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Welche Fragen Arbeitgeber auch zum Thema Sozialversicherungsrecht bewegen: Die Rechtsdatenbank der AOK liefert die Antworten – einfach, fundiert und topaktuell.

Kündigung - verhaltensbedingt: Abgrenzung
Kündigung - verhaltensbedingt: Abgrenzung
Inhaltsübersicht
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Information
1. Allgemeines
Der Arbeitgeber kann ein Arbeitsverhältnis aus mehreren Gründen beenden. Die Motivation des Kündigenden ist dabei vom Ergebnis her nachrangig. Das Kündigungsrecht kennt drei unterschiedliche Kündigungsgründe: betriebs-, personen- und verhaltensbedingte. Dabei gelten die zum Teil sehr engen Voraussetzungen einer erfolgreichen ordentlichen verhaltensbedingten Kündigung nur für Arbeitnehmer, auf deren Arbeitsverhältnisse das KSchG anzuwenden ist. Nur ihre Kündigung muss sozial gerechtfertigt sein.
Praxistipp:
Die KSchG-Kündigungsgründe stehen für den Arbeitgeber nicht zur freien Auswahl. Jeder hat seine besonderen Voraussetzungen. Keiner von ihnen kann dadurch umgangen werden, dass man sich einfach für einen anderen Kündigungsgrund entscheidet, wenn die Voraussetzungen für den zunächst angenommenen nicht vorliegen. Nur dann, wenn alle Voraussetzungen eines Kündigungsgrunds erfüllt sind, wird er Arbeitgeber mit der Beendigung des Arbeitsverhältnisses Erfolg haben.
Eine verhaltensbedingte Kündigung kann ordentlich (Regelfall) oder außerordentlich (Ausnahmefall) erklärt werden. Greift das KSchG nicht, hat kein Arbeitnehmer die Möglichkeit, die Sozialwidrigkeit einer verhaltensbedingten ordentlichen Kündigung feststellen zu lassen. Im Geltungsbereich des KSchG geht eine verhaltensbedingte allerdings nur durch, wenn sie nach § 1 Abs. 2 Satz 1 KSchG sozial gerechtfertigt ist. Ein verhaltensbedingter Kündigungsgrund kann immer dann angenommen werden, wenn der Anlass für die Kündigung in einem vertragswidrigen Tun oder Unterlassen des Arbeitnehmers liegt und in seine Sphäre fällt.
2. Zwei Alternativen: ordentliche oder außerordentliche Kündigung
Die Beendigung eines Arbeitsverhältnisses wegen eines Grunds, der im Verhalten eines Mitarbeiters liegt, kann als Kündigung grundsätzlich auf zwei Wegen erfolgen. Der Arbeitgeber kann
entweder eine ordentliche (fristgemäße)
oder außerordentliche (fristlose)
Kündigung aussprechen. Die Einzelheiten zu diesen beiden Kündigungsarten sind in den Stichwörtern Kündigung - ordentliche: Allgemeines ff. und Kündigung - außerordentliche: Allgemeines ff. hinterlegt. Probleme bei der Abgrenzung beider Rechtsinstitute werden in den Stichwörtern Kündigung - außerordentliche: Abgrenzung und Kündigung - ordentliche: Abgrenzung erörtert.
Praxistipp:
Als einfachere Möglichkeit, sich wegen eines verhaltensbedingten Kündigungsgrunds von einem Mitarbeiter zu trennen, kommt ein Aufhebungsvertrag in Betracht. Den Vorteilen dieses Aufhebungsvertrags für den Arbeitgeber stehen auf Seiten des Arbeitnehmers jedoch handfeste Nachteile gegenüber: Die Bundesagentur für Arbeit kann nach Maßgabe des § 159 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1, Abs. 3 SGB III wegen Arbeitsaufgabe eine Sperrzeit von maximal zwölf Wochen verhängen (mehr dazu in den Stichwörtern Aufhebungsvertrag - Allgemeines ff.)
