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Schwerbehinderte Menschen - Ansprüche gegen Arbeitgeber
Schwerbehinderte Menschen - Ansprüche gegen Arbeitgeber
Inhaltsübersicht
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Information
1. Information
Die Lebenssituation von schwerbehinderten Arbeitnehmern wird durch das SGB IX in Bezug auf ihr Arbeitsverhältnis verbessert. Die Regelungen sollen die Nachteile, die im Berufsalltag von der Schwerbehinderung ausgehen, beseitigen oder zumindest vermindern. § 164 SGB IX regelt Pflichten des Arbeitgebers und Rechte schwerbehinderter Menschen. Der Beitrag geht detailliert auf § 164 Abs. 4 SGB IX ein, in denen Ansprüche gegenüber den Arbeitgebern dargestellt sind. Behandelt wird auch der Anspruch auf Teilzeitbeschäftigung.
2. Allgemeines
In § 164 Abs. 4 SGB IX sind die individuellen Ansprüche des schwerbehinderten Menschen gegenüber seinem Arbeitgeber geregelt. Die Formulierung "haben gegenüber ihren Arbeitgebern Anspruch auf" gewährt einen unmittelbaren und einklagbaren privatrechtlichen Anspruch, der allerdings insoweit eingeschränkt ist, als die jeweilige Maßnahme für den Arbeitgeber zumutbar und der Aufwand verhältnismäßig sein muss. Die Vorschrift gilt grundsätzlich nicht nur für Arbeitnehmer im der Privatwirtschaft und im öffentlichen Dienst, sondern auch für Beamte, Richter und Soldaten, § 211 Abs. 1 SGB IX. Nach § 176 SGB IX haben Betriebs-, Personal-, Richter-, Staatsanwalts- und Präsidialrat die Eingliederung der schwerbehinderten Beschäftigten zu fördern und hierbei auch auf die Beachtung des § 164 SGB IX durch den Arbeitgeber zu achten.
§ 164 Abs. 4 SGB IX ist Schutzgesetz i.S.v. § 823 Abs. 2 BGB. Insofern besteht nicht nur ein einklagbarer Anspruch, sondern darüber hinaus können auch Schadenersatzansprüche gegen den Arbeitgeber, wenn er gegen die Verpflichtungen aus § 164 Abs. 4 SGB IX verstößt, aufgrund § 280 Abs. 1 BGB wegen schuldhafter Verletzung der Fürsorgepflicht oder aus § 823 Abs. 2 BGB entstehen (BAG, 12.11.1980 - 4 AZR 779/78). Zu ersetzen ist ggf. die entgangene Vergütung (BAG, 19.05.2010 - 5 AZR 162/09).
Damit die Ansprüche gegen den Arbeitgeber realisiert werden können, muss dieser über die Schwerbehinderung informiert werden. Dazu ist der Mitarbeiter aber nicht verpflichtet; durch sein Schweigen verzichtet er aber auf die besonderen Rechte aufgrund der Schwerbehinderung. Hat der Arbeitnehmer den Arbeitgeber informiert, entstehen daraus arbeitsvertragliche Nebenpflichten. Dazu gehört insbesondere, es dem Betrieb anzuzeigen, wenn sich der Grad der Behinderung (GdB) so ändert, dass der Status als Schwerbehinderter i.S.v. § 2 Abs. 2 SGB IX entfällt. Unterlässt er diese Mitteilung, stellt dies einen Verstoß gegen die Rücksichtnahmepflicht nach § 241 Abs. 2 BGB dar (LAG Hessen, 08.08.2018 – 13 Sa 1237/17).
3. Anspruch auf Beschäftigung
3.1 Beschäftigung des schwerbehinderten Menschen
Es besteht Anspruch auf eine Beschäftigung, welche die Fähigkeiten und Kenntnisse des schwerbehinderten Menschen möglichst voll verwertet und weiterentwickelt (§ 164 Abs. 4 Nr. 1 SGB IX). Damit soll sichergestellt werden, dass der schwerbehinderte Mitarbeiter noch eine seiner Leistungsfähigkeit entsprechende Tätigkeit ausüben kann. Dies ist in der Regel dann der Fall, wenn eine der Ausbildung und etwaigen früheren Beruf des Betroffenen entsprechende Beschäftigung angeboten wird. Auf bloße Neigungen und Wünsche des schwerbehinderten Menschen muss dagegen keine Rücksicht genommen werden. Es besteht auch kein Anspruch auf einen bestimmten Arbeitsplatz (LAG Düsseldorf, 25.01.2008 - 9 Sa 991/07 m.w.N.) und damit kein absoluter Anspruch auf Beschäftigung (Knittel, SGB X-Kommentar, § 81 SGB X a.F. Rn. 222). Es gilt jedoch das Benachteiligungsverbot (§ 164 Abs. 2 SGB IX i.V.m. dem AGG – siehe auch Schwerbehinderte Menschen - Benachteiligungsverbot). Die Beschäftigung einer älteren, schwerbehinderten Arbeitnehmerin mit einfachen Arbeiten ist noch keine Diskriminierung (LAG Köln, 06.05.2021 – 8 Sa 581/20).
