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Welche Fragen Arbeitgeber auch zum Thema Sozialversicherungsrecht bewegen: Die Rechtsdatenbank der AOK liefert die Antworten – einfach, fundiert und topaktuell.

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Schwerbehinderte Menschen - Zusatzurlaub
Schwerbehinderte Menschen - Zusatzurlaub
Inhaltsübersicht
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Information
1. Information
Den besonderen Belastungen schwerbehinderter Arbeitnehmer trägt das Gesetz u.a. dadurch Rechnung, dass den Betroffenen jährlich ein Zusatzurlaub von fünf Tagen zu gewähren ist. Die verbleibende Arbeitskraft soll dadurch erhalten und gesichert werden.
2. Allgemeines
Neben dem gesetzlichen, tarifvertraglichen oder einzelvertraglichen Urlaubsanspruch steht schwerbehinderten Arbeitnehmern gem. § 208 SGB IX ein bezahlter Zusatzurlaub von fünf Tagen zu. Durch die Gewährung des Zusatzurlaubs an schwerbehinderte Arbeitnehmer soll ein allgemeiner Ausgleich für die behinderungsbedingte Mehrbelastung bei der Arbeit gewährt werden. Das konkrete Erholungsbedürfnis des Schwerbehinderten ist nicht entscheidend für die Gewährung des Zusatzurlaubs; es wird unwiderlegbar vermutet (BAG, 21.02.1995 – 9 AZR 166/94).
Der Zusatzurlaub ist ein gesetzlicher Mindesturlaub, der zusätzlich zu dem arbeitsvertraglichen, tarifvertraglichen oder gesetzlichen Urlaubsanspruch besteht (BAG, 24.10.2006 – 9 AZR 669/05). Er wird daher nur dann erworben, wenn gleichzeitig ein Hauptanspruch auf Erholungsurlaub entstanden ist (LAG Hamm, 11.02.2021 – 5 Sa 1125/20); daher gilt auch die Wartezeit nach § 4 BUrlG. Der nach den Grundsätzen deutschen Rechts unselbständige, akzessorische Zusatzurlaubsanspruch gem. § 208 SGB IX teilt grundsätzlich das rechtliche Schicksal des gesetzlichen Mindesturlaubsanspruchs (BAG, 22.01.2019 - 9 AZR 45/16; 9 AZR 149/17 u. BAG, 23.03.2010 - 9 AZR 128/09). Der Anspruch ist ebenso wie der gesetzliche Mindesturlaub nach § 13 Abs. 1 BUrlG unabdingbar (BAG, 25.06.1996 - 9 AZR 182/95). Das heißt, der Zusatzurlaub kann nicht durch Vereinbarungen zwischen den Arbeitsvertragsparteien aufgehoben oder beschränkt werden. Vereinbarungen, die ungünstigere Regelungen beinhalten, sind nach § 134 BGB unwirksam, da § 208 SGB IX insoweit ein gesetzliches Verbot i.S. dieser Vorschrift darstellt. Unerheblich für das Entstehen des Anspruchs auf Zusatzurlaub ist es, ob der Arbeitgeber die Pflichtbeschäftigungsquote nach § 154 SGB IX erfüllt oder nicht.
Soweit tarifliche, betriebliche oder sonstige Urlaubsregelungen für Schwerbehinderte einen längeren Zusatzurlaub vorsehen, ist dieser zu gewähren (§ 208 Abs. 1 S. 2 SGB IX).
Der Anspruch auf den Zusatzurlaub unterliegt den allgemeinen Vorschriften des Urlaubsrechts, insbesondere dem BUrlG, soweit § 208 SGB IX nichts Anderes vorschreibt.
