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Welche Fragen Arbeitgeber auch zum Thema Sozialversicherungsrecht bewegen: Die Rechtsdatenbank der AOK liefert die Antworten – einfach, fundiert und topaktuell.

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Arbeitsunfähigkeit - Versetzung- Kündigung
Arbeitsunfähigkeit - Versetzung- Kündigung
Inhaltsübersicht
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Information
1. Allgemeines
Oft kann ein Mitarbeiter noch arbeiten, ist aber auf Dauer aus gesundheitlichen Gründen den Anforderungen seiner bisherigen Tätigkeit nicht mehr gewachsen oder verletzt durch die eingeschränkte Leistungsfähigkeit arbeitsvertragliche Pflichten. Welche Möglichkeiten der Betrieb dann hat, ist im Folgenden erläutert.
2. Versetzung
Ist eine Beschäftigung auf dem bisherigen Arbeitsplatz nicht mehr möglich, ist zuerst die Frage einer Versetzung zu prüfen.
2.1 Begriff
Nach § 95 Abs. 3 BetrVG ist eine Versetzung die Zuweisung eines anderen Arbeitsbereiches, die voraussichtlich die Dauer eines Monats überschreitet oder die mit einer erheblichen Änderung der Umstände verbunden ist, unter denen die Arbeit zu leisten ist. Es handelt sich um eine durch den Arbeitgeber vorgenommene einseitige Änderung des Arbeitsbereichs, den dieser im Rahmen seines Direktionsrechts (§ 106 GewO) neu festlegt. Dabei liegt die Zuweisung eines anderen Arbeitsbereiches vor, wenn sich das Gesamtbild der bisherigen Tätigkeit des Arbeitnehmers so verändert hat, dass die neue Tätigkeit vom Standpunkt eines mit den betrieblichen Verhältnissen vertrauten Beobachters als eine andere anzusehen ist (BAG, 17.06.2008 - 1 ABR 38/07). Der "Arbeitsbereich" in diesem Sinne wird nach der BAG-Entscheidung durch die Aufgabe und Verantwortung des Arbeitnehmers sowie die Art seiner Tätigkeit und ihre Einordnung in den Arbeitsablauf des Betriebes umschrieben (vgl. § 81 Abs. 2 i.V.m. Abs. 1 Satz 1 BetrVG). Der Begriff bezieht sich also sowohl auf die Art (funktionale Ebene) wie auch auf den Ort der Tätigkeit (räumliche Ebene). Die Zuweisung des Arbeitnehmers an einen anderen, 12 Km entfernten Standort in der gleichen Gemeinde ist bei inhaltlich unveränderter Tätigkeit als Versetzung anzusehen (LAG Nürnberg, 10.05.2021 – 1 TaBV 3/21).
Eine Versetzung stellt sich individualrechtlich als die schuldrechtliche Befugnis des Arbeitgebers dar, dem Arbeitnehmer eine andere Tätigkeit zuzuweisen. Sie unterscheidet sich in tatsächlicher Hinsicht von der Erstzuweisung einer Tätigkeit dadurch, dass ihr auf der Grundlage eines bestehenden Arbeitsvertrages eine ehemalige Tätigkeit vorausgehen und eine neu zugewiesene Tätigkeit nachfolgen muss (LAG Hamm, 12.02.2021 - 1 Sa 1173/20).
Werden in einem Callcenter eines Postdienstleisters unter strikter organisatorischer Trennung einerseits Geschäftskunden und andererseits Privatkunden betreut, kann die Umsetzung von dem einen in den anderen Bereich eine Versetzung i.S.d. § 95 Abs. 3 BetrVG darstellen (LAG Düsseldorf, 31.01.2018 – 4 TaBV 113/16).
Wird der Arbeitnehmer nach dem Wegfall seines Arbeitsplatzes aus dem darauf bezogenen operativen Betriebsprozess herausgenommen und der "Betreuung" einer beim Arbeitgeber gebildeten betrieblichen Einheit unterstellt, in der er sich aktiv an der Vermittlung auf einen neuen Arbeitsplatz zu beteiligen hat und auf Anforderung temporäre Projekteinsätze sowie die zu seiner Weitervermittlung erforderlichen Qualifizierungsmaßnahmen durchführen muss, liegt eine nach § 99 Abs. 1 BetrVG zustimmungspflichtige Versetzung i.S.v. § 95 Abs. 3 BetrVG vor (BAG, 09.04.2019 – 1 ABR 30/17).
