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Welche Fragen Arbeitgeber auch zum Thema Sozialversicherungsrecht bewegen: Die Rechtsdatenbank der AOK liefert die Antworten – einfach, fundiert und topaktuell.

Freistellung - Erkrankung eines Kindes
Freistellung - Erkrankung eines Kindes
Inhaltsübersicht
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Information
1. Allgemeines
Beantragt ein Arbeitnehmer die Freistellung zur Betreuung seines kranken Kindes, stellt sich die Frage, ob und nach welchen Modalitäten (bezahlt/unbezahlt) der Betrieb dem entsprechen muss. Der Beitrag informiert sie darüber, was zu beachten ist.
Die Mitnahme erkrankter und betreuungsbedürftiger Kinder zur Arbeitsstelle einer Altenpflegefachkraft kann wegen der Ansteckungsgefahr eine Verletzung der arbeitsvertraglichen Pflichten darstellen. Ein solches Verhalten rechtfertigt aber keine fristlose Kündigung (ArbG Siegburg, 04.09.2019 – 3 Ca 642/19). Zugunsten der Arbeitnehmerin wertete das Gericht, dass sie ihre Kinder mitgenommen habe, um ihre Arbeitspflicht trotz der Betreuungsbedürftigkeit erfüllen zu können und die Alternative hierzu ein Unterlassen der Arbeitsleistung gewesen wäre.
Von der Freistellung zur Betreuung eines kranken Kindes zu unterscheiden ist die Notwendigkeit einer Betreuung, weil der Kindergarten oder die Schule wegen der Corona-Pandemie geschlossen ist. Siehe hierzu Freistellung - Sozialversicherung.
2. Bezahlte Freistellung nach § 616 BGB
2.1 Allgemeines
Nach § 616 Satz 1 BGB verliert ein Arbeitnehmer seinen Anspruch auf Vergütung nicht dadurch, dass er für eine verhältnismäßig nicht erhebliche Zeit durch einen in seiner Person liegenden Grund und ohne sein Verschulden an der Arbeitsleistung verhindert wird. Der Anspruch aus § 616 BGB ist gegenüber dem Freistellungsanspruch nach § 45 SGB V vorrangig.
Praxistipp:
Soweit ein Anspruch auf bezahlte Freistellung besteht, muss der Arbeitgeber aufgrund § 107 SGB IV dies der Krankenkasse im Rahmen des Datenträgeraustauschs Entgeltersatzleistungen mitteilen. Anzugeben ist auch für wieviel Arbeitstage die Vergütung weitergezahlt wird.
2.2 Voraussetzungen
Für den Anspruch nach § 616 BGB müssen folgende Voraussetzungen erfüllt sein:
Es muss sich um einen in der Person des Mitarbeiters liegenden Grund handeln. Dies ist auch der Fall, wenn die Gründe nicht unmittelbar in der Person, sondern in den persönlichen Verhältnissen liegen. Dazu zählt auch die Pflege naher Angehöriger, insbesondere von Kindern (BAG, 20.06.1979 - 5 AZR 479/77).
Als Richtwert für das Höchstalter der Kinder können die Grenzen nach § 45 Abs. 1 SGB V herangezogen werden. Danach darf das Kind das zwölfte Lebensjahr noch nicht vollendet haben oder es muss behindert und auf Hilfe angewiesen sein. Es handelt sich dabei jedoch nicht um eine starre Altersgrenze. Der arbeitsrechtliche Anspruch kann im Einzelfall daher auch gegeben sein, wenn das Kind älter ist.
Der Angehörige muss auf die Pflege durch den Mitarbeiter angewiesen sein. Dies setzt zum einen voraus, dass die Beaufsichtigung, Betreuung oder Pflege wegen der Erkrankung medizinisch notwendig ist. Zum anderen dürfen andere geeignete Personen nicht zur Verfügung stehen (BAG, 19.04.1978 - 5 AZR 834/76). Letzteres ergibt sich aus der allgemeinen arbeitsrechtlichen Obliegenheit des Arbeitnehmers, sich nach Kräften um eine Vermeidung bzw. Verminderung des Arbeitsausfalls zu bemühen.
Sind beide Elternteile berufstätig, können sie entscheiden, wer die Pflege übernimmt.