Kann der schwerbehinderte Arbeitnehmer die mit seinem Arbeitsvertrag verbundenen Tätigkeiten wegen seiner Behinderung nicht mehr wahrnehmen, so führt dieser Verlust nach der Konzeption der §§ 164 ff. SGB IX nicht ohne Weiteres zum Wegfall des Beschäftigungsanspruches. Der Arbeitnehmer kann einen einklagbaren Anspruch auf eine anderweitige Beschäftigung haben und, soweit der bisherige Arbeitsvertrag diese Beschäftigungsmöglichkeit nicht abdeckt, auf eine entsprechende Vertragsänderung (Knittel, SGB X-Kommentar, § 81 SGB IX a.F. Rn. 227). Denn es kann sich bei solchen Konstellationen ein Anspruch auf anderweitige, sogar vertragsfremde Beschäftigung ergeben (BAG, 15.10.2013 – 1 ABR 25/12). Im bestehenden Arbeitsverhältnis können schwerbehinderte Arbeitnehmer bis zur Grenze der Zumutbarkeit die Durchführung des Arbeitsverhältnisses entsprechend ihrer gesundheitlichen Situation verlangen (BAG, 16.05.2019 – 6 AZR 329/18). Um eine behinderungsgerechte Beschäftigung zu ermöglichen, ist der Arbeitgeber nach § 164 Abs. 4 S. 1 Nr. 1 SGB IX auch zu einer Umgestaltung der Arbeitsorganisation verpflichtet. So kann der schwerbehinderte Arbeitnehmer verlangen, dass er nur mit leichteren Arbeiten beschäftigt wird, sofern im Betrieb die Möglichkeit zu einer solchen Aufgabenumverteilung besteht. Der Arbeitgeber ist jedoch dann nicht zur Beschäftigung des schwerbehinderten Menschen verpflichtet, wenn ihm die Beschäftigung unzumutbar oder eine solche mit unverhältnismäßig hohen Aufwendungen verbunden ist (§ 164 Abs. 4 S. 3 SGB IX; LAG Köln, 18.06.2020 - 8 Sa 27/18). Insbesondere muss der Arbeitgeber keinen zusätzlichen, bisher nicht vorhandenen und nicht benötigten Arbeitsplatz dauerhaft einrichten (BAG, 16.05.2019 a.a.O.). Das Angebot des schwerbehinderten Arbeitnehmers, eine Tätigkeit zu leisten, die zwar behinderungsgerecht ist, aber nicht den vertraglichen Vereinbarungen entspricht, kann den Arbeitgeber nicht in Annahmeverzug setzen (BAG, 14.10.2020- 5 AZR 649/19).
Verletzt der Arbeitgeber den Anspruch eines schwerbehinderten Menschen aus § 164 Abs. 4 S. 1 Nr. 1 SGB IX, ihm eine Vertragsänderung mit einer behinderungsgerechten Beschäftigung anzubieten, kann dies einen Anspruch auf Vergütung als Schadensersatz aus § 280 Abs. 1, § 823 Abs. 2 BGB begründen. Ein solcher Anspruch setzt jedoch - anders als der Anspruch auf Annahmeverzugsvergütung - Verschulden des Arbeitgebers voraus (BAG, 14.10.2020 - 5 AZR 649/19).
Im Rahmen einer stufenweisen Wiedereingliederung eines schwerbehinderten Beschäftigten in das Erwerbsleben kann der Arbeitgeber aufgrund § 164 Abs. 4 S. 1 SGB IX verpflichtet sein, den Mitarbeiter entsprechend des Wiedereingliederungsplanes zu beschäftigen. Tut er dies nicht, kann eine Verletzung der Nebenpflichten aus dem Arbeitsvertrag vorliegen, die zu Schadenersatzansprüchen des Mitarbeiters führt. Sofern der Arbeitgeber geltend macht, dass die Beschäftigung entsprechend des Wiedereingliederungsplanes für ihn unzumutbar ist, ist er dafür beweispflichtig (BAG, 16.05.2019 – 8 AZR 530/17).
Nach § 164 Abs. 4 Satz 1 Nr. 5 SGB IX haben schwerbehinderte Menschen zudem Anspruch auf Ausstattung ihres Arbeitsplatzes mit den erforderlichen technischen Arbeitshilfen. Der Arbeitgeber ist jedoch dann nicht zur Beschäftigung des schwerbehinderten Menschen verpflichtet, wenn ihm die Beschäftigung unzumutbar oder eine solche nur mit unverhältnismäßig hohen Aufwendungen verbunden ist (LAG Rheinland-Pfalz, 25.09.2018 – 6 Sa 509/17). Die Darlegungs- und Beweispflicht für die Einschränkung der Leistungsfähigkeit und das Vorhandensein einer alternativen Beschäftigungsmöglichkeit trägt der Arbeitnehmer. Der Arbeitgeber kann Beweis antreten, dass ihm die geforderten Maßnahmen unzumutbar sind.
Darüber hinaus wird eine grundsätzliche Pflicht zur tatsächlichen Beschäftigung aus der Formulierung in § 164 Abs. 4 SGB IX herausgelesen. Es genügt also nicht, wenn der Arbeitgeber einen schwerbehinderten Menschen einstellt und bezahlt, er muss ihn auch tatsächlich entsprechend seiner Fähigkeiten und Kenntnisse beschäftigen. Die vom Arbeitgeber dafür durchzuführenden Maßnahmen müssen jedoch zumutbar und verhältnismäßig sein.
Die Regelung schränkt das Direktionsrecht des Arbeitgebers im laufenden Arbeitsverhältnis ein (vgl. auch § 106 Abs. 3 der GewO) und beeinflusst seine Vertragsfreiheit im Einstellungsverfahren.
Die Förderpflicht besteht nur im Rahmen der Kenntnisse und Fähigkeiten des schwerbehinderten Beschäftigten. Dieser ist nicht gegenüber anderen Beschäftigten zu bevorzugen, wenn deren Leistungen, Kenntnisse oder Erfahrungen besser bzw. größer sind. Das Leistungsprinzip bleibt damit im Grunde bestehen. Einen allgemeinen Anspruch auf Beförderung oder einen Anspruch auf absoluten Vorrang für schwerbehinderte Beschäftigte gibt es nicht.
