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Welche Fragen Arbeitgeber auch zum Thema Sozialversicherungsrecht bewegen: Die Rechtsdatenbank der AOK liefert die Antworten – einfach, fundiert und topaktuell.

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Arbeitsplatz - Schwerbehinderte
Arbeitsplatz - Schwerbehinderte
Inhaltsübersicht
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Information
1. Allgemeines
Der Begriff Arbeitsplatz ist im Sprachgebrauch allgegenwärtig. Dabei werden ihm verschiedene Bedeutungen zugemessen. Während es im Arbeitsrecht allgemein keine Definition des Begriffes gibt, enthält das Schwerbehindertenrecht eine Legaldefinition. Sie spielt insbesondere bei der Abgabepflicht der Betriebe eine Rolle. Der Beitrag geht hierauf ein und gibt Tipps zur Umsetzung der relevanten Bestimmungen.
2. Definition
Arbeitsplätze in diesem Sinne sind alle Stellen, auf denen Arbeitnehmer, Beamte, Richter, Auszubildende sowie andere zu ihrer beruflichen Bildung Eingestellte beschäftigt werden (§ 156 Abs. 1 SGB XI). Der Arbeitsplatz ist in diesem Zusammenhang also nicht im räumlichen Sinne zu verstehen; entscheidend ist vielmehr die tatsächliche Beschäftigung - in der Regel aufgrund eines Arbeitsvertrages oder eines öffentlich-rechtlichen Dienstverhältnisses. Da es auf die tatsächliche Beschäftigung und nicht auf einen Arbeitsplatz im räumlich – gegenständlichen Sinne ankommt, sind auch Beschäftigungs- und Qualifizierungsgesellschaften, die Bezieher von Transferkurzarbeitergeld vorübergehend beschäftigen, grundsätzlich beschäftigungs- und ggf. abgabepflichtig (BVerwG, 16.05.2013 – 5 C 20.12). Bei der Berechnung sind nach § 156 Abs. 2 Nr. 2 SGB IX solche Stellen nicht zu berücksichtigen, auf denen Personen tätig sind, deren Beschäftigung nicht in erster Linie dem Erwerb dient, sondern vorwiegend durch Beweggründe karitativer Art bestimmt wird. Ob dies der Fall ist, ist durch eine objektivierte Gesamtbetrachtung aller maßgeblichen Umstände zu ermitteln. Dabei kommt es nicht darauf an, ob überhaupt eine Gegenleistung für die Arbeit erbracht wird, sondern darauf, ob die Zuwendungen der Gewinnerzielung dienen oder nicht (BVerwG, 30.06.2016 – 5 C 1.15 [in Bezug auf "Ärzte ohne Grenzen"]). Nach der Entscheidung ist eine Beschäftigung i.S.v. § 156 Abs. 2 Nr. 2 Alt.1 SGB IX vorwiegend durch Beweggründe karitativer Art bestimmt, wenn auf der Stelle entsprechend ihrer objektiven Zweckbestimmung Personen beschäftigt werden, deren Tätigkeit dadurch geprägt ist, dass für körperlich, geistig oder seelisch leidende Menschen soziale Dienste geleistet werden, die auf die Heilung oder Milderung innerer oder äußerer Nöte des Hilfebedürftigen oder auf deren vorbeugende Abwehr zielen.
Zum Begriff der Schwerbehinderung siehe Schwerbehinderte Menschen - Allgemeines; zu den Gleichgestellten siehe Schwerbehinderte Menschen - Gleichgestellte.
3. Beschäftigungspflicht
Nach § 154 Abs. 1 SGB IX haben Arbeitgeber mit jahresdurchschnittlich mindestens 20 Arbeitsplätzen im Monat auf wenigstens 5 Prozent dieser Arbeitsplätze schwerbehinderte Menschen zu beschäftigen. Schwerbehinderte Frauen sind besonders zu berücksichtigen. Für Klein- und Mittelbetriebe mit bis zu 60 Arbeitsplätzen gelten geringere Quoten (§ 154 Abs. 1 S. 3 SGB IX): Haben sie jahresdurchschnittlich weniger als 40 Arbeitsplätze, müssen sie einen, bis weniger als 60 Arbeitsplätze zwei Schwerbehinderte beschäftigen.
Praxistipp:
Für Auszubildende gilt eine Sonderregelung: Sie werden nicht bei der Feststellung der Beschäftigungspflicht berücksichtigt (§ 157 SGB IX). Wird jedoch ein schwerbehinderter Auszubildender beschäftigt, wird er mindestens doppelt auf die zu erfüllende Quote angerechnet (§ 159 Abs. 2 SGB IX).
Teilzeitbeschäftigte mit einer wöchentlichen Arbeitszeit von weniger als 18 Stunden sowie Aushilfen mit einer Beschäftigungsdauer bis zu acht Wochen werden bei den vorhandenen Arbeitsplätzen nicht mitgerechnet (§ 156 Abs. 3 SGB IX). Dies gilt aber auch für die Anrechnung solcher Mitarbeiter, die schwerbehindert sind, auf die Pflichtquote (§ 158 Abs. 2 SGB IX). Wird für einen Arbeitnehmer, der z.B. in Elternzeit ist, eine Vertretung eingestellt, wird für beide nur ein Arbeitsplatz berücksichtigt (§ 21 Abs. 7 BEEG; § 156 Abs. 2 Nr. 6 SGB IX). Keine Arbeitnehmer und daher nicht mitzuzählen sind Organmitglieder von juristischen Personen sowie arbeitnehmerähnliche Personen. Stellen von Leiharbeitnehmern zählen als Arbeitsplätze des Verleihers.
Praxistipp:
Heimarbeiter, die nur für ein Unternehmen arbeiten, werden nicht auf die Gesamtzahl der Arbeitsplätze angerechnet, da sie keine Arbeitnehmer sind. Soweit bei ihnen aber eine Schwerbehinderung vorliegt, können sie bei der Pflichtquote angerechnet werden (vgl. § 210 Abs. 1 SGB IX). Arbeitnehmer in Altersteilzeit werden, wenn ihre Arbeitszeit mindestens 18 Stunden wöchentlich beträgt, bei der Gesamtzahl der Arbeitsplätze berücksichtigt. Ist ein Arbeitnehmer in Altersteilzeit aber schwerbehindert, kann er auch während der Freistellungsphase auf die Pflichtquote angerechnet werden. Auch die Arbeitsplätze von Mitarbeitern, die im Ausland tätig sind, deren Arbeitsvertrag aber in Deutschland geschlossen wurde, werden mitgerechnet.
Angerechnet werden auch Mitarbeiter, bei denen ein Grad der Behinderung von mindestens 30 anerkannt ist und die nach § 2 Abs. 3 SGB IX in Verbindung mit § 151 Abs. 2 und 3 SGB IX einem Schwerbehinderten gleichgestellt sind (siehe unten, Abschnitt 4). Die Gleichgestellten haben keinen Anspruch auf Zusatzurlaub.
Unter bestimmten Voraussetzungen (vgl. § 159 SGB IX) kann ein Arbeitsplatz mehrfach auf die zu besetzenden Pflichtarbeitsplätze angerechnet werden.
Berechnungsbeispiel: Der Betrieb A. hat 2022 folgende, bei der Berechnung der Abgabe zu berücksichtigende Arbeitsplätze:
Monat | Arbeitsplätze | Monat | Arbeitsplätze | Monat | Arbeitsplätze |
Januar | 83 | Mai | 64 | September | 90 |
Februar | 76 | Juni | 68 | Oktober | 78 |
März | 61 | Juli | 73 | November | 79 |
April | 56 | August | 88 | Dezember | 74 |
Gesamt | 890 |
890 : 12 = 74,16 jahresdurchschnittliche Arbeitsplätze pro Monat.
Daraus ergibt sich eine Pflichtquote für die Beschäftigung von Schwerbehinderten von 5 %, dies entspricht 3,7; es wird aufgerundet auf 4 Pflichtarbeitsplätze für Schwerbehinderte. Die Jahressumme der monatlich zu besetzenden Pflichtarbeitsplätze ergibt sich aus 890 X 5 % = 44,5 (gerundet 45 Pflichtarbeitsplätze).
