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Verhinderungspflege
Verhinderungspflege
Normen
§ 39 SGB XI
Gemeinsames Rundschreiben zu den leistungsrechtlichen Vorschriften des SGB XI vom 20.12.2022
Kurzinfo
Ist eine Pflegeperson an der Pflege gehindert (z.B. durch Erholungsurlaub, Krankheit), hat der Pflegebedürftige zusätzlich zur Sachleistung Anspruch auf Ersatzpflege.
Information
Inhaltsübersicht
- 1.
- 2.
1. Verhinderungspflege
Ist eine Pflegeperson an der Pflege gehindert, hat ein Pflegebedürftiger ab dem Pflegegrad 2 für die Dauer von bis zu sechs Wochen (42 Kalendertage) je Kalenderjahr Anspruch auf Verhinderungspflege.
1.1 Anspruchsvoraussetzungen
Voraussetzung für die Leistung nach § 39 SGB XI ist, dass die Pflegeperson den Pflegebedürftigen vor der erstmaligen Verhinderung mindestens sechs Monate in seiner häuslichen Umgebung gepflegt hat und zum Zeitpunkt der Inanspruchnahme der Verhinderungspflege der Pflegebedürftige mindestens dem Pflegegrad 2 zugeordnet ist.
Der Pflegegrad 2 muss nicht bereits während der sechsmonatigen Vorpflegezeit vorgelegen haben. Es ist nicht erforderlich, dass dieselbe Pflegeperson den Pflegebedürftigen sechs Monate gepflegt haben muss. Die Gesetzesmaterialien geben hierzu keine Hinweise. Diese Regelung wird dahingehend ausgelegt, dass die Wartezeit von sechs Monaten auch erfüllt ist, wenn sich mehrere Personen die Pflege zeitlich geteilt haben. Die Pflege muss nicht ununterbrochen ausgeführt worden sein. Unterbrechungstatbestände, die den Voraussetzungen des § 39 SGB XI entsprechen und nicht länger als vier Wochen dauern, sind für die Erfüllung der Wartezeit unschädlich. Hat die Unterbrechung länger als vier Wochen gedauert, so verlängert sich die Frist um den Zeitraum der Hemmung. Nicht erforderlich ist, dass die Pflegeperson den Pflegebedürftigen vor jeder neuen Unterbrechung der Pflegetätigkeit wiederum sechs Monate gepflegt haben muss.
Da die Ruhensvorschrift nach § 34 Abs. 2 Satz 1 SGB XI hier ausdrücklich nicht gilt, ist die Erbringung dieser Leistung nicht auf die Verhinderungspflege im Haushalt des Pflegebedürftigen beschränkt. Es gilt vielmehr ein erweiterter Häuslichkeitsbegriff. Die Verhinderungspflege kann daher insbesondere in
- einem Wohnheim für Menschen mit Behinderung,
- einem Internat,
- einer Krankenwohnung,
- einem Kindergarten,
- einer Schule,
- einer Vorsorge- oder Rehabilitationseinrichtung,
- einem Krankenhaus oder
- einer Pflegeeinrichtung (unabhängig von einer Zulassung nach § 72 SGB XI)
durchgeführt werden.
Dient der Krankenhausaufenthalt des Pflegebedürftigen allein der vollstationären Krankenhausbehandlung nach § 39 SGB V, besteht für diesen Zeitraum kein Anspruch auf Verhinderungspflege. Bei der Kostenübernahme für die zuvor genannten oder vergleichbaren Einrichtungen ist jedoch darauf zu achten, dass nur die pflegebedingten Aufwendungen berücksichtigt werden können. Investitionskosten, Kosten für Unterkunft und Verpflegung oder für Zusatzleistungen sowie die Behandlungspflege und Betreuung dürfen hier jedoch nicht übernommen werden.
Bei vorübergehendem Auslandsaufenthalt und aus Deutschland heraus organisierter Verhinderungspflege (mitreisende Ersatzpflegekraft) besteht Anspruch auf Verhinderungspflege.
1.2 Anspruchshöhe und Anspruchsdauer
Für die Verhinderungspflege kann die Pflegekasse im Einzelfall bis zu 1.612,00 EUR im Kalenderjahr übernehmen; die Zahlung bezieht sich dabei auf das Kalenderjahr und nicht auf die Pflegeperson(en). Ergänzend kann der Leistungsbetrag gem. § 39 Abs. 2 SGB XI um bis zu dem möglichen Höchstbetrag aus noch nicht in Anspruch genommenen Mitteln der Kurzzeitpflege nach § 42 Abs. 2 Satz 2 SGB XI im Kalenderjahr erhöht werden.
