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Welche Fragen Arbeitgeber auch zum Thema Sozialversicherungsrecht bewegen: Die Rechtsdatenbank der AOK liefert die Antworten – einfach, fundiert und topaktuell.

Arbeitsunfähigkeit - Versetzung- Kündigung
Arbeitsunfähigkeit - Versetzung- Kündigung
Inhaltsübersicht
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Information
1. Allgemeines
Oft kann ein Mitarbeiter noch arbeiten, ist aber auf Dauer aus gesundheitlichen Gründen den Anforderungen seiner bisherigen Tätigkeit nicht mehr gewachsen oder verletzt durch die eingeschränkte Leistungsfähigkeit arbeitsvertragliche Pflichten. Welche Möglichkeiten der Betrieb dann hat, ist im Folgenden erläutert.
2. Versetzung
Ist eine Beschäftigung auf dem bisherigen Arbeitsplatz nicht mehr möglich, ist zuerst die Frage einer Versetzung zu prüfen.
2.1 Begriff
Nach § 95 Abs. 3 BetrVG ist eine Versetzung die Zuweisung eines anderen Arbeitsbereiches, die voraussichtlich die Dauer eines Monats überschreitet oder die mit einer erheblichen Änderung der Umstände verbunden ist, unter denen die Arbeit zu leisten ist. Es handelt sich um eine durch den Arbeitgeber vorgenommene einseitige Änderung des Arbeitsbereichs, den dieser im Rahmen seines Direktionsrechts (§ 106 GewO) neu festlegt. Dabei liegt die Zuweisung eines anderen Arbeitsbereiches vor, wenn sich das Gesamtbild der bisherigen Tätigkeit des Arbeitnehmers so verändert hat, dass die neue Tätigkeit vom Standpunkt eines mit den betrieblichen Verhältnissen vertrauten Beobachters als eine andere anzusehen ist (BAG, 17.06.2008 - 1 ABR 38/07). Der "Arbeitsbereich" in diesem Sinne wird nach der BAG-Entscheidung durch die Aufgabe und Verantwortung des Arbeitnehmers sowie die Art seiner Tätigkeit und ihre Einordnung in den Arbeitsablauf des Betriebes umschrieben (vgl. § 81 Abs. 2 i.V.m. Abs. 1 Satz 1 BetrVG). Der Begriff bezieht sich also sowohl auf die Art (funktionale Ebene) wie auch auf den Ort der Tätigkeit (räumliche Ebene).
Werden in einem Callcenter eines Postdienstleisters unter strikter organisatorischer Trennung einerseits Geschäftskunden und andererseits Privatkunden betreut, kann die Umsetzung von dem einen in den anderen Bereich eine Versetzung i.S.d. § 95 Abs. 3 BetrVG darstellen (LAG Düsseldorf, 31.01.2018 – 4 TaBV 113/16).
Wird der Arbeitnehmer nach dem Wegfall seines Arbeitsplatzes aus dem darauf bezogenen operativen Betriebsprozess herausgenommen und der "Betreuung" einer beim Arbeitgeber gebildeten betrieblichen Einheit unterstellt, in der er sich aktiv an der Vermittlung auf einen neuen Arbeitsplatz zu beteiligen hat und auf Anforderung temporäre Projekteinsätze sowie die zu seiner Weitervermittlung erforderlichen Qualifizierungsmaßnahmen durchführen muss, liegt eine nach § 99 Abs. 1 BetrVG zustimmungspflichtige Versetzung i.S.v. § 95 Abs. 3 BetrVG vor (BAG, 09.04.2019 – 1 ABR 30/17).
Wird einem Mitarbeiter, der bisher als Springer in verschiedenen Abteilungen einer Lackiererei tätig war, ein fester Arbeitsplatz zugewiesen, liegt eine Versetzung vor, die nach § 99 Abs. 1 i.V. m. § 95 Abs. 3 BetrVG der Mitbestimmung des Betriebsrates unterliegt (LAG Hamm, 07.11.2019 – 13 TaBV 44/19).
Keine Versetzung liegt vor, wenn ein Bühnenmitarbeiter innerhalb des gleichen Theaters in einen anderen Bühnenbereich wechselt. Daher besteht kein Mitbestimmungsrecht (LAG Rheinland-Pfalz, 24.06.2019 - 3 TaBV 30/18).
2.2 Zulässigkeit
Eine Versetzung ist nur im Rahmen der arbeitsvertraglichen Regelungen möglich. Der Arbeitgeber kann nach § 106 GewO Inhalt, Ort und Zeit der Arbeitsleistung nach billigem Ermessen (§ 315 BGB) näher bestimmen, soweit nicht arbeits- oder tarifvertragliche, gesetzliche oder in einer Betriebsvereinbarung enthaltene Vorschriften entgegenstehen. Im Einzelfall ist daher zu prüfen, wie weit das Versetzungsrecht des Arbeitgebers reicht. Er trägt im Arbeitsgerichtsverfahren die Darlegungs- und Beweislast dafür, dass die rechtlichen Voraussetzungen für die Versetzung vorliegen (LAG Rheinland-Pfalz, 19.12.2018 – 7 Sa 99/18). Alleine die Nichtausübung des Direktionsrechts über einen längeren Zeitraum schafft regelmäßig keinen Vertrauenstatbestand dahingehend, dass der Arbeitgeber von seinem Recht in Zukunft keinen Gebrauch machen will (LAG Rheinland-Pfalz, 05.11.2019 – 8 Sa 28/19).
Bei der Prüfung der Wirksamkeit einer Versetzung ist durch Auslegung der Inhalt der vertraglichen Regelungen unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls zu ermitteln. Festzustellen ist, ob ein bestimmter Tätigkeitsinhalt und Tätigkeitsort vertraglich festgelegt sind und welchen Inhalt ein gegebenenfalls vereinbarter Versetzungsvorbehalt hat (LAG Berlin-Brandenburg, 02.10.2019 - 20 Sa 264/19).
Teilweise enthalten auch Tarifverträge Versetzungsklauseln. Solche tarifvertraglichen Regelungen können das Direktionsrecht des Arbeitgebers einschränken. Sie sind ggf. vorrangig vor Betriebsvereinbarungen und Sozialplänen anzuwenden (LAG Berlin-Brandenburg, 20.04.2018 – 6 Sa 1586/17).
Beispiel:
War der erkrankte Arbeitnehmer laut Arbeitsvertrag z.B. als Abteilungsleiter tätig, kann eine Versetzung im Rahmen des Direktionsrechts auf einen Arbeitsplatz als Sachbearbeiter nicht ohne Weiteres erfolgen.
Die arbeitsrechtlichen Möglichkeiten sind sehr stark davon abhängig, wie konkret die Tätigkeit im Arbeitsvertrag beschrieben ist; daher ist es zweckmäßig, die Beschreibung des Aufgabengebietes und des Einsatzorts nicht zu eng zu fassen.