Erfüllt der Betrieb die Pflichtquote nicht, muss er eine Ausgleichsabgabe an das Integrationsamt zahlen (§ 160 SGB IX). Damit werden Leistungen zur Förderung schwerbehinderter Menschen im Arbeitsleben finanziert.
Fortsetzung Berechnungsbeispiel:
Der Betrieb beschäftigt 2022 folgende Schwerbehinderte (die Berücksichtigung erfolgt, sobald das Arbeitsverhältnis mindestens einen Tag in dem jeweiligen Monat bestanden hat):
Monat | Beschäftigte Schwerbehinderte | Monat | Arbeitsplätze | Monat | Arbeitsplätze |
Januar | 0 | Mai | 1 | September | 2 |
Februar | 0 | Juni | 2 | Oktober | 3 |
März | 1 | Juli | 2 | November | 5 |
April | 1 | August | 2 | Dezember | 5 |
Gesamt | 24 |
Jahresdurchschnittlich sind zwei Arbeitsplätze mit Schwerbehinderten besetzt (24:12).
Die Ausgleichsabgabe (§ 160 SGB IX) beträgt seit dem 01.01.2021 je nicht besetzten Pflichtarbeitsplatz monatlich.
bei einer Beschäftigungsquote von 3 % bis weniger als dem geltenden Pflichtsatz (5 %) = 140 EUR
bei einer Beschäftigungsquote von 2 % bis weniger als 3 % = 245 EUR
bei einer Beschäftigungsquote von weniger als 2 % = 360 EUR
Ausnahmen gelten für Klein- und Mittelbetriebe mit bis zu 60 Arbeitsplätzen (siehe § 160 Abs. 2 SGB IX).
Praxistipp:
Das Bundeskabinett hat einen Gesetzentwurf zur Förderung des inklusiven Arbeitsmarktes beschlossen. U.a. soll bei der Ausgleichsabgabe eine vierte Staffel eingeführt werden. Sie betrifft insbesondere die Arbeitgeber, die trotz Beschäftigungspflicht keinen einzigen schwerbehinderten Menschen beschäftigen. Für Betriebe mit mindestens 60 Beschäftigten werden dann pro unbesetztem Arbeitsplatz 720 EUR monatlich fällig. Für kleinere Arbeitgeber zwischen 20 und 59 Arbeitsplätzen gelten nach wie vor Sonderregelungen, die geringere Beträge vorsehen. Das Gesetz soll nach dem parlamentarischen Verfahren am 01.01.2024 in Kraft treten. Die erhöhten Beträge werden erstmals zum 31. März 2025 zu zahlen sein, wenn die Ausgleichsabgabe für das Jahr 2024 fällig wird.
Fortsetzung Berechnungsbeispiel:
Die Beschäftigungsquote des Betriebes A. beträgt 2,7 % (24:890X100). Somit sind für jeden nicht besetzten Pflichtarbeitsplatz monatlich 245 EUR zu zahlen. Die Zahl der unbesetzten Pflichtarbeitsplätze ergibt sich aus den nach der Jahressumme zu besetzenden Pflichtarbeitsplätzen (45) minus der Jahressumme der mit Schwerbehinderten besetzten Arbeitsplätze (24). Der Betrieb hat für 2022 für 21 Monate je 245 EUR = 5.145 EUR zu zahlen.
Praxistipp:
Vordrucke für die Berechnung gibt es unter www.iw-elan.de; Erläuterungen hält die Bundesagentur für Arbeit bereit.
Nach § 164 Abs. 4 Satz 1 Nr. 5 SGB IX haben schwerbehinderte Menschen zudem Anspruch auf Ausstattung ihres Arbeitsplatzes mit den erforderlichen technischen Arbeitshilfen. Der Arbeitsplatz ist daher entsprechend der individuellen Anforderungen des schwerbehinderten Menschen, insbesondere im Hinblick auf seine Behinderungen, zu gestalten.
4. Verfahren
Der Betrieb hat jeweils bis zum 31. März für das Vorjahr die für die Feststellung der Beschäftigungspflicht, zur Überwachung der Erfüllung der Pflichtquote und zur Berechnung der Ausgleichsabgabe notwendigen Daten der örtlich zuständigen Agentur für Arbeit zu übermitteln (§ 163 Abs. 2 SGB IX).
Praxistipp:
Vordrucke für die Erstattung der Meldungen sowie Software für die elektronische Erstellung der Anzeige (REHADAT Elan) hält die Bundesagentur für Arbeit bereit. Siehe auch unter www.iw-elan.de.
Die Feststellung der Behinderung erfolgt auf Antrag des Mitarbeiters durch die nach Landesrecht zuständige Behörde (z.B. Versorgungsamt, Amt für soziale Angelegenheiten). Schwerbehindert in diesem Sinne sind alle Menschen, bei denen ein Grad der Behinderung von wenigstens 50 vorliegt (§ 2 Abs. 2 SGB IX). Beträgt der Grad der Behinderung wenigstens 30, kann unter bestimmten Voraussetzungen eine Gleichstellung mit schwerbehinderten Menschen erfolgen (§ 2 Abs. 3 SGB IX). Ihre Arbeitsplätze werden dann ebenfalls auf die Pflichtquote angerechnet.
Praxistipp:
Die Gleichstellung wird von der für den Wohnort zuständigen Agentur für Arbeit vorgenommen und wirkt frühestens ab dem Zeitpunkt der Antragstellung.
Wird eine Gleichstellung zur Erhaltung eines konkreten Arbeitsplatzes geltend gemacht, muss dieser für den behinderten Menschen geeignet sein. Dies erfordert einerseits, dass der Behinderte durch die Tätigkeit gesundheitlich nicht überfordert wird; andererseits führt die behinderungsbedingte Einschränkung für sich genommen noch nicht zum Wegfall der Geeignetheit des Arbeitsplatzes. Dies muss von der Behörde und den Gerichten im Einzelfall anhand der konkreten Gegebenheiten überprüft werden (LSG Baden-Württemberg, 23.10.2015 – L 8 AL 4146/14).
5. Bewerbungsverfahren
5.1 Allgemeines
Auch im Rahmen der Besetzung von freien Arbeitsplätzen sind die Betriebe verpflichtet, schwerbehinderte Menschen besonders zu berücksichtigen (§ 164 Abs. 1 SGB IX): Sie müssen prüfen, ob die vakanten Arbeitsplätze mit Schwerbehinderten besetzt werden können. Insbesondere gilt dies für Schwerbehinderte, die bei der Bundesanstalt für Arbeit arbeitssuchend gemeldet sind.
Praxistipp:
Der Arbeitgeber ist verpflichtet, frühzeitig vor der Besetzung freier Stellen mit der Bundesagentur Kontakt aufzunehmen. Diese oder ein Integrationsfachdienst können geeignete Schwerbehinderte vorschlagen. Die Pflicht entfällt nach der Rechtsprechung (z.B. LAG Köln, 08.02.2010 – 5 TaBV 73/09), wenn eine Stelle nur intern ausgeschrieben wird.
Eine interne Ausschreibung wird von der Rechtsprechung allerdings nicht anerkannt, wenn die Stelle mit einem Praktikanten besetzt wird (LAG Hamm, 23.01.2015 – 13 TaBV 44/14).
Ist mit dem Betriebsrat generell vereinbart, Stellen zunächst innerbetrieblich auszuschreiben, ergibt sich daraus aber keine Festlegung auf den Kreis der Bewerber aus dem Betrieb. Der Arbeitgeber ist dadurch auch nicht verpflichtet, diese bei der Besetzung des Arbeitsplatzes vorrangig zu berücksichtigen (LAG Mecklenburg-Vorpommern, 03.05.2019 – 4 TaBV 15/18). Vielmehr liegt es grundsätzlich im Ermessen des Arbeitgebers, die Stelle einem Arbeitnehmer seiner Wahl zu übertragen. Er kann sich dabei auch für einen betriebsfremden Bewerber entscheiden, wenn er ihn für den geeigneteren hält (BAG, 18.11.1980 - 1 ABR 63/78).
