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Welche Fragen Arbeitgeber auch zum Thema Sozialversicherungsrecht bewegen: Die Rechtsdatenbank der AOK liefert die Antworten – einfach, fundiert und topaktuell.

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Schwerbehinderte Menschen - Aufgaben der Vertretung
Schwerbehinderte Menschen - Aufgaben der Vertretung
Inhaltsübersicht
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Information
1. Allgemeines
§ 178 SGB IX regelt die wesentlichen Aufgaben und Rechte der Schwerbehindertenvertretung. Darüber hinaus sind in verschiedenen anderen Vorschriften des SGB IX weitere Aufgaben definiert. Die Rechte und Pflichten der Vertrauensperson der Schwerbehindertenvertretung sind in § 179 SGB IX normiert. Die Schwerbehindertenvertretung erhält bei ihrer täglichen Arbeit Einblick in sehr viele vertrauliche Informationen, wie persönliche Daten oder Betriebsgeheimnisse. Daher ist sie verpflichtet, die Regelungen über den Datenschutz einzuhalten (siehe hierzu die Beiträge unter Datenschutz).
2. Allgemeine Aufgaben der Schwerbehindertenvertretung
Nach § 178 Abs.1 SGB IX hat die Schwerbehindertenvertretung die Eingliederung schwerbehinderter Menschen in den Betrieb oder die Dienststelle zu fördern. Sie vertritt die Interessen der schwerbehinderten Beschäftigten und steht ihnen beratend und helfend zur Seite. Diese Aufgaben bestehen nicht nur gegenüber den schwerbehinderten Beschäftigten, sondern auch gegenüber den ihnen Gleichgestellten. Die Aktivitäten beziehen sich neben dem Arbeitgeber auch auf die kollektiven Interessenvertretungen, wie Betriebs- oder Personalrat. Die Aufzählung der Aufgaben in § 178 Abs. 1 SGB IX ist nicht abschließend.
In Einrichtungen der beruflichen Rehabilitation ist die Schwerbehindertenvertretung nach § 178 SGB IX auch für die Vertretung der Interessen schwerbehinderter Rehabilitanden zuständig. Sie repräsentiert in solchen Einrichtungen daher nicht nur die im Betrieb beschäftigten schwer behinderten Arbeitnehmer, sondern auch die in Ausbildung befindlichen schwer behinderten Rehabilitanden (BAG, 27.06.2001 - 7 ABR 50/99). Dem steht § 52 SGB IX nicht entgegen (BAG, 16.04.2003 - 7 ABR 27/02).
2.1 Überwachung
Nach § 178 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 SGB IX hat die Schwerbehindertenvertretung darüber zu wachen, dass die zugunsten schwerbehinderter Menschen geltenden Gesetze, Verordnungen, Tarifverträge, Betriebs- oder Dienstvereinbarungen und Verwaltungsanordnungen durchgeführt werden. Die Überwachungspflicht bezieht sich insbesondere auf die Erfüllung der Beschäftigungspflicht (§§ 154, 155 SGB IX) und die sonstigen Pflichten des Arbeitgebers (§§ 164 bis 167 SGB IX).
Der Begriff der "zugunsten schwerbehinderter Menschen" geltenden Vorschriften ist weit auszulegen. Erfasst werden u.a. alle Vorschriften des Arbeits-, Dienst- und Sozialrechts, insbesondere die allgemeinen Arbeitsschutzvorschriften. Unter den Begriff der "Verwaltungsanordnung" fallen u.a. berufsgenossenschaftliche Vorschriften und die Durchführungsbestimmungen und Verwaltungsvorschriften der Rehabilitationsträger.
Zu den Überwachungsaufgaben gehört auch, ob der Arbeitgeber das betriebliche Eingliederungsmanagement nach § 167 Abs. 2 SGB IX ordnungsgemäß durchführt. Nach Auffassung des LAG Hamm bezieht sich diese Überwachungspflicht allerdings nur auf die schwerbehinderten Arbeitnehmer, während § 167 Abs. 2 SGB IX sich auf alle Beschäftigten bezieht. Daher habe die Schwerbehindertenvertretung Anspruch auf die quartalsweise Herausgabe von Listen der Beschäftigten, die in den zurückliegenden zwölf Monaten länger als sechs Wochen arbeitsunfähig krank waren und bei denen ein betriebliches Eingliederungsmanagement eingeleitet wurde, nur hinsichtlich der schwerbehinderten Arbeitnehmer und nicht für die gesamte Belegschaft (LAG Hamm, 10.01.2020 – 13 TaBV 60/19).
Zu beteiligen ist die Schwerbehindertenvertretung auch bei tariflichen Leistungsbeurteilungen (LAG Hamm, 14.01.2020 – 7 TaBV 63/19).
