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BFH, 11.12.1990 - V B 81/90
Bundesfinanzhof
Beschl. v. 11.12.1990, Az.: V B 81/90
Fundstelle:
BFH/NV 1993, 28
BFH, 11.12.1990 - V B 81/90
Tatbestand:
1
I. Der Antragsteller und Beschwerdeführer (Antragsteller) ist Rechtsanwalt. In Ausübung seines Berufs hat er sich der Firma Z gegenüber schadensersatzpflichtig gemacht; mit Urteil des Oberlandesgerichts (OLG) ... vom 31.Dezember 1986 ist er zu einem Schadensersatz von ... DM zuzüglich Zinsen und Kosten verurteilt worden. |
Um einen finanziellen Spielraum zur vergleichsweisen Regelung seiner Schadensersatzpflicht zu gewinnen und einer drohenden Zwangsvollstreckung seitens der Firma Z zu entgehen, möchte der Antragsteller seine Steuerschulden reduzieren. |
Er beantragte deshalb zunächst beim Antragsgegner und Beschwerdegegner (Finanzamt --FA--), ihm die Umsatzsteuer und Einkommensteuer für die Jahre 1986 und 1987 aus Billigkeitsgründen zu erlassen (Schreiben vom 24.Februar 1988). Mit Schreiben vom 8.Juni 1988 erweiterte er seinen Erlaßantrag auf die Umsatzsteuer für Januar bis Juni 1988. |
Das FA lehnte den Antrag ab. Der Antragsteller habe seine Umsatzsteuervoranmeldungen zum Teil verspätet und zum Teil inhaltlich unzutreffend abgegeben. Ein Erlaß der Einkommensteuer für 1986 und 1987 nach § 227 der Abgabenordnung (AO 1977) sei nicht in Betracht gekommen, da die Einkommensteuer noch nicht festgesetzt gewesen sei. Auch ein (ggf. teilweiser) Verzicht auf die Festsetzung von Einkommensteuer nach § 163 AO 1977 sei nicht möglich gewesen, da der Antragsteller im Zeitpunkt der ablehnenden Entscheidung des FA noch keine Steuererklärungen eingereicht habe und dem FA folglich die Besteuerungsgrundlagen unbekannt gewesen seien. |
Die Beschwerde des Antragstellers hatte keinen Erfolg (Beschwerdeentscheidung der Oberfinanzdirektion --OFD-- vom 5.August 1988). |
Laut der Beschwerdeentscheidung betraf der Erlaßantrag folgende Rückstände aus Umsatzsteuer-Voranmeldungen: |
2
1986 ... DM
3
1987 ... DM
4
Januar bis April 1988 ... DM.
Tatsächlich hatte der Antragsteller bereits vor Ergehen der Beschwerdeentscheidung die Jahresumsatzsteuererklärung für 1986 abgegeben, die eine Abschlußzahlung von ... DM (statt der bisherigen Vorauszahlung von ... DM) ergab. |
Nach Ergehen der Beschwerdeentscheidung erhob der Antragsteller Klage mit dem Antrag, |
"1. Das beklagte Finanzamt wird verurteilt, dem Kläger die rückständigen Umsatzsteuer-Vorauszahlungen 1986, 1987 sowie Januar bis April 1988 und die noch nicht festgesetzte Einkommensteuer 1986 und 1987 zu erlassen. |
2. Hilfsweise: Die unter Ziff.1 genannten Steuern werden gestundet." |
Zugleich beantragte er "Aussetzung der Vollziehung sowie einstweilige Anordnung gemäß§ 114 FGO". |
Mittlerweile hatte der Antragsteller auch seine Einkommensteuererklärung für 1986 abgegeben, aufgrund der er nach Klageerhebung zur Einkommensteuer für 1986 veranlagt wurde (Einkommensteuerbescheid vom 9.November 1988 in der Fassung der Einspruchsentscheidung vom 8.März 1990). |
Über die Klage ist noch nicht entschieden. Die Anträge auf Aussetzung der Vollziehung und einstweilige Anordnung wies das Finanzgericht (FG) durch Beschluß vom 30.März 1990 zurück. |
5
Gegen die Zurückweisung des Antrags auf einstweilige Anordnung richtet sich die vorliegende Beschwerde, die der Antragsteller entgegen seiner Ankündigung nicht begründet hat.
