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Welche Fragen Arbeitgeber auch zum Thema Sozialversicherungsrecht bewegen: Die Rechtsdatenbank der AOK liefert die Antworten – einfach, fundiert und topaktuell.

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Außertarifliche Zulagen - Mitbestimmung
Außertarifliche Zulagen - Mitbestimmung
Inhaltsübersicht
- 1.
- 2.
- 3.
- 4.
- 5.
- 6.
- 7.Rechtsprechungs-ABC
- 7.1
- 7.2
- 7.3
- 7.4
- 7.5
- 7.6
- 7.7
- 7.8
- 7.9
- 7.10
- 7.11
- 7.12
- 7.13
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- 7.15
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- 7.17
Information
1. Allgemeines
Der Betriebsrat hat ein Mitbestimmungsrecht
in Fragen der betrieblichen Lohngestaltung, insbesondere bei der Aufstellung von Entlohnungsgrundsätzen und der Einführung und Anwendung von neuen Entlohnungsmethoden sowie deren Änderung, § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG,
bei der Festsetzung der Akkord- und Prämiensätze und vergleichbarem leistungsbezogenem Arbeitsentgelt, einschließlich der Geldfaktoren, § 87 Abs. 1 Nr. 11 BetrVG.
Das Mitbestimmungsrecht ist nicht immer und überall gleich. In der Regel erfasst es nur die Festlegung der abstrakten und generellen Entlohnungsgrundsätze. Der Arbeitgeber entscheidet frei darüber, ob er überhaupt außertarifliche Zulagen zahlt. Er bestimmt auch, wie viel Geld er dafür zur Verfügung stellen will. Die Rechtsprechung hat zur Gesamtproblematik in den letzten Jahren einige Fälle aufgearbeitet.
2. Beeinträchtigung kollektiver Interessen
Ein Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats besteht auch bei einer einmaligen und nachträglichen Sondervergütung. Das gilt selbst dann, wenn mit dieser Zulage ein besonderes Engagement in einer Ausnahmesituation belohnt werden soll. Maßgeblich kommt es bei der Frage nach dem Mitbestimmungsrecht hat darauf an, ob ein innerer Zusammenhang zwischen den Zahlungen und damit ein kollektiver Tatbestand besteht (BAG, 29.02.2000 - 1 ABR 4/99).
Der Betriebsrat hat gegen mitbestimmungswidrig durchgeführte Maßnahmen einen "allgemeinen Unterlassungsanspruch", der allerdings eine Wiederholungsgefahr voraussetzt. Diese Wiederholungsgefahr wird jedoch im Regelfall vermutet. Nur ganz besondere tatsächliche Umstände können sie unwahrscheinlich machen (BAG, 29.02.2000 - 1 ABR 4/99). Sind außertarifliche Vergütungsbestandteile in einer Betriebsvereinbarung geregelt, muss der Arbeitgeber diese Betriebsvereinbarung für eine Korrektur kündigen. Die Regelkündigungsfrist beträgt hier drei Monate (§ 77 Abs. 5 BetrVG).
3. Zusammensetzung der Vergütung
Für das Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats ist es nicht erforderlich, dass die Zulage neben dem Tariflohn gesondert ausgewiesen ist. Es kommt nur darauf an, dass auf das Arbeitsverhältnis ein Entgelttarifvertrag anwendbar und die Gesamtvergütung in einen tariflichen und einen übertariflichen Bestandteil aufteilbar ist (BAG, 22.09.1992 - 1 AZR 405/90). Der Betriebsrat hat auch bei der Anrechnung der in einer Betriebsvereinbarung geregelten Prämienlohnerhöhung auf übertarifliche Bestandteile mitzubestimmen (BAG, 10.11.1992 - 1 AZR 183/92). Dabei muss der Arbeitgeber von sich aus an den Betriebsrat herantreten. Tut er das nicht, und gibt der Betriebsrat keine Stellungnahme zu der geplanten Entgeltkürzung ab, kann im Verhalten des Betriebsrats keine Zustimmung zur beabsichtigten Maßnahme des Arbeitgebers gesehen werden (BAG, a.a.O.). Der Betriebsrat hat bei mitbestimmungswidrigem Verhalten des Arbeitgebers einen Unterlassungsanspruch (BAG, 03.05.1994 - 1 ABR 24/93).
