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Welche Fragen Arbeitgeber auch zum Thema Sozialversicherungsrecht bewegen: Die Rechtsdatenbank der AOK liefert die Antworten – einfach, fundiert und topaktuell.

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Schwerbehinderte Menschen - Nachteilsausgleich
Schwerbehinderte Menschen - Nachteilsausgleich
Inhaltsübersicht
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Information
1. Allgemeines
Neben dem umfangreichen Schutz im Arbeitsrecht werden die Nachteile für schwerbehinderte Menschen durch steuerliche Maßnahmen und andere Nachteilsausgleiche kompensiert.
Das VG Frankfurt hat entschieden, dass ein unterhalb des Halswirbels gelähmter Mensch, der in häuslicher Pflege betreut wird, Anspruch auf eine vorgezogene Corona-Impfung haben kann, auch wenn er nicht zur Gruppe mit höchster Priorität nach der Impfverordnung gehört. In solchen Fällen hat das zuständige Gesundheitsamt ein Ermessen (VG Frankfurt, 29.01.2021 – 5 L 182/21 F u. 5 L 172/21 F). Im gleichen Sinne hat das VG Frankfurt im Falle einer schwerstbehinderten Antragstellerin, die seit ihrer Geburt an einer schweren Fehlbildung des Gehirns sowie unter Epilepsie, wiederkehrenden Atemwegsinfekten und Blindheit leidet. Sie ist zu 100% schwerstbehindert (VG Frankfurt, 12.02.2021 – 5 L 219/21).
2. Behinderten Pauschbetrag
2.1 Allgemeines
Mit dem Behinderten-Pauschbetrag bei der Einkommensteuer sollen alle Kosten steuerfrei belassen werden, die für die Behinderung typisch sind und in der Regel entstehen. Typische Kosten i.d.S. sind nach § 33b Abs. 1 EStG Aufwendungen für die Hilfe bei den gewöhnlichen und regelmäßig wiederkehrenden Verrichtungen des täglichen Lebens, für die Pflege sowie für einen erhöhten Wäschebedarf. Sie müssen nicht nachgewiesen werden, sind aber andererseits durch den Pauschbetrag abgedeckt. Alternativ können diese Kosten steuerlich als außergewöhnliche Belastung geltend gemacht werden (§ 33 EStG). Dann entfällt der Pauschbetrag. Zusätzlich geltend gemacht werden können aber auch dann außerordentliche Aufwendungen, wie z.B. die Kosten einer Haushaltshilfe oder für eine Kur.
Praxistipp:
Voraussetzung für die Berücksichtigung des Pauschbetrages bei der laufenden Entgeltabrechnung eines Arbeitnehmers ist, dass der Betrag in den Elektronischen Lohnsteuerabzugsmerkmalen eingetragen ist. Ist das nicht der Fall, darf der Arbeitgeber die Lohnsteuer nicht entsprechend vermindern; der Pauschbetrag kann aber in der Einkommensteuererklärung geltend gemacht werden.
2.2 Höhe des Behinderten-Pauschbetrages bis 31.12.2020
Grad der Behinderung (GdB) | Steuerfreier Pauschbetrag jährlich |
25 und 30 | 310 EUR |
35 und 40 | 430 EUR |
45 und 50 | 570 EUR |
55 und 60 | 720 EUR |
65 und 70 | 890 EUR |
75 und 80 | 1.060 EUR |
85 und 90 | 1.230 EUR |
95 und 100 | 1.420 EUR |
Beträgt der GdB weniger als 50, wird der Pauschbetrag nur gewährt, wenn
entweder aufgrund der Behinderung ein gesetzlicher Anspruch auf eine Rente (z.B. eine Unfallrente) oder eine vergleichbare Leistung besteht. Nicht ausreichend ist eine Rente aus der gesetzlichen Rentenversicherung
oder die Behinderung zu einer dauernden Einbuße der körperlichen Beweglichkeit geführt hat bzw. durch eine typische Berufskrankheit entstanden ist.
2.3 Höhe des Behinderten-Pauschbetrages ab 01.01.2021
Durch das Gesetz zur Erhöhung der Behinderten-Pauschbeträge und zur Anpassung weiterer steuerlicher Regelungen vom 09.12.2020 (BGBl. I Nr. 61 S. 2770) wurden die Pauschbeträge ab 2021 angehoben. Gleichzeitig wurden die zusätzlichen Anspruchsvoraussetzungen zur Gewährung eines Behinderten-Pauschbetrags bei einem GdB unter 50 gestrichen. Bei einem GdB von weniger als 50 ist der Nachweis der Behinderung durch einen Nachweis der zuständigen Versorgungsbehörde zu erbringen. Stehen dem Steuerpflichtigen aufgrund der Behinderung Renten oder laufende Versorgungsbezüge zu, kann der Nachweis auch durch den Bescheid hierüber erbracht werden (BMF-Schreiben vom 01.03.2021 – IV C 8 – S 2286/19/10002:006).
Grad der Behinderung mindestens: | Steuerfreier Pauschbetrag jährlich: |
20 | 384 EUR |
30 | 620 EUR |
40 | 860 EUR |
50 | 1.140 EUR |
60 | 1.440 EUR |
70 | 1.780 EUR |
80 | 2.120 EUR |
90 | 2.460 EUR |
100 | 2.840 EUR |
Für Menschen mit Behinderungen, die hilflos sind, und für Blinde erhöht sich der Pauschbetrag auf 7.400 EUR. Hilflos i.d.S. ist eine Person, wenn sie für eine Reihe von häufig und regelmäßig wiederkehrenden Verrichtungen zur Sicherung ihrer persönlichen Existenz im Ablauf eines jeden Tages dauernd fremder Hilfe bedarf.
Außerdem soll für Aufwendungen für durch eine Behinderung veranlasste Fahrten ein Pauschbetrag gewährt werden (behinderungsbedingter Fahrtkostenpauschale). Ihn können erhalten
Menschen mit einem Grad der Behinderung von mindestens 80 oder mit einem Grad der Behinderung von mindestens 70 und dem Merkzeichen "G" in Höhe von 900 EUR jährlich und
Menschen mit dem Merkzeichen "aG", mit dem Merkzeichen TBI, mit dem Merkzeichen "Bl" oder mit dem Merkzeichen "H" in Höhe von 4.500 EUR jährlich.
Die Fahrtkostenpauschale wirkt sich steuerlich aber nur insoweit aus, als die zumutbare Eigenbelastung überschritten wird. Über die Fahrtkostenpauschale hinausgehende Aufwendungen können nicht als außergewöhnliche Belastung geltend gemacht werden.
2.4 Pflege-Pauschbetrag
Der Pflege-Pauschbetrag wird Personen gewährt, die eine Person in der häuslichen Umgebung pflegen und dafür keine Einnahmen erhalten. Er beträgt:
Bei Pflegegrad 2: 600 EUR;
bei Pflegegrad 3: 1.100 EUR;
bei Pflegegrad 4 oder 5: 1.800 EUR
jährlich. Weitere Voraussetzung ist die Angabe der steuerlichen Identifikationsnummer.