Liegen entsprechende Bewerbungen vor, sind die Schwerbehindertenvertretung und die Personalvertretung an der Besetzung der Stelle zu beteiligen. Über die Vermittlungsvorschläge der Bundesagentur für Arbeit oder eines Integrationsfachdienstes sowie über Bewerbungen von schwerbehinderten Menschen ist die Schwerbehindertenvertretung sowie die Personalvertretung unmittelbar nach deren Eingang zu informieren (§ 164 Abs. 1 S. 4 SGB IX). Eine unmittelbare Unterrichtung i.S.d. § 164 Abs. 1 Satz 4 SGB IX an die Schwerbehindertenvertretung erfolgt ohne Zwischenschritte über weitere Personen. Die Unterrichtung des Betriebsrats nach § 164 Abs. 1 Satz 4 SGB IX i.V.m. § 176 SGB IX erfolgt gegenüber dem Betriebsratsvorsitzenden (LAG Düsseldorf, 12.11.2021 - 7 Sa 483/21). Dabei ist es nicht ausreichend, dass der Arbeitgeber der Schwerbehindertenvertretung alle Bewerbungsunterlagen zugänglich macht. Er muss vielmehr auch darüber informieren, welche Bewerber schwerbehindert sind (LAG Berlin-Brandenburg, 27.11.2019 – 15 Sa 949/19).
Werden diese Verpflichtungen missachtet, kann dies als Indiz dafür gewertet werden, dass ein abgelehnter Schwerbehinderter wegen seiner Behinderung benachteiligt wurde (vgl. BAG, 13.10.2011 – 8 AZR 608/10). Voraussetzung dafür ist, dass die Schwerbehinderung des Bewerbers bekannt war bzw. sie hätte bekannt sein müssen. Ausreichend für die Kenntnis ist ein Hinweis auf die Schwerbehinderung im Bewerbungsschreiben. Wird dieser übersehen, geht dies zu Lasten des Betriebes (BAG, 16.09.2008 – 9 AZR 791/07). Dagegen ist es nicht erforderlich, ausdrücklich auf den GdB von wenigstens 50 hinzuweisen (BAG, 22.10.2015 – 8 AZR 384/14). Nicht ausreichend für einen Entschädigungsanspruch ist es, wenn ein Bewerbungsschreiben fehlt und die Information über die Schwerbehinderung in den Lebenslauf "eingestreut" ist, also nicht besonders kenntlich gemacht wurde (LAG Rheinland-Pfalz, 20.08.2015 – 2 Sa 27/15). Werden in diesem Fall alle Interessenten, die kein Bewerbungsschreiben beigefügt haben, aussortiert, liegt die Ursache für die Ablehnung nicht in der Schwerbehinderung, sondern im fehlenden Anschreiben.
Nach dem Auswahlverfahren sind alle Beteiligten vom Arbeitgeber über die getroffene Entscheidung unverzüglich unter Darlegung der Gründe zu unterrichten (§ 164 Abs. 1 S. 9 SGB IX). Diese Pflicht besteht aber nur, wenn eine Schwerbehindertenvertretung oder ein Betriebsrat besteht. Im Zweifel ist der Bewerber darlegungs- und beweispflichtig, dass ein solches Gremium vorhanden ist (LAG München, 11.04.2018 – 10 Sa 820/17). Die Pflicht zur Unterrichtung eines abgelehnten schwerbehinderten Bewerbers besteht aber nur, wenn alle Voraussetzungen des § 164 Abs. 1 S. 7 SGB XI vorliegen, also der Arbeitgeber gegen die gesetzliche Pflicht zur Beschäftigung schwerbehinderter Menschen verstößt und die Schwerbehindertenvertretung mit der beabsichtigten Einstellungsentscheidung nicht einverstanden ist (BAG, 28.09.2017 – 8 AZR 492/16). Aus der Verletzung dieser Pflicht kann eine Indizwirkung abgeleitet werden, dass der Arbeitgeber den Bewerber wegen seiner Schwerbehinderung nicht berücksichtigt hat (BAG, 28.09.2017 – a.a.O.). Die Absage mit der Begründung, es habe mehrere Bewerbungen gegeben, die die geforderten Kriterien erfüllen, stellt keine ausreichende Begründung für die getroffene Entscheidung dar. Eine mehr als zwei Monate später erfolgte nähere Erläuterung der Gründe für die Ablehnung der Bewerbung ist nicht mehr unverzüglich i.S.d. § 164 Abs. 1 S. 9 SGB IX (LAG Niedersachsen, 14.04.2016 – 7 Sa 1359/14 – siehe aber zu den Voraussetzungen der Unterrichtungspflicht BAG, 28.09.2017 – 8 AZR 492/16).
Beachtet der Arbeitgeber die gesetzlichen Vorgaben nicht, kann damit ein Indiz i.S.d. § 22 AGG vorliegen, dass der schwerbehinderte Bewerber diskriminiert wurde. In diesem Fall sieht § 15 Abs. 2 AGG die Zahlung einer Entschädigung für den immateriellen Schaden vor. Diese hat eine Doppelfunktion. Sie dient einerseits der vollen Schadenskompensation und andererseits der Prävention, wobei jeweils der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu wahren ist. Der Anspruch hierauf tritt unabhängig vom Verschulden des Arbeitgebers ein (BAG, 28.05.2020 – 8 AZR 170/19). Der Arbeitnehmer ist verpflichtet, die Indizien, die eine Benachteiligung wegen der Schwerbehinderung vermuten lassen, darzulegen. Es ist dann an dem Arbeitgeber, nachzuweisen, dass dies nicht zutrifft. Bloße Behauptungen des Arbeitnehmers für eine Benachteiligung, die ins Blaue hinein behauptet werden, reichen nicht aus, um die Benachteiligung vermuten zu lassen (LAG Berlin-Brandenburg, 01.07.2020 – 15 Sa 289/20). Weitere Einzelheiten siehe auch unter 5.2.
5.2 Öffentliche Arbeitgeber
Besondere Pflichten haben in diesem Zusammenhang öffentliche Arbeitgeber (§ 165 SGB IX). Sie sind verpflichtet, frei werdende und neu zu besetzende Arbeitsplätze der Arbeitsagentur frühzeitig zu melden (§ 165 Abs. 1 S. 1 SGB IX). Dabei ist die Veröffentlichung eines Stellenangebots über die Jobbörse der Arbeitsagentur keine ausreichende Meldung i.d.S. (BAG, 25.11.2021 – 8 AZR 313/20). Das Unterlassen einer korrekten Meldung kann nach dem Urteil zur Vermutung führen, dass eine Benachteiligung des betroffenen Schwerbehinderten i.S.v. § 22 AGG vorliegt).
Haben sich Schwerbehinderte im Rahmen des Verfahrens nach § 165 SGB IX auf einen solchen Arbeitsplatz beworben oder sind sie von der Bundesagentur bzw. einem beauftragten Integrationsfachdienst vorgeschlagen worden, müssen sie zu einem Vorstellungsgespräch eingeladen werden. Dies gilt auch, wenn die Stelle nur intern ausgeschrieben wurde (BAG, 25.06.2020 – 8 AZR 75/19). Dies gilt nach dem Urteil jedenfalls dann, wenn Auswahlgespräche stattfinden. Wird das Auswahlverfahren ohne Einladung von Bewerbern abgebrochen und die Stelle im Rahmen eines Wiedereingliederungsverfahrens intern besetzt, liegt keine Diskriminierung des schwerbehinderten Bewerbers vor. Dieser wurde nicht ungünstiger behandelt, als alle anderen externen Bewerber (LAG Rheinland-Pfalz, 03.12.2019 – 8 Sa 187/19). Bei mehreren Bewerbungen eines Schwerbehinderten oder eines Gleichgestellten auf mehrere Stellen desselben Arbeitgebers mit identischem Anforderungsprofil reicht es jedoch aus, wenn der Bewerber einmal zu einem Vorstellungsgespräch eingeladen wird (BAG, 25.06.2020 – 8 AZR 75/19).
