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Welche Fragen Arbeitgeber auch zum Thema Sozialversicherungsrecht bewegen: Die Rechtsdatenbank der AOK liefert die Antworten – einfach, fundiert und topaktuell.

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Schwerbehinderte Menschen - Pflichten bei Einstellung
Schwerbehinderte Menschen - Pflichten bei Einstellung
Inhaltsübersicht
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Information
1. Information
Das Gesetz legt den Arbeitgebern die Pflicht auf, bei jedem freien Arbeitsplatz zu prüfen, ob ein Schwerbehinderter eingestellt werden kann. Damit soll die Realisierung des Rechts auf Teilhabe am Arbeitsleben gestärkt werden. Insbesondere soll den Problemen schwerbehinderter Menschen bei der Suche nach einem Arbeitsplatz entgegengewirkt werden.
2. Allgemeines
§ 164 Abs. 1 SGB IX regelt die Pflichten des Arbeitgebers gegenüber schwerbehinderten Menschen und die Rechte der Schwerbehinderten.
3. Einstellung schwerbehinderter Menschen
3.1 Prüfpflicht
Nach § 164 Abs. 1 SGB IX ist der Arbeitgeber verpflichtet zu prüfen, ob freie Arbeitsplätze mit schwerbehinderten Menschen besetzt werden können. Die Vorschrift gilt sowohl für private wie auch öffentliche Arbeitgeber und zwar unabhängig davon, ob er beschäftigungspflichtig ist (§ 154 SGB IX) oder nicht, die Pflichtplätze bereits besetzt oder noch freie Pflichtplätze vorhanden sind (BAG, 17.08.2010 - 9 AZR 839/08). Die Pflichten aus § 164 SGB IX sind Pflichten gegenüber den schwerbehinderten Menschen, die Pflichten aus § 154 SGB IX bestehen gegenüber dem Staat. Sie bestehen daher nebeneinander und können unabhängig voneinander verletzt werden.
Die Vorschrift des § 164 Abs. 1 SGB IX gibt dem schwerbehinderten Menschen allerdings keinen individuellen, gerichtlich durchsetzbaren Einstellungsanspruch (BAG, 17.08.2010 - 9 AZR 839/08). Der Arbeitgeber ist zwar ggf. nach § 154 SGB IX zur Einstellung einer bestimmten Zahl schwerbehinderter Menschen verpflichtet, aber bei der Auswahl der konkreten Personen hat er ein Letztentscheidungsrecht ebenso wie bei der Frage, ob er einen Arbeitsplatz neu schaffen oder neu besetzen will.
§ 164 Abs. 1 SGB IX verpflichtet den Arbeitgeber, die Einstellungsmöglichkeit für schwerbehinderte Menschen zu prüfen und hierzu frühzeitig mit der Arbeitsagentur Kontakt aufzunehmen. Dies gilt vor allem bei beabsichtigten Neueinstellungen auf neu geschaffenen Arbeitsplätzen (auch bei befristeten Arbeitsplätzen), aber auch dann, wenn infolge Umsetzung ein Arbeitsplatz frei wird oder ein freier Arbeitsplatz aus den vorhandenen Arbeitnehmern besetzt werden soll (BAG, 17.08.2010 - AZR 839/08).
Ebenso besteht die Prüfpflicht des Arbeitgebers auch, wenn es sich um Arbeitsplätze im Rahmen drittmittelfinanzierter Forschungsvorhaben (BAG, 15.08.2006 - 9 ABR 61/05) oder um einen freien Arbeitsplatz handelt, den der Arbeitgeber mit einem Leiharbeitnehmer besetzen will (BAG, 23.06.2010 - 7 ABR 3/09).
Keine Arbeitsplätze i.S.d. Vorschrift sind die Stelle des Arbeitgebers selber, die der Gesellschafter einer Personengesellschaft oder die der Mitglieder von Organen einer juristischen Person. Im öffentlichen Dienst sind die Stellen der Minister und Staatssekretäre sowie grundsätzlich alle Stellen vom Geltungsbereich ausgenommen, deren Inhaber gewählt werden.
Eine Prüfpflicht für den Arbeitgeber entfällt, wenn er zur Einstellung bestimmter Personen verpflichtet ist, z.B. bei Wiedereinstellung nach lösender Aussperrung oder bei der Einstellung von Lehramtsanwärtern oder Referendaren in den Vorbereitungsdienst.
Da es Ziel bleibt, die Arbeitslosigkeit schwerbehinderter Menschen abzubauen, muss der Arbeitgeber bei der Prüfung bevorzugt solche Menschen berücksichtigen, die bei der Arbeitsagentur arbeitslos oder arbeitssuchend gemeldet sind.
In der Regel dürfte die Überprüfung positiv ausfallen, da – ggf. unter Anpassung des Arbeitsplatzes und der Arbeitsbedingungen (§ 164 Abs. 4 SGB IX) - eine Behinderung meist der Beschäftigung nicht entgegensteht.
3.2 Beteiligung der Schwerbehindertenvertretung
An der Prüfung des Arbeitgebers, ob freie Arbeitsplätze mit schwerbehinderten Menschen besetzt werden können, ist die ggf. vorhandene Schwerbehindertenvertretung zu beteiligen. Außerdem muss die Personalvertretung i.S.d. § 176 SGB IX angehört werden (§ 164 Abs. 1 S. 6 SGB IX).
Über die Vermittlungsvorschläge der Arbeitsagentur (3.3) und vorliegende Bewerbungen von schwerbehinderten Menschen hat der Arbeitgeber die Schwerbehindertenvertretung und auch die Personalvertretung i.S.v. § 176 SGB IX unmittelbar nach deren Eingang zu unterrichten (§ 164 Abs. 1 S. 4 SGB IX). Dafür reicht es nicht aus, dass der Arbeitgeber alle Bewerbungsunterlagen auch der Schwerbehindertenvertretung elektronisch zugänglich macht. Es muss vielmehr unverzüglich ein Hinweis ergehen, ob und welcher der Bewerber schwerbehindert ist (LAG Berlin-Brandenburg, 27.11.2019 - 15 Sa 949/19). Eine unmittelbare Unterrichtung i.S.d. § 164 Abs. 1 Satz 4 SGB IX an die Schwerbehindertenvertretung erfolgt ohne Zwischenschritte über weitere Personen. Die Unterrichtung des Betriebsrats nach § 164 Abs. 1 Satz 4 SGB IX i.V.m. § 176 SGB IX erfolgt gegenüber dem Betriebsratsvorsitzenden (LAG Düsseldorf, 12.11.2021 - 7 Sa 483/21).
3.3 Beteiligung der Arbeitsagentur
Der Arbeitgeber ist verpflichtet, im Zusammenhang mit der Besetzung freier Arbeitsplätze mit Schwerbehinderten frühzeitig Kontakt mit der Bundesagentur für Arbeit aufzunehmen (§ 164 Abs. 1 S. 2 SGB IX). Diese Verpflichtung besteht, sobald die Prüfung ergeben hat, dass der Arbeitsplatz grundsätzlich auch mit einem Schwerbehinderten besetzt werden könnte.
Die Arbeitsagentur oder ein von ihr beauftragter Integrationsfachdienst (§ 192 SGB IX) schlägt geeignete Bewerber vor, d.h. solche Bewerber, die grundsätzlich den gestellten Qualifikationsanforderungen entsprechen. Es genügt insoweit nicht, etwaige von schwerbehinderten Menschen eingehende Bewerbungen bei der Auswahl zu berücksichtigen. Die Verpflichtung zur Prüfung von Beschäftigungsmöglichkeiten greift bereits im Planungsstadium, das heißt beim Verfassen einer Anzeige oder Ausschreibung. Hierbei besteht keine Verpflichtung des Arbeitgebers, sich durch die Ankündigung, dass eine Einstellung von schwerbehinderten Menschen bei gleicher Eignung bevorzugt erfolge, selber zu binden (im öffentlichen Dienst allerdings eine verbreitete Verwaltungspraxis). Der Arbeitgeber ist auch nicht an die Vorschläge der Arbeitsagentur oder des Integrationsfachdienstes gebunden; wen er letztlich einstellt, kann er frei unter Beachtung der Mitwirkungsrechte von Personalvertretung und ggf. Schwerbehindertenvertretung entscheiden.
3.4 Prüfung der Bewerbungen, Entscheidung
Der Arbeitgeber hat die Bewerbung eines schwerbehinderten Arbeitnehmers zu prüfen und alle Beteiligten (Bundesagentur, Integrationsfachdienst, Bewerber) über die getroffene Entscheidung unter Darlegung der Gründe zu informieren.
