Rechtsdatenbank
Welche Fragen Arbeitgeber auch zum Thema Sozialversicherungsrecht bewegen: Die Rechtsdatenbank der AOK liefert die Antworten – einfach, fundiert und topaktuell.

Welche Fragen Arbeitgeber auch zum Thema Sozialversicherungsrecht bewegen: Die Rechtsdatenbank der AOK liefert die Antworten – einfach, fundiert und topaktuell.
Die Inhalte des Bereichs „Fachwissen SV“ geben Ihnen kostenlos Auskunft zu allen Themen der Sozialversicherung. Sie sind ein exklusives Angebot für eingeloggte Nutzer.
Jetzt einloggen:
Sie sind noch nicht registriert?
Probezeit - Kündigung
Probezeit - Kündigung
Inhaltsübersicht
- 1.
- 2.
- 3.
- 4.Rechtsprechungs-ABC
- 4.1
- 4.2
- 4.3
- 4.4
- 4.5
- 4.6
- 4.7
- 4.8
- 4.9
- 4.10
- 4.11
- 4.12
- 4.13
- 4.14
- 4.15
Information
1. Allgemeines
Der Arbeitgeber hat während der Probezeit in der Regel kein Problem damit, sich von einem ungeeigneten Arbeitnehmer wieder zu trennen. Die KSchG-Bestimmungen über den allgemeinen Kündigungsschutz greifen erst nach 6-monatiger Beschäftigung. Das Arbeitsrecht gewährt besonderen Kündigungsschutz nur in besonderen Fällen, beispielsweise für Schwangere in § 9 Abs. 1 MuSchG. Ansonsten sind während einer Probezeit alle Kündigungs- und Beendigungsmöglichkeiten zugelassen, die auch für Arbeitsverhältnisse nach Ablauf der Probezeit gelten.
Praxistipp:
Eine vernünftige und legale Art, unsichere Kündigungen während der Probezeit zu umgehen, ist die Vereinbarung einer befristeten Probezeit. Selbstverständlich muss dann für die Dauer dieser befristeten Probezeit auch eine Kündigungsmöglichkeit vereinbart werden (s. § 15 Abs. 3 TzBfG). Sie öffnet den Weg, das befristete Probearbeitsverhältnis auch schon vor dem Befristungsablauf zu beenden - wobei die besonderen Kündigungsbeschränkungen natürlich auch in diesem Fall zu beachten sind.
Weitere Kündigungsschranken können sich aus tarifvertraglichen Regelungen ergeben oder von den Vertragspartnern selbst abgemacht sein. So ist es durchaus zulässig, den Ausschluss einer Kündigung vor Arbeitsaufnahme zu vereinbaren. Kündigungen, die nicht in den KSchG-Anwendungsbereich fallen, können allerdings sitten- oder treuwidrig sein. Ist eine Anfechtung des (Probe)Arbeitsvertrags rechtlich ausgeschlossen, darf der Arbeitgeber ihn wegen des angeblichen Anfechtungsgrunds auch nicht kündigen. Tut er es trotzdem, ist das eine unzulässige Rechtsausübung. Aber selbst wenn eine ordentliche Kündigung ausgeschlossen ist: Ein Recht zur außerordentlichen Kündigung besteht immer - vorausgesetzt, es liegt ein wichtiger Grund dafür vor.
2. Kündigungsmöglichkeiten
Die Probezeit gibt Arbeitgeber und Arbeitnehmer die Möglichkeit, ihre
fachliche,
persönliche und
soziale
Eignung zu prüfen.
Stellen Arbeitgeber und/oder Arbeitnehmer fest, dass es - aus welchem Grund auch immer - miteinander keinen Zweck hat, kann jeder von ihnen das Arbeitsverhältnis in der Probezeit beenden. Dafür stellt ihnen das Gesetz eine Kündigung mit kurzer, 2-wöchiger Probezeitkündigungsfrist zur Verfügung (= ordentliche Kündigung). Während die Vertragspartner selbst die 2-Wochen-Frist des § 622 Abs. 3 BGB nicht abkürzen können, machen Tarifvertragsparteien von der Möglichkeit des § 622 Abs. 4 BGB häufig Gebrauch.