Nach dem ersten Vorstellungsgespräch ist der schwerbehinderte Stellenbewerber zu allen weiteren Gesprächen einzuladen, die Bestandteil eines mehrstufigen Auswahlprozesses sind. Der Begriff "Vorstellungsgespräch" in § 165 Satz 3 SGB IX ist dahin auszulegen, dass er grundsätzlich alle Instrumente des Verfahrens der Personalauswahl unabhängig von ihrer Bezeichnung, der angewandten Methode und der konkreten Durchführungsform erfasst, die nach der eigenen Konzeption des Arbeitgebers erforderlich sind, um sich ein umfassendes Bild von der fachlichen und persönlichen Eignung des Bewerbers zu machen (BAG, 27.08.2020 - 8 AZR 45/19). Daher entfällt die Verpflichtung zu einem Vorstellungsgespräch nach der Rechtsprechung nicht deshalb, weil der Bewerber einen schriftlichen Auswahltest nicht bestanden hat. Dies gilt zumindest, wenn der Test bereits Bestandteil des Auswahlverfahrens ist. Dem Bewerber soll durch das Vorstellungsgespräch Gelegenheit gegeben werden, evtl. Defizite in dem persönlichen Gespräch auszugleichen. Wird ihm dazu keine Möglichkeit gegeben, ist dies ein deutliches Indiz für eine Diskriminierung wegen der Schwerbehinderung (LAG Schleswig-Holstein, 09.09.2015 – 3 Sa 36/15 u. BAG, 11.08.2016 – 8 AZR 375/15).
Zu der Frage, ob einer schwerbehinderten Bewerberin ein Ersatztermin für das Vorstellungsgespräch zu geben ist, wenn sie an der Teilnahme verhindert ist, war unter dem Az.: 8 AZR 258/21 ein Revisionsverfahren beim BAG anhängig. Es endete am 20.10.2022 mit einem Vergleich.
Die in § 165 Satz 3 SGB IX bestimmte Verpflichtung des öffentlichen Arbeitgebers, schwerbehinderte Stellenbewerber zum Vorstellungsgespräch einzuladen, gehört zu den Pflichten des Arbeitgebers, mit denen kein individueller Anspruch bzw. kein individuelles Recht der jeweiligen schwerbehinderten Bewerber auf eine Einladung korrespondiert, auf den bzw. auf das diese rechtswirksam verzichten könnten (BAG, 26.11.2020 - 8 AZR 59/20).
Der öffentliche Arbeitgeber erfüllt die Pflicht aus § 165 S. 3 SGB IX grundsätzlich auch dadurch, dass er den schwerbehinderten Bewerber zu einem Vorstellungsgespräch einlädt, das in Form eines Video-Interviews durchgeführt wird. Dies gilt jedenfalls dann, wenn alle Vorstellungsgespräche in dieser Form durchgeführt werden, es im Laufe des Video-Interviews nicht zu technischen Problemen kommt, der schwerbehinderte Bewerber mit der Durchführung des Vorstellungsgesprächs in Form des Video-Interviews einverstanden ist und keine besonderen behinderungsbedingten Einschränkungen bestehen, die die Durchführung des Interviews erschweren könnten (LAG Hamm, 21.07.2022 - 18 Sa 21/22).
Der Begriff "öffentliche Arbeitgeber" ist in § 154 Abs. 2 SGB IX legal definiert. Um einen solchen Arbeitgeber handelt es sich nicht bei den Fraktionen des bayrischen Landtages. Daher steht einem Bewerber, der nicht zum Vorstellungsgespräch eingeladen wurde, keine Entschädigung nach § 15 Abs. 2 AGG zu (BAG, 16.05.2019 – 8 AZR 315/18). Die US-Stationierungsstreitkräfte gelten nicht als öffentlicher Arbeitgeber i.S.d. dritten Teils des SGB IX. Ihnen obliegen daher nicht die Pflichten aus §§ 154 ff. SGB IX(LAG Rheinland-Pfalz, 06.11.2019 - 7 Sa 120/19). Ebenfalls kein öffentlicher Arbeitgeber i.S.v. § 165 S. 3 und § 154 Abs. 2 SGB IX ist die evangelische Kirche einschließlich ihrer Untergliederungen. Lädt ein Kirchenkreis einen schwerbehinderten Bewerber nicht zu einem Vorstellungsgespräch ein, kommt dem keine Indizwirkung i.S.v. § 22 AGG zu (LAG Rheinland-Pfalz, 27.07.2022 – 5 Sa 10/22).
Offen gelassen hat das LAG Hamm die Frage, ob ein Erzbistum als öffentlicher Arbeitgeber anzusehen ist. Nach der Begründung der Entscheidung ist das Bistum zwar als Körperschaft des öffentlichen Rechts anzusehen. Aus der Entstehungsgeschichte der Vorschrift ergäben sich indes Anhaltspunkte dafür, dass der öffentliche Dienst nur im Hinblick auf die Ausübung hoheitlicher Tätigkeiten anders behandelt werden sollte als private Unternehmen. Die Kirchen übten aber, auch wenn sie als öffentlich-rechtliche Körperschaften verfasst seien, keine Staatsgewalt aus (LAG Hamm, 21.07.2022 - 18 Sa 21/22).
Nur wenn offensichtlich und unzweifelhaft die fachliche Eignung fehlt, kann von einer Einladung abgesehen werden (§ 165 S. 4 SGB IX; LAG Mecklenburg-Vorpommern, 23.01.2018 – 2 Sa 166/17 u. 23.12.2019 – 2 Sa 224/18). Maßstab für die fachliche Eignung eines Bewerbers ist der Aufgabenbereich des zu besetzenden Arbeitsplatzes. Ob ein schwerbehinderter Mensch für eine zu besetzende Stelle fachlich ungeeignet ist, ist demnach anhand eines Vergleichs zwischen dem (fachlichen) Anforderungsprofil des zu besetzenden Arbeitsplatzes und dem (fachlichen) Leistungsprofil des Bewerbers zu ermitteln (LAG Rheinland-Pfalz, 19.05.2022 - 2 Sa 362/21). Dabei ist nicht auf das formelle Anforderungsprofil abzustellen, sondern auf die Anforderung, die der Arbeitgeber an einen Bewerber stellen darf. Das Anforderungsprofil muss im Hinblick auf die zu besetzende Stelle nachvollziehbar, d.h. frei von sachfremden Erwägungen sein (LAG Köln, 02.03.2018 – 10 SaGa 21/17). Die Anforderung einer Hochschulausbildung führt nicht dazu, dass eine Bewerberin offensichtlich ungeeignet ist, wenn sich diese Voraussetzung weder aus dem Anforderungsprofil der Stelle noch aus den Eingruppierungsmerkmalen ergibt (LAG Berlin-Brandenburg, 27.11.2019 – 15 Sa 949/19). Der Dienstherr muss den Bewerber nur dann nicht zu einem Vorstellungsgespräch einladen, wenn ihm für das Anforderungsprofil offensichtlich die fachliche Eignung fehlt.
Offensichtlich nicht geeignet i.d.S. ist auch über die fachliche Eignung hinaus erst, wer unzweifelhaft nicht dem Anforderungsprofil der zu vergebenden Stelle entspricht (LAG Mecklenburg-Vorpommern, 07.01.2020 – 5 Sa 128/19). Dabei ist der Begriff der "Eignung" als umfassendes Qualifikationsmerkmal zu verstehen, das die ganze Persönlichkeit des Bewerbers über rein fachliche Gesichtspunkte hinaus erfasst. Der Begriff "Eignung" verweist allgemein auf die Eigenschaften, welche die zu besetzende Stelle von dem Bewerber fordert. Hierzu gehören über die fachliche Eignung hinaus insbesondere die oftmals als "charakterliche Eignung" bezeichnete Eignung und die gesundheitliche Eignung; aber auch sonstige körperliche und psychische Voraussetzungen können - je nach dem Anforderungsprofil der zu besetzenden Stelle - dazu gehören. Dies bedeutet, dass auch charakterliche Mängel ein offensichtliches Einstellungshindernis darstellen können und dadurch die Verpflichtung zur Einladung zum Vorstellungsgespräch nicht besteht (LAG Nürnberg, 20.05.2021 - 5 Sa 418/20).