3. Sonstige Nachteilsausgleiche
3.1 Allgemeines
Durch die Eintragung bestimmter Merkzeichen können schwerbehinderte Menschen je nach Art und Schwere der Behinderung Rechte und Nachteilsausgleiche in Anspruch nehmen. Ob die Voraussetzungen vorliegen, wird von der zuständigen Versorgungsbehörde festgestellt. Die entsprechenden Merkzeichen für den Nachteilsausgleich werden in den Schwerbehindertenausweis eingetragen, (§ 1 Abs. 4 Schwerbehindertenausweisverordnung [SchwbAwV]). Die in der SchwbAwV enthaltenen Merkzeichen sind durch umfangreiche Rechtsprechung näher konkretisiert worden. Details zu den Voraussetzungen sind auch in Teil D der Versorgungsmedizinischen Grundsätze (Anlage 2 zur Versorgungsmedizin-Verordnung - VersMedV) festgelegt. Die Ausführungen sind aber nicht abschließend. Auch andere Funktionsstörungen können die jeweiligen Voraussetzungen erfüllen (BSG, 27.08.1998 – B 9 SB 13/97 R).
Für verschiedene Merkzeichen besteht die Möglichkeit, die Befreiung von der Kfz-Steuer zu beantragen. Dieses Recht geht bei rückwirkender Zubilligung des entsprechenden Merkzeichens nach dem Tod der behinderten Person auf die Erben über (BFH, 10.02.2021 – IV R 38/19).
3.2 Merkzeichen "G"
Personenkreis: Schwerbehinderte Menschen (Grad der Behinderung [GdB] von mindestens 50), deren Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr erheblich beeinträchtigt ist. Darunter fällt, wer infolge einer Einschränkung des Gehvermögens (auch durch innere Leiden oder Störungen der Orientierungsfähigkeit) nicht ohne erhebliche Schwierigkeiten oder nicht ohne Gefahren für sich und andere Wegstrecken im Ortsverkehr zurücklegen kann, die üblicherweise noch zu Fuß zurückgelegt werden (§ 229 Abs. 1 SGB IX). Als ortsüblich gilt eine Strecke von ungefähr zwei Kilometern, die in etwa einer halben Stunde zu bewältigen ist (Teil D Nr. 1 Anlage 2 VersMedV). Vorauszusetzen ist insoweit eine doppelte Kausalität: Ursache der beeinträchtigten Bewegungsfähigkeit muss eine Behinderung des schwerbehinderten Menschen sein und diese Behinderung muss sein Gehvermögen einschränken (LSG Brandenburg, 30.04.2019 – L 13 SB 111/18). Teil D Nr. 1 der VersMedV gibt an, welche Funktionsstörungen in welcher Ausprägung vorliegen müssen, um annehmen zu können, dass ein behinderter Mensch infolge einer Einschränkung des Gehvermögens in seiner Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr erheblich beeinträchtigt ist. Demnach sind die Voraussetzungen für die Annahme einer erheblichen Beeinträchtigung der Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr infolge einer behinderungsbedingten Einschränkung des Gehvermögens unter anderem dann als erfüllt anzusehen, wenn auf die Gehfähigkeit sich auswirkende Funktionsstörungen der unteren Gliedmaßen und/oder der Lendenwirbelsäule bestehen, die für sich einen GdB von wenigstens 50 bedingen (SG Karlsruhe, 28.05.2019 – S 10 SB 3104/17). Das Unvermögen, Wegstrecken im Ortsverkehr zurückzulegen, kann auch durch psychische Leiden bedingt sein (LSG Berlin-Brandenburg, 30.04.2019 – L 13 SB 111/18). Für die Störungen der Orientierungsfähigkeit bei geistigen Behinderungen ist das Merkmal "täglich" in den Versorgungsmedizinischen Grundsätzen (Teil D Ziff. 1 f) nicht wörtlich zu verstehen. Vielmehr sind nach Sinn und Zweck der Regelung solche Strecken gemeint, die der geistig behinderte Mensch häufig bzw. regelmäßig nutzt und die ihm aufgrund dessen vom Ablauf her vertraut sind (SG Stuttgart, 11.01.2018 – S 6 SB 6943/15). Die Anerkennung der Merkzeichen "G" und "B" aufgrund einer geistigen Behinderung löst aber keinen Anspruch auf Parkerleichterungen aus, wenn die Gehfähigkeit nicht eingeschränkt ist (OVG Nordrhein-Westfalen, 12.10.2020 – 8 A 2020/20). Eine Orientierungslosigkeit aufgrund der geistigen Behinderung ändert nach dem Urteil daran nichts.
Der Katalog der Regelfälle in den Versorgungmedizinischen Grundsätzen (Teil D Ziff. 1) ist abschließend und lässt die Einbeziehung von Gesundheitsstörungen, die nicht unmittelbar zu einer Einschränkung des Gehvermögens führen (wie z.B. ein bei jeder Bewegung äußerst schmerzhaftes HWS-Syndrom) auch nicht im Wege einer Analogbewertung zu (LSG Baden-Württemberg, 24.10.2018 – L 3 SB 2660/16). Das LSG Nordrhein-Westfalen hat aber zu Teil D Nr. 1 Buchst. d S. 2 der Versorgungmedizinischen Grundsätze entschieden, diese Regelung sei nicht so zu verstehen, dass er für die dort genannte Einschränkung "Behinderung an den unteren Gliedmaßen" abschließend ist. Festgestellte Einschränkungen müssten aber vergleichbar mit den genannten Regelbeispielen sein. Für die Vergleichbarkeit trage der Antragsteller die Beweislast (LSG Nordrhein-Westfalen, 11.01.2019 – L 21 SB 224/16). Erhebliches Übergewicht kann zwar grundsätzlich als Faktor bei der Beurteilung der Frage nach Zuerkennung des Merkzeichens "G" berücksichtigt werden. Einer Adipositas II. Grades ist bei nur leichtgradigen orthopädisch bedingten Bewegungseinschränkungen, aber keine derart verstärkende Wirkung der Beeinträchtigung des Gehvermögens beizumessen, die eine Zuerkennung des Merkzeichens "G" rechtfertigt (SG Karlsruhe, 20.11.2018 – S 17 SB 3955/16). Ein beiderseitiges Beinlymphöden, das i.V.m. einer Adipositas zu einer Einschränkung der Höchstgehleistung von nur noch 100 Metern führt, kann die Anerkennung einer Schwerbehinderteneigenschaft und die Zuerkennung des Merkzeichens "G" rechtfertigen (SG Karlsruhe, 28.05.2019 – S 10 SB 3104/17).
Sofern in dem Gesundheitszustand des Behinderten eine Besserung eingetreten ist, so dass die Voraussetzungen für die Anerkennung des Merkzeichens nicht mehr vorliegen, kann die Entscheidung im Rahmen des § 48 SGB X aufgehoben werden (LSG Mecklenburg-Vorpommern, 14.05.2020 – L 3 SB 41/15 – Nichtzulassungsbeschwerde als unzulässig verworfen: BSG, 13.01.2021 – B 9 SB 32/20 B).
Die Voraussetzungen für das Merkzeichen G sind nicht erfüllt, wenn kein hirnorganisches Anfallsleiden, sondern eine schwere Störung auf psychiatrischem Fachgebiet vorliegt (SG Osnabrück, 15.07.2020 – S 30 SB 90/19).
Veränderungen an den Herzkranzgefäßen können zu einer so starken Einschränkung der Belastbarkeit führen, dass die gesundheitlichen Voraussetzungen für das Merkzeichen "G" erfüllt sind (im entschiedenen Fall nicht nachweisbar – LSG Hamburg, 21.12.2021 - L 3 SB 7/17).