Praxistipp:
Der Arbeitnehmer muss seine Arbeitsverhinderung dem Arbeitgeber unverzüglich mitteilen. Dies ergibt sich als arbeitsvertragliche Nebenpflicht aus dem Grundsatz von Treu und Glauben (§ 242 BGB). Lassen Sie sich die medizinische Notwendigkeit der Betreuung im Zweifel durch ein ärztliches Attest nachweisen. Dass andere Personen nicht zur Verfügung stehen, können Sie sich durch eine schriftliche Erklärung des Mitarbeiters bestätigen lassen.
Die Zeit der Arbeitsverhinderung darf verhältnismäßig nicht erheblich sein.
Geht der Arbeitsausfall über diese zeitliche Grenze hinaus, entfällt der Vergütungsanspruch in der Regel insgesamt. Bei der Pflege erkrankter Angehöriger wurde vom BAG (19.04.1978 - 5 AZR 834/76 und 07.06.1978 – 5 AZR 466/77) in Anlehnung an die damals festgelegte Dauer des Anspruchs auf Kinderpflege-Krankengeld ein Zeitraum von bis zu fünf Arbeitstagen als verhältnismäßig nicht erheblich angesehen. Ob entsprechend der Ausdehnung dieses Anspruchs jetzt zehn Tage als verhältnismäßig nicht erheblich berücksichtigt werden können, ist höchstrichterlich noch nicht entschieden worden. Nach der Rechtsprechung (BAG, 17.12.1959 – GS 2/59 – Rn. 47) gibt es jedoch keine starre Konkretisierung des unbestimmten Begriffes "nicht erhebliche Zeit". Entscheidend soll im Einzelfall die bisherige Dauer des Arbeitsverhältnisses in Relation zur Dauer der Verhinderung sein. Arbeitnehmer, die erst kurze Zeit im Betrieb arbeiten, können danach also einen geringeren Anspruch auf Freistellung haben als langjährige Mitarbeiter. In der arbeitsrechtlichen Literatur wird in Bezug auf die Frist nach § 45 Abs. 2 SGB V und § 2 Abs. 1 PflegeZG die Auffassung vertreten, dass der Vergütungsanspruch für zehn Tage erhalten bleiben sollte (siehe aber z.B. ErfK, 18. Auflage 2018/ Preis, Rn. 10a zu § 616 (im Gegensatz zur 13. Aufl. [10 Tage] offen gelassen). Teilweise wird auch die Meinung vertreten, bei Pflege von Angehörigen seien bis zu fünf Tagen verhältnismäßig nicht erheblich (siehe Henssler/Willemsen/Kalb 9. Auflage 2020/Krause/§ 616 BGB, Rn. 42). Zur Begründung wird die Rechtsprechung des BAG herangezogen (BAG, 19.04.1978 – 5 AZR 834/76). Das Urteil nimmt seinerseits zur Begründung der Anspruchsdauer Bezug auf den früheren § 185c RVO, der eine Freistellung bei Erkrankung eines Kindes für fünf Tage regelte. Dieser Anspruch wurde später auf zehn Tage ausgedehnt. Diese Ausdehnung soll nach der Kommentierung jedoch nicht für den Anspruch nach § 616 BGB präjudizierend wirken.
In der arbeitsrechtlichen Literatur ist anerkannt, dass - abweichend von den allgemeinen Grundsätzen - bei längerer Verhinderungsdauer nach Ablauf des Anspruchs nach § 616 BGB die unbezahlte Freistellung nach § 45 SGB V in Anspruch genommen werden kann, ohne dass der Vergütungsanspruch für die ersten Tage erlischt.
2.3 Vorrang tariflicher Regelungen
Der Anspruch auf Freistellung und Entgeltfortzahlung bei Verhinderung aus persönlichen Gründen ist in vielen Tarifverträgen detailliert festgelegt. Diese kollektiven Regelungen gehen § 616 BGB vor, auch wenn sie für den Arbeitnehmer ungünstiger sind (st. Rechtsprechung, vgl. BAG, 18.01.2001 - 6 AZR 492/99).
