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BFH, 25.08.1976 - II B 47/73 - Erledigung in der Hauptsache; Fehleraufdeckung; Berichtigung des Verwaltungsaktes; Steuererstattung; Kostenentscheidung
Bundesfinanzhof
Beschl. v. 25.08.1976, Az.: II B 47/73
Erledigung in der Hauptsache; Fehleraufdeckung; Berichtigung des Verwaltungsaktes; Steuererstattung; Kostenentscheidung
Rechtsgrundlagen:
Fundstellen:
BFHE 120, 24 - 26
BStBl II 1977, 120
DStR 1976, 672 (amtl. Leitsatz)
BFH, 25.08.1976 - II B 47/73
Amtlicher Leitsatz:
Ist ein Rechtsstreit dadurch in der Hauptsache erledigt worden, daß aufgrund einer Fehleraufdeckung durch die Oberfinanzdirektion (§ 222 Abs. 1 Nr. 4 AO) der angefochtene Verwaltungsakt berichtigt und die zu Unrecht entrichtete Steuer erstattet worden ist, so ist die Frage, wer die Kosten des Verfahrens zu tragen hat, nach Abs. 1 des § 138 FGO zu beantworten.
Tatbestand:
1
Streitig ist nur noch, wer die Kosten des in der Hauptsache erledigten Verfahrens zu tragen hat.
2
Der Kläger, ein Emaillierer, kaufte 1971 ein Grundstück. Das darauf zu errichtende steuerbegünstigte Gebäude wollte er als Eigenheim übernehmen und selbst beziehen. Den Grunderwerbsteuerfragebogen, den das FA ihm zusandte, versah er mit seiner Unterschrift und reichte ihn seinem Architekten weiter, damit dieser ihn ausfülle und dem FA zurücksende. Der Architekt beantwortete die Frage 6 im Fragebogen ("Wird das Eigenheim ... durch den Erwerber ... bezogen?") versehentlich mit "nein". Das hatte zur Folge, daß das Finanzamt den Erwerbsvorgang nicht für steuerfrei hielt und durch Bescheid vom 16. August 1971 die Grunderwerbsteuer auf 12 600 DM festsetzte. Der Kläger entrichtete die Steuer. Am 27. Januar 1972, nunmehr durch Rechtsanwälte vertreten, legte er Einspruch ein und beantragte gleichzeitig, ihm wegen Versäumung der Einspruchsfrist Nachsicht zu gewähren. Er sei geschäftlich ungewandt und habe erst jetzt erfahren, daß die bezeichnete Frage im Fragebogen von seinem Architekten versehentlich mit nein beantwortet worden sei. Das FA verwarf den Einspruch als unzulässig.
3
Mit der Klage hat der Kläger zunächst beantragt, das FA zu verurteilen, an ihn 12 978 DM nebst 4 v. H. Zinsen seit dem 27. Januar 1972 zu zahlen. Später hat er dem Finanzgericht angezeigt, daß "im Verfahren nach § 222 AO ... die Rückzahlung verfügt" worden sei. Er nehme an, daß die Rückzahlung inzwischen erfolgt sei und erkläre den Rechtsstreit in der Hauptsache für erledigt. Das FA hat mitgeteilt, die Rückzahlung hinsichtlich des Hauptbetrages sei erfolgt und hat ebenfalls den Rechtsstreit in der Hauptsache für erledigt erklärt. Die Beteiligten haben beantragt, die Kosten des Verfahrens jeweils dem Gegner aufzuerlegen.
4
Das FG hat die Kosten des Verfahrens dem Kläger auferlegt; diese Entscheidung beruhe auf Abs. 1, nicht auf Abs. 2 des § 138 FGO.
5
Mit der Beschwerde rügt der Kläger, das FG habe bei seiner Entscheidung nicht den Beschluß des BFH vom 21. Juni 1972 VII B 153/70 (BFHE 106, 20, BStBl II 1972, 707) beachtet.
Entscheidungsgründe
6
Der Rechtsstreit war aufgrund übereinstimmender Erklärungen der Beteiligten in der Hauptsache erledigt. Infolgedessen brauchte des FG nur noch zu entscheiden, wer die Kosten des Verfahrens zu tragen hat. Diese Entscheidung war - wie das FG richtig erkannt hat - nach Abs. 1, nicht nach Abs. 2 des § 138 FGO zu treffen. Der Abs. 2 des § 138 FGO ist hier nicht anwendbar, weil der Rechtsstreit nicht - wie diese Vorschrift voraussetzt - dadurch erledigt worden ist, daß dem Antrag des Steuerpflichtigen durch Rücknahme des angefochtenen Verwaltungsakts stattgegeben worden wäre, sondern dadurch, daß während des Verfahrens vor dem FG die OFD einen Fehler in der Steuerfestsetzung aufgedeckt hat, dessen Berichtigung zur Rückzahlung der entrichteten Steuer geführt hat (§ 222 Abs. 1 Nr. 4, § 151 Satz 1 AO; vgl. in diesem Zusammenhang Beschluß des BFH vom 7. Juli 1972 III B 49/71, BFHE 106, 416, BStBl II 1972, 955, mit weiteren Nachweisen).