Auch soweit auf einen Arbeitsvertrag die Regelungen über Allgemeine Geschäftsbedingungen (§§ 305ff. BGB) anwendbar sind, ist die Wirksamkeit einer Versetzung zunächst durch Auslegung des Inhalts der vertraglichen Regelungen unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles zu ermitteln (BAG, 27.07.2016 – 7 ABR 55/14 m.w.N). Dabei sind alle dem Arbeitsverhältnis innewohnenden Besonderheiten zu berücksichtigen (BAG, 13.03.2007 – 9 AZR 433/06; LAG Rheinland-Pfalz, 19.12.2018 – 7 Sa 99/18). Die Bestimmung eines Ortes für die Arbeitsleistung in Kombination mit einem Versetzungsvorbehalt im gesamten Unternehmen verhindert regelmäßig die Beschränkung auf diesen Ort (BAG, 28.08.2013 – 10 AZR 569/12). Aus der Aufnahme eines Ortes in den Arbeitsvertrag kann nicht darauf geschlossen werden, dass die Parteien eine Verwendung an einem anderen Ort – an dem erst später eine Niederlassung des Betriebes eingerichtet wurde - ausschließen wollen (LAG Rheinland-Pfalz, 05.11.2019 – 8 Sa 28/19). Umgekehrt hat ein Arbeitnehmer keinen Anspruch darauf, dass ihm der Arbeitgeber einen Stammarbeitsplatz in einem bestimmten Werk in einer bestimmten Abteilung einsetzt, sofern dies im Arbeitsvertrag nicht ausdrücklich geregelt ist (LAG Rheinland-Pfalz, 19.09.2019 – 5 Sa 91/19).
Der Arbeitgeber kann einer Mitarbeiterin die Funktion als Fachleiterin im Rahmen seines Weisungsrechts entziehen, wenn dieser Teil der Tätigkeit nicht Inhalt des Arbeitsvertrages der Parteien geworden und das Weisungsrecht nicht durch Selbstbindung des Arbeitgebers beschränkt ist (BAG, 24.10.2018 – 10 AZR 19/18).
Die Weisung zur Versetzung des Arbeitnehmers darf der Arbeitgeber nur nach billigem Ermessen, d.h. unter Abwägung der beiderseitigen Interessen vornehmen. Maßstab sind dabei neben den verfassungsrechtlichen und gesetzlichen Wertentscheidungen u.a. die Verhältnismäßigkeit und die Angemessenheit. Einzubeziehen sind alle Umstände des Einzelfalles (LAG Berlin-Brandenburg, 02.10.2019 – 20 Sa 264/19). Es muss insbesondere eine sachliche Notwendigkeit für die Maßnahme bestehen und die Versetzung muss für den Arbeitnehmer zumutbar sein. Daraus ergibt sich, dass die Tätigkeit zumindest gleichwertig sein muss, wobei die Gleichwertigkeit nicht bereits durch eine gleiche Vergütung hergestellt ist (LAG Rheinland-Pfalz, 19.12.2018 – 7 Sa 99/18). Aus dem Anspruch des Arbeitnehmers auf vertragsgemäße Beschäftigung folgt, dass die Zuweisung geringer wertigerer Tätigkeiten auch dann unzulässig ist, wenn die bisherige Vergütung weitergezahlt wird (BAG, 24.10.2018 – 10 AZR 19/18). Die Gleichwertigkeit bestimmt sich grundsätzlich nach der auf den Betrieb bezogenen Verkehrsauffassung und dem sich daraus ergebenden Sozialbild. Kriterien zur Ermittlung der Gleichwertigkeit sind insbesondere der unmittelbare Tätigkeitsinhalt, die Anzahl der unterstellten Mitarbeiter, der Umfang der Entscheidungsbefugnisse über den Einsatz von Sachmitteln oder Personal und die Einordnung der Stelle in der Betriebshierarchie (LAG Rheinland-Pfalz, 19.05.2020 - 8 SaGa 1/20).
Entspricht die Weisung des Arbeitgebers nicht dem Billigkeitsprinzip, muss sie der Arbeitnehmer auch nicht vorläufig befolgen (BAG, 18.10.2017 – 10 AZR 330/16; LAG Rheinland-Pfalz, 13.02.2020 – a.a.O). Allerdings trägt ein Arbeitnehmer, der eine von ihm als unbillig empfundene Weisung nicht befolgt, das Risiko, dass sich im Nachhinein herausstellt, dass diese doch in Ordnung war. Dann liegt eine Arbeitsverweigerung vor; es drohen Abmahnung oder gar Kündigung.
Eine Versetzung ist nicht bereits deshalb unbillig, weil der Arbeitnehmer an einem Einzelarbeitsplatz isoliert sitzt (BAG, 28.06.2018 – 2 AZR 436/17).
Praxistipp:
Es ist arbeitsrechtlich zwar nicht ausdrücklich festgelegt, aber sinnvoll, sich mit dem betroffenen Arbeitnehmer zu einigen. Erkennt er, dass die Maßnahme in seinem eigenen Interesse liegt, wird er zustimmen und damit werden Probleme von vornherein ausgeschlossen.
Der Arbeitgeber ist nicht verpflichtet, einen leidensgerechten Arbeitsplatz erst einzurichten. Dies gilt insbesondere, wenn dadurch auch die Arbeitsplätze der anderen Mitarbeiter neu zugeschnitten werden müssten. Denn die Schaffung von Arbeitsplätzen liegt allein in der unternehmerischen Entscheidung des Arbeitgebers (BAG, 28.06.2017 – 5 AZR 263/16). Etwas anderes gilt nach dem Urteil des BAG, wenn keine inhaltlich klar definierten Arbeitsplätze existieren, sondern nur Touren festgelegt sind, in deren Rahmen Kunden in bestimmter Reihenfolge (wie z.B. bei ambulanten Pflegediensten) aufzusuchen sind. Dann ist der Arbeitgeber verpflichtet, den Tourenplan so umzustellen, dass auf die gesundheitlichen Einschränkungen des erkrankten Mitarbeiters Rücksicht genommen werden kann.
Die Durchführung eines betrieblichen Eingliederungsmanagements ist keine formelle oder unmittelbar materielle Voraussetzung für die Wirksamkeit einer Versetzung im Rahmen des Weisungsrechts des Arbeitgebers. Dies gilt selbst dann, wenn die Entscheidung des Arbeitgebers im Zusammenhang mit dem Gesundheitszustand des Arbeitnehmers steht. Eine Zuordnung des Arbeitnehmers aus Gründen des Gesundheitsschutzes zu einer anderen Schicht (Versetzung von Nacht- zu Wechselschicht) ist bei ansonsten gleich bleibender Tätigkeit auch ohne ein an sich erforderliches BEM (siehe 4.5) demnach zulässig und wirksam. Sie kann insbesondere den Grundsätzen billigen Ermessens entsprechen (BAG, 18.10.2017 – 10 AZR 47/17).
Erweist sich eine Versetzung als unwirksam, hat der Arbeitnehmer grundsätzlich einen Anspruch auf Beschäftigung mit seiner bisherigen Tätigkeit am bisherigen Ort (BAG, 25.08.2010 – 10 AZR 275/09). Eine Ausnahme gilt aufgrund § 275 Abs. 1 und 2 BGB nur dann, wenn dem Arbeitgeber die Beschäftigung auf dem bisherigen Arbeitsplatz unmöglich oder unzumutbar ist (LAG Rheinland-Pfalz, 19.12.2018 – 7 Sa 99/18). War die Versetzung unwirksam, kann der Arbeitnehmer als Schadensersatz die Erstattung der Kosten verlangen, die ihm durch die Benutzung seines privaten PKW für die wöchentlichen Fahrten zwischen seinem Hauptwohnsitz und einem Zweitwohnsitz in der Nähe der zugewiesenen Niederlassung entstanden sind. Je gefahrenem Kilometer sind ihm 30 Cent zu erstatten (BAG, 28.11.2019 – 8 AZR 125/18).
Das billige Ermessen i.S.d. § 106 S. 1 GewO i.V.m. § 315 Abs. 1 BGB ist nicht gewahrt, wenn der Arbeitgeber ohne Kompensation der sich hieraus ergebenden Kosten eine in etwa 130 km entfernte neue Arbeitsstätte zuweist (LAG Rheinland-Pfalz, 13.02.2020 – 2 Sa 178/19).