Beispiel:
Nach § 29 Abs. 1 TVöD hat der Arbeitnehmer unter bestimmten Voraussetzungen einen Anspruch auf bezahlte Freistellung für bis zu vier Arbeitstage je Kalenderjahr bei schwerer Erkrankung eines Kindes, das das zwölfte Lebensjahr noch nicht vollendet hat, wenn im laufenden Kalenderjahr kein Anspruch nach § 45 SGB V besteht. Muss ein weiteres Kind gepflegt werden, gilt die tariflich ergänzend festgelegte Obergrenze von fünf Arbeitstagen im Kalenderjahr (siehe auch BAG, 05.08.2014 – 9 AZR 878/12).
Praxistipp:
Zur Auslegung tarifvertraglicher Klauseln im Zusammenhang mit bezahlter Freistellung siehe auch das Gemeinsame Rundschreiben der Krankenkassen zum Krankengeld bei Erkrankung des Kindes gemäß § 45 SGB V und zum Kinderverletztengeld gem. § 45 Abs. 4 SGB VII vom 07.12.2017 i.d.F. vom 18./19.06.2019.
2.4 Vorrang einzelvertraglicher Bestimmungen
Seltener gibt es in Einzelarbeitsverträgen Festlegungen für den Fall persönlicher Verhinderung. Sofern entsprechende vertragliche Klauseln existieren, sind auch diese vorrangig vor § 616 Abs. 1 BGB.
3. Bezahlte Freistellung nach § 19 BBiG
Auszubildende haben einen Anspruch auf Fortzahlung der Vergütung für bis zu sechs Wochen, wenn sie aus einem sonstigen, in ihrer Person liegenden Grund unverschuldet verhindert sind, ihre Pflichten aus dem Ausbildungsvertrag zu erfüllen (§ 19 Abs. 1 Nr. 2b BBiG). Von den Voraussetzungen her entspricht die Regelung dem § 616 Abs. 1 BGB; insbesondere ist die Pflege eines Angehörigen in beiden Fällen als ein in der Person des Arbeitnehmers bzw. Auszubildenden liegender Grund anzusehen (so zumindest die Auffassung der Spitzenverbände der Krankenkassen - vgl. TOP 3 Besprechungsergebnis vom 16.12.2008).
Im Gegensatz zu § 616 Abs. 1 BGB ist der Anspruch nach § 19 Abs. 1 BBiG aber nicht abdingbar (§ 25 BBiG). Deshalb besteht bei notwendiger Pflege eines erkrankten Kindes für Auszubildende ein Anspruch auf bezahlte Freistellung für bis zu sechs Wochen. Dieser ist gegenüber den Ansprüchen auf unbezahlte Freistellung und Krankengeld nach § 45 SGB V vorrangig.
Dies gilt für alle Mitarbeiter, deren Vertragsverhältnis als Berufsbildung im Sinne des § 1 Abs. 1 BBiG anzusehen ist. Dazu zählen neben der Berufsausbildung auch die Berufsausbildungsvorbereitung, die berufliche Fortbildung und die berufliche Umschulung.
4. Unbezahlte Freistellung nach § 45 SGB V
4.1 Anspruch auf Krankengeld
Bedingung für die arbeitsrechtliche Freistellung von der Arbeitspflicht ist der Anspruch auf Krankengeld (§ 45 Abs. 3 und 4 SGB V). Dafür müssen folgende Voraussetzungen vorliegen:
Die Beaufsichtigung, Betreuung oder Pflege seines erkrankten und versicherten Kindes muss laut ärztlichem Attest notwendig sein und das Mitglied der Krankenkasse muss deswegen der Arbeit fernbleiben. Das erforderliche Attest kann auch im Rahmen einer Video-Sprechstunde ausgestellt werden, wenn der Patient dem Arzt bekannt ist und die Art der Erkrankung dies nicht ausschließt. Dies entscheidet der Arzt im Einzelfall im Rahmen seiner Sorgfaltspflichten.
Als Kinder in diesem Sinne gelten auch Stiefkinder, Pflegekinder und Enkel, die von dem Versicherten überwiegend unterhalten werden und in dessen Haushalt leben, außerdem auch Pflegekinder und Kinder in Adoptivpflege.
Eine andere in dem Haushalt lebende Person kann die Betreuung nicht übernehmen.
Das Kind ist noch nicht zwölf Jahre alt oder behindert und auf Hilfe angewiesen.