Der Anspruch auf Beschäftigung gibt dem schwerbehinderten Menschen jedoch keine Beschäftigungsgarantie. Der Arbeitgeber kann eine unternehmerische Entscheidung treffen, die den bisherigen Arbeitsplatz durch eine Organisationsentscheidung entfallen lässt. Er ist nicht verpflichtet, für den Kläger einen Arbeitsplatz zu schaffen oder zu erhalten, den er nach seinem Organisationskonzept nicht mehr benötigt. Der besondere Beschäftigungsanspruch des Arbeitnehmers ist dann erst bei der Prüfung etwaiger Weiterbeschäftigungsmöglichkeiten auf einem anderen freien Arbeitsplatz zu berücksichtigen (BAG, 16.05.2019 – 6 AZR 329/18). In dem entschiedenen Fall kündigte die Arbeitgeberin das Arbeitsverhältnis betriebsbedingt im Rahmen des zunächst in Eigenverwaltung betriebenen Insolvenzverfahrens, nachdem sie mit dem Betriebsrat einen Interessenausgleich mit Namensliste i.S.d. § 125 Abs. 1 InsO geschlossen hatte. Die Namensliste enthielt den Namen des Klägers, dessen Arbeitsplatz wegen Umverteilung der noch verbliebenen Aufgaben nicht mehr besetzt werden musste.
Auch wenn im Rahmen eines betrieblichen Eingliederungsmanagements über die Möglichkeit eines Home-Offices gesprochen wurde (ohne eine vertragliche Vereinbarung zu treffen), ist der Arbeitgeber nicht verpflichtet, einen solchen Arbeitsplatz neu einzurichten, wenn dies nicht mit seinem Organisationskonzept vereinbar ist und dieser nicht benötigt wird (LAG Köln, 12.01.2022 – 3 Sa 540/21).
3.2 Realisierung des Anspruchs
Der Arbeitgeber muss versuchen, den Anspruch des schwerbehinderten Menschen gegebenenfalls durch Umorganisation zu erfüllen. Insoweit kann der Arbeitgeber auch verpflichtet sein, durch Umorganisation einen behindertengerechten Arbeitsplatz zu schaffen, an dem der vertragliche Beschäftigungsanspruch erfüllt werden kann (LAG Schleswig-Holstein, 08.06.2005 - 3 Sa 30/05).
Der Arbeitgeber muss aber keinen zusätzlichen, bisher nicht vorhandenen und nicht benötigten Arbeitsplatz dauerhaft einrichten (BAG, 20.11.2014 - AZR 664/13). Auch eine Freikündigung eines anderen Arbeitsplatzes kommt jedenfalls dann nicht in Betracht, wenn der Inhaber der in Frage kommenden Stelle allgemeinen Kündigungsschutz genießt oder er auch behindert ist (LAG Rheinland-Pfalz, 09.02.2004 - 7 Sa 1099/03 u. LAG Köln, 27.10.2021 – 11 Sa 105/21). Darüber hinaus ist es dem Arbeitgeber nicht zumutbar, einen anderen Arbeitsplatz durch Versetzung des Stelleninhabers freizumachen, wenn dieser damit nicht einverstanden ist und der Betrieb sich dem Risiko einer gerichtlichen Auseinandersetzung über die Wirksamkeit der Maßnahme ausgesetzt sieht. Verweigert der Betriebsrat die Zustimmung zur Versetzung des Stelleninhabers, ist der Arbeitgeber nicht verpflichtet, ein Zustimmungsersetzungsverfahren nach § 99 Abs. 4 BetrVG einzuleiten (BAG, 19.05.2010 – 5 AZR 162/09). Ob der Arbeitgeber aufgrund des § 164 Abs. 4 Nr. 1 SGB IX verpflichtet ist, eine Umorganisation, mit der auch Überstunden anderer Mitarbeiter abgebaut werden könnten, vorzunehmen, hat das LAG Düsseldorf (10.05.2017 – 12 Sa 939/16) offen gelassen. Eine Unzumutbarkeit der Beschäftigung des Arbeitnehmers hat der Arbeitgeber sowohl darzulegen als auch zu beweisen (BAG, 10.05.2005 - 9 AZR 230/04).
Weist der Arbeitgeber einem als schwerbehinderter Mensch anerkannten Arbeitnehmer, der seine Tätigkeit aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr ausüben kann, befristet eine leidensgerechte Beschäftigung in Erfüllung seiner Verpflichtung nach § 106 Satz 3 GewO, § 164 Abs. 4 S. 1. Nr. 1 SGB IX zu, gerät er in Annahmeverzug, wenn es die ursprünglich ausgeübte Tätigkeit nicht mehr gibt und er nach Befristungsablauf sein Direktionsrecht nicht neu ausübt (LAG Niedersachsen, 25.09.2019 - 17 Sa 300/19).
Das BAG legt zugunsten anderer Arbeitnehmer einen strengeren Maßstab an: "In keiner seiner Bestimmungen sieht das SGB IX die Entlassung anderer Arbeitnehmer vor, um den Beschäftigungsanspruch schwerbehinderter Menschen oder ihnen Gleichgestellter verwirklichen zu können. Vielmehr setzten die Prüfpflichten des Arbeitgebers nach § 81 Abs. 1 SGB IX, die im Rahmen von § 81 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 SGB IX (Vorgängervorschriften zu § 164 Abs. 1 und 4 Satz 1 Nr. 1 SGB IX – Anm. der Red.) mitzuberücksichtigen sind, das Vorhandensein freier Arbeitsplätze voraus […]" (BAG, 20.11.2014 - a.a.O.).
