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Welche Fragen Arbeitgeber auch zum Thema Sozialversicherungsrecht bewegen: Die Rechtsdatenbank der AOK liefert die Antworten – einfach, fundiert und topaktuell.

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Praktikum - Vergütung
Praktikum - Vergütung
Inhaltsübersicht
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Information
1. Allgemeines
Der Praktikum- oder Arbeitgeber ist manchmal etwas vorschnell in seiner Überzeugung, einen "Praktikanten" für dessen "Praktikum" nicht bezahlen zu müssen. Die An- und Abführungsstriche bei den verwendeten Begriffen wurden hier daher ganz bewusst gesetzt. Das Arbeitsleben steckt voller Überraschungen - wird doch von Arbeitgeberseite häufig versucht, als "Praktikanten" bezeichnete Arbeitnehmer als Billigkräfte arbeiten zu lassen.
Praxistipp:
Ob ein Praktikum rechtlich bezahlt oder unbezahlt ist, richtet sich nicht nach den Vereinbarungen der Beteiligten. Zwingende gesetzliche, individual- oder kollektivvertragliche Ansprüche lassen sich nämlich nicht ohne weiteres neutralisieren. Schon gar nicht, wenn das vereinbarte "Praktikum" rechtlich als Arbeitsverhältnis anzusehen ist. Maßgeblich kommt es immer darauf an, wie das Praktikum inhaltlich ausgestaltet ist. Steht als Ergebnis eine verwertbare und zu verwertende Arbeitsleistung im Vordergrund, wird ein Arbeitsverhältnis vorliegen - und das mit Anspruch auf Arbeitsentgelt.
Soweit für den Vergütungsanspruch eines Praktikanten eine gesetzliche Grundlage in Frage kommt, ist sein Praktikum als Arbeitsvertrag (§§ 611, 612 BGB), Ausbildungsvertrag (§ 17 BBiG) oder anderes Vertragsverhältnis i.S.d. § 26 BBiG einzustufen. Individualrechtlich wäre der Praktikumsvertrag Anspruchsgrundlage für eine Vergütung, kollektivrechtlich ein Tarifvertrag oder eine Betriebsvereinbarung. Auch hier kommt es immer wieder auf die Frage an: welche Rechtsnatur hat das Praktikum denn nun. Zur Abgrenzung von einem Arbeitsvertrag gibt es eine Menge Anhaltspunkte.
2. Gesetzliche Anspruchsgrundlagen
Ein Praktikum kann
bezahlt oder
unbezahlt sein
sein. Von Gesetzes wegen wird die Vergütungsfrage danach beantwortet, wie das konkrete "Praktikum" rechtlich einzustufen ist. Ist es
ein Arbeitsvertrag, folgt die Vergütungspflicht aus den §§ 611, 612 BGB;
ein Ausbildungsverhältnis, sichert § 17 Abs. 1 BBiG einen Anspruch auf angemessene Vergütung,
ein anderes Vertragsverhältnis i.S.d. § 26 BBiG, gilt § 17 BBiG über § 26 BBiG ebenfalls.
Die gesetzlichen Anspruchsgrundlagen kommen in der Regel nur dann zur Anwendung, wenn die Parteien des Praktikantenverhältnisses
keine oder
eine zu geringe Vergütung
vereinbart haben, obwohl die konkrete Art des Praktikums - überhaupt oder höhere - Vergütungsansprüche auslöst.
Auch mündliche oder gar stillschweigende Arbeitsverträge sind gültig. Es reicht schon, wenn sich die Parteien nur darüber einig sind, dass die Leistung Arbeit geschuldet ist. Ist die Leistung Arbeit nach den Umständen nur gegen eine Vergütung zu erwarten, gilt eine Vergütung nach § 612 Abs. 1 BGB "als stillschweigend vereinbart" (LAG Rheinland-Pfalz, 24.04.2008 - 10 Sa 782/07).