Nachteilsausgleiche: Unentgeltliche Beförderung im öffentlichen Personennahverkehr (Wertmarke muss gegen Gebühr bei der Versorgungsbehörde erworben werden - § 228 Abs. 2 SGB IX). Eigenbeteiligung ab 01.01.2021 91 EUR für ein Jahr, 46 EUR für ein halbes Jahr (Bekanntmachung über die Anpassung der Eigenbeteiligung für die unentgeltliche Beförderung vom 19.11.2020 [BAnz AT 30.11.2020 – B1]); zuvor: 80 EUR für ein Jahr, 40 EUR für ein halbes Jahr. Um Nahverkehr i.d.S. handelt es sich auch bei dem Fährverkehr zwischen Emden und Borkum (BVerwG, 27.09.2018 – 5 C 7.17). Voraussetzung ist, dass die Person schwerbehindert ist (§ 228 Abs. 1 SGB IX).
Alternativ statt der unentgeltlichen Beförderung: Ermäßigung der Kfz-Steuer (§ 3a Abs. 2 Kraftfahrzeugsteuergesetz [KraftStG]). Das Antragsrecht für die Gewährung der Vergünstigung steht nach dem Tod des Berechtigten seinen Erben zu (BFH, 10.02.2021 – IV R 38/19).
Unter weiteren Voraussetzungen: Steuervorteile bei Fahrten zur Arbeitsstelle und für behinderungsbedingte Privatfahrten (§§ 9 Abs. 2 S.3; 33 EStG).
Unter weiteren Voraussetzungen: Parkerleichterungen.
3.3 Merkzeichen "aG"
Personenkreis: Schwerbehinderte Menschen mit einer außergewöhnlichen Gehbehinderung. Dies sind Personen mit einer erheblichen mobilitätsbezogenen Teilhabebeeinträchtigung, die einem GdB von mindestens 80 entspricht. Ein GdB von 80 reicht für das Merkzeichen aG nicht generell aus; dieser muss allein durch Erkrankungen erreicht werden, die die Mobilität einschränken (SG Stuttgart, 24.01.2018 – S 9 SB 3849/17). Eine erhebliche mobilitätsbezogene Teilhabebeeinträchtigung liegt vor, wenn sich die schwerbehinderten Menschen wegen der Schwere ihrer Beeinträchtigung dauernd nur mit fremder Hilfe oder mit großer Anstrengung außerhalb ihres Kfz. bewegen können (§ 229 Abs. 3 SGB IX; LSG Berlin-Brandenburg, 28.03.2019 – 13 SB 108/17). Dies gilt insbesondere, wenn der schwerbehinderte Mensch auf Grund der Beeinträchtigung von Gehfähigkeit und Fortbewegung – dauerhaft und auch für sehr kurze Entfernungen – aus medizinischer Notwendigkeit auf einen Rollstuhl angewiesen ist (LSG Bayern, 14.11.2018 – L 18 SB 111/17). Bei der Vergabe des Merkzeichens ist nicht darauf abzustellen, über welche Wegstrecke ein schwerbehinderter Mensch sich außerhalb seines Kraftfahrzeuges zumutbar noch bewegen kann, sondern darauf, unter welchen Bedingungen dies nur noch möglich ist; nämlich nur mit fremder Hilfe oder nur mit großer Anstrengung (LSG Berlin-Brandenburg, 18.01.2019 L 13 SB 312/16). Auch neurologisch-psychiatrische Erkrankungen können grundsätzlich zu einer außergewöhnlichen Gehbehinderung führen. Dabei ist auf die Gehfähigkeit außerhalb von Kraftfahrzeugen und die Nutzung eines Rollstuhls auch für sehr kurze Entfernungen abzustellen (LSG Hamburg, 14.05.2019 – L 3 SB 22/17). Wird für die Zurücklegung von Gehstrecken kein Rollstuhl benötigt, liegen die Voraussetzungen des Merkzeichens aG nicht vor (LSG Sachsen-Anhalt, 15.06.2020 – L 7 SB 27/20 B ER).
Nach dem Sinn und Zweck des Nachteilsausgleichs "aG" des behinderungsbedingten Mobilitätsausgleichs und der damit verbundenen Integration schwerbehinderter Menschen in die Gesellschaft ist allein maßgeblich, in welchem Ausmaß das Gehvermögen in einer dem Schwerbehinderten fremden Umgebung eingeschränkt ist. Unerheblich ist, ob das Gehvermögen in einer vertrauten Umgebung in einem weiteren Umfang besteht (LSG Baden-Württemberg, 18.03.2021 - L 6 SB 3843/19).
Nach den Versorgungsmedizinischen Grundsätzen kommt das Merkzeichen in Frage bei Querschnittsgelähmten, Doppeloberschenkelamputierten, Doppelunterschenkelamputierten, Hüftexartikulierten und einseitig Oberschenkelamputierten, die dauernd außerstande sind, ein Kunstbein zu tragen, oder nur eine Beckenkorbprothese tragen können oder zugleich unterschenkel- oder armamputiert sind, sowie anderen schwerbehinderten Menschen, die nach versorgungsärztlicher Feststellung, auch aufgrund von Erkrankungen dem vorstehend aufgeführten Personenkreis gleichzustellen sind. Im Rahmen der Gleichstellung kommt es dabei nicht auf die allgemeine Schwere des Leidens an, sondern darauf, ob die Auswirkungen der Störung auf das Gehvermögen funktionell denen der angeführten Personengruppen gleich zu gewichten sind (vgl. BSG, 06.11.1985 - 9a RVs 7/83), so dass der Behinderte sich nur unter ebenso großen Anstrengungen wie die Angehörigen der Beispielgruppen oder nur mit fremder Hilfe fortbewegen kann (vgl. BSG, 10.12. 2002 - B 9 SB 7/01 R – siehe auch LSG Niedersachsen-Bremen, 23.02.2021 - L 10 SB 75/19).
Bei der Frage der Gleichstellung von behinderten Menschen mit Schäden an den unteren Gliedmaßen ist zu beachten, dass das Gehvermögen auf das Schwerste eingeschränkt sein muss und deshalb als Vergleichsmaßstab am ehesten das Gehvermögen eines Doppeloberschenkelamputierten heranzuziehen ist. Dies gilt auch, wenn gehbehinderte Menschen einen Rollstuhl benutzen. Es genügt nicht, dass ein solcher verordnet worden ist; die Betroffenen müssen vielmehr ständig auf den Rollstuhl angewiesen sein, weil sie sich sonst nur mit fremder Hilfe oder nur mit großer Anstrengung fortbewegen können (LSG Nordrhein-Westfalen, 14.06.2019 - L 21 SB 347/16) Als Erkrankungen der inneren Organe, die eine solche Gleichstellung rechtfertigten, seien beispielsweise Herzschäden mit schweren Dekompressionserscheinungen oder Ruheinsuffizienz sowie Krankheiten der Atmungsorgane mit Einschränkungen der Lungenfunktion schweren Grades anzusehen (die Nichtzulassungsbeschwerde wurde als unzulässig abgewiesen – BSG, 06.11.2019 – B 9 SB 54/19 B).