3. Anspruchsberechtigter Personenkreis
Anspruch auf den Zusatzurlaub haben nur Schwerbehinderte i.S.v. § 151 Abs. 1 i.V.m. § 2 Abs. 2 SGB IX, also Personen mit einem Grad der Behinderung von mindestens 50. Anspruchsberechtigt sind alle Arbeitnehmer, also Angestellte und Arbeiter, die zu ihrer Berufsbildung Beschäftigten, Beschäftigte in Werkstätten für behinderte Menschen, Teilnehmer an Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen sowie in Maßnahmen nach § 16 SGB II beschäftigte Bezieher von Bürgergeld. Anspruch auf den Zusatzurlaub haben auch Teilzeitbeschäftigte. Der Umfang der Teilzeitbeschäftigung ist unerheblich. Auch schwerbehinderte Beamte, Richter und Soldaten (§ 211 SGB IX) haben Anspruch auf den Zusatzurlaub. Es ist nicht Voraussetzung, dass der Schwerbehinderte auf einem Arbeitsplatz i.S.d. § 156 Abs. 1 SGB IX beschäftigt ist. Schwerbehinderte Lehrer haben den Zusatzurlaub in den Schulferien zu nehmen und sind von evtl. stattfindenden schulischen Veranstaltungen während der Schulferien freizustellen (BAG, 13.02.1996 - 9 AZR 79/95). Entsprechendes gilt für Hochschullehrer während der Semesterferien.
Gleichgestellte sind nach § 151 Abs. 3 SGB IX ausdrücklich vom Anwendungsbereich des § 208 SGB IX ausgenommen. Der Ausschluss der Gleichgestellten vom Zusatzurlaub wird allgemein wegen der geringeren Behinderung dieses Personenkreises für verfassungsgemäß erachtet.
Eine Ausnahme hiervon bestand im Saarland aufgrund des Gesetzes Nr. 186 betreffend die Regelung des Zusatzurlaubs für kriegs- und unfallbeschädigte Arbeitnehmer vom 22.06.1950/30.06.1951 (ABl. 1950, 759; 1951, 979). Nach diesem Gesetz hatten Beschädigte mit einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) von 25 % bis 50 % Anspruch auf Zusatzurlaub von 3 Tagen. In der Folge wurde vom BAG entschieden, dass das Gesetz Nr. 186 nicht gegen Bundesrecht verstößt und verfassungsgemäß ist (BAG, 27.05.1997 - 9 AZR 484/96; BAG, 05.09.2002 - 9 AZR 355/01). Die Regelung wurde jedoch durch das saarländische Gesetz Nummer 1436 vom 23. Juni 1999 (ABl. 1999, 1263) mit Wirkung vom 01.01.2000 aufgehoben. In einer in dem Änderungsgesetz enthaltenen Übergangsregelung ist jedoch bestimmt, dass Arbeitnehmer, die zu diesem Zeitpunkt Anspruch auf Zusatzurlaub nach dem Gesetz hatten, den Zusatzurlaub weiter erhalten.
Anspruch auf den Zusatzurlaub besteht auch dann, wenn der Arbeitnehmer - insbesondere infolge einer Erkrankung - keine oder nur eine geringe Arbeitsleistung im Urlaubsjahr erbracht hat (st. Rspr. siehe BAG, 22.10.1987 – 8 AZR 83/86). Zur Übertragbarkeit des Urlaubsanspruchs im Falle einer durchgehenden Arbeitsunfähigkeit siehe Urlaub – Anspruch bei Arbeitsunfähigkeit und Abschn. 8.
Fällt die Schwerbehinderteneigenschaft weg, endet auch der Anspruch auf den Zusatzurlaub. Dabei ist aber § 199 Abs. 1 SGB IX zu beachten: Verringert sich der GdB auf weniger als 50, muss § 208 SGB IX noch bis zum Ende des dritten Kalendermonats nach Eintritt der Unanfechtbarkeit des entsprechenden Bescheides angewandt werden.
Der Anspruch auf den Zusatzurlaub wird durch die Schwerbehinderung ausgelöst. Nicht Voraussetzung für den Anspruch ist deren Feststellung. Sie hat lediglich deklaratorische Bedeutung (BAG, 26.06.1986 – 8 AZR 75/83). Die Mitteilung des Arbeitnehmers an den Arbeitgeber, er habe einen Antrag auf Anerkennung seiner Schwerbehinderung gestellt, reicht jedoch nicht als Geltendmachung aus (BAG, 28.01.1982 - 6 AZR 636/79). Wird durch den Bescheid der zuständigen Behörde rückwirkend die Schwerbehinderung zuerkannt, entsteht entsprechend rückwirkend auch der Anspruch auf den Zusatzurlaub. Dabei kann sich der Betroffene auch schon vor der formalen Feststellung auf seine Schwerbehinderteneigenschaft berufen (BAG, 26.06.1986 – 8 AZR 266/84; LAG Rheinland-Pfalz, 11.09.2019 – 7 Sa 414/18).
