Rechtsdatenbank
Welche Fragen Arbeitgeber auch zum Thema Sozialversicherungsrecht bewegen: Die Rechtsdatenbank der AOK liefert die Antworten – einfach, fundiert und topaktuell.

Welche Fragen Arbeitgeber auch zum Thema Sozialversicherungsrecht bewegen: Die Rechtsdatenbank der AOK liefert die Antworten – einfach, fundiert und topaktuell.
Die Inhalte des Bereichs „Fachwissen SV“ geben Ihnen kostenlos Auskunft zu allen Themen der Sozialversicherung. Sie sind ein exklusives Angebot für eingeloggte Nutzer.
Jetzt einloggen:
Sie sind noch nicht registriert?
BFH, 27.01.1977 - IV S 15/76 - Ablehnungsverfahren; Selbstablehnung von Richtern; Beschlußunfähigkeit; Auferlegung einer Verzögerungsgebühr; Hinweis des Richters; Rechtfertigung des Mißtrauens; Unparteilichkeit des Richters
Bundesfinanzhof
Beschl. v. 27.01.1977, Az.: IV S 15/76
Ablehnungsverfahren; Selbstablehnung von Richtern; Beschlußunfähigkeit; Auferlegung einer Verzögerungsgebühr; Hinweis des Richters; Rechtfertigung des Mißtrauens; Unparteilichkeit des Richters
Fundstellen:
BFHE 121, 295 - 297
BStBl II 1977, 350
DB 1977, 1124 (Volltext mit amtl. LS)
BFH, 27.01.1977 - IV S 15/76
Amtlicher Leitsatz:
- 1.
Der BFH entscheidet im Ablehnungsverfahren, wenn ein FG durch Selbstablehnung von Richtern beschlußunfähig wird.
- 2.
Der Umstand, daß der Richter einen Prozeßbevollmächtigten auf die Möglichkeit der Auferlegung einer Verzögerungsgebühr hinweist oder von dieser Möglichkeit Gebrauch macht, ist nicht geeignet, Mißtrauen gegen die Unparteilichkeit des Richters zu rechtfertigen.
Hinweis: verbundenes Verfahren
weitere Verbundverfahren:
BFH - 27.01.1977 - AZ: IV S 20/76
Gründe
1
Zu entscheiden ist, ob der Richter am FG X aufgrund des in seiner dienstlichen Äußerung vom ... sowie im Protokoll über die mündliche Verhandlung vor dem FG dargestellten Sachverhalts als befangen im Sinne von § 51 Abs. 1 FGO i. V. m. § 42 ZPO anzusehen ist. Nach dem Protokoll über die mündliche Verhandlung in den Verfahren Az. ... und Az. ... hatte Richter X als Vorsitzender den Prozeßbevollmächtigten der Klägerin aufgefordert, zu einer schon vorher dem Bevollmächtigten bekanntgegebenen Erledigungserklärung Stellung zu nehmen. Dabei hatte er die Auffassung vertreten, es sei dem Bevollmächtigten zuzumuten, zu erklären, ob durch die Berichtigungsbescheide des Beklagten (FA) den Klageanträgen entsprochen worden sei oder nicht. Laut Protokoll erklärte der Bevollmächtigte der Klägerin hierauf, er erwäge, gegen den Vorsitzenden einen Ablehnungsantrag zu stellen, weil er den Eindruck habe, daß er unter Druck gesetzt werden solle. Nunmehr erklärte Richter X sowohl für diese als auch für die übrigen hier gegenständlichen Verfahren, daß er durch die Erklärung des Prozeßbevollmächtigten sich nun seinerseits unter Druck gesetzt und in seiner Unabhängigkeit berührt fühle. Nach der dienstlichen Äußerung des Richters X war vorausgegangen, daß dem Prozeßbevollmächtigten der Klägerin bei dessen Anruf am Tage vor der mündlichen Verhandlung, bei dem er die Nachreichung weiterer Schriftsätze ankündigte, vom Richter X bedeutet wurde, es bestehe kein Grund zu einer Terminsverlegung, es sei aber die Frage der Festsetzung einer Verzögerungsgebühr zu prüfen, falls wegen neu eingereichter Schriftsätze eine Vertagung notwendig würde. Richter X führt in seiner dienstlichen Äußerung weiter aus, er habe damit gerechnet, daß bei einem erneuten Hinweis in der mündlichen Verhandlung auf die Verzögerung und deren Folgen der Prozeßbevollmächtigte den Vorwurf, er fühle sich unter Druck gesetzt, wiederholen und einen förmlichen Ablehnungsantrag stellen werde. Dadurch habe er selbst sich in seinen künftigen Entscheidungen beeinflußt gefühlt. Er habe daher nach § 48 ZPO gebeten zu entscheiden, ob der ihm gemachte Vorwurf, er habe den Prozeßbevollmächtigten der Klägerin in den vorliegenden Verfahren unter Druck gesetzt, seine Ablehnung rechtfertigen könne.
