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Welche Fragen Arbeitgeber auch zum Thema Sozialversicherungsrecht bewegen: Die Rechtsdatenbank der AOK liefert die Antworten – einfach, fundiert und topaktuell.

Welche Fragen Arbeitgeber auch zum Thema Sozialversicherungsrecht bewegen: Die Rechtsdatenbank der AOK liefert die Antworten – einfach, fundiert und topaktuell.
Arbeitskampf - Versicherungsschutz
Arbeitskampf - Versicherungsschutz
Inhaltsübersicht
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Information
1. Allgemeines
Arbeitskampfmaßnahmen, insbesondere Streiks, gehören zum Arbeitsalltag in der Bundesrepublik. In diesem Zusammenhang stehen Personalfachleute und die betroffenen Arbeitnehmer vor der Frage, wie sich die Arbeitskämpfe in der Sozialversicherung auswirken. Bleibt der Versicherungsschutz erhalten? Sind Beiträge zu zahlen und Meldungen erforderlich? Lesen Sie hier alles Wichtige zu diesem Thema.
Evtl. über die folgenden Ausführungen hinausgehende Nachteile im Bereich der Sozialversicherung, die ein Teilnehmer trotz dem Bezug von Streikgeld erleidet, muss er selbst tragen; es ist verfassungsrechtlich nicht geboten, die Nachteile auf die jeweilige Solidargemeinschaft abzuwälzen (LSG Berlin-Brandenburg, 20.03.2019 – L 16 R 649/18). Die Teilnahme am gewerkschaftlich geführten Streik mit vollständigem Entfallen des Anspruchs auf Arbeitsentgelt bzw. ohne Begründung eines Anspruchs auf Arbeitslosengeld hat rentenrechtlich lediglich die Wirkung eines Überbrückungstatbestandes, der weder die maßgeblichen Voraussetzungen einer Beitragszeit, noch einer beitragsfreien Zeit i.S.d. § 241 Abs. 2 Satz 1 Nrn. 1 und 2 SGB VI erfüllt.
2. Fortdauer der Beschäftigung gegen Arbeitsentgelt
2.1 Versicherungspflicht
Voraussetzung für die Versicherungspflicht von Arbeitnehmern in der Sozialversicherung ist, dass sie gegen Entgelt beschäftigt sind. Im Fall eines Ausstands bleibt zwar das Arbeits- bzw. Beschäftigungsverhältnis erhalten; es wird jedoch keine Vergütung gezahlt. Für alle Versicherungszweige gilt nach § 7 Abs. 3 S. 1 SGB IV eine Beschäftigung gegen Arbeitsentgelt als fortbestehend, solange sie ohne Anspruch auf Arbeitsentgelt fortdauert, jedoch nicht länger als einen Monat. Damit bleibt auch die Versicherungspflicht für diesen Zeitraum erhalten. Dies gilt auch, wenn es sich um einen unbefristeten Ausstand handelt oder der Streik von vornherein auf eine längere Zeit als einen Monat angesetzt ist. Es handelt sich bei der Monatsfrist um einen Zeitmonat.
Beispiel:
Der unbefristete Streik beginnt am 16.09.2022. Die Beschäftigung gegen Arbeitsentgelt gilt bis längstens 15.10.2022 als fortbestehend. Bis zu diesem Tag bleibt auch maximal die Versicherungspflicht in allen Versicherungszweigen erhalten.
Die Monatsfrist beginnt mit jeder Unterbrechung neu. Da die Streiks in der letzten Zeit sehr oft befristet sind, besteht häufig trotz des Arbeitskampfes durchgehend Versicherungsschutz.
Beispiel:
Im Rahmen einer Tarifauseinandersetzung wird vom 16.09.2022 bis 08.10.2022 gestreikt. Nachdem sich die Tarifparteien auch danach nicht einigen können, setzt die Gewerkschaft ab 14.10.2022 erneut einen unbefristeten Streik an.
Die Beschäftigung gegen Arbeitsentgelt gilt während des ersten Streikes und erneut ab 14.10. bis längstens 13.11.2022 als fortbestehend. Bis zu diesem Zeitpunkt bleibt die Versicherungspflicht der Arbeitnehmer in allen Zweigen der Sozialversicherung erhalten. Dabei spielt es keine Rolle, ob der Streik rechtmäßig oder rechtswidrig ist.
Kein Versicherungsschutz besteht für die streikenden Arbeitnehmer in der gesetzlichen Unfallversicherung des Beschäftigungsbetriebes.
2.2 Beiträge
In der Zeit, in der die Beschäftigung gegen Entgelt als fortbestehend gilt, besteht Beitragspflicht. Für diese Zeit sind daher SV-Tage anzusetzen. Dies wirkt sich allerdings nur aus, wenn die Beitragsbemessungsgrenze überschritten wird.
Beispiel:
Bei dem versicherungspflichtigen Beschäftigten A. fällt wegen eines Streiks vom 20. - 23. September 2022 kein Arbeitsentgelt an. Die Vergütung für die Zeit vom 01. – 19. September und vom 24. - 30. September 2022 beträgt brutto 2.000,00 EUR. Die Beiträge sind aus diesem Bruttoarbeitsentgelt zu berechnen. Obwohl durchgehend Beitragspflicht besteht, fallen keine Beiträge für die Zeit der Unterbrechung an.
Beispiel (West):
Der Arbeitskollege B. ist nur renten- und arbeitslosenversicherungspflichtig. Er ist in der gleichen Zeit im Ausstand. Die Vergütung für die Zeit vom 01. – 19. und vom 24. – 30. September 2022 beträgt 6.500 EUR.