Ordentliche und außerordentliche Kündigung schließen sich in der Regel aus. Die außerordentliche Kündigung verlangt im Gegensatz zur ordentlichen verhaltensbedingten Kündigung einen wichtigen Grund im Sinn des § 626 Abs. 1 BGB. Daher können Tatsachen, die "nur" eine ordentliche Kündigung rechtfertigen würden, niemals ein Grund für eine außerordentliche Kündigung sein (umgekehrt allerdings schon, weil der Arbeitgeber als milderes Mittel an Stelle der fristlosen immer eine fristgemäße Kündigung erklären kann).
3. Kündigungen außerhalb des Kündigungsschutzgesetzes
Das BAG beurteilt die Voraussetzungen einer außerordentlichen verhaltensbedingten Kündigung allein nach § 626 BGB. Hier kommt es nicht darauf an, ob das Arbeitsverhältnis des fristlos gekündigten Mitarbeiters in den KSchG-Anwendungsbereich fällt. Die rechtliche Prüfung - einschließlich Interessenabwägung und Ultima-Ratio-Prinzip - verläuft jedoch überwiegend gleich. Bei der außerordentlichen Kündigung muss es dem Arbeitgeber allerdings unzumutbar sein, bis zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses noch eine Frist einzuhalten (s. dazu die Stichwörter Kündigung - außerordentliche: Allgemeines ff.).
Dort, wo das Kündigungsschutzgesetz nicht anwendbar ist (s. dazu Gliederungspunkt 4.), muss eine ordentliche verhaltensbedingte Kündigung im Prinzip nur
form- und
fristgerecht
sein. Der Arbeitgeber hat natürlich auch hier den besonderen Kündigungsschutz zu beachten (s. dazu die Auflistung im Stichwort Kündigung - personenbedingt: besonderer Kündigungsschutz).
Praxistipp:
Der Arbeitgeber braucht für eine Kündigung außerhalb des KSchG keinen besonderen Grund zu haben. Daher sollte er im Kündigungsschreiben auch keinen angeben. Der Satz "Sehr geehrte/r Herr/Frau ..., ich kündige Ihr Arbeitsverhältnis hiermit fristgemäß zum ..." genügt.
Eine ordentliche verhaltensbedingte Kündigung ist außerhalb des Kündigungsschutzgesetzes - wenn kein Fall des § 626 Abs. 1 BGB vorliegt - recht einfach durchzubekommen. Daher sollte vor jeder Kündigung unbedingt geprüft werden, ob das KSchG überhaupt Anwendung findet. Außerhalb des KSchG-Anwendungsbereichs kann ein Arbeitnehmer nämlich keine Kündigungsschutzklage mit dem Ziel erheben, die Sozialwidrigkeit seiner Kündigung feststellen zu lassen. Trotzdem passieren auch hier immer wieder Fehler, weil Arbeitgeber einfach die Formalien nicht beachten.
4. Kündigungen innerhalb des Kündigungsschutzgesetzes
Damit Arbeitnehmer Kündigungsschutz nach dem KSchG haben, müssen sie
ohne Unterbrechung länger als sechs Monate
in einem Betrieb mit mehr als zehn Arbeitnehmern (ab 01.01.2004, bis 31.12.2003 mehr als fünf)
arbeiten (§§ 1 Abs. 1, 23 KSchG und das Stichwort Kündigungsschutz - Allgemeines).
Haben Arbeitnehmer Kündigungsschutz nach dem KSchG, muss ihre Kündigung sozial gerechtfertigt sein, § 1 Abs. 2 Satz 1 KSchG. Das ist sie, wenn sie durch Gründe,
die in der Person oder
in dem Verhalten des Arbeitnehmers liegen,
oder durch dringende betriebliche Erfordernisse, die einer Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers im Betrieb entgegenstehen,
bedingt ist (§ 1 Abs. 2 Satz 1 KSchG). Das KSchG sagt selbst nichts zu den inhaltlichen Anforderungen einer ordentlichen verhaltensbedingten Kündigung. Das BAG hat dazu in einer Vielzahl von Entscheidungen mehrere Voraussetzungen aufgestellt. Da die Rechtsprechung an die drei KSchG-Kündigungsgründe unterschiedliche Anforderungen stellt, ist eine saubere Abgrenzung der verschiedenen Tatbestände wichtig.