Der Anspruch auf Beschäftigung geht zwar bei schwerbehinderten Menschen weiter als bei anderen Mitarbeitern. Die Kriterien für den Beschäftigungsanspruch im Allgemeinen sind aber als grundsätzliche Regelungen zu berücksichtigen. Der allgemeine Beschäftigungsanspruch des Arbeitnehmers gem. §§ 611a, 613 i.V.m. § 242 BGB setzt neben einer arbeitsvertraglichen Verbindung der Parteien voraus, dass das Interesse des Arbeitnehmers an seiner Beschäftigung das des Arbeitgebers an seiner Nichtbeschäftigung überwiegt. Der Anspruch kann ausgeschlossen sein, wenn eine Beschäftigung des Arbeitnehmers, z.B. wegen Auftragsmangels oder einer Umorganisation, die auf einer unternehmerischen Entscheidung beruht, nicht (mehr) möglich ist. Ein Arbeitgeber verhält sich nicht pflichtwidrig, wenn er an einer rechtmäßigen unternehmerischen Entscheidung festhält, deren Umsetzung zur Unmöglichkeit einer vertragsgemäßen Beschäftigung des Arbeitnehmers führt (BAG, 15.06.2021 - 9 AZR 217/20).
3.3 Beruflicher Aufstieg
Der Arbeitgeber hat aufgrund des § 164 Abs. 4 Nr. 1 SGB IX eine Förderpflicht ("weiterentwickeln") gegenüber dem Beschäftigten, die zur Folge haben kann, dass er den schwerbehinderten Menschen, der durch die Förderung weitere Kenntnisse und Fähigkeiten erworben hat, auf einer höherwertigen Stelle einsetzen muss. Voraussetzung hierfür ist, dass dies dem Arbeitgeber möglich und zumutbar ist. Dazu gehört das Vorhandensein freier Stellen oder auch die Möglichkeit, eine Stelle freizumachen, falls dies für den bisherigen Stelleninhaber keine soziale Härte darstellt.
3.4 Stufenweise Wiedereingliederung
Der Anspruch nach § 164 Abs. 4 Nr. 1 SGB IX besteht auch dann, wenn der Arbeitnehmer arbeitsunfähig erkrankt ist und er nach ärztlicher Empfehlung stufenweise seine berufliche Tätigkeit wieder aufnehmen will (siehe hierzu auch Arbeitsunfähigkeit - Langzeitkranke). Die ärztliche Bescheinigung muss die Prognose darüber enthalten, ob und wann mit der Wiederherstellung der vollen oder teilweisen Arbeitsfähigkeit zu rechnen ist. Durch das Inkrafttreten des SGB IX gilt der Anspruch auf eine stufenweise Wiedereingliederung nicht mehr unter dem Vorbehalt der Freiwilligkeit (§ 167 Abs. 2 SGB IX). Der Arbeitgeber muss vielmehr substanziiert darlegen, aus welchen zwingenden betrieblichen Gründen er die stufenweise Wiedereingliederung ablehnt (BAG, 13.06.2006 - 9 AZR 229/05). Durch die Ablehnung eines Antrags auf Durchführung einer Wiedereingliederungsmaßnahme durch den Arbeitgeber kann sich dieser gegenüber dem schwerbehinderten Arbeitnehmer schadenersatzpflichtig machen. Dies gilt unabhängig davon, dass § 164 SGB IX keine Rechtsfolgenbestimmung umfasst (LAG Hessen, 07.08.2017 - 7 Sa 232/17).
Ein schwerbehinderter Arbeitnehmer kann nach § 164 Abs. 4 SGB IX eine anderweitige Tätigkeit auch im Rahmen einer Wiedereingliederung verlangen. Dies setzt allerdings voraus, dass der Arbeitnehmer eine ärztliche Bescheinigung eines behandelnden Arztes vorlegt, aus der sich Art und Weise der empfohlenen Beschäftigung, Beschäftigungsbeschränkungen, Umfang der täglichen oder wöchentlichen Arbeitszeit sowie die Dauer der Maßnahme ergeben. Versäumt der Arbeitgeber schuldhaft, eine behinderungsgerechte Beschäftigung eines Schwerbehinderten zu ermöglichen, hat der Arbeitnehmer einen Schadensersatzanspruch in Höhe der entgangenen Vergütung (LAG Berlin-Brandenburg, 23.05.2018 – 15 Sa 1700/17). Lediglich wenn die Erfüllung des Anspruchs des schwerbehinderten Menschen unzumutbar oder mit unverhältnismäßig hohen Kosten verbunden wäre, kann der Arbeitgeber von dem Angebot einer behinderungsgerechten Beschäftigung absehen.
Das Gleiche gilt, wenn begründete Zweifel bestehen, dass die Gesundheit des Mitarbeiters die Beschäftigung entsprechend dem Wiedereingliederungsplan zulässt und sich diese Zweifel bis zum Beginn der beabsichtigten Wiedereingliederung nicht ausräumen lassen (BAG, 16.05.2019 – 8 AZR 530/17). In diesem Fall besteht kein Anspruch auf Schadenersatz.
