Rechtsdatenbank
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Tit. 1 RdSchr. vom 02.04.2020,
Tit. 1 RdSchr. vom 02.04.2020
Versicherungsrechtliche Beurteilung von Auszubildenden in praxisintegrierten schulischen Ausbildungsgängen
Tit. 1 RdSchr. vom 02.04.2020
(1) Teilnehmer an schulischer Berufsausbildung stehen nicht in einem Beschäftigungsverhältnis und unterliegen aufgrund dessen nicht der Sozialversicherungspflicht als zur Berufsausbildung Beschäftigte. Dies gilt nach höchstrichterlicher Rechtsprechung (Urteil des BSG vom 01.12.2009 - B 12 R 4/08 R) auch für die berufspraktischen Phasen im Rahmen eines praxisintegrierten dualen Studiums. Die Grundsätze dieser Rechtsprechung werden in der Praxis sinngemäß auch bei der Beurteilung berufspraktischer Ausbildungszeiten bei schulisch geprägten Ausbildungsgängen in nichtakademischen Berufen angewendet. Danach ist von einer nichtbetrieblichen (schulischen) Ausbildung grundsätzlich dann auszugehen, wenn auch die Phasen der praktischen Ausbildung im Wesentlichen durch die Schule geregelt und gelenkt werden und sich infolge enger Verzahnung mit der theoretischen Ausbildung als Bestandteil der Schulausbildung darstellen.
(2) Gleichwohl und ungeachtet dessen erfordert die Frage der sozialrechtlichen Einordnung in jedem Einzelfall aber eine Gesamtbetrachtung aller tatsächlichen wie rechtlichen Gegebenheiten. Insoweit sind weder die durch die Schule zu vermittelnden Fähigkeiten, Fertigkeiten und Kenntnisse noch etwa die Bezeichnung der Auszubildenden als Schüler oder die nach den Berufszulassungsgesetzen oder Prüfungsordnungen festgelegten Mindestanforderungen jeweils für sich allein entscheidend.
(3) Während die Teilnehmer an dualen Studiengängen durch das Vierte Gesetz zur Änderung des Vierten Buches Sozialgesetzbuch und anderer Gesetze den zur Berufsausbildung Beschäftigten in sozialversicherungsrechtlicher Hinsicht gleichgestellt wurden, existiert eine solche oder entsprechende eindeutige Regelung für die Teilnehmer an schulischer Berufsausbildung in praxisintegrierten (dualen) Ausbildungsgängen nicht. Infolgedessen ist für diesen Personenkreis nicht klar, ob sie als zu ihrer Berufsausbildung Beschäftigte der Versicherungspflicht in den einzelnen Zweigen der Sozialversicherung unterliegen, obwohl sie einen Ausbildungsvertrag haben und eine monatliche Ausbildungsvergütung erhalten. Wie schon bei Auszubildenden in außerbetrieblichen Einrichtungen und bei Teilnehmenden an dualen Studiengängen erfasst die bisherige Rechtslage diese Formen nur unzureichend und unstrukturiert. Je nach Bildungsgang und praktischer Umsetzung wären mindestens die Phasen der Praxiseinsätze im Einzelfall als Beschäftigung zu werten, wenn sie in einem von der Schule weitgehend unabhängigen Praxiseinsatz stattfinden (Urteil des BSG vom 27.07.2011 - B 12 R 16/09 R).
(4) Um die Attraktivität bisher schulisch geprägter Ausbildungen zu erhöhen, werden diese zunehmend ähnlich wie die betriebliche Berufsausbildung ausgestaltet. Es werden in einigen Berufen mittlerweile Ausbildungsentgelte gezahlt, die mit den Ausbildungsvergütungen in der betrieblichen Berufsausbildung vergleichbar sind. So sind beispielsweise die Bedingungen für Auszubildende in mehreren Gesundheitsberufen seit dem 01.01.2019 per Tarifvertrag geregelt. Danach erhalten die unter den Geltungsbereich dieses Tarifvertrages fallenden Auszubildenden an kommunalen Krankenhäusern und Universitätskliniken, mit denen Ausbildungsverträge geschlossen werden, ein monatliches tarifliches Ausbildungsentgelt sowie weitere beschäftigungstypische Ansprüche wie beispielsweise Erholungsurlaub oder betriebliche Altersversorgung. Wenngleich aufgrund der Zahlung eines solchen Ausbildungsentgelts noch kein Beschäftigungsverhältnis im sozialversicherungsrechtlichen Sinne begründet wird, unterscheiden sich diese Auszubildenden in wirtschaftlicher Hinsicht kaum mehr von den Auszubildenden in der betrieblichen Berufsausbildung.
(5) Vor diesem Hintergrund haben die Spitzenorganisationen der Sozialversicherung und die Vereinte Dienstleistungsgewerkschaft (ver.di) gegenüber dem innerhalb der Bundesregierung für die Sozialversicherung zuständigen Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) eine gesetzliche Regelung angeregt, durch die Teilnehmer an schulischer Berufsausbildung in praxisintegrierten (dualen) Ausbildungsgängen, die Ausbildungsverträge abschließen und eine Vergütung erhalten, den Beschäftigten zur Berufsausbildung zugeordnet und damit in die Sozialversicherungspflicht einbezogen werden. Mit der eindeutigen Einbeziehung in die Versicherungspflicht würde Rechtssicherheit geschaffen und den Teilnehmern käme der damit verbundene soziale Schutz der einzelnen Versicherungszweige zu. Mit dieser Klarstellung wäre auch für die praxisintegrierte Ausbildung zur Erzieherin/zum Erzieher in den Bundesländern, in denen die Auszubildenden einen Ausbildungsvertrag mit einem Ausbildungsbetrieb schließen und von diesem von Anfang an eine Vergütung erhalten, die Sozialversicherungspflicht einheitlich sichergestellt.
(6) Das BMAS hat nunmehr mitgeteilt, die Initiative aufgreifen und in ein laufendes Gesetzgebungsverfahren einbringen zu wollen. Im Vorgriff auf eine zu erwartende gesetzliche Regelung sollten Auszubildende in praxisintegrierten schulischen Ausbildungsgängen bereits nach Maßgabe der künftigen gesetzlichen Regelung beurteilt werden. Arbeitgebern, die von einer Sozialversicherungsplicht der in Rede stehenden Auszubildenden ausgegangen sind und entsprechende Meldungen abgegeben und Beiträge gezahlt haben, wird empfohlen, keine Rückabwicklung des Versicherungsverhältnisses vorzunehmen. Von einer Beanstandung bisher versicherungspflichtig behandelter praxisintegrierter schulischer Ausbildungsverhältnisse durch die Sozialversicherungsträger wird abgesehen. In den Fällen, in denen das Versicherungsverhältnis der Auszubildenden angesichts der von den Spitzenorganisationen der Sozialversicherung vertretenen Rechtsauffassung rückabgewickelt wurde, das heißt, dass Meldungen storniert und Beiträge rückgerechnet bzw. erstattet worden sind, ist das Versicherungsverhältnis nunmehr erneut zu begründen. Dementsprechend sind für die Zeit von Beginn der Versicherungspflicht an Meldungen abzugeben und Beiträge nachzuzahlen.