Wird einem Mitarbeiter, der bisher als Springer in verschiedenen Abteilungen einer Lackiererei tätig war, ein fester Arbeitsplatz zugewiesen, liegt eine Versetzung vor, die nach § 99 Abs. 1 i.V. m. § 95 Abs. 3 BetrVG der Mitbestimmung des Betriebsrates unterliegt (LAG Hamm, 07.11.2019 – 13 TaBV 44/19).
Der Arbeitgeber ist aufgrund des § 106 GewO berechtigt, die Tätigkeit im Home-Office durch Weisung zu beenden. Eine die Dauer von einem Monat überschreitende Zuordnung eines in einem Home Office tätigen Arbeitnehmers zu einem neuen Dienstort ist auch dann eine mitbestimmungspflichtige Versetzung, wenn der Inhalt seiner Tätigkeit, sein Arbeitsort in seinem Home Office und die Person seines Fachvorgesetzten unverändert bleiben (LAG Hessen, 14.01.2020 - 4 TaBV 5/19; Rechtsbeschwerde aus prozessualen Gründen nicht erfolgreich: BAG, 22.09.2021 – 7 ABR 13/20). So auch das LAG Köln: Bei dem von der Arbeitgeberin beabsichtigten Widerruf der alternierenden Telearbeit handelt es sich um eine Versetzung i.S.d. §§ 99 Abs. 1, 95 Abs. 3 BetrVG, denn die Einbindung des Arbeitnehmers in den Betriebsablauf und die Aufgabenerfüllung ist auch bei teilweiser Telearbeit aufgrund von deren Besonderheiten eine völlig andere als ohne Telearbeit, so dass sich bei der Beendigung der Telearbeit das Bild der Tätigkeit grundsätzlich ändert (LAG Köln, 14.08.2020 - 9 TaBV 11/20).
Keine Versetzung liegt vor, wenn ein Bühnenmitarbeiter innerhalb des gleichen Theaters in einen anderen Bühnenbereich wechselt. Daher besteht kein Mitbestimmungsrecht (LAG Rheinland-Pfalz, 24.06.2019 - 3 TaBV 30/18).
Ebenfalls keine Versetzung liegt vor, wenn einzelne Filialen aus einem Betrieb ausgegliedert werden und der Arbeitnehmer gleichzeitig zu einem anderen Betrieb des Arbeitgebers zugeordnet wird (LAG Berlin-Brandenburg, 02.09.2020 - 15 TaBVGa 883/20).
2.2 Zulässigkeit
2.2.1 Direktionsrecht des Arbeitgebers
Eine Versetzung ist nur im Rahmen der arbeitsvertraglichen Regelungen möglich. Der Arbeitgeber kann nach § 106 GewO Inhalt, Ort und Zeit der Arbeitsleistung nach billigem Ermessen (§ 315 BGB) näher bestimmen, soweit nicht arbeits- oder tarifvertragliche, gesetzliche oder in einer Betriebsvereinbarung enthaltene Vorschriften entgegenstehen. Im Einzelfall ist daher zu prüfen, wie weit das Versetzungsrecht des Arbeitgebers reicht. Er trägt im Arbeitsgerichtsverfahren die Darlegungs- und Beweislast dafür, dass die rechtlichen Voraussetzungen für die Versetzung vorliegen (LAG Rheinland-Pfalz, 19.12.2018 – 7 Sa 99/18). Dazu gehört auch, dass er darlegt und gegebenenfalls beweist, dass seine Entscheidung billigem Ermessen entspricht (vgl. BAG, 10.07.2013 - 10 AZR 915/12; BAG, 21.07.2009 - 9 AZR 378/08 u. LAG Köln, 20.08.2021 - 10 Sa 210/20). Alleine die Nichtausübung des Direktionsrechts über einen längeren Zeitraum schafft regelmäßig keinen Vertrauenstatbestand dahingehend, dass der Arbeitgeber von seinem Recht in Zukunft keinen Gebrauch machen will (LAG Rheinland-Pfalz, 05.11.2019 – 8 Sa 28/19 u. LAG München, 26.08.2021 – 3 SaGa 13/21).
Bei der Prüfung der Wirksamkeit einer Versetzung ist durch Auslegung der Inhalt der vertraglichen Regelungen unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls zu ermitteln. Festzustellen ist, ob ein bestimmter Tätigkeitsinhalt und Tätigkeitsort vertraglich festgelegt sind und welchen Inhalt ein gegebenenfalls vereinbarter Versetzungsvorbehalt hat (LAG Berlin-Brandenburg, 02.10.2019 - 20 Sa 264/19). Eine Versetzung ist insbesondere möglich, wenn die vom Arbeitnehmer zu erbringende Arbeitsleistung im Arbeitsvertrag nur rahmenmäßig umschrieben ist (BAG, 14.10.2020 – 5 AZR 649/19).