Praxistipp:
Eine Probezeit bietet dem Arbeitgeber die nahezu einmalige Möglichkeit, sich kurzfristig ohne großen rechtlichen Begründungsaufwand von seinem Probearbeitnehmer zu trennen. Diese Chance sollte er sich nicht selbst durch Vereinbarung eines Kündigungsausschlusses oder längerer Kündigungsfristen für die Dauer der Probezeit nehmen.
Neben der ordentlichen Kündigung gibt es die außerordentliche Kündigung. Mit ihr können Arbeitgeber und/oder Arbeitnehmer das (Probe)Arbeitsverhältnis fristlos von jetzt auf gleich beenden. Dafür muss allerdings ein wichtiger Grund vorliegen.
Praxistipp:
Das Probearbeitsverhältnis ist ein richtiges Arbeitsverhältnis. Die Anforderungen, die das Gesetz an einen wichtigen Grund stellt, müssen auch während der Probezeit erfüllt sein. Das heißt, dem Arbeitgeber muss die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses bis zum Ablauf einer vereinbarten Befristung oder bis zu dem Zeitpunkt, in dem das Probearbeitsverhältnis nach einer ordentlichen Kündigung enden würde, unzumutbar sein. Je kürzer die einzuhaltende Probezeitkündigungsfrist ist, desto schwieriger ist es, eine außerordentliche Kündigung durchzubekommen.
Natürlich gibt es während der Probezeit auch die Möglichkeit einer Änderungskündigung. Geänderte Vertragsbedingungen lassen sich zudem mit einer Änderungsvereinbarung durchsetzen. Schließlich lässt sich ein Probearbeitsverhältnis auch mit einem Aufhebungsvertrag beenden.
3. Kündigungsbeschränkungen
Nach der BAG-Rechtsprechung ist es zulässig, eine Kündigung vor Arbeitsaufnahme auszuschließen.
Beispiel:
Paul Neumann hatte schon mehrere Arbeitsverhältnisse. Sein Lebenslauf zeichnet sich durch häufige Arbeitgeberwechsel aus. Die Rabotty & Maloch KG möchte ihn gerne zum 01.10. einstellen - hat aber Bedenken, ob er seine Arbeit überhaupt antritt. Sie verwendet deshalb in ihrem Formulararbeitsvertrag folgende Klausel: "Das Arbeitsverhältnis beginnt am 01.10. Die ersten sechs Monate sind Probezeit. Eine Kündigung des Arbeitsverhältnisses vor Arbeitsaufnahme ist ausgeschlossen".
Die Vertragspartner brauchen für den Kündigungsausschluss vor Arbeitsaufnahme keinen sachlichen Grund.
Praxistipp:
Ein Kündigungsausschluss für die Zeit vor der Arbeitsaufnahme allein bringt noch nichts. Sinnvoll ist es, ihn mit einer Vertragsstrafenregelung auszustatten. Sie bringt den Arbeitnehmer zwar nicht wirklich an die Arbeit, zeigt ihm aber, dass er "Lehrgeld" bezahlen muss, wenn er seine Arbeit nicht vertragsgemäß aufnimmt.
Weitere Kündigungsbeschränkungen ergeben sich aus
besonderen gesetzlichen Vorschriften (z.B. aus § 9 Abs. 1 MuSchG) oder
tarifvertraglichen Regelungen.
Allgemein kann eine Kündigung während der Probezeit nach
sein - wobei hier enge Grenzen gezogen sind. Das während einer maximal sechs Monate langen Probezeit nicht anwendbare KSchG soll mit den §§ 138, 242 BGB - bildlich gesprochen - nicht durch die Hintertür doch wieder in das Arbeitsverhältnis kommen.
