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Welche Fragen Arbeitgeber auch zum Thema Sozialversicherungsrecht bewegen: Die Rechtsdatenbank der AOK liefert die Antworten – einfach, fundiert und topaktuell.

Aufwendungsausgleich - Arbeitgebergröße
Aufwendungsausgleich - Arbeitgebergröße
Inhaltsübersicht
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- 2.
- 3.
- 4.
- 5.
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Information
1. Allgemeines
Der Ausgleich für schwangerschaftsbedingte Aufwendungen (§ 1 Abs. 2 AAG) gilt für alle Arbeitgeber - unabhängig von ihrer Betriebsgröße (s. dazu Gliederungspunkt 2.). Die Aufwendungen für die Entgeltfortzahlung nach §§ 3 Abs. 1 u. 2, 9 Abs. 1 EFZG werden dagegen nur Arbeitgebern erstattet, die "in der Regel ausschließlich der zu ihrer Berufsausbildung Beschäftigten nicht mehr als 30 Arbeitnehmer" beschäftigen (§ 1 Abs. 1 AAG; s. dazu Gliederungspunkt 3.). Das Gesetz nimmt größere Arbeitgeber mit mehr als 30 Arbeitnehmern ganz bewusst von seinen Vergünstigungen aus - und legt für die Feststellung der Mitarbeiterzahl eine verbindliche Zählweise fest (§ 3 Abs. 1 AAG; s. dazu Gliederungspunkt 4.).
Praxistipp:
Der Kreis um die Solidargemeinschaft der Arbeitgeber wird von Gesetzes wegen recht großflächig gezogen. § 1 Abs. 3 AAG sagt: "Am Ausgleich der Arbeitgeberaufwendungen nach den Absätzen 1 (U1-Verfahren) und 2 (U2-Verfahren) nehmen auch die Arbeitgeber teil, die nur Auszubildende beschäftigen."
Eine besondere Regelung gilt für Arbeitgeber, die ihren Betrieb erst im Vorjahr aufgenommen haben oder im laufenden Kalenderjahr aufnehmen (s. dazu Gliederungspunkt 5.). Geht es um das nach § 3 Abs. 1 Satz 2 AAG maßgebliche Kalenderjahr, nimmt der Arbeitgeber am Aufwendungsausgleich teil, "wenn er während des Zeitraums des Bestehens des Betriebs in der überwiegenden Zahl der Kalendermonate nicht mehr als 30 Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen beschäftigt hat." Für das laufende Kalenderjahr genügt nach § 3 Abs. 1 Satz 4 AAG die Annahme, dass die 30 "während der überwiegenden Kalendermonate dieses Kalenderjahres" nicht überschritten wird. Interessante Entscheidungen werden im Rechtsprechungs-ABC vorgestell (s. dazu Gliederungspunkt 6.).
2. Arbeitgeber
Das AAG enthält keine eigene Definition des Begriffs "Arbeitgeber". Allgemein gilt als Arbeitgeber jede natürliche oder juristische Person, die jemanden als Arbeitnehmer in einem Arbeitsverhältnis beschäftigt (s. dazu das Stichwort Arbeitgeber).
Der Begriff Arbeitgeber i.S.d. AAG ist umfassend zu verstehen. Die Gesamtzahl seiner Arbeitnehmer ist entscheidend, nicht die Größe oder Anzahl seiner Betriebe (s. dazu auch BSG, 16.12.1980 - 3 RK 18/78; BSG, 16.12.1980 - 3 RK 63/78):
Beispiele:
- (1)
Arbeitgeber A1 hat einen kleinen Handwerksbetrieb mit 7 Mitarbeitern im münsterländischen Havixbeck.
- (2)
Arbeitgeber A2 hat mehrere Lebensmittel-Filialen, die regional über das südliche Niedersachsen verstreut sind. Seine Verwaltungszentrale ist in Osnabrück. In keiner Filiale werden mehr als 25 Mitarbeiter beschäftigt.
- (3)
Arbeitgeber A3 ist ein bundesweit tätiges Bewachungsunternehmen, das als AG aufgestellt ist. Neben der Zentralverwaltung in Düsseldorf gibt es regionale Landeszentren und regionale Wachinstitute und Einsatzstellen. Während in den Einsatzsstellen vor Ort oft nur wenige Mitarbeiter tätig sind, arbeiten in den größeren Einheiten 20, 30, 50 und mehr Mitarbeiter.