Kinder gehören im Rahmen des Besuches einer Kindertagesstätte oder einer ähnlichen Einrichtung sowie beim Schulbesuch der gesetzlichen Unfallversicherung an. Soweit sie in diesem Zusammenhang einen Arbeitsunfall erleiden, besteht unter den oben genannten Voraussetzungen für einen Arbeitnehmer, der die Betreuung des Kindes übernommen hat, Anspruch auf Verletztengeld gegen die Unfallversicherung (§ 45 Abs. 4 SGB VII). Das Krankengeld wird von der Krankenkasse des Arbeitnehmers gezahlt.
4.2 Anspruch auf Freistellung
Besteht nach den genannten Regelungen Anspruch auf Kranken- bzw. Verletztengeld, zieht dies einen Rechtsanspruch auf unbezahlte Freistellung von der Arbeitsleistung nach sich (§ 45 Abs. 3 SGB V, § 45 Abs. 4 SGB VII). Dieser Anspruch ist nicht abdingbar. Der Arbeitnehmer muss seine Arbeitsverhinderung auch in diesem Fall dem Arbeitgeber unverzüglich mitteilen. Dies ergibt sich als arbeitsvertragliche Nebenpflicht aus dem Grundsatz von Treu und Glauben (§ 242 BGB).
Praxistipp:
Dass Anspruch auf Kranken- bzw. Verletztengeld besteht, können Sie sich durch eine Bescheinigung der Krankenkasse nachweisen lassen.
Falls die Krankenkasse den Antrag ablehnt, nachdem der Mitarbeiter bereits freigestellt war, können die Tage der (unberechtigten) Beurlaubung auf die Höchstdauer (siehe Abschnitt 3) einer späteren Freistellung angerechnet werden.
Macht der Mitarbeiter von seinem Recht auf Freistellung Gebrauch, darf er dadurch keine Nachteile erleiden. Insbesondere würde eine damit unmittelbar zusammenhängende Kündigung gegen das Maßregelungsverbot nach § 612a BGB verstoßen und wäre daher nach § 134 BGB nichtig. Für den kausalen Zusammenhang ist der Arbeitnehmer beweispflichtig; jedoch kann eine Beweiserleichterung durch Anscheinsbeweis bestehen, wenn ein offensichtlicher Zusammenhang zwischen der benachteiligenden Maßnahme und der Inanspruchnahme der Freistellung besteht. Darüber hinaus liegt in der Mitteilung einer Erkrankung des Kindes und der daraus resultierenden Notwendigkeit der Betreuung noch keine Rechtsausübung i.S.d. § 612a BGB. Diese würde vorliegen, wenn der Arbeitgeber – rechtswidrig - die Freistellung nicht erlaubt und der Arbeitnehmer dann eigenmächtig zu Hause bleibt (LAG Rheinland-Pfalz, 08.11.2016 – 8 Sa 152/16).
Steht eine Kündigung während der Freistellung jedoch nicht damit im Zusammenhang, ist diese auch im Rahmen der maßgebenden arbeitsrechtlichen Regelungen zulässig. Daher kann auch einem Arbeitnehmer in der Probezeit auch gekündigt werden, wenn er zu diesem Zeitpunkt wegen der Beaufsichtigung, Betreuung oder Pflege eines Kindes Krankengeld erhält und daher von der Arbeitsleistung freigestellt ist (LAG Rheinland-Pfalz, a.a.O.).
4.3 Mitarbeiter ohne Anspruch auf Krankengeld
Der Freistellungsanspruch gilt auch für Mitarbeiter, die ohne Anspruch auf Krankengeld gesetzlich oder privat krankenversichert sind. Bedingung dafür ist, dass die gleichen Voraussetzungen wie oben in Abschnitt 4.1 dargestellt, erfüllt sind.