Beispiel:
Arbeitnehmer N 1 kommt wiederholt zu spät zur Arbeit. Arbeitgeber A1 kündigt N "betriebsbedingt", weil das Zuspätkommen des N1 die pünktliche Aufnahme der Produktion verhindert und er "solche Leute" in seinem Betrieb nicht gebrauchen kann. Arbeitnehmer N2 nimmt seine Arbeit ebenfalls des Öfteren mit Verspätung auf. Arbeitgeber A2 hält N2 für einen "notorischen Bummelanten", dem die Unpünktlichkeit "im Blut liegt". Er kündigt personenbedingt.
Sowohl A1 als auch A2 haben einen Fehler gemacht. Der wahre Kündigungsgrund bei N1 und N2 ist die wiederholte Verletzung ihrer arbeitsvertraglichen Pflichten - nämlich das häufige Zuspätkommen. Diese Pflichtverletzung ist ein Grund, der eindeutig im Verhalten der zu spät kommenden Arbeitnehmer liegt. Eine betriebs- oder personenbedingte Kündigung scheidet damit aus. A1 und A2 können auch nicht deshalb betriebs- oder personenbedingt kündigen, um so das Abmahnerfordernis zu umgehen. Der Arbeitgeber muss einen störenden Arbeitnehmer nämlich im Regelfall vor Ausspruch einer verhaltensbedingten Kündigung abmahnen.
Verhaltensbedingte Kündigungsgründe stammen immer aus der Sphäre des Arbeitnehmers. Weitere Kriterien zur Abgrenzung der KSchG-Kündigungsgründe - insbesondere bei Misch- und Gesamttatbeständen - werden im Stichwort Kündigung - personenbedingt: Abgrenzung angesprochen.
5. Rechtsprechungs-ABC
An dieser Stelle werden einige der interessantesten Entscheidungen zu Abgrenzungsfragen bei einer verhaltensbedingten Kündigung nach Stichwörtern geordnet in alphabetischer Reihenfolge hinterlegt:
5.1 Abgrenzung
Eine Schlechtleistung kann sowohl personen- als auch verhaltensbedingte Ursachen haben. Bei Prüfung der sozialen Rechtfertigung einer Kündigung ist zunächst zu klären, in welchen Bereich die vom Arbeitgeber angeführten Kündigungsgründe fallen. Personenbedingt sind Kündigungsgründe, die auf einer Störquelle beruhen, die in den persönlichen Eigenschaften oder Verhältnissen des Arbeitnehmers liegt. Ein verhaltensbedingter Grund liegt dagegen vor, wenn "der Arbeitnehmer seine mangelnde Leistung steuern kann" (LAG Baden-Württemberg, 06.09.2006 - 13 Sa 84/05).
5.2 Einheitliche Betrachtungsweise
Führt die isolierte Prüfung nicht schon zu dem Ergebnis, dass die Kündigung des Arbeitgebers bereits auf Grund einer dieser Kündigungsgründe sozial gerechtfertigt ist, müssen die Arbeitsgerichte im Rahmen einer "einheitlichen Betrachtungsweise (...) prüfen, ob die einzelnen Kündigungsgründe zumindest in ihrer Gesamtheit Umstände darstellen, die bei verständiger Würdigung in Abwägung der Interessen der Arbeitsvertragsparteien und des Betriebes die ordentliche arbeitgeberseitige Kündigung doch als sozial gerechtfertigt oder die außerordentlich Kündigung als wirksam erscheinen lassen" (LAG Hamm, 04.06.1998 - 17 Sa 2391/97).
5.3 Mehrere Gründe
Stützt der Arbeitgeber seine Kündigung auf mehrere Gründe, muss das Gericht zunächst prüfen, ob jeder Sachverhalt für sich allein geeignet ist, die Kündigung zu stützen. Ziel dieser Prüfung ist die Feststellung, ob ein Sachverhalt bei isolierter Betrachtung zur sozialen Rechtfertigung der Kündigung führt. Erst danach ist im Weg einer einheitlichen Betrachtungsweise zu prüfen, ob die einzelnen Kündigungsgründe in ihrer Gesamtheit"Umstände darstellen, die bei verständiger Würdigung in Abwägung der Interessen der Vertragsparteien und des Betriebes die Kündigung als billigenswert und angemessen erscheinen lassen" (BAG, 20.11.1997 - 2 AZR 643/96).