4. Geltendmachung des Zusatzurlaubs
Nach der Rechtsprechung muss der Anspruch auf Zusatzurlaub gegenüber dem Arbeitgeber unter Berufung auf die Schwerbehinderteneigenschaft innerhalb des jeweiligen Urlaubsjahres geltend gemacht werden (BAG, 28.01.1982 – 6 AZR 636/79). Solange der Arbeitgeber keine Kenntnis von der Schwerbehinderteneigenschaft des Arbeitnehmers hat, besteht für ihn keine Verpflichtung, den Arbeitnehmer - gleichsam prophylaktisch - auf einen Zusatzurlaub für schwerbehinderte Menschen hinzuweisen (LAG Rheinland-Pfalz, 22.04.2021 - 2 Sa 59/20). Dies gilt auch, wenn die Schwerbehinderung erst rückwirkend festgestellt wurde und der Arbeitnehmer den Arbeitgeber deshalb erst zu einem späteren Zeitpunkt auf die Schwerbehinderung hinweisen konnte (vgl. auch § 208 Abs. 3 SGB IX). Im gleichen Sinne hat das LAG schon zuvor entschieden (LAG Rheinland-Pfalz, 14.01.2021 - 5 Sa 267/19 – Revision an LAG zurückverwiesen: BAG, 30.11.2021 – 9 AZR 143/21). Nach der Entscheidung des BAG ist die Rechtslage anders zu beurteilen, wenn die Schwerbehinderung des Mitarbeiters offenkundig ist (BAG, 30.11.2021 – a.a.O.). Die Schwerbehinderung ist Grundlage für den Anspruch. Die amtliche Feststellung ist dagegen nicht erforderlich, da sie nur deklaratorische Wirkung hat. (BAG, 26.06.1986 – 8 AZR 75/83).
Auf den Zusatzurlaub nach § 208 SGB IX sind die Vorschriften über die Entstehung, Übertragung, Kürzung und Abgeltung des gesetzlichen Mindesturlaubs anzuwenden Ein entstandener Anspruch auf Zusatzurlaub ist daher grundsätzlich am Ende des Arbeitsverhältnisses gem. § 7 Abs. 4 BUrlG abzugelten. Aus der Anwendbarkeit der Vorschriften über die Abgeltung des gesetzlichen Mindesturlaubs folgt daher notwendig, dass es sich auch bei dem Anspruch auf Abgeltung des Urlaubs nach § 208 SGB IX um einen einfachen Geldanspruch handelt, auf den tarifliche Ausschlussfristen Anwendung finden (LAG Rheinland-Pfalz, 11.09.2019 - 7 Sa 414/18).
Nach Auffassung des LAG Berlin-Brandenburg ist der Arbeitgeber verpflichtet, von sich aus den Urlaub nach dem BUrlG zu gewähren (LAG Berlin-Brandenburg, 12.06.2014 – 21 Sa 221/14). Kommt er dieser Verpflichtung nicht nach, entsteht ein Schadenersatzanspruch in Form von Ersatzurlaub, der nur dann entfällt, wenn den Arbeitgeber kein Verschulden trifft. Dies kann auch auf den Zusatzurlaub angewandt werden, wenn dem Arbeitgeber die Schwerbehinderung bekannt ist. Dem entspricht auch die Rechtsprechung des EuGH. Danach hat der Arbeitgeber geeignete Maßnahmen zu ergreifen, um zu gewährleisten, dass der betreffende Mitarbeiter seinen Anspruch auf bezahlten Jahresurlaub während des Arbeitsverhältnisses tatsächlich ausüben kann. Dazu gehört insbesondere der rechtzeitige und deutliche Hinweis, dass der Urlaub entschädigungslos verfällt, wenn er nicht rechtzeitig vor Ablauf des Arbeitsvertrages genommen wird (EuGH, 06.11.2018 - C-684/16 u. C-619/16). Dem hat sich das BAG angeschlossen – hinzuweisen ist auf den konkreten Resturlaubsanspruch und den Zeitpunkt des Verfalls; offen bliebt aber, bis wann der Arbeitnehmer darauf hinzuweisen ist (BAG, 19.02.2019 – 9 AZR 541/15). Hervorgehoben hat das Gericht, dass nach wie vor der Arbeitgeber das Recht hat, die zeitliche Lage des Urlaubs unter Berücksichtigung der Wünsche des Arbeitnehmers festzulegen. Akzeptiert der Arbeitnehmer die Urlaubsgewährung, ist der Anspruch damit erfüllt; somit kann keine Abgeltung in Geld mehr verlangt werden (LAG Rheinland-Pfalz, 16.10.2018 – 8 Sa 43/18).