Das gesundheitliche Merkmal außergewöhnlicher Gehbehinderung ("aG") setzt nicht voraus, dass ein schwerbehinderter Mensch nahezu unfähig ist, sich fortzubewegen. Es reicht aus, wenn er selbst unter Einsatz orthopädischer Hilfsmittel praktisch von den ersten Schritten außerhalb seines Kfz an nur mit fremder Hilfe oder nur mit großer Anstrengung gehen kann (BSG, 10.12.2002 - B 9 SB 7/01 R).
Ein Behinderter, der an einem schwerstgradig ausgeprägten Autismussyndrom leidet und nicht in der Lage ist, Handlungen zu planen und alleine durchzuführen, ist Behinderten mit einer außergewöhnlichen Gehbehinderung i.S.v. § 229 Abs. 3 SGB IX gleichzustellen. Er hat daher Anspruch auf Erteilung des Merkzeichens "aG" (SG Gießen, 30.01.2020 – S 16 SB 110/17).
Das Merkzeichen "aG" soll es demjenigen, dessen Geh- und Fortbewegungsmöglichkeit in ungewöhnlich hohem Maße eingeschränkt ist, ermöglichen, möglichst nahe mit seinem PKW an sein Ziel heranzufahren und damit unausweichlich anfallende tatsächliche Wegstrecken soweit wie möglich zu verkürzen. Diese Wegstrecken liegen regelmäßig unter 100 Meter. Behinderte Menschen, die eine freie Gehstrecke bis zu 50 Meter zurücklegen können, aber nach einer Pause wieder weitergehen können, steht das Merkmal "aG" nicht zu. Denn insoweit ist auf die insgesamt noch zurücklegbare Strecke gegebenenfalls auch mit Pausen abzustellen (LSG Baden-Württemberg, 19.03.2002 - L 11 SB 942/01). Der Gewährung des Merkzeichens "aG" steht jedenfalls die Möglichkeit einer Fußwegstrecke von bis zu 100 Meter nicht entgegen (LSG Thüringen, 14.03.2001 - L 5 SB 672/00 u. LSG Saarland, 06.02.2001 - 5b SB 67/99).
Nachteilsausgleiche:
Unentgeltliche Beförderung im öffentlichen Personennahverkehr (Wertmarke muss gegen Gebühr bei der Versorgungsbehörde erworben werden - § 228 Abs. 2 SGB IX). Eigenbeteiligung ab 01.01.2021 91 EUR für ein Jahr, 46 EUR für ein halbes Jahr (Bekanntmachung über die Anpassung der Eigenbeteiligung für die unentgeltliche Beförderung vom 19.11.2020 [BAnz AT 30.11.2020 – B1]); zuvor: 80 EUR für ein Jahr, 40 EUR für ein halbes Jahr.
Zusätzlich: Kfz-Steuerbefreiung (§ 3a Abs. 1 KraftStG). Das Antragsrecht für die Gewährung der Vergünstigung steht nach dem Tod des Berechtigten seinen Erben zu (BFH, 10.02.2021 – IV R 38/19).
Parkerleichterungen
Unter weiteren Voraussetzungen: Steuervorteile bei Fahrten zur Arbeitsstelle und für behinderungsbedingte Privatfahrten (§§ 9 Abs. 2 S.3; 33 EStG).
Krankenfahrten zur ambulanten Behandlung mit öffentlichem Verkehrsmittel, privaten Kraftfahrzeugen, Mietwagen oder Taxi werden von der Krankenkasse übernommen, wenn sie ärztlich verordnet wurden. Festzulegen ist dabei auch unter Beachtung des Wirtschaftlichkeitsgebotes das Verkehrsmittel. Die Krankenfahrt mit einem Mietwagen oder einem Taxi ist nur dann zu verordnen, wenn der Patient aus zwingenden medizinischen Gründen öffentliche Verkehrsmittel oder ein privates Kraftfahrzeug nicht benutzen kann.
3.4 Merkzeichen "B"
Personenkreis: Das Merkzeichen erhalten schwerbehinderte Menschen, bei denen die Voraussetzungen für die Merkzeichen G, Gl oder H vorliegen und die bei der Benutzung öffentlicher Verkehrsmittel regelmäßig auf Hilfe angewiesen sind (§ 229 Abs. 2 SGB IX). Nach den Versorgungsmedizinischen Grundsätzen ist davon auszugehen bei Querschnittsgelähmten, Ohnhändern, Blinden und Sehbehinderten, Hörbehinderten, geistig behinderten Menschen und Anfallskranken, bei denen die Annahme einer erheblichen Beeinträchtigung der Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr gerechtfertigt ist (LSG Baden-Württemberg, 23.11.2018 – L 8 SB 324/18). Der Schutzbereich des Merkzeichens umfasst nur die Begleitung zwecks fremder Hilfe beim Ein- und Aussteigen bzw. während der Fahrt des Verkehrsmittels oder zum Ausgleich von Orientierungsstörungen im Zusammenhang mit der Benutzung des öffentlichen Personennahverkehrs. Damit begründet eine Begleitungsbedürftigkeit außerhalb des Einsteigens, Aussteigens, der Fahrt und der Orientierung im Zusammenhang mit der Benutzung der Verkehrsmittel des öffentlichen Personennahverkehrs - z.B. die Hilfe bei der Orientierung beim Spaziergang im Wald, beim Einkaufen und sonstigen Wegen - nicht den Feststellungsanspruch hinsichtlich des Merkzeichens "B" (LSG Baden-Württemberg, 22.03.2019 – L 8 SB 3550/18).
Die Zuerkennung des Merkzeichens B hängt nicht von der Vollendung eines bestimmten Lebensjahres ab, weil Maßstab für dieses Merkzeichen ausnahmsweise nicht der Vergleich mit gleichaltrigen, nicht behinderten Kindern ist. Vielmehr kommt es darauf an, ob die festgestellten Gesundheitsstörungen bei Erwachsenen die Zuerkennung der genannten Nachteilsausgleiche rechtfertigen würden (BSG, 12.02.1997 – 9 RVs 1/95 u. 27.08.2018 – B 9 SB 24/18 B).
Ein Behinderter mit einem Asperger-Syndrom und ADHS kann Anspruch auf eine Begleitperson im Straßenverkehr und damit auf Eintragung des Merkzeichens "B" haben, auch wenn er nicht einen GdB von 80 erreicht (SG Düsseldorf, 23.05.2019 – S 4 SB 1110/14). Es gebe keine gesetzliche Grundlage, für die Zuerkennung des Merkzeichens regelmäßig einen GdB von 80 zu fordern (ebenso: LSG Baden-Württemberg, 22.03.2019 – L 8 SB 3550/18).
Die Voraussetzungen für das Merkzeichen G sind nicht erfüllt, wenn kein hirnorganisches Anfallsleiden, sondern eine schwere Störung auf psychiatrischem Fachgebiet vorliegt. Ist die betroffene Person in der Lage, eine technische Notrufanlage zu betätigen und lediglich vereinzelt auf Hilfestellung angewiesen, liegen die Voraussetzungen für das Merkzeichen H nicht vor. Fehlt es an den Voraussetzungen für die Merkzeichen G und H, dann kann auch das Merkzeichen B nicht erteilt werden (SG Osnabrück, 15.07.2020 – S 30 SB 90/19).