Das Kündigungsschutzgesetz ist erst nach sechs Monaten anzuwenden, § 1 Abs. 1 KSchG. Auch der Schwerbehindertenschutz greift erst nach 6-monatigem Bestehen des Arbeitsverhältnisses, § 90 SGB IX. Eine ordentliche Kündigung ließe sich zwar auch für die Dauer einer Probezeit ausschließen, wäre aber widersinnig - sollen die Vertragspartner doch innerhalb der Probezeit gerade das Recht haben, sich möglichst kurzfristig voneinander zu trennen. Das Recht zu außerordentlichen Kündigung lässt sich ohnehin nicht neutralisieren - verlangt aber einen wichtigen Grund.
4. Rechtsprechungs-ABC
An dieser Stelle werden einige der interessantesten Entscheidungen zum Thema Probezeitkündigung in alphabetischer Reihenfolge nach Stichwörtern geordnet hinterlegt:
4.1 Arbeitsunfall
Auch wenn sich ein Arbeitnehmer in der Probezeit schwer verletzt (hier: Arbeitsunfall, bei dem vier Finger der rechten Hand abgetrennt wurden, von denen drei reimplantiert werden konnten), ist das allein kein Grund, der den Arbeitgeber daran hindert, zu kündigen. Zum einen muss eine Probezeitkündigung nicht sozial gerechtfertigt sein, zum anderen ist so eine Kündigung ohne Vorliegen besonderer Umstände weder sitten- noch treuwidrig (§§ 138, 242 BGB). Es ist Aufgabe des Arbeitnehmers, die für die Annahme einer Sitten- oder Treuwidrigkeit erforderlichen Tatsachen vorzutragen (ArbG Solingen, 10.05.2012 - 2 Ca 198/12; die Berufung vor dem LAG Düsseldorf ( 14 Sa 1186/12) wurde nach Belehrung zurückgenommen).
4.2 "Corona"-Kündigung
"1. Eine zur Unwirksamkeit einer Probezeitkündigung führende Maßregelung (§ 612a BGB) liegt nicht vor, wenn die Rechtsausübung des Arbeitnehmers kein tragender Beweggrund des Arbeitgebers beim Kündigungsentschluss bildet. Dies kann etwa der Fall sein, wenn der Arbeitgeber als Ausdruck seiner unternehmerischen Entscheidungsfreiheit die Umsetzung eines bestimmten Anforderungsprofils für alle Arbeitsplätze im Betrieb anstrebt und dieses allgemeingültige Profil mit höchstpersönlichen Entscheidungen des daraufhin gekündigten Arbeitnehmers unvereinbar ist. Dementsprechend bewirkt die vom Arbeitgeber bezweckte Durchsetzung des "2G-Modells" in einem Musicalaufführungsbetrieb keine Maßregelung einer nicht gegen das Coronavirus (SARS-Cov-2) geimpften Darstellerin. 2. Die Kündigung gegenüber einer nicht geimpften Arbeitnehmerin verstößt nicht gegen das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG), wenn die Entscheidung der Arbeitnehmerin gegen die Inanspruchnahme der Schutzimpfung allein auf medizinische Bedenken gestützt wird" (ArbG Berlin, 03.02.2022 - 17 Ca 11178/21 - Leitsätze).
4.3 Evangelischer Pfarrer
Die Kirchenkreise der Evangelischen Kirche in Mitteldeutschland sind sowohl Körperschaften des kirchlichen als auch Körperschaften des öffentlichen Rechts. So kommt es, dass das Arbeitsverhältnis eines angestellten Pfarrers (auch) nach staatlichem Kündigungsschutzrecht kündbar ist. Die Regelung in § 2 Abs. 4 KAVO, nach der die ersten sechs Monate eines Arbeitsverhälnisses als Probezeit gelten und innerhalb dieser Probezeit mit einer Kündigungsfrist von zwei Wochen zum Monatsende gekündigt werden kann, ist nicht zu beanstanden. Auch wenn es keine ausdrückliche KAVO-Regelung dazu gibt: Die Probezeitkündigung nach § 2 Abs. 4 KAVO gilt auch, wenn der Pfarrer zunächst befristet angestellt wird (BAG, 21.11.2013 - 6 AZR 664/12).