Die Beteiligungspflicht besteht noch nicht, wenn eine Maßnahme einen Arbeitnehmer betrifft, der einen Gleichstellungsantrag gestellt hat, über den noch nicht entschieden ist (BAG, 22.01.2020 – 7 ABR 18/18).
Verstößt der Betrieb gegen seine Pflichten, kann die Schwerbehindertenvertretung dies gegenüber den Verantwortlichen geltend machen und ggf. auch den Betriebs- oder Personalrat davon in Kenntnis setzen.
2.2 Beantragung von Maßnahmen
Die Schwerbehindertenvertretung ist nicht darauf beschränkt, die Einhaltung der einschlägigen Regelungen zu überwachen, sondern kann selbst Maßnahmen beantragen, die den schwerbehinderten Menschen dienen. Als Maßnahmen kommen u.a. soziale und personelle Angelegenheiten in Betracht, z.B. über die Gestaltung des Arbeitsplatzes oder den Arbeitsablauf. In Betracht kommt aber auch die aktive Einschaltung des Betriebsrates oder der anderen, in § 176 SGB IX genannten Stellen. Darüber hinaus kommen auch Anträge bei anderen Stellen, wie Integrationsämter, Bundesagentur für Arbeit oder Rehabilitationsträger in Betracht. Auch der Betriebsrat hat die Aufgabe, die Eingliederung schwerbehinderter Menschen einschließlich der Förderung von Inklusionsvereinbarungen zu fördern (§ 80 Abs. 1 Nr. 4 BetrVG – siehe auch LAG Baden-Württemberg, 20.05.2022 – 12 TaBV 4/21).
2.3 Anregungen und Beschwerden
Nach § 178 Abs. 1 Nr. 3 SGB IX hat die Schwerbehindertenvertretung Anregungen und Beschwerden von schwerbehinderten Menschen entgegenzunehmen und, falls sie berechtigt erscheinen, durch Verhandlung mit dem Arbeitgeber auf eine Erledigung hinzuwirken. Der Schwerbehindertenvertretung obliegt die Prüfung, ob die Beschwerde berechtigt erscheint. Hält sie die Beschwerde für sachlich gerechtfertigt, muss sie tätig werden, insbesondere gegenüber dem Arbeitgeber auf Abhilfe hinzuwirken. Über das Ergebnis hat sie den Beschwerdeführer zu informieren.
Die Möglichkeit, die Schwerbehindertenvertretung für Anregungen und Beschwerden einzuschalten, schließt aber nicht das Recht des einzelnen Schwerbehinderten aus, sich mit seinem Anliegen direkt an den Arbeitgeber zu wenden.
2.4 Unterstützung bei der Feststellung der Behinderung
Nach § 178 Abs. 1 S. 3 SGB IX unterstützt die Schwerbehindertenvertretung die Beschäftigten bei dem Antrag auf Feststellung der Behinderung, ihres Grades und einer Schwerbehinderung (siehe auch § 152 SGB IX). Ebenso besteht eine Unterstützungspflicht bei Anträgen auf Gleichstellung i.S.v. § 2 Abs. 3 SGB IX.
2.5 Abschluss einer Inklusionsvereinbarung
Arbeitgeber und Schwerbehindertenvertretung treffen - unter Beteiligung der Personalvertretung und in Zusammenarbeit mit dem Inklusionsbeauftragten - eine Inklusionsvereinbarung. Diese enthält verbindliche Regelungen zur Eingliederung von Schwerbehinderten. Hierbei handelt es sich nach der Formulierung im Gesetz vorrangig um eine Verpflichtung des Arbeitgebers; aber auch die Schwerbehindertenvertretung steht in der Verantwortung. (siehe auch Schwerbehinderte Menschen - Pflichten des Arbeitgebers).
3. Heranziehung des Stellvertreters
Die Schwerbehindertenvertretung besteht aus einer einzelnen Vertrauensperson. In Betrieben oder Dienststellen mit in der Regel mehr als 100 schwerbehinderten Menschen kann sie nach Unterrichtung des Arbeitgebers das mit der höchsten Stimmenzahl gewählte stellvertretende Mitglied zu bestimmten Aufgaben heranziehen. Ab jeweils 100 weiteren beschäftigten schwerbehinderten Menschen kann jeweils auch das mit der nächsthöheren Stimmenzahl gewählte Mitglied herangezogen werden. Die Entscheidung trifft die Vertrauensperson nach eigenem Ermessen. Dies gilt auch für die Frage, zu welchen Aufgaben der Stellvertreter herangezogen werden soll.