Daraus ergibt sich, dass der Arbeitgeber verpflichtet ist, den schwerbehinderten Arbeitnehmer auf dessen Zusatzurlaub nach § 208 SGB IX und den drohenden Verfall hinzuweisen (§ 241 Abs. 2 BGB). Der Anspruch auf Zusatzurlaub für schwerbehinderte Menschen kann grundsätzlich nur dann gem. § 7 Abs. 3 BUrlG mit Ablauf des Urlaubsjahrs oder eines zulässigen Übertragungszeitraums erlöschen, wenn der Arbeitgeber den Arbeitnehmer zuvor durch Erfüllung seiner Aufforderungs- und Hinweisobliegenheiten rechtzeitig in die Lage versetzt hat, den Urlaubsanspruch zu verwirklichen (BAG, 26.04.2022 - 9 AZR 367/21). Kommt er seinen Informations- und Hinweispflichten entsprechend der Entscheidung des EuGH vom 06.11.2018 (C-684/16) nicht nach, hat der Arbeitnehmer einen Schadenersatzanspruch in Form des Ersatzurlaubs, der sich nach Ende des Arbeitsverhältnisses in einen Abgeltungsanspruch umwandelt (LAG Niedersachsen, 16.01.2019 – 2 Sa 567/18). Der Arbeitgeber ist aber nicht verpflichtet, jeden Arbeitnehmer anlasslos und gleichsam prophylaktisch auf den Zusatzurlaub für schwerbehinderte Menschen hinzuweisen. Solange er nicht weiß, dass der Arbeitnehmer ein schwerbehinderter Mensch und dies auch nicht offensichtlich ist, braucht er einen Zusatzurlaub nicht anzubieten (LAG Rheinland-Pfalz, 14.01.2021 - 5 Sa 267/19 - Revision an LAG zurückverwiesen: BAG, 30.11.2021 – 9 AZR 143/21). In diesem Fall verfällt der Anspruch auf Zusatzurlaub nach § 7 Abs. 3 BUrlG, ohne dass der Arbeitgeber seinen Mitwirkungspflichten nachgekommen ist.
Zu beachten ist auch, dass für den Zusatzurlaub grundsätzlich die regelmäßige Verjährungsfrist von drei Jahren (§ 195 BGB) anzuwenden ist. Der Beginn der Verjährungsfrist ist in § 199 BGB festgelegt. Im Rahmen einer richtlinienkonformen Anwendung des § 199 Abs. 1 BGB beginnt die dreijährige Verjährungsfrist erst zum Schluss des Jahres, in dem der Arbeitgeber seinen Mitarbeiter über seinen konkreten Urlaubsanspruch und die Verfallfristen belehrt hat, dieser aber in Kenntnis dessen den Urlaub aus freien Stücken nicht nimmt (EuGH, 22.09.2022 – C-120/21 u. BAG, 20.12.2022 – 9 AZR 266/20).