4.4 Gescannte Unterschrift
Die hier vorgestellte Entscheidung betrifft zwar das Schriftformerfordernis für eine Befristungsabrede, lässt sich aber auch auf das Schriftformerfordernis aus § 623 BGB für eine Kündigung übertragen: Warum soll man einen befristeten Arbeitsvertrag mit Kuli oder Füller unterschreiben, wenn man die Unterschrift auch einscannen kann? Weil das so in § 14 Abs. 4 TzBfG steht. Die eingescannte Unterschrift reicht nicht aus, um das gesetzliche Schriftformerfordernis zu erfüllen. Und das gilt auch in Fällen, in den der Arbeitsvertrag nur für ein paar Tage – wie hier der befristete Arbeitsvertrag einer Messehostess – geschlossen wird. Die eingescannte Unterschrift des Arbeitgebers – hier eines Personalverleihers – erfüllt nicht die Anforderungen des § 14 Abs. 4 TzBfG i.V.m. § 126 BGB an das Schriftformerfordernis. Sie ist keine eigenhändige Unterschrift und genügt auch nicht den Anforderungen, die an eine qualifizierte elektronische Signatur zu stellen sind (LAG Berlin-Brandenburg, 16.03.2022 - 23 Sa 1133/21).
4.5 Kranke Kinder mit zur Arbeit genommen
Die Mitnahme an Grippe erkrankter und betreuungsbedürftiger Kinder zur Arbeit stellt grundsätzlich eine Verletzung arbeitsvertraglicher Pflichten dar. Der Arbeitgeber ist trotzdem nicht berechtigt, wegen dieser Pflichtverletzung gleich eine außerordentliche Kündigung auszusprechen. Auch wenn hier zu berücksichtigen ist, dass sich die Arbeitnehmerin noch in der Probezeit befand, als Altenpflegefachkraft in einer Pflegeeinrichtung beschäftigt war und von den erkrankten Kindern eine Ansteckungsgefahr für die älteren Patienten ausging: Eine Abmahnung hätte gereicht. Es liegt kein wichtiger Grund für die sofortige Beendigung des Arbeitsverhältnisses vor (ArbG Siegburg, 04.09.2019 - 3 Ca 642/19).
4.6 Kündigungsausschluss - 1
Die Vereinbarung einer falschen Probezeitkündigungsfrist während einer befristeten Probezeit schließt die Kündigung des befristeten Probearbeitsverhältnisses nicht aus. Auch wenn die Frist zu kurz ist, bleiben die Vereinbarung einer Probezeit und die Vereinbarung einer Kündigungsmöglichkeit während dieser Probezeit trotz Befristungsabrede verständlich und vollziehbar. Die Anwendbarkeit der kurzen Kündigungsfrist aus § 622 Abs. 3 BGB setzt nicht voraus, "dass überhaupt eine Vereinbarung über die Kündigungsfrist während der vereinbarten Probezeit getroffen wird, sondern nur, dass vertraglich überhaupt eine Probezeit vereinbart" ist (LAG Rheinland-Pfalz, 30.04.2010 - 9 Sa 776/09).
4.7 Kündigungsausschluss - 2
Vereinbaren die Parteien im Arbeitsvertrag eine 6-monatige Probezeit und schließen sie eine ordentliche Kündigung vor Beginn des Arbeitsverhältnisses mit einer Vertragsstrafe aus, wollen sie damit "die tatsächliche Umsetzung der vertraglichen Pflicht zur Arbeitsaufnahme als Realisierung des Arbeitsverhältnisses sicherstellen". Ein Kündigungsausschluss vor Beginn des Arbeitsverhältnisses ist grundsätzlich nicht zu beanstanden. Er kann auch als Allgemeine Geschäftsbedingung in einem Formularbeitsvertrag vereinbart werden (BAG, 19.08.2010 - 8 AZR 645/09).