Steht fest, dass der Arbeitgeber einem schwer behinderten Arbeitnehmer gegenüber entgegen § 164 Abs. 1 Satz 9 SGB IX keine Gründe für die Ablehnung der Bewerbung mitgeteilt hat, so ist dessen Benachteiligung wegen der Schwerbehinderung zu vermuten (LAG Hessen, 07.11.2005 - 7 Sa 473/05). Die Pflicht zur unverzüglichen Unterrichtung i.S.v. § 164 Abs. 1 S. 9 SGB IX besteht aber nur, wenn der Arbeitgeber gegen die Beschäftigungspflicht von Schwerbehinderten verstößt und die Schwerbehindertenvertretung nicht mit der beabsichtigten Einstellungsentscheidung einverstanden ist BAG, 28.09.2017 - 8 AZR 492/16). Voraussetzung dafür ist außerdem, dass die Schwerbehinderung des Bewerbers bekannt war bzw. sie hätte bekannt sein müssen. Ausreichend für die Kenntnis ist ein Hinweis auf die Schwerbehinderung im Bewerbungsschreiben. Wird dieser übersehen, geht dies zu Lasten des Betriebes (BAG, 16.09.2008 - 9 AZR 791/07). Dagegen ist es nicht erforderlich, ausdrücklich auf den GdB von wenigstens 50 hinzuweisen (BAG, 22.10.2015 - 8 AZR 384/14). Nicht ausreichend für einen Entschädigungsanspruch ist es, wenn ein Bewerbungsschreiben fehlt und die Information über die Schwerbehinderung in den Lebenslauf "eingestreut" ist, also nicht besonders kenntlich gemacht wurde (LAG Rheinland-Pfalz, 20.08.2015 - 2 Sa 27/15). Werden in diesem Fall alle Interessenten, die kein Bewerbungsschreiben beigefügt haben, aussortiert, liegt die Ursache für die Ablehnung nicht in der Schwerbehinderung, sondern im fehlenden Anschreiben.
3.5 Verletzung der Arbeitgeberpflichten
Stellt der Arbeitgeber einen Mitarbeiter ein, ohne geprüft zu haben, ob der Arbeitsplatz mit einem schwerbehinderten Menschen besetzt werden kann, liegt darin eine Pflichtverletzung. Damit kann die Personalvertretung ihre Zustimmung zur Einstellung wegen Verstoß gegen ein Gesetz (siehe § 99 Abs. 2 Nr. 1 BetrVG) verweigern (BAG, 17.06.2008 - 1 ABR 20/07). Außerdem kann eine Verletzung des Benachteiligungsverbotes nach § 7 Abs. 1 i.V.m. § 1 AGG vermutet werden (BAG, 23.06.2010 - 7 ABR 3/09). Damit können Ansprüche auf Schadenersatz bestehen. Diese beziehen sich auf materielle und immaterielle Schäden. Wegen des immateriellen Schadens kann ein Anspruch auf eine Entschädigung nach § 15 Abs. 2 AGG bestehen. Bei einer Nichteinstellung darf diese drei Monatsgehälter nicht übersteigen; dabei gibt § 15 Abs. 2 AGG insoweit keinen Rahmen für die Bemessung der Entschädigung vor, sondern eine Kappungs- bzw. Höchstgrenze. Der Anspruch hat eine Doppelfunktion: Er dient einerseits der vollen Schadenskompensation und andererseits der Prävention, wobei jeweils der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu wahren ist. Die Entschädigung ist verschuldensunabhängig und setzt deshalb keine Benachteiligungsabsicht voraus. Weder kommt es auf Verschulden als Voraussetzung an, noch ist ein fehlendes Verschulden oder ein geringer Grad des Verschuldens des Arbeitgebers bei der Bemessung der Entschädigung zulasten der benachteiligten Person bzw. zugunsten des benachteiligenden Arbeitgebers berücksichtigungsfähig. Sind jedoch Umstände erkennbar, die einen höheren Grad von Verschulden des Arbeitgebers belegen, kann Veranlassung bestehen, die Entschädigung höher festzusetzen (BAG, 28.05.2020 – 8 AZR 170/19).
Dem Arbeitgeber ist es im Rahmen einer gerichtlichen Prüfung grundsätzlich verwehrt, sich auf sachliche Gründe für die Ablehnung eines schwerbehinderten Menschen zu berufen, die er dem Betroffenen nicht zuvor nach § 164 Abs. 1 Satz 9 SGB IX mitgeteilt hat (LAG Hessen, 07.11.2005 - 7 Sa 473/05).
Nicht jede Ungleichbehandlung beruht auf diskriminierenden Motiven. Auch die Entscheidung, statt eines schwerbehinderten einen nicht schwerbehinderten Bewerber einzustellen, ist nicht von vornherein ein Indiz für eine Diskriminierung wegen der Behinderung (LAG Rheinland-Pfalz, 06.11.2019 – 7 Sa 120/19).
Siehe hierzu auch: Schwerbehinderte Menschen – Benachteiligungsverbot.
4. Weitere Einbeziehung der Schwerbehinderten- und Personalvertretung
Der Arbeitgeber hat die genannten Vertretungen zunächst über die eingegangenen Bewerbungen und die Vermittlungsvorschläge der Arbeitsagentur und des Integrationsfachdienstes unmittelbar nach Eingang zu informieren (§ 164 Abs. 1 S. 4 SGB IX). § 164 Abs. 1 S 4 SGB IX verpflichtet den Arbeitgeber auch dazu, die Schwerbehindertenvertretung (§ 177 SGB IX) und die anderen in § 176 SGB IX genannten Vertretungen (Betriebs-, Personal-, Richter-, Staatsanwalts- und Präsidialrat) im weiteren Verlauf des Einstellungsverfahrens zu informieren und zu konsultieren.
Nach Abschluss der Bewerbungsphase bezieht der Arbeitgeber die genannten Vertretungen bei der Prüfung mit ein und hört sie zu der Frage an, ob ein konkreter freier Arbeitsplatz mit einem schwerbehinderten Menschen besetzt werden kann. Es ist eine Prüfung in jedem Einzelfall vorzunehmen. Hierbei sind die jeweilige Behinderung und ihre Relevanz für den konkreten Arbeitsplatz zu berücksichtigen. Bestimmte Behinderungen können den Einsatz auf bestimmten Arbeitsplätzen daher ausschließen.
Der Arbeitgeber muss die Schwerbehindertenvertretung in allen Angelegenheiten, die einen einzelnen oder die schwerbehinderten Menschen als Gruppe berühren unverzüglich und umfassend unterrichten und vor einer Entscheidung anhören (§ 178 Abs. 2 S. 1 SGB IX). Außerdem ist ihr die getroffene Entscheidung unverzüglich mitzuteilen. Zu diesen Angelegenheiten gehört auch die Auswahl der Bewerber beim Einstellungsverfahren. § 178 Abs. 2 S. 4 SGB IX betont (nochmals), dass die Schwerbehindertenvertretung an dem Verfahren nach § 164 Abs. 1 SGB IX zu beteiligen ist und sie beim Vorliegen von Bewerbungen oder Vermittlungsvorschlägen der Bundesagentur für Arbeit ein Recht auf Einsicht in die entscheidungsrelevanten Teile der Bewerbungsunterlagen und zur Teilnahme an Vorstellungsgesprächen hat. Die Beteiligung erstreckt sich auf das Auswahlverfahren insgesamt (BAG, 15.10.2014 – 7 ABR 71/12). Voraussetzung ist, dass sich mindestens ein Schwerbehinderter beworben hat.
Die Beschränkung des Einsichtsrechts auf die entscheidungsrelevanten Teile der Bewerbungsunterlagen ist auch im Hinblick auf den Datenschutz relevant. Nach Art. 6 Abs. 1 DSGVO ist die Verarbeitung personenbezogener Daten u.a. rechtmäßig, wenn sie für die Erfüllung eines Vertrages oder zur Durchführung vorvertraglicher Maßnahmen erforderlich ist. Im Rahmen eines Beschäftigungsverhältnisses dürfen personenbezogene Daten auch verarbeitet werden, soweit dies für die Erfüllung von Rechten und Pflichten der Interessenvertretungen der Beschäftigten erforderlich ist (§ 26 Abs. 1 BDSG). Für die Einsichtnahme der Schwerbeschädigtenvertretung bildet § 178 Abs. 2 S. 4 SGB IX die Rechtsgrundlage.