Bei der Feststellung der Grenzzahl der schwerbehinderten Beschäftigten ist nicht auf den aktuellen Beschäftigungsstand, sondern auf einen längeren Zeitraum abzustellen, der sowohl den Beschäftigungsstand in der Vergangenheit als auch die prognostizierte Entwicklung einbezieht. Die gesetzliche Regelung stellt lediglich auf die Anzahl der beschäftigten Schwerbehinderten ab; daher zählen auch Teilzeitbeschäftigte ohne Einschränkung mit.
Der Arbeitgeber ist nur über die Hinzuziehung zu unterrichten; eine Genehmigung durch den Arbeitgeber ist nicht erforderlich. Wird ein Stellvertreter zu bestimmten Aufgaben herangezogen, so ist er in diesem Fall allein zuständig für die ihm übertragenen Aufgaben. Der Arbeitgeber muss über die konkreten Aufgaben des Stellvertreters informiert werden. Es ist jedoch gesetzlich festgelegt, dass die Heranziehung zu bestimmten Aufgaben die Abstimmung untereinander einschließt. Die Schwerbehindertenvertretung kann dem Stellvertreter die übertragenen Aufgaben jederzeit und ohne Begründung wieder entziehen oder einschränken.
4. Recht auf Unterrichtung und Anhörung
4.1 Unterrichtungspflicht des Arbeitgebers
§ 178 Abs. 2 SGB IX verpflichtet den Arbeitgeber, die Schwerbehindertenvertretung in allen Angelegenheiten, die einen einzelnen oder die schwerbehinderten Menschen als Gruppe berühren, unverzüglich und umfassend zu unterrichten. Dies gilt ebenso für die Gleichgestellten. Die Schwerbehindertenvertretung hat also einen gegen den Arbeitgeber gerichteten Informationsanspruch. Ein konkreter Zusammenhang mit einem schwerbehinderten Beschäftigten braucht nicht zu bestehen. Ausreichend für das Entstehen der Unterrichtungspflicht des Arbeitgebers ist nach herrschender Auffassung eine unmittelbare oder mittelbare Auswirkung oder eine Ausstrahlung der geplanten Maßnahme auf einzelne oder mehrere schwerbehinderte Beschäftigte (siehe auch BAG, 20.06.2018 – 7 ABR 39/16). Der weit gefasste Unterrichtungsanspruch erstreckt sich also nicht nur auf einseitige Maßnahmen des Arbeitgebers, sondern auf alle Angelegenheiten, die sich spezifisch auf schwerbehinderte Menschen auswirken (BAG, 19.12.2018 – 7 ABR 80/16) und sie vom Arbeitgeber veranlasst bzw. dessen Entscheidung sind (BSG, 16.09.2020 – 7 ABR 2/20).
Eine Anhörung des betroffenen schwerbehinderten Menschen durch die Schwerbehindertenvertretung sieht das Gesetz nicht vor (BGH, 20.07.2018 – RiZ(R) 1/18).
Da die "Angelegenheiten, die einen einzelnen oder die schwerbehinderten Menschen als Gruppe berühren" i.S.v. § 178 Abs. 2 Satz 1 SGB IX weit zu fassen sind, kommen neben Bewerbungen, Einstellungen, Versetzungen und Entlassungen alle Maßnahmen in Betracht, die die Ordnung des Betriebes betreffen (wie z.B. Torkontrollen oder die Benutzungsordnung für Wasch- und Umkleideräume). Vor einer tariflichen Leistungsbeurteilung bei Schwerbehinderten oder ihnen gleichgestellten Beschäftigten ist die Schwerbehindertenvertretung gem. § 178 Abs. 2 S. 1 SGB IX zu beteiligen (LAG Hamm, 14.01.2020 - 7 TaBV 63/19). Bei Aufhebungsverträgen von Schwerbehinderten ist der Arbeitgeber ebenfalls zur Unterrichtung verpflichtet (BAG, 14.03.2012 – 7 ABR 67/10). Auch die Entscheidung über die Entfristung eines befristet abgeschlossenen Arbeitsvertrags stellt eine Entscheidung über die Begründung eines Arbeitsverhältnisses dar, weil damit die Entscheidung getroffen wird, das Arbeitsverhältnis über das ursprünglich vereinbarte Fristende hinaus unbefristet fortzusetzen. Daher besteht die Unterrichtungspflicht auch in solchen Fällen (BAG, 16.09.2020 - 7 ABR 2/20).