Das Direktionsrecht des Arbeitgebers kann arbeitsvertraglich beschränkt werden. Eine nachträgliche vertragliche Beschränkung des Direktionsrechts muss jedoch - wie jeder Rechtsverzicht - eindeutig erklärt werden. Allein das Einvernehmen zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer bei der Zuweisung von Arbeitsaufgaben stellt nicht schon stets eine Vertragsänderung dar (LAG Rheinland-Pfalz, 19.05.2020 - 8 SaGa 1/20).
2.3 Mitbestimmung
In Betrieben mit mehr als 20 Arbeitnehmern unterliegt die Versetzung der Mitbestimmung. Der Betriebsrat kann die Zustimmung aus verschiedenen Gründen verweigern (§ 99 Abs. 2 BetrVG). Dazu gehören auch Mängel der Unterrichtung über die geplante Maßnahme durch den Arbeitgeber. Die Unterrichtung ist ordnungsgemäß, wenn der Arbeitgeber mitteilt, dass der Arbeitnehmer sich auf der Position, auf der er erprobt worden sei, "nicht bewährt" habe (LAG Rheinland-Pfalz, 07.05.2020 - 5 TaBV 18/19). Der Arbeitgeber kann vor dem Arbeitsgericht die Ersetzung der Zustimmung einklagen (§ 99 Abs. 4 BetrVG).
2.4 Versetzungsschutzklage
Ist der Arbeitnehmer mit der Versetzung nicht einverstanden, kann er dagegen beim Arbeitsgericht klagen. Soweit sich herausstellt, dass die Versetzung unwirksam war und hat der Arbeitnehmer ihr dennoch Folge geleistet, kann er ggf. Ansprüche auf Schadenersatz (z.B. Aufwendungen für die Fahrten zum weiter entfernten Arbeitsort) geltend machen (BAG, 28.11.2019 – 8 AZR 125/18).
3. Änderungskündigung
Ist nach dem Arbeitsvertrag eine Versetzung nicht möglich, kann eine Änderungskündigung erfolgen. Dabei wird eine Kündigung des bisherigen Arbeitsverhältnisses mit dem Angebot eines neuen Arbeitsvertrages kombiniert (§ 2 KSchG). Dieser neue Arbeitsvertrag müsste bei dem gesundheitlich beeinträchtigten Mitarbeiter den Einsatz auf einem leidensgerechten Arbeitsplatz enthalten. Die Maßnahme muss außerdem der Billigkeit entsprechen, d.h. sie muss dem Arbeitnehmer zumutbar sein.
In der Änderungskündigung muss zum Ausdruck kommen, dass das Arbeitsverhältnis endet, wenn das Angebot nicht angenommen wird. Da es sich um eine echte Kündigung handelt, muss die Kündigungsfrist eingehalten werden (Änderungskündigung - Allgemeines).
Praxistipp:
Für die Änderungskündigung insgesamt (also auch für das neue Vertragsangebot) gilt § 623 BGB (Schriftform). Sie können unser Formular Änderungskündigung verwenden.
Es ist auch eine personenbedingte Änderungskündigung zur Herabsetzung der Arbeitszeit möglich. Eine Änderung der Arbeitsbedingungen im Sinne von § 2 KSchG ist sozial gerechtfertigt, wenn sie durch Gründe i.S.d. § 1 Abs. 2 KSchG bedingt ist und das Änderungsangebot des Arbeitgebers sich darauf beschränkt, solche Änderungen vorzusehen, die der Arbeitnehmer billigerweise hinnehmen muss (LAG Berlin-Brandenburg, 08.05.2018 – 7 Sa 1588/17 m.w.N.) Die Änderungskündigung muss den unter 4. genannten Voraussetzungen, insbesondere dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz entsprechen.
4. Personenbedingte Kündigung
4.1 Negative Prognose
Eine krankheitsbedingte dauernde Unfähigkeit, die vertraglich geschuldete Arbeitsleistung zu erbringen, berechtigt den Arbeitgeber grundsätzlich zur ordentlichen Kündigung des Arbeitsverhältnisses (vgl. § 1 Abs. 2 KSchG). Bei einem Arbeitsverhältnis, bei dem feststeht, dass der Arbeitnehmer in Zukunft die geschuldete Arbeitsleistung überhaupt nicht erbringen kann, ist das Verhältnis von Leistung und Gegenleistung auf Dauer ganz erheblich gestört. Davon kann ausgegangen werden, wenn eine Erkrankung ohne konkrete Aussicht auf Genesung besteht. Der Ungewissheit der Wiederherstellung der Arbeitsfähigkeit steht gleich, wenn in den nächsten 24 Monaten nicht mit einer Genesung zu rechnen ist (BAG, 30.09.2010 – 2 AZR 88/09).
Eine negative Prognose kann auch vorliegen, wenn es zu häufigen Kurzerkrankungen kommt und für die Zukunft von weiteren, erheblichen Ausfällen auszugehen ist (BAG, 20.11.2014 – 2 AZR 755/13; LAG Nürnberg, 18.02.2020 – 7 Sa 124/19). Nach der Rechtsprechung ist dann zur Erstellung der Gesundheitsprognose - vorbehaltlich des Vorliegens besonderer Umstände des Einzelfalls - regelmäßig ein Referenzzeitraum von drei Jahren vor Zugang der Kündigung bzw. vor Einleitung des Verfahrens zur Beteiligung einer bestehenden Arbeitnehmervertretung zugrunde zu legen (BAG, 25.04.2018 – 2 AZR 6/18). Die Prognose ist negativ, wenn der Arbeitnehmer in jedem dieser drei Jahre mindestens sechs Wochen arbeitsunfähig war und eine Besserung des Gesundheitszustandes nicht zu erwarten ist. Der Prüfungsmaßstab für häufige (Kurz-)Erkrankungen ist auch dann anzulegen, wenn sich unter den medizinischen Ausfallursachen einzelne Krankheiten befinden, die zu längeren Ausfallzeiten geführt haben (BAG, 20.11.2014 - 2 AZR 755/13). Der Indizwirkung der in der Vergangenheit bestandenen Krankheitszeiten kann jedoch entgegenstehen, dass die Arbeitsunfähigkeitszeiten im Halbjahr vor Ausspruch der Kündigung deutlich rückläufig waren (LAG Berlin-Brandenburg, 16.01.2020 - 26 Sa 1200/19).
Ob eine solche negative Prognose vorliegt, wenn ein Mitarbeiter, der nach einer ambulanten Entziehungskur wegen Alkoholabhängigkeit einen einmaligen Rückfall erleidet, ist unklar (offen gelassen LAG Berlin-Brandenburg, 05.09.2012 – 15 Sa 911/12 m.w.N.). Verletzungen des Skeletts oder des Gewebes, die man sich bei einem Unfall zuzieht, heilen im Regelfall aus. Die Ausfallzeiten, die auf derartige Heilungsprozesse zurückzuführen sind, fallen daher als Prognosegrundlage für zukünftige Fehlzeiten im Regelfall aus. Ob im Rahmen der erforderlichen negativen Gesundheitsprognose auch die Zeiten einer Rehabilitationsmaßnahme berücksichtigt werden können, richtet sich nach der Arbeitsunfähigkeits-Richtlinie des Gemeinsamen Bundesausschusses. Danach besteht Arbeitsunfähigkeit, wenn diese bereits vor Beginn der Maßnahme eingetreten ist und weiterhin andauert oder sie durch eine interkurrente Erkrankung ausgelöst wird (siehe auch LAG Berlin-Brandenburg, 29.09.2019 – 10 Sa 864/19).
