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Welche Fragen Arbeitgeber auch zum Thema Sozialversicherungsrecht bewegen: Die Rechtsdatenbank der AOK liefert die Antworten – einfach, fundiert und topaktuell.

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Betriebliche Übung - Änderung
Betriebliche Übung - Änderung
Inhaltsübersicht
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Information
Der Arbeitgeber hat nur eingeschränkte Möglichkeiten, sich von einer betrieblichen Übung wieder zu trennen. Die über eine betriebliche Übung entstandenen Rechte werden Bestandteil der Arbeitsverträge. Das rechtliche Instrumentarium für Veränderungen hält zunächst eine einvernehmliche Lösung bereit: Änderungs- oder Aufhebungsvertrag. Für eine einseitige Änderung bieten sich ein Widerruf und eine Änderungskündigung an. Kollektivrechtlich ist eine ablösende Betriebsvereinbarung denkbar. Schließlich kann eine gegenläufige, negative betriebliche Übung entstehen (s. dazu Betriebliche Übung - Gegenläufigkeit).
Ein irrtümliches Verhalten kann keine betriebliche Übung entstehen lassen. So darf die rechtgrundlose Zahlung eines Mehrarbeitszuschlags vom Arbeitgeber beispielsweise wieder einseitig eingestellt werden (BAG, 26.08.1987 - 4 AZR 155/87). Irrtum ist kein wirksamer Verpflichtungstatbestand.
1. Einvernehmliche Änderung
Für die einvernehmliche Änderung einer betrieblichen Übung gibt es zwei Möglichkeiten:
Änderungsvertrag und
Aufhebungsvertrag.
Eine einvernehmliche Änderung geht nicht ohne Einverständnis des Arbeitnehmers. Der Arbeitgeber muss ihm ein Angebot für die Änderung oder Aufhebung machen. Der Arbeitnehmer muss dieses Angebot annehmen.
Beispiele:
- (1)
Im Betrieb von Arbeitgeber A ist es üblich, dass seine Arbeitnehmer zu Weihnachten ein halbes Gehalt als Weihnachtsgeld bekommen. Wenn A diese betriebliche Übung einvernehmlich ändern möchte, muss er mit seinen Mitarbeitern dazu eine vertragliche Absprache treffen. Das kann in der Weise geschehen, dass A mit seinen Mitarbeitern vereinbart, dass es in Zukunft nur noch ein Weihnachtsgeld von 30 % der Vergütung für den Monat November gibt.
- (2)
Im Betrieb von Arbeitgeber B ist es üblich, dass die Frühstückspause bezahlt wird. Pausen gehören nach dem ArbZG nicht zur Arbeitszeit. Von Rechts wegen sind Pausen - wenn keine abweichenden individual- oder kollektivrechtlichen Regelungen bestehen - keine vergütungspflichtige Arbeitszeit. Wenn sich B von der betriebliche Übung trennen möchte, muss er mit allen Mitarbeitern eine Vereinbarung treffen, dass die Frühstückspause ab sofort oder ab einem bestimmten Zeitpunkt nicht mehr bezahlt wird.
Praxistipp:
Bei Betriebsvereinbarungen ist es möglich, dass Arbeitgeber und Betriebsrat eine Vereinbarung treffen, dass eine bestimmte Betriebsvereinbarung - zum Beispiel ein Regelwerk über die betriebliche Altersversorgung - für Mitarbeiter, die ab einem bestimmten Zeitpunkt - Stichtag - eintreten, nicht mehr anwendbar ist. Das Gleiche gilt auch für eine betriebliche Übung. Der Arbeitgeber müsste mit neu eingestellten Mitarbeitern im Arbeitsvertrag vereinbaren, dass die Anwendung einer bestimmten betrieblichen Übung auf ihr Arbeitsverhältnis ausgeschlossen ist und Ansprüche auf die betriebsübliche Leistung nicht mehr oder nur noch in einem ganz konkret festgelegten Umfang entstehen.
Die einvernehmliche Änderung einer betrieblichen Übung setzt voraus, dass die Arbeitnehmer das Änderungs- oder Aufhebungsangebot annehmen. Ohne besonderen Grund ist allerdings niemand verpflichtet, freiwillig verschlechternde Arbeitsbedingungen zu akzeptieren. Der Arbeitgeber hat insoweit auch kein einklagbares Recht auf Annahme des Angebots oder Zustimmung.