Gründe
6
II. Die Beschwerde ist unbegründet. |
Der Erlaß einer einstweiligen Anordnung --hier zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis (§ 114 Abs.1 Satz 2 der Finanzgerichtsordnung --FGO--)-- setzt voraus, daß ein Anordnungsanspruch und ein Anordnungsgrund glaubhaft gemacht worden sind (§ 114 Abs.3 FGO i.V.m. § 920 Abs.2 der Zivilprozeßordnung --ZPO--). |
1. Als Anordnungsanspruch kommt nach der zutreffenden Auffassung des FG ein Anspruch auf Steuerstundung oder auf einstweilige Einstellung der Vollstreckung für die Dauer des Hauptverfahrens in Betracht. Der Anordnungsanspruch ergibt sich aus dem zwischen dem Antragsteller und dem Antragsgegner bestehenden Rechtsverhältnis, das bis zur Entscheidung des Rechtsstreits in der Hauptsache einstweilen geregelt werden soll. Der Anordnungsanspruch ist nur dann glaubhaft gemacht, wenn die Klage im Hauptverfahren mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit Erfolg haben wird (vgl. Beschluß des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 4.November 1986 VII B 108 86, BFH NV 1987, 555, Steuerrechtsprechung in Karteiform --StRK--, Abgabenordnung, § 258, Rechtsspruch 9). Im Verfahren nach § 114 FGO bedarf es keiner abschließenden Prüfung der in der Hauptsache zu entscheidenden Rechtsfragen. Es genügt vielmehr eine summarische Abschätzung der dortigen Erfolgsaussichten. Nach den Gesamtumständen ist aber nicht wahrscheinlich, daß der Antragsteller im Hauptverfahren mit seinem Erlaß- und Stundungsantrag Erfolg haben wird. |
a) Der im Hauptverfahren hilfsweise geltend gemachte Stundungsantrag hat bereits deshalb keine Erfolgsaussichten, weil es am erforderlichen Vorverfahren fehlt (vgl. § 44 FGO). Die OFD hat über keinen Stundungsantrag, sondern nur über den Erlaßantrag entschieden. |
7
b) Der Erlaßantrag bezüglich der Umsatzsteuer-Vorauszahlung für 1986 hat deshalb keine Erfolgsaussicht, weil der Antragsteller für 1986 keine
Umsatzsteuer-Vorauszahlung mehr schuldet, sondern allein die sich aufgrund seiner Jahreserklärung ergebende Abschlußzahlung (vgl. § 168 AO 1977; BFH-Urteil vom 29.November 1984 V R 146 83, BFHE 143, 101, BStBl II 1985, 370 [BFH 29.11.1984 - V R 146/83]). |
Der Antragsteller kann auch nicht durch eine Klageänderung den Erlaß der (restlichen) Jahresumsatzsteuer für 1986 zum Gegenstand des finanzgerichtlichen Hauptverfahrens machen. Gegenstand des Hauptverfahrens kann nur die Überprüfung der Ermessensentscheidung des FA und der OFD sein (vgl. § 102 FGO). Da diese über den Erlaß der Jahresumsatzsteuer 1986 nicht entschieden haben, kann dieser Erlaß nicht zum Gegenstand des gerichtlichen Hauptverfahrens gemacht werden. Damit entfällt auch ein Anspruch auf eine dem Erlaßantrag entsprechende einstweilige Anordnung nach § 114 Abs.1 Satz 2 FGO. |
c) Auch der Antrag auf Erlaß "der noch nicht festgesetzten Einkommensteuer 1986" kann so keinen Erfolg haben, da die Einkommensteuer für 1986 mittlerweile festgesetzt worden ist. Der Kläger kann im Hauptverfahren lediglich die gerichtliche Überprüfung erreichen, ob nach den tatsächlichen Verhältnissen beim Erlaß der Beschwerdeentscheidung (also vor der Einkommensteuerveranlagung für 1986) mit der Ablehnung des begehrten Billigkeitserlasses die gesetzlichen Grenzen des Ermessens überschritten wurden oder von dem Ermessen in zweckwidriger Weise Gebrauch gemacht worden ist. Hiervon ist aus den nachfolgenden Gründen nicht auszugehen. |