4. Änderung der Verteilungsgrundsätze
Das Mitbestimmungsrecht entfällt, wenn seiner Ausübung tatsächliche oder rechtliche Hindernisse entgegenstehen. Ein tatsächliches Hindernis ist die Reduzierung des Zulagenvolumens auf Null, ein rechtliches die vollständige und gleichmäßige Anrechnung eine Tariferhöhung auf alle außer- und übertariflichen Zulagen (BAG, 03.12.1991 - GS 1/90 u. BAG, 03.12.1991 - GS 2/90). Mitbestimmungspflichtig bleibt die Anrechnung, wenn das damit eingesparte Zulagenvolumen nach anderen Grundsätzen verteilt werden soll (BAG, 11.08.1992 - 1 AZR 279/90). Rechnet der Arbeitgeber die Zulage in diesem Fall ohne Beteiligung des Betriebsrats an, ist die Anrechnung gegenüber den einzelnen Arbeitnehmern unwirksam (BAG, a.a.O.) mit der Folge, dass die betroffenen Arbeitnehmer ihre Zulage weiter verlangen können.
Die Änderung der Verteilungsgrundsätze durch Anrechnung auf über- und außertarifliche Zulagen ist grundsätzlich mitbestimmungspflichtig. Das gilt unabhängig davon, ob der Arbeitgeber sich die Anrechnung oder den Widerruf vorbehalten hat.
5. Bedeutung von Gehaltsgruppensystemen
Auch eine Änderung der materiellen Bandbreite eines eigenen Gehaltsgruppensystems mit außertariflichen Gehältern im Zusammenhang mit einer Tariferhöhung kann mitbestimmungspflichtig sein (BAG, 28.09.1994 - 1 AZR 870/93). Verletzt der Arbeitgeber in diesem Fall das Mitbestimmungsrecht, führt das allerdings nicht automatisch dazu, dass sich die übertariflichen Gehälter erhöhen (BAG, a.a.O.). Rechnet der Arbeitgeber übertarifliche Zulagen ohne Beachtung des Mitbestimmungsrechts des Betriebsrats an, ist die Anrechnung in voller Höhe unwirksam (BAG, 09.07.1996 - 1 AZR 690/95). Insoweit ist ohne Bedeutung, dass der Arbeitgeber mitbestimmungsfrei entscheiden kann, ob und inwieweit er die für eine Zulage insgesamt zur Verfügung gestellten Mittel verringern will (BAG, a.a.O.).
Mitbestimmungspflichtig ist auch die Anrechnung von Zulagen auf Steigerungen des Tarifgehalts infolge Alterssprüngen, Höhergruppierungen oder Erhöhung tariflicher Leistungszulagen (BAG, 22.04.1997 - 1 ABR 77/96). Im Zuge von Tarifverhandlungen werden oft für zurückliegende Zahlungszeiträume Einmalzahlungen vereinbart. Diese Einmalzahlungen stellen dann eine pauschalierte Lohnerhöhung dar, die bei entsprechender Vereinbarung als "Tariferhöhung" auf übertarifliche Zulagen angerechnet werden kann (BAG, 16.04.2002 - 1 AZR 363/01 - mit dem Hinweis, dass der Betriebsrat hinsichtlich der Ausgestaltung von Regelungen über Besitzstandszahlungen nach § 87 Abs. 1 Nr. 10 u. 11 BetrVG ein Mitbestimmungsrecht hat).
6. Überschreiten des Mitbestimmungsrechts
Mitbestimmungsrechte des Betriebsrats nach § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG und der Grundsatz der vertrauensvollen Zusammenarbeit aus § 2 Abs. 1 BetrVG werden verletzt, wenn der Arbeitgeber eigene Verteilungsgrundsätze vorgibt, über die er keine Verhandlungen zulässt, sondern für den Fall abweichender Vorstellungen der Arbeitnehmervertretung von vornherein eine mitbestimmungsfreie Vollanrechnung vorsieht (BAG, 26.05.1998 - 1 AZR 704/97).