3. Vertragliche Anspruchsgrundlagen
Wichtigste individualrechtliche - vertragliche - Anspruchsgrundlage für den Vergütungsanspruch ist der Praktikumsvertrag zwischen
Praktikant und
Praktikum- oder Arbeitgeber/Ausbilder.
Soll der Praktikant für die Zeit seines Praktikums eine Vergütung bekommen, werden die Vertragspartner diesen Punkt im Praktikumsvertrag regeln.
Praxistipp:
Ist die Vergütungspflicht gesetzlich oder vertraglich verbindlich, können die Parteien des Praktikumsvertrags sie nicht wirksam abbedingen. Eine entgegenstehende vertragliche Vereinbarung wäre nach § 134 BGB wegen eines Gesetzesverstoßes oder nach § 138 BGB wegen eines Verstoßes gegen die guten Sitten - Lohnwucher - nichtig.
Darüber hinaus können kollektivrechtliche - vertragliche - Anspruchsgrundlagen wie
ein Tarifvertrag oder
eine Betriebsvereinbarung
Vergütungsansprüche von Praktikanten regeln. Vereinbarungen, die gegen höherrangiges Kollektivrecht verstoßen, sind ebenfalls unwirksam - nach
§ 4 Abs. 3 TVG, der abweichende Abmachungen nur erlaubt, wenn "sie durch den Tarifvertrag gestattet sind oder eine Änderung der Regelungen zugunsten des Arbeitnehmers enthalten";
§ 77 Abs. 4 BetrVG, der eine unmittelbare und zwingende Wirkung von Betriebsvereinbarungen vorsieht und einen Verzicht auf Rechte, die durch eine Betriebsvereinbarung eingeräumt wurden, an die Zustimmung des Betriebsrats knüpft.
Auch wenn es keine kollektivvertragliche Anspruchsgrundlage oder keinen gesetzlichen Anspruch gibt: Die freiwillige Vereinbarung einer Vergütung für die Zeit eines Praktikums ist immer möglich.
4. Praktikum und MiLoG
Das MiLoG sieht für alle Arbeitnehmer in der Bundesrepublik seit dem 01.01.2015 einen gesetzlichen Mindestlohn vor (§ 1 Abs. 2 MiLoG). Dieser Mindestlohn betrug bis zum 31.12.2016 8,50 EUR/h brutto die Stunde und beträgt aktuell ab dem 01.01.2021 9,50 EUR/h brutto, ab dem 01.07.2021 9,60 EUR/h brutto, ab dem 01.01.2022 9,82 EUR/h brutto, ab 01.07.2022 10,45 EUR/h brutto und ab dem 01.10.2022 12,00 EUR/h brutto. Praktikanten i.S.d. § 26 BBiG - anderes Vertragsverhältnis mit der Einstellung zum Erwerb beruflicher Kenntnisse, Fähigkeiten oder beruflicher Erfahrung, ohne dass es sich um ein Berufsausbildungsverhältnis handelt - gelten als Arbeitnehmer i.S.d. MiLoG (§ 22 Abs. 1 Satz 2 MiLoG). Es sei denn, dass diese Praktikanten
"ein Praktikum verpflichtend auf Grund einer schulrechtlichen Bestimmung, einer Ausbildungsordnung, einer hochschulrechtlichen Bestimmung oder im Rahmen einer Ausbildung an einer gesetzlich geregelten Berufsakademie leisten" (§ 22 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 MiLoG),
"ein Praktikum von bis zu drei Monaten zur Orientierung für eine Berufsausbildung oder für die Aufnahme eines Studiums leisten" (§ 22 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 MiLoG),
"ein Praktikum von bis zu drei Monaten begleitend zu einer Berufs- oder Hochschulausbildung leisten, wenn nicht zuvor ein solches Praktikumsverhältnis mit demselben Ausbildenden bestanden hat" (§ 22 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 MiLoG), oder
"an einer Einstiegsqualifizierung nach § 54a des Dritten Buches Sozialgesetzbuch oder an einer Berufsausbildungsvorbereitung nach §§ 68 bis 70 des Berufsbildungsgesetzes teilnehmen" (§ 22 Abs. 1 Satz 2 Nr. 4 MiLoG).