Lebenskrisen wie beispielsweise eine Scheidung können zu einem vorübergehenden Verlust des Lebensmuts führen, der sich in krankheitsbedingten Ausfallzeiten niederschlägt. Es entspricht allgemeiner Lebenserfahrung, dass der angesichts solcher Lebenskrisen verlorene Lebensmut mit dem zeitlichen Abstand zu dem auslösenden Ereigniskomplex wiederkehrt, weil sich im Regelfall herausstellt, dass es trotz der erlebten Krise möglich ist, das Leben auch unter den veränderten Bedingungen fortzuführen (LAG Mecklenburg-Vorpommern, 07.03.2017 – 2 Sa 158/16). Soll die Fehlzeitenprognose auch mit der Krankheitsanfälligkeit des Arbeitnehmers gestützt werden, verlangt das zunächst die Feststellung, dass sich die Anzahl der Krankheitsereignisse und deren Dauer signifikant über dem zu erwartenden Durchschnitt des Auftritts gleicher oder vergleichbarer Krankheiten bei anderen Beschäftigten bewegt (BAG 10. 11.2005 - 2 AZR 44/05). Die Rechtsprechung des BAG zur Fehlzeitenprognose aufgrund einer Krankheitsanfälligkeit erschöpft sich allerdings nicht in einer statistischen Analyse der Ausfallzeiten. Vielmehr verlangt das BAG so etwas wie eine plausible Erklärung für die Krankheitsanfälligkeit (LAG Mecklenburg-Vorpommern, 07.03.2017 – a.a.O.).
4.2 Beeinträchtigung der betrieblichen Interessen
Der Arbeitsvertrag kann bei negativer Prognose aus personenbedingten Gründen gekündigt werden (ständige Rechtsprechung, vgl. BAG, 15.02.1984 - 2 AZR 573/82), wenn der Arbeitgeber außerdem erhebliche Beeinträchtigungen der betrieblichen Interessen nachweist. Bei häufigen Kurzerkrankungen ist die Entscheidung oft schwierig, ob die Beeinträchtigungen so erheblich sind, dass die Interessen des Arbeitgebers an einer Beendigung des Arbeitsvertrages überwiegen. Die Rechtsprechung geht jedenfalls davon aus, dass eine Kündigung erst ausgesprochen werden kann, wenn der Mitarbeiter in Lauf eines Jahres mehr als sechs Wochen arbeitsunfähig war (BAG, 16.02.1989 – 2 AZR 299/88) und nach der Prognose weiterhin mit Entgeltfortzahlungskosten von mehr als sechs Wochen jährlich zu rechnen ist (BAG, 25.04.2018 – 2 AZR 6/18). Darüber hinaus kann es bei jahrelang immer wieder aufgetretenen Kurzerkrankungen auch auf die Zeitspanne bis zum Erreichen der Regelaltersgrenze ankommen (LAG Rheinland-Pfalz, 18.08.2016 – 5 Sa 77/16). Die betrieblichen Interessen werden auch beeinträchtigt, wenn die Ausfälle zu erheblichen Problemen in den Abläufen führen, die z.B. zur Notwendigkeit von Überstunden durch andere Kollegen oder zu Schwierigkeiten bei der Urlaubsplanung führen.
4.3 Abwägung der Interessen
Schließlich muss die Kündigung aufgrund einer Abwägung der beiderseitigen Interessen gerechtfertigt sein. Dabei ist insbesondere zu klären, ob trotz der negativen Zukunftsprognose und der Beeinträchtigungen der betrieblichen Interessen das Beschäftigungsinteresse des Mitarbeiters gegenüber dem Kündigungsinteresse des Arbeitgebers überwiegt. Bei der Abwägung spielen Faktoren wie z.B. das Alter des Mitarbeiters, dessen Unterhaltspflichten, die Möglichkeit der Beschäftigung auf einem anderen Arbeitsplatz etc. ein Rolle. Die Kündigung muss also verhältnismäßig sein. Außerdem dürfen keine milderen Mittel (wie z.B. eine Versetzung oder Rehabilitationsmaßnahmen) zur Verfügung stehen, um die Leistungsstörung zu beseitigen.
4.4 Beweislast
Kommt es zu einem Arbeitsgerichtsverfahren, muss der Arbeitgeber darlegen und ggf. beweisen, dass die Voraussetzungen für eine krankheitsbedingte Kündigung vorliegen. Dies bezieht sich auf die negative Prognose, die erhebliche Beeinträchtigung der betrieblichen Interessen und die fehlende Weiterbeschäftigungsmöglichkeit (zu letzterem siehe LAG Rheinland-Pfalz, 25.04.2018 – 7 Sa 477/17). Soweit ihm jedoch insbesondere die krankheitsbedingten Umstände nicht bekannt sind, sind keine zu hohen Anforderungen an die Beweisführung zu stellen. Dann ist es ausreichend auf die Fehlzeiten in der Vergangenheit hinzuweisen und zu behaupten, dass sie in diesem Umfang auch künftig zu erwarten sind (ErfK, Oetker, § 1 KSchG, 18. Aufl. 2018, Rn. 179).
4.5 Betriebliches Eingliederungsmanagement
Vor der Kündigung ist es wichtig, ggf. ein betriebliches Eingliederungsmanagement (BEM) durchzuführen (Einzelheiten siehe § 167 Abs. 2 SGB IX ). Dies ist zwar keine formelle Voraussetzung für eine personenbedingte Kündigung, das Unterlassen führt jedoch im Streitfall zu einer strengeren Darlegungs- und Beweislast.im Hinblick auf alternative, leidensgerechte Beschäftigungsmöglichkeiten (LAG Hamburg, 08.06.2017 – 7 Sa 20/17) und auf das Fehlen milderer Mittel zur Vermeidung der Kündigung (LAG Rheinland-Pfalz, 25.04.2018 – 7 Sa 477/17). Der Arbeitgeber muss dann grundsätzlich zumindest beweisen, dass dem künftigen Auftreten erheblicher Fehlzeiten weder durch innerbetriebliche Anpassungsmaßnahmen noch durch Maßnahmen der Rehabilitation hätte entgegengewirkt werden können und die Kündigung dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz entspricht. Beruft sich der Arbeitgeber darauf, dass ein BEM bei häufigen Kurzerkrankungen offensichtlich aussichtslos ist, hat er darzulegen, dass auch etwaige Vorschläge der Berufsgenossenschaften und der DGUV konkret nicht umsetzbar wären oder nicht zu einer Reduzierung der Fehlzeiten geführt hätten (LAG Berlin-Brandenburg, 26.09.2019 - 10 Sa 864/19).
Die Darlegungs- und Beweispflicht kann sich vermindern, falls dem Betrieb die Krankheitsursachen unbekannt sind und er vor der Kündigung wegen der fehlenden Weiterbeschäftigungsmöglichkeiten ein Einvernehmen mit Betriebsrat, ggf. Schwerbehindertenvertretung und Integrationsamt hergestellt hat (ArbG Ulm, 20.01.2017 – 5 Ca 346/16). Einzelheiten siehe Kündigung - personenbedingt: Eingliederungsmanagement, Betriebliches Eingliederungsmanagement - Allgemeines, Betriebliches Eingliederungsmanagement - Maßnahmen sowie Arbeitsunfähigkeit - Langzeitkranke.