Der Anspruch auf Ersatzpflege entsteht mit jedem Kalenderjahr neu. Hieraus folgt, dass ein
- am 31.12. eines Jahres bestehender oder an diesem Tag endender,
- vor dem 31.12. eines Jahres abgelaufener
Leistungsanspruch nach § 39 SGB XI - bei Vorliegen der Anspruchsvoraussetzungen - ab 01.01. des Folgejahres für sechs Wochen weiter besteht oder wiederauflebt.
Bei stundenweiser Leistungserbringung ist auch eine Inanspruchnahme von Verhinderungspflege möglich. Ist in diesen Fällen die Pflegeperson weniger als acht Stunden am Tag verhindert, so erfolgt ausschließlich eine Anrechnung auf den Höchstbetrag von 1.612,00 EUR, nicht aber auf die Höchstdauer von 42 Tagen. Entscheidend für die Anrechnung auf die Höchstdauer ist der tatsächliche Verhinderungszeitraum der Pflegeperson und nicht die Dauer der Inanspruchnahme der Ersatzpflegeperson (oder des Pflegedienstes, des familienentlastenden Dienstes etc.). Ist die Pflegeperson beispielsweise an acht Stunden verhindert und wird die Verhinderungspflege nur an zwei Stunden in Anspruch genommen, erfolgt sowohl eine Anrechnung auf den Höchstbetrag als auch eine Anrechnung auf die Höchstdauer von 42 Tagen.
Bei einer stundenweisen Verhinderung der Pflegeperson von weniger als acht Stunden besteht wie bisher ein Anspruch auf das volle Pflegegeld. Erfolgt eine stundenweise Leistungserbringung durch eine nicht erwerbsmäßig pflegende Person, sollte eine entsprechende Beratung durch die Pflegekasse erfolgen. In der Regel ist für diesen Personenkreis der Anspruch auf Verhinderungspflege auf die Höhe des Pflegegeldes begrenzt, da in diesen Fällen nicht von einer erwerbsmäßigen Pflege auszugehen ist. Da es bei einer stundenweisen Verhinderung zu keiner Kürzung des Pflegegeldes kommt, kann es für den Pflegebedürftigen günstiger sein, keine Verhinderungspflege zu beantragen, da der Anspruch auf Verhinderungspflege sowieso auf die Höhe des Pflegegeldes begrenzt ist und bei einem Verzicht auf Beantragung der Verhinderungspflege der Gesamtanspruch i.H.v. 1.612,00 EUR durch die stundenweise Verhinderung der Pflegeperson nicht geschmälert wird.
Bei Empfängern von Pflegegeld besteht neben dem Anspruch auf Verhinderungspflege zusätzlich ein Anspruch auf Fortzahlung des Pflegegeldes in Höhe der Hälfte des bisher bezogenen Pflegegeldes für bis zu sechs Wochen im Kalenderjahr. In Fällen der Verhinderungspflege wird die Hälfte des bisher bezogenen anteiligen Pflegegeldes (Kombinationsleistung) für ebenfalls bis zu sechs Wochen je Kalenderjahr weitergezahlt. Abweichend davon wird für den ersten und letzten Tag der Verhinderungspflege das Pflegegeld in voller Höhe gezahlt.
Auf die Dauer des Leistungsanspruchs nach § 39 SGB XI wird die Zeit einer Leistungsgewährung nach § 42 SGB XI nicht angerechnet.
1.3 Ausschöpfung des Leistungsanspruchs
Sofern der Leistungsanspruch für das laufende Kalenderjahr bereits ausgeschöpft, kann bei Verhinderungspflege im häuslichen Bereich für die weitere Dauer der Verhinderungspflege aufgrund der selbst sichergestellten Pflege das Pflegegeld gezahlt werden, sofern die Voraussetzungen dafür erfüllt sind.
Ist der Pflegebedürftige in einer nicht zugelassenen Pflegeeinrichtung (nicht Einrichtungen nach § 71 Abs. 4 SGB XI) untergebracht, steht ihm nach Ausschöpfung des Leistungsrahmens entweder in der Höhe oder von den Kalendertagen ab diesem Zeitpunkt für die weitere Unterbringung Pflegegeld nach den festgelegten Pflegegeldbeträge entsprechend des festgestellten Pflegegrades zu.