Unterlässt der Arbeitgeber die Beteiligung der Schwerbehindertenvertretung an dem Einstellungsverfahren, ist dies i.S.v. § 22 AGG ein Indiz, das mit überwiegender Wahrscheinlichkeit für eine Benachteiligung spricht (BAG, 10.05.2005 – 9 AZR 230/04). Der Arbeitgeber wird nicht deshalb von der Pflicht zur Beteiligung der Schwerbehindertenvertretung bei der Besetzung eines Arbeitsplatzes frei, weil sowohl der Schwerbehindertenvertreter als auch sein Vertreter im Amt sich ihrerseits um den ausgeschriebenen Arbeitsplatz beworben haben (BAG, 22.08.2013 – 8 AZR 574/12).
5. Stellenausschreibung
Der Arbeitgeber ist bereits bei der Stellenausschreibung an die Vorgaben des SGB IX und des AGG gebunden. Bereits dabei sollte jeder Hinweis auf eine unmittelbare oder mittelbare Benachteiligung Behinderter vermieden werden (vgl. §§ 3, 11 AGG). Im Übrigen ist die Ausschreibung von Stellen nicht generell vorgeschrieben (vgl. § 93 BetrVG). Nur wenn der Betriebsrat es verlangt oder die Ausschreibung zwischen den Betriebsparteien vereinbart ist (BAG, 29.09.2020 – 1 ABR 17/19).
Praxistipp:
Vermeiden Sie Aussagen wie "körperlich belastbar", "mobil" oder "geistig fit". Besser ist es, die vorgesehene Tätigkeit möglichst konkret zu beschreiben, da sich daraus solche Voraussetzungen ableiten lassen.
6. Auswahlverfahren
6.1 Private Arbeitgeber
Grundsätzlich kann der Arbeitgeber nach der Unterrichtung von Schwerbehindertenvertretung und Personalvertretung frei entscheiden, welche Bewerber er zu einem Vorstellungsgespräch einlädt.
6.2 Öffentliche Arbeitgeber
Besondere Regelungen gelten für öffentliche Arbeitgeber (§ 165 SGB IX). Sie sind verpflichtet, den Agenturen für Arbeit frühzeitig nach einer erfolglosen Prüfung zur internen Besetzung des Arbeitsplatzes neu zu besetzende Arbeitsplätze zu melden (§ 165 Abs. 1 S. 1 SGB IX). Dabei ist die Veröffentlichung eines Stellenangebots über die Jobbörse der Arbeitsagentur keine ausreichende Meldung i.d.S. (BAG, 25.11.2021 – 8 AZR 313/20). Das Unterlassen einer korrekten Meldung kann nach dem Urteil zur Vermutung führen, dass eine Benachteiligung des betroffenen Schwerbehinderten i.S.v. § 22 AGG vorliegt. Mit der Meldung des neu zu besetzenden Arbeitsplatzes gilt die Zustimmung zur Veröffentlichung der Stellenangebote gegenüber der Arbeitsagentur als erteilt. Außerdem sind sie verpflichtet, schwerbehinderte Bewerber zu dem Vorstellungsgespräch einzuladen. Diese Pflicht gilt grundsätzlich auch für rein interne Besetzungsverfahren, soweit dem Bewerber nicht offensichtlich die fachliche Eignung fehlt (BAG, 25.06.2020 – 8 AZR 75/19). Dies gilt nach dem Urteil jedenfalls dann, wenn Auswahlgespräche stattfinden. Eine andere Auffassung in Bezug auf die Einladungspflicht bei internen Ausschreibungen vertritt das LAG Baden-Württemberg. Arbeitsplätze i.S.v. § 165 Satz 3 SGB IX sind danach nur diejenigen Arbeitsplätze, die den Agenturen für Arbeit zu melden sind. Die Meldepflicht gilt danach bei internen Ausschreibungen nicht (LAG Baden-Württemberg, 03.06.2019 - 1 Sa 12/18). Im Übrigen hat auch der öffentliche Arbeitgeber im Rahmen seiner Organisationsfreiheit das Recht, zwischen verschiedenen Möglichkeiten der Stellenbesetzung (wie z.B. Umbesetzung, interne oder externe Ausschreibung) zu wählen. Er ist nicht verpflichtet, eine ermessensfehlerfrei unbeschränkt ausgeschriebene Stelle außerhalb des nach Art. 33 Abs. 2 GG durchzuführenden Bewerbungs- und Auswahlverfahrens vorab einem schwerbehinderten Arbeitnehmer zuzuweisen, um dessen Anspruch auf Beschäftigung nach § 164 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 SGB IX zu gewährleisten (BAG, 03.12.2019 - 9 AZR 78/19). Ansprüche zur Sicherung des Bewerbungsverfahrensanspruchs aus Art. 33 Abs. 2 GG sind als öffentlich-rechtliche Streitigkeiten durch die Verwaltungsgerichte zu entscheiden (LAG Bremen, 09.09.2020 – 1 Ta 19/20 u. LAG Düsseldorf, 09.11.2020 – 3 Ta 317/20). Dies gilt unabhängig davon, ob eine Stelle im Beamtenverhältnis, im Arbeitsverhältnis oder sowohl im Beamten- wie auch im Arbeitsverhältnis ausgeschrieben wurde (LAG Düsseldorf, 08.12.2020 – 3 Ta 319/20; 09.11.2020 a.a.O.). A.M. in Bezug auf ein Konkurrentenstreitverfahren um die Stelle für einen Tarifbeschäftigten im öffentlichen Dienst: LAG Köln, 04.12.2020 – 9 Ta 203/20 u. LAG Niedersachsen, 14.01.2021 – 10 Ta 316/20).
Die in § 165 Satz 3 SGB IX bestimmte Verpflichtung des öffentlichen Arbeitgebers, schwerbehinderte Stellenbewerber zum Vorstellungsgespräch einzuladen, gehört zu den Pflichten des Arbeitgebers, mit denen kein individueller Anspruch bzw. kein individuelles Recht der jeweiligen schwerbehinderten Bewerber auf eine Einladung korrespondiert, auf den bzw. auf das diese rechtswirksam verzichten könnten (BAG, 26.11.2020 - 8 AZR 59/20).
Welche Unternehmen "öffentliche Arbeitgeber" sind, ist in § 154 Abs. 2 SGB IX legal definiert. Die Fraktionen des bayerischen Landtages sind keine öffentlichen Arbeitgeber in diesem Sinne, insbesondere keine sonstigen Körperschaften des öffentlichen Rechts. Daher sind sie auch nicht verpflichtet, schwerbehinderte Bewerber zu einem Vorstellungsgespräch einzuladen (BAG, 16.05.2019 – 8 AZR 315/18). Dies gilt auch für die US–Stationierungsstreitkräfte (LAG Rheinland-Pfalz, 06.11.2019 – 7 Sa 120/19).
Ebenfalls kein öffentlicher Arbeitgeber i.S.v. § 165 S. 3 und § 154 Abs. 2 SGB IX ist die evangelische Kirche einschließlich ihrer Untergliederungen. Lädt ein Kirchenkreis einen schwerbehinderten Bewerber nicht zu einem Vorstellungsgespräch ein, kommt dem keine Indizwirkung i.S.v. § 22 AGG zu (LAG Rheinland-Pfalz, 27.07.2022 – 5 Sa 10/22). Offen gelassen hat das LAG Hamm die Frage, ob ein Erzbistum als öffentlicher Arbeitgeber anzusehen ist. Nach der Begründung der Entscheidung ist das Bistum zwar als Körperschaft des öffentlichen Rechts anzusehen. Aus der Entstehungsgeschichte der Vorschrift ergäben sich indes Anhaltspunkte dafür, dass der öffentliche Dienst nur im Hinblick auf die Ausübung hoheitlicher Tätigkeiten anders behandelt werden sollte als private Unternehmen. Die Kirchen übten aber, auch wenn sie als öffentlich-rechtliche Körperschaften verfasst seien, keine Staatsgewalt aus (LAG Hamm, 21.07.2022 - 18 Sa 21/22).