A1 im Fall (1) ist sicherlich ein Arbeitgeber, der Aufwendungen nach § 1 Abs. 1 AAG erstattet bekommt. Bei A2 in Fall (2) könnte man vermuten, dass er auch in den Anwendungsbereich von § 1 Abs. 1 AAG fällt. Aber: Es kommt nicht auf die Mitarbeiter der einzelnen Filialen an, sondern auf die des Arbeitgebers A2. Und da fällt A2 aus der Regelung heraus. Das Gleiche gilt für A3 in Fall (3). Auch hier entscheidet nicht die jeweilige Betriebsgröße, sondern die Größe des Arbeitgebers. Die AG ist Arbeitgeber i.S.d. § 1 Abs. 1 AAG.
Bei der Erstattung von Aufwendungen nach § 1 Abs. 2 AAG - U2-Verfahren - gibt es die Problematik Größe des Arbeitgebers nicht. Hier sind alle Arbeitgeber - und zwar unabhängig von der Mitarbeiterzahl - anspruchsberechtigt - und verpflichtet, am U2-Verfahren teilzunehmen.
3. Arbeitnehmer, die nicht oder nur anteilig zählen
Will man die zutreffende Arbeitgebergröße ermitteln, muss man zunächst wissen, welche Personen überhaupt mitzählen. Die zu ihrer Berufsausbildung Beschäftigten, d.h. zum Beispiel
Umschüler und
Volontäre,
sind bereits nach § 1 Abs. 1 AAGausgenommen.
Praxistipp:
Nach dem Gesetz kommt es auf die "in der Regel" beschäftigten Mitarbeiter an. Wer zu den "in der Regel" Beschäftigten gehört, wird im Stichwort Kündigungsschutz - Betriebsgröße erläutert. Beim Aufwendungsausgleich ist auf die Berechnung nach § 3 Abs. 1 Satz 2 bis 7 AAG zu achten.
Schwerbehinderte Menschen i.S.d. SGB IX bleiben ebenfalls außer Ansatz (§ 3 Abs. 1 Satz 5 AAG). Schwerbehindert ist, wer einen Grad der Behinderung - GdB - von wenigstens 50 hat (§ 2 Abs. 2 SGB IX). Aber nicht nur sie, auch die so genannten Gleichgestellten - GdB von mindestens 30, aber noch keine 50 (§ 2 Abs. 3 SGB IX) - fallen unter den Begriff "schwerbehinderte Menschen i.S.d.des Neunten Buches Sozialgesetzbuch" aus § 3 Abs. 1 Satz 5 AAG.
Nicht mitgezählt werden zudem:
Altersteilzeit-Arbeitnehmer in der Freistellungsphase
Bezieher von Vorruhestandsgeld
Mitarbeiter in der Elternzeit
Vorruheständler
Wehrdienstleistende
Zivildienstleistende
Bei
GmbH-Geschäftsführern,
Vorstandsmitgliedern und
Vorstandsvorsitzenden
entscheidet, ob sie nach ihrem Anstellungsverhältnis als Arbeitnehmer oder Selbstständige anzusehen sind.
Teilzeitmitarbeiter zählen nicht nach Köpfen: § 3 Abs. 1 Satz 6 AAG sieht für sie folgende Zählweise vor (s. dazu auch das Stichwort Kündigungsschutz - Betriebsgröße):
wöchentlich nicht mehr als 10 Stunden: 0,25
wöchentlich nicht mehr als 20 Stunden: 0,50
wöchentlich nicht mehr als 30 Stunden: 0,75
Bei variabler Arbeitszeit ist eine Durchschnittsberechnung vorzunehmen.
Im Übrigen wird zur Abgrenzung des Arbeitnehmerbegriffs auf das Stichwort Arbeitnehmer verwiesen.
4. Arbeitgeber mit nicht mehr als 30 Arbeitnehmern
§ 3 Abs. 1 Satz 2 AAG sagt:
"Ein Arbeitgeber beschäftigt in der Regel nicht mehr als 30 Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen, wenn er in dem letzten Kalenderjahr, das demjenigen, für das die Feststellung nach Satz 1 zu treffen ist, vorausgegangen ist, für einen Zeitraum von mindestens acht Kalendermonaten nicht mehr als 30 Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen beschäftigt hat."
Beispiel:
Die KK Krankenkasse stellt Anfang 2019 fest, welche Arbeitgeber für die Dauer des Jahres 2019 am U1-Verfahren teilnehmen. Arbeitgeber A wird von der KK angeschrieben. Er soll die für das Feststellungsverfahren erforderlichen Angaben machen. Dabei ist für ihn nicht entscheidend, wie viel Mitarbeiter er im laufenden Kalenderjahr 2019 beschäftigt, sondern wie viel er im Jahr 2018 beschäftigt hat.