Der Arbeitgeber kommt seiner Unterrichtungspflicht nach, wenn er der Schwerbehindertenvertretung von einer geplanten Maßnahme Kenntnis verschafft und ihr so Gelegenheit zur Stellungnahme gibt. Dabei sind alle Informationen weiterzugeben, die für die Meinungsbildung der Schwerbehindertenvertretung relevant sein können. Die Unterrichtung ist unverzüglich, wenn sie ohne schuldhaftes Zögern erfolgt. Ist die Vertrauensperson gleichzeitig Mitglied des Betriebsrats, so muss es sich die Kenntnis dessen zurechnen lassen, was es bei der Anhörung des Betriebsrats durch den Arbeitgeber erfahren hat. Umfassend ist die Unterrichtung, wenn sie alle wesentlichen Aspekte der geplanten Maßnahme enthält. Eine unterbliebene Anhörung kann im Rahmen des § 178 Abs. 2 S. 2 SGB IX nachgeholt werden. Die Frist von sieben Tagen beginnt erst, wenn die Maßnahme vorgenommen wird (VGH München, 18.12.2019 – 3 CE 19.1884).
Hat ein als behinderter Mensch mit einem Grad der Behinderung von 30 anerkannter Arbeitnehmer die Gleichstellung mit einem schwerbehinderten Menschen beantragt und dies dem Arbeitgeber mitgeteilt, ist der Arbeitgeber nicht nach § 178 Abs. 2 Satz 1 SGB IX verpflichtet, die Schwerbehindertenvertretung von der beabsichtigten Umsetzung dieses Arbeitnehmers (vorsorglich) zu unterrichten und sie hierzu anzuhören, wenn über den Gleichstellungsantrag zu diesem Zeitpunkt noch nicht entschieden ist (BAG, 22.01.2020 - 7 ABR 18/18).
4.2 Anhörungspflicht des Arbeitgebers
Der Arbeitgeber hat nach § 178 Abs. 2 Satz 1 SGB IX die Schwerbehindertenvertretung vor einer Entscheidung anzuhören. Dies gilt grundsätzlich in allen Fällen, in denen auch eine Unterrichtung erforderlich ist (siehe 4.1). Die Anhörungsverpflichtung geht insofern über die Pflicht zur Unterrichtung hinaus, als die Anhörung verlangt, dass der Schwerbehindertenvertretung Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben wird und der Arbeitgeber eine entsprechende Stellungnahme auch zur Kenntnis nimmt (BAG, 14.03.2012 – 7 ABR 67/10).
Die Anhörungspflicht setzt – im Gegensatz zur Unterrichtungspflicht – voraus, dass der Arbeitgeber eine Entscheidung zu treffen hat (BAG, 20.06.2018 – 7 ABR 39/16 u. BAG, 19.12.2018 - 7 ABR 80/16). Sinn und Zweck der Verpflichtung zielen darauf, der Schwerbehindertenvertretung die Möglichkeit zu geben, an der Willensbildung des Arbeitgebers mitzuwirken (BAG, 14.03.2012 – 7 ABR 67/10). Die beim Jobcenter gebildete Schwerbehindertenvertretung ist vor der Einführung neuer von der Bundesagentur für Arbeit zentral verwalteter Verfahren der Informationstechnik nicht anzuhören, da der Trägerversammlung oder dem Geschäftsführer des Jobcenters insoweit keine Entscheidungsbefugnis zusteht (BAG, 20.06.2018 – a.a.O.).
Das Unterrichtungs- und Anhörungsrecht der Schwerbehindertenvertretung nach § 178 Abs. 2 Satz 1 SGB IX umfasst die Teilnahme an Personalauswahlverfahren, wenn sich ein schwerbehinderter oder gleichgestellter behinderter Mensch um eine Stelle bewirbt. Die Verpflichtung des Arbeitgebers ergibt sich auch aus § 164 Abs. 1 S. 4 SGB XI. Das Beteiligungsrecht erstreckt sich auf die Einsicht in die entscheidungserheblichen Teile der Bewerbungsunterlagen und die Teilnahme an Vorstellungsgesprächen (BAG, 19.12.2018 – 7 ABR 80/16). Für die notwendige Unterrichtung reicht es nicht aus, dass der Arbeitgeber alle Bewerbungsunterlagen auch der Schwerbehindertenvertretung elektronisch zugänglich macht. Es muss vielmehr unverzüglich ein Hinweis ergehen, ob und welcher der Bewerber schwerbehindert ist (LAG Berlin-Brandenburg, 27.11.2019 - 15 Sa 949/19). Das Einsichtsrecht erstreckt sich auch auf die entscheidungsrelevanten Teile der Bewerbungsunterlagen der nicht behinderten Bewerber. Dieses Recht steht der Schwerbehindertenvertretung auch dann zu, wenn der Arbeitgeber bei einer internen Stellenbesetzung auf eine Ausschreibung der Stelle verzichtet hat und von sich aus schwerbehinderte Menschen in seine Auswahlentscheidung mit einbezogen hat (BAG, 16.09.2020 - 7 ABR 2/20).
