshalb keine Benachteiligungsabsicht voraus. Weder kommt es auf Verschulden als Voraussetzung an, noch ist ein fehlendes Verschulden oder ein geringer Grad des Verschuldens des Arbeitgebers bei der Bemessung der Entschädigung zulasten der benachteiligten Person bzw. zugunsten des benachteiligenden Arbeitgebers berücksichtigungsfähig. Sind jedoch Umstände erkennbar, die einen höheren Grad von Verschulden des Arbeitgebers belegen, kann Veranlassung bestehen, die Entschädigung höher festzusetzen. Der Umstand der zeitlichen Befristung einer ausgeschriebenen Stelle hat für die Bemessung der Entschädigung keine Bedeutung und darf deshalb bei deren Bemessung nicht berücksichtigt werden (BAG, 28.05.2020 - 8 AZR 170/19).
Die Entschädigung nach § 15 Abs. 2 AGG hat eine Doppelfunktion: Sie dient einerseits der vollen Schadenskompensation und andererseits der Prävention, wobei jeweils der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu wahren ist (BAG, 28.05.2020 – a.a.O.). Dies entspricht auch der Rechtsprechung des EuGH. Danach muss die Härte der Sanktionen der Schwere des Verstoßes entsprechen, indem sie insbesondere eine wirklich abschreckende Wirkung gegenüber dem Arbeitgeber gewährleistet, zugleich aber den allgemeinen Grundsatz der Verhältnismäßigkeit wahrt (EuGH, 25.04.2013 – C 81/12).
Die Entschädigung kann nur in Geld bestehen, ein Einstellungsanspruch besteht nicht (§ 15 Abs. 6 AGG). Die Entschädigung muss "angemessen" sein. Nach § 15 Abs. 2 Satz 2 AGG darf bei immateriellen Schäden die Entschädigung bei einer Nichteinstellung drei Monatsgehälter nicht übersteigen, wenn der Beschäftigte auch bei benachteiligungsfreier Auswahl nicht eingestellt worden wäre. Dies ist von dem Arbeitgeber zu beweisen (BAG, 19.08.2010 – 8 AZR 530/09).
Die Darlegungs- und Beweislast für den Entschädigungsanspruch ist in § 22 AGG geregelt. Es gilt eine abgestufte Beweislast. Zunächst hat der benachteiligte schwer behinderte Arbeitnehmer durch Indizien darzulegen und zu beweisen, dass eine Benachteiligung wegen der Schwerbehinderung erfolgt ist. Bloße Behauptungen von Pflichtverletzungen des Arbeitgebers, die ins Blaue hinein erhoben werden, sind dabei jedoch unbeachtlich. Es dürfen aber auch vermutete Pflichtverletzungen geltend gemacht werden, wenn die betroffene Person keine Einblicke über das Geschehen bei dem Arbeitgeber hat. Dann müssen aber Anhaltspunkte für die Behauptung geschildert werden (LAG Berlin-Brandenburg, 01.07.2020 – 15 Sa 289/20). Werden geeignete Indizien i.d.S. dargelegt, trägt der Arbeitgeber die Beweislast dafür, dass nicht auf die Behinderung bezogene Gründe seine Entscheidung für einen anderen Bewerber rechtfertigen.
Verstößt ein öffentlicher Arbeitgeber gegen die ihm besonders auferlegte Verpflichtung, einen schwerbehinderten Bewerber um einen Arbeitsplatz zu einem Vorstellungsgespräch einzuladen, so begründet dies nicht zwangsläufig einen Entschädigungsanspruch des behinderten Bewerbers. Der Verstoß begründet aber grundsätzlich die Vermutung einer Benachteiligung wegen der Behinderung. Diese Pflichtverletzung ist grundsätzlich geeignet, den Anschein zu erwecken, an der Beschäftigung schwerbehinderter Menschen uninteressiert zu sein. Der Arbeitgeber muss dann Tatsachen vortragen und ggf. beweisen, aus denen sich ergibt, dass ausschließlich andere als die in § 1 AGG genannten Gründe zu einer ungünstigeren Behandlung geführt haben (BAG, 20.01.2016 – 8 AZR 194/14).
Ein schwerbehinderter Bewerber macht nur dann "Tatsachen glaubhaft", die eine Benachteiligung wegen der Behinderung vermuten lassen und zu einer Umkehr der Beweislast führen, wenn diese Tatsachen geeignet sind, beim Gericht die überwiegende Wahrscheinlichkeit für die Kausalität zwischen Schwerbehinderteneigenschaft und Erfolglosigkeit der Bewerbung zu schaffen (VGH Baden-Württemberg, 21.09.2005 - 9 S 1357/05).
4.2 Begrenzung der Entschädigung
Wäre der schwerbehinderte Bewerber auch bei benachteiligungsfreier Auswahl nicht eingestellt worden, leistet der Arbeitgeber eine angemessene Entschädigung in Höhe von höchstens drei Monatsverdiensten (§ 15 Abs. 2 S. 2 AGG). Diese Höchstgrenze für die Entschädigung begegnet keinen unionsrechtlichen Bedenken (BAG, 28.05.2020 – 8 AZR 170/19).
Zugrunde gelegt wird der fiktive Monatsverdienst, den der Betroffene unter normalen Umständen in dem Monat erzielt hätte, in dem er hätte eingestellt werden können. Hierbei sind auch eventuelle Sachbezüge zu berücksichtigen (z.B. Dienstwagen o.ä.). Der Geldanspruch stellt quasi einen Schadensersatz für die Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechtes und des Gleichbehandlungsgrundsatzes dar. Bei variablen Entgeltbestandteilen (Provision, Tantieme, Akkordlohn, Prämien) ist auf die mutmaßlichen Verdienst abzustellen. Die genaue Höhe der Entschädigung hängt von den Umständen des Einzelfalles ab.