2. Widerruf und Änderungskündigung
Die einseitige Änderung einer betrieblichen Übung ohne Rechtsgrundlage ist ausgeschlossen. Der Arbeitgeber hat hier nur zwei Möglichkeiten:
Widerruf und
Änderungskündigung.
Für den Widerruf muss der Arbeitgeber einen Vorbehalt erklärt haben (Betriebliche Übung - Freiwilligkeitsvorbehalt).
Beispiele:
- (1)
Arbeitgeber C zahlt seinen Vollzeitmitarbeitern jeweils im Juni 500 EUR Urlaubsgeld. Teilzeitmitarbeiter bekommen dieses Urlaubsgeld anteilig. Der Anspruch beruht auf einer betrieblichen Übung. Die Zahlung wurde von C nie an irgendeine Bedingung geknüpft. Jeder Mitarbeiter, der im Juni beschäftigt war, bekam das Urlaubsgeld. C kann diese betriebliche Übung nicht einseitig widerrufen.
- (2)
Arbeitgeber D zahlt allen Mitarbeitern im Monat November ein Weihnachtsgeld von 750 EUR. Teilzeitmitarbeiter bekommen dieses Weihnachtsgeld anteilig. Es gibt keine individual- oder kollektivvertragliche Anspruchsgrundlage für das Weihnachtsgeld. Auf der Gehaltsabrechnung steht jeweils der Satz: "Die Zahlung des Weihnachtsgelds ist eine freiwillige Leistung. Sie kann bei einer Verschlechterung der Ertragslage jederzeit widerrufen werden." D hat die Möglichkeit, die betriebliche Übung durch einen Widerruf zu ändern.
Ein Widerruf ist nicht grundlos möglich. Der Arbeitgeber hat seine Entscheidung nach billigem Ermessen zu treffen (§ 315 Abs. 1 BGB).
Praxistipp:
Viele Arbeitgeber meinen, sie kämen aus der betrieblichen Übung heraus, wenn sie die Leistung einfach einstellen und gar nichts dazu sagen. Das ist ein Trugschluss. Eine betriebliche Übung schafft vertragliche Ansprüche. Das bloße Einstellen des begünstigenden Verhaltens allein beendet den vertraglichen Anspruch nicht (Betriebliche Übung - Gegenläufigkeit).
Für eine Änderungskündigung zur Entgeltreduzierung hat das BAG ganz besondere Grundsätze aufgestellt:
einmal geschlossene Verträge sind grundsätzlich einzuhalten,
bloßer Geldmangel macht eine Änderungskündigung noch nicht sozial gerechtfertigt,
die Dringlichkeit eines Eingriffs in das Leistungs-/Lohngefüge ist nur begründet, wenn bei Aufrechterhaltung der bisherigen Personalkostenstruktur
weitere, betrieblich nicht mehr auffangbare Verluste entstehen,
die in absehbarer Zeit zu einer Reduzierung der Belegschaft
oder gar zur Schließung des gesamten Betriebs führen (BAG, 16.05.2002 - 2 AZR 292/01).
Der Arbeitgeber ist in dieser Situation verpflichtet, die Finanzlage des Betriebs, den Anteil der Personalkosten, die Auswirkungen der erstrebten Kostensenkung für Betrieb und Arbeitnehmer darzustellen und darzulegen, warum andere Maßnahmen nicht in Betracht kommen (BAG, 16.05.2002 - 2 AZR 292/01).
Praxistipp:
Was Rechtsanwälte und Verbandsvertreter immer wieder erleben: Arbeitgeber scheuen sich, ihre Zahlen auf den Tisch zu legen. Sie haben Angst, dass aus dem Verfahren und dem Gerichtssaal etwas nach draußen dringt, was ihre Kreditwürdigkeit bei Banken und Lieferanten gefährden könnte und möglicherweise für Mitbewerber interessant ist. Wer hier als Prozessbevollmächtigter nicht scheitern will, sollte seinen Mandanten von Anfang an auf dieses Problem hinweisen - oder nach einer Strategie suchen, mit der die Präsentation empfindlicher betriebswirtschaftlicher Daten vermieden werden kann.