4.4 Erkrankung während Erholungsurlaubs
Wird ein Kind während des Erholungsurlaubs eines Arbeitnehmers krank und muss es nach ärztlichem Attest gepflegt werden, besteht nach einem Urteil des LAG Berlin-Brandenburg (10.11.2010 – 11 Sa 1475/10) kein Anspruch auf Nachgewährung des Urlaubs. Vielmehr erlischt der Anspruch auf Erholungsurlaub im Umfang seiner Bewilligung, wenn zeitgleich eine Arbeitsfreistellung nach § 45 Abs. 3 SGB V geltend gemacht und der Verdienstausfall durch Krankengeld ersetzt wird. Die finanziellen Nachteile kann der Arbeitnehmer nur vermeiden, indem er die unbezahlte Freistellung nach § 45 Abs. 3 SGB V nicht geltend macht und somit in dieser Zeit Erholungsurlaub und die entsprechende Vergütung in Anspruch nimmt. § 9 BUrlG (Arbeitsunfähigkeit während eines Erholungsurlaubs) ist nach Meinung des Gerichts nicht analog anzuwenden.
Darüber hinaus hat der Arbeitnehmer das Risiko, urlaubsstörender Ereignisse zu tragen (BAG, 09.08.1994 - 9 AZR 384/92).
4.5 Dauer der Freistellung
Für jedes Kind beträgt der Anspruch auf Freistellung in jedem Jahr zehn Arbeitstage, insgesamt (d.h. bei mehreren Kindern) 25 Arbeitstage. Sind beide Elternteile berufstätig, haben beide Anspruch für das gleiche Kind bis zu der genannten Höchstdauer. Allerdings kann immer nur ein Elternteil die Freistellung bei einer Erkrankung beantragen, da bei paralleler Inanspruchnahme die Voraussetzung, dass eine andere, im Haushalt lebende Person die Betreuung nicht übernehmen kann, für den zweiten Elternteil nicht mehr erfüllt ist.
Praxistipp:
Sie können sich von dem Mitarbeiter schriftlich bestätigen lassen, dass der andere Elternteil keine Freistellung in Anspruch nimmt.
Hat der Arbeitnehmer seine Freistellung von zehn Tagen bereits ausgeschöpft, kann er den Freistellungsanspruch des anderen Elternteils auf sich übertragen lassen. Dies ist jedoch nur mit Einverständnis beider Arbeitgeber möglich.
Für Alleinerziehende beträgt der kalenderjährliche Anspruch je Kind 20, insgesamt 50 Arbeitstage.
Durch Art. 3 Nr. 1 und Art. 4 des Gesetzes für ein Zukunftsprogramm Krankenhäuser (Krankenhauszukunftsgesetz – KHZG) vom 23.10.2020 (BGBl. I Nr. 48 S. 2208) wird für das Jahr 2020 der Anspruch auf Freistellung für jedes Kind auf längstens 15 Arbeitstage, für Alleinerziehende auf 30 Arbeitstage erhöht. Insgesamt (bei mehreren Kindern) besteht der Anspruch für maximal 35 Arbeitstage, für Alleinerziehende für maximal 70 Arbeitstage. Vor dem Hintergrund der Corona-Pandemie soll mit der zeitlich begrenzten Ausdehnung des Leistungszeitraums der Situation Rechnung getragen werden, dass die Betreuung, Beaufsichtigung oder Pflege eines erkrankten Kindes im Zusammenhang mit dem Infektionsgeschehen häufiger erforderlich sein kann (BT-Drs. 19/22126 S. 54).
Der Anspruch auf Krankengeld besteht bei Betreuung schwerstkranker Kinder (mit unheilbarer Krankheit im Endstadium) für ein Elternteil zeitlich unbegrenzt (Einzelheiten siehe § 45 Abs. 4 SGB V). Dies gilt auch für den Anspruch auf Freistellung von der Arbeitsleistung.
5. Sonstige Ansprüche auf Freistellung
5.1 Freistellung nach dem Pflegezeitgesetz
Eine Freistellung ist auch möglich, wenn ein Beschäftigter einen minderjährigen pflegebedürftigen nahen Angehörigen in häuslicher oder außerhäuslicher Umgebung betreut (§ 3 Abs. 5 PflegeZG). Zu den nahen Angehörigen zählen u.a.
Kinder, Adoptiv- oder Pflegekinder,
Kinder, Adoptiv- oder Pflegekinder des Ehegatten oder Lebenspartners,
Enkelkinder (§ 7 Abs. 3 PflegeZG).