Eine Überschreitung des Mitbestimmungsrechts liegt vor, wenn der Betriebsrat in diesem Fall nicht der Verteilung, sondern der Kürzung des Leistungsvolumens widerspricht. Der Arbeitgeber ist daraufhin nicht gehindert, mit einer vollständigen Anrechnung auf die Blockade seiner Maßnahme zu reagieren (BAG, a.a.O.). Auf der anderen Seite kann durch eine Regelungsabrede auch eine Erweiterung der Mitbestimmungsrechte vereinbart werden. Soll der Betriebsrat danach auch außerhalb der BetrVG-Fälle bei jeder Anrechnung von Tariferhöhungen auf übertarifliche Zulagen mitbestimmen, führt eine Missachtung der Regelungsabrede durch den Arbeitgeber nicht zur Unwirksamkeit der Anrechnung im Verhältnis zum Arbeitnehmer (BAG, 14.08.2001 - 1 AZR 744/00).
7. Rechtsprechungs-ABC
Unter dieser Ziffer finden Sie einige der interessantesten Entscheidungen der letzten Jahre zum Stichwort Außertarifliche Zulagen - Mitbestimmung in alphabetischer Reihenfolge nach Stichwörtern geordnet.
7.1 Abstrakter Feststellungsantrag
Ein in der Vergangenheit liegender Streitfall zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat kann durchaus Anlass sein, "das Bestehen eines Mitbestimmungsrechts losgelöst von einem konkreten Ausgangsfall klären zu lassen". Das setzt allerdings voraus, dass die Maßnahme, für die der Betriebsrat sein Mitbestimmungsrecht behauptet, schon des Öfteren im Betrieb aufgetreten ist und auch in Zukunft immer wieder auftreten wird (s. dazu BAG, 15.04.2008 - 1 ABR 14/07). So hat der Betriebsrat in diesen Fällen die Möglichkeit, die "Frage, ob eine im Antrag näher beschriebene Maßnahme seinem Mitbestimmungsrecht nach § 99 Abs. 1 BetrVG unterliegt, durch einen abstrakten Feststellungsantrag losgelöst vom konkreten Einzelfall zur gerichtlichen Entscheidung stellen" (BAG, 22.03.2016 - 1 ABR 19/14 - mit Hinweis auf BAG, 14.09.2010 - 1 ABR 29/09 und BAG, 12.11.1991 - 1 ABR 4/91).
7.2 Anrechnung von Tariflohnerhöhungen
Der Personalrat hat nach § 75 Abs. 3 Nr. 4 BPersVG mitzubestimmen, wenn der Dienstgeber eine Tariflohnerhöhung auf übertarifliche Zulagen anrechnen möchte (= Aufstellung und Änderung von Entlohnungsgrundsätzen). Die Anrechnung löst kein Mitbestimmungsrecht aus, wenn sie das Zulagenvolumen vollständig aufzehrt, die Tariferhöhung im Rahmen des rechtlich und tatsächlich Möglichen vollständig und gleichmäßig auf die übertariflichen Zulagen angerechnet wird oder der Dienstgeber die bisherigen Verteilungsgrundsätze beachtet und diese sich durch die Anrechnung nicht verändern. Rechnet der Dienstgeber die Tariflohnerhöhung voll an, gibt es keine Gestaltungsmöglichkeit, die der Personalrat mitnutzen könnte (BAG, 22.05.2012 - 1 AZR 94/11 - mit dem Hinweis, dass eine ohne Zustimmung des Personalrats vorgenommene Anrechung nach der Theorie der Wirksamkeitsvoraussetzung unwirksam ist).