Die Feststellung des Merkzeichens B ist - auch abgesehen von der hier fehlenden Voraussetzung der zugleich bestehenden Feststellung des Merkzeichens G, H oder Gl - nicht allein aufgrund des formalen Kriterium eines festgestellten GdB von 70 berechtigt, den die Klägerin zwar mit einer Sehstörung verbindet, eine derartige Feststellung einer Sehstörung jedoch (anders als der festgestellte GdB von 70) weder in Bestandskraft erwachsen ist noch überhaupt belastbar zu belegen ist (vgl. Teil D Nr. 1 f, 2 c VMG). Siehe LSG Niedersachsen-Bremen, 14.04.2021 - L 13 SB 46/20; Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision verworfen: BSG, 18.11.2021 – B 9 SB 34/21 B.
Nachteilsausgleiche:
Unentgeltliche Beförderung der Begleitperson ohne Eigenbeteiligung im öffentlichen Personennah- und Fernverkehr (§ 228 Abs. 6 SGB IX); ebenso bei den meisten innerdeutschen Flügen.
Urlaubskosten für die Begleitperson sind bis zu 767 EUR steuerlich als außergewöhnliche Belastung absetzbar, soweit es sich nicht um den Ehegatten handelt (§ 33 EStG; BFH, 04.07.2002 – III R 58/98).
Unter weiteren Voraussetzungen: Parkerleichterungen.
3.5 Merkzeichen "RF"
Personenkreis:
Schwerbehinderte Menschen, die ständig von öffentlichen Veranstaltungen ausgeschlossen sind. Dazu gehören:
Blinde oder wesentlich sehbehinderte Menschen mit einem GdB von wenigstens 60 alleine für die Sehbehinderung, die nicht vorübergehend ist;
Hörgeschädigte, wenn eine ausreichende Verständigung über das Gehör auch mit Hörhilfen nicht möglich ist (GdB für die Hörbehinderung wenigstens 50);
Behinderte mit einem nicht nur vorübergehenden GdB von mindestens 80, wenn der Betroffene aufgrund seines Leidens an öffentlichen Veranstaltungen nicht teilnehmen kann.
Nach einer Entscheidung des LSG Baden-Württemberg ist es mit dem Inklusionsgedanken nicht vereinbar, behinderte Menschen allein deshalb von öffentlichen Veranstaltungen gänzlich auszuschließen, weil diese sichtbar anders sind oder durch unwillkürliche Lautäußerungen auffallen; vielmehr muss die Allgemeinheit diese krankheitsbedingten Störungen akzeptieren und hinnehmen, um einer Diskriminierung entgegenzuwirken. Daher liegen die Voraussetzungen des Merkzeichens RF nicht vor bei einer inkompletten Halbseitenlähmung und einer Sprachstörung als Folgen eines Schlaganfalls (LSG Baden-Württemberg, 18.02.2021 - L 6 SB 3623/20 - Nichtzulassungsbeschwerde als unzulässig verworfen: BSG, 18.08.2021 – B 9 SB 23/21 B).
Eine behinderte Person, die nicht bettlägerig ist und sich in der Wohnung tagsüber in einem Rollstuhl aufhält, hat keinen Anspruch auf Anerkennung des Merkzeichens RF. Dies gilt, wenn die Person jedenfalls für die Dauer von ein bis zwei Stunden – auch während einer Veranstaltung - im Rollstuhl sitzen kann, wenn der Transport erfolgt und bewerkstelligt ist. Die konkrete Wohnsituation bleibt bei der Beurteilung der Voraussetzungen für das Merkzeichen "RF" außer Betracht. Das gilt ebenso für die Frage, ob gegebenenfalls eine Hilfsperson für den Transport zur Verfügung steht (LSG Hamburg, 13.07.2021 - L 3 SB 9/20).
Nachteilsausgleiche:
Teilweise oder vollständige Befreiung von der Rundfunkgebühr (§ 4 Abs. 1 und 2 Rundfunkbeitragsstaatsvertrag).
Ermäßigung bei Telefongebühren (Telekom).
Voraussetzung für Behinderte mit einem nicht nur vorübergehenden GdB von mindestens 80 ist, dass der der Betroffene wegen seiner Leiden ständig, d. h allgemein und umfassend, vom Besuch von Zusammenkünften politischer, künstlerischer, wissenschaftlicher, kirchlicher, sportlicher, unterhaltender oder wirtschaftlicher Art ausgeschlossen ist. Es genügt nicht, dass er nur an einzelnen Veranstaltungen, etwa Massenveranstaltungen, nicht teilnehmen kann; vielmehr muss er praktisch an das Haus bzw. an die Wohnung gebunden sein (LSG Bayern, 14.11.2018 – L 18 SB 139/18 u. L 18 SB 84/18 - vgl. auch BSG, 12.02.1997 - 9 RVs 2/96 m.w.N). Maßgeblich ist bei dieser Frage allein die Möglichkeit der körperlichen Teilnahme, gegebenenfalls mit technischen Hilfsmitteln, z.B. einem Rollstuhl, und / oder mit Hilfe einer Begleitperson (vgl. BSG, 03.06.1987 - 9a RVs 27/85). Ein Ausschluss aus anderen als behinderungsbedingten Gründen begründet das Vorliegen der gesundheitlichen Voraussetzungen des Merkzeichens RF nicht (LSG Bayern, 14.11.2018 - a.a.O.). Ein Anspruch auf Zuerkennung des Merkzeichens besteht nicht allein wegen der Zugehörigkeit zur einer COVID-19-Risikogruppe (SG Osnabrück, 07.12.2020 – S 30 SG 245/18 – Berufung beim LSG Niedersachsen-Bremen unter dem Az.: L 13 SB 4/21 anhängig).
3.6 Merkzeichen "Bl"
Personenkreis: Das Merkzeichen "Bl" ist im Schwerbehindertenausweis einzutragen, wenn der schwerbehinderte Mensch blind i.S.v. § 72 Abs. 5 SGB XII ist. Blind ist derjenige, dem das Sehvermögen völlig fehlt oder dessen beidäugige Gesamtsehschärfe nicht mehr als ein Fünfzigstel beträgt oder bei denen dem Schweregrad dieser Sehschärfe gleichzuachtende, nicht nur vorübergehende Störungen des Sehvermögens vorliegen. Zweifel an dem Erfüllen der Tatbestandsvoraussetzungen gehen zulasten des Antragstellers (BSG, 31.01.1995 - 1 RS 1/93). Bei einem verbliebenen Visus von 0,05 und fehlender Nachweisbarkeit einer zusätzlichen erheblichen Sehstörung (hier: Gesichtsfeldausfall wegen eines ausgeprägten Nystagmus nicht genau feststellbar) können die Voraussetzungen für das Merkzeichen "Bl" nicht festgestellt werden (LSG Baden-Württemberg, 18.06.2021 - L 8 SB 2072/20).