Dagegen muss zwingend eine Einladung auch dann erfolgen, wenn nach einer Durchsicht der Bewerbungsunterlagen feststeht, dass andere Bewerber besser geeignet sind. Der Gesetzgeber verbindet mit der Regelung die Hoffnung, dass durch die Präsentation des Schwerbehinderten im Vorstellungsgespräch für den Arbeitgeber dessen Einstellung vorteilhaft erscheint (LAG Mecklenburg-Vorpommern, 23.12.2019 – 2 Sa 224/18). Ein schwerbehinderter Mensch, von dem feststeht, dass er zwar fachlich, aber nicht persönlich geeignet ist, muss nicht zum Vorstellungsgespräch eingeladen werden; dem stehen § 165 S. 3 und 4 SGB XI nicht entgegen (LAG Düsseldorf, 27.06.2018 – 12 Sa 135/18). Zweifel an der fachlichen Qualifikation reichen aber nicht aus (siehe BAG, 11.08.2016 – 8 AZR 375/15). Nach der Entscheidung trifft den öffentlichen Arbeitgeber die Darlegungs- und Beweislast dafür, dass der Bewerber offensichtlich ungeeignet ist (LAG Mecklenburg-Vorpommern, 23.01.2018 – a.a.O.; BAG, 11.08.2016 a.a.O.). Andererseits muss der Bewerber durch Angaben zu seinem fachlichen Leistungsprofil im Rahmen der Bewerbung dem Arbeitgeber die Prüfung ermöglichen, ob er zum Vorstellungsgespräch zwingend einzuladen ist. Keine Verpflichtung zur Einladung zum Vorstellungsgespräch besteht, wenn der schwerbehinderte Bewerber eine als zwingendes Auswahlkriterium festgelegte Mindestnote nicht vorweisen kann.
Erfüllen schwerbehinderte bzw. ihnen gleichgestellte behinderte Menschen nach ihren Bewerbungsunterlagen zweifelsfrei eine zulässig bestimmte und im Anforderungsprofil ausdrücklich und eindeutig bezeichnete fachliche Eignungsanforderung - wie etwa die Absolvierung eines zulässig geforderten Ausbildungsabschlusses mit einer bestimmten Mindestnote - nicht, sind sie zwar offensichtlich fachlich ungeeignet i.S.v. § 165 Satz 4 SGB IX. Dies allein reicht jedoch nicht aus, um den Arbeitgeber nach § 165 Satz 4 SGB IX von der in § 165 Satz 3 SGB IX bestimmten Verpflichtung zu befreien, den Bewerber zu einem Vorstellungsgespräch einzuladen. Der Arbeitgeber hat nämlich nicht nur darzulegen und im Bestreitensfall zu beweisen, dass das fachliche Leistungsprofil eines Bewerbers "unzweifelhaft" nicht dem (fachlichen) Anforderungsprofil der zu vergebenden Stelle entspricht. Er muss darüber hinaus darlegen und ggf. beweisen, dass andere Bewerber, die ebenso das Anforderungsprofil nicht erfüllten, weder zu einem Vorstellungsgespräch eingeladen noch letztlich eingestellt worden sind (BAG, 29.04.2021 – 8 AZR 279/20).
Einer Fachfrau für Systemgastronomie, die sich um eine Stelle als Bürosachbearbeiterin bei einer öffentlichen Verwaltungsbehörde bewirbt, für die eine Berufsausbildung zur Kauffrau/Kaufmann (alle Fachrichtungen) gefordert wird, fehlt nicht offensichtlich die fachliche Eignung für die Stelle. Die Nichteinladung zum Vorstellungsgespräch zieht daher einen Anspruch auf Entschädigung nach dem AGG nach sich (VG Mainz, 28.01.2022 – 4 K 1036/20.MZ).
Praxistipp:
Wegen der bestehenden Beweispflicht ist es sinnvoll, den schwerbehinderten Bewerber im Zweifel zum Vorstellungsgespräch einzuladen.
Eine Bewerbung, die offensichtlich allein darauf abzielt, eine Entschädigung nach dem AGG zu erhalten, ist rechtsmissbräuchlich. Sie kann keinen Entschädigungsanspruch auslösen (ArbG Bonn, 23.10.2019 – 5 Ca 1201/19). Auf Rechtsmissbrauch kann aber nicht bereits geschlossen werden, wenn eine Person eine Vielzahl erfolgloser Bewerbungen versandt und mehrere Entschädigungsprozesse geführt hat bzw. führt (LAG Mecklenburg-Vorpommern, 07.01.2020 – 5 Sa 128/19). Von Rechtsmissbrauch kann erst ausgegangen werden, wenn nachgewiesen ist, dass kein ernsthaftes Interesse an der ausgeschriebenen Stelle besteht und die Bewerbung darauf abzieht, eine Entschädigung zu erlangen (LAG Rheinland-Pfalz, 19.05.2022 – 2 Sa 362/21). Auch das BAG hat entschieden, dass kein Anspruch auf Entschädigung besteht, wenn diese dem Rechtsmissbrauchseinwand (§ 242 BGB) ausgesetzt ist. Rechtsmissbrauch ist anzunehmen, sofern eine Person sich nicht beworben hat, um die ausgeschriebene Stelle zu erhalten, sondern es ihr darum ging, nur den formalen Status als Bewerber i.S.v. § 6 Abs. 1 Satz 2 AGG zu erlangen - mit dem ausschließlichen Ziel, Ansprüche auf Entschädigung und/oder Schadensersatz geltend zu machen (BAG, 31.03.2022 - 8 AZR 238/21).
Erwirbt der Bewerber erst im Lauf des Bewerbungsverfahrens die erforderliche Qualifikation, muss er den Arbeitgeber darüber informieren (LAG Mecklenburg-Vorpommern, 23.01.2018 – a.a.O.). Kommt er dieser Verpflichtung nicht nach, geht dies zu seinen Lasten. Dann besteht für den öffentlichen Arbeitgeber keine Verpflichtung, den schwerbehinderten Menschen zu dem Vorstellungsgespräch einzuladen.
Keine Pflicht zur Einladung des schwerbehinderten Bewerbers zum Vorstellungsgespräch besteht auch im sogenannten gestuften Ausschreibungsverfahren. Die Stelle wird dabei gleichzeitig sowohl extern als auch intern ausgeschrieben. Dabei steht eine externe Ausschreibung unter dem Vorbehalt, dass Bewerber nur zum Zuge kommen, wenn sich nicht genügend geeignete interne Bewerber melden. Können die freien Stellen alle mit internen Bewerbern besetzt werden, muss der öffentliche Arbeitgeber einen schwerbehinderten Menschen als externen Bewerber nicht zum Vorstellungsgespräch einladen (LAG Schleswig-Holstein, 18.12.2018 – 1 Sa 26 öD/18). Die Nichteinladung ist kein Indiz für eine Diskriminierung wegen der Schwerbehinderung.
Sind sehr gute Sprachkenntnisse einer oder mehrerer Sprachen Inhalt des Anforderungsprofils einer Stelle, sind Bewerber, die diese Kenntnisse nicht aufweisen, bereits offensichtlich fachlich ungeeignet i.S.v. § 165 S. 4 SGB IX. Sie sind daher nicht zu dem Vorstellungsgespräch einzuladen (LAG Berlin-Brandenburg, 08.01.2018 – 4 Ta 1489/17).
Schreibt z.B. ein öffentlicher Arbeitgeber eine Stelle aus und verlangt ein "Hochschulstudium der Informatik, idealerweise Wirtschaftsinformatik", erweitert er damit das Spektrum der IT-Qualifikation und öffnet zugleich die Tür für Wirtschaftswissenschaftler. Denn er hat zu erkennen gegeben, dass neben der Betätigung als Informatiker auch wirtschaftswissenschaftliche Kenntnisse zur Bewältigung der Aufgaben geboten sind. Ein behinderter Bewerber mit einem wirtschaftswissenschaftlichen Studium ist daher zum Vorstellungsgespräch einzuladen (LAG Thüringen, 20.12.2016 – 1 Sa 102/16).
Bei Mehrfachbewerbungen um Stellen mit identischem Anforderungsprofil genügt die Einladung zu einem Gespräch nur dann, wenn das Auswahlverfahren identisch ist, die Auswahlkommissionen sich aus denselben Personen zusammensetzen und zwischen den jeweiligen Entscheidungen nur wenige Wochen liegen (LAG Berlin-Brandenburg, 01.11.2018 – 21 Sa 1643/17).