Nach § 178 Abs. 2 S. 3 SGB IX ist die Kündigung gegenüber einem schwerbehinderten Menschen, die der Arbeitgeber ohne Unterrichtung und Anhörung der Schwerbehindertenvertretung ausspricht, unwirksam. Die Rechtsfolge der Unwirksamkeit tritt auch bei einer fehlerhaft durchgeführten Beteiligung der Schwerbehindertenvertretung ein, wenn zwar eine Beteiligung erfolgt ist, diese allerdings falsch, unvollständig oder verspätet durchgeführt wurde (LAG Sachsen, 08.06.2018 – 5 Sa 458/17; LAG Hamm, 11.10.2018 – 15 Sa 379/18 und 15 Sa 426/18). Die Beteiligung i.d.S. muss "unverzüglich" und "umfassend" erfolgen. Fraglich kann sein, ob die Beteiligung noch unverzüglich ist, wenn der Arbeitgeber die Zustimmung des Integrationsamtes zu der Kündigung (§ 168 SGB IX) abwartet und erst dann die Schwerbehindertenvertretung anhört. Nach der Rechtsprechung des BAG führt diese Vorgehensweise nicht zur Unwirksamkeit der Kündigung (BAG, 13.12.2018 – 2 AZR 378/18 m.w.N.). Die Unwirksamkeit der Kündigung tritt nach dem Wortlaut des § 178 Abs. 2 S. 3 SGB IX erst ein, wenn der Arbeitgeber diese ohne Anhörung der Schwerbehindertenvertretung "ausspricht", d.h. diese dem Mitarbeiter zur Kenntnis bzw. – bei Abwesenheit – zu ihm auf den Weg gebracht wird. Auch bis zu diesem Zeitpunkt ist der Zweck der Unterrichtung, dass die Schwerbehindertenvertretung Einfluss auf die Entscheidung nehmen kann, zu realisieren. Das BAG betont in seiner Begründung außerdem, dass für die Beteiligung der Schwerbehindertenvertretung die gleichen Grundsätze wie für die Anhörung des Betriebsrates nach § 102 Abs. 1 und Abs. 2 BetrVG gelten. Daher muss der Arbeitgeber der Schwerbehindertenvertretung die Gründe für die Kündigung mitteilen. Der Sachverhalt, den er als Anlass für die Kündigung nehmen will, muss so umfassend beschrieben werden, dass sich die Schwerbehindertenvertretung ein Bild über die Stichhaltigkeit der Gründe machen und beurteilen und entscheiden kann, ob Bedenken geltend gemacht werden. Sie kann dies – analog § 102 Abs. 2 BetrVG innerhalb sieben Tagen bei einer ordentlichen und innerhalb drei Tagen bei einer außerordentlichen Kündigung schriftlich tun. Die Bedenken müssen begründet werden.
Analog anzuwenden auf die Schwerbehindertenvertretung ist auch eine Entscheidung des LAG Düsseldorf zur Notwendigkeit einer erneuten Anhörung bei wiederholter Kündigungserklärung: Erfolgt eine Kündigung allein deshalb zu einem späteren Zeitpunkt nach Durchführung des Anhörungsverfahrens, weil eine zuvor und unmittelbar nach Abschluss des Anhörungsverfahrens abgegebene Kündigungserklärung der Arbeitnehmerin nicht zugegangen ist, hat dieser erstmalige und erfolglose Kündigungsversuch zu keinen Rechtswirkungen geführt und damit die Anhörung nicht verbraucht. Bei erneutem Ausspruch der Kündigung und erstmaliger Bewirkung ihres Zugangs handelt es sich immer noch um die erstmalige Ausübung des unveränderten Kündigungswillens. In einem solchen Fall bedarf es keiner erneuten Anhörung, vielmehr wirkt die ursprünglich erfolgte Anhörung weiter fort (LAG Düsseldorf, 07.05.2019 - 3 Sa 740/18).
Bei Aufhebungsverträgen von Schwerbehinderten ist der Arbeitgeber zur Unterrichtung verpflichtet. Zu beachten ist in diesem Zusammenhang, dass der Arbeitgeber keine psychische Drucksituation schaffen darf, die Arbeitnehmern die freie und überlegte Entscheidung über einen Aufhebungsvertrag erheblich erschwert (BAG, 07.02.2019 – 6 AZR 75/18). Eine Anhörung entfällt aber bei dem Aufhebungsvertrag, weil der geschlossene Vertrag keine "Entscheidung" des Arbeitgebers i.S.v. § 178 Abs. 2 S. 1 SGB IX ist (BAG, 14.03.2012 – 7 ABR 67/10).