Für die praktische Feststellung empfiehlt sich folgende Liste:
Arbeitnehmer/Monat | 01 | 02 | 03 | 04 | 05 | 06 | 07 | 08 | 09 | 10 | 11 | 12 | |
Vollzeit: 1,00 | |||||||||||||
Teilzeit: 0,75 | |||||||||||||
Teilzeit: 0,50 | |||||||||||||
Teilzeit: 0,25 | |||||||||||||
Gesamt: |
Wer will, kann alle Beschäftigten aufnehmen - auch Auszubildende, Schwerbehinderte und Personen, die nicht als Arbeitnehmer zählen. Eine genaue Bestandsanalyse öffnet den Blick fürs Wesentliche - und bringt Klarheit über den Arbeitnehmerstatus.
Praxistipp:
Tauchen Zweifel auf, ob ein Arbeitnehmer mitzuzählen ist oder nicht, sollte dieser Punkt von Anfang an mit der zuständigen Krankenkasse geklärt werden.
Die von § 3 Abs. 1 Satz 2 AAG vorgegebenen acht Monate brauchen kalendermäßig nicht zusammenzuhängen:
Beispiel:
Arbeitgeber A führt einen Verpackungsbetrieb. Er hat eine feste Mannschaft im Verwaltungsbereich und eine gleich bleibende Anzahl von Vollzeitkräften im Lager. Die Anzahl der Teilzeitmitarbeiter varriert. Je nach Arbeitsanfall stellt A mal mehr, mal weniger Aushilfen ein. Beschäftigt A im Januar mehr als 30 Arbeitnehmer, dann in der Zeit von Februar bis Mai weniger als 30, in den Urlaubsmonaten Juni und Juli wieder mehr als 30, in der Zeit von August bis Oktober wieder weniger und erst mit Beginn des Weihnachtsgeschäfts ab November wieder mehr als 30, reicht das aus, ihn aus der Regelung des § 1 Abs. 1 AAG herauszunehmen. Er beschäftigt nur in sieben Monaten weniger als 30 Arbeitnehmer.
§ 3 Abs. 1 Satz 2 AAG spricht zudem davon, dass ein Arbeitgeber "in der Regel" nicht mehr als 30 Arbeitnehmer im Kalenderjahr beschäftigt (s. dazu auch das Stichwort Kündigungsschutz - Betriebsgröße). Maßgeblicher Stichtag für die Beurteilung ist jeweils der Monatserste. Die Teilnahme am Ausgleichsverfahren verlangt übrigens keine förmliche Feststellung der Krankenkasse. Der Arbeitgeber muss die Feststellung zu Beginn des Kalenderjahres selbst treffen.
5. Arbeitgeber, die ihren Geschäftsbetrieb im laufenden Jahr aufnehmen
§ 3 Abs. 1 Satz 3 AAG sagt:
"Hat ein Betrieb nicht während des ganzen nach Satz 2 maßgebenden Kalenderjahrs bestanden, so nimmt der Arbeitgeber am Ausgleich der Arbeitgeberaufwendungen teil, wenn er während des Zeitraums des Bestehens des Betriebs in der überwiegenden Zahl der Kalendermonate nicht mehr als 30 Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen beschäftigt hat."
Beispiel:
Arbeitgeber A nahm seine Geschäftstätigkeit am 01.08.2018 auf. Er beschäftigt bis zum Jahresende eine wechselnde Anzahl von Mitarbeitern. Per Stichtag 01.08.2018: 21,25; 01.09.2018: 28,50; 01.10.2018: 31,25; 01.11.2018: 32,75; 01.12.2018: 29,75. Die Zahl 30 wurde in zwei von fünf Monaten überschritten. In der überwiegenden Zahl der Kalendermonate beschäftigte A nicht mehr als 30 Arbeitnehmer. Er nimmt im Kalenderjahr 2019 am Ausgleichsverfahren teil.
Wird ein Betrieb erst im Lauf des Kalenderjahrs errichtet, für das die Feststellung nach Satz 1 getroffen ist, so nimmt der Arbeitgeber am Ausgleich der Arbeitgeberaufwendungen teil, wenn nach der Art des Betriebs anzunehmen ist, dass die Zahl der beschäftigten Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen während der überwiegenden Kalendermonate dieses Kalenderjahrs 30 nicht überschreiten wird (§ 3 Abs. 1 Satz 4 AAG).
Beispiel:
Arbeitgeber A nahm seine Geschäftstätigkeit am 01.04.2019 auf. Er führt einen kleinen Handwerksbetrieb mit einem Meister, vier Gesellen, zwei Auszubildenden und einer Bürokraft. Bei dieser Konstellation ist nicht davon auszugehen, dass A im Jahr 2019 die 30-Arbeitnehmer-Grenze überschreiten wird. Über § 3 Abs. 1 Satz 4 AAG ist er im Ausgleichsverfahren.