Da das Sprengstoffgesetz (SprengG) nach § 1a Abs. 1 Ziff. 5 SprengG keine Anwendung auf die für die Kampfmittelbeseitigung zuständigen Dienststellen der Länder findet, kann allein aus einem fehlenden Befähigungsschein nach § 20 SprengG bei einer Bewerbung als Munitionsfacharbeiter nicht auf eine offensichtlich fehlende fachliche Eignung i.S.d. § 165 S. 4 SGB IX geschlossen werden (LAG Berlin-Brandenburg, 13.11.2020 - 9 Sa 18/20).
Bereits wenn der schwerbehinderte Bewerber entgegen § 165 Satz 3 SGB IX nicht zum Vorstellungsgespräch eingeladen wurde, ist die Verletzung des Anspruchs des Bewerbers eingetreten (LAG Schleswig-Holstein, 29.08.2019 – 5 Sa 375 öD/18). Die Verletzung dieser Pflicht ist grundsätzlich geeignet, den Anschein zu erwecken, dass der Arbeitgeber an einer Beschäftigung des Schwerbehinderten nicht interessiert ist (LAG Mecklenburg-Vorpommern, 07.01.2020 – 5 Sa 95/19). Einer Bewerberin, der die fachliche Eignung für eine von einem öffentlich-rechtlichen Arbeitgeber ausgeschriebene Stelle nicht evident fehlt, ist in der Regel eine Entschädigung nach dem AGG zu zahlen, wenn sie nicht zu einem Vorstellungsgespräch eingeladen worden ist (VG Mainz, 28.01.2022 – 4 K 1036/20.MZ). Ein Anspruch auf Entschädigung setzt lediglich voraus, dass die Schwerbehinderung mitursächlich für die negative Auswahlentscheidung war.
Ein Entschädigungsanspruch nach § 15 Abs. 2 AGG ergibt sich aber nicht bereits aufgrund der Tatsache, dass der behinderte Bewerber nicht zum Vorstellungsgespräch eingeladen wurde. Der Anspruch auf Entschädigung entsteht unabhängig von einem Verschulden des Arbeitgebers. Der Grad des Verschuldens kann aber eine Rolle bei der Höhe der Entschädigung spielen (BAG, 28.10.2021 – 8 AZR 371/20). Das Unterlassen der Einladung ist lediglich ein Indiz i.S.v. § 22 AGG, das die Vermutung begründet, dass der Bewerber wegen der Behinderung benachteiligt wurde (BAG, 25.11.2021 - 8 AZR 313/20). Diese Vermutung kann der Arbeitgeber aber durch Vorlage von Beweisen widerlegen (BAG, 23.01.2020 – 8 AZR 484/18). Dazu kann der öffentliche Arbeitgeber z.B. die Nichteignung des Bewerbers darlegen oder Gründe außerhalb der fachlichen Eignung vorbringen (LAG Berlin-Brandenburg, 29.08.2019 – 10 Sa 563/19). Aus der Verletzung der Einladungspflicht nach § 165 SGB IX kann jedenfalls nicht ohne weiteres die Vermutung abgeleitet werden, es liege eine Benachteiligung wegen der Behinderung vor, wenn es dem Arbeitgeber gerade um die Einstellung eines Menschen mit Behinderung geht (ArbG Ulm, 02.08.2016 – 5 Ca 86/16). Er kann sich bei einer Nichteinladung des schwerbehinderten Bewerbers zur Entlastung i.S.v. § 22 AGG jedoch nicht darauf berufen, er habe seine behördeninternen Abläufe so schlecht organisiert, dass den sorgfältig ausgebildeten und geschulten Mitarbeitern wiederholt Bewerbungen abhandengekommen sind (LAG Köln, 23.08.2018 – 6 Sa 147/18 – siehe auch BAG, 23.01.2020 a.a.O.). Dies gilt gleichermaßen für den Fall, dass die Bewerbung falsch zu denen zugeordnet wurde, die nicht eingeladen werden sollen (LAG Rheinland-Pfalz, 03.03.2020 – 8 Sa 259/19).
Allein der Umstand, dass eine schriftliche Einladung zu einem Vorstellungsgespräch der sich bewerbenden schwerbehinderten oder gleichgestellten Person nicht entsprechend § 130 BGB zugegangen ist, begründet für sich genommen nicht die Vermutung i.S.v. § 22 AGG, dass die Behinderung bzw. Gleichstellung mitursächlich für die erfahrene Benachteiligung ist. Etwas anderes gilt dann, wenn der Arbeitgeber nicht alles ihm Mögliche und Zumutbare unternommen hat, um einen ordnungsgemäßen und fristgerechten Zugang einer Einladung zu bewirken. Eine bestimmte Form oder eine bestimmte Art der Übermittlung für die Einladung zum Vorstellungsgespräch verlangt § 165 Satz 3 SGB IX nicht (BAG, 01.07.2021 - 8 AZR 297/20). Es besteht insbesondere keine Verpflichtung, die Einladung förmlich zuzustellen (LAG Mecklenburg-Vorpommern, 07.01.2020 – 5 Sa 95/19). Das LAG Thüringen vertritt jedoch die Auffassung, dass der Bewerber erst zum Vorstellungsgespräch eingeladen ist, wenn das Einladungsschreiben oder die sonst in anderer Form erfolgte Einladung ihn tatsächlich erreicht hat (LAG Thüringen, 28.04.2021 – 4 Sa 9/20).
§ 22 AGG sieht für den Rechtsschutz bei Diskriminierungen im Hinblick auf den Kausalzusammenhang eine Erleichterung der Darlegungslast, eine Absenkung des Beweismaßes und eine Umkehr der Beweislast vor (BAG, 17.12.2020 – 8 AZR 171/20). Wenn im Streitfall die eine Partei Indizien beweist, die eine Benachteiligung wegen eines in § 1 AGG genannten Grundes vermuten lassen, trägt die andere Partei die Beweislast dafür, dass kein Verstoß gegen die Bestimmungen zum Schutz vor Benachteiligung vorgelegen hat. Danach genügt eine Person, die sich für beschwert hält, ihrer Darlegungslast bereits dann, wenn sie Indizien vorträgt, die mit überwiegender Wahrscheinlichkeit darauf schließen lassen, dass eine Benachteiligung wegen eines in § 1 AGG genannten Grundes erfolgt ist (LAG Thüringen, 28.04.2021 - 4 Sa 9/20). Der Arbeitgeber muss dann seinerseits Tatsachen vortragen und ggf. beweisen, aus denen sich ergibt, dass ausschließlich andere als die in § 1 AGG genannten Gründe zu einer ungünstigeren Behandlung geführt haben. Kann er dafür keinen Vollbeweis erbringen, besteht ein Anspruch auf Entschädigung (LAG Köln, 10.11.2021 – 3 Sa 1187/20).
Hat sich ein schwerbehinderter Mensch bei einem öffentlichen Arbeitgeber beworben und wurde nicht zu einem Vorstellungsgespräch eingeladen, kann eine Benachteiligung wegen der Behinderung nur i.S.v. § 22 AGG vermutet werden, wenn dieser rechtzeitig im Bewerbungsprozess auf die Schwerbehinderung hingewiesen hat (BAG, 17.12.2020 – 8 AZR 171/20).
Wird ein Stellenbesetzungsverfahren wegen Umbesetzung eines vorhandenen Mitarbeiters auf die ausgeschriebene Stelle abgebrochen, hat ein schwerbehinderter Bewerber keinen Anspruch auf Entschädigung nach dem AGG (VG Koblenz, 22.04.2016 – 5 K 56/16.KO). Wird ein schwerbehinderter Bewerber nicht zum Vorstellungsgespräch eingeladen, spricht dies für eine Diskriminierung wegen der Behinderung. Diese Vermutung ist aber widerlegt, wenn er wegen Überqualifizierung nicht zum Vorstellungsgespräch eingeladen wird (BAG, 20.01.2016 – 8 AZR 194/14). Die "objektive Eignung" Bewerbers ist kein Kriterium der "vergleichbaren Situation" oder "vergleichbaren Lage" nach § 3 Abs. 1 und Abs. 2 AGG und deshalb nicht Voraussetzung für einen Anspruch auf Entschädigung nach § 15 Abs. 1 und Abs. 2 AGG. Daher kommt es nicht darauf an, dass ein Bewerber sich ernsthaft Chancen auf eine Einstellung ausrechnen darf. Die Diskriminierung i.S.d. AGG kann auch bereits im Auswahlverfahren liegen (BAG, 19.05.2016 – 8 AZR 470/14).