Auch schwerst Hirngeschädigte, die keine visuelle Wahrnehmung haben, können Anspruch auf Blindengeld haben. Bei cerebralen Störungen ist Blindheit auch anzunehmen, wenn der Betroffene nichts sieht, obwohl keine spezifische Sehstörung nachweisbar ist (BSG, 14.06.2018 – B 9 BL 1/17 R). Das BSG hat die Angelegenheit an das LSG zur Nachholung von Tatsachenfeststellungen zurückverwiesen. Es ging um die Frage, ob einer Frau, die an einer schweren Alzheimer-Demenz leidet und deshalb Sinneseindrücke kognitiv nicht mehr verarbeiten kann, Blindengeld nach dem Bayerischen Blindengesetz (BayBlindG) zusteht. Das LSG Bayern hat daraufhin entschieden, dass kein Anspruch auf Blindengeld besteht. Die Klägerin sei zwar blind i.S.d. BayBlindG. Der Beklagte habe jedoch mit Erfolg den anspruchsvernichtenden Einwand der Zweckverfehlung des BayBlindG erhoben, da das konkrete Krankheitsbild der Klägerin blindheitsbedingte Aufwendungen (in ihrer Situation) von vornherein ausschließe (LSG Bayern, 11.02.2020 - L 15 BL 9/14 u. 28.07.2020 – L 15 BL 2/17; Nichtzulassungsbeschwerde als unzulässig verworfen: BSG, 08.03.2021 – B 9 BL 3/20 B).
Dagegen reicht die Unfähigkeit zur Sinneswahrnehmung, die aus einer visuellen Agnosie oder anderen gnostischen Störungen resultiert, nicht zur Annahme von Blindheit nach Teil A Nr. 6 der Anlage zur VersMedV. Behinderungen und ebenso die gesundheitlichen Merkzeichen werden im Schwerbehindertenrecht unter ausschließlich medizinischen Gesichtspunkten getrennt nach Organ- und Funktionseinheiten erfasst und anschließend insgesamt in ihren Auswirkungen auf die Teilhabe bewertet. Blindheit ist danach beschränkt auf Störungen des Sehapparates und erfasse keine gnostischen – neuropsychologischen – Störungen des visuellen Erkennens (BSG, 24.10.2019 – B 9 SB 1/18 R). Das BSG hat den Rechtsstreit zur Nachholung von Tatsachenfeststellungen an das LSG zurückverwiesen. Bei einer schweren globalen kortikalen Schädigung, die die höheren Hirnleistungen beeinträchtigt und dadurch die Verarbeitung von optischen Reizen verhindert, besteht keine Blindheit i.S. der einschlägigen Regelungen, wenn keine Schädigung des Sehapparates vorliegt. Wie in Teil A Nr. 6 c der Anlage zu § 2 der VersMedV klar formuliert, führt eine visuelle Agnosie (Seelenblindheit) nicht zu der Annahme von Blindheit (LSG Niedersachsen-Bremen, 10.02.2021 - L 5 SB 138/17).
Eine rein psychogene Blindheit erfüllt weder nach der älteren, noch der zwischenzeitlichen, noch der aktuellen Rechtsprechung des Bundessozialgerichts die gesundheitlichen Voraussetzungen des Merkzeichens "Bl". Es handelt sich weder um eine Störung des Erkennen-Könnens, noch um eine die Sehfähigkeit betreffende cerebrale Störung und erst recht nicht um eine organische Störung des Sehapparates (LSG Nordrhein-Westfalen, 19.06.2020 - L 13 SB 385/14).
Ein Anspruch auf Blindengeld nach dem Landesrecht Baden-Württemberg (Blindenhilfegesetz) ist kein übergangsfähiges Recht i.S.v. § 56 SGB I, und daher nicht vererblich. Es wird nicht Bestandteil einer Erbschaft, die mit dem Erbfall auf die Erben übergeht (LSG Baden-Württemberg, 13.09.2018 – L 7 SO 4186/16).
Kein Anspruch auf Blindengeld nach dem BayBlindG besteht, wenn lediglich auf einem Auge eine Sehbehinderung vorliegt bei im Wesentlichen unverminderter Sehfähigkeit auf dem anderen Auge. Auch eine analoge Anwendung oder eine erweiternde Auslegung hinsichtlich anderer Behinderungen des BayBlindG scheidet aus. Die Beschränkung der Blindengeldleistungen auf blinde (und hochgradig sehbehinderte) Menschen und der Ausschluss des Klägers von solchen Leistungen verstoßen weder gegen das verfassungsrechtliche Benachteiligungs- noch gegen das konventionsrechtliche Diskriminierungsverbot. Gleiches gilt für die Vereinbarkeit mit dem allgemeinen Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG, LSG Bayern, 09.01.2018 – 15 BL 10/17). Der Versorgungsverwaltung steht der anspruchsvernichtende Einwand der Zweckverfehlung zu, wenn bestimmte Krankheitsbilder blindheitsbedingte Aufwendungen von vornherein ausschließen, weil der Mangel an Sehvermögen krankheitsbedingt durch keinerlei Maßnahmen auch nicht anteilig ausgeglichen werden kann (LSG Bayern, 26.11.2019 - L 15 BL 2/19); 11.02.2020 – L 15 BL 9/14 – Nichtzulassungsbeschwerde als unzulässig verworfen: BSG, 26.10.2020 – B 9 BL 2/20 B. Dementsprechend hat das LSG Bayern festgestellt, dass der Zweck des Blindengeldes verfehlt wird, wenn ein blindheitsbedingter Aufwand aufgrund der Eigenart des Krankheitsbildes des Betroffenen gar nicht erst entstehen kann (LSG Bayern, 12.11.2019 – L 15 BL 1/12). Dafür trägt die entscheidende Behörde die Darlegungs- und Beweislast (LSG Bayern, 06.10.2020 – L 15 BL 6/19). Der Einsatz eines aus bayerischem Landespflegegeld angesparten Vermögens für die Aufwandsentschädigung und Vergütung eines Betreuers stellt für den Betreuten eine Härte i.S.v. § 90 Abs. 3 Satz 1 SGB XII dar. Daher muss das Vermögen nicht für die Bezahlung des Betreuers eingesetzt werden (BGH, 15.09.2021 - XII ZB 307/21).
Nach § 3 Abs. 2 des Gesetzes über die Hilfen für Blinde und Gehörlose (GHBG) Nordrhein-Westfalen vom 25.11.1997 werden Leistungen der Pflegeversicherung teilweise auf das Blindengeld angerechnet. Daher ist eine rückwirkende Aufhebung des Bewilligungsbescheides über das Blindengeld zulässig, wenn der Bezug der Leistungen der Pflegeversicherung grob fahrlässig nicht mitgeteilt wird (VG Aachen, 19.02.2019 – 2 K 6327/17). Anspruch auf Blindengeld kann auch ein in Spanien wohnender deutscher Staatsangehöriger haben, der Rentenleistungen aus der deutschen Rentenversicherung bezieht (OVG Nordrhein-Westfalen, 20.12.2019 – 12 B 108/19). Dies ergebe sich aus der Verordnung (EG) Nr. 883/2004, nach der Landesblindengeld exportierbar sei.
Ein Anspruch auf Blindengeld nach dem SächsBlindG besteht nicht, die Leistung ihren Zweck verfehlt. Dies ist der Fall, wenn der Mangel an Sehvermögen krankheitsbedingt durch keinerlei Maßnahmen ausgeglichen werden kann (LSG Sachsen, 22.07.2021 – L 9 BL 7/20). Bei der schweren Mehrfachschädigung der Klägerin sei ein blindheitsbedingter Mehraufwand nicht gegeben, auch wenn das Krankheitsbild keine dauernde Bewusstlosigkeit oder Koma darstelle (Nichtzulassungsbeschwerde als unzulässig verworfen: BSG, 31.01.2022 - B 9 BL 3/21 B).