Praktikant ist - unabhängig von der Bezeichnung des Rechtsverhältnisses - wer sich
nach der tatsächlichen Ausgestaltung und Durchführung des Vertragsverhältnisses
für eine begrenzte Dauer
zum Erwerb praktischer Kenntnisse und Erfahrungen
einer bestimmten betrieblichen Tätigkeit
zur Vorbereitung auf eine berufliche Tätigkeit unterzieht,
ohne dass es sich dabei um eine Berufsausbildung i.S.d. Berufsbildungsgesetzes oder um eine damit vergleichbare praktische Ausbildung handelt (§ 22 Abs. 1 Satz 3 MiLoG).
Bei einem Praktikum, das die MiLoG-Voraussetzungen erfüllt, wird der Praktikums-/Arbeitgeber den gesetzlichen Mindestlohn zahlen müssen.
5. Anhaltspunkte für Unentgeltlichkeit
Soweit es keine konkrete Anspruchsgrundlage für eine Bezahlung des Praktikums gibt, sprechen folgende Anhaltspunkte für eine Unentgeltlichkeit:
die einschlägige Ausbildungs-, Berufs- oder Studienordnung sieht für das Praktikum bzw. den praktischen Ausbildungsabschnitt keine Vergütung vor
das Praktikum dient ausschließlich der Vermittlung von Eindrücken aus der Arbeits-, Berufs- und Wirtschaftswelt
der Ausbildungszweck steht im Vordergrund des Praktikums, nicht die Leistung von Arbeit oder ein Erwerbszweck
der Arbeitgeber/Ausbilder vermittelt praktisches Wissen an den Praktikanten, er nutzt nicht dessen bereits vorhandenen Kenntnisse, Fähigkeiten und Fertigkeiten, um sie für seinen Betrieb/sein Unternehmen zu verwerten
bei der Gegenüberstellung der Anteile von "Ausbildungszweck" und "für den Betrieb erbrachte Leistungen und Arbeitsergebnisse" überwiegt das Erlernen praktischer Kenntnisse und Erfahrungen deutlich
es besteht weder ein gesetzlicher noch ein vertraglicher Vergütungsanspruch
der Praktikant unterliegt zwar dem Hausrecht des Inhabers von Betrieb/Unternehmen, ist aber nicht fremdbestimmt und weisungsabhängig tätig
der Praktikant
arbeitet nicht, sondern sammelt Eindrücke und Erfahrungen aus der Praxis
ist nicht im betrieblichen Interesse tätig, sondern zu Ausbildungszwecken
braucht sich nicht an vorgegebene Arbeitszeiten zu halten
bekommt keine besonderen Anweisungen für sein Verhalten im Betrieb, zum Beispiel im Fall einer Erkrankung oder eines sonstigen Ausfalls
ist nicht in die Betriebsorganisation und in die betrieblichen Abläufe eingegliedert
wird nicht auf einer Stelle tätig, auf der sonst ein "echter" Arbeitnehmer eingesetzt werden müsste
ersetzt keine Arbeitskraft
leistet keine Arbeiten, die für den Betrieb/das Unternehmen notwendig sind
schuldet keine für den Betrieb verwertbaren Arbeitsergebnisse
ist nicht in einer Weise tätig, die der Verwirklichung des arbeitstechnischen Zwecks des Betriebs/Unternehmens zu dienen bestimmt ist
durchläuft mehrere Stationen und ist keiner Betriebsabteilung fest zugeordnet
Praxistipp:
Die hier aufgezählten Kriterien brauchen nicht kumulativ vorzuliegen. In einigen Fällen ist eine Gewichtung vorzunehmen. In anderen Fällen schadet es nicht, wenn der Praktikant tatsächlich mal praktisch verwertbare Arbeitsergebnisse liefert, wenn der Ausbildungszweck immer noch im Vordergrund steht.