Haben schwerbehinderte Menschen sich um einen solchen Arbeitsplatz beworben oder sind sie von der Bundesagentur oder einem Integrationsfachdienst vorgeschlagen worden, werden sie zu einem Vorstellungsgespräch eingeladen (§ 165 S. 3 SGB IX). Damit will der Gesetzgeber erreichen, dass behinderten Menschen eine privilegierte Chance eingeräumt wird, den zukünftigen Arbeitgeber davon zu überzeugen, dass eine produktive gemeinsame Zusammenarbeit möglich ist (BAG, 22.10.2015 - 8 AZR 384/14). Verbunden damit ist die Hoffnung, dass der Arbeitgeber im Rahmen eines Vorstellungsgesprächs die Erkenntnis gewinnen kann, dass die Einstellung des behinderten Bewerbers für ihn in Abwägung aller Umstände von Vorteil wäre. Schwerbehinderte Bewerber müssen daher auch dann zwingend zu einem Vorstellungsgespräch eingeladen werden, wenn die Sichtung der Bewerbungsunterlagen ergibt, dass andere Bewerber deutlich besser geeignet sind (LAG Mecklenburg-Vorpommern, 30.07.2019 - 5 Sa 82/18).
Der öffentliche Arbeitgeber erfüllt die Pflicht aus § 165 S. 3 SGB IX grundsätzlich auch dadurch, dass er den schwerbehinderten Bewerber zu einem Vorstellungsgespräch einlädt, das in Form eines Video-Interviews durchgeführt wird. Dies gilt jedenfalls dann, wenn alle Vorstellungsgespräche in dieser Form durchgeführt werden, es im Laufe des Video-Interviews nicht zu technischen Problemen kommt, der schwerbehinderte Bewerber mit der Durchführung des Vorstellungsgesprächs in Form des Video-Interviews einverstanden ist und keine besonderen behinderungsbedingten Einschränkungen bestehen, die die Durchführung des Interviews erschweren könnten (LAG Hamm, 21.07.2022 - 18 Sa 21/22).
Bittet der schwerbehinderte Bewerber nach einer Einladung zum Vorstellungstermin um einen Ausweichtermin, so kann der öffentliche Arbeitgeber dieser Bitte nicht mit dem Argument, dass praktische oder organisatorische Gesichtspunkte der Durchführung der Auswahlgespräche auch mit nicht schwerbehinderten Menschen dies verhindern, entgegentreten (LAG Hessen, 12.10.2020 – 7 Sa 1042/19 – das Revisionsverfahren beim BAG endete mit einem Vergleich).
Nur wenn die fachliche Eignung für die Stelle offensichtlich fehlt, ist die Einladung entbehrlich. Offensichtlich fachlich ungeeignet ist, wer unzweifelhaft nicht dem Anforderungsprofil der Stelle entspricht (st. Rspr. – siehe BAG, 20.01.2016 – 8 AZR 194/14). Ein schwerbehinderter Bewerber muss aber auch dann die Chance eines Vorstellungsgesprächs bekommen, wenn seine fachliche Eignung zweifelhaft, aber nicht offensichtlich ausgeschlossen ist. Wird ihm diese Möglichkeit genommen bzw. nicht gewährt, liegt darin eine weniger günstige Behandlung, als sie das Gesetz zur Herstellung gleicher Bewerbungschancen gegenüber anderen Bewerbern für erforderlich hält (LAG Schleswig-Holstein, 29.08.2019 - 5 Sa 375 öD/18). Maßstab für die fachliche Eignung eines Bewerbers ist der Aufgabenbereich des zu besetzenden Arbeitsplatzes. Ob ein schwerbehinderter Mensch für eine zu besetzende Stelle fachlich ungeeignet ist, ist demnach anhand eines Vergleichs zwischen dem (fachlichen) Anforderungsprofil des zu besetzenden Arbeitsplatzes und dem (fachlichen) Leistungsprofil des Bewerbers zu ermitteln (LAG Rheinland-Pfalz, 19.05.2022 - 2 Sa 362/21). Dabei ist nicht auf das formelle Anforderungsprofil abzustellen, sondern auf die Anforderung, die der Arbeitgeber an einen Bewerber stellen darf. Das Anforderungsprofil muss im Hinblick auf die zu besetzende Stelle nachvollziehbar, d.h. frei von sachfremden Erwägungen sein (LAG Köln, 02.03.2018 – 10 SaGa 21/17). Die Anforderung einer Hochschulausbildung führt nicht dazu, dass eine Bewerberin offensichtlich ungeeignet ist, wenn sich diese Voraussetzung weder aus dem Anforderungsprofil der Stelle noch aus den Eingruppierungsmerkmalen ergibt (LAG Berlin-Brandenburg, 27.11.2019 – 15 Sa 949/19). Der Dienstherr muss den Bewerber nur dann nicht zu einem Vorstellungsgespräch einladen, wenn ihm für das Anforderungsprofil offensichtlich die fachliche Eignung fehlt.
Der Begriff der "Eignung" ist als umfassendes Qualifikationsmerkmal zu verstehen, das die ganze Persönlichkeit des Bewerbers über rein fachliche Gesichtspunkte hinaus erfasst. Der Begriff "Eignung" verweist ganz allgemein auf die Eigenschaften, welche die zu besetzende Stelle von dem Bewerber fordert. Hierzu gehören über die fachliche Eignung hinaus insbesondere die oftmals als "charakterliche Eignung" bezeichnete Eignung und die gesundheitliche Eignung; aber auch sonstige körperliche und psychische Voraussetzungen können - je nach dem Anforderungsprofil der zu besetzenden Stelle - dazu gehören. Dies bedeutet, dass auch charakterliche Mängel ein offensichtliches Einstellungshindernis darstellen können und dadurch die Verpflichtung zur Einladung zum Vorstellungsgespräch nicht besteht (LAG Nürnberg, 20.05.2021 - 5 Sa 418/20).
Wird eine Stelle mit einer Mindestnote für den Abschluss eines Studiums ausgeschrieben, hat ein schwerbehinderter Bewerber mit einer schlechteren Note nur dann keinen Anspruch auf Entschädigung, wenn die Mindestnote im gesamten Verfahren gegenüber allen eingestellten Bewerbern beachtet wurde. Dies haben die Tatsachengerichte zu prüfen und zu beachten. Ansonsten gilt: Wurde durch den schwerbehinderten Bewerber die Mindestnote nicht erreicht, kann dies dazu führen, dass die fachliche Eignung nicht vorliegt und daher eine Einladung zum Vorstellungsgespräch nicht erforderlich ist (BAG, 29.04.2021 – 8 AZR 279/20). Erfüllen schwerbehinderte bzw. ihnen gleichgestellte behinderte Menschen nach ihren Bewerbungsunterlagen zweifelsfrei eine zulässig bestimmte und im Anforderungsprofil ausdrücklich und eindeutig bezeichnete fachliche Eignungsanforderung - wie etwa die Absolvierung eines zulässig geforderten Ausbildungsabschlusses mit einer bestimmten Mindestnote - nicht, sind sie zwar offensichtlich fachlich ungeeignet i.S.v. § 165 Satz 4 SGB IX. Dies allein reicht jedoch nicht aus, um den Arbeitgeber nach § 165 Satz 4 SGB IX von der in § 165 Satz 3 SGB IX bestimmten Verpflichtung zu befreien, den Bewerber zu einem Vorstellungsgespräch einzuladen. Der Arbeitgeber hat nämlich nicht nur darzulegen und im Bestreitensfall zu beweisen, dass das fachliche Leistungsprofil eines Bewerbers "unzweifelhaft" nicht dem (fachlichen) Anforderungsprofil der zu vergebenden Stelle entspricht. Er muss darüber hinaus darlegen und ggf. beweisen, dass andere Bewerber, die ebenso das Anforderungsprofil nicht erfüllten, weder zu einem Vorstellungsgespräch eingeladen noch letztlich eingestellt worden sind (BAG, 29.04.2021 – 8 AZR 279/20).
Ein wegen fehlender Eignung i.d.S. nicht berücksichtigter Bewerber kann regelmäßig nicht im Wege der einstweiligen Verfügung die vorläufige Fortführung des Stellenbesetzungsverfahrens beanspruchen (LAG Mecklenburg-Vorpommern, 03.09.2019 – 5 SaGa 2/19). Bloße Zweifel an der fachlichen Eignung rechtfertigen es nicht, von einer Einladung abzusehen, weil sich Zweifel in dem Vorstellungsgespräch ausräumen lassen können (LAG Mecklenburg-Vorpommern, 23.12.2019 – 2 Sa 224/18). Nach § 165 Satz 3 SGB IX soll dem schwerbehinderten Menschen die Chance geben, sich in dem Vorstellungsgespräch zu repräsentieren und den öffentlichen Arbeitgeber von seiner Eignung zu überzeugen (LAG Mecklenburg-Vorpommern, 30.07.2019 – 5 Sa 82/18) u. 07.01.2020 – 5 Sa 128/19).