Das Direktionsrecht des Arbeitgebers kann arbeitsvertraglich eingeschränkt werden. Eine nachträgliche vertragliche Beschränkung des Direktionsrechts muss jedoch - wie jeder Rechtsverzicht - eindeutig erklärt werden. Allein das Einvernehmen zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer bei der Zuweisung von Arbeitsaufgaben stellt nicht schon stets eine Vertragsänderung dar (LAG Rheinland-Pfalz, 19.05.2020 - 8 SaGa 1/20).
Teilweise enthalten auch Tarifverträge Versetzungsklauseln. Solche tarifvertraglichen Regelungen können das Direktionsrecht des Arbeitgebers einschränken. Sie sind ggf. vorrangig vor Betriebsvereinbarungen und Sozialplänen anzuwenden (LAG Berlin-Brandenburg, 20.04.2018 – 6 Sa 1586/17). Durch eine tarifvertragliche Klausel kann das Direktionsrecht des Arbeitgebers aber auch erweitert werden: Aus einer tariflichen Regelung, wonach die Vereinbarung alternierender Telearbeit von beiden Seiten mit einer Frist von drei Monaten zum Monatsende ohne Angabe von Gründen widerrufen werden kann, ergibt sich, dass die Arbeitgeberin keine Ermessens- und Billigkeitserwägungen bei der individuellen Ausübung des Widerrufsrechts einhalten muss (LAG Köln, 14.08.2020 - 9 TaBV 11/20). Das BAG hat im Rahmen des Revisionsverfahrens bestätigt, dass es sich um eine mitbestimmungspflichtige Versetzung handelt, wenn eine Arbeitnehmerin auf unabsehbare Zeit und damit länger als einen Monat nicht mehr in alternierender Telearbeit an ihrem häuslichen Arbeitsplatz, sondern vollständig in der Betriebsstätte der Arbeitgeberin eingesetzt werden soll (BAG, 20.10.2021 - 7 ABR 34/20).
2.2.2 Gleichwertige Stelle
Oft besteht ein Versetzungsvorbehalt auf eine gleichwertige Stelle. Die Gleichwertigkeit der arbeitsvertraglichen Aufgaben bestimmt sich grundsätzlich aus der auf den Betrieb abgestellten Verkehrsauffassung und dem sich daraus ergebenden Sozialbild (vgl. BAG, 30.08.1995 - 1 AZR 47/95 u. BAG, 16.10.2013 – 10 AZR 9/13). Kriterien der Gleichwertigkeit sind die Anzahl der unterstellten Mitarbeiter oder der Umfang der Entscheidungsbefugnisse über den Einsatz von Sachmitteln oder einer Personalkapazität (LAG Hamm 09.01.1997 - 17 Sa 1554/96). Die Gleichwertigkeit einer Tätigkeit ergibt sich dabei nicht nur nach dem unmittelbaren Tätigkeitsinhalt selbst, sondern auch nach den betrieblichen Rahmenbedingungen, unter denen die Tätigkeit ausgeübt werden soll. Zu diesen Rahmenbedingungen zählt insbesondere die Einordnung der Stelle in die Betriebshierarchie ebenso wie z.B. die Frage, ob, und wenn ja, in welchem Umfang die Tätigkeit mit Vorgesetztenfunktionen gegenüber anderen Mitarbeitern verbunden ist. Kriterien zur Ermittlung der Gleichwertigkeit sind daher insbesondere der unmittelbare Tätigkeitsinhalt, die Anzahl der unterstellten Mitarbeiter, der Umfang der Entscheidungsbefugnisse über den Einsatz von Sachmitteln oder Personal und die Einordnung der Stelle in der Betriebshierarchie (LAG Rheinland-Pfalz, 19.05.2020 - 8 SaGa 1/20). Nicht zuletzt durch die vorgenannten Rahmenbedingungen wird maßgeblich das soziale Ansehen beeinflusst, das mit der Ausübung einer bestimmten vertraglichen Tätigkeit verbunden ist (LAG Köln, 09.07.2020 - 8 Sa 623/19 m.w.N.). Aus dem Anspruch des Arbeitnehmers auf vertragsgemäße Beschäftigung folgt aber auch ohne ausdrücklichen Vorbehalt im Arbeitsvertrag, dass die Zuweisung geringer wertigerer Tätigkeiten auch dann unzulässig ist, wenn die bisherige Vergütung weitergezahlt wird (BAG, 24.10.2018 – 10 AZR 19/18). Ob dienstliche Gründe für eine Versetzung (hier i.S.d. TV für den öffentlichen Dienst der Länder) vorliegen, ist in vollem Umfang gerichtlich nachprüfbar (LAG Rheinland-Pfalz, 26.10.2021 – 6 Sa 99/21).