6. Fördermöglichkeiten durch die Bundesagentur für Arbeit
Vergütungsansprüche des Praktikanten scheitern nicht allein daran, dass die Bundesagentur für Arbeit das Praktikum vermittelt, fördert und finanziert (BAG, 22.01.2008 - 9 AZR 999/06). Ausnahme: Es handelt sich um ein dreiseitiges Ausbildungsverhältnis - Ausbilder/Bundesagentur/Auszubildender - und der Auszubildende hat keinen sozialrechtlichen Anspruch auf Ausbildungsgeld (BAG, 16.01.2003 - 6 AZR 325/01).
Grundsätzliche Fördermöglichkeiten ergeben sich
aus den §§ 81 ff. SGB III und
aus § 131a SGB III.
Allgemeine Voraussetzungen für die Förderung von Arbeitnehmern nach den §§ 81 ff. SGB III sind:
die Weiterbildung muss notwendig sein, um betroffene Arbeitnehmer "bei Arbeitslosigkeit beruflich einzugliedern, eine ihnen drohende Arbeitslosigkeit abzuwenden oder weil bei ihnen wegen fehlenden Berufsabschlusses die Notwendigkeit der Weiterbildung anerkannt ist" (§ 81 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB III).
die Agentur für Arbeit den betroffenen Arbeitnehmer "vor Beginn der Teilnahme beraten" haben (§ 81 Abs. 1 Satz 1 Nr.2 SGB III);
die Zulassung der Maßnahme und des Trägers der Maßnahme (§ 81 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 SGB III).
Alle individuellen Leistungsvoraussetzungen müssen vor dem ersten Tag der Teilnahme erfüllt sein. Die Notwendigkeit der Weiterbildung wird nicht allein durch Arbeitslosigkeit begründet. Es müssen Qualifikationsdefizite vorliegen, die durch die Weiterbildung abgebaut werden können und zu einer beruflichen Integration in den ersten Arbeitsmarkt führen.
7. Rechtsprechungs-ABC
An dieser Stelle werden einige der interessantesten Entscheidungen zur Vergütungsfrage bei einem Praktikum in alphabetischer Reihenfolge nach Stichwörtern geordnet hinterlegt:
7.1 Angemessene Vergütung
Bei der Angemessenheitsprüfung ist die Verkehrsanschauung maßgeblich - ihr wichtigster Anhaltspunkt wiederum sind die einschlägigen Tarifverträge. Orientiert sich die vereinbarte Ausbildungsvergütung an so einem Tarifvertrag, ist sie "stets angemessen". Aber: "Eine Ausbildungsvergütung ist ... in der Regel nicht angemessen i.S.v. § 10 Abs. 1 Satz 1 BBiG a.F., § 17 Abs. 1 Satz 1 BBiG n.F., wenn sie die in einem einschlägigen Tarifvertrag enthaltenen Vergütungen um mehr als 20 % unterschreitet" (BAG, 22.01.2008 - 9 AZR 999/06 - es sei denn, die Ausbildung wird teilweise oder vollständig durch öffentliche Gelder zur Schaffung zusätzlicher Ausbildungsplätze finanziert, dann kann eine Ausbildungsvergütung auch angemessen sein, wenn sie nicht 80 % des maßgeblichen Tarifniveaus erreicht).