Die Pflicht zur Einladung zu einem Vorstellungsgespräch besteht ausnahmsweise nicht, wenn es dafür Gründe gibt, die weder Benachteiligung des Bewerbers wegen seiner Schwerbehinderung i.S.v. § 1 AGG darstellen noch seine fachliche Eignung berühren. Dies kann der Fall sein, wenn der Bewerber wegen des Vorbeschäftigungsverbotes i.S.v. § 14 Abs. 2 S. 2 TzBfG nicht berücksichtigt wurde (LAG Berlin-Brandenburg, 29.08.2019 – 10 Sa 563/19). In diesem Fall besteht kein Entschädigungsanspruch.
Der Entschädigungsanspruch muss nach § 15 Abs. 4 AGG innerhalb von zwei Monaten schriftlich geltend gemacht werden, soweit die Tarifvertragsparteien nicht etwas anderes vereinbart haben. Als ausreichend wird nach der Rechtsprechung auch die Geltendmachung in Textform i.S.v. § 126b BGB anerkannt (BAG, 16.02.2012 – 8 AZR 697/10). Die Frist beginnt mit dem Zeitpunkt, zu dem der Betroffene von der Benachteiligung erfährt, d.h. in der Regel mit dem Zugang der Ablehnung. Die Ablehnung i.d.S. setzt eine auf den Beschäftigten bezogene ausdrückliche oder konkludente Erklärung des Arbeitgebers voraus, aus der sich für den Beschäftigten eindeutig ergibt, dass seine Bewerbung keine Aussicht auf Erfolg hat (LAG Mecklenburg-Vorpommern, 19.09.2020 – 2 Sa 16/20). Die Frist endet nach zwei Monaten; sie berechnet sich nach §§ 187 Abs. 1, 188 Abs. 2 BGB. Der Tag, an dem der Betroffene Kenntnis von der Benachteiligung erlagt, zählt als Ereignistag nicht mit. Die Geltendmachung des Entschädigungsanspruchs ist eine rechtsgeschäftsähnliche Handlung, auf die die Vorschriften des BGB analog anzuwenden sind. Dazu zählt auch § 130 BGB. Daher wird die Geltendmachung des Entschädigungsanspruchs wirksam mit dem Zugang bei dem Arbeitgeber. Der Zugang muss ggf. von dem betroffenen Arbeitnehmer bewiesen werden (LAG Berlin-Brandenburg, 14.10.2021 – 5 Sa 1051/21).
Soweit sich die Beteiligten nicht einigen können, kann der betroffene Arbeitnehmer klagen. Die Klage muss innerhalb von drei Monaten nach der schriftlichen Geltendmachung des Anspruchs beim Arbeitgeber erhoben werden (§ 61b Abs. 1 ArbGG).
Die Fristen in § 15 Abs. 4 AGG und 61b Abs 1 ArbGG sind mit dem Unionsrecht vereinbar (LAG München, 07.03.2022 – 4 Sa 512/21).
Ein übergangener Bewerber um ein öffentliches Amt hat einen Anspruch auf Schadenersatz nur, wenn er versucht hat, die Besetzung der Stelle mit einem anderen Bewerber durch ein Rechtsmittel zu verhindern (BAG, 27.07.2021 – 9 AZR 326/20). Dies gilt zumindest, wenn diese Vorgehensweise dem übergangenen Bewerber möglich und zumutbar war (BAG, 12.12.2017 – 9 AZR 152/17). Nach der Wertung des § 839 Abs. 3 BGB soll nämlich grundsätzlich nur der Stellenbewerber Schadensersatz erhalten, der sich im Vorfeld der absehbaren Auswahlentscheidung des Arbeitgebers bemüht hat, den eingetretenen Schaden dadurch abzuwenden, dass er seine Rechte aus Art. 33 Abs. 2 GG durch die Inanspruchnahme einstweiligen Rechtsschutzes wahrt. Dies entspricht dem schadensersatzrechtlichen Grundsatz, dass der Primärrechtsschutz Vorrang vor dem Sekundärrechtsschutz hat (BAG, 01.12.2020 - 9 AZR 192/20).
Ein Entschädigungsanspruch aufgrund einer Verletzung des Art. 33 Abs. 2 GG (gleicher Zugang der Bürger zu öffentlichen Ämtern nach Eignung, Befähigung und fachlicher Leistung) kann in Frage kommen, wenn nach ordnungsgemäßer Durchführung des Bewerbungsverfahrens die Stelle wegen der Behinderung nicht an den schwerbehinderten Menschen vergeben wurde. Die Regelung verleiht dem Bewerber ein grundrechtsgleiches Recht auf leistungsgerechte Einbeziehung in die Bewerberauswahl, entsprechend der in Art. 32 Abs. 2 GG genannten Auswahlkriterien (LAG Thüringen, 24.06.2021 – 2 SaGa 2/21; 20.07.2021 – 1 Sa 71/20). Die tatsächliche Besetzung eines ausgeschriebenen öffentlichen Amtes führt jedoch zum Untergang der subjektiven Ansprüche des unterlegenen Mitbewerbers aus Art. 33 Abs. 2 GG, wenn ihm ausreichend Gelegenheit für die Inanspruchnahme des vorläufigen Rechtsschutzes gewährt worden ist (LAG Mecklenburg-Vorpommern, 22.09.2021 - 3 Sa 110/21).
Der Arbeitgeber des öffentlichen Dienstes hat auch bei der Stellenbesetzung im Rahmen privater Arbeitsverhältnisse die Vorgaben des Art. 33 Abs. 2 GG zu beachten. Aufgrund des ihm zuzubilligenden großen Spielraums bei der Festlegung von Anforderungen für die zu besetzende Stelle hat er das Anforderungsprofil an sich, sein Zustandekommen und das Ergebnis zu dokumentieren. Die Festlegung des Anforderungsprofils muss auch so hinreichend bestimmt formuliert sein, dass nachträglich nicht durch Ausnutzung verschiedener Auslegungsmöglichkeiten tatsächlich Veränderungen am Anforderungsprofil vorgenommen werden können (LAG Thüringen, 24.11.2021 - 4 SaGa 8/21).
Aus Gründen des effektiven Rechtsschutzes hinsichtlich des Bewerberverfahrensanspruchs müssen Auswahlüberlegungen hinreichend dokumentiert sein, damit eine gerichtliche Überprüfung erfolgen kann und nicht zum Nachteil eines Bewerbers im Nachgang der Auswahlentscheidung die Kriterien geändert werden können (BAG 17.8.2010 - 9 AZR 347/09). Das gilt auch für die personalpolitischen Überlegungen und vorgelagerten Organisationsgrundentscheidungen (LAG Thüringen, 27.10.2021 - 4 SaGa 4/21).
Der Arbeitnehmer ist im Zweifel beweispflichtig, dass Tatsachen vorliegen, die ihm eine Teilnahme am Auswahlverfahren unmöglich gemacht oder die Aussichten auf eine Teilnahme am Auswahlverfahren erheblich verschlechtert haben (LAG Thüringen, 15.12.2021 - 4 Sa 65/20).
Zur Sicherung ihres Bewerbungsverfahrensanspruchs ist eine mittellose Partei nicht gehalten, auf eigene Kosten ein Eilverfahren zu betreiben, um dem Arbeitgeber die Besetzung der Stelle gerichtlich untersagen zu lassen. Ausreichend, aber auch erforderlich ist die Durchführung eines Prozesskostenhilfeverfahrens, an das sich - für den Fall, dass das Gericht Prozesskostenhilfe gewährt - ein Eilverfahren anschließt. Lehnt das Arbeitsgericht die Bewilligung von Prozesskostenhilfe ab, obliegt es dem Bewerber im Regelfall, die Entscheidung im Wege der sofortigen Beschwerde anzufechten (BAG, 27.07.2021 - 9 AZR 326/20).
Für den Primärrechtsschutz ist auch bei einer als Arbeitsverhältnis ausgeschriebenen Stelle im öffentlichen Dienst der Rechtsweg zu den Arbeitsgerichten gegeben. Es handelt sich nicht um eine öffentlich-rechtliche Streitigkeit (LAG Niedersachsen, 14.01.2021 - 10 Ta 316/20 u. LAG Köln, 04.12.2020 – 9 Ta 203/20). Ist jedoch die streitentscheidende Norm Art. 33 Abs. 2 GG, betrifft das Verfahren eine öffentlich-rechtliche und keine bürgerliche Streitigkeit (LAG Düsseldorf, 11.12.2020 – 3 Ta 375/20). Für diese ist daher allein der Rechtsweg zu den Verwaltungsgerichten und nicht zu den Arbeitsgerichten eröffnet. Das gilt unabhängig davon, ob die Stelle allein für eine Beschäftigung im Beamtenverhältnis, sowohl im Beamten- wie auch im Arbeitsverhältnis oder allein für eine Beschäftigung im Arbeitsverhältnis ausgeschrieben und vorgesehen ist (LAG Düsseldorf, 09.11.2020 - 3 Ta 317/20; 08.12.2020 – 3 Ta 319/20 u. LAG Bremen, 09.09.2020 – 1 Ta 19/20).
5.3 Gesprächsführung, Absagen
Praxistipp:
Im Vorstellungsgespräch selbst ist es wichtig, auf Fragen, die als diskriminierend ausgelegt werden können, zu verzichten. Fragen zum Gesundheitszustand können aber mit dem AGG vereinbar sein, wenn sie anlassbezogen sind und erkennbar der Prüfung der gesundheitlichen Eignung des Bewerbers für das angestrebte Amt dienen (VG Trier, 21.07.2015 – 1 K 556/15.TR).
Absagen sollten allgemein gehalten werden, insbesondere besteht keine Pflicht, die Entscheidung zu begründen. Damit werden Angriffsflächen vermieden. Intern sollte aber in einem Vermerk festgehalten werden, weshalb der jeweilige Bewerber nicht geeignet erschien, um bei einer gerichtlichen Auseinandersetzung argumentieren zu können. Erfolglose Bewerber können von dem Unternehmen keine Auskunft verlangen, weshalb sie nicht zum Zuge kamen. Allerdings kann eine Verweigerung dieser Auskunft ein Indiz für eine Diskriminierung sein (EuGH, 19.04.2012 – C 415/10). Der abgelehnte Bewerber hat auch keinen Anspruch auf Auskunft, wer eingestellt wurde (BAG, 23.11.2017 – 8 AZR 372/16). Dies begegnet auch datenschutzrechtlichen Bedenken. Aufgrund § 22 AGG ist es für einen Anspruch auf Entschädigung ausreichend, wenn der abgelehnte Bewerber Indizien darlegt, die eine Benachteiligung wegen eines in § 1 AGG genannten Grundes vermuten lassen. Der Betrieb muss dann beweisen, dass dies nicht der Fall ist.
6. Präventionsverfahren
Nach § 167 Abs. 1 SGB IX hat der Arbeitgeber besondere Pflichten, die darauf abzielen, das Arbeitsverhältnis von Schwerbehinderten möglichst dauerhaft zu erhalten. Auftretende Probleme sollen mit den Beteiligten – dem schwerbehinderten Arbeitnehmer, dem Betriebsrat, der Schwerbehindertenvertretung und dem Integrationsamt erörtert und gelöst werden. Nach der Rechtsprechung des BAG macht aber ein unterlassenes Präventionsverfahren weder eine ansonsten rechtmäßige Kündigung unwirksam noch hat der gekündigte Arbeitnehmer deswegen Anspruch auf eine Entschädigung wegen Diskriminierung (BAG, 28.06.2007 – 6 AZR 750/06; siehe auch BAG, 21.04.2016 – 8 AZR 402/14).
Der Arbeitgeber muss aufgrund § 167 SGB IX im Zusammenwirken mit der Schwerbehinderten- sowie die Personalvertretung evtl. Problemen im Rahmen seiner Möglichkeiten entgegentreten. Er ist aber nicht verpflichtet, einen "leidensgerechten" Arbeitsplatz erst zu schaffen (vgl. BAG, 28.06.2017 – 5 AZR 263/16).
Gewährt ein Tarifvertrag dem Arbeitgeber das Recht, eine ärztliche Untersuchung zur Feststellung der Arbeitsfähigkeit anzuordnen, setzt dies bei einem schwerbehinderten Arbeitnehmer nicht voraus, dass zuvor ein Präventionsverfahren durchgeführt wird. Zwischen beiden Verfahren besteht kein Rangverhältnis, sondern ein Nebeneinander (BAG, 25.01.2018 – 2 AZR 382/17). Verweigert der Arbeitnehmer die Untersuchung, kann eine daraufhin ausgesprochene, fristlose Kündigung nach dem Urteil aber unverhältnismäßig sein, weil das Präventionsverfahren nicht durchgeführt wurde.
7. Kündigungsschutz
Die Kündigung des Arbeitsverhältnisses eines schwerbehinderten Menschen durch den Arbeitgeber bedarf der vorherigen Zustimmung des Integrationsamtes (§ 168 SGB IX). Der entsprechende Antrag muss von dem Arbeitgeber gestellt werden. Zuständig ist das Integrationsamt am Betriebssitz bzw. am Sitz der Dienststelle (§ 170 Abs. 1 SGB IX). Das Integrationsamt
hört den betroffenen schwerbehinderten Menschen an;
holt eine Stellungnahme des Betriebs- oder Personalrates ein;
fordert eine Stellungnahme der Schwerbehindertenvertretung an.
Stimmt das Integrationsamt zu, kann der Arbeitgeber kündigen. Die Kündigungsfrist richtet sich nach den arbeitsvertraglichen Regelungen, beträgt aber mindestens vier Wochen (§ 169 SGB IX). Für die Berechtigung des Arbeitgebers, auf der Grundlage des Zustimmungsbescheids des Integrationsamtes die Kündigung zu erklären, ist es ohne Bedeutung, ob die Zustimmung vom Widerspruchsausschuss oder einem Gericht aufgehoben wird, solange die betreffende Entscheidung nicht bestands- bzw. rechtskräftig ist (BAG, 23.05.2013 - 2 AZR 991/11 u. LAG Berlin-Brandenburg, 08.05.2018 – 7 Sa 1588/17).
Hat der Arbeitgeber vor Ausspruch einer Kündigung die nach § 168 SGB IX erforderliche vorherige Zustimmung des Integrationsamts nicht eingeholt, kann dieser Umstand die Vermutung i.S.v. § 22 AGG begründen, dass die Benachteiligung, die der schwerbehinderte Mensch durch die Kündigung erfahren hat, wegen der Schwerbehinderung erfolgte (BAG, 02.06.2022 - 8 AZR 191/21).
Wird die Schwerbehinderung erst nach Zugang der Kündigung rückwirkend anerkannt, kann eine betriebsbedingte Kündigung auch ohne Zustimmung des Integrationsamtes rechtswirksam sein (BAG, 02.06.2022 – a.a.O. u. LAG Rheinland-Pfalz, 12.01.2017 – 5 Sa 361/16). Dies gilt insbesondere, wenn der Antrag auf Anerkennung nach Zugang der Kündigung gestellt wird (§ 173 Abs. 3 SGB IX). Der entsprechende Antrag müsste nach dem Urteil des BAG aufgrund § 173 Abs. 3 SGB IX spätestens drei Wochen vor Zugang der Kündigung beim zuständigen Versorgungsamt eingegangen sein. Der Nachweis der Schwerbehinderung ist nur dann entbehrlich, wenn diese – auch hinsichtlich des GdB - offensichtlich ist.
Nach § 178 Abs. 2 SGB IX ist eine Kündigung ohne Zustimmung der Schwerbehindertenvertretung unwirksam.