Der Arbeitgeber hat der Schwerbehindertenvertretung ausreichend Zeit für eine Stellungnahme zu geben; insoweit geht die Anhörung über die Pflicht zur Unterrichtung hinaus (BAG, 14.03.2012 – 7 ABR 67/10). Eine ausdrückliche Frist ist in § 178 Abs. 2 Satz 1 SGB IX jedoch nicht genannt. Vielfach wird die Wochenfrist des § 102 Abs. 2 Satz 1 BetrVG angewandt (siehe auch OK SGB IX, § 178 SGB IX, Rn. 12).
Neben der Anhörung hat der Arbeitgeber die Schwerbehindertenvertretung über die später getroffene Entscheidung unverzüglich zu informieren (§ 178 Abs. 2 S. 1 SGB IX). Versäumt der Arbeitgeber diese Mitteilungspflicht, führt dies nicht zur Unwirksamkeit einer Kündigung (BAG, 13.12.2018 – 2 AZR 378/18).
Der Arbeitgeber ist zur Unterrichtung und Anhörung der Schwerbehindertenvertretung auch verpflichtet, wenn sich ein schwerbehinderter oder gleichgestellter Mensch um eine Stelle bewirbt (BAG, 15.10.2014 - 7 ABR 71/12). Dies beinhaltet auch das Recht zur Teilnahme am Auswahlverfahren; insbesondere ist ihr Einsicht in die Bewerbungsunterlagen zu gewähren und ihr die Teilnahme an den Vorstellungsgesprächen zu ermöglichen (§ 178 Abs. 2 S. 4 SGB IX - siehe auch LAG Hessen, 17.03.2016 - 9 TaBV 128/15). Das Einsichtsrecht in die Bewerbungsunterlagen ist aber aus Datenschutzgründen insoweit eingeschränkt, als es sich nur auf die entscheidungsrelevanten Teile bezieht.
4.3 Aussetzung der Entscheidung
Die Durchführung oder Vollziehung einer ohne Beteiligung nach § 178 Abs. 2 Satz 1 SGB IX getroffenen Entscheidung ist auszusetzen, die Beteiligung ist innerhalb von sieben Tagen nachzuholen; sodann ist endgültig zu entscheiden. Dadurch ist klargestellt, dass bei mangelnder Beteiligung der Schwerbehindertenvertretung die Maßnahme des Arbeitgebers nicht unwirksam ist. Vielmehr hat der Arbeitgeber die Beteiligung der Schwerbehindertenvertretung nachzuholen.
Kommt der Arbeitgeber seiner Pflicht zur Beteiligung der Schwerbehindertenvertretung nicht nach, kann der Anspruch auf Aussetzung der Entscheidung im arbeitsgerichtlichen Beschlussverfahren und ggf. im einstweiligen Rechtsschutzverfahren durchgesetzt werden. Im Fall der Aussetzung ist die Entscheidung des Arbeitgebers schwebend unwirksam. Sie darf nicht durchgeführt werden und der schwerbehinderte Mensch braucht sie nicht zu beachten.
Wird die Maßnahme trotz fehlender Beteiligung der Schwerbehindertenvertretung vom Arbeitgeber durchgeführt, so ist nach h.M. die Maßnahme wirksam. Denn das Beteiligungsrecht der Schwerbehindertenvertretung wird - anders als bei § 102 Abs. 1 BetrVG - nicht als Wirksamkeitsvoraussetzung betrachtet. Ein Anspruch der Schwerbehindertenvertretung, eine ohne ihre Beteiligung durchgeführte Entscheidung wieder rückgängig zu machen, besteht nicht.
Dies gilt seit 2018 nicht mehr, wenn die Schwerbehindertenvertretung an einer Kündigung eines schwerbehinderten Menschen nicht beteiligt wurde: Dies führt dazu, dass die Kündigung unwirksam ist (§ 178 Abs. 2 S. 3 SGB IX). Dabei spielt es keine Rolle, ob es sich um eine ordentliche oder eine außerordentliche Kündigung handelt.
5. Einsicht in die Personalakte
Nach § 178 Abs. 3 Satz 1 SGB IX hat der schwerbehinderte Mensch das Recht, bei Einsicht in seine Personalakte oder ihn betreffende Daten des Arbeitgebers die Schwerbehindertenvertretung hinzuzuziehen (siehe auch Personalakte – Einsichtnahme). Die Personalakte ist jede Sammlung von Urkunden und dienstlichen Vorgängen, die sich auf persönliche und dienstliche Verhältnisse des Arbeitnehmers beziehen und im Zusammenhang mit dem Arbeitsverhältnis stehen. Nicht zu den Personalakten gehören Prozessakten sowie werkärztliche Unterlagen.