Sofern der Leistungsrahmen der Verhinderungspflege entweder in der Höhe oder von den Kalendertagen ausgeschöpft ist, stehen dem Pflegebedürftigen bereits ab diesem Zeitpunkt für den weiteren - kurzzeitigen - Aufenthalt in einer zugelassenen Pflegeeinrichtung grundsätzlich bei Vorliegen der weiteren Voraussetzungen die Leistungen der Kurzzeitpflege nach § 42 SGB XI oder der vollstationären Pflege nach § 43 SGB XI zur Verfügung, wenn die Pflegeeinrichtungen nach § 72 SGB XI zur Kurzzeitpflege bzw. vollstationären Pflege zugelassen sind. Ist die Pflegeeinrichtung nicht nach § 72 SGB XI zur Kurzzeitpflege bzw. vollstationären Pflege zugelassen, kommt aufgrund der insoweit sichergestellten Pflege die Zahlung des Pflegegeldes nach § 37 SGB XI in Betracht.
1.4 Ersatzpflege durch Pflegepersonen
Wird die Verhinderungspflege in Form der häuslichen Pflege durch eine Pflegeperson durchgeführt, die mit dem Pflegebedürftigen bis zum zweiten Grade verwandt oder verschwägert ist oder mit ihm in häuslicher Gemeinschaft lebt, kann davon ausgegangen werden, dass die Verhinderungspflege nicht erwerbsmäßig ausgeübt wird; in diesen Fällen sind die Aufwendungen grundsätzlich auf den 1,5-fachen Betrag des Pflegegeldes des festgestellten Pflegegrades beschränkt.
Im Rahmen der Ermittlung der Kostenübernahme für die Verhinderungspflege sind folgende Beträge zugrunde zu legen:
- Pflegegrad 2: 474,00 EUR (316,00 EUR ÷ 28 Tage × 42 Tage),
- Pflegegrad 3: 817,50 EUR (545,00 EUR ÷ 28 Tage × 42 Tage),
- Pflegegrad 4: 1.092,00 EUR (728,00 EUR ÷ 28 Tage × 42 Tage),
- Pflegegrad 5: 1.351,50 EUR (901,00 EUR ÷ 28 × 42 Tage).
Unabhängig von der Beschränkung der Aufwendungen auf den Betrag des Pflegegeldes des festgestellten Pflegegrades, sind von dem Pflegebedürftigen die Kosten nachzuweisen (z.B. Quittung, Rechnung, Kontoauszug). Sind der Ersatzpflegeperson Aufwendungen für Fahrkosten oder Verdienstausfall entstanden, so kann in diesen besonders gelagerten Fällen eine Kostenerstattung bis zu 1.612,00 EUR erfolgen.
Eine Erhöhung des Leistungsbetrages um bis zu dem möglichen Höchstbetrag aus noch nicht in Anspruch genommenen Leistungen der Kurzzeitpflege nach § 42 Abs. 2 Satz 2 SGB XI kann in Fällen der Übernahme nachgewiesener notwendiger Aufwendungen nach § 39 Abs. 3 Satz 3 und 4 SGB XI erfolgen.
Bei der Benutzung eines privaten Kraftfahrzeuges ist in Anlehnung an das Krankenversicherungsrecht (§ 60 Abs. 3 Nr. 4 SGB V) pro gefahrenen Kilometer jeweils der nach dem Bundesreisekostengesetz (§ 5 Abs. 1 BRKG) festgesetzte Betrag für die Wegstreckenentschädigung zu erstatten.
Eine Beschränkung der Kostenerstattung auf den 1,5-fachen Betrag des Pflegegeldes des festgestellten Pflegegrades bei Verhinderungspflege durch Pflegepersonen, die mit dem Pflegebedürftigen bis zum zweiten Grade verwandt oder verschwägert sind oder mit ihm in häuslicher Gemeinschaft leben, erfolgt nicht, wenn im konkreten Einzelfall dargelegt wird, dass die Durchführung der Verhinderungspflege der Erzielung von Erwerbseinkommen dient. In diesem Fall besteht Anspruch auf den Höchstbetrag nach § 39 Abs. 1 Satz 3 SGB XI. Darüber hinaus kann dieser Betrag um bis zu dem möglichen Höchstbetrag aus noch nicht in Anspruch genommenen Leistungen der Kurzzeitpflege nach § 42 Abs. 2 Satz 2 SGB XI im Kalenderjahr erhöht werden. Nach den Gesetzesmaterialien kann eine Erwerbsmäßigkeit insbesondere dann angenommen werden, wenn die Ersatzpflege länger als sechs Wochen dauert.