Eine schwerbehinderte Bewerberin muss nicht automatisch deswegen offensichtlich ungeeignet für eine ausgeschriebene Stelle nach der Vergütungsgruppe E 10 TV-L i.S.v. § 165 S. 4 SGB IX sein, weil sie über den im Anforderungsprofil verlangten Hochschulabschluss nicht verfügt, zumal sich diese Voraussetzung weder aus den Eingruppierungsmerkmalen noch aus dem Anforderungsprofil selbst ergibt (LAG Berlin-Brandenburg, 27.11.2019 - 15 Sa 949/19). Ein schwerbehinderter Mensch, von dem feststeht, dass er zwar fachlich, aber nicht persönlich geeignet ist, muss nicht zum Vorstellungsgespräch eingeladen werden; dem stehen § 165 S. 3 und 4 SGB IX nicht entgegen (LAG Düsseldorf, 27.06.2018 – 12 Sa 135/18). Zweifel an der fachlichen Qualifikation reichen aber nicht aus (siehe BAG, 11.08.2016 – 8 AZR 375/15). Der öffentliche Arbeitgeber trägt die Darlegungs- und Beweislast dafür, dass der Bewerber offensichtlich ungeeignet ist (LAG Mecklenburg-Vorpommern, 23.01.2018 – 2 Sa 166/17) u. LAG Berlin-Brandenburg, 29.08.2019 – 10 Sa 563/19). Andererseits muss der Bewerber durch Angaben zu seinem fachlichen Leistungsprofil im Rahmen der Bewerbung dem Arbeitgeber die Prüfung ermöglichen, ob er zum Vorstellungsgespräch zwingend einzuladen ist. Erwirbt er erst im Lauf des Bewerbungsverfahrens die erforderliche Qualifikation, muss er den Arbeitgeber darüber informieren (LAG Mecklenburg-Vorpommern, 23.01.2018 – a.a.O.). Kommt der Bewerber dieser Verpflichtung nicht nach, geht dies zu seinen Lasten. Dann besteht für den öffentlichen Arbeitgeber keine Verpflichtung, den schwerbehinderten Menschen zu dem Vorstellungsgespräch einzuladen. Ob der Schwerbehinderte für die ausgeschriebene Stelle offensichtlich fachlich ungeeignet ist, ist anhand eines Vergleichs zwischen dem Anforderungsprofil und dem fachlichen Leistungsprofil des Bewerbers zu ermitteln (BAG, 11.08.2016 – a.a.O.). Dabei ist nicht auf das formelle Anforderungsprofil abzustellen, sondern auf die Anforderung, die der Arbeitgeber an einen Bewerber stellen darf. Das Anforderungsprofil muss im Hinblick auf die zu besetzende Stelle nachvollziehbar, d.h. frei von sachfremden Erwägungen sein (LAG Köln, 02.03.2018 – 10 SaGa 21/17). Ist dies der Fall, muss der Dienstherr den Bewerber nicht zu einem Vorstellungsgespräch einladen, wenn ihm für das Anforderungsprofil offensichtlich die fachliche Eignung fehlt.
Wird ein schwerbehinderter Stellenbewerber bei einem mehrstufigen Auswahlverfahren nach dem Vorstellungsgespräch nicht mehr zu den weiteren Stufen des Auswahlverfahrens eingeladen, weil der Arbeitgeber sich nach dem Vorstellungsgespräch gegen den schwerbehinderten Stellenbewerber entschieden hat, lässt sich daraus nicht die Vermutung herleiten, er habe aufgrund seiner Schwerbehinderung keine weitere Berücksichtigung gefunden (LAG Düsseldorf, 26.09.2018 – 7 Sa 227/18). Das BAG sah dies anders und billigte dem Bewerber eine Entschädigung zu (BAG, 27.08.2020 – 8 AZR 45/19). Nach der Entscheidung ist der Begriff "Vorstellungsgespräch" in § 165 Satz 3 SGB IX dahin auszulegen, dass er - auch bei mehrstufigen Auswahlprozessen - grundsätzlich alle Instrumente des Verfahrens der Personalauswahl unabhängig von ihrer Bezeichnung, der angewandten Methode und der konkreten Durchführungsform erfasst, die nach der eigenen Konzeption des Arbeitgebers erforderlich sind, um sich ein umfassendes Bild von der fachlichen und persönlichen Eignung des Bewerbers zu machen.
Da das Sprengstoffgesetz (SprengG) nach § 1a Abs. 1 Ziff. 5 SprengG keine Anwendung auf die für die Kampfmittelbeseitigung zuständigen Dienststellen der Länder findet, kann allein aus einem fehlenden Befähigungsschein nach § 20 SprengG bei einer Bewerbung als Munitionsfacharbeiter nicht auf eine offensichtlich fehlende fachliche Eignung i.S.d. § 165 S. 3 SGB IX geschlossen werden (LAG Berlin-Brandenburg, 13.11.2020 - 9 Sa 18/20).
Keine Diskriminierung wegen der Behinderung liegt vor, wenn ein Bewerber nicht zum Vorstellungsgespräch eingeladen und daher nicht berücksichtigt wird, weil das Bewerbungsverfahren wegen Umbesetzung einer Mitarbeiterin im Rahmen des betrieblichen Eingliederungsmanagements auf die ausgeschriebene Stelle abgebrochen wird. Der schwerbehinderte Bewerber wird damit nicht schlechter gestellt als alle anderen Bewerber und hat keinen Anspruch auf Entschädigung (LAG Rheinland-Pfalz, 03.12.2019 – 8 Sa 187/19).
Sind sehr gute Sprachkenntnisse einer oder mehrerer Sprachen Inhalt des Anforderungsprofils einer Stelle, sind Bewerber, die diese Kenntnisse nicht aufweisen, bereits offensichtlich fachlich ungeeignet i.S.v. § 165 S. 4 SGB IX. Sie sind daher nicht zu dem Vorstellungsgespräch einzuladen (LAG Berlin-Brandenburg, 08.01.2018 – 4 Ta 1489/17).
Schreibt z.B. ein öffentlicher Arbeitgeber eine Stelle aus und verlangt ein "Hochschulstudium der Informatik, idealerweise Wirtschaftsinformatik", erweitert er damit das Spektrum der IT-Qualifikation und öffnet zugleich die Tür für Wirtschaftswissenschaftler. Denn er hat zu erkennen gegeben, dass neben der Betätigung als Informatiker auch wirtschaftswissenschaftliche Kenntnisse zur Bewältigung der Aufgaben geboten sind. Ein behinderter Bewerber mit einem wirtschaftswissenschaftlichen Studium ist daher zum Vorstellungsgespräch einzuladen (LAG Thüringen, 20.12.2016 – 1 Sa 102/16).
Einer Fachfrau für Systemgastronomie, die sich um eine Stelle als Bürosachbearbeiterin bei einer öffentlichen Verwaltungsbehörde bewirbt, für die eine Berufsausbildung zur Kauffrau/Kaufmann (alle Fachrichtungen) gefordert wird, fehlt nicht offensichtlich die fachliche Eignung für die Stelle. Die Nichteinladung zum Vorstellungsgespräch zieht daher einen Anspruch auf Entschädigung nach dem AGG nach sich (VG Mainz, 28.01.2022 – 4 K 1036/20.MZ).
Bereits wenn der schwerbehinderte Bewerber entgegen § 165 Satz 3 SGB IX nicht zum Vorstellungsgespräch eingeladen wurde, ist die Verletzung des Anspruchs des Bewerbers eingetreten (LAG Schleswig-Holstein, 29.08.2019 – 5 Sa 375 öD/18). Die Verletzung dieser Pflicht ist grundsätzlich geeignet, den Anschein zu erwecken, dass der Arbeitgeber an einer Beschäftigung des Schwerbehinderten nicht interessiert ist (LAG Mecklenburg-Vorpommern, 07.01.2020 – 5 Sa 95/19). Einer Bewerberin, der die fachliche Eignung für eine von einem öffentlich-rechtlichen Arbeitgeber ausgeschriebene Stelle nicht evident fehlt, ist in der Regel eine Entschädigung nach dem AGG zu zahlen, wenn sie nicht zu einem Vorstellungsgespräch eingeladen worden ist (VG Mainz, 28.01.2022 – 4 K 1036/20.MZ). Ein Anspruch auf Entschädigung setzt lediglich voraus, dass die Schwerbehinderung mitursächlich für die negative Auswahlentscheidung war.