d) Der Antragsteller begehrt den Steuererlaß aus persönlichen Gründen wegen Gefährdung seiner Erwerbstätigkeit. Er befürchtet die Zwangsvollstreckung seitens der Firma Z mit der Verpflichtung zur Erstellung eines Vermögensverzeichnisses und zur eidesstattlichen Versicherung seiner Richtigkeit. Dies hätte einen weiteren Vermögensverfall sowie den Widerruf seiner Zulassung als Rechtsanwalt zur Folge, wodurch seine berufliche Existenz vernichtet würde. Um dieser Gefahr zu entrinnen, möchte der Antragsteller die genannten Steuern erlassen haben. |
Die OFD ist dem entgegengetreten mit der Erwägung, daß nicht die streitigen Steuerfestsetzungen selbst, sondern die Berufstätigkeit des Antragstellers mit der Schädigung der Firma Z die Notlage herbeigeführt habe (Hinweis auf BFH-Urteile vom 10.März 1972 II 57 64, BFHE 105, 458, BStBl II 1972, 649, [BFH 10.05.1972 - II - 57/64] und vom 22.April 1975 VII R 54 72, BFHE 116, 87, BStBl II 1975, 727 [BFH 22.04.1975 - VII R 54/72]), daß ein Billigkeitserlaß der Steuer die übrigen Gläubiger des Antragstellers einseitig bevorzuge und daß der Antragsteller nicht erlaßwürdig sei; er habe seine Notlage selbst verschuldet und sei auch seinen steuerlichen Erklärungspflichten seit Gründung seiner Anwaltskanzlei nur unzulänglich nachgekommen. Mit diesen Erwägungen hat die OFD --jedenfalls bei summarischer Überprüfung-- die gesetzlichen Grenzen ihres Ermessens nicht überschritten und von ihrem Ermessen nicht in sachwidriger Weise Gebrauch gemacht. |
2. Das FG verneinte im Ergebnis zu Recht auch einen Anordnungsgrund. |
8
Ein Anordnungsgrund liegt vor, wenn die einstweilige Anordnung für die Dauer des Hauptverfahrens zur Abwendung wesentlicher Nachteile, zur Verhinderung drohender Gewalt oder aus anderen Gründen nötig erscheint (§ 114 Abs.1 Satz 2 FGO). Auch hier kommt als Anordnungsgrund nur der vom Antragsteller befürchtete Widerruf seiner Zulassung zur Rechtsanwaltschaft in Betracht. Dieser Anordnungsgrund besteht offensichtlich (noch) nicht bei der Einkommensteuer für 1987. Solange diese nicht festgesetzt ist, hindert sie den Antragsteller nicht, der Firma Z den geschuldeten Schadensersatz zu leisten. Aber auch bezüglich der übrigen Steuern ist der Anordnungsgrund nicht glaubhaft gemacht. Der Antragsteller behauptete nur im Erlaßverfahren vor den Finanzbehörden, daß ihm der Widerruf seiner Zulassung als Rechtsanwalt drohe, wenn er neben dem Schadensersatz an die Firma Z auch noch die streitbefangenen Steuern bezahlen müsse. Er hat aber nicht im Verfahren nach § 114 FGO glaubhaft gemacht, daß ihm diese Gefahr während des Hauptverfahrens droht. Er hat nicht versucht, das Gericht von dieser Gefahr zu überzeugen; vielmehr hat er sie dem Gericht gegenüber überhaupt nicht erwähnt.
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