7.3 Betriebliche Leistungszulagen
Während die konkrete Höhe des Arbeitsentgelts mitbestimmungsfrei ist, betrifft das Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats nach § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG die Fragen der betrieblichen Lohngestaltung, das heißt insbesondere die Aufstellung von Entlohnungsgrundsätzen und die Einführung und Anwendung von neuen Entlohnungsmethoden sowie deren Änderung. Gemeint sind die Strukturformen des Entgelts einschließlich ihrer näheren Vollzugsformen. Der Betriebsrat kann damit von einem tarifgebundenen Arbeitgeber über § 87 Abs. 1 Nr. 10, Abs. 2 BetrVG die Gewährung bestimmter über- oder außertariflicher Entgeltleistungen nicht erzwingen (BAG, 23.01.2008 - 1 ABR 82/06 - mit dem Hinweis, dass der Arbeitgeber auch mitbestimmungsfrei darüber entscheiden kann, ob er und wann er eine über- oder außertarifliche Leistung wieder vollständig einstellt).
7.4 Betriebsvereinbarung
Nach ständiger Rechtsprechung des BAG dürfen die Betriebspartner eine Angelegenheit, die sie durch Betriebsvereinbarung geregelt haben, unter Aufhebung dieser Betriebsvereinbarung für die Zukunft neu regeln. Dabei gilt das Ablösungsprinzip. Die neue Betriebsvereinbarung tritt an die Stelle der bisherigen. Das ist grundsätzlich auch dann der Fall, wenn die neue Regelung für die Mitarbeiter ungünstiger ist. Nur soweit in bereits bestehende Besitzstände der Arbeitnehmer eingegriffen wird, sind die Grundsätze der Verhältnismäßigkeit und des Vertrauensschutzes zu beachten (BAG, 13.03.2007 - 1 AZR 232/06 - mit dem Hinweis, dass auch eine tariflichen Alterssicherung nicht vor einer allgemeinen Absenkung des Prämien- oder Zulagenniveaus schützt, die unabhängig von einer altersbedingten Leistungsminderung erfolgt).
7.5 Eingeschränkte Entgelterhöhung
Der Betriebsrat hat nach § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG in "Fragen der betrieblichen Lohngestaltung, insbesondere .. [bei der] Aufstellung von Entlohnungsgrundsätzen und .. [der] Einführung und Anwendung von neuen Entlohnungsmethoden sowie deren Änderung" mitzubestimmen. Entschließt sich der Arbeitgeber, Mitarbeiter bestimmter Geschäftsbereiche von einer Entgelterhöhung auszunehmen, führt diese Entscheidung zu einer Änderung der im Betrieb geltenden Entlohnungsgrundsätze. Sie hat zur Folge, dass sich der relative Abstand der jeweiligen Vergütungen der Mitarbeiter zueinander verändert. Und das ist nach § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG mitbestimmungspflichtig (BAG, 21.02.2017 - 1 ABR 12/15).
7.6 Feststellungsinteresse für die Vergangenheit
Ein rechtliches Interesse für eine bloß auf die Vergangenheit gerichtete Feststellung des Bestehens oder Nichtbestehens eines Mitbestimmungsrechts (hier nach § 99 BetrVG), die keine Rechtsfolgen für die Zukunft mehr hat, ist regelmäßig abzulehnen. Die Arbeitsgerichte sind nicht dazu da, eine Rechtsfrage der Beteiligten gutachterlich zu klären oder die Rechtsauffassung eines der Beteiligten zu bestätigen. Auch in Fällen, in denen der Antragsteller sein Recht über eine Leistungsklage oder einen Gestaltungsantrag durchsetzen kann, ist ein anerkennenswertes Feststellungsinteresse regelmäßig auszuschließen. So hat denn auch ein Betriebsrat grundsätzlich kein rechtlich beachtliches Interesse i.S.d. § 256 Abs. 1 ZPO an der - rückwirkenden - gerichtlichen Feststellung, dass er bei einer schon endgültig durchgeführten Arbeitgebermaßnahme ein Mitbestimmungsrecht hatte. "Im Hinblick auf die Möglichkeit des Betriebsrats, nach § 101 BetrVG vorzugehen, ist für einen Antrag auf Feststellung, die bereits durchgeführte Maßnahme sei mitbestimmungspflichtig gewesen, kein Raum; er ist unzulässig" (BAG, 22.03.2016 - 1 ABR 19/14 - mit Hinweis auf BAG, 17.02.2015 - 1 ABR 45/13; BAG, 02.03.2004 - 1 ABR 15/03; BAG, 19.02.1991 - 1 ABR 36/90 und BAG, 18.02.1986 - 1 ABR 27/84).