Beispiel:
War der erkrankte Arbeitnehmer laut Arbeitsvertrag z.B. als Abteilungsleiter tätig, kann eine Versetzung im Rahmen des Direktionsrechts auf einen Arbeitsplatz als Sachbearbeiter nicht ohne Weiteres erfolgen.
Der Arbeitgeber kann einer Mitarbeiterin die Funktion als Fachleiterin im Rahmen seines Weisungsrechts entziehen, wenn dieser Teil der Tätigkeit nicht Inhalt des Arbeitsvertrages der Parteien geworden und das Weisungsrecht nicht durch Selbstbindung des Arbeitgebers beschränkt ist (BAG, 24.10.2018 – 10 AZR 19/18).
Ist eine Beschäftigung als Leiterin Finanz- und Rechnungswesen vereinbart, kann im Rahmen eines arbeitsvertraglichen Versetzungsvorbehalts auf eine gleichwertige und gleich bezahlte Stelle keine Versetzung auf eine Tätigkeit als "Leiterin Prozessoptimierung" erfolgen. Denn die Stelle ist nicht als gleichwertig anzusehen (LAG Köln, 09.07.2020 – 8 Sa 623/19).
Ist ein Arbeitnehmer laut Arbeitsvertrag als Vorarbeiter beschäftigt, darf ihm auch bei gleichbleibendem Gehalt keine Arbeit als Monteur zugewiesen werden (LAG Rheinland-Pfalz, 10.06.2020 – 2 Sa 373/19).
Die Versetzung eines Sachbearbeiters in ein Callcenter ist rechtswidrig, wenn die zugewiesene Tätigkeit nicht der bisherigen Beschäftigung gleichwertig ist und damit über die Grenzen des Direktionsrechts hinausgeht (LAG Köln, 21.05.2021 – 10 Sa 1208/20).
2.2.3 Arbeitsvertrag
Die arbeitsrechtlichen Möglichkeiten sind sehr stark davon abhängig, wie konkret die Tätigkeit im Arbeitsvertrag beschrieben ist (LAG Rheinland-Pfalz, 10.06.2020 – 2 Sa 373/19); daher ist es zweckmäßig, die Beschreibung des Aufgabengebietes und des Einsatzorts nicht zu eng zu fassen.
Auch soweit auf einen Arbeitsvertrag die Regelungen über Allgemeine Geschäftsbedingungen (§§ 305ff. BGB) anwendbar sind, ist die Wirksamkeit einer Versetzung zunächst durch Auslegung des Inhalts der vertraglichen Regelungen unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles zu ermitteln (BAG, 27.07.2016 – 7 ABR 55/14 m.w.N). Dabei sind alle dem Arbeitsverhältnis innewohnenden Besonderheiten zu berücksichtigen (BAG, 13.03.2007 – 9 AZR 433/06; LAG Rheinland-Pfalz, 19.12.2018 – 7 Sa 99/18). Festzustellen ist, ob ein bestimmter Tätigkeitsinhalt und Tätigkeitsort vertraglich festgelegt sind und welchen Inhalt ein gegebenenfalls vereinbarter Versetzungsvorbehalt hat (BAG, 28.08.2013 - 10 AZR 569/12 u. LAG Köln, 12.11.2021 – 10 Sa 281/20).
Im Arbeitsvertrag bzw. in der Niederschrift nach dem NachwG ist der jeweilige Arbeitsort, oder, falls der Arbeitnehmer nicht nur an einem bestimmten Ort tätig sein soll, ein Hinweis darauf, dass der Arbeitnehmer an verschiedenen Orten beschäftigt werden oder seinen Arbeitsort frei wählen kann (vgl. § 2 Abs. 1 S. 2 Nr. 4 NachwG). Die Bestimmung eines Ortes für die Arbeitsleistung in Kombination mit einem Versetzungsvorbehalt im gesamten Unternehmen verhindert regelmäßig die Beschränkung auf diesen Ort (BAG, 28.08.2013 – 10 AZR 569/12). Aus der Aufnahme eines Ortes in den Arbeitsvertrag kann nicht darauf geschlossen werden, dass die Parteien eine Verwendung an einem anderen Ort – an dem erst später eine Niederlassung des Betriebes eingerichtet wurde - ausschließen wollen (LAG Rheinland-Pfalz, 05.11.2019 – 8 Sa 28/19). Umgekehrt hat ein Arbeitnehmer keinen Anspruch darauf, dass ihm der Arbeitgeber einen Stammarbeitsplatz in einem bestimmten Werk in einer bestimmten Abteilung einsetzt, sofern dies im Arbeitsvertrag nