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Welche Fragen Arbeitgeber auch zum Thema Sozialversicherungsrecht bewegen: Die Rechtsdatenbank der AOK liefert die Antworten – einfach, fundiert und topaktuell.

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Schwerbehinderte Menschen - Pflichten des Arbeitgebers
Schwerbehinderte Menschen - Pflichten des Arbeitgebers
Inhaltsübersicht
- 1.
- 2.
- 3.
- 4.Pflichten gegenüber Schwerbehinderten
- 4.1
- 4.2
- 4.3
- 4.4
- 4.5
- 4.6
Information
1. Information
Im Zusammenhang mit der Beschäftigung von Schwerbehinderten hat der Arbeitgeber viele Pflichten. Damit soll auch diesem Personenkreis die Teilhabe am Arbeitsleben zu tragbaren Bedingungen ermöglicht werden. Bei bestimmten Pflichtverletzungen können Bußgelder bis zu zehntausend Euro verhängt werden.
2. Allgemeines
Die Pflichten des Arbeitgebers über die Beschäftigungspflicht hinaus (siehe Schwerbehinderte Menschen – Ansprüche gegen Arbeitgeber) sind im Wesentlichen in den Vorschriften der §§ 163 - 167 und 181 SGB IX enthalten.
3. Pflichten gegenüber der Bundesagentur für Arbeit und dem Integrationsamt
3.1 Pflicht zur Führung eines Verzeichnisses
Der Arbeitgeber hat, gesondert für jeden Betrieb und jede Dienststelle, ein Verzeichnis der bei ihm beschäftigten Schwerbehinderten, Gleichgestellten und sonstigen anrechnungsfähigen Personen laufend zu führen und den Vertretern der Arbeitsagentur und des Integrationsamtes, die für den Sitz des Betriebes zuständig ist, auf Verlangen vorzuzeigen (§ 163 Abs. 1 SGB IX). Diese Pflicht haben sowohl private als auch öffentliche Arbeitgeber; sie besteht unabhängig von der Beschäftigungspflicht i.S.v. § 154 SGB IX, sobald mindestens ein schwerbehinderter Mitarbeiter beschäftigt wird. Das Verzeichnis ist für jeden Betrieb oder jede Dienststelle gesondert zu führen. Teil- oder Nebenbetriebe sind zusammenzurechnen.
Aufzuführen sind alle schwerbehinderten Mitarbeiter, unabhängig davon, ob sie auf einen Arbeitsplatz i.S.v. § 156 Abs. 1 SGB IX oder auf sonstigen Stellen, die nach § 156 Abs. 2 und 3 SGB IX nicht als Arbeitsplätze gelten, tätig sind. Erfasst werden müssen daher auch ruhende Arbeitsverhältnisse, wie z.B. die von Arbeitnehmern in Elternzeit (§ 156 Abs. 2 Nr. 6 SGB IX).
Das Verzeichnis ist der Agentur für Arbeit und dem Integrationsamt am Sitz des Betriebs oder der Dienststelle auf Verlangen vorzulegen. Durch die Verzeichnisse erhalten diese Stellen die Möglichkeit, sich einen Überblick über die Beschäftigung von Schwerbehinderten zu verschaffen.
3.2 Anzeigepflicht
Nach § 163 Abs. 2 SGB IX hat der Arbeitgeber der zuständigen Agentur für Arbeit unter Beifügung einer Durchschrift für das Integrationsamt für das vorausgegangene Kalenderjahr, aufgegliedert nach Monaten, anzuzeigen:
Die Zahl der Arbeitsplätze nach § 156 Abs. 1 SGB IX, darunter die nach § 157 Abs. 1 SGB IX (Auszubildende und vergleichbare Personen, die bei der Feststellung der Beschäftigungspflicht nicht berücksichtigt werden), sowie der Stellen nach § 156 Abs. 2 und 3 SGB IX, die nicht als Arbeitsplätze gelten, gesondert für jeden Betrieb.
Die Zahl der in den einzelnen Betrieben und Dienststellen beschäftigten Schwerbehinderten, Gleichgestellten und sonstigen anrechnungsfähigen Personen, darunter die Zahlen der zur Ausbildung und der zur sonstigen beruflichen Bildung eingestellten Schwerbehinderten und Gleichgestellten, gesondert nach ihrer Zugehörigkeit zu einer dieser Gruppen.
Mehrfachanrechnungen.
Praxistipp:
Die dafür einwickelte elektronische Anzeige "iw-elan" gibt’s unter www.rehadat-elan.de.
Mit dem Programm wird ggf. auch die Ausgleichsabgabe berechnet.
Eine Verletzung der Anzeigepflicht stellt eine Ordnungswidrigkeit nach § 238 Abs. 1 Nr. 3 SGB IX dar und kann mit Bußgeld bis zu zehntausend Euro geahndet werden. Die Anzeigepflicht gilt nicht für alle Arbeitgeber, sondern nur für die beschäftigungspflichtigen Arbeitgeber i.S.v. § 154 SGB IX, d.h. solche mit mehr als 20 Arbeitnehmern.
Arbeitgeber mit mehreren Betrieben müssen die erforderlichen Daten für jeden Betrieb gesondert erfassen und in gebündelter Form der Agentur für Arbeit übermitteln, da maßgeblich für die Beschäftigungspflicht die Summe der Beschäftigungsverhältnisse aller Betriebe ist.
Je eine Kopie der Anzeige erhalten die Personalvertretung, die Schwerbehindertenvertretung und der Inklusionsbeauftragte. Bei Unternehmen mit mehreren Betrieben steht der Anspruch auf die Übermittlung der Daten nur dem Gesamtbetriebsrat zu (BAG, 20.03.2018 – 1 ABR 56/16 und 1 ABR 11/17).
Die Betriebe, die nicht beschäftigungspflichtig sind, müssen die Anzeige nur nach Aufforderung der Bundesagentur für Arbeit alle fünf Jahre im Rahmen einer repräsentativen Teilerhebung machen.
3.3 Auskunftspflichten
Der Arbeitgeber hat der Bundesagentur für Arbeit und dem Integrationsamt die Auskünfte zu erteilen, die zur Durchführung der besonderen Regelungen zur Teilhabe schwerbehinderter Menschen und ihnen gleichgestellter behinderter Menschen am Arbeitsleben notwendig sind, § 163 Abs. 5 SGB IX.
Darüber hinaus bestimmt § 163 Abs. 7 SGB IX, dass der Arbeitgeber den Vertretern der Bundesagentur für Arbeit und des Integrationsamtes Einblick in seinen Betrieb zu gewähren hat, soweit es im Interesse der Schwerbehinderten erforderlich ist und Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse nicht gefährdet werden.
Für die Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse gilt auch der Schutz der Sozialdaten (§ 35 Abs. 4 SGB I i.V.m. § 67 Abs. 1 S. 2 SGB X).
3.4 Mitteilungspflichten
Der Arbeitgeber hat die Vertrauenspersonen der Schwerbehinderten unverzüglich nach der Wahl und seinen Inklusionsbeauftragten unverzüglich nach der Bestellung der für den Sitz des Betriebes zuständigen Arbeitsagentur und dem Integrationsamt zu benennen (§ 163 Abs. 8 SGB IX).
4. Pflichten gegenüber Schwerbehinderten
4.1 Erweiterte Prüfpflicht
Die Pflichten der Arbeitgeber ergeben sich aus § 164 SGB IX. Danach ist der Arbeitgeber verpflichtet, sich bei der Prüfung, ob freie Arbeitsplätze mit Schwerbehinderten besetzt werden können,
Bewerber von der Arbeitsagentur vorschlagen zu lassen,
die Schwerbehinderten- und die Personalvertretung zu beteiligen und
die Entscheidung nachprüfbar zu machen.
Einzelheiten siehe auch Schwerbehinderte Menschen – Pflichten bei Einstellung.
Nach § 164 Abs. 3 SGB IX sind die Arbeitgeber verpflichtet, durch geeignete Maßnahmen sicherzustellen, dass in ihren Betrieben und Dienststellen wenigstens die vorgeschriebene Zahl Schwerbehinderter eine möglichst dauerhafte behinderungsgerechte Beschäftigung finden kann (Einzelheiten siehe Schwerbehinderte Menschen – Ansprüche gegen Arbeitgeber).
4.2 Inklusionsvereinbarung
§ 166 SGB IX verpflichtet die Arbeitgeber, mit der Schwerbehindertenvertretung, der Personalvertretung und dem Inklusionsbeauftragten eine verbindliche Inklusionsvereinbarung zu treffen. Die Verpflichtung besteht unabhängig davon, ob eine Beschäftigungspflicht i.S.v. § 154 Abs. 1 SGB IX besteht oder nicht.
Auf Antrag der Schwerbehindertenvertretung hat der Arbeitgeber unter Beteiligung der Personalvertretung über die Inklusionsvereinbarung zu verhandeln (§ 166 Abs. 1 Satz 2 SGB IX. Ist eine Schwerbehindertenvertretung nicht vorhanden (z.B., weil nicht wenigstens fünf Schwerbehinderte beschäftigt sind), kann die Personalvertretung die Verhandlung beantragen. Auf Antrag eines Beteiligten kann auch das Integrationsamt mitwirken; damit sollen insbesondere unterschiedliche Auffassungen überwunden werden. Die endgültige Inklusionsvereinbarung ist der für den Sitz des Arbeitgebers zuständigen Arbeitsagentur und dem Integrationsamt zu übermitteln.
Einer Inklusionsvereinbarung bedarf es nicht, wenn bei öffentlichen Arbeitgebern entsprechende Regelungen bereits bestehen und durchgeführt werden (§ 165 S. 5 SGB IX).
Der Inhalt der Vereinbarung ist in § 166 Abs. 2 SGB IX beschrieben. Danach sind in der Vereinbarung Regelungen im Zusammenhang mit der Eingliederung Schwerbehinderter, insbesondere zur Personalplanung, Arbeitsplatzgestaltung, Gestaltung des Arbeitsumfelds, Arbeitsorganisation, Arbeitszeit sowie Verfahrensregelungen zu treffen. Dabei ist die gleichberechtigte Teilhabe schwerbehinderter Menschen am Arbeitsleben bei der Gestaltung von (möglichst barrierefreien) Arbeitsprozessen und Rahmenbedingungen von Anfang an zu berücksichtigen. Hinsichtlich der Personalplanung sind besondere Regelungen erforderlich, die einen angemessenen Anteil der Beschäftigung von schwerbehinderten Frauen vorsehen. In § 166 Abs. 3 SGB IX sind weitere Punkte dargestellt, die in der Inklusionsvereinbarung geregelt werden können. Dabei geht es z.B. um die Berücksichtigung Schwerbehinderter bei der Besetzung von Stellen, die angestrebte Beschäftigungsquote und die Teilzeitarbeit. Die im Gesetz aufgeführten Punkte sind nicht abschließend, sodass aufgrund der betrieblichen Besonderheiten auch weitere Inhalte aufgenommen werden können.
4.3 Berichtspflicht
§ 166 Abs. 4 SGB IX verpflichtet den Arbeitgeber, in den Versammlungen der Schwerbehinderten über alle Angelegenheiten im Zusammenhang mit der Eingliederung Schwerbehinderter zu berichten. Es handelt sich um die Versammlungen, die die Schwerbehindertenvertretung nach § 178 Abs. 6 SGB IX mindestens einmal jährlich durchführen kann.
4.4 Prävention
Gewährt ein Tarifvertrag einem Arbeitgeber das Recht, die ärztliche Untersuchung zur Feststellung der Arbeitsfähigkeit anzuordnen, setzt dies bei einem schwerbehinderten Arbeitnehmer nicht voraus, dass zuvor ein Präventionsverfahren durchgeführt wird (BAG, 25.01.2018 – 2 AZR 382/17).
4.4.1 Einschaltung von Interessenvertretungen und Integrationsamt
Nach § 167 Abs. 1 SGB IX hat der Arbeitgeber bei Eintreten von personen-, verhaltens- oder betriebsbedingten Schwierigkeiten, die zur Gefährdung des Arbeitsverhältnisses führen können, möglichst frühzeitig die Schwerbehindertenvertretung, die Personalvertretung und das Integrationsamt einzuschalten. Ziel dieser Konsultation der verschiedenen Stellen ist es, mit den zur Verfügung stehenden Hilfen zur Beratung und finanzieller Unterstützung das Beschäftigungsverhältnis dauerhaft fortzusetzen sowie die Arbeitslosigkeit schwerbehinderter Menschen verhindert werden (BAG, 21.04.2016 – 8 AZR 402/14). Zu den einzubeziehenden Stellen gehört nach § 167 Abs. 1 SGB IX nicht der Betriebsarzt. Daher ist der Arbeitgeber auch nicht berechtigt, eine Untersuchung durch ihn anzuordnen (BAG, 25.01.2018 – 2 AZR 382/17).