Die voraussichtliche Zahl der Arbeitnehmer wird geschätzt. Ändern sich die Verhältnisse später, bleibt die nach der Schätzung getroffene Feststellung für das Kalenderjahr trotzdem bis zum 31.12. maßgebend.
Die materiellen Aussagen in § 3 Abs .1 Satz 3 u. 4 AAG sind eigentlich identisch. Sie machen aber erst vor dem Hintergrund der Regelung in § 3 Abs. 3 AAG Sinn: Danach vereinbaren die Spitzenverbände gemeinsam und einheitlich Näheres über die Durchführung des Feststellungsverfahrens nach § 3 Abs. 1 AAG. Das haben sie mit dem "Gemeinsamen Rundschreiben ... zum Gesetz über den Ausgleich der Arbeitgeberaufwendungen für Entgeltfortzahlung" vom 21.12.2005 getan: "Die Teilnahme des Arbeitgebers am Ausgleich der Arbeitgeberaufwendungen nach § 1 Abs. 1 AAG ergibt sich unmittelbar aus dem Aufwendungsausgleichsgesetz (vgl. § 3 Abs. 1 Sätze 2 bis 4 AAG) und ist nicht von einem rechtsbegründenden Verwaltungsakt der Krankenkasse abhängig." Insoweit ist die Feststellung nach § 3 Abs. 1 Satz 1 AAG nur deklaratorisch.
Beispiel:
Arbeitgeber A aus dem voraufgehenden Beispiel braucht nicht zu warten, bis die Krankenkasse im Jahr 2019 eine Feststellung nach § 3 Abs. 1 Satz 3 AAG trifft. Er ist bereits mit Beginn seines Geschäftsbetriebs im Jahr 2019 im Aufwendungsausgleichverfahren, weil "nach der Art des Betriebs anzunehmen ist, dass die Zahl der beschäftigten Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen während der überwiegenden Kalendermonate dieses Kalenderjahrs 30 nicht überschreiten wird (§ 3 Abs. 1 Satz 4 AAG)." Seine Teilnahme am Ausgleichsverfahren kann A beispielsweise damit dokumentieren, dass er die Umlagebeiträge im ersten abzugebenden Beitragsnachweis aufführt und mit den ersten für seine Arbeitnehmer abzuführenden Beiträge zahlt.
Arbeitgeber nehmen kraft Gesetzes am Ausgleichsverfahren teil - ein förmlicher Bescheid ist dafür nicht erforderlich. Die Festlegung der Spitzenverbände dient der Verwaltungsvereinfachung. Sie schließt es natürlich nicht aus, dass auf Wunsch des Arbeitgebers eine förmliche Feststellung getroffen wird. Mit diesem Bescheid einer Krankenkasse kann er beispielsweise anderen Krankenkassen nachweisen, dass er nicht am Aufwendungsausgleich teilnimmt.
6. Rechtsprechungs-ABC
An dieser Stelle werden einige der interessantesten Entscheidungen zum Thema Aufwendungsausgleich und Arbeitgebergröße in alphabetischer Reihenfolge nach Stichwörtern geordnet vorgestellt:
6.1 Freie Mitarbeiter
"1. Eine Rundfunkanstalt ist zur Entrichtung der Umlage U2 vom Entgelt "freier Mitarbeiter" verpflichtet, die sie als Angestellte meldet und für die sie Sozialversicherungsbeiträge abführt, ohne Umlagefreiheit begründende tatsächliche Umstände zu dokumentieren und bei Betriebsprüfung darzulegen. 2. Einmalzahlungen sind bei der Berechnung der Umlage U2 nicht zu berücksichtigen. 3. Die Begrenzung der umlagepflichtigen Arbeitsentgelte durch die Beitragsbemessungsgrenze der gesetzlichen Rentenversicherung verstößt nicht gegen Verfassungsrecht" (BSG, 26.09.2017 - B 1 KR 31/16 R - Leitsätze).
6.2 Öffentliche Arbeitgeber
1. Öffentlich-rechtlich verfasste Arbeitgeber sind ungeachtet ihrer Tarifbindung vom System des Aufwendungsausgleichs wegen Krankheit ausgeschlossen. 2. Krankenkassen erbringen Aufwendungsausgleichsleistungen grundsätzlich durch schlichtes Verwaltungshandeln, dürfen hierüber aber auch durch schriftlichen, schon nach seiner äußeren Gestalt formellen Verwaltungsakt entscheiden. 3. Krankenkassen haben nur nach der abschließenden Regelung des Aufwendungsausgleichsgesetzes Anspruch auf Rückerstattung rechtsgrundlos geleisteten Aufwendungsausgleichs" (BSG, 31.05.2016 - B 1 KR 17/15 R - Leitsätze).