Eine früher in Deutschland lebende Rentnerin erhält auch dann deutsches Blindengeld, wenn sie inzwischen in einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union wohnt. Nach dem EU-Recht handelt es sich um eine Geldleistung bei Krankheit; daher ist das Blindengeld grundsätzlich grenzüberschreitend exportierbar (BSG, 10.06.2021 –B 9 BL 1/20 R).
Nachteilsausgleiche:
Unentgeltliche Beförderung im öffentlichen Nahverkehr (Wertmarke gibt es kostenlos bei der Versorgungsbehörde (§ 228 Abs. 4 Nr. 1 SGB IX).
Befreiung von der Kfz-Steuer (§ 3a Abs. 1 KraftStG). Das Antragsrecht für die Gewährung der Vergünstigung steht nach dem Tod des Berechtigten seinen Erben zu (BFH, 10.02.2021 – IV R 38/19).
Befreiung oder Ermäßigung bei der Rundfunkgebühr (§ 4 Abs. 1 und 2 Rundfunkbeitragsstaatsvertrag).
Parkerleichterungen.
Erhöhter steuerlicher Freibetrag von 3.700 EUR jährlich.
Krankenfahrten zur ambulanten Behandlung mit öffentlichem Verkehrsmittel, privaten Kraftfahrzeugen, Mietwagen oder Taxi werden von der Krankenkasse übernommen, wenn sie ärztlich verordnet wurden. Festzulegen ist dabei auch unter Beachtung des Wirtschaftlichkeitsgebotes das Verkehrsmittel. Die Krankenfahrt mit einem Mietwagen oder einem Taxi ist nur dann zu verordnen, wenn der Patient aus zwingenden medizinischen Gründen öffentliche Verkehrsmittel oder ein privates Kraftfahrzeug nicht benutzen kann.
Blindengeld nach landesrechtlichen Vorschriften.
3.7 Merkzeichen "H"
Personenkreis: Das Merkzeichen "H" wird bei schwerbehinderten Menschen eingetragen, die hilflos i.S.v. § 33b EStG sind. Nach § 33b Abs. 6 Satz 2 EStG ist hilflos eine Person, wenn sie eine Reihe von häufig und regelmäßig wiederkehrenden Verrichtungen zur Sicherung ihrer persönlichen Existenz im Ablauf eines jeden Tages dauernd fremder Hilfe bedarf. Davon ist auszugehen, wenn bei einem benötigten täglichen Zeitaufwand von mindestens zwei Stunden bei mindestens drei Verrichtungen des täglichen Lebens Hilfeleistungen erforderlich sind (BSG, 27.12.2018 – B 9 SB 5/18 BH). Nicht hilflos ist, wer nur in relativ geringem Umfang, täglich etwa eine Stunde, auf fremde Hilfe angewiesen ist; auch bei einem Überschreiten dieser Mindestgrenze ist nicht in jedem Fall Hilflosigkeit zu bejahen. Bei der Bemessung des notwendigen Zeitaufwandes ist nicht allein auf den zeitlichen Betreuungsaufwand abzustellen; vielmehr kommt auch weiteren Umständen der Hilfeleistung, insbesondere deren wirtschaftlichem Wert, Bedeutung zu (LSG Niedersachsen-Bremen, 10.04.2019 - L 10 SB 111/17). Die Voraussetzungen sind auch erfüllt, wenn die Hilfe in Form einer Überwachung oder einer Anleitung zu den oben genannten Verrichtungen erforderlich ist oder wenn die Hilfe zwar nicht dauernd geleistet werden muss, jedoch eine ständige Bereitschaft zur Hilfeleistung erforderlich ist (§ 33b Abs. 6 Satz 4 EStG). Eine Person, die in der Lage ist, eine technische Notrufanlage zu bedienen und lediglich vereinzelt auf Hilfestellung angewiesen ist, erfüllt nicht die Voraussetzungen für die Zuerkennung des Merkzeichens H (SG Osnabrück, 15.07.2020 – S 30 SB 90/19).
Bei Kindern und Jugendlichen kann im Vergleich zu Erwachsenen mit derselben Erkrankung selbst bei einem gleich bleibenden Krankheitsverlauf die Annahme des Merkzeichens H gerechtfertigt sein, weil nicht nur die Anleitung zu den maßgebenden Verrichtungen, sondern auch die Förderung der körperlichen und geistigen Entwicklung sowie die notwendige Überwachung zu den berücksichtigungsfähigen Hilfeleistungen gehört (Teil A Nr. 5a Versorgungsmedizinische Grundsätze). Die Besonderheiten des Kindesalters führen dazu, dass zwischen dem Ausmaß der Behinderung und dem Umfang der wegen der Behinderung erforderlichen Hilfeleistungen nicht immer eine Korrelation besteht, so dass, anders als bei Erwachsenen, auch schon bei niedrigeren GdB-Werten Hilflosigkeit vorliegen kann (LSG Nordrhein-Westfalen, 11.10.2019 - L 13 SB 289/18). Die Sonderregelungen enden mit Erreichen der Volljährigkeit. Von da an sind die allgemeinen gesetzlichen Vorschriften (wie § 33b Abs. 6 S. 3 und 4 EStG und Teil A Nr. 4 der Versorgungsmedizinischen Grundsätze) zum Nachteilsausgleich anzuwenden (SG Karlsruhe, 26.05.2020 – S 11 SB 2572/18). Die Voraussetzungen nach § 48 Abs. 1 S. 1 SGB X für die Aberkennung des Merkzeichens H können bereits mit Vollendung des 16. Lebensjahres vorliegen, wenn der Bewilligungsbescheid im Alter von neun Jahren erlassen wurde und bei der Diabetikerin eine Therapie mittels Insulinpumpe durchgeführt wird (LSG Nordrhein-Westfalen, 20.05.2021 – L 6 SB 242/20. Nichtzulassungsbeschwerde als unzulässig verworfen: BSG, 22.12.2021 – B 9 SB 56/21 B).
Nachteilsausgleiche:
Unentgeltliche Beförderung im öffentlichen Nahverkehr (Wertmarke gibt es kostenlos bei der Versorgungsbehörde - § 228 Abs. 4 Nr. 1 SGB IX).
Kfz-Steuerbefreiung (§ 3a Abs. 1 KraftStG). Das Antragsrecht für die Gewährung der Vergünstigung steht nach dem Tod des Berechtigten seinen Erben zu (BFH, 10.02.2021 – IV R 38/19).
Steuerlicher Pauschbetrag in Höhe von 3.700 EUR (§ 33b Abs. 3 EStG).
Krankenfahrten zur ambulanten Behandlung mit öffentlichem Verkehrsmittel, privaten Kraftfahrzeugen, Mietwagen oder Taxi werden von der Krankenkasse übernommen, wenn sie ärztlich verordnet wurden. Festzulegen ist dabei auch unter Beachtung des Wirtschaftlichkeitsgebotes das Verkehrsmittel. Die Krankenfahrt mit einem Mietwagen oder einem Taxi ist nur dann zu verordnen, wenn der Patient aus zwingenden medizinischen Gründen öffentliche Verkehrsmittel oder ein privates Kraftfahrzeug nicht benutzen kann.