Kündigt der Arbeitgeber einem schwerbehinderten Arbeitnehmer, ohne zuvor dieses Präventionsverfahren durchlaufen zu haben, so führt dies für sich genommen aber nicht zur Unwirksamkeit der Kündigung. Die Einhaltung des Präventionsverfahrens nach § 167 Abs. 1 SGB IX ist keine formelle Wirksamkeitsvoraussetzung für Kündigungen gegenüber Schwerbehinderten (BAG, 07.12.2006 - 2 AZR 182/06). Dies gilt jedenfalls dann, wenn bei einer Pflichtverletzung kein Zusammenhang zur Schwerbehinderung besteht. Das Verfahren konkretisiert den im Kündigungsrecht geltenden Grundsatz der Verhältnismäßigkeit.
Innerhalb der sechsmonatigen Wartezeit für den Kündigungsschutz nach § 1 Abs. 1 KSchG ist der Arbeitgeber nicht verpflichtet, ein Präventionsverfahren nach § 167 Abs. 1 SGB IX durchzuführen. Darin liegt kein Verstoß gegen die UN-Behindertenrechtskonvention (BAG, 21.04.2016 – 8 AZR 402/14). Ebenso liegt keine Benachteiligung i.S.d. § 7 Abs. 1 AGG vor.
Nach § 178 Abs. 2 SGB IX hat der Arbeitgeber die Schwerbehindertenvertretung in allen Angelegenheiten, die einen einzelnen oder die Schwerbehinderten als Gruppe berühren, unverzüglich und umfassend zu unterrichten und vor einer Entscheidung anzuhören. Die getroffene Entscheidung ist ihr unverzüglich mitzuteilen. Falls dieses Verfahren unterblieben ist, muss der Arbeitgeber die Entscheidung aussetzen und die Beteiligung innerhalb von sieben Tagen nachzuholen. Das Verfahren bezieht sich auch auf die Kündigung von schwerbehinderten Mitarbeitern.
Nach § 178 Abs. 2 S. 3 SGB IX ist die Kündigung gegenüber einem schwerbehinderten Menschen, die der Arbeitgeber ohne Unterrichtung und Anhörung der Schwerbehindertenvertretung ausspricht, unwirksam. Davon werden alle Formen einer Kündigung erfasst, also auch Änderungskündigungen. Die Beteiligung i.d.S. muss "unverzüglich" und "umfassend" erfolgen. Fraglich kann sein, ob die Beteiligung noch unverzüglich ist, wenn der Arbeitgeber die Zustimmung des Integrationsamtes zu der Kündigung (§ 168 SGB IX) abwartet und erst dann die Schwerbehindertenvertretung anhört. Nach der Rechtsprechung des BAG führt diese Vorgehensweise nicht zur Unwirksamkeit der Kündigung (BAG, 13.12.2018 – 2 AZR 378/18 m.w.N.). Die Unwirksamkeit der Kündigung tritt nach dem Wortlaut des § 178 Abs. 2 S. 3 SGB IX erst ein, wenn der Arbeitgeber diese ohne Anhörung der Schwerbehindertenvertretung "ausspricht", d.h. diese dem Mitarbeiter zur Kenntnis bzw. – bei Abwesenheit – zu ihm auf den Weg gebracht wird. Auch dann noch ist der Zweck der Unterrichtung, dass die Schwerbehindertenvertretung Einfluss auf die Entscheidung nehmen kann, zu realisieren. Das BAG betont in seiner Begründung außerdem, dass für die Beteiligung der Schwerbehindertenvertretung die gleichen Grundsätze wie für die Anhörung des Betriebsrates nach § 102 Abs. 1 und 2 SGB IX gelten. Daher muss der Arbeitgeber der Schwerbehindertenvertretung die Gründe für die Kündigung mitteilen. Der Sachverhalt, den er als Anlass für die Kündigung nehmen will, muss so umfassend beschrieben werden, dass sich die Schwerbehindertenvertretung ein Bild über die Stichhaltigkeit der Gründe machen und beurteilen und entscheiden kann, ob Bedenken geltend gemacht werden. Sie kann dies – analog § 102 Abs. 2 SGB IX innerhalb sieben Tagen bei einer ordentlichen und innerhalb drei Tagen bei einer außerordentlichen Kündigung schriftlich tun. Die Bedenken müssen begründet werden. Hat der Arbeitgeber vor Ausspruch einer Kündigung die nach § 168 SGB IX erforderliche vorherige Zustimmung des Integrationsamts nicht eingeholt, kann dieser Umstand die Vermutung i.S.v. § 22 AGG begründen, dass die Benachteiligung, die der schwerbehinderte Mensch durch die Kündigung erfahren hat, wegen der Schwerbehinderung erfolgte (BAG, 02.06.2022 - 8 AZR 191/21).
Die Schwerbehindertenvertretung hat keinen kollektivrechtlichen Anspruch auf ihre vorsorgliche Beteiligung bei einer Umsetzung gem. § 178 Abs. 2 S. 1 SGB IX i.V.m. § 151 Abs. 2 S. 2 SGB IX, solange über die Gleichstellung des betroffenen Arbeitnehmers mit einem schwerbehinderten Menschen noch nicht konstitutiv entschieden worden ist (BAG, 22.01.2020 – 7 ABR 18/18). Obwohl die Entscheidung der Agentur für Arbeit auf den Tag zurückwirkt, an dem der Antrag bei ihr eingegangen ist, wirkt sich dies auf die Beteiligungsrechte der Schwerbehindertenvertretung nicht aus (LAG Berlin-Brandenburg, 09.05.2018 – 23 TaBV 1699/17).
4.4.2 Betriebliches Eingliederungsmanagement
Nach § 167 Abs. 2 SGB IX hat der Arbeitgeber bei Beschäftigten, die länger als sechs Wochen oder wiederholt arbeitsunfähig sind, mit der Schwerbehinderten- und/oder der Personalvertretung zu klären, wie die Arbeitsunfähigkeit möglichst überwunden werden und mit welchen Hilfen erneuter Arbeitsunfähigkeit vorgebeugt und der Arbeitsplatz erhalten werden kann. Diese Maßnahme wird als Betriebliches Eingliederungsmanagement bezeichnet (Einzelheiten siehe Betriebliches Eingliederungsmanagement – Allgemeines, Betriebliches Eingliederungsmanagement – Maßnahmen sowie Schwerbehinderte Menschen – Ansprüche gegen Arbeitgeber). Allerdings besteht auch dann kein Rechtsanspruch des Mitarbeiters auf die Durchführung des Betrieblichen Eingliederungsmanagements, wenn er oft und länger arbeitsunfähig ist. Es handelt sich um eine Obliegenheit des Arbeitgebers, der kein Anspruch des einzelnen Mitarbeiters gegenübersteht (BAG, 07.09.2021 – 9 AZR 571/20). Diese nationale Regelung verstößt weder gegen EU-Recht noch gegen die UN-Behindertenrechtskonvention.
Der Arbeitgeber ist in diesem Zusammenhang verpflichtet, die Schwerbehindertenvertretung über die Durchführung des betrieblichen Eingliederungsmanagements zu informieren, da sie dies zu überwachen hat (§ 178 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 SGB IX). Nach Auffassung des LAG Hamm bezieht sich diese Überwachungspflicht allerdings nur auf die schwerbehinderten Arbeitnehmer, während § 167 Abs. 2 SGB IX sich auf alle Beschäftigten bezieht. Daher habe die Schwerbehindertenvertretung Anspruch auf die quartalsweise Herausgabe von Listen der Beschäftigten, die in den zurückliegenden zwölf Monaten länger als sechs Wochen arbeitsunfähig krank waren und bei denen ein betriebliches Eingliederungsmanagement eingeleitet wurde, nur hinsichtlich der schwerbehinderten Arbeitnehmer und nicht für die gesamte Belegschaft (LAG Hamm, 10.01.2020 – 13 TaBV 60/19).
Im Rahmen einer stufenweisen Wiedereingliederung eines schwerbehinderten Beschäftigten in das Erwerbsleben kann der Arbeitgeber aufgrund § 164 Abs. 4 S. 1 SGB IX verpflichtet sein, den Mitarbeiter entsprechend des Wiedereingliederungsplanes zu beschäftigen. Tut er dies nicht, kann eine Verletzung der Nebenpflichten aus dem Arbeitsvertrag vorliegen, die zu Schadenersatzansprüchen des Mitarbeiters führt. Sofern der Arbeitgeber geltend macht, dass die Beschäftigung entsprechend des Wiedereingliederungsplanes für ihn unzumutbar ist, ist er dafür beweispflichtig (BAG, 16.05.2019 – 8 AZR 530/17). § 164 Abs. 4 SGB IX verpflichtet den Arbeitgeber nicht, wegen der Schwerbehinderung einen Arbeitsplatz zu schaffen oder zu erhalten, den er nach seinem Organisationskonzept nicht benötigt.