7.7 Freiwillige Leistungen
Ist der Arbeitgeber weder durch Gesetz noch durch Vertrag zu einer Zahlung verpflichtet, kann er frei darüber entscheiden, ob er diese Leistung gewährt, welche Mittel er dafür bereitstellt, welchen Zweck er mit seiner Leistung verfolgt und wie der von ihm begünstigte Personenkreis abstrakt bestimmt werden soll. "Nur im Rahmen dieser Vorgaben unterliegt die Entscheidung darüber, nach welchen Kriterien die Berechnung der einzelnen Leistungen und ihre Höhe im Verhältnis zueinander bestimmt werden soll, der Mitbestimmung des Betriebsrats nach § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG". Die freie Entscheidung des Arbeitgebers über das Ob und die Höhe der Leistung unterliegt regelmäßig weder individual- noch kollektivrechtlichen Beschränkungen (BAG, 13.12.2011 - 1 AZR 508/10).
7.8 Gesamtbetriebsrat
Der Betriebsrat bestimmt nach § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG auch bei der Regelung der Vergütungsgrundsätze für AT-Angestellte mit. Dieses Mitbestimmungsrecht steht allerdings den örtlichen Betriebsräten zu, nicht dem Gesamtbetriebsrat. "Der betriebsverfassungsrechtliche Gleichbehandlungsgrundsatz begrenzt die Regelungsmacht der Betriebsparteien, begründet aber keinen Zwang zu einer unternehmenseinheitlichen Ausgestaltung von Entlohnungsgrundsätzen für AT-Angestellte durch eine Gesamtbetriebsvereinbarung." Der Gesamtbetriebsrat ist nach § 50 Abs. 1 Satz 1 BetrVG nur dann originär zuständig, wenn für eine betriebsübergreifende Regelung ein zwingendes Erfordernis besteht (BAG, 23.03.2010 - 1 ABR 82/08).
7.9 Gestaffelte Anrechnung
Das Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats nach § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG bei der Anrechnung einer Tarifgehaltserhöhung auf übertarifliche Zulagen setzt zunächst eine generelle Maßnahme voraus. Dabei müssen sich durch die Anrechnung die bisher bestehenden Verteilungsrelationen ändern und für die Neuregelung innerhalb des vom Arbeitgeber mitbestimmungsfrei vorgegebenen Dotierungsrahmens ein Gestaltungsspielraum bestehen. "Erfolgen Tarifgehaltserhöhungen zeitlich versetzt in mehreren Schritten oder Stufen, ist für die Beurteilung des Mitbestimmungsrechts des Betriebsrats eine isolierte Betrachtung des jeweiligen Anrechnungsvorgangs nicht immer ausreichend. Vielmehr kann es darauf ankommen, ob den Entscheidungen des Arbeitgebers über eine mögliche Anrechnung eine einheitliche Konzeption zu Grunde liegt. Für ein einheitliches Gesamtkonzept kann insbesondere ein enger zeitlicher Zusammenhang zwischen den Anrechnungsvorgängen sprechen" (BAG, 10.03.2009 - 1 AZR 57/08).
7.10 Mehrstufige Anrechnung
Entscheidet sich ein Arbeitgeber bei einer zweistufigen tariflichen Lohnerhöhung dafür, bei der ersten Stufe keine Anrechnung vorzunehmen, sondern erst bei der zweiten, eröffnet das einen Verteilungsspielraum. Der Betriebsrat ist deswegen bereits bei der Entscheidung über die Nichtanrechnung auf der ersten Stufe zu beteiligen. Ob hier eine einheitliche Anrechnungsentscheidung für beide Stufen oder eine zweigeteilte für jede Stufe vorliegt, kann nur nach den jeweiligen Umständen des Einzelfalls festgestellt werden (BAG, 08.06.2004 - 1 AZR 308/03).