7
Die Entscheidung über die Kosten des Verfahrens war nach billigem Ermessen unter Berücksichtigung des Sach- und Streitstandes zu treffen (§ 138 Abs. 1 FGO). Nach dem Sach- und Streitstand, wie er vor Eintritt des zur Erledigung führenden Ereignisses bestand, wäre der Kläger voraussichtlich unterlegen. Denn die Rechtmäßigkeit der Einspruchsentscheidung war nicht zweifelhaft. Billigem Ermessen entsprach es jedoch, die Kosten des Verfahrens dem Kläger nicht allein aufzuerlegen, sondern sie gegeneinander aufzuheben. Bei dieser Ermessensausübung hat der beschließende Senat folgendes erwogen:
8
Das FA hätte die widersprüchlichen Angaben des Klägers, ob er das Eigenheim selbst beziehen wolle (ja im Kaufvertrag, nein im Fragebogen) zum Anlaß einer Rückfrage nehmen können, bevor es die Steuer festsetzte. Auch hätte es nahegelegen, schon bei der Besprechung im Januar 1972 die Bevollmächtigten des Klägers auf die Möglichkeit einer Fehleraufdeckung durch die OFD gemäß § 222 Abs. 1 Nr. 4 AO aufmerksam zu machen. Demgegenüber wäre vom Kläger zu erwarten gewesen, daß er sich innerhalb der Rechtsbehelfsfrist beim FA nach den Gründen erkundigte, die zur Festsetzung einer Grunderwerbsteuer in Höhe von 12 600 DM geführt hatten, obwohl er im Kaufvertrag unter Darlegung von Gründen beantragt hatte, den Erwerbsvorgang von der Grunderwerbsteuer auszunehmen. Erst über vier Monate nach der Steuerfestsetzung hatte er zwei Rechtsanwälte beauftragt, die Angelegenheit zu prüfen. Die Anwälte legten zwar Einspruch ein, unterließen es aber, auf eine Fehleraufdeckung durch die OFD gemäß § 222 Abs. 1 Nr. 4 AO und auf ein Ruhen des Einspruchsverfahrens bis zur Entscheidung der OFD hinzuwirken. Hätten sie diesen naheliegenden und rechtlich aussichtsreicheren Weg beschritten, hätte es sich vermutlich erübrigt, das FG anzurufen.
9
Die Kosten des Verfahrens allein dem FA aufzuerlegen, erschiene unbillig. Gegen eine dahingehende Entscheidung spricht, daß das FA aufgrund der Erörterung des Sach- und Streitstandes in der mündlichen Verhandlung vor dem FG der OFD eine Nachprüfung der Steuerfestsetzung gemäß § 222 Abs. 1 Nr. 4 AO anregte und dadurch zu einer dem Kläger günstigen, raschen, außergerichtlichen Erledigung des Rechtsstreits beitrug.
10
Dem vom Kläger angeführten Beschluß des BFH vom 21. Juni 1972 VII B 153/70 (BFHE 106, 20, BStBl II 1972, 707) hat das FG seiner Entscheidung mit Recht nicht zugrunde gelegt. Er betraf einen rechtlich andersartigen Sachverhalt. Dort war - anders als hier - die Rechtmäßigkeit des angefochtenen Bescheides (nach dem Sach- und Streitstand, wie er bis zum Eintritt des zur Erledigung führenden Ereignisses bestand) ernstlich zweifelhaft.
11
Der Senat hielt es für sachgerecht, die Kosten nicht verhältnismäßig zu teilen, sondern sie gegeneinander aufzuheben (in sinngemäßer Anwendung des § 136 Abs. 1 Satz 1 FGO). Das hat zur Folge, daß jeder der Beteiligten die Gerichtskosten zur Hälfte und seine eigenen (außergerichtlichen Kosten) ganz zu tragen hat und der Kläger keinen Anspruch gegen den Beklagten auf Erstattung seiner Aufwendungen hat. Ob er diese Aufwendungen von seinem Architekten ersetzt verlangen kann, kann hier dahingestellt bleiben.
12
Die Kosten des Beschwerdeverfahrens waren gegeneinander aufzuheben, weil jeder der Beteiligten teils obsiegt hat, teils unterlegen ist (§ 136 Abs. 1 Satz 1 FGO).