Zu berücksichtigen sind sowohl die Interessen der benachteiligten Person als auch die wirtschaftlichen Auswirkungen auf den Arbeitgeber. Pauschalbeiträge, ohne Rücksicht auf die konkreten, beim Bewerber eingetretenen Nachteile werden als problematisch eingestuft.
4.3 Frist für die Geltendmachung
Aus Gründen der Rechtssicherheit muss der Anspruch aus § 15 Abs. 2 AGG innerhalb von 2 Monaten geltend gemacht werden. Die Frist beginnt mit dem Zugang der Ablehnung der Bewerbung (§ 15 Abs. 4 AGG). Für die Berechnung gelten die §§ 187 bis 193 BGB. Der Anspruch muss an den Arbeitgeber gerichtet werden und bedarf der Schriftform. Erforderlich ist aber nicht die gesetzliche Schriftform nach § 126 Abs. 1 BGB, ausreichend ist vielmehr die Textform nach § 126b BGB. Daher ist auch die Übermittlung per Fax oder E-Mail ausreichend (BAG, 19.08.2010 – 8 AZR 530/09). Die Einhaltung der Frist zur Geltendmachung einer Entschädigung setzt nicht die Angabe einer bestimmten Forderungshöhe voraus (BAG, 15.02.2005 - 9 AZR 635/03).
4.4 Beruflicher Aufstieg
Das Benachteiligungsverbot gilt nach § 2 Abs. 1 Nr. 1 AGG auch im Falle des beruflichen Aufstiegs. Voraussetzung ist, dass auf den Aufstieg kein Anspruch besteht, sondern dieser von einer Auswahlentscheidung des Arbeitgebers abhängt. Wird dabei das Benachteiligungsverbot verletzt, kann der Betroffene Entschädigung beanspruchen und muss hierbei die Fristvorschriften einhalten. Hieraus ergibt sich, dass der benachteiligte schwerbehinderte Beschäftigte zwar Entschädigung in Geld verlangen, nicht aber Anspruch auf die Beförderung selbst erheben kann. Die Entschädigung muss angemessen sein.
5. Beweislast
Im Streitfall muss der schwerbehinderte Beschäftigte die Ungleichbehandlung darlegen und Tatsachen glaubhaft machen (d.h. als wahrscheinlich erscheinen lassen), die eine Benachteiligung wegen seiner Behinderung vermuten lassen. Es müssen Indizien bewiesen werden, die eine Benachteiligung wegen eines in § 1 AGG genannten Grundes vermuten lassen (§ 22 AGG). Der Arbeitgeber trägt sodann die Beweislast dafür, dass es nicht die Behinderung war, die den Grund für die Ungleichbehandlung darstellte, sondern dass es hierfür sachliche Gründe gab bzw. eine bestimmte körperliche Funktion, geistige Fähigkeit oder seelische Gesundheit unabdingbare Voraussetzung für die infrage stehende Tätigkeit war.
Die Verletzung der Verpflichtung des öffentlichen Arbeitgebers nach § 165 Satz 3 SGB IX, einen schwerbehinderten Bewerber zu einem Vorstellungsgespräch einzuladen, lässt eine Benachteiligung vermuten (LAG Mecklenburg-Vorpommern, 07.01.2020 – 5 Sa 128/19). Diese Pflichtverletzung ist grundsätzlich geeignet, den Anschein zu erwecken, an einer Beschäftigung schwerbehinderter Menschen nicht interessiert zu sein. Dies gilt jedoch nicht, wenn der Arbeitgeber die Einladung ordnungsgemäß auf den Weg gebracht hat (LAG Mecklenburg-Vorpommern, 07.01.2020 – 5 Sa 95/19). Wird der Verpflichtung nicht Rechnung getragen, tritt bereits mit der Nichteinladung zu dem Vorstellungsgespräch eine behinderungsbedingte Verletzung des Bewerberverfahrensanspruchs ein. Dann kommt es nicht mehr darauf an, ob die Schwerbehinderung bei der anschließenden Einstellung noch eine nachweisbare Rolle gespielt hat. Mit der Benachteiligung im Bewerbungsverfahren ist bereits ein Entschädigungsanspruch nach § 15 Abs. 2 AGG dem Grunde nach entstanden (LAG Köln, 23.08.2018 – 6 Sa 147/18). Kann der Arbeitgeber allerdings darlegen und beweisen, dass der Bewerber offensichtlich ungeeignet ist, hat er damit den Nachweis erbracht, dass keine Diskriminierung vorliegt.
Der Bewerber muss dem Arbeitgeber bereits im Bewerbungsverfahren die notwendigen Nachweise vorlegen, die dieser zur Entscheidung benötigt, ob er zum Vorstellungsgespräch einzuladen ist oder Gründe vorliegen, die eine Einladung entbehrlich machen (§ 165 S. 4 SGB IX, BAG, 11.08.2016 – 8 AZR 375/15). Eine Benachteiligung wird vermutet, wenn die Schwerbehindertenvertretung bei der Stellenbewerbung entgegen § 164 Abs. 1 Satz 4 SGB IX nicht ausreichend beteiligt wurde ("unmittelbare Unterrichtung"). Die Vermutung kann aber widerlegt werden, wenn der Arbeitgeber darlegt, dass vom Bewerber nicht erfüllte Arbeitsplatzanforderungen zur Ablehnung der Bewerbung geführt haben (BAG, 15.02.2005 - 9 AZR 635/03).