3.5 Verfahren
Sofern der Mitarbeiter aufgrund seiner Behinderung seine bisherige Tätigkeit nicht mehr ausüben kann, kann er vom Arbeitgeber die Zuweisung einer leidensgerechten Tätigkeit verlangen (BAG, 20.11.2014 - 2 AZR 664/13). Dazu muss er geltend machen, wie er sich die weitere Berufstätigkeit vorstellt und insbesondere Beschäftigungsmöglichkeiten aufzeigen, die seinem infolge der Behinderung eingeschränkten Leistungsvermögen und seinen Fähigkeiten und Kenntnissen entsprechen (BAG, 19.05.2010 - 5 AZR 162/09). Soweit der bisherige Arbeitsvertrag diese Beschäftigungsmöglichkeit nicht abdeckt, hat er Anspruch auf eine Vertragsänderung (BAG, 14.03.2006 - 9 AZR 411/05). Sofern dem Arbeitgeber die Zuweisung der angestrebten Tätigkeit möglich und zumutbar ist, muss er dem entsprechen. Ist das nicht der Fall, muss er die Tatsachen geltend machen, aus denen sich ergibt, dass solche behinderungsgerechten Beschäftigungen nicht bestehen oder deren Zuweisung ihm unzumutbar ist. Hierzu gehört auch die Darlegung, dass kein entsprechender freier Arbeitsplatz vorhanden ist und auch nicht durch Versetzung freigemacht werden kann. Es obliegt dann dem Arbeitnehmer der Nachweis, dass entgegen der Behauptung des Arbeitgebers ein freier Arbeitsplatz zur Verfügung steht oder vom Arbeitgeber freigemacht werden kann.
3.6 Schadenersatz
Sofern der Arbeitgeber seiner nach den dargelegten Grundsätzen bestehenden Verpflichtung, den schwerbehinderten Arbeitnehmer auf einem anderen Arbeitsplatz zu beschäftigen, nicht nachkommt, löst dies ggf. einen Schadenersatzanspruch aus, der sich auf den Ersatz der entgangenen Vergütung richtet (BAG, 04.10.2005 - 9 AZR 632/04). Als Rechtsgrundlage kommt neben § 280 Abs. 1 BGB wegen Verletzung der Pflichten aus dem Arbeitsvertrag auch § 823 Abs. 2 BGB in Betracht; § 164 Abs. 4 Nr. 1 SGB IX ist Schutzgesetz i.S. dieser Vorschrift (BAG, 03.12.2002 - 9 AZR 462/01).
Der Anspruch auf Annahmeverzugslohn nach § 615 Satz 1 BGB setzt voraus, dass ein Annahmeverzug i.S.v. §§ 293 ff. BGB eingetreten ist. Im Einzelnen muss eine erfüllbare Schuld gegeben sein, es darf kein Unvermögen vorliegen, die geschuldete Leistung muss nach Maßgabe der §§ 294 bis 296 BGB angeboten worden sein und der Gläubiger darf die Leistung nicht angenommen haben. Bezüglich der vertraglich geschuldeten Leistung, die der schwerbehinderte Arbeitnehmer nicht mehr erbringen kann, scheidet ein Annahmeverzug nach § 297 BGB aus (Knittel, SGB IX, § 81 SGB IX, Rn. 232).
Verletzt der Arbeitgeber den Anspruch eines schwerbehinderten Menschen aus § 164 Abs. 4 S. 1 Nr. 1 SGB IX, ihm eine Vertragsänderung mit einer behinderungsgerechten Beschäftigung anzubieten, kann dies einen Anspruch auf Vergütung als Schadensersatz aus § 280 Abs. 1, § 823 Abs. 2 BGB begründen. Ein solcher Anspruch setzt jedoch - anders als der Anspruch auf Annahmeverzugsvergütung - Verschulden des Arbeitgebers voraus (BAG, 14.10.2020 - 5 AZR 649/19).
Beruft sich der schwerbehinderte Arbeitnehmer für seine Schadenersatzansprüche auf eine schuldhafte Verletzung seines schwerbehinderungsrechtlichen Beschäftigungsanspruchs nach § 164 Abs. 4 Nr. 1 SGB IX, hat er nach den allgemeinen Regeln grundsätzlich die primäre Darlegungs- und Beweislast für die anspruchsbegründenden Voraussetzungen (LAG Köln, 18.06.2020 – 8 Sa 27/18). Dabei genügt es in der Regel nicht, dass er pauschal behauptet, der Arbeitgeber könne durch Umorganisation und Einsatz technischer Mittel die Voraussetzungen für seine Beschäftigung schaffen. Hat der Arbeitgeber allerdings seine Pflichten nach § 164 Abs. 4 SGB IX verletzt, kommt es zu einer Verlagerung der Darlegungslast. Der Arbeitgeber hat dann anstelle des Arbeitnehmers die sekundäre Darlegungslast dafür zu tragen, dass auch nach sachkundiger Prüfung der Möglichkeiten zur Gestaltung der Arbeitsbedingungen und unter Berücksichtigung des Einsatzes technischer Hilfen eine zumutbare Beschäftigungsmöglichkeit nicht besteht (BAG, 10.05.2005 - 9 AZR 230/04).
3.7 Mitbestimmung
Der Beschäftigungsanspruch nach § 164 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 SGB IX lässt Mitbestimmungsrechte des Betriebsrats nach § 99 BetrVG unberührt. Ist der Arbeitgeber verpflichtet, einem schwerbehinderten Menschen nach § 164 Abs. 4 Nr. 1 SGB IX einen behindertengerechten Arbeitsplatz (ggf. auch in einem anderen Betrieb des gleichen Unternehmens) durch Versetzung eines anderen Arbeitnehmers freizumachen, so hat er dies nach § 99 BetrVG in enger Zusammenarbeit mit dem Betriebsrat zu bewirken.
4. Betriebliche Bildung
Der schwerbehinderte Beschäftigte ist bei innerbetrieblichen Fortbildungsmaßnahmen bevorzugt zu berücksichtigen, wenn seine Leistungen, Kenntnisse und Fähigkeiten, denen der anderen dafür in Frage kommenden Arbeitnehmer vergleichbar sind. Nur bei etwa gleichen Voraussetzungen ist der schwerbehinderte Mensch bevorzugt zu fördern. Der schwerbehinderte Mensch kann auch verlangen, etwa dadurch gefördert zu werden, dass er auf verschiedenen Arbeitsplätzen eingesetzt wird, um hierdurch höhere Fertigkeiten zu erwerben. Der Anspruch ist auf Freistellung für die innerbetrieblichen Fortbildungsmaßnahmen gerichtet.