Der schwerbehinderte Beschäftigte kann während der Arbeitszeit ohne Entgeltminderung Einblick in seine Personalakten nehmen. Die Schwerbehindertenvertretung kann nur zur Einsicht in die Personalakte von dem betreffenden schwerbehinderten Beschäftigten hinzugezogen werden. Ein eigenständiges Recht der Schwerbehindertenvertretung, Einblick in die Personalakten zu nehmen, gewährt § 178 Abs. 3 SGB IX nicht.
Die Schwerbehindertenvertretung hat über den Inhalt der zur Kenntnis genommenen Daten Stillschweigen zu bewahren, es sei denn, der schwerbehinderte Beschäftigte entbindet sie von dieser Verpflichtung (§ 178 Abs. 3 Satz 2 SGB IX). Offenbart die Schwerbehindertenvertretung die zu ihrer Kenntnis gelangten Daten, ohne von der Schweigepflicht entbunden zu sein, kann der Straftatbestand nach § 237b Abs. 1 i.V.m. § 179 Abs. 7 S. 1 SGB IX vorliegen.
6. Teilnahmerecht an Sitzungen
Die Schwerbehindertenvertretung kann nach § 178 Abs. 4 Satz 1 SGB IX an allen Sitzungen des Betriebs-, Personal-, Richter-, Staatsanwalts- oder Präsidialrats und deren Ausschüssen sowie des Arbeitsschutzausschusses beratend teilnehmen (siehe auch § 32 BetrVG und § 40 BPersVG). Ihr ist bei Bedarf das Wort zu erteilen. Die Schwerbehindertenvertretung kann an allen Sitzungen beratend teilnehmen, unabhängig davon, ob Fragen schwerbehinderter Arbeitnehmer anstehen und welche Themen auf der Tagesordnung stehen. Dementsprechend ist grundsätzlich die Einladung der Schwerbehindertenvertretung zu jeder Betriebsratssitzung erforderlich (LAG Hessen, 04.12.2001 - 15 Sa 384/01).
Das Recht zur Teilnahme der Schwerbehindertenvertretung umfasst auch die Ausschusssitzungen des Betriebs- und Personalrats (§§ 27, 28 BetrVG, 32 BPersVG). Ebenfalls umfasst sind die Sitzungen des Wirtschaftsausschusses nach §106 BetrVG sowie das Recht, an den Sitzungen der nach § 28a BetrVG gebildeten Arbeitsgruppen teilzunehmen.
Darüber hinaus kann die Schwerbehindertenvertretung Angelegenheiten, die Einzelne oder die schwerbehinderten Menschen als Gruppe betreffen, auf die Tagesordnung der nächsten Sitzung der o.g. Gremien setzen. Die Schwerbehindertenvertretung ist zu allen Sitzungen einzuladen und die Tagesordnung ist ihr mitzuteilen. Sie hat Anspruch auf Aushändigung des Protokolls der Sitzung. Erachtet die Schwerbehindertenvertretung einen Beschluss des Gremiums als erhebliche Beeinträchtigung wichtiger Interessen schwerbehinderter Menschen oder wurde sie entgegen § 178 Abs. 2 S. 1 SGB IX nicht beteiligt, wird auf ihren Antrag die Beschlussfassung über diesen Punkt für eine Woche ausgesetzt. Dabei sind die Vorschriften des BetrVG (siehe § 35 BetrVG) oder des Personalvertretungsrechts über das Aussetzen von Beschlüssen entsprechend anzuwenden. Ob die Voraussetzungen für die Aussetzung vorliegen, entscheidet die Schwerbehindertenvertretung nach billigem Ermessen – es besteht daher ein gewisser Spielraum. Die Frist beginnt mit dem Tag, an dem der Beschluss des Gremiums gefasst wird, auch wenn der Antrag der Schwerbehindertenvertretung erst später gestellt wird. Die Frist gibt den Beteiligten die Möglichkeit, eine einvernehmliche Lösung zu suchen.
7. Teilnahme an Besprechungen
Die Schwerbehindertenvertretung ist zu den Besprechungen nach § 74 Abs. 1 BetrVG, § 66 Abs. 1 BPersVG sowie den entsprechenden Vorschriften des sonstigen Personalvertretungsrechts hinzuzuziehen (§ 178 Abs. 5 SGB IX). Das Recht zur Teilnahme der Schwerbehindertenvertretung an den Besprechungen besteht unabhängig davon, ob besondere Belange der schwerbehinderten Menschen betroffen sind. Die Schwerbehindertenvertretung ist nicht nur bei den regelmäßigen monatlichen Besprechungen hinzuzuziehen, sondern auch zu darüber hinausgehenden Besprechungen, z.B. solchen aus einem bestimmten aktuellen Anlass.