Der Gleichbehandlungsgrundsatz rechtfertigt keine Änderungskündigung (BAG, 16.05.2002 - 2 AZR 292/01). Zudem muss sich der Arbeitgeber auf die Änderungen beschränken, die der Arbeitnehmer billigerweise hinnehmen muss (BAG, 26.01.1995 - 2 AZR 371/94). Diese Grundsätze gelten natürlich nur für Arbeitsverhältnisse im Anwendungsbereich des Kündigungsschutzgesetzes. Denn nur da muss eine Änderungskündigung sozial gerechtfertigt sein (§§ 1, 2 KSchG). Wegen weiterer Informationen wird auf das Stichwort Kündigung - Änderungskündigung verwiesen.
3. Ablösende Betriebsvereinbarung
Soweit Ansprüche durch eine betriebliche Übung entstanden sind, können sie durch eine gegenläufige betriebliche Übung - Betriebliche Übung - Gegenläufigkeit - wieder wegfallen. Eine gegenläufige betriebliche Übung kann sowohl in mitbestimmten als auch in nicht mitbestimmten Betrieben entstehen. Sie ist nach neuer Rechtsprechung wegen § 308 Nr. 5 BGB und dem Klauselverbot für fingierte Erklärungen aber nur eingeschränkt möglich (BAG, 18.03.2009 - 10 AZR 281/08).
In Betrieben mit Betriebsrat hat der Betriebsrat oft ein Interesse daran, dass Ansprüche, die bislang nur aus einer betrieblichen Übung hergeleitet werden konnten, in einer Betriebsvereinbarung niedergelegt werden.
Beispiel:
Bei Arbeitgeber E ist es seit Jahren betriebsüblich, dass Arbeitnehmer zu bestimmten Anlässen bezahlt von der Arbeit freigestellt werden. So gibt es für die eigene Eheschließung drei freie Tage, für Hochzeit naher Verwandter, Geburt eines Kindes und Umzug zwei und für die Silberhochzeit der Eltern, Schwiegereltern immerhin noch einen Tag bezahlte Freistellung. Um diese Ansprüche dauerhaft zu sichern und zu dokumentieren, beabsichtigt der Betriebsrat, darüber mit ihm eine Betriebsvereinbarung zu schließen.
Wenn die Betriebspartner etwas positiv regeln können, müssen sie auch die Möglichkeit haben, etwas negativ zu regeln.
Beispiel:
Arbeitgeber E aus dem voraufgehenden Beispiel möchte nicht mehr so viel Tage bezahlter Freizeit gewähren wie bisher. Er wendet sich an seinen Betriebsrat und schlägt ihm eine Betriebsvereinbarung vor, die zukünftig für alle Freistellungstatbestände nur noch einen freien Tag vorsieht.
Bei Betriebsvereinbarungen besteht grundsätzlich Einigkeit darüber, dass eine bestehende Betriebsvereinbarung durch eine neue, verschlechternde Betriebsvereinbarung abgelöst werden kann (BAG, 18.09.2001 - 3 AZR 728/00). Vertraglich begründete Ansprüche auf Sozialleistungen, die auf eine vom Arbeitgeber gesetzte Einheitsregelung oder eine Gesamtzusage zurückgehen, können durch eine nachfolgende Betriebsvereinbarung in den Grenzen von Recht und Billigkeit beschränkt werden, wenn die Neuregelung insgesamt bei kollektiver Betrachtung nicht ungünstiger ist (BAG, 16.09.1986 - GS 1/82 - kollektiver Günstigkeitsvergleich). Durch eine umstrukturierende Betriebsvereinbarung werden daher nur die einzelvertraglichen Ansprüche abgelöst, die in einem entsprechenden Bezugssystem zueinander stehen und damit einen kollektiven Bezug aufweisen (BAG, 28.03.2000 - 1 AZR 366/99).