Eingeladen ist der Bewerber erst, wenn er die Einladung tatsächlich erhalten hat (LAG Thüringen, 28.04.2021 – 4 Sa 9/20). Die Verletzung dieser Pflicht begründet die Vermutung einer Benachteiligung wegen der Behinderung (LAG Berlin-Brandenburg, 13.11.2020 – 9 Sa 18/20). Allerdings ist dies i.S.v. § 22 AGG regelmäßig lediglich ein Indiz für die Benachteiligung. Dies führt dazu, dass der öffentliche Arbeitgeber beweisen muss, dass keine Diskriminierung vorliegt (BAG, 23.01.2020 – 8 AZR 484/18). Kann er dafür keinen Vollbeweis erbringen, besteht ein Anspruch auf Entschädigung (LAG Köln, 10.11.2021 – 3 Sa 1187/20). Der Anspruch auf Entschädigung entsteht unabhängig von einem Verschulden des Arbeitgebers. Der Grad des Verschuldens kann aber eine Rolle bei der Höhe der Entschädigung spielen (BAG, 28.10.2021 – 8 AZR 371/20).
Entlasten kann der Arbeitgeber sich z.B. durch den Nachweis, dass er eine Einladung zum Vorstellungsgespräch ordnungsgemäß auf den Weg gebracht hat (LAG Mecklenburg-Vorpommern, 07.01.2020 – 5 Sa 95/19). Allein der Umstand, dass eine schriftliche Einladung zu einem Vorstellungsgespräch der sich bewerbenden schwerbehinderten oder gleichgestellten Person nicht entsprechend § 130 BGB zugegangen ist, begründet für sich genommen nicht die Vermutung i.S.v. § 22 AGG, dass die Behinderung bzw. Gleichstellung mitursächlich für die erfahrene Benachteiligung ist. Etwas anderes gilt dann, wenn der Arbeitgeber nicht alles ihm Mögliche und Zumutbare unternommen hat, um einen ordnungsgemäßen und fristgerechten Zugang einer Einladung zu bewirken. Eine bestimmte Form oder eine bestimmte Art der Übermittlung für die Einladung zum Vorstellungsgespräch verlangt § 165 Satz 3 SGB IX nicht (BAG, 01.07.2021 - 8 AZR 297/20). Der Arbeitgeber kann auch geltend machen und beweisen, dass er aufgrund besonderer, ihm nicht zuzurechnender Umstände des Einzelfalles nicht die Möglichkeit hatte, eine Bewerbung tatsächlich zur Kenntnis zu nehmen (BAG, 23.01.2020 – a.a.O.). Im Übrigen kann der öffentliche Arbeitgeber sich insbesondere darauf berufen, dass die Nichteinladung des Bewerbers keinen Zusammenhang mit dessen Behinderung und/oder der Eignung hat. Dies ist z.B. der Fall, wenn das Einladungsschreiben infolge eines Versehens unrichtig adressiert wurde und es daher den Bewerber nicht erreicht. Die Vermutung der Diskriminierung ist damit widerlegt (LAG Thüringen, 28.04.2021 – 4 Sa 9/20). Aus der Verletzung der Einladungspflicht nach § 165 SGB IX kann jedenfalls nicht ohne weiteres die Vermutung abgeleitet werden, es liege eine Benachteiligung wegen der Behinderung vor, wenn es dem Arbeitgeber gerade um die Einstellung eines Menschen mit Behinderung geht (ArbG Ulm, 02.08.2016 – 5 Ca 86/16). Dagegen kann der Arbeitgeber nicht erfolgreich geltend machen, er habe seine behördeninternen Abläufe so schlecht organisiert, dass den sorgfältig ausgebildeten und geschulten Mitarbeitern wiederholt Bewerbungen abhandengekommen sind (LAG Köln, 23.08.2018 – 6 Sa 147/18).
Keine Indizwirkung nach § 22 AGG kann eintreten, wenn der Bewerber seine Schwerbehinderung nicht rechtzeitig, d.h. vor Abschluss der Bewerbungsfrist angegeben hat. Unterlässt der Arbeitgeber dann die Einladung zum Vorstellungsgespräch, muss der Bewerber für den Anspruch auf Entschädigung beweisen, dass eine Diskriminierung vorlag. Ausnahmsweise kann eine spätere Mitteilung der Schwerbehinderung ausreichend sein. Dies setzt aber voraus, dass es dem Arbeitgeber im Einzelfall unter Berücksichtigung seines Interesses an einer ordnungsgemäßen Durchführung des Auswahl-/Stellenbesetzungsverfahrens und an einer zügigen Entscheidung über die Besetzung der Stelle(n) noch zumutbar ist, den zugunsten schwerbehinderter Menschen bestehenden Verfahrens- und/oder Förderpflichten nachzukommen (BAG, 17.12.2020 - 8 AZR 171/20).
Ein Anspruch auf Entschädigung nach dem AGG kommt in Betracht, wenn eine Diskriminierung wegen der Schwerbehinderung erfolgt ist. Dies setzt aber voraus, dass die Schwerbehinderung zumindest mitursächlich für die negative Auswahlentscheidung war. Die Entschädigung nach § 15 Abs. 2 AGG hat dabei eine Doppelfunktion. Sie dient einerseits der vollen Schadenskompensation und andererseits der Prävention, wobei jeweils der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu wahren ist (BAG, 28.05.2020 - 8 AZR 170/19).
Bereits ein Verstoß des Arbeitgebers gegen Vorschriften, die Verfahrens- oder Förderpflichten zugunsten schwerbehinderter Menschen enthalten, begründet regelmäßig die Vermutung i.S.v. § 22 AGG, dass der erfolglose Bewerber wegen der Schwerbehinderung nicht berücksichtigt und damit wegen der Schwerbehinderung benachteiligt wurde. Dies kann z.B. der Fall sein, wenn frühzeitig freiwerdende und neu zu besetzende Stellen nicht entsprechend § 165 S. 1 SGB IX der Arbeitsagentur gemeldet werden. Keine ordnungsgemäße Meldung liegt vor, wenn die Stelle lediglich zur Aufnahme in die Jobbörse angezeigt wurde (BAG, 25.11.2021 – 8 AZR 313/20).
Der Entschädigungsanspruch muss nach § 15 Abs. 4 AGG innerhalb von zwei Monaten schriftlich geltend gemacht werden, soweit die Tarifvertragsparteien nicht etwas anderes vereinbart haben. Als ausreichend wird nach der Rechtsprechung auch die Geltendmachung in Textform i.S.v. § 126b BGB anerkannt (BAG, 16.02.2012 – 8 AZR 697/10). Die Frist beginnt mit dem Zeitpunkt, zu dem der Betroffene von der Benachteiligung erfährt, d.h. in der Regel mit dem Zugang der Ablehnung. Die Ablehnung i.d.S. setzt eine auf den Beschäftigten bezogene ausdrückliche oder konkludente Erklärung des Arbeitgebers voraus, aus der sich für den Beschäftigten eindeutig ergibt, dass seine Bewerbung keine Aussicht auf Erfolg hat (LAG Mecklenburg-Vorpommern, 19.09.2020 – 2 Sa 16/20). Die Frist endet nach zwei Monaten; sie berechnet sich nach §§ 187 Abs. 1, 188 Abs. 2 BGB. Der Tag, an dem der Betroffene Kenntnis von der Benachteiligung erlagt, zählt als Ereignistag nicht mit. Die Geltendmachung des Entschädigungsanspruchs ist eine rechtsgeschäftsähnliche Handlung, auf die die Vorschriften des BGB analog anzuwenden sind. Dazu zählt auch § 130 BGB. Daher wird die Geltendmachung des Entschädigungsanspruchs wirksam mit dem Zugang bei dem Arbeitgeber. Der Zugang muss ggf. von dem betroffenen Arbeitnehmer bewiesen werden (LAG Berlin-Brandenburg, 14.10.2021 – 5 Sa 1051/21).
Soweit sich die Beteiligten nicht einigen können, kann der betroffene Arbeitnehmer klagen. Die Klage muss innerhalb von drei Monaten nach der schriftlichen Geltendmachung des Anspruchs beim Arbeitgeber erhoben werden (§ 61b Abs. 1 ArbGG).
Die Fristen in § 15 Abs. 4 AGG und 61b Abs 1 ArbGG sind mit dem Unionsrecht vereinbar (LAG München, 07.03.2022 – 4 Sa 512/21).