Das Unterlassen eines betrieblichen Eingliederungsmanagements kann eine Kündigung unverhältnismäßig und damit unwirksam machen (BAG, 20.11.2014 – 2 AZR 755/13). Ist insbesondere nicht ausgeschlossen, dass ein BEM zu einem positiven Ergebnis geführt hätte, muss sich der Arbeitgeber u. U. vorhalten lassen, er habe gekündigt, ohne Alternativen zu prüfen, mit dem Ergebnis, dass die Kündigung unwirksam ist (LAG Hamburg, 08.06.2017 – 7 Sa 20/17). Dies gilt selbst dann, wenn der Arbeitnehmer eine solche Maßnahme etwa 18 Monate zuvor abgelehnt hat, in der Zwischenzeit aber wieder mehr als sechs Wochen arbeitsunfähig war (LAG Düsseldorf, 20.10.2016 -13 Sa 359/16). Allerdings kann die Kündigung ausnahmsweise auch ohne BEM wirksam sein, wenn aufgrund der Umstände des Einzelfalles davon auszugehen ist, dass der Mitarbeiter dem Verfahren ohnehin nicht zugestimmt hätte (LAG Berlin-Brandenburg, 27.02.2019 – 17 Sa 1605/18).
Das BAG sieht in dem Verfahren auch bei häufigen Kurzerkrankungen eine Chance, mildere Mittel für die Beseitigung der Leistungsstörung (wie z.B. die Umgestaltung des Arbeitsplatzes) zu finden. Wird es unterlassen, muss der Arbeitgeber umfassend darlegen und beweisen, warum es in keinem Fall dazu hätte beitragen können, neuerlichen Krankheitszeiten vorzubeugen und das Arbeitsverhältnis zu erhalten. Auch wenn dem Arbeitnehmer eine befristete Rente wegen voller Erwerbsminderung zugebilligt wurde, ist ein BEM durchzuführen. In dessen Rahmen ist umfassend und ernsthaft zu ermitteln, ob es alternative Einsatzmöglichkeiten gibt (BAG, 13.05.2015 – 2 AZR 565/14). Der Arbeitgeber ist auch grundsätzlich verpflichtet, einen Vorschlag, auf den sich die Teilnehmer eines BEM geeinigt haben, auch umzusetzen, ehe er eine Kündigung ausspricht (BAG, 10.12.2009 – 2 AZR 198/09).
Für die Durchführung des BEM muss der Arbeitgeber die Initiative ergreifen; dazu gehört, dass er den Arbeitnehmer auf die Ziele des Eingliederungsmanagements sowie die Art und den Umfang der hierfür erhobenen und verwendeten Daten hinweist. Der Hinweis auf eine Dienstvereinbarung zum BEM, die ihrerseits Regelungen zu den Zielen des betrieblichen Eingliederungsmanagements und dem Datenschutz enthält, ersetzt die konkrete Information des Arbeitnehmers nicht (LAG Hamburg, 08.06.2017 – 7 Sa 20/17). Die allgemeine Information zu den Zielen und zum Datenschutz kann im Rahmen eines ggf. telefonischen Vorgespräches erfolgen. Die Einladung zu dem BEM sollte auf jeden Fall schriftlich erfolgen. Erforderlich ist aber die Zustimmung des Mitarbeiters. Er kann aber nicht verlangen, dass sein Rechtsanwalt an dem Gespräch teilnimmt (LAG Rheinland-Pfalz, 18.12.2014 - 5 Sa 518/14). Bei dem Gespräch geht es darum, wie der Arbeitgeber den Mitarbeiter bei der Bewältigung der Krankheit unterstützen kann und wie weitere Erkrankungen verhindert werden können. kann und wie weitere Erkrankungen verhindert werden können. Es handelt sich um einen rechtlich regulierten "Suchprozess", der individuell angepasste Lösungen der Probleme ermitteln soll (BAG, 10.12.2009 – 2 AZR 400/08).
Praxistipp:
Der Hinweis gegenüber dem Betroffenen auf Art und Umfang der für das BEM erhobenen und verwendeten Daten (§ 167 Abs. 1 S. 3 SGB IX) ist noch nicht die Rechtsgrundlage für die Verarbeitung der gewonnenen Daten. Auch die Zustimmung des Mitarbeiters zur Durchführung des BEM kann nicht als Einwilligung zur Datenverarbeitung gewertet werden. Da es sich zudem bei Gesundheitsdaten um eine besondere Kategorie persönlicher Informationen handelt, ist § 26 Abs. 3 BDSG i.V.m. Art. 9 Abs. 1 DSGVO zu beachten. Die Verarbeitung solcher Daten ist für Zwecke des Beschäftigungsverhältnisses zulässig, wenn sie zur Ausübung von Rechten aus dem Arbeitsrecht, dem Recht der sozialen Sicherheit und des Sozialschutzes erforderlich ist und kein Grund zur Annahme besteht, dass das schutzwürdige Interesse der betroffenen Person an dem Ausschluss der Verarbeitung überwiegt.
Es ist daher für die Verarbeitung dieser Informationen eine separate Einwilligungserklärung des Betroffenen zu empfehlen, die sich ausdrücklich auf die Erhebung der Gesundheitsdaten für den Zweck des BEM bezieht und freiwillig abgegeben wird (Art. 6 und. 9 Abs. 2 DSGVO). In der Einwilligungserklärung sollten die zu erhebenden Daten möglichst vollständig aufgelistet werden (siehe auch Arbeitsunfähigkeit-Langzeitkranke und Betriebliches Eingliederungsmanagement – Allgemeines). Außerdem ist die Einwilligungserklärung schriftlich abzugeben und es ist der Zweck der Verarbeitung darin festzuhalten.
Das ArbG Berlin hat in einem viel beachteten Urteil (16.10.2015 – 28 Ca 9065/15) die vom BAG aufgestellten Forderungen an bei wirksames BEM konkretisiert. Im Rahmen eines organisierten Suchprozesses ist danach zu prüfen, ob und ggf. in welcher Weise der Arbeitnehmer weiter beschäftigt werden kann. Zu dem Suchprozess gehören:
- Das Gespräch zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer, ggf. unter Hinzuziehung von externem Sachverstand;
- in dafür geeigneten Fällen die stufenweise Wiedereingliederung des Mitarbeiters (Wiedereingliederungsverhältnis) im Rahmen des so genannten "Hamburger Modells";
- die Prüfung, ob der Arbeitsplatz, die Arbeitsumgebung und die Arbeitsmittel, die Organisation und die Arbeitszeit leidensgerecht angepasst werden können oder
- ob eine Versetzung auf einen anderen, leidensgerechten Arbeitsplatz sinnvoll und zumutbar ist.
An dem Gespräch können auch der Betriebs- oder Personalrat, ggf. die Schwerbehindertenvertretung, soweit erforderlich, die Rehabilitationsträger (§ 6 SGB IX) und das Integrationsamt teilnehmen, wenn der Mitarbeiter damit einverstanden ist. Die Beteiligung von betrieblichen Interessenvertretungen am BEM liegt jedoch in der Hand des Mitarbeiters – er kann frei entscheiden, ob diese einbezogen werden. Dies gilt auch, wenn eine Betriebs- oder Dienstvereinbarung die Beteiligung vorsieht; Regelungen, die sich über das Wahlrecht des Mitarbeiters hinwegsetzen, sind unwirksam (BAG, 19.11.2019 – 1 ABR 36/18).