4.8 Rauchen
Die gekündigte Arbeitnehmerin wurde im Vorstellungsgespräch gefragt, ob sie rauche, und auf das betriebliche Rauchverbot hingewiesen. Sie antwortete, dass sie zwar rauche, mit dem betrieblichen Rauchverbot aber einverstanden sei. Bevor sie ihre Arbeit aufnahm, rauchte sie vor der Tür eine Zigarette - was einige Kolleginnen und Kunden zum Anlass für eine Beschwerde nahmen. Daraufhin bekam sie die Kündigung. Auch wenn die noch nicht nach KSchG-Maßstäben zu bewerten sei, das allgemeine Persönlichkeitsrecht, die allgemeine Handlungsfreiheit und Art. 12 GG setzen auch für eine Probezeitkündigung Maßstäbe - und die machen die Kündigung hier treuwidrig und unwirksam. Zum einen hat die Arbeitnehmerin nicht gegen das betriebliche Rauchverbot verstoßen, zum anderen muss ein bereits begründetes Arbeitsverhältnis mit dem ernsthaften Willen der Zusammenarbeit geführt werden. Da muss der Arbeitgeber zunächst ein klärendes Gespräch mit dem Arbeitnehmer führen und darf nicht gleich draufloskündigen (ArbG Saarlouis, 28.05.2013 - 1 Ca 375/12).
4.9 Schwerbehinderte Arbeitnehmer
Bislang war die Kündigung schwerbehinderter Mitarbeiter in der Probezeit kein Problem. Sie hatten weder den allgemeinen KSchG- noch den besonderen SGB IX-Kündigungsschutz. Eine Entscheidung des EuGH könnte nun zum Umdenken zwingen: "Art. 5 der Richtlinie 2000/78/EG des Rates vom 27. November 2000 zur Festlegung eines allgemeinen Rahmens für die Verwirklichung der Gleichbehandlung in Beschäftigung und Beruf ist dahin auszulegen, dass der Begriff 'angemessene Vorkehrungen für Menschen mit Behinderung' im Sinne dieses Artikels impliziert, dass ein Arbeitnehmer – und zwar auch derjenige, der nach seiner Einstellung eine Probezeit absolviert –, der aufgrund seiner Behinderung für ungeeignet erklärt wurde, die wesentlichen Funktionen seiner bisherigen Stelle zu erfüllen, auf einer anderen Stelle einzusetzen ist, für die er die notwendige Kompetenz, Fähigkeit und Verfügbarkeit aufweist, sofern der Arbeitgeber durch diese Maßnahme nicht unverhältnismäßig belastet wird" (EuGH, 10.02.2022 - C-485/20 - Leitsatz - Belgien).
4.10 Sittenwidrige Kündigung
Eine Kündigung innerhalb der Probezeit kann nach § 138 Abs. 1 BGB gegen die guten Sitten verstoßen und deswegen unwirksam sein. Nur: Eine sittenwidrige Kündigung lässt sich bloß dann bejahen, wenn "sie auf verwerflichen Motiven" des Arbeitgebers beruht, "etwa auf Rachsucht oder wenn sie sonst dem Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden widerspräche". Dabei geht es darum, dass das Motiv für die Kündigung "gröblichst gegen die in der Rechtsgemeinschaft ganz überwiegend anerkannte Sozialmoral verstoßen müsste". Das wiederum ist nicht anzunehmen, wenn es für die Kündigung plausible Beweggründe gibt (LAG Baden-Württemberg, 05.07.2011 - 22 Sa 11/11 - das hier keine Sittenwidrigkeit einer Kündigung angenommen ht, die in der Probezeit nach Arbeitsunfähigkeit aufgrund eines Arbeitsunfalls ausgesprochen wurde).
4.11 Teilnahme an einem wilden Streik
Die Kurierfahrer eines Lieferdienstes hatten ohne gewerkschaftliche Beteiligung einen Streik organisiert, weil sie mit den Arbeitsbedingungen unzufrieden waren. An diesem Streik nahmen auch die Mitarbeiter M1, M2 und M3 teil. Bei M1 und M2 hat das Arbeitsgericht die außerordentlichen Kündigungen durchgewunken, bei M3 nur die ordentliche binnen Zwei-Wochen-Frist innerhalb der Probezeit für wirksam angesehen. Die Teilnahme an einem "verbandsfreien Streik" ist keine zulässige Rechtsausübung. Sie wird nicht von Art. 9 Abs. 3 GG gedeckt. Die Koalitionsfreiheit umfasst bloß Arbeitskämpfe, die gewerkschaftlich organisiert sind. Nur in diesem Fall ist die Streikteilnahme zulässig. Während der nach § 626 Abs. 1 BGB erforderliche wichtige Grund für M1 und M2 bestätigt wurde, konnte eine Arbeitsverweigerung bei M3 nicht hinreichend festgestellt werden (ArbG Berlin, 06.04.2022 - 20 Ca 10257/21, 20 Ca 10258/21 und 20 Ca 10259/21).