8. Versammlung der schwerbehinderten Menschen
Nach § 178 Abs. 6 SGB IX hat die Schwerbehindertenvertretung das Recht, einmal im Kalenderjahr eine Versammlung der schwerbehinderten Menschen durchzuführen. Dabei können alle Themen auf die Tagesordnung, die für die schwerbehinderten Mitarbeiter von Bedeutung sind und in den Zuständigkeitsbereich der Schwerbehindertenvertretung fallen.
Eine Pflicht zur Durchführung der Versammlung besteht nicht. Die Versammlung ist nicht öffentlich. Teilnehmen können sowohl die schwerbehinderten Menschen als auch Gleichgestellte. In entsprechender Anwendung des § 46 BetrVG bzw. § 52 BPersVG können auch der Arbeitgeber oder der Inklusionsbeauftragte (§ 181 SGB IX) sowie Vertreter der im Betrieb vertretenen Gewerkschaften oder Arbeitgeberverbände an der Versammlung teilnehmen. Außerdem teilnehmen können Vertreter des Integrationsamtes und der Bundesagentur für Arbeit. All diese haben kein Stimmrecht. Der Arbeitgeber ist verpflichtet, in der Versammlung über alle Angelegenheiten im Zusammenhang mit der Eingliederung schwerbehinderter Menschen zu berichten (§ 166 Abs. 4 SGB IX).
Die Versammlung findet grundsätzlich während der Arbeitszeit statt. Eine Entgeltminderung wegen der Versäumung der Arbeit aufgrund der Teilnahme an der Versammlung kommt nicht in Betracht. Eventuell zusätzlich entstehende Fahrtkosten hat der Arbeitgeber zu tragen. Findet die Versammlung außerhalb der Arbeitszeit statt, haben die Teilnehmer Anspruch auf Freizeitausgleich.
9. Teilnahme an Betriebs- und Personalversammlungen
Die Schwerbehindertenvertretung kann an Betriebs- und Personalversammlungen teilnehmen, für die sie als Schwerbehindertenvertretung zuständig ist (§ 178 Abs. 8 SGB IX). Außerdem hat sie bei der Versammlung ein Rederecht. Dieses Recht steht nicht allen Mitgliedern der Schwerbehindertenvertretung, sondern nur der Vertrauensperson bzw. bei dessen Verhinderung dem Stellvertreter zu.
Das Rederecht besteht auch dann, wenn die Mitglieder der Schwerbehindertenvertretung nicht Angehörige des Betriebes oder der Dienststelle sind. Der Anwendungsbereich von § 178 Abs. 8 SGB IX ist von Bedeutung für "Fälle, in denen Betriebe oder Dienststellen zum Zwecke der Wahl einer Schwerbehindertenvertretung gemäß § 94 Abs. 1 Satz 4 (jetzt § 177 Abs. 1 S. 4 SGB IX – Anm. d. Red.) zusammengefasst worden sind. Hierdurch kann die Schwerbehindertenvertretung auch an Betriebs- und Personalversammlungen in den Betrieben und Dienststellen teilnehmen, denen die Mitglieder (Vertrauensperson und stellvertretende Mitglieder) der Schwerbehindertenvertretung selbst nicht angehören." (BT-Drs.15/2357 S. 25).
10. Streitigkeiten
Über Streitigkeiten bzgl. der Aufgaben und Rechte der Schwerbehindertenvertretung in Betrieben entscheiden die Arbeitsgerichte im Beschlussverfahren (§ 2a Abs. 1 Nr. 3a ArbGG). Die Aussetzung der Arbeitgebermaßnahme wegen einer unterbliebenen Anhörung der Schwerbehindertenvertretung nach § 178 Abs. 2 Satz 2 SGB IX kann eingeklagt und im Wege einer einstweiligen Verfügung durchgesetzt werden. Bei Streitigkeiten in öffentlichen Dienststellen entscheiden die Verwaltungsgerichte ebenfalls im Beschlussverfahren. Verstößt der Arbeitgeber gegen seine Verpflichtung aus § 178 Abs. 2 SGB IX, d.h. unterrichtet er die Schwerbehindertenvertretung nicht, nicht richtig, nicht rechtzeitig oder nicht vollständig oder hört er die Schwerbehindertenvertretung nicht oder nicht rechtzeitig an, liegt eine Ordnungswidrigkeit nach § 238 Abs. 1 Nr. 9 SGB IX vor. Die Ordnungswidrigkeit kann mit einer Geldbuße bis zu zehntausend EUR geahndet werden.