Sie müssen darüber hinaus minderjährig, also unter 18 Jahre alt sein. Der Anspruch gilt nur gegenüber Betrieben, die in der Regel mehr als 15 Beschäftigte haben. Sind die Voraussetzungen erfüllt, hat der Arbeitnehmer einen Rechtsanspruch auf die Freistellung. Der Anspruch ist auf maximal sechs Monate befristet. Will der Mitarbeiter die Freistellung in Anspruch nehmen, muss er dies spätestens zehn Arbeitstage vor dem gewünschten Beginn mitteilen und dabei angeben, für welche Zeit er beurlaubt werden will und ob er ganz oder teilweise mit der Arbeit aussetzt. Bei teilweiser Freistellung ist auch anzugeben, wie die Arbeitszeit verteilt werden soll (§ 3 Abs. 3 PflegeZG).
Bei einer teilweisen Freistellung müssen Betrieb und Mitarbeiter eine schriftliche Vereinbarung über den Umfang der Verringerung und die Verteilung der Arbeitszeit treffen. Dabei ist zu beachten, dass in der Regel die Wünsche des Beschäftigten Vorrang haben. Nur bei dringenden betrieblichen Gründen kann der Betrieb die Vorschläge des Arbeitnehmers ablehnen.
Praxistipp:
Evtl. der Freistellung entgegenstehende betriebliche Gründe müssen dringend, also schwerwiegend sein. Ob dies der Fall ist, ist im Rahmen einer Güterabwägung zu entscheiden. Die entgegenstehenden betrieblichen Belange müssen zu einer nicht zumutbaren Überforderung führen. Davon kann nur ausgegangen werden, wenn sich durch die Umsetzung der Wünsche des Mitarbeiters erhebliche Beeinträchtigungen der Betriebsabläufe ergeben würden. Das im Gesetz enthaltene Merkmal "dringend" steigert die Anforderungen und kann mit den Worten "nahezu zwingend" oder "unabweisbar" umschrieben werden. Eine Ablehnung kommt daher nur in Ausnahmefällen in Betracht (Bundestags – Drucksachen 16/7439 S. 92 und 18/3086 S. 12).
Neben bzw. alternativ zur beschriebenen Freistellung kann der Mitarbeiter auch die normale Pflegezeit oder Familienpflegezeit in Anspruch nehmen. Die Gesamtdauer ist aber auf 24 Monate begrenzt. Zur Sicherung des Lebensunterhaltes kann der Beschäftigte ein zinsloses, staatliches Darlehn in Anspruch nehmen.
Weitere Einzelheiten siehe die Stichwörter "Pflegezeit".
5.2 Freistellung nach dem Familienpflegezeitgesetz
Unter den gleichen Voraussetzungen wie in Abschnitt 5 beschrieben, kann der Beschäftigte auch eine Freistellung nach dem FPfZG in Anspruch nehmen (§ 2 Abs. 5 FPfZG). Sie kann allerdings nicht vollständig erfolgen; die wöchentliche Arbeitszeit muss mindestens 15 Stunden betragen. Die Höchstdauer beträgt 24 Monate. Der Anspruch besteht nur gegenüber Betrieben, die in der Regel mehr als 25 Beschäftigte haben. Die Frist zur Ankündigung der Freistellung beträgt acht Wochen. Der Mitarbeiter muss dabei angeben, für welche Zeit er beurlaubt werden möchte, in welchem Umfang die Arbeitszeit reduziert werden und wie die Anwesenheitszeit verteilt werden soll. Auch hier ist mit dem Beschäftigten eine schriftliche Vereinbarung über die Verringerung und die Verteilung der Arbeitszeit zu treffen (§ 2a Abs. 2 FPfZG)
Im Hinblick auf die Corona-Pandemie hat der Gesetzgeber verschiedene Sonderregelungen erlassen. So kann im Jahr 2020 die wöchentliche Arbeitszeit vorübergehend auch weniger als 15 Stunden betragen. Durch das Zweite Gesetz zum Schutz der Bevölkerung bei einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite wurde § 16 FPfZG eingefügt. Danach gilt für eine Familienpflegezeit, die spätestens am 01.09.2020 beginnt, eine verkürzte Ankündigungsfrist. Die Anzeige an den Arbeitgeber muss spätestens zehn Arbeitstage vor dem gewünschten Beginn erfolgen. Durch das Gesetz für ein Zukunftsprogramm Krankenhäuser (Krankenhauszukunftsgesetz – KHZG) vom 23.10.2020 – BGBl. I Nr. 48 S. 2208) wurde die Regelung verlängert für Familienpflegezeiten, die spätestens am 01.12.2020 begonnen haben.