Nach der Rechtsprechung trifft den beim Auswahlverfahren nicht berücksichtigten Bewerber die Pflicht, sich zunächst mit einer einstweiligen Verfügung zu wehren, soweit diese zumutbar ist (BAG, 27.07.2021 – 9 AZR 326/20 u. BAG, 12.12.2017 – 9 AZR 152/17). Erst dann kann sekundär ein Schadensersatzanspruch geltend gemacht werden. Ansonsten trifft ihn ein Mitverschulden, das auch im Rahmen des § 839 BGB gilt (LAG Rheinland-Pfalz, 01.08.2019 - 5 Sa 420/18). Auch das LAG Mecklenburg-Vorpommern betont, dass Primärrechtsschutz Vorrang vor Sekundärrechtsschutz hat. Ein Bewerber verfüge nicht über ein Wahlrecht zwischen alsbaldigem Primärrechtsschutz (Konkurrentenklage – Anm. der Red.) gegen eine zur Stellenbesetzung durch den öffentlichen Arbeitgeber getroffene Entscheidung und einem späteren Schadensersatzbegehren (LAG Mecklenburg-Vorpommern, 15.09.2020 - 2 Sa 16/20). Ein übergangener Bewerber um ein öffentliches Amt hat daher einen Anspruch auf Schadenersatz nur, wenn er versucht hat, die Besetzung der Stelle mit einem anderen Bewerber durch ein Rechtsmittel zu verhindern (LAG Berlin-Brandenburg, 07.03.2018 – 17 Sa 7/18). Dies gilt zumindest, wenn diese Vorgehensweise dem übergangenen Bewerber möglich und zumutbar war (BAG, 12.12.2017 – 9 AZR 152/17).
Nach der Wertung des § 839 Abs. 3 BGB soll nämlich grundsätzlich nur der Stellenbewerber Schadensersatz erhalten, der sich im Vorfeld der absehbaren Auswahlentscheidung des Arbeitgebers bemüht hat, den eingetretenen Schaden dadurch abzuwenden, dass er seine Rechte aus Art. 33 Abs. 2 GG durch die Inanspruchnahme einstweiligen Rechtsschutzes wahrt. Die Regelung verleiht dem Bewerber ein grundrechtsgleiches Recht auf leistungsgerechte Einbeziehung in die Bewerberauswahl, entsprechend der in Art. 32 Abs. 2 GG genannten Auswahlkriterien (LAG Thüringen, 24.06.2021 – 2 SaGa 2/21 u. 20.07.2021 – 1 Sa 71/20). Die tatsächliche Besetzung eines ausgeschriebenen öffentlichen Amtes führt jedoch zum Untergang der subjektiven Ansprüche des unterlegenen Mitbewerbers aus Art. 33 Abs. 2 GG, wenn ihm ausreichend Gelegenheit für die Inanspruchnahme des vorläufigen Rechtsschutzes gewährt worden ist (LAG Mecklenburg-Vorpommern, 22.09.2021 - 3 Sa 110/21).
Der Arbeitgeber des öffentlichen Dienstes hat auch bei der Stellenbesetzung im Rahmen privater Arbeitsverhältnisse die Vorgaben des Art. 33 Abs. 2 GG zu beachten. Aufgrund des ihm zuzubilligenden großen Spielraums bei der Festlegung von Anforderungen für die zu besetzende Stelle hat er das Anforderungsprofil an sich, sein Zustandekommen und das Ergebnis zu dokumentieren. Die Festlegung des Anforderungsprofils muss auch so hinreichend bestimmt formuliert sein, dass nachträglich nicht durch Ausnutzung verschiedener Auslegungsmöglichkeiten tatsächlich Veränderungen am Anforderungsprofil vorgenommen werden können (LAG Thüringen, 24.11.2021 - 4 SaGa 8/21).
Aus Gründen des effektiven Rechtsschutzes hinsichtlich des Bewerberverfahrensanspruchs müssen Auswahlüberlegungen hinreichend dokumentiert sein, damit eine gerichtliche Überprüfung erfolgen kann und nicht zum Nachteil eines Bewerbers im Nachgang der Auswahlentscheidung die Kriterien geändert werden können (BAG, 17.08.2010 - 9 AZR 347/09). Das gilt auch für die personalpolitischen Überlegungen und vorgelagerten Organisationsgrundentscheidungen (LAG Thüringen, 27.10.2021 - 4 SaGa 4/21).
Der Arbeitnehmer ist im Zweifel beweispflichtig, dass Tatsachen vorliegen, die ihm eine Teilnahme am Auswahlverfahren unmöglich gemacht oder die Aussichten auf eine Teilnahme am Auswahlverfahren erheblich verschlechtert haben (LAG Thüringen, 15.12.2021 - 4 Sa 65/20).
Zur Sicherung ihres Bewerbungsverfahrensanspruchs ist eine mittellose Partei nicht gehalten, auf eigene Kosten ein Eilverfahren zu betreiben, um dem Arbeitgeber die Besetzung der Stelle gerichtlich untersagen zu lassen. Ausreichend, aber auch erforderlich ist die Durchführung eines Prozesskostenhilfeverfahrens, an das sich - für den Fall, dass das Gericht Prozesskostenhilfe gewährt - ein Eilverfahren anschließt. Lehnt das Arbeitsgericht die Bewilligung von Prozesskostenhilfe ab, obliegt es dem Bewerber im Regelfall, die Entscheidung im Wege der sofortigen Beschwerde anzufechten (BAG, 27.07.2021 - 9 AZR 326/20). Dies entspricht dem dargestellten schadensersatzrechtlichen Grundsatz, dass der Primärrechtsschutz Vorrang vor dem Sekundärrechtsschutz hat (BAG, 01.12.2020 - 9 AZR 192/20).
Für den Antrag eines Bewerbers auf vorläufige Untersagung, eine als Arbeitsverhältnis ausgeschriebene Stelle im öffentlichen Dienst mit einem anderen Bewerber zu besetzen, ist der Rechtsweg zu den Gerichten für Arbeitssachen gegeben. Es handelt sich nicht um eine öffentlich-rechtliche Streitigkeit (LAG Niedersachsen, 14.01.2021 - 10 Ta 316/20). Ist jedoch die streitentscheidende Norm Art. 33 Abs. 2 GG, betrifft das Verfahren eine öffentlich-rechtliche und keine bürgerliche Streitigkeit (LAG Düsseldorf, 11.12.2020 – 3 Ta 375/20). Für diese ist daher allein der Rechtsweg zu den Verwaltungsgerichten und nicht zu den Arbeitsgerichten eröffnet. Das gilt unabhängig davon, ob die Stelle allein für eine Beschäftigung im Beamtenverhältnis, sowohl im Beamten- wie auch im Arbeitsverhältnis oder allein für eine Beschäftigung im Arbeitsverhältnis ausgeschrieben und vorgesehen ist (LAG Düsseldorf, 09.11.2020 - 3 Ta 317/20; LAG Düsseldorf, 08.12.2020 – 3 Ta 319/20 u. LAG Bremen, 09.09.2020 – 1 Ta 19/20).
Wird eine Stelle im öffentlichen Dienst offen für ein Beamtenverhältnis und für ein Arbeitsverhältnis ausgeschrieben, ist für die Bestimmung des Rechtswegs maßgeblich, ob sich die Bewerbung auf die Übernahme in ein Beamtenverhältnis oder auf den Abschluss eines Arbeitsvertrages richtet. Lässt sich der Bewerbung selbst keine eindeutige Präferenz entnehmen, kommt für die Bestimmung des Rechtswegs dem Umstand, dass der Bewerber aufgrund seines Alters nicht in ein Beamtenverhältnis übernommen werden darf, maßgebliche Bedeutung zu. Denn der Wille des Bewerbers kann in einem solchen Fall bei lebensnaher Betrachtung nur auf die Begründung eines Arbeitsverhältnisses gerichtet sein (LAG Köln, 30.10.2018 – 9 Ta 192/18).