Beispiel:
Bei Arbeitgeber E aus den voraufgehenden Beispielen wird es nicht möglich sein, mit einer bloß einschränkenden Betriebsvereinbarung die bereits entstandenen Ansprüche abzulösen. Sie sind als Ansprüche aus einer betrieblichen Übung vertragliche Ansprüche geworden. Der Wegfall bezahlter Freistellung ist - das ergibt der kollektive Günstigkeitsvergleich - insgesamt nachteilig. Für diese Situation der nachfolgende Praxistipp:
Praxistipp:
Bevor ein Arbeitgeber den Mitarbeitern, die bereits in die betriebliche Übung einbezogen sind, Ansprüche und Rechte kürzt, macht es Sinn, über einen anderen Weg nachzudenken. Er könnte beispielsweise mit dem Betriebsrat vereinbaren, dass eine bestimmte betriebliche Übung ab einem Zeitpunkt X - Stichtag - nicht mehr für Arbeitnehmer gilt, die ab diesem Zeitpunkt neu eingestellt werden. Dieser Weg ist zukunftsorientiert. Er vermeidet eine Lösung, die Unruhe in den Betrieb bringt und Mitarbeiter demotiviert, die schon Ansprüche aus der Betriebsübung haben.
Durch eine Betriebsvereinbarung kann nicht der Inhalt von Arbeitsverträgen geändert werden (BAG, 28.03.2000 - 1 AZR 366/99 - hier: Urlaubsgeld). Soweit Normen einer Betriebsvereinbarung für Arbeitnehmer günstiger sind als eine arbeitsvertragliche Vereinbarung, verdrängen sie die arbeitsvertragliche Regelung nur für die Dauer ihrer Wirkung - sie machen sie aber nicht nichtig (BAG, 28.03.2000 - 1 AZR 366/99). § 77 Abs. 4 Satz 1 BetrVG sagt zwar, dass Betriebsvereinbarungen unmittelbar und zwingend gelten. Insoweit verdrängen Inhaltsnormen einer Betriebsvereinbarung vertragliche Regelungen - sie schließen aber das Günstigkeitsprinzip nicht aus (BAG, 16.09.1986 - GS 1/82). Außerdem leben vertragliche Ansprüche nach Ablauf einer Betriebsvereinbarung wieder auf (BAG, 21.09.1989 - 1 AZR 454/88).
Ansprüche aus einer betrieblichen Übung sind vertraglich begründete Ansprüche. Wenn eine nachfolgende Betriebsvereinbarung dann insgesamt ungünstiger ist, ist sie nur zulässig, wenn der Arbeitgeber wegen eines vorbehaltenen Widerrufs oder Wegfalls der Geschäftsgrundlage die Kürzung oder Streichung der Sozialleistung verlangen kann (BAG, 16.09.1986 - GS 1/82). Regelt eine Betriebsvereinbarung die bis dahin auf der Grundlage einer vertraglichen Einheitsregelung bestehenden Arbeitsbedingungen insgesamt neu, scheidet eine ablösende Wirkung aus. Ihre Normen treten nicht an die Stelle der vertraglichen Vereinbarung. In diesem Fall ist kein kollektiver Günstigkeitsvergleich möglich (BAG, 28.03.2000 - 1 AZR 366/99).
4. Rechtsprechungs-ABC
An dieser Stelle werden einige der interessantesten Entscheidungen zum Thema Änderung einer betrieblichen Übung in alphabetischer Reihenfolge nach Stichwörtern geordnet hinterlegt:
4.1 Betriebsvereinbarung
Vergütungsansprüche, die aus einer betrieblichen Übung entstanden sind, stehen nicht unter dem stillschweigenden Vorbehalt, dass sie durch eine nachfolgende, ablösende Betriebsvereinbarung wieder geändert werden können. So ein Anspruch ist auch nicht grundsätzlich betriebsvereinbarungsoffen. Zahlt ein Arbeitgeber seinen Mitarbeitern über einen Zeitraum von zehn Jahren ohne irgendeinen Vorbehalt einen bestimmten Prozentsatz des Bruttoentgelts als Weihnachtsgeld, wird der aus eine betriebliche Übung entstandene Anspruch auf dieses Weihnachtsgeld nicht für ein Jahr durch eine Betriebsvereinbarung aufgehoben, mit der die Betriebspartner regeln, dass für dieses Jahr kein Weihnachtsgeld gezahlt wird (BAG, 05.08.2009 - 10 AZR 483/08).
Siehe auch
Betriebliche Übung - Allgemeines
Betriebliche Übung - Einzelfall-ABC
Betriebliche Übung - Freiwilligkeitsvorbehalt