Soll ein Merkzeichen H wieder entzogen werden, muss der ursprüngliche Bescheid, mit dem das Merkzeichen zuerkannt wurde, aufgehoben werden. Wird dies nicht getan, ist der spätere Bescheid über den Entzug rechtswidrig und daher unwirksam (LSG Niedersachsen, 26.09.2018 – L 13 SB 89/16).
3.8 Merkzeichen "Gl"
Personenkreis: Das Merkzeichen erhalten schwerbehinderte Menschen, die gehörlos sind. Dazu gehören nach den Versorgungsmedizinischen Grundsätzen nicht nur Hörbehinderte, bei denen Taubheit beiderseits vorliegt, sondern auch Hörbehinderte mit einer an Taubheit grenzenden Schwerhörigkeit beiderseits, wenn daneben schwere Sprachstörungen (schwer verständliche Lautsprache, geringer Sprachschatz) vorliegen. Das sind in der Regel Hörbehinderte, bei denen die an Taubheit grenzende Schwerhörigkeit angeboren oder in der Kindheit erworben worden ist.
Durch die Einführung des Nachteilsausgleichs "Gl" ist der Gehörlose nicht dem Blinden, dem der Nachteilsausgleich "Bl" zuerkannt wird, in allen Vergünstigungen gleichgestellt worden. Darin liegt aber keine Verletzung des Gleichheitssatzes nach Art. 3 GG (LSG Hessen, 20.06.2002 - L 5 SB 528/01). Manche Landesblindengeldgesetze (z.B. in Sachsen) sehen auch Leistungen an Gehörlose vor.
Nachteilsausgleiche:
Unentgeltliche Beförderung im öffentlichen Nahverkehr (Wertmarke muss gegen Gebühr bei der Versorgungsbehörde erworben werden). Eigenbeteiligung ab 01.01.2021 91 EUR für ein Jahr, 46 EUR für ein halbes Jahr (Bekanntmachung über die Anpassung der Eigenbeteiligung für die unentgeltliche Beförderung vom 19.11.2020 [BAnz AT 30.11.2020 – B1]); zuvor: 80 EUR für ein Jahr, 40 EUR für ein halbes Jahr.
Alternativ kann statt der unentgeltlichen Beförderung die Kfz-Steuer ermäßigt werden (§ 3a Abs. 2 Kraftfahrzeugsteuergesetz (KraftStG). Das Antragsrecht für die Gewährung der Vergünstigung steht nach dem Tod des Berechtigten seinen Erben zu (BFH, 10.02.2021 – IV R 38/19).
Unter weiteren Voraussetzungen: Steuervorteile bei Fahrten zur Arbeitsstelle und für behinderungsbedingte Privatfahrten (§§ 9 Abs. 2 S.3; 33 EStG).
Ermäßigung bei den Rundfunkgebühren.
Sozialtarif beim Telefon (Telekom).
3.9 1 Kl.
Personenkreis: Das Merkzeichen wird in den Schwerbehindertenausweis eingetragen, wenn die im Verkehr mit Eisenbahnen tariflich festgelegten gesundheitlichen Voraussetzungen für die Benutzung der 1. Wagenklasse mit dem Fahrausweis für die 2. Wagenklasse erfüllt sind. Dies ist nach den einschlägigen Regelungen nur der Fall, wenn der Betroffene zu den Versorgungsempfängern nach dem Bundesversorgungsgesetz oder dem Bundesentschädigungsgesetz zählt. Voraussetzung ist, dass eine Minderung der Erwerbsfähigkeit von mindesten 70 v. H. vorliegt und eine ständige Unterbringung in der ersten Klasse erforderlich ist. Zivilblinde gehören nicht zu diesem eng begrenzten Personenkreis (BSG, 07.11.2018 – B 9 SB 2/18 BH).
Nachteilsausgleich: Benutzung der 1. Klasse mit einer Fahrkarte der 2. Klasse.
3.10 TBI
Personenkreis: Schwerbehinderte Menschen, die wegen einer Störung der Hörfunktion mindestens einen GdB von 70 und wegen einer Störung des Sehvermögens einen GdB von 100 haben. Merkzeichen dient dem Nachweis der Taubblindheit.
Nachteilsausgleiche: Keine Nachteilsausgleiche vorgesehen. Diese ergeben sich aus den ggf. daneben eingetragenen Merkzeichen, wie Gl oder Bl.
4. Altersrente
Versicherte haben Anspruch auf eine Altersrente, wenn sie
das 65. Lebensjahr vollendet haben,
bei Beginn der Altersrente als schwerbehinderter Mensch i.S.v. § 2 Abs. 2 SGB IX anerkannt sind und
die Wartezeit von 35 Jahren erfüllt haben. Auf die Wartezeit anrechenbar sind neben Beitragszeitenzeiten z.B. auch Kindererziehungszeiten, Krankheitszeiten und Schulzeiten
Diese Rente kann unter bestimmten Voraussetzungen vorzeitig in Anspruch genommen werden.
Bei Bezug der Altersrente für schwerbehinderte Menschen können deutsche, französische und serbische Versicherungszeiten kumulativ berücksichtigt werden (LSG Baden-Württemberg, 23.10.2018 – L 11 R 1005/17).
5. Krankenversicherung
Schwerbehinderte Menschen i.S.d. SGB IX können einer Krankenkasse beitreten, wenn sie, ein Elternteil, ihr Ehegatte oder ihr Lebenspartner in den letzten fünf Jahre vor dem Beitritt mindestens drei Jahre versichert waren (§ 9 Abs. 1 S. 1 Nr. 4 SGB V). Die Vorversicherungszeit entfällt, wenn sie behinderungsbedingt nicht erfüllt werden konnte.
Die Satzung der Krankenkasse kann das Recht zum Beitritt von einer Altersgrenze abhängig machen. Dies verstößt nicht gegen höherrangiges Recht (LSG Baden-Württemberg, 22.03.2019 – L 4 KR 2182/18).
Eine Familienversicherung für Kinder besteht nach § 10 Abs. 2 Nr. 4 SGB V ohne Altersgrenze, wenn sie als Menschen mit Behinderung i.S.v. § 2 Abs. 1 S 1 SGB IX außer Stande sind, sich selbst zu unterhalten. Voraussetzung dafür ist, dass die Behinderung innerhalb der sonst maßgebenden Altersgrenzen für die Familienversicherung (Vollendung des 18., unter weiteren Voraussetzungen des 23. oder 25. Lebensjahres; ggf. mit Verlängerung wegen Erfüllung einer gesetzlichen Dienstpflicht) vorgelegen hat. Ein Kind ist i.S.d. § 10 Abs. 2 Abs. 3 SGB V unfähig, sich selbst zu unterhalten, wenn es seinen eigenen Lebensunterhalt einschließlich notwendiger Aufwendungen infolge der Behinderung nicht selbst bestreiten kann, insbesondere, wenn es infolge der Behinderung nicht in der Lage ist, eine Erwerbstätigkeit in gewisser Regelmäßigkeit auszuüben und mehr als nur geringe Einkünfte zu erzielen Dies kann der Fall sein bei einer anlagebedingten Fehlbildung beider Hände i.V.m. einer posttraumatischen Belastungsstörung (LSG Berlin-Brandenburg, 01.10.2020 - L 28 KR 373/18).
Siehe auch