Soll gem. § 164 Abs. 4 SGB IX eine generelle Herausnahme aus der Einteilung zum Wochenenddienst erfolgen, ist Voraussetzung, dass dies durch die Behinderung des Arbeitnehmers erforderlich ist. Beansprucht ein schwerbehinderter Arbeitnehmer, nicht mehr zu Wochenenddiensten herangezogen zu werden, muss er darlegen und ggf. beweisen, die damit verbundenen Tätigkeiten wegen seiner Behinderung nicht mehr wahrnehmen zu können. Dazu obliegt es ihm vorzutragen, inwieweit sein Leistungsvermögen durch die Auswirkungen der Art und Schwere seiner Behinderung so eingeschränkt ist, dass er die ihm übertragene Sonderform der Arbeit nicht mehr leisten kann (LAG Mecklenburg-Vorpommern, 29.03.2022 - 2 Sa 2/21).
Praxistipp:
Die Rehabilitationsträger und die Integrationsämter können Arbeitgeber, die ein Betriebliches Eingliederungsmanagement einführen, durch Prämien oder einen Bonus fördern (§ 167 Abs. 3 SGB IX).
4.5 Bestellung eines Inklusionsbeauftragten
§ 181 SGB IX verlangt vom Arbeitgeber, einen Inklusionsbeauftragten zu bestellen, der ihn in Angelegenheiten schwerbehinderter Menschen verantwortlich vertritt; bei Bedarf können auch mehrere Inklusionsbeauftragte bestellt werden. Nach Möglichkeit soll der Beauftragte selbst schwerbehindert sein. Diese Verpflichtung besteht unabhängig davon, ob in dem Betrieb eine Schwerbehindertenvertretung besteht. Die Bestellung ist auch unabhängig davon, ob der Arbeitgeber nach § 154 SGB IX zur Beschäftigung schwerbehinderter Menschen verpflichtet ist. Die Bestellung mehrerer Beauftragter ist z.B. erforderlich bei weit entfernt auseinander liegenden Betrieben oder Dienststellen des Arbeitgebers. Als Inklusionsbeauftragte kommen grundsätzlich alle Arbeitnehmer, also Angestellte und Arbeiter in Betracht. Allerdings muss der Beauftragte nach dem Gesetz den Arbeitgeber "verantwortlich" vertreten, d.h. eine Entscheidungskompetenz haben. Eine sachgerechte Vertretung ist daher nur gewährleistet, wenn der Mitarbeiter befugt ist, Personalentscheidungen zu treffen. Daher ist auch die Bestellung von leitenden Angestellten möglich und gewünscht. Zulässig ist aber auch die Bestellung betriebsfremder Personen.
Der Beauftragte wird durch eine entsprechende Erklärung des Arbeitgebers bestellt. Die Bestellung ist durch den Arbeitgeber jederzeit ohne Angaben von Gründen widerrufbar (§ 168 BGB). Arbeitnehmer des Arbeitgebers sind grundsätzlich nicht verpflichtet, das Amt des Beauftragten zu übernehmen. Der Arbeitgeber hat den Namen, Anschrift und die Stellung des Beauftragten im Betrieb unverzüglich nach der Bestellung dem für den Sitz des Betriebs oder der Dienststelle zuständigen Agentur für Arbeit und dem Integrationsamt sowie der Schwerbehindertenvertretung gegenüber zu benennen.
Der Inklusionsbeauftragte achtet vor allem darauf, dass die Pflichten des Arbeitgebers gegenüber den schwerbehinderten Mitarbeitern erfüllt werden. Er ist Ansprechperson des Arbeitgebers für die an der Inklusion der schwerbehinderten Menschen beteiligten Behörden, also insbesondere des Integrationsamts, der Agentur für Arbeit und der anderen Rehabilitationsträger.