4.12 Treuwidrige Kündigung
Außerhalb des KSchG hat ein Arbeitnehmer, für den kein Sonderkündigungsschutz besteht, Anspruch auf Schutz vor treuwidrigen Kündigungen. Dieser Schutz darf aber nicht dazu führen, dass dem Arbeitgeber die Kündigungsbeschränkungen, die sonst das KSchG vorsieht, über Treu und Glauben - § 242 BGB - wieder auferlegt werden. Arbeitnehmer sollen vor willkürlichen oder auf sachfremden Motiven beruhenden Kündigungen geschützt werden, die vom KSchG nicht erfasst sind. So liegt eine treuwidrige Kündigung nur dann vor, wenn für die Kündigung kein "irgendwie einleuchtender Grund" erkennbar ist (LAG Hamm, 15.11.2007 - 15 Sa 1332/07 - mit Hinweis auf BAG, 28.08.2003 - 2 AZR 333/02).
4.13 Unzulässige Rechtsausübung
Ist die Frage eines Arbeitgebers nach bestimmten Tatsachen - hier: Vorliegen von Ermittlungs- und Strafverfahren - unzulässig, darf der Arbeitnehmer diese Frage falsch beantworten, ohne dass er deswegen mit nachteiligen Folgen - das heißt insbesondere einer Anfechtung oder Kündigung seines Arbeitsvertrags - rechnen muss. Darf der Arbeitgeber den Arbeitsvertrag nach § 123 BGB nicht wegen arglistiger Täuschung anfechten, darf er ihn aus diesem Grund auch nicht innerhalb der Probezeit kündigen. "Der Kündigung steht der rechtshindernde Einwand der unzulässigen Rechtsausübung entgegen" (LAG Hamm, 10.03.2011 - 11 Sa 2266/10).
4.14 Vereinbarte Kündigungsfrist
"Wird in einem vom Arbeitgeber vorformulierten Arbeitsvertrag in einer Klausel eine Probezeit und in einer anderen Klausel eine Kündigungsfrist festgelegt, ohne dass unmissverständlich deutlich wird, dass diese ausdrücklich genannte Frist erst nach dem Ende der Probezeit gelten soll, ist dies von einem durchschnittlichen Arbeitnehmer regelmäßig dahin zu verstehen, dass der Arbeitgeber schon von Beginn des Arbeitsverhältnisses an nur mit dieser Kündigungsfrist, nicht aber mit der zweiwöchigen Kündigungsfrist des § 622 Abs. 3 BGB kündigen kann" (BAG, 23.03.2017 - 6 AZR 705/15 - Leitsatz).
4.15 Zustellungsnachweis
Arbeitgeber A kündigte Personalreferent in der Probezeit. Die schriftliche Kündigung brachte er per Einwurfeinschreiben auf den Weg. P behauptete später vor dem Arbeitsgericht, nie ein Original-Schreiben mit Kündigungserklärung von A erhalten zu haben. A legte im Prozess sowohl den Ein- als auch den Auslieferungsbeleg vor. P blieb trotzdem dabei, dass ihn kein Kündigungsschreiben A’'s jemals erreicht hat. P's Belege ließ er nicht gelten – anders dagegen das Arbeitsgericht: "Legt der beklagte Arbeitgeber den Einlieferungs- und Auslieferungsbeleg eines Einwurfeinschreibens in dem Verfahren vor und bestehen keine tragenden Zweifel an einer fehlerhaften Zustellung, ist von einem Zugang des im Streit stehenden Schreibens auszugehen" (ArbG Gera, 03.11.2021 - 7 Ca 233/20 - Leitsatz).