Hinzu kommt eine Begünstigung des schwerbehinderten Menschen bei der Teilnahme an außerbetrieblichen Maßnahmen der beruflichen Bildung (vgl. §§ 1 Abs. 4, 53ff. BBiG).
Hier beschränkt sich sein Anspruch auf zumutbare Erleichterungen durch den Arbeitgeber, wobei sich nur im Einzelfall entscheiden lässt, was zumutbar ist. Zu denken ist hier an Fahrkostenzuschüsse, die vollständige oder teilweise Übernahme der Kosten für die Maßnahme, die Freistellung von der Arbeitspflicht oder sogar die Fortzahlung der Vergütung. Letzteres ist dem Arbeitgeber zumindest dann nicht zumutbar, wenn dem schwerbehinderten Beschäftigten vom Rehabilitationsträger Leistungen für die Dauer der Fortbildung erbracht oder vom Integrationsamt übernommen (§ 185 Abs. 3 Nr. 1 Buchst. e SGB IX) werden. Die Ausschöpfung dieser vorrangigen Möglichkeiten kann der Arbeitgeber von dem Beschäftigten verlangen.
5. Behindertengerechte Arbeitsplätze, Arbeitszeit
Nach § 164 Abs. 4 Nr. 4 SGB IX hat der schwerbehinderte Arbeitnehmer Anspruch auf behinderungsgerechte Einrichtung und Unterhaltung der Arbeitsstätten einschließlich der Betriebsanlagen sowie der Gestaltung der Arbeitsplätze, des Arbeitsumfeldes, der Arbeitsorganisation und der Arbeitszeit. Aus § 164 Abs. 4 Nr. 4 SGB IX kann beispielsweise die Verpflichtung entstehen, einen Behindertenparkplatz oder behindertengerechte Aufzüge und Toiletten einzurichten, den Zugang zu Betriebsgebäuden barrierefrei zu gestalten, die Arbeitszeit an die besonderen Bedürfnisse anzupassen usw. Was notwendig ist, ergibt sich nur aus dem jeweiligen Einzelfall und kann in Zusammenarbeit mit dem zuständigen Integrationsamt geklärt werden. Im Einzelfall kann der Arbeitgeber verpflichtet sein, den schwerbehinderten Arbeitnehmer von Nachtarbeit freizustellen und dessen Arbeitszeit auf eine Fünf-Tage-Woche zu beschränken (BAG, 03.12.2002 – 9 AZR 462/01).
§ 164 Abs. 4 Satz 1 Nr. 4 SGB IX räumt dem schwerbehinderten Arbeitnehmer einen einklagbaren Anspruch ein, nicht (mehr) zu Bereitschaftszeiten eingeteilt zu werden, wenn er diese wegen seiner Behinderung nicht ausüben kann. Zur Darlegung der anspruchsbegründenden Tatsachen obliegt es dem Arbeitnehmer vorzutragen, inwieweit sein Leistungsvermögen durch die Auswirkungen der Art und Schwere seiner Behinderung so eingeschränkt ist, dass er die ihm übertragenen Bereitschaftszeiten nicht mehr leisten kann. Dies kann auch gelten für Zeiten der Rufbereitschaft: Bei als Rufbereitschaft angeordneten Bereitschaftszeiten, während derer sich der Arbeitnehmer nicht an seinem Arbeitsplatz aufhalten muss, handelt es sich insgesamt um Arbeitszeit, wenn dem Arbeitnehmer Einschränkungen auferlegt werden, die ihm bei objektiver Betrachtung ganz erheblich darin beeinträchtigen, die Zeit, innerhalb derer er sich bereithalten muss, frei gestalten und sich allgemeinen Interessen widmen zu können. Ob die dem Arbeitnehmer auferlegten Einschränkungen diesen Intensitätsgrad erreicht haben, ist anhand einer Gesamtwürdigung zu beurteilen. Die dafür maßgeblichen Beurteilungskriterien sind insbesondere die Zeitspanne, binnen derer der Arbeitnehmer die Arbeit auf Abruf aufzunehmen hat, sowie die durchschnittliche Häufigkeit und Dauer der tatsächlichen Inanspruchnahme während der Bereitschaftszeiten (BAG, 27.07.2021 - 9 AZR 448/20).
Die Anordnung von Wochenenddiensten ist grundsätzlich vom Direktionsrecht des Arbeitgebers umfasst. Beansprucht ein schwerbehinderter Arbeitnehmer, nicht mehr zu Wochenenddiensten herangezogen zu werden, muss er bei gerichtlichen Auseinandersetzungen darlegen und ggf. beweisen, die damit verbundenen Tätigkeiten wegen seiner Behinderung nicht mehr wahrnehmen zu können. Dazu obliegt es ihm vorzutragen, inwieweit sein Leistungsvermögen durch die Auswirkungen der Art und Schwere seiner Behinderung so eingeschränkt ist, dass er die ihm übertragene Sonderform der Arbeit nicht mehr leisten kann. Soll gem. § 164 Abs. 4 SGB IX eine generelle Herausnahme aus der Einteilung zum Wochenenddienst erfolgen, ist Voraussetzung, dass die Behinderung des Arbeitnehmers eine Arbeitszeit erfordert, die so gestaltet ist, dass Wochenenddienste ausgeschlossen sind (LAG Mecklenburg-Vorpommern, 29.03.2022 - 2 Sa 2/21).