Praxistipp:
Die Bundesarbeitsgemeinschaft der Integrationsämter und der Hauptfürsorgestellen hält die Broschüre "Inklusionsbeauftragte des Arbeitgebers" zum Download bereit. Darin finden Sie Antwort auf alle in diesem Zusammenhang auftretenden Fragen.
4.6 Förderung von Teilzeitarbeitsplätzen
Gem. § 164 Abs. 5 SGB IX haben die Arbeitgeber die Einrichtung von Teilzeitarbeitsplätzen zu fördern. Dies begründet allerdings noch keinen Anspruch der Schwerbehinderten auf eine Teilzeitbeschäftigung. Ein solcher Anspruch besteht aber dann, wenn die kürzere Arbeitszeit wegen Art oder Schwere der Behinderung notwendig ist. Ist dies der Fall, kann der schwerbehinderte Mensch jederzeit und ohne Bindung an Formen und Fristen verlangen, in einem seiner Behinderung Rechnung tragenden zeitlichen Umfang eingesetzt zu werden (BAG, 14.03.2006 – 9 AZR 411/05). Einer vorhergehenden Vertragsänderung bedarf es nicht. Der Behinderte hat sogar Anspruch auf eine Verteilung der Arbeitszeit, die seiner Leistungsfähigkeit entspricht (LAG Berlin-Brandenburg, 23.01.2019 – 15 Sa 1021/18). Der Anspruch ist jedoch ausgeschlossen, wenn die Erfüllung dem Arbeitgeber nicht zumutbar oder mit unverhältnismäßigen Aufwendungen verbunden wäre oder soweit die staatlichen oder berufsgenossenschaftlichen Arbeitsschutzvorschriften oder beamtenrechtliche Vorschriften entgegenstehen. Die Notwendigkeit einer Teilzeitbeschäftigung muss durch entsprechende Unterlagen, z.B. durch ein ärztliches Attest nachgewiesen werden.
Im Gegensatz zu den Ansprüchen nach § 8 und § 9a TzBfG setzt § 164 Abs. 5 SGB IX weder eine bestimmte Zahl von Arbeitnehmern noch eine Wartezeit voraus. Je nach den medizinischen Notwendigkeiten kann auch eine vorübergehende Verringerung der Arbeitszeit in Betracht kommen (BAG, 14.10.2003 – 9 AZR 100/03).
Der Anspruch nach § 164 Abs. 5 SGB IX kann jederzeit geltend gemacht werden. Die Drei-Monats-Frist des § 8 Abs. 2 bzw. § 9a Abs. 3 TzBfG ist nicht anwendbar, auch nicht entsprechend. Durch die Bezugnahme auf § 164 Abs. 4 Satz 3 SGB IX ist klargestellt, dass der Arbeitgeber das Teilzeitbegehren ablehnen kann, wenn seine Erfüllung für ihn nicht zumutbar oder mit unverhältnismäßigen Aufwendungen verbunden wäre oder soweit die staatlichen Arbeitsschutzbestimmungen, berufsgenossenschaftliche oder beamtenrechtliche Vorschriften entgegenstehen. Für die Unzumutbarkeit kann die zu § 8 Abs. 4 TzBfG ergangene Rechtsprechung herangezogen werden.
Lehnt der Arbeitgeber das Begehren auf Reduzierung der Arbeitszeit ab, kann der schwerbehinderte Mensch seinen Anspruch vor den Arbeitsgerichten im Rahmen einer Leistungsklage, gerichtet auf die Abgabe einer Willenserklärung, geltend machen. Der Teilzeitanspruch kann auch im Wege einer einstweiligen Verfügung geltend gemacht werden (LAG Berlin, 20.02.2002 - 4 Sa 2243/91). Zur Darlegung der Notwendigkeit einer Verkürzung der Arbeitszeit i.S.v. § 164 Abs. 5 Satz 3 SGB IX genügt es, wenn der schwerbehinderte Arbeitnehmer eine ärztliche Bescheinigung vorlegt, gem. der eine Verkürzung der Arbeitszeit aus gesundheitlichen Gründen indiziert ist. Es obliegt dann dem Arbeitgeber, deren Beweiskraft zu erschüttern (ArbG Frankfurt am Main, 27.03.2002 – 2 Ca 5484/01). Siehe hierzu auch Schwerbehinderte Menschen - Ansprüche gegen Arbeitgeber – Abschn. 7.