Grundsätzlich unterliegt das BEM als Maßnahme des Gesundheitsschutzes nach § 87 Abs. 1 Nr. 7 des BetrVG der Mitbestimmung. Daher kann der Betriebsrat die Aufstellung von Verfahrensgrundsätzen verlangen. Betriebsrat und Schwerbehindertenvertretung haben aber nur eine Überwachungspflicht (§ 167 Abs. 2 S. 7 SGB IX). Er kann die erforderlichen Maßnahmen bei Untätigkeit des Arbeitgebers anmahnen, nicht jedoch deren Unterlassen beantragen (LAG Mecklenburg-Vorpommern, 18.10.2016 – 2 TaBVGa 1/16). Ggf. können Einzelfragen auch in Betriebs- oder Dienstvereinbarungen geregelt werden. Nicht den gesetzlichen Regelungen entspricht allerdings ein ständiges "Integrationsteam", das die BEM unter Beteiligung von Betriebsratsmitgliedern durchführt. Dies ist nämlich allein Aufgabe des Arbeitgebers (BAG, 22.03.2016 – 1 ABR 14/14). Hat der Arbeitgeber jedoch ein Integrationsteam gebildet, müssen dessen Mitglieder ggf. auf Kosten des Betriebes geschult werden (vgl. BAG, 28.09.2016 – 7 AZR 699/14).
Ergebnis des BEM sollte ein konkreter Maßnahmenplan (auch mit zeitlichen Vorgaben) sein. Ist dieser abgearbeitet, endet das BEM.
4.6 Außerordentliche Kündigung
In der Regel kommt aus Krankheitsgründen nur eine ordentliche Kündigung mit der maßgebenden Frist (nach dem Tarifvertrag, dem Arbeitsvertrag oder nach § 622 Abs. 2 BGB) in Betracht. Nach verschiedenen Tarifverträgen, insbesondere auch für den öffentlichen Dienst, ist eine ordentliche Kündigung bei Erreichen eines bestimmten Lebensalters und nach einer bestimmten Beschäftigungszeit nicht mehr möglich (vgl. § 34 Abs. 2 TVöD). In diesem Fall kann aber eine außerordentliche Kündigung mit Auslauffrist erfolgen, wenn auch künftig mit hohen Entgeltfortzahlungskosten zu rechnen ist (BAG, 25.04.2018 – 2 AZR 6/18). Dies ist insbesondere der Fall bei häufigen Kurzerkrankungen.
Es müssen aber die hohen Anforderungen an eine außerordentliche Kündigung i.S.v. § 626 Abs. 1 BGB erfüllt sein: Unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile muss dem Arbeitgeber die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses nicht mehr zumutbar sein. Das BAG hat in seiner Entscheidung folgende Voraussetzungen für die außerordentliche Kündigung gefordert:
Eine negative Gesundheitsprognose (siehe 4.1);
eine erhebliche Beeinträchtigung der betrieblichen oder wirtschaftlichen Interessen des Arbeitgebers (siehe 4.2);
das Ergebnis der Interessenabwägung (siehe 4.3) ist, dass die Beeinträchtigungen von dem Arbeitgeber billigerweise nicht mehr hingenommen werden können.
Dabei ist für die krankheitsbedingte außerordentliche Kündigung ein noch strengerer Maßstab als bei der ordentlichen Kündigung zugrunde zu legen. Das BAG geht dabei davon aus, dass eine negative Gesundheitsprognose und damit ein wichtiger Grund i.S.v. § 626 Abs. 1 BGB vorliegt, wenn die Belastung mit Entgeltfortzahlungskosten für durchschnittlich mehr als ein Drittel der Arbeitstage pro Jahr zu erwarten ist (BAG, 25.04.2018 – 2 AZR 6/18). Dabei müssen tatsächlich Entgeltfortzahlungskosten in diesem Umfang entstehen; erhält der Arbeitnehmer Krankengeld oder hat der Arbeitgeber zu Unrecht Entgeltfortzahlung geleistet, sind diese Tage nicht anrechenbar. Bei einer Fünf-Tage-Woche kann von 260 Arbeitstagen ausgegangen werden (52 X 5); daher ist die maßgebende Grenze erreicht, wenn jährlich für 87 Arbeitstage Entgeltfortzahlung geleistet wurde. Für die erforderliche Gesundheitsprognose ist nach der BAG – Entscheidung ein Referenzzeitraum von drei Jahren vor Zugang der Kündigung zugrunde zu legen.
Die ernstliche und im Zustand freier Willensbetätigung im Rahmen es betrieblichen Eingliederungsmanagements abgegebene Drohung mit Selbstmord kann einen wichtigen Grund zur Kündigung des Arbeitsverhältnisses bilden, wenn es dem Arbeitnehmer darum geht, mit der Drohung Druck auf den Arbeitgeber auszuüben, um bestimmte eigene Interessen oder Forderungen durchzusetzen BAG, 29.06.2017 – 2 AZR 47/16).
Häufige Kurzerkrankungen eines Arbeitnehmers können ein kündigungsrechtlicher Dauertatbestand sein. Voraussetzung ist, dass die verschiedenen Erkrankungen den Schluss auf eine dauerhafte Krankheitsanfälligkeit des Arbeitnehmers zulassen und damit eine negative Prognose begründen. Bei solchen Dauertatbeständen ist die Frist nach § 626 Abs. 2 BGB gewahrt, wenn die Umstände, auf die der Arbeitgeber die Kündigung stützt, noch bis mindestens zwei Wochen vor Zugang der Kündigung gegeben waren (BAG, 23.01.2014 - 2 AZR 582/13).
Eine außerordentliche Kündigung mit sozialer Auslauffrist kann gerechtfertigt sein, wenn eine negative Gesundheitsprognose (wegen jahrelanger Alkoholerkrankung) vorliegt und zu erwarten ist, dass die Ausfallzeiten des Arbeitnehmers die berechtigten Interessen des Betriebes auch künftig erheblich beeinträchtigen. Voraussetzung ist auch, dass aufgrund der Interessenabwägung der Vertragsparteien die Beeinträchtigung der Arbeitsleistung von dem Arbeitgeber nicht mehr hingenommen werden muss (LAG Berlin-Brandenburg, 24.07.2019 – 15 Sa 2498/18).
4.7 Feststellung der Leistungsfähigkeit
Tarifverträge sehen teilweise vor, dass der Arbeitgeber verlangen kann, dass sich der Mitarbeiter von einem bestimmten Arzt untersuchen lässt, um festzustellen, ob er arbeitsfähig ist (vgl. z.B. § 3 Abs. 4 TVöD Bund). Eine solche Anordnung ist auch bei schwerbehinderten Menschen nicht davon abhängig, ob zuvor ein Präventionsverfahren i.S.v. § 167 Abs. 1 SGB IX durchgeführt wurde (BAG, 25.01.2018 – 2 AZR 382/17).
5. Mitbestimmung
Der Betriebsrat ist vor jeder Kündigung zu hören. Soweit dies unterbleibt, ist die Kündigung unwirksam (§ 102 Abs. 3 BetrVG). Dabei sind ihm die tragenden Gründe für die beabsichtigte Kündigung mitzuteilen. Soweit die ordnungsgemäße Anhörung unterbleibt, ist die Kündigung unwirksam (§ 102 Abs. 1 S. 3 BetrVG). Soweit er Bedenken gegen die Kündigung hat, kann er diese innerhalb einer Woche (bei außerordentlicher Kündigung innerhalb von drei Tagen) dem Arbeitgeber mitteilen. Er kann der Kündigung widersprechen. In Bezug auf die Kündigung wegen Krankheit kommen folgende Gründe dafür in Frage:
Der Mitarbeiter kann auf einem anderen Arbeitsplatz des Betriebes bzw. des Unternehmens weiterbeschäftigt werden;
eine Weiterbeschäftigung ist nach zumutbaren Umschulungs- oder Fortbildungsmaßnahmen möglich;
eine Weiterbeschäftigung ist unter geänderten Vertragsbedingungen möglich; der Mitarbeiter ist damit einverstanden.