Der Anspruch auf Zusatzurlaub kann auch dann ohne vorherige Erfüllung der Mitwirkungsobliegenheiten durch den Arbeitgeber erlöschen, wenn der Arbeitnehmer einen Antrag auf Anerkennung der Eigenschaft als schwerbehinderter Mensch gestellt hat, ohne seinen Arbeitgeber darüber zu unterrichten, und ohne dass die Schwerbehinderung offensichtlich ist. Demgegenüber setzen Befristung und Verfall des Anspruchs auf Zusatzurlaub grundsätzlich die Erfüllung der Mitwirkungsobliegenheit durch den Arbeitgeber voraus, wenn der (objektiv schwerbehinderte) Arbeitnehmer den Arbeitgeber über seinen (noch nicht beschiedenen) Antrag auf Anerkennung der Schwerbehinderteneigenschaft unterrichtet hat. Wird der dem Arbeitgeber bekannte Antrag auf Anerkennung der Schwerbehinderung zunächst durch behördlichen Bescheid zurückgewiesen und die Schwerbehinderung später aufgrund eines vom Arbeitnehmer eingelegten Rechtsbehelfs oder Rechtsmittels rückwirkend festgestellt, hängen Befristung und Verfall des Zusatzurlaubs vom Kenntnisstand des Arbeitgebers ab. Hat der Arbeitnehmer den Arbeitgeber unverzüglich über die ablehnende Entscheidung der zuständigen Behörde sowie über die (beabsichtigte) Einlegung eines Rechtsbehelfs unterrichtet, setzt die Befristung des Urlaubsanspruchs weiterhin die Erfüllung der Mitwirkungsobliegenheiten voraus. Anderenfalls verfällt der Zusatzurlaubsanspruch auch ohne Mitwirkungshandlung des Arbeitgebers nach § 7 Abs. 3 BUrlG mit Ausnahme des Urlaubs, über den der Arbeitgeber den Arbeitnehmer bis zur Ablehnung hätte belehrt haben müssen (BAG, 26.04.2022 - 9 AZR 367/21).
Wird die Schwerbehinderung rückwirkend festgestellt (§ 152 Abs. 1 SGB IX), finden für die Übertragbarkeit des Zusatzurlaubs die dem Beschäftigungsverhältnis zugrunde liegenden urlaubsrechtlichen Regelungen Anwendung (§ 208 Abs. 3 SGB IX). Solche Regelungen können sich insbesondere aus Tarifverträgen ergeben. Soweit dies nicht der Fall ist, gilt das BUrlG – siehe Abschn. 8.
5. Dauer des Zusatzurlaubs
Schwerbehinderte haben Anspruch auf zusätzlichen bezahlten Urlaub von fünf Arbeitstagen im Urlaubsjahr. Verteilt sich die regelmäßige Arbeitszeit des Schwerbehinderten auf mehr oder weniger als fünf Arbeitstage in der Kalenderwoche, erhöht oder vermindert sich der Zusatzurlaub entsprechend. Der Anspruch auf Zusatzurlaub nach § 208 Abs. 1 Satz 1 SGB IX tritt dem Urlaubsanspruch hinzu, den der Beschäftigte ohne Berücksichtigung seiner Schwerbehinderung beanspruchen kann (BAG, 24.10.2006 - 9 AZR 669/05).
§ 208 Abs. 2 Satz 1 SGB IX bestimmt, dass der Anspruch auf Zusatzurlaub bei Eintritt oder Wegfall der Schwerbehinderteneigenschaft im Verlauf des Urlaubsjahres nicht in vollem Umfang, sondern entsprechend der Regelungen für den Erholungsurlaub bei Beginn oder Beendigung eines Beschäftigungsverhältnisses nur anteilig bestehen soll. Für jeden vollen Monat der Schwerbehinderteneigenschaft in dem jeweiligen Beschäftigungsverhältnis besteht ein Anspruch auf ein Zwölftel des Zusatzurlaubs von fünf Arbeitstagen. Bruchteile, die mindestens einen halben Tag ergeben, sind aufzurunden. Die Abrundung von geringeren Bruchteilen ist aber nicht vorgesehen. Der so ermittelte Zusatzurlaub ist dem Erholungsurlaub hinzuzurechnen und kann bei einem nicht im ganzen Jahr bestehenden Beschäftigungsverhältnis nicht erneut gemindert werden.
Nach § 208 Abs. 3 SGB IX hat der schwerbehinderte Mensch Anspruch auf Zusatzurlaub aus dem laufenden Jahr, auch wenn die Eigenschaft als schwerbehinderter Mensch rückwirkend festgestellt wird. Durch die Beschränkung auf das laufende Jahr wird eine Kumulation von Ansprüchen auf Zusatzurlaub aus vorangegangenen Urlaubsjahren ausgeschlossen. Zudem erklärt § 208 Abs. 3 SGB IX die dem Beschäftigungsverhältnis zugrunde liegenden urlaubsrechtlichen Regelungen für anwendbar. Ist danach das Bundesurlaubsgesetz anwendbar, so ist eine Übertragung des Urlaubs auf das nächste Kalenderjahr nur statthaft, wenn dringende betriebliche oder in der Person des Arbeitnehmers liegende Gründe dies rechtfertigen. In diesem Fall muss der Urlaub in den ersten drei Monaten des folgenden Kalenderjahres gewährt und genommen werden, § 7 Abs. 3 BUrlG. Zum Abgeltungsanspruch siehe Abschn. 8.