5.4 Mischtatbestand
§ 1 Abs. 2 Satz 1 KSchG sieht vor, dass eine sozial gerechtfertigte Kündigung betriebs-, personen- oder verhaltensbedingt sein muss. Greift eine Kündigung in zwei oder alle drei der in § 1 Abs. 2 Satz 1 KSchG aufgeführten Bereiche, liegt ein kündigungsrechtlicher Mischtatbestand vor. Der Prüfungsmaßstab richtet sich in Fällen dieser Art danach, aus welchem der gesetzlich genannten Bereiche - Betrieb, Person, Verhalten - die Störung primär kommt. Dabei bleiben Ursachen, die nur am Rande mit der Beeinträchtigung zu tun haben, außer Betracht (BAG, 18.09.2008 - 2 AZR 976/06).
5.5 Tendenzbetrieb
Die §§ 102 f. BetrVG gelten nach § 118 Abs. 1 Satz 1 BetrVG nicht für Tendenzbetriebe, "soweit die Eigenart des Unternehmens oder des Betriebs dem entgegensteht". Bei einem Tendenzträger sind allerdings Kündigungen denkbar, deren Ursache sowohl tendenzbedingte als auch tendenzneutrale Gründe sind. Tendenzneutrale Mängel- und Pflichtverstöße liegen vor, wenn der arbeitsvertragliche Pflichtenverstoß keinen unmittelbaren Bezug zum verfolgten Tendenzzweck hat. "Bei 'Mischtatbeständen', also bei einem Kündigungsgrund, der tendenz- und nicht tendenzbezogene Aspekte aufweist, wird man hingegen vom Zustimmungserfordernis des Betriebsrats absehen müssen, ansonsten könnte die Tendenzverwirklichung erheblich beeinträchtigt werden" (BAG, 28.08.2003 - 2 ABR 48/02).
5.6 Verdachtskündigung - 1
Verdachtskündigungen sind immer personenbedingte Kündigungen. Eine Verdachtskündigung wird also nicht deshalb zu einer verhaltensbedingten Kündigung, weil der Arbeitnehmer "die entscheidungserheblichen Verdachtsmomente selbst gesetzt hat." Macht sich ein Arbeitnehmer durch ein für sich genommen pflichtwidriges Verhalten einer weitergehenden, schwerwiegenden Pflichtverletzung bloß verdächtig, ist das keine eigenständige Pflichtverletzung. Ist das auffällige Tun des Arbeitnehmers für sich genommen keine Pflichtverletzung und kann ihm eine Tat nicht nachgewiesen werden, "kommt - unter den weiteren Voraussetzungen einer Verdachtskündigung - allenfalls eine personenbedingte Kündigung in Betracht" (BAG, 31.01.2019 - 2 AZR 426/18).
5.7 Verdachtskündigung - 2
Das Arbeitsverhältnis ist ein personenbezogenes Dauerschuldverhältnis und setzt insoweit ein gewisses gegenseitiges Vertrauen der Vertragspartner voraus (s. dazu BAG, 14.09.1994 - 2 AZR 164/94). Der schwerwiegende Verdacht einer Pflichtverletzung ist geeignet, dieses vertragsnotwendige Vertrauen zu neutralisieren. Er führt zu einem Eignungsmangel, "der einem verständig und gerecht abwägenden Arbeitgeber die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses unzumutbar macht" (s. dazu BAG, 21.11.2013 - 2 AZR 797/11 - und BAG, 05.04.2001 - 2 AZR 217/00). Dabei stellt der Verdacht einer Pflichtverletzung gegenüber dem verhaltensbedingten Vorwurf, der Arbeitnehmer habe die Pflichtverletzung tatsächlich begangen, einen eigenständigen Kündigungsgrund dar (s. dazu BAG, 18.06.2015 - 2 AZR 256/14). "Der Verdacht kann eine ordentliche Kündigung aus Gründen in der Person des Arbeitnehmers bedingen" (BAG, 31.01.2019 - 2 AZR 426/18).
Siehe auch
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