7.2 Anpassungsqualifizierungen
Das MiLoG gilt gemäß § 22 Abs. 1 Satz 1 MiLoG für "Arbeitnehmer". "Praktikanten" gelten als Arbeitnehmer i. S. des MiLoG, wenn nicht eine der in § 22 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 bis Nr. 4 MiLoG geregelten Ausnahmen greift. Nach Maßgabe des Berufsqualifikationsfeststellungsgesetzes - BQFG - können im Ausland erworbene Qualifikationen als deutschen gleichwertig festgestellt werden. Dazu ist unter Umständen eine mehrjährige Anpassungsqualifizierung - § 11 BQFG - erforderlich. Mit der Verpflichtung des Lehrbetriebs, den gesetzlichen Mindestlohn zu zahlen? "Anpassungsqualifizierungen im Rahmen von Gleichwertigkeitsfeststellungen nach dem Berufsqualifikationsfeststellungsgesetz sind keine Praktika im mindestlohnrechtlichen Sinne. Sie unterfallen nicht dem persönlichen Geltungsbereich des Mindestlohngesetzes" (BAG, 18.11.2020 - 5 AZR 103/20 - Leitsatz - mit dem Ergebnis, dass in diesem Fall kein Anspruch auf den gesetzlichen Mindestlohn bestand).
7.3 Arbeitnehmereigenschaft - 1
Ist der "Praktikant" auf Grund eines privatrechtlichen Vertrags "im Dienst eines anderen zur Leistung weisungsgebundener, fremdbestimmter Arbeit in persönlicher Abhängigkeit verpflichtet", spricht das für den Status Arbeitnehmer. Arbeitnehmer leisten ihre vertraglich geschuldete Arbeit im Rahmen einer von Dritten bestimmten Arbeitsorganisation. Ihre Eingliederung zeigt sich insbesondere daran, dass sie dem Weisungsrecht des Arbeitgebers unterliegen, mit dem er Art, Dauer, Durchführung, Inhalt, Ort und Zeit der Tätigkeit bestimmen kann. Praktikanten halten sich demgegenüber nur vorübergehend im Betrieb auf, um sich "die zur Vorbereitung auf einen Beruf notwendigen praktischen Kenntnisse und Erfahrungen anzueignen" (LAG Rheinland-Pfalz, 24.04.2008 - 10 Sa 782/07).
7.4 Arbeitnehmereigenschaft - 2
Leistet jemand im Rahmen einer Berufsausbildung ein Praktikum ab, ist er als Arbeitnehmer anzusehen, "wenn das Praktikum unter den Bedingungen einer tatsächlichen und echten Tätigkeit im Lohn- und Gehaltsverhältnis durchgeführt wird". Diese Ansicht wird nicht dadurch beeinträchtigt, dass die Produktivität eines Praktikanten niedrig ist, er nur eine reduzierte Anzahl von Stunden arbeitet und deswegen auch nur eine reduzierte Vergütung bekommt. "Allerdings wird auch verlangt, dass der Betroffene im Rahmen des Praktikums genügend Stunden geleistet hat, um sich mit der Arbeit vertraut zu machen" (EuGH, 19.06.2008 - C-306/07).
7.5 Ausbildungszweck - 1
Bei der Annahme eines Praktikantenverhältnisses muss der Ausbildungszweck im Vordergrund stehen. Werden die Anteile der "für den Betrieb erbrachten Leistungen und Arbeitsergebnisse" den Anteilen des Ausbildungszwecks gegenübergestellt, müssen letztere deutlich überwiegen. Je "breiter das Spektrum vermittelter Einblicke in Arbeitsabläufe, in betriebsorganisatorische Zusammenhänge ist und je mehr Ansprechpartner es gibt, die für ihren Bereich Kenntnisse vermitteln und ihre Praxiserfahrung weitergeben, desto klarer lässt sich der Ausbildungszweck erkennen" (LAG Baden-Württemberg, 08.02.2008 - 5 Sa 45/07).