Tarif- oder einzelvertraglich kann auch ein höherer Zusatzurlaub vereinbart werden.
6. Urlaubsentgelt
Dem Schwerbehinderten steht wegen des Zusatzurlaubs das gleiche Urlaubsentgelt zu wie für den Erholungsurlaub (siehe § 11 BUrlG).
7. Urlaubsgeld
Anspruch auf Urlaubsgeld hat der Schwerbehinderte nur, wenn dies einzelvertraglich oder tarifvertraglich vereinbart ist. Nimmt eine tarifliche Regelung für die Urlaubsdauer auf das SGB IX Bezug und sieht sie ein zusätzliches Urlaubsgeld vor, kann der Schwerbehinderte auch für den ihm zustehenden Zusatzurlaub Urlaubsgeld verlangen (BAG, 23.01.1996 - 9 AZR 891/94). Beschränkt der Tarifvertrag das zusätzliche Urlaubsgeld auf die tariflich festgelegte Urlaubsdauer, besteht nur für diese Tage Anspruch auf das Urlaubsgeld (BAG, 30.07.1986 - 8 AZR 241/83). Wird eine "Urlaubsgratifikation" pauschal für den gesamten Urlaub gezahlt, ist der Zusatzurlaub mit einbegriffen (BAG, 23.01.1996 - 9 AZR 891/94). Fehlen eindeutige kollektive oder arbeitsvertragliche Regelungen, gilt der von der Rechtsprechung entwickelte Grundsatz, dass der gesetzliche Anspruch auf den Mindesturlaub und der Anspruch auf Zusatzurlaub gleich zu behandeln sind (BAG, 10.03.2020 – 9 AZR 109/19).
8. Urlaubsabgeltung
Nach dem Bundesurlaubsgesetz ist der Erholungsurlaub abzugelten, soweit er wegen der Beendigung des Arbeitsverhältnisses nicht gewährt werden kann (§ 7 Abs. 4 BUrlG). Gleiches gilt für den Zusatzurlaub für Schwerbehinderte. Teilt der Arbeitnehmer dem Arbeitgeber die Schwerbehinderung erst nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses mit, so steht dies einer Abgeltung des Zusatzurlaubs nicht entgegen.
Der Arbeitgeber ist verpflichtet, den schwerbehinderten Arbeitnehmer auf dessen Zusatzurlaub nach § 208 SGB IX hinzuweisen (§ 241 Abs. 2 BGB). Kommt er seinen Informations- und Hinweispflichten entsprechend der Entscheidung des EuGH vom 06.11.2018 (C-684/16) nicht nach, hat der Arbeitnehmer einen Schadenersatzanspruch in Form des Ersatzurlaubs, der sich nach Ende des Arbeitsverhältnisses in einen Abgeltungsanspruch umwandelt (LAG Niedersachsen, 16.01.2019 – 2 Sa 567/18).
Soweit nach einer tariflichen Regelung der Urlaub bei längerer Krankheit des Arbeitnehmers abzugelten ist, wenn und soweit dadurch kein Urlaub mehr genommen werden kann, gilt dies auch für den Zusatzurlaub nach § 208 SGB IX(BAG, 14.03.2006 - 9 AZR 312/05).
Für den Anspruch auf Abgeltung des Zusatzurlaubs gelten die evtl. einzel- oder tarifvertraglichen Ausschlussfristen (BAG, 13.12.2011 – 9 AZR 399/10; LAG Rheinland-Pfalz, 11.09.2019 – 7 Sa 414/18).