Andererseits verlangt es § 207 SGB IX, wonach der schwerbehinderte Mitarbeiter auf Verlangen von Mehrarbeit freizustellen ist, nicht, jede als Rufbereitschaft anordnete Bereitschaftszeit als Mehrarbeit anzusehen. Mehrarbeit i.d.S. ist jede über werktäglich acht Stunden (§ 3 Satz 1 ArbZG) hinausgehende Arbeitszeit. Ebenso liegt Mehrarbeit vor, wenn die Verteilung der Arbeitszeit auf 6 Tage in der Woche überschritten wird (LAG Mecklenburg-Vorpommern, 29.03.2022 – 2 Sa 2/21). Weder die individuell vereinbarte oder tarifliche regelmäßige Arbeitszeit noch die nach § 3 Satz 2 ArbZG auf bis zu zehn Stunden täglich verlängerbare Arbeitszeit ist für die Bestimmung der Mehrarbeit i.S.v. § 207 SGB IX maßgebend (BAG, 27.07.2021 – a.a.O.).
6. Ausstattung des Arbeitsplatzes
Nach § 164 Abs. 4 Nr. 5 SGB IX hat der schwerbehinderte Mensch Anspruch auf Ausstattung seines Arbeitsplatzes mit den erforderlichen technischen Arbeitshilfen unter Berücksichtigung der Behinderung und ihrer Auswirkungen auf die Beschäftigung. Technische Arbeitshilfen sind Vorrichtungen, die dazu dienen, dem schwerbehinderten Menschen Arbeitsleistungen und -verrichtungen auf einem bestimmten Arbeitsplatz zu ermöglichen, die er wegen seiner Behinderung ohne sie nicht leisten könnte. Die technischen Hilfen können sowohl an der Betriebseinrichtung als auch am Körper des schwerbehinderten Menschen angebracht sein.
Der Arbeitgeber ist dagegen nicht verpflichtet, den schwerbehinderten Beschäftigten mit Hilfsmitteln auszustatten, die ganz allgemein einer Minderung seiner behinderungsbedingten Beeinträchtigung dienen (z.B. Prothesen). Körperersatzstücke sind keine technischen Hilfsmittel. Der Arbeitgeber muss die Ausgaben für die technischen Hilfsmittel nicht allein tragen, sondern kann Hilfe vom Integrationsamt nach § 185 Abs. 1 Nr. 3 i.V.m. § 160 Abs. 5 SGB IX in Anspruch nehmen (aus den Mitteln der Ausgleichsabgabe). Siehe hierzu auch Abschn. 8.
7. Förderung von Teilzeitarbeitsplätzen und Anspruch auf Teilzeitarbeit
Nach § 164 Abs. 5 SGB IX fördern die Arbeitgeber die Einrichtung von Teilzeitarbeitsplätzen und werden dabei von den Integrationsämtern unterstützt. Die Regelung bezieht sich aber nicht auf die Einrichtung von Teilzeitarbeitsplätzen generell; gemeint ist vielmehr deren Einrichtung für die Beschäftigung von Schwerbehinderten. Darüber hinaus haben schwerbehinderte Menschen einen Anspruch auf Teilzeitbeschäftigung, wenn die kürzere Arbeitszeit wegen Art oder Schwere der Behinderung notwendig ist. Die Notwendigkeit muss durch entsprechende Unterlagen, insbesondere durch ein ärztliches Attest, nachgewiesen werden. Ein Anspruch auf Teilzeit dürfte insbesondere im laufenden Arbeitsverhältnis in Betracht kommen, wenn sich der Gesundheitszustand des Mitarbeiters so verschlechtert hat, dass er nicht mehr vollschichtig arbeiten kann. Grundsätzlich kann ein schwerbehinderter Mensch jederzeit und ohne Bindung an Formen und Fristen verlangen, in einem seiner Behinderung Rechnung tragenden zeitlichen Umfang eingesetzt zu werden (BAG, 14.03.2006 - 9 AZR 411/05). Einer vorhergehenden Vertragsänderung bedarf es nicht (LAG Berlin-Brandenburg, 23.01.2019 – 15 Sa 1021/18). Der Anspruch auf Teilzeitarbeit besteht gegenüber allen Arbeitgebern ohne Rücksicht auf die Betriebsgröße. Je nach den medizinischen Notwendigkeiten kann auch eine vorübergehende Verringerung der Arbeitszeit in Betracht kommen (BAG, 14.10.2003 – 9 AZR 100/03).
Kein Anspruch auf die Teilzeitarbeit besteht, wenn dies dem Arbeitgeber nicht zumutbar ist oder mit unverhältnismäßigen Aufwendungen verbunden wäre. Dafür muss er nachvollziehbare Gründe geltend machen. Dazu gehören z.B. Änderungen in der Arbeitsorganisation, die einen Eingriff in andere Arbeitsverhältnisse erforderlich machen. Bei der Frage der Zumutbarkeit kann im Übrigen auch auf die zu § 8 Abs. 4 TzBfG entwickelten Grundsätze zurückgegriffen werden. Dabei ist aber auch zu berücksichtigen, dass der Aufwand des Betriebes durch Leistungen des Integrationsamtes nach § 185 Abs. 3 SGB IX reduziert werden kann.
§ 164 Abs. 5 SGB IX ist keine Anspruchsgrundlage für einen Wechsel in Altersteilzeit (BAG, 26.06.2001 – 9 AZR 244/00).