7.6 Ausbildungszweck - 2
Ein Psychotherapeut in Ausbildung - kurz: PiA - muss nach der Ausbildungs- und Prüfungsordnung für Psychologische Psychotherapeuten 1 800 Stunden praktische Tätigkeiten nachweisen, von denen mindestens 1 200 in einer psychiatrischen klinischen Einrichtung absolviert werden müssen. Die Ausbildungs- und Prüfungsordnung sieht keine Vergütung vor - der Praktikumsvertrag, den das Arbeitsgericht Köln zu bewerten hatte, auch nicht. Trotzdem verlangte der klagende "PiA" von seinem Praktikumsgeber eine Vergütung - erfolglos. Auch wenn der Praktikant Tätigkeiten eines fest angestellten Psychologen ausgeübt hatte, tat er dies in Begleitung des Stammpersonals, unter regelmäßiger wöchentlicher Supervision und ohne eigene Fallverantwortung. Dabei stand der Ausbildungszweck eindeutig im Vordergrund, sodass die Vergütungsklage scheiterte (ArbG Köln, 18.09.2014 - 11 Ca 10331/13 - mit Hinweis auf LAG Hamm, 29.11.2012 - 11 Sa 74/12).
7.7 Ausbildungszweck - 3
Der vereinfachte Fall: Die Zeugnisse einer Hauptschülerin waren nicht gerade vorzeigbar und sie hatte damit Probleme, einen Ausbildungsplatz zu finden. Sie bewarb sich bei einem Lebensmittelhändler um einen Ausbildungsplatz als Verkäuferin. Der verlangte jedoch zunächst ein Praktikum. Der Lebensmittelhändler schloss dann mit einem Berufsbildungswerk des Einzelhandels als Trägerverein einen "Rahmenvertrag zur Ableistung eines Praktikums" . Mit der Hauptschülerin und dem Trägerverein wurde dann ein 3-seitiger Praktikumsvertrag abgemacht. Die Förderung lief u.a. über die Bundesagentur für Arbeit - trotzdem meinte die Praktikantin am Ende ihres Praktikums, sie habe Anspruch auf Vergütung wie ein Arbeitnehmer: für ein etwa 9-monatiges Praktikum gut 17.000 EUR.
Das LAG Hamm bewertete den Praktikumsvertrag nicht als Arbeitsverhältnis. Auch wenn die Praktikantin zum Teil Arbeiten verrichtet habe, die sonst von "echten" Arbeitnehmern gemacht werden: die Arbeiten wurden im Rahmen eines "sozialversicherungsrechtlichen Praktikantenverhältnisses" erledigt. Die Praktikantin hat an einer berufsvorbereitenden Maßnahme teilgenommen, die zudem von der Bundesagentur für Arbeit und dem Berufsbildungswerk gefördert wurde. Insgesamt habe der Ausbildungszweck im Vordergrund gestanden, weil die Praktikantin mehrere Abteilungen durchlief und Einblicke in verschiedene Tätigkeitsfelder erhielt. Zudem war die Praktikantin angeleitet und betreut, begleitet und eingewiesen worden (LAG Hamm, 17.10.2014 - 1 Sa 664/14).
7.8 Länger als drei Monate
Wenn kein gesetzlich geregelter Ausnahmefall vorliegt, sind Praktikanten Arbeitnehmer i.S.d. MiLoG. Eine Ausnahme gilt beispielsweise nach § 22 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 MiLoG für Praktika, die aufgrund einer "hochschulrechtlichen Bestimmung" verpflichtend sind, oder gemäß § 22 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 MiLoG für "ein Praktikum von bis zu drei Monaten begleitend zu einer Berufs- oder Hochschulausbildung". Und wenn eine Hochschule als Aufnahmebedingung ein 6-monatiges Praktikum verlangt? Dann liegt trotzdem kein MiLoG-Arbeitsverhältnis vor: "Praktika, die nach der Zulassungsordnung einer Hochschule verpflichtende Voraussetzung der Studienzulassung sind, unterfallen § 22 Abs. 1 Satz 2 MiLoG und sind deshalb auch dann nicht nach diesem Gesetz zu vergüten, wenn sie aufgrund der Zulassungsordnung länger als drei Monate andauern. Der weit gefasste Begriff der 'hochschulrechtlichen Bestimmung' in § 22 Abs. 1 Satz 2 MiLoG umfasst auch die Zulassungsordnungen der Hochschulen" (LAG Rheinland-Pfalz, 16.03.2021 – 8 Sa 206/20 – Leitsatz).