Mit der Übertragbarkeit von Urlaubsansprüchen und den ggf. daraus entstehenden Ansprüchen auf Abgeltung haben sich die Gerichte in den letzten Jahren intensiv auseinandergesetzt. Nach der Rechtsprechung des EuGH (20.01.2009 – C 350/06 u. 22.11.2011 - C 214/10) ist ein tariflich vorgesehener Übertragungszeitraum von 15 Monaten mit Unionsrecht vereinbar. Dem hat sich das BAG auch für die Fälle angeschlossen, dass es keine tarifliche Regelung gibt, also das BUrlG anzuwenden ist (BAG, 07.08.2012 – 9 AZR 353/10). § 7 Abs. 3 BUrlG sei bei langjährig erkrankten Mitarbeitern so auszulegen, dass der Urlaubsanspruch 15 Monate nach Ablauf des Urlaubsjahres verfällt. Daher verfällt der Anspruch mit Ablauf des 31. März des zweiten auf das jeweilige Urlaubsjahr folgenden Jahres. Dies gilt auch für den Zusatzurlaub nach § 208 SGB IX (BAG, 23.03.2010 – 9 AZR 128/09 u. 07.08.2012 - 9 AZR 353/10), obwohl dieser nicht auf Unionsrecht beruht. Dies gilt aber nicht immer, wenn der Mitarbeiter im maßgebenden Urlaubsjahr noch gearbeitet hat, bevor er arbeitsunfähig oder erwerbsunfähig geworden ist. Dann verfällt der Anspruch nur, wenn der Arbeitgeber den Mitarbeiter auf den drohenden Verfall rechtzeitig hingewiesen und ihn damit in die Lage versetzt hat, den Urlaub zu nehmen, und er ihn dennoch aus freien Stücken nicht in Anspruch genommen hat (BAG, 20.12.2022 – 9 AZR 245/19). Soweit der Urlaub am Ende des Arbeitsverhältnisses noch nicht verfallen ist, muss er abgegolten werden.
Den Verfall des Urlaubsanspruchs kann der Arbeitnehmer nicht durch eine fristlose Kündigung abwenden. Nach § 626 BGB ist Voraussetzung für eine fristlose Kündigung aus wichtigem Grund u.a., dass dem Kündigenden unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Dienstverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist nicht zumutbar ist. Obwohl durch den drohenden Verfall des Anspruchs auf Urlaub bzw. auf Urlaubsabgeltung ein finanzielles Interesse des Arbeitnehmers durchaus eingeräumt wurde, entschied das ArbG Siegburg, dass es an dem Arbeitnehmer gewesen sei, bei bestehender Arbeitsunfähigkeit den Verfall durch eine ordentliche Kündigung zu vermeiden (ArbG Siegburg, 22.11.2018 - 5 Ca 1305/18).
Im Zusammenhang mit der Urlaubsabgeltung stellt sich die Frage, ob der Anspruch darauf beim Tod des Arbeitnehmers auf die Erben übergeht. Nach der Rechtsprechung des EuGH können sich Erben sowohl gegenüber einem öffentlichen wie auch einem privaten Arbeitgeber auf das Unionsrecht berufen und eine finanzielle Vergütung für nicht genommenen Urlaub verlangen. Denn der Anspruch des Arbeitnehmers auf bezahlten Jahresurlaub geht nach Unionsrecht nicht mit seinem Tod unter. Sofern das nationale Recht eine solche Möglichkeit ausschließt und sich daher als mit dem Unionsrecht unvereinbar erweist, können sich die Erben unmittelbar auf das Unionsrecht berufen. Dies gilt sowohl für öffentliche wie auch für private Arbeitgeber (EuGH, 06.11.2018 – C 569/16 u. C 570/16). Daraufhin hat das BAG entschieden, dass der Anspruch auf Abgeltung des Urlaubsanspruchs des verstorbenen Arbeitnehmers auf die Erben übergeht. Dies gilt sowohl für den gesetzlichen Mindesturlaub als auch für den Zusatzurlaub für schwerbehinderte Arbeitnehmer. Ebenso eingeschlossen kann der tarifliche bzw. vertragliche Zusatzurlaub sein, wenn der Tarif- oder Arbeitsvertrag die Frage der Vererbung der Ansprüche nicht ausdrücklich abweichend regelt. Dies folge aus der richtlinienkonforme Auslegung von §§ 1, 7 Abs. 4 BUrlG (BAG, 22.01.2019 – 9 AZR 45/16).