Praxistipp:
Trotz der Teilzeitbeschäftigung kann ein Schwerbehinderter auf die Pflichtarbeitsplätze angerechnet werden, wenn er mindestens 18 Stunden wöchentlich arbeitet. Die Bundesagentur für Arbeit kann sogar die Anrechnung zulassen, wenn die wöchentliche Arbeitszeit kürzer ist (§ 158 Abs. 2 SGB IX). Darüber hinaus ist unter bestimmten Voraussetzungen sogar eine Anrechnung auf bis zu drei Pflichtarbeitsplätze möglich (§ 159 Abs. 1 SGB IX).
Die Ansprüche auf Teilzeitbeschäftigung nach § 164 Abs. 5 SGB IX und § 8 TzBfG (Zeitlich nicht begrenzte Verringerung der Arbeitszeit) sowie § 9a TzBfG (Zeitlich begrenzte Verringerung der Arbeitszeit) bestehen gleichberechtigt nebeneinander (siehe auch Teilzeitarbeit – Teilzeitwunsch des Mitarbeiters). Daher ist im Zweifel nach allen Regelungen zu prüfen, ob ein Anspruch besteht. Im Gegensatz zu den Ansprüchen nach § 8 TzBfG und § 9a TzBfG setzt § 164 Abs. 5 SGB IX weder eine bestimmte Zahl von Arbeitnehmern noch eine Wartezeit voraus.
Der besondere schwerbehindertenrechtliche Teilzeitanspruch nach § 164 Abs. 5 SGB IX ist durch eine Klage auf Abgabe einer Willenserklärung durchzusetzen. Zur Darlegung der Notwendigkeit einer Verkürzung der Arbeitszeit i.S.v. § 164 Abs. 5 Satz 3 SGB IX genügt es, wenn der schwerbehinderte Arbeitnehmer eine ärztliche Bescheinigung vorlegt, nach der eine Verkürzung der Arbeitszeit aus gesundheitlichen Gründen indiziert ist. Es obliegt dann dem Arbeitgeber, deren Beweiskraft zu erschüttern. Der Arbeitgeber kann den Einwand, ihm sei die Arbeitszeitreduzierung nach § 164 Abs. 4 Satz 3 SGB IX nicht zumutbar, nicht auf die Befürchtung stützen, dass es bei einer einvernehmlichen Verringerung der Arbeitszeit zu Streitigkeiten über deren Verteilung kommen werde (ArbG Frankfurt am Main, 27.03.2002 - 2 Ca 5484/01).
8. Unterstützung durch Integrationsamt
Nach § 164 Abs. 4 Satz 2 SGB IX unterstützen die Integrationsämter und die Bundesagentur für Arbeit den Arbeitgeber bei seinen Pflichten und berücksichtigen hierbei die für die Beschäftigung wesentlichen Eigenschaften des schwerbehinderten Menschen. Die Unterstützungspflicht bezieht sich auf die Beschäftigung nach den Fähigkeiten und Kenntnissen des Schwerbehinderten, auf die behindertengerechte Einrichtung und Erhaltung der Arbeitsstätten und die Ausstattung mit den erforderlichen technischen Hilfsmitteln. Die Hilfestellung kann in fachlichem Rat oder auch in finanziellen Hilfen bestehen.
Aufgrund des § 164 Abs. 4 Satz 3 SGB IX scheidet ein Anspruch des schwerbehinderten Menschen gegen den Arbeitgeber aus, wenn die Forderung für diesen unzumutbar und nur mit unverhältnismäßigen Mitteln zu verwirklichen ist oder wenn Arbeitsschutz- bzw. beamtenrechtliche Vorschriften entgegenstehen. Die Zumutbarkeit ist auch von der finanziellen Leistungsfähigkeit des Arbeitgebers abhängig. Die möglichen Unterstützungsleistungen des Integrationsamtes (siehe § 185 Abs. 1 Nr. 3 SGB IX) sind bei der Beurteilung der Zumutbarkeit mit zu berücksichtigen. Ebenfalls bei der Frage der Zumutbarkeit zu berücksichtigen sind die mögliche Gefährdung anderer Arbeitsplätze und eine evtl. zusätzliche Belastung anderer Mitarbeiter.
Praxistipp:
Einzelheiten siehe unter www.integrationsämter.de.
9. Unterstützung durch einheitliche Ansprechstellen
Durch das Teilhabestärkungsgesetz vom 02.06.2021 (BGBl. I Nr. 29 S. 1387) wurde mit Wirkung zum 01.01.2022 § 185a SGB IX eingefügt. Danach werden einheitliche Ansprechstellen für Arbeitgeber geschaffen, deren Aufgabe es ist, den Arbeitgeber bei der Ausbildung, Einstellung und Beschäftigung von schwerbehinderten Menschen zu informieren, zu beraten und zu unterstützen. Sie werden aus Mitteln der Ausgleichsabgabe finanziert. Zu den Aufgaben der einheitlichen Ansprechstellen gehört u.a., Arbeitgebern als trägerunabhängiger Lotse bei Fragen der Berufsbegleitung und der Beschäftigungssicherung von schwerbehinderten Menschen zur Verfügung zu stehen sowie sie bei der Stellung von Anträgen bei den zuständigen Leistungsträgern zu unterstützen. Die Integrationsämter beauftragen die Integrationsfachdienste oder andere geeignete Träger, als Einheitliche Ansprechstellen für Arbeitgeber tätig zu werden.
10. Unterstützung durch Interessenvertretungen
Die betrieblichen Interessenvertretungen (Betriebs- oder Personalrat) sowie die Schwerbehindertenvertretung sind verpflichtet, den Schwerbehinderten bei der Durchsetzung seiner Ansprüche gegenüber dem Arbeitgeber zu unterstützen (§§ 176, 178 Abs. 1 Nr. 1 SGB IX).