Eine Bewerbung, die offensichtlich allein darauf abzielt, eine Entschädigung nach dem AGG zu erhalten, ist jedoch rechtsmissbräuchlich. Sie kann keinen Entschädigungsanspruch auslösen (ArbG Bonn, 23.10.2019 – 5 Ca 1201/19). Nach einem Urteil des LAG Mecklenburg-Vorpommern (07.01.2020 – 5 Sa 128/19) kann auf Rechtsmissbrauch nicht bereits daraus geschlossen werden, dass eine Person eine Vielzahl erfolgloser Bewerbungen versandt hat und mehrere Entschädigungsprozesse geführt hat bzw. führt. Von Rechtsmissbrauch kann erst ausgegangen werden, wenn nachgewiesen ist, dass kein ernsthaftes Interesse an der ausgeschriebenen Stelle besteht und die Bewerbung darauf abzieht, eine Entschädigung zu erlangen (LAG Rheinland-Pfalz, 19.05.2022 – 2 Sa 362/21). Auch das BAG hat entschieden, dass kein Anspruch auf Entschädigung besteht, wenn diese dem Rechtsmissbrauchseinwand (§ 242 BGB) ausgesetzt ist. Rechtsmissbrauch ist anzunehmen, sofern eine Person sich nicht beworben hat, um die ausgeschriebene Stelle zu erhalten, sondern es ihr darum ging, nur den formalen Status als Bewerber i.S.v. § 6 Abs. 1 Satz 2 AGG zu erlangen mit dem ausschließlichen Ziel, Ansprüche auf Entschädigung und/oder Schadensersatz geltend zu machen (BAG, 31.03.2022 - 8 AZR 238/21).
Ein Bewerber für ein Beschäftigungsverhältnis erfährt eine unmittelbare Benachteiligung i.S.v. § 3 Abs. 1 AGG wegen seines Alters, wenn seine Bewerbung deshalb keinen Erfolg hat, weil er als "externe/" Bewerber das gesetzlich festgelegte Alter zum Erreichen der Regelaltersrente bereits überschritten hat. Soweit jedoch der Arbeitgeber - anknüpfend an das Regelungsziel der tariflichen Altersgrenze - mit der Ablehnung "externer" Bewerber, die das Eintrittsalter für den Bezug einer Regelaltersrente bereits vollendet haben, das Ziel verfolgt, über eine bessere Beschäftigungsverteilung zwischen den Generationen den Zugang jüngerer Personen zur Beschäftigung zu fördern, stellt dies ein legitimes Ziel i.S.v. § 10 Satz 1 AGG, Art. 6 Abs. 1 der Richtlinie 2000/78/EG dar. Jedenfalls in den Fällen, in denen für die zu besetzende Stelle ein geeigneter Bewerber zur Verfügung steht, der die Regelaltersgrenze noch nicht vollendet hat, oder es sich bei der Stelle um einen dauerhaft zu besetzenden Arbeitsplatz handelt, dürfte die auf das Überschreiten der sog. Regelaltersgrenze gestützte Ablehnung eines Bewerbers zumindest dann angemessen und erforderlich sein, wenn dieser über auskömmliche Altersrentenbezüge oder entsprechende Pensionsansprüche verfügt. Darüber hinaus hat nach der Entscheidung im entschiedenen Fall die Würdigung sämtlicher Anschreiben sowie des Verhaltens des Bewerbers ergeben, dass er es auf eine Absage angelegt hatte (BAG, 31.03.2022 - 8 AZR 238/21).
Wird ein Stellenbesetzungsverfahren wegen Umbesetzung eines vorhandenen Mitarbeiters auf die ausgeschriebene Stelle abgebrochen, hat ein schwerbehinderter Bewerber keinen Anspruch auf Entschädigung nach dem AGG (VG Koblenz, 22.04.2016 – 5 K 56/16.KO u. LAG Rheinland-Pfalz, 03.12.2019 – 8 Sa 187/19). Wird ein schwerbehinderter Bewerber nicht zum Vorstellungsgespräch eingeladen, spricht dies für eine Diskriminierung wegen der Behinderung. Diese Vermutung ist aber widerlegt, wenn er wegen Überqualifizierung nicht zum Vorstellungsgespräch eingeladen wird (BAG, 20.01.2016 – 8 AZR 194/14). Die "objektive Eignung" Bewerbers ist kein Kriterium der "vergleichbaren Situation" oder "vergleichbaren Lage" nach § 3 Abs. 1 und Abs. 2 AGG und deshalb nicht Voraussetzung für einen Anspruch auf Entschädigung nach § 15 Abs. 1 und Abs. 2 AGG. Daher kommt es nicht darauf an, dass ein Bewerber sich ernsthaft Chancen auf eine Einstellung ausrechnen darf. Die Diskriminierung i.S.d. AGG kann auch bereits im Auswahlverfahren liegen (BAG, 19.05.2016 – 8 AZR 470/14).
Die Pflicht zur Einladung zu einem Vorstellungsgespräch besteht ausnahmsweise nicht, wenn es dafür Gründe gibt, die weder Benachteiligung des Bewerbers wegen seiner Schwerbehinderung i.S.v. § 1 AGG darstellen noch seine fachliche Eignung berühren. Dies kann der Fall sein, wenn der Bewerber wegen des Vorbeschäftigungsverbotes i.S.v. § 14 Abs. 2 S. 2 TzBfG nicht berücksichtigt wurde (LAG Berlin-Brandenburg, 29.08.2019 – 10 Sa 563/19). In diesem Fall besteht kein Entschädigungsanspruch.
Bewirbt sich der Bewerber um mehrere Stellen mit identischem Anforderungsprofil, ist es ausreichend, wenn der Bewerber einmal zu einem Vorstellungsgespräch eingeladen wird (BAG, 25.06.2020 – 8 AZR 75/19).
Grundsätzlich ist auch eine Befristung des Arbeitsvertrages mit einem schwerbehinderten Arbeitnehmer zulässig. Ein sachlicher Grund, der i.S.v. § 14 Abs. 1 S. 2 Nr. 6 TzBfG in der Person des Arbeitnehmers liegt ist gegeben, wenn der Mitarbeiter im Rahmen einer Initiative zur Inklusion schwerbehinderter Akademiker außerhalb des Stellenplanes befristet eingestellt wird, ohne dass dafür ein Personalbedarf besteht (LAG Köln, 25.06.2020 – 8 Sa 1015/15).
Beteiligt der Arbeitgeber entgegen § 81 Abs. 1 Satz 1 und 6 SGB IX die Schwerbehindertenvertretung im Bewerbungsverfahren nicht, so ist stets eine Benachteiligung wegen der Schwerbehinderteneigenschaft zu vermuten (BAG, 15.02.2005 - 9 AZR 635/03).
7. Frage nach der Schwerbehinderteneigenschaft
Auch im Vorstellungsgespräch muss jeder Anschein einer Benachteiligung infolge der Behinderung vermieden werden. Der Bewerber ist nicht verpflichtet, auf seine Behinderung hinzuweisen. Darüber hinaus besteht nach der neueren Rechtsprechung auch kein generelles Recht des Arbeitgebers, nach einer Behinderung zu fragen. Beantwortet der Schwerbehinderte eine solche Frage wahrheitswidrig, berechtigt dies nicht zur Anfechtung des Arbeitsvertrages. Es besteht also ein Recht auf "Lüge". Lediglich hinsichtlich körperlicher oder geistiger Fähigkeiten, die für die konkreten Anforderungen der Stelle erforderlich sind, kann gefragt werden.
Praxistipp:
Zulässig wäre z.B. folgende Frage: "Bei der ausgeschriebenen Tätigkeit sind regelmäßig Lasten von ca. 30 kg zu bewegen. Fühlen Sie sich körperlich dazu in der Lage oder gibt es Einschränkungen, die dies unmöglich machen?"
Besteht das Arbeitsverhältnis dagegen seit mindestens sechs Monaten, kann nach einer Schwerbehinderung gefragt werden (BAG, 16.02.2012 – 6 AZR 553/10). Dies ist erforderlich, damit der Arbeitgeber die besonderen Regelungen des Kündigungsschutzes beachten kann. Wird die Frage wahrheitswidrig beantwortet, kann dies zu Verlust des Sonderkündigungsschutzes führen (BAG, 16.02.2012 a.a.O.).
8. Einstellungsentscheidung
Entscheidet sich der Arbeitgeber nach dem Auswahlverfahren, die Stelle nicht mit einem Schwerbehinderten zu besetzen, muss er erneut die Schwerbehinderten- und die Personalvertretung einschalten, wenn er seiner Beschäftigungspflicht nach § 154 Abs. 1 SGB IX nicht nachkommt. Tragen die Gremien diese Entscheidung nicht mit, muss er ihnen die Gründe mitteilen und die Entscheidung mit ihnen erörtern (§ 164 Abs. 1 S. 7 SGB IX). Dabei ist der abgelehnte Bewerber zu hören (§ 164 Abs. 8 SGB IX).
Danach entscheidet der Arbeitgeber endgültig. Er ist verpflichtet, die Beteiligten unter Angabe der Gründe darüber zu unterrichten (§ 164 Abs. 1 S. 9 SGB IX). In welcher Form er dies tut, bleibt ihm überlassen (BAG, 18.11.2008 – 9 AZR 643/07)