Der Widerspruch des Betriebsrates bewirkt, dass bei einem Kündigungsschutzverfahren der Arbeitnehmer auf sein Verlangen bis zu dessen rechtkräftigem Abschluss weiterbeschäftigt werden muss.
Für den öffentlichen Dienst gelten vergleichbare Regelungen (vgl. § 79 BPersVG).
6. Verhaltensbedingte Kündigung
Eine verhaltensbedingte Kündigung ist in der Regel aufgrund einer durch Krankheit verursachten Arbeitsunfähigkeit nicht zulässig, da die dadurch entstehende Leistungsstörung dem Mitarbeiter nicht vorzuwerfen ist. Nach einer Entscheidung des ArbG Berlin (03.04.2014 – 24 Ca 8017/13) ist eine verhaltensbedingte Kündigung eines Berufskraftfahrers wegen Fahrens unter Alkoholeinfluss aber auch dann rechtswirksam, wenn eine Alkoholkrankheit besteht. Mit einem solchen Verhalten verletze der Mitarbeiter seine arbeitsvertraglichen Pflichten schwerwiegend. Auch bei einer Alkoholkrankheit sei dem Arbeitnehmer vorzuwerfen, eine Fahrt unter Alkoholeinfluss angetreten und hierdurch andere Verkehrsteilnehmer gefährdet zu haben. Das Vorliegen einer Alkoholabhängigkeit schließt nicht stets ein Verschulden des Arbeitnehmers aus (BAG, 30.09.1993 – 2 AZR 188/93; siehe auch LAG Köln, 16.01.2014 – 13 Sa 516/13).
Eine verhaltensbedingte Kündigung kommt auch in Betracht, wenn der Arbeitnehmer die Arbeitsunfähigkeit nur vorgetäuscht hat. Da die Kündigung eine Vertragsverletzung des Arbeitnehmers voraussetzt, die der Arbeitgeber zu beweisen hat, obliegt dem Arbeitgeber nicht nur der Nachweis dafür, dass der Arbeitnehmer überhaupt gefehlt hat, sondern auch dafür, dass er unentschuldigt gefehlt hat, also die vom Arbeitnehmer behauptete Krankheit nicht vorliegt (LAG Rheinland-Pfalz, 11.11.2015 – 7 Sa 672/14). Gelingt dieser Nachweis, muss der Arbeitnehmer seinerseits beweisen, dass er arbeitsunfähig war. Zu diesem Zweck könnte er z.B. seinen behandelnden Arzt von der Schweigepflicht entbinden (weitere Einzelheiten siehe LAG Rheinland-Pfalz a.a.O.). Nimmt ein wegen einer psychischen Erkrankung arbeitsunfähiger Mitarbeiter an Spielen des lokalen Fußballvereins teil, liegt darin weder eine Vortäuschung der Arbeitsunfähigkeit noch ein genesungswidriges Verhalten.
Der Arbeitnehmer ist verpflichtet, dem Arbeitgeber die krankheitsbedingte Arbeitsunfähigkeit und deren voraussichtliche Dauer unverzüglich mitzuteilen (§ 5 Abs. 1 EFZG). Diese Verpflichtung besteht grundsätzlich auch während einer länger andauernden Arbeitsunfähigkeit. Daher muss der Arbeitnehmer auch die Fortdauer einer Arbeitsunfähigkeit über die zunächst angezeigte Dauer hinaus unverzüglich dem Betrieb mitzuteilen. Das BAG hat hierzu entschieden, dass eine schuldhafte Verletzung der sich aus § 5 Abs. 1 Satz 1 EFZG ergebenden (Neben-)Pflicht zur unverzüglichen Anzeige der Fortdauer einer Arbeitsunfähigkeit grundsätzlich geeignet ist, die Interessen des Vertragspartners zu beeinträchtigen und daher - je nach den Umständen des Einzelfalls - einen zur Kündigung berechtigenden Grund im Verhalten des Arbeitnehmers i.S.v. § 1 Abs. 2 Satz 1 KSchG darstellen kann (siehe auch LAG Rheinland-Pfalz, 05.02.2020 – 2 Sa 275/18).
Im Falle einer Kündigung wegen Verletzung der Anzeigepflicht gehört das Fehlen von betrieblichen Ablaufstörungen als Folge der unterbliebenen Mitteilung über die Fortdauer der Arbeitsunfähigkeit ebenso wie ihr Vorhandensein zur notwendigen Interessenabwägung nach § 1 Abs. 2 KSchG(BAG, 07.05.2020 - 2 AZR 619/19).
Das Erschleichen von Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen kann einen wichtigen Grund i.S.d. § 626 Abs. 1 BGB zur außerordentlichen Kündigung bilden. Dies gilt nicht nur, wenn der Arbeitnehmer für die Zeit einer vorgetäuschten Arbeitsunfähigkeit Entgeltfortzahlung erhält. Erhält er Entgeltfortzahlung, begeht er bei einer vorgetäuschten Arbeitsunfähigkeit regelmäßig einen Betrug zu Lasten des Arbeitgebers (LAG Rheinland-Pfalz, 06.02.2020, 5 Sa 123/19). Täuscht er eine Arbeitsunfähigkeit erst nach Ablauf des Entgeltfortzahlungszeitraums vor, aber zu dem Zweck, während der attestierten Arbeitsunfähigkeit einer Konkurrenztätigkeit nachgehen zu können, verletzt er ebenfalls in erheblicher Weise seine Pflicht zur Rücksichtnahme auf die Interessen des Arbeitgebers gem. § 241 Abs. 2 BGB (BAG, 29.06.2017 – 2 AZR 597/16). Ein solches Verhalten ist eine Pflichtverletzung, die "an sich" geeignet ist, eine außerordentliche Kündigung zu rechtfertigen. Ein wichtiger Grund i.S.d. § 626 Abs. 1 BGB liegt auch vor, wenn ein dringender, auf objektive Tatsachen gestützter Verdacht einer schwerwiegenden Pflichtverletzung besteht. Ist der Sachverhalt "an sich" geeignet, eine außerordentliche Kündigung zu rechtfertigen, muss in einem zweiten Schritt geprüft werden, ob dem Betrieb die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses aufgrund der konkreten Umstände des Falles und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile – ggf. bis zum Ablauf der ordentlichen Kündigungsfrist – zumutbar ist oder nicht (BAG, 29.06.2017 – a.a.O.).
Die Kündigungsfrist für eine außerordentliche Kündigung beginnt nach § 626 Abs. 2 BGB mit dem Zeitpunkt, in dem der Arbeitgeber von den dafür maßgebenden Tatsachen Kenntnis erlangt. Dafür muss eine zuverlässige und vollständige Kenntnis der einschlägigen Tatsachen vorliegen, die dem Arbeitgeber die Entscheidung ermöglichen, ob er das Arbeitsverhältnis fortsetzen soll oder nicht. Auch grob fahrlässige Unkenntnis setzt die Frist nicht in Gang (BAG, 27.02.2020 – 5 AZR 570/19).