7.11 Mitbestimmungskonkurrenz
"Trifft der Arbeitgeber ohne Beteiligung des Personalrats im Hinblick auf künftige Tariflohnerhöhungen - abhängig von deren ungewisser Höhe - zwei unterschiedliche Entscheidungen zur Anrechnung auf eine übertarifliche Zulage, von denen die eine mitbestimmungsfrei, die andere nur mit Zustimmung des Personalrats möglich ist, werden Mitbestimmungsrechte nicht verletzt, wenn sich nur die mitbestimmungsfrei mögliche Entscheidung realisiert" (BAG, 01.11.2005 - 1 AZR 355/04 - Leitsatz - zum Abbau einer Ministerialzulage).
7.12 Nachwirkung
"Ein nicht tarifgebundener Arbeitgeber leistet in mitbestimmungsrechtlicher Hinsicht die gesamte Vergütung 'freiwillig'. Will er einzelne Vergütungsbestandteile beseitigen und verändert sich dadurch die Vergütungsstruktur, hat er den Betriebsrat gemäß § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG zu beteiligen. Ändern sich durch die Kündigung einer Betriebsvereinbarung über einen Vergütungsbestandteil die Entlohnungsgrundsätze im Betrieb, wirkt die Betriebsvereinbarung gemäß § 77 Abs. 6 BetrVG nach" (BAG, 26.08.2008 - 1 AZR 354/07 - Leitsätze).
7.13 Präjudizielle Wirkung
Hat ein Arbeitsgericht im Beschlussverfahren rechtskräftig über das Bestehen eines Mitbestimmungsrechts (hier nach § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG) entschieden, kann diese Entscheidung aus der "Kollektivstreitigkeit" in einem folgenden Individualrechtsstreit zwischen Arbeitnehmer und Arbeitgeber über die Leistung präjudizielle Wirkung haben. Das ist beispielsweise der Fall, wenn im Beschlussverfahren rechtskräftig entschieden wurde, dass der Betriebsrat bei der Anrechnung von Tariferhöhungen auf freiwillige Zulagen nicht nach § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG mitzubestimmen hat. Die präjudizielle Wirkung führt dann im Ergebnis dazu, dass ein Anwendungsfall der Theorie der Wirksamkeitsvoraussetzung mit Blick auf die rechtskräftig geklärte BetrVG-Frage verneint werden muss (BAG, 23.02.2016 - 1 AZR 73/14).
7.14 Theorie der Wirksamkeitsvoraussetzung
Verletzt der Arbeitgeber ein Mitbestimmungsrecht seines Betriebsrats, führt das nach der Theorie der Wirksamkeitsvoraussetzung im Verhältnis Arbeitgeber/Mitarbeiter dazu, dass den Mitarbeiter belastende Rechtsgeschäfte unwirksam sind. Mit diesem Ergebnis wird verhindert, dass der Arbeitgeber dem kollektiven betriebsverfassungsrechtlichen Einigungszwang über den Weg individueller arbeitsvertraglicher Gestaltungsmöglichkeiten ausweicht. Dem Arbeitgeber darf kein Vorteil entstehen, wenn er sich nicht an die BetrVG-Regeln hält (s. dazu BAG, 22.10.2014 - 5 AZR 731/12). Missachtet der Arbeitgeber Mitbestimmungsrechte seines Betriebsrats bei der Anrechnung von Tarifsteigerungen auf Zulagen, führt das zur Unwirksamkeit der Anrechnung (so: BAG, 22.05.2012 - 1 AZR 94/11). Aber: "Ist in einem Beschlussverfahren ein Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats bei der Anrechnung einer Tariflohnerhöhung auf eine freiwillige übertarifliche Zulage rechtskräftig verneint worden, kann der Arbeitnehmer den Anspruch auf Zahlung einer ungekürzten Zulage nicht auf die Theorie der Wirksamkeitsvoraussetzung stützen" (BAG, 23.02.2016 - 1 AZR 73/14 Leitsatz).