Auch hier gilt, dass zur Sicherung des Lebensunterhalts ein staatliches, zinsloses Darlehn in Anspruch genommen werden kann.
Weitere Einzelheiten siehe die Stichwörter "Familienpflegezeit".
5.3 Anspruch auf zeitlich begrenzte Verringerung der Arbeitszeit
Nach § 9a TzBfG haben Arbeitnehmer, deren Arbeitsverhältnis länger als sechs Monate besteht, einen Anspruch auf zeitlich begrenzte Verringerung der Arbeitszeit. Voraussetzung ist, dass der Arbeitgeber in der Regel mehr als 45 Arbeitnehmer beschäftigt. Größere Betriebe mit nicht mehr als 200 Mitarbeitern können den Antrag ablehnen, wenn sie überfordert sind, weil bereits eine gesetzlich festgelegte Anzahl von Arbeitnehmern ihre Arbeitszeit zeitlich begrenzt verringert hat Außerdem kann der Arbeitgeber den Antrag ablehnen, weil betriebliche Gründe entgegenstehen (§ 9a Abs. 2 TzBfG). Eines bestimmten Grundes für die Verringerung bedarf es nicht. Von der Regelung kann daher auch Gebrauch gemacht werden, um ein krankes Kind zu betreuen. Der Zeitraum der Verringerung muss aber mindestens ein Jahr betragen (§ 9a Abs. 1 TzBfG).
6. Datenschutz
Die Inanspruchnahme der Freistellung aufgrund der genannten Rechtsgrundlagen ist mit der Erhebung zusätzlicher Daten von dem Arbeitnehmer verbunden. Der Beschäftigten-Datenschutz ergibt sich aufgrund der Öffnungsklausel des Art. 88 DSGVO aus § 26 BDSG. Aber auch bei Anwendung dieser Vorschrift sind die generellen Vorgaben der DSGVO und des BDSG zu beachten.
Die Verarbeitung (dazu gehören z.B. das Erheben, Erfassen, Organisieren, Speichern, Löschen und Vernichten) der Daten von Beschäftigten ist nach § 26 Abs. 1 BDSG u.a. zulässig, soweit die Informationen im Zusammenhang mit der Durchführung des Beschäftigungsverhältnisses erforderlich sind. Wenn es aber um sehr sensible, z.B. gesundheitliche Informationen geht, ist die Erhebung solcher Daten nur unter den Voraussetzungen des § 26 Abs. 3 BDSG i.V.m. Art. 9 Abs. 1 DSGVO zulässig. Da die Freistellung mit einer Erkrankung im Zusammenhang steht, ist diese Vorschrift zu berücksichtigen. § 26 Abs. 3 BDSG lässt die Verarbeitung solcher Daten zur Erfüllung rechtlicher Pflichten aus dem Arbeitsrecht zu, wenn das schutzwürdige Interesse des Mitarbeiters an dem Ausschluss der Verarbeitung nicht überwiegt. Eine rechtliche Pflicht liegt vor, weil der Anspruch auf Freistellung geprüft werden muss. Da das schutzwürdige Interesse des Arbeitnehmers am Ausschluss der Verarbeitung abzuwägen ist und es daher im Streitfall zu einer anderen Würdigung der Umstände kommen kann, ist es zu empfehlen, eine ausdrückliche Einwilligung des Mitarbeiters zur Verarbeitung dieser Daten einzuholen (§ 26 Abs. 2 BDSG, Art. 9 Abs. 2 Buchst. a DSGVO). Zu beachten ist dabei, dass die Einwilligung nur rechtswirksam ist, wenn sie auf freiwilliger Basis gegeben wird.
Siehe auch
Familienpflegezeit - AllgemeinesFreistellung - AllgemeinesFreistellung - Gesetzliche AnsprücheFreistellung - SozialversicherungFreistellung - Tarifliche AnsprücheFreistellung (Personalwesen)Pflegezeit - Allgemeines