Die ärztlich attestierte Arbeitsunfähigkeit eines Arbeitnehmers als solche schließt dessen Anhörung zu dem dringenden Verdacht einer schwerwiegenden Pflichtverletzung nicht von vornherein aus, und zwar weder die schriftliche Anhörung noch - soweit aus sachlichen Gründen vom Arbeitgeber für erforderlich gehalten - die Anhörung im Rahmen eines Personalgesprächs. Solange dem erkrankten Arbeitnehmer die Teilnahme an einem Personal-/Anhörungsgespräch nicht krankheitsbedingt unmöglich oder unzumutbar ist, kann er dementsprechend gehalten sein, daran teilzunehmen. Infolgedessen ist der Arbeitgeber gehalten, auch bei Arbeitsunfähigkeit des Arbeitnehmers den Anhörungsprozess durch Einladung zum Personalgespräch oder schriftliche Anhörung einzuleiten bzw. fortzuführen und damit zu klären, ob und welche Hindernisse arbeitnehmerseitig bestehen bzw. mitgeteilt werden. Die bloße Arbeitsunfähigkeit als solche hemmt den Lauf der Ausschlussfrist des § 626 Abs. 2 BGB nicht. Unternimmt ein Arbeitgeber, der im Falle fortbestehender Arbeitsfähigkeit den Arbeitnehmer nunmehr zu den Verdachtsgründen angehört hätte, während einer zweiwöchigen Arbeitsunfähigkeitsphase des Mitarbeiters nicht einmal den Versuch einer Anhörung und Kontaktaufnahme, ist die nach Beendigung der Arbeitsunfähigkeit und dann erfolgter Anhörung ausgesprochene außerordentliche Verdachts- und Tatkündigung verfristet und damit unwirksam (LAG Düsseldorf, 18.06.2019 - 3 Sa 1077/18 – Revision zugelassen).
Praxistipp:
Soweit die Krankheit durch ein steuerbares Verhalten beseitigt werden kann, ist vor Ausspruch einer Kündigung eine Abmahnung geboten (BAG, 27.02.2020 – 2 AZR 570/19). Die Rechtsprechung verneint die Notwendigkeit einer Abmahnung jedoch, wenn während der Krankheit eine schwerwiegende Pflichtverletzung durch genesungswidriges Verhalten begangen wird (ArbG Köln, 12.02.2014 – 2 Ca 4192/13). Der Arbeitnehmer kann dann nicht davon ausgehen, dass sein Verhalten nicht vertragswidrig ist bzw. vom Arbeitgeber toleriert wird. Im Zweifel ist es sinnvoll, vor der Kündigung abzumahnen. Nach der Rechtsprechung ist eine Abmahnung nur dann entbehrlich, wenn im Einzelfall besondere Umstände vorgelegen haben, aufgrund derer sie als nicht erfolgversprechend angesehen werden kann. Das ist insbesondere dann anzunehmen, wenn erkennbar ist, dass der Arbeitnehmer nicht gewillt ist, sich vertragsgerecht zu verhalten (LAG Rheinland-Pfalz, 04.11.2019 – 3 Sa 1/19; BAG, 27.02.2020 – a.a.O.). Außerdem bedürfen besonders schwere Vorwürfe bedürfen keiner Abmahnung, wenn und weil der Arbeitnehmer dann von vornherein nicht mit einer Billigung seines Verhaltens rechnen kann (LAG Rheinland-Pfalz, 26.02.2010 - 6 Sa 682/09).
Nach § 612a BGB darf der Arbeitgeber einen Arbeitnehmer bei einer Vereinbarung oder Maßnahme nicht benachteiligen, weil dieser in zulässiger Weise seine Rechte ausübt. Die Krankmeldung eines Arbeitnehmers stellt keine Rechtsausübung i.S. von § 612a BGB dar, so dass eine Probezeitkündigung nach einer Krankmeldung auch nicht gegen § 612a BGB verstoßen kann (LAG Köln, 15.05.2020 - 4 Sa 693/19).
7. Auswirkungen der Kündigung
Grundsätzlich endet mit dem Arbeitsverhältnis auch die Pflicht zur Entgeltfortzahlung. Wird während der Arbeitsunfähigkeit ordentlich gekündigt, dürfte in der Regel durch die Kündigungsfrist der Anspruch auf Entgeltfortzahlung nicht tangiert werden. Lediglich bei einer außerordentlichen Kündigung oder bei Kündigung in der Probezeit (§ 622 Abs. 3 BGB) stellt sich die Frage, bis wann der Anspruch auf Entgeltfortzahlung zu erfüllen ist. Nach § 8 Abs. 1 EFZG endet dieser Anspruch nicht, wenn der Arbeitgeber das Arbeitsverhältnis aus Anlass der Arbeitsunfähigkeit gekündigt hat. Dabei genügt es, wenn die objektive Ursache für die Kündigung in der Arbeitsunfähigkeit des Arbeitnehmers liegt. Sie muss nicht alleiniger Grund für die Kündigung sein, sie muss nur den entscheidenden Anstoß dafür gegeben haben (LAG Berlin-Brandenburg, 01.03.2018 – 10 Sa 1507/17). Der Arbeitgeber kündigt daher aus Anlass der Arbeitsunfähigkeit, wenn die Arbeitsunfähigkeit wesentliche Bedingung der Kündigung ist. Es kommt nicht auf das Motiv der Kündigung an. Maßgebend sind die objektiven Umstände bei Ausspruch der Kündigung. Der Begriff "aus Anlass" i.S.d. § 8 Abs. 1 EFZG ist weit auszulegen. Es genügt, wenn die Kündigung ihre objektive Ursache und wesentliche Bedingung in der Arbeitsunfähigkeit des Arbeitnehmers hat und den entscheidenden Anstoß für den Kündigungsentschluss gegeben hat (LAG Nürnberg, 10.12.2019 – 7 Sa 364/18). Darlegungs- und beweispflichtig für eine solche Anlasskündigung ist die Arbeitnehmerin bzw. im Falle des Forderungsübergangs (§ 115 SGB X) die Krankenkasse. Indessen kommt ihr regelmäßig der Anscheinsbeweis zu Gute, wenn die Kündigung in zeitlich engem Zusammenhang zur angezeigten Arbeitsunfähigkeit ausgesprochen worden ist. Eine Anlasskündigung ist mithin zu vermuten, wenn sie in unmittelbarem zeitlichem Zusammenhang mit dem zeitlichen Eintritt der Arbeitsunfähigkeit erfolgt (LAG Nürnberg, 04.07.2019 - 5 Sa 115/19 m.w.N.). Diese Vermutung muss der Arbeitgeber nachvollziehbar widerlegen (LAG Nürnberg, 10.12.2019 – 7 Sa 364/18). Gelingt dies nicht, muss Entgeltfortzahlung geleistet werden.
8. Kündigungsschutzklage
Gegen die Kündigung kann sich der Arbeitnehmer mit einer Kündigungsschutzklage wehren. Diese muss innerhalb von drei Wochen nach dem Zugang der Kündigung beim Arbeitsgericht vorliegen. Das Arbeitsgericht beraumt zunächst einen Gütetermin an, in dem sich die Vertragsparteien gütlich einigen sollen. Kommt es nicht zu einer Einigung, wird ein Verhandlungstermin festgelegt. Das Ziel eines solchen Verfahrens kann aus Arbeitnehmersicht unterschiedlich sein; z.B. er will entweder das Arbeitsverhältnis fortsetzen oder evtl. eine Abfindung erstreiten.
Eine Klage auf vertragsmäßige Beschäftigung wahrt zugleich die Ausschlussfrist, die bei Geltendmachung von Lohn- oder Gehaltsansprüchen zu beachten ist. Dies gilt zumindest für Ausschlussfristen der so genannten ersten Stufe (Geltendmachung der Ansprüche gegenüber dem Vertragspartner; BAG, 18.09.2019 - 5 AZR 240/18). Darüber hinaus sind tarifvertragliche Ausschlussfristen, die eine rechtzeitige gerichtliche Geltendmachung vorsehen, verfassungskonform dahingehend auszulegen, dass die vom Erfolg einer Bestandsstreitigkeit abhängigen Ansprüche bereits mit der Klage in der Bestandsstreitigkeit gerichtlich geltend gemacht sind (vgl. BAG, 24.09.2014 - 5 AZR 593/12).