7.15 Volle/teilweise Anrechnung
Das BAG bejaht bei der Anrechnung einer Tariferhöhung auf außertarifliche Zulagen in ständiger Rechtsprechung ein Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats nach § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG, "wenn eine generelle Maßnahme vorliegt, sich durch die Anrechnung die bisher bestehenden Verteilungsrelationen ändern und für die Neuregelung innerhalb des vom Arbeitgeber mitbestimmungsfrei vorgegebenen Dotierungsrahmens ein Gestaltungsspielraum besteht." Mitbestimmung nach § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG scheidet aus, wenn das Volumen der Zulage infolge der Anrechnung völlig aufgezehrt wird. Mitbestimmung nach § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG scheidet ebenfalls aus, wenn der Arbeitgeber die Erhöhung des Tarifentgelts "im Rahmen des rechtlich und tatsächlich Möglichen vollständig und gleichmäßig auf die übertarifliche Zulage" anrechnet. Anders dagegen, wenn er die tarifliche Entgelterhöhung nur teilweise auf die außertariflichen freiwilligen Zulagen anrechnet. In diesem Fall bleibt ein Spielraum für eine andere Verteilung - und bei der Ausgestaltung dieses Entscheidungsspielraums hat der Betriebsrat nach § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG mitzubestimmen (BAG, 24.01.2017 - 1 ABR 6/15 - mit Hinweis auf BAG, 10.03.2009 - 1 AZR 55/08).
7.16 Weitergabe von Tariferhöhungen
§ 77 Abs. 3 Satz 1 BetrVG sagt, dass Arbeitsentgelte und sonstige Arbeitsbedingungen, die durch Tarifvertrag geregelt sind oder üblicherweise geregelt werden, nicht Gegenstand einer Betriebsvereinbarung sein können. Dieser Tarifvorbehalt schließt es aus, dass die Betriebspartner Regelungen über die Weitergabe von Tariflohnerhöhungen treffen. Sie sind allerdings nicht daran gehindert, zu regeln, ob und inwieweit Tariferhöhungen auf übertarifliche Zulagen angerechnet werden (BAG, 30.05.2006 - 1 AZR 111/05).
7.17 Zeitversetzte Tarifentgelterhöhungen
Die Frage, ob der Betriebsrat nach § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG bei der Anrechnung von Tarifentgelterhöhungen auf außertarifliche Zulagen ein Mitbestimmungsrecht hat, lässt sich bei Tarifentgelterhöhungen, die sich zeitversetzt in mehreren Abschnitten oder in aufeinander aufbauenden Stufen vollziehen, nicht isoliert für jeden einzelnen Anrechnungsvorgang beantworten. Es kommt darauf an, "ob mehrere voneinander unabhängige Entscheidungen des Arbeitgebers über eine mögliche Anrechnung vorliegen oder ob den Entscheidungen eine einheitliche Konzeption des Arbeitgebers zugrunde liegt." Das Mitbestimmungsrecht nach § 87 Abs. 1 Nr. 10 BetrVG hängt davon ab, ob das Arbeitgeberkonzept Raum für eine "(Mit-)Gestaltung" lässt. Unterbleibt eine Anrechnung oder führt die Arbeitgebermaßnahme zu einer gleichmäßigen und vollständigen Anrechnung, ist das Mitbestimmungsrecht ausgeschlossen. Mitbestimmungspfichtige Gestaltungsmöglichkeiten bleiben, wenn der Arbeitgeber die Absicht hat, im Rahmen eines Gesamtkonzepts "auf mehrere Schritte oder Stufen einer Tarifgehaltserhöhung unterschiedlich zu reagieren" (BAG, 24.01.2017 - 1 ABR 6/15).