Wird die Verhinderungspflege durch entfernte Verwandte/Verschwägerte (ab dem dritten Grade) oder durch eine sonstige Person z.B. Nachbar, geleistet, erfolgt keine Beschränkung der Kostenerstattung auf den 1,5-fachen Betrag des Pflegegeldes. Vielmehr kann der Höchstbetrag von 1.612,00 EUR ausgeschöpft werden, wenn entsprechende Aufwendungen für die Verhinderungspflege nachgewiesen sind. Darüber hinaus kann der Höchstbetrag nach § 39 Abs. 1 Satz 3 SGB XI um bis zu dem möglichen Betrag aus noch nicht in Anspruch genommenen Leistungen der Kurzzeitpflege nach § 42 Abs. 2 Satz 2 SGB XI im Kalenderjahr erhöht werden. Kosten für die allgemeinen Pflegeleistungen gelten als nachgewiesen, wenn sie durch eine entsprechende Quittung, Rechnung oder Kontoauszug belegt sind.
2. Rechtsprechung des Bundessozialgerichts
Ersatzpflege bei nahen Angehörigen
Das Bundessozialgericht hat mit Urteil vom 12.07.2012 (BSG, 12.07.2012 - B 3 P 6/11) über die Bemessung der von der Pflegeversicherung zu erbringenden Leistungen bei einer Ersatzpflege durch nahe Angehörige entschieden. Nach dem Wortlaut des § 39 Satz 4 SGB XI sind die Leistungen bei einer Ersatzpflege durch nahe Angehörige nur durch die Monatsbeiträge des § 37 Abs. 1 SGB XI beschränkt. Eine analoge Anwendung der Begrenzungsregelung des § 37 Abs. 2 SGB XI ist nach Sinn und Zweck, Systematik und Entstehungsgeschichte der Vorschriften nicht geboten; deshalb ist keine entsprechende Kürzung vorzunehmen, wenn die Ersatzpflege durch nahe Angehörige nicht über einen vollen Bezugszeitraum in Anspruch genommen wird. Insgesamt aber wird die Verhinderungspflege im Kalenderjahr durch die Oberbeträge begrenzt (§ 39 Satz 4 und 5 SGB XI).
Verhinderungspflege im Ausland
Das Bundessozialgericht (BSG, 20.04.2016 - B 3 P 4/14 R) entschied in der Fragestellung, inwieweit Leistungen der Verhinderungspflege im Ausland wahrgenommen werden können. Folgender Sachverhalt lag vor: Die Familie des Pflegebedürftigen, der Pflegegeld der Pflegestufe II bezieht, war in der Schweiz im Urlaub. Pflegeperson ist die Mutter. Während der urlaubsbedingten Skifreizeiten übernahm der mitgereiste Großvater in den Abwesenheitszeiten der Mutter die Pflege. Es wurde die Kostenerstattung der Fahrt- und Unterkunftskosten des Großvaters geltend gemacht, allerdings von der Pflegekasse abgelehnt.
Für die Dauer eines Auslandsaufenthaltes ruhen - mit Ausnahme des Pflegegeldanspruchs für die Dauer von bis zu sechs Wochen - Leistungen der Pflegeversicherung.
Bei Verhinderung der Pflegeperson besteht ein grundsätzlicher Anspruch auf Leistungen der Verhinderungspflege und ersetzt in dem Moment als Geldleistung die Pflegegeldleistungen. Dieser Ersatzcharakter hat sich auch nicht durch den Tatbestand der hälftigen Pflegegeldzahlung für die Dauer von vier Wochen verändert.
Wird die Ersatzpflege durch nicht erwerbsmäßig pflegende Angehörige der Pflegebedürftigen erbracht, erfolgt die Zahlung der Verhinderungspflege gemessen an dem Pflegegeld des betreffenden Pflegegrades und wird daher bei einem vorübergehenden Auslandsaufenthalt bis zu sechs Wochen weitergezahlt. Das Gleiche gilt auch für die als Nebenleistungen anzusehende Erstattung notwendiger Aufwendungen wie Fahrt- und Unterkunftskosten, die die Verhinderungspflege im Fall der Ersatzpflege durch nahe Angehörige erst ermöglichen soll.
Die Leistungen für die Verhinderungspflege sind sowohl zeitlich (vier bzw. sechs Wochen) und monetär (1.470,00 EUR bzw. 1.612,00 EUR) begrenzt. Die Kostenerstattung für die notwendigen Aufwendungen der Ersatzpflegeperson muss im Zusammenhang der Ersatzpflege stehen, sodass es in diesem beurteilenden Sachverhalt zu keiner unverhältnismäßigen Inanspruchnahme gekommen ist.
Siehe auch