7.9 Mindestlohn - 1
Das MiLoG bezieht Praktikanten u.a. dann nicht in seinen Geltungsbereich ein, wenn sie "ein Praktikum von bis zu drei Monaten zur Orientierung für eine Berufsausbildung oder für die Aufnahme eines Studiums leisten" (so: § 22 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 MiLoG). Nun kann es immer wieder mal passieren, dass ein Praktikum - z.B. wegen Krankheit - unterbrochen und das zunächst 3-monatige Praktikum dann um die ausgefallene Zeit verlängert wird. Entsteht damit dann wegen Überschreitens der 3-Monats-Grenze gleich ein Anspruch auf den gesetzlichen Mindestlohn? Das BAG meint: nein. "Das Praktikum kann jedenfalls aus Gründen in der Person des Praktikanten/der Praktikantin rechtlich oder tatsächlich unterbrochen und um die Dauer der Unterbrechungszeit verlängert werden, wenn zwischen den einzelnen Abschnitten ein sachlicher und zeitlicher Zusammenhang besteht und die Höchstdauer von drei Monaten insgesamt nicht überschritten wird" (BAG, 30.01.2019 - 5 AZR 556/17 - Pressemitteilung).
7.10 Mindestlohn - 2
Das MiLoG gilt nach § 22 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 MiLoG nicht für Praktikanten, die "ein Praktikum verpflichtend auf Grund einer schulrechtlichen Bestimmung, einer Ausbildungsordnung. einer hochschulrechtlichen Bestimmung oder im Rahmen einer Ausbildung an einer gesetzlich geregelten Berufsakademie leisten". Muss ein Bewerber für einen Studienplatz für Humanmedizin an einer privaten, staatlich anerkannten Universität nach deren Studienordnung als Zugangsvoraussetzung für diesen Studiengang u. a. einen 6-monatigen Krankenpflegedienst ableisten, ist das ein Fall, der von § 22 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 MiLoG erfasst wird. Hier besteht kein Anspruch des Praktikanten auf Zahlung des gesetzlichen Mindestlohns. Dabei ist es unerheblich, ob es sich um eine Privatuni und ein Praktikum handelt, das schon vor Aufnahme des Studiums zu absolvieren ist (BAG, 19.01.2022 - 5 AZR 217/21).
7.11 Vergütungspflicht
Auch wenn die Parteien mündlich ein "unentgeltliches Praktikum" vereinbart haben, bleiben Vergütungsansprüche nach § 612 Abs. 1 BGB damit nicht immer außen vor - selbst dann nicht, wenn die Anwendung des BBiG durch die maßgebliche Ausbildungsordnung - hier: PsychThG - ausgeschlossen ist. § 612 Abs. 1 BGB ist anzuwenden, wenn es a) für die vereinbarte Tätigkeit keine Vergütungsabsprache gibt oder b) die Vereinbarung über die Unentgeltlichkeit der zu leistenden Dienste wegen Sittenwidrigkeit nach § 138 BGB nichtig ist. Aber selbst wenn die Parteien in rechtlich nicht zu beanstandender Weise eine Vergütung ausgeschlossen haben, kann in entsprechender Anwendung des § 612 Abs. 1 BGB eine Vergütungspflicht entstehen. "Jede Arbeit ist ihren Lohn wert", sagte das BAG schon im Urteil vom 15.03.1960 - 5 AZR 409/58. Und das kann bei zulässig vereinbarter Unentgeltlichkeit für die eigentliche Tätigkeit – hier: das Praktikum – zu einer Vergütungspflicht für außervertragliche, höherwertige Arbeitsleistungen führen (BAG 10.02.2015 - 9 AZR 289/13).