Die kalendertägliche Beitragsbemessungsgrenze für Renten- und Arbeitslosenversicherung beträgt 235,00 EUR. Im September sind 26 Kalendertage nicht von der Unterbrechung betroffen. Die anteilige Beitragsbemessungsgrenze würde 6.110,00 EUR betragen. Die Streiktage bleiben aber SV-Tage, so dass für den September 30 SV-Tage anzusetzen sind. Es ist daher die volle Vergütung von 6.500,00 EUR beitragspflichtig; zu berücksichtigen ist nicht die anteilige, sondern die ungekürzte monatliche Beitragsbemessungsgrenze von 7.050,00 EUR.
Der Grundsatz, dass bei einer Unterbrechung von bis zu einem Monat SV-Tage anzusetzen sind, wirkt sich auch aus bei der Beitragsberechnung aus einer Einmalzahlung (wie Urlaubsgeld). Für die Beitragspflicht ist dann die anteilige Jahresbeitragsbemessungsgrenze unter Berücksichtigung der auf den Arbeitskampf entfallenden SV-Tage zu berechnen.
Die streikenden Arbeitnehmer erhalten von der Gewerkschaft ein Streikgeld. Dies ist beitragsfrei in der Sozialversicherung. Ebenso sind daraus keine Steuern zu zahlen.
2.3 Meldungen
Dauert die Unterbrechung wegen des rechtmäßigen Arbeitskampfes nicht länger als einen Monat, sind keine Meldungen zu machen. Wird diese Frist überschritten, ist eine Abmeldung mit dem Abgabegrund 35 ("Abmeldung wegen Arbeitskampf von länger als einem Monat") zu machen. Sofern es sich allerdings um einen rechtswidrigen Arbeitskampf handelt, ist der Abgabegrund 34 ("Abmeldung wegen Ende des Fortbestehens eines sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnisses") anzugeben (siehe hierzu Abschnitt 3).
Bei Wiederaufnahme der Arbeit nach einem Streik, der länger als einen Monat gedauert hat, ist eine Anmeldung mit dem Abgabegrund 13 zu machen. Dabei spielt es keine Rolle, ob der Ausstand rechtmäßig oder rechtswidrig war.
3. Fortdauer der Mitgliedschaft in Kranken- und Pflegeversicherung
3.1 Pflichtmitglieder
Die unter 2.1 beschriebene Fortdauer der Beschäftigung gegen Arbeitsentgelt gilt für alle Zweige der Sozialversicherung. In Renten- und Arbeitslosenversicherung endet die Versicherung mit Ablauf der Monatsfrist endgültig. In Kranken- und Pflegeversicherung dagegen gilt dies nur bei einem rechtswidrigen Arbeitskampf. Handelt es sich um einen rechtmäßigen Arbeitskampf, bleibt die Mitgliedschaft - unbefristet und beitragsfrei – erhalten. Rechtmäßig ist ein Arbeitskampf, wenn er von einer Gewerkschaft geführt wird, keine Friedenspflicht (mehr) besteht und er nicht gegen die Rechtsordnung verstößt. Er muss das letzte Mittel sein, um die Interessen der Arbeitnehmer durchzusetzen. Außerdem muss er dem Verhältnismäßigkeitsprinzip entsprechen. Zur Friedenspflicht bei Partizipationsstreiks siehe ArbG Berlin, 27.06.2019 – 4 Ga 7529/19. Wird Streik auch zur Durchsetzung einer friedenspflichtverletzenden oder tarifwidrigen Tarifforderung geführt, ist dieser auch rechtswidrig, wenn daneben rechtmäßige Ziele verfolgt werden (BAG, 26.07.2016 – 1 AZR 160/14). Rechtmäßig kann auch ein so genannter Unterstützungsstreik sein (BAG, 19.06.2007 – 1 AZR 396/06).
Hinweis:
Es ist allerdings oft umstritten, ob ein Arbeitskampf rechtmäßig ist. Nicht selten wird diese Frage erst später durch die Arbeitsgerichte geklärt. In solchen Fällen kann bei längerfristigen Arbeitskampfmaßnahmen rückwirkend eine Beitragspflicht des Versicherten entstehen. Meist ersetzen die Gewerkschaften aber die Beiträge.
Anhand des Abgabegrundes der Abmeldung (Grund 35 - siehe oben 2.3) erkennt die zuständige Krankenkasse, dass die Mitgliedschaft bestehen bleibt. Weitere Aktivitäten seitens des Betriebes oder des Mitarbeiters sind nicht erforderlich.
Praxistipp:
Im Grunde sind für die Zeit, in der diese Sonderregelung gilt, in Kranken- und Pflegeversicherung ebenfalls SV-Tage anzusetzen. Die Spitzenverbände der Sozialversicherungsträger empfehlen aber, im Interesse einer einheitlichen Berechnung der Beiträge für alle Versicherungszweige, keine SV-Tage zu berücksichtigen (in Renten- und Arbeitslosenversicherung fallen wegen der Unterbrechung der Versicherungspflicht auch keine SV-Tage an).
3.2 Freiwillige Mitglieder
Bei freiwilligen Mitgliedern läuft auch während des Arbeitskampfes die Mitgliedschaft unverändert weiter. Allerdings ist der Arbeitgeber nicht verpflichtet, seinen Beitragszuschuss für diese Zeit zu zahlen. Auch hier ersetzen die Gewerkschaften meist den Beitragsanteil des Arbeitgebers ganz oder teilweise.
4. Arbeitsunfähigkeit während des Arbeitskampfes
Da die Hauptpflichten aus dem Arbeitsverhältnis während des Arbeitskampfes ruhen, besteht kein Anspruch auf Entgeltfortzahlung, wenn der Arbeitnehmer in dieser Zeit arbeitsunfähig wird. Der Mitarbeiter kann in diesem Fall aber Krankengeld von seiner Krankenkasse beanspruchen.
Siehe auch