2
Die dienstliche Äußerung, die zugleich als Anzeige im Sinne von § 48 ZPO zu werten ist, bietet keinen Anhaltspunkt für die Annahme, daß ein Grund vorliegt, der geeignet wäre, Mißtrauen gegen die Unparteilichkeit des Richters X zu rechtfertigen (§ 42 Abs. 2 ZPO). Voraussetzung hierfür wäre, daß ein Verfahrensbeteiligter bei vernünftiger Würdigung aller Umstände Anlaß haben könnte, an der Unvoreingenommenheit und der objektiven Einstellung des Richters zu zweifeln (vgl. Beschluß des BFH vom 5. März 1971 VI B 64/70, BFHE 102, 10, BStBl II 1971, 527). Ob der Richter selbst Zweifel an seiner Unbefangenheit hat, ist nicht entscheidend (vgl. Beschluß des BVerfG vom 25. Januar 1972 2 BvA 1/69, BVerfGE 32, 288 [290]). Das Ansinnen des Richters X in der mündlichen Verhandlung an den Prozeßbevollmächtigten, der Klägerin, er solle sich zu der Erledigungserklärung des FA äußern, sowie der Hinweis auf die Möglichkeit der Festsetzung einer Verzögerungsgebühr wegen verzögernder Behandlung durch den Prozeßbevollmächtigten und die etwaige Wiederholung dieses Hinweises in der mündlichen Verhandlung sind nicht geeignet, beim Prozeßbevollmächtigten der Klägerin objektiv berechtigte Zweifel an der Unparteilichkeit des Richters zu begründen. Denn wenn das Gesetz (vgl. § 47 des Gerichtskostengesetzes - GKG - a. F., § 34 GKG n. F.) dem Gericht die Möglichkeit für die Auferlegung einer Verzögerungsgebühr gibt, dann kann der Hinweis auf diese Möglichkeit bzw. das Gebrauchmachen von ihr nicht als eine Pression verstanden werden, die die Annahme der Unparteilichkeit eines Richters zu begründen vermöchte. Das wird auch deutlich aus der Konsequenz, die eine gegenteilige Auffassung nach sich ziehen würde, daß nämlich jeder Richter, der einem Beteiligten eine Verzögerungsgebühr auferlegt, mit Erfolg wegen Befangenheit abgelehnt werden und damit naturgemäß auch ebenso erfolgreich seine Selbstablehnung anzeigen könnte, daß also die Festsetzung einer Verzögerungsgebühr oder schon deren Androhung in zahlreichen Fällen - wenn nicht sogar dann in der Regel - eine Neubesetzung des Gerichts zur Folge hätte. Wenn somit der Umstand, daß der Richter dem Prozeßbevollmächtigten verzögernde Behandlung vorwirft und hieraus etwaige Folgerungen androht oder zieht, keine Befangenheit begründen kann, so gilt dies erst recht für die Auffassung des Richters, die ihn zu der Annahme einer verzögernden Behandlung führt, nämlich im Streitfall für die Auffassung des Richters X, daß dem Bevollmächtigten eine Stellungnahme zu den Erledigungserklärungen des FA zuzumuten sei. Da aber selbst durch eine Maßnahme nach § 34 GKG n. F./§ 47 GKG a. F. kein unzulässiger Druck ausgeübt wird, der eine Ablehnung wegen Befangenheit rechtfertigen könnte, kann andererseits auch der Richter, der diese Maßnahme ergreift oder androht, sich selbst durch die Ankündigung eines Ablehnungsantrags nicht mit Recht als unter Druck gesetzt und in seiner Entscheidungsfreiheit beeinträchtigt fühlen. Richter X ist daher wegen des in seiner dienstlichen Äußerung dargestellten Sachverhalts nicht befangen und somit in den vorliegenden Verfahren an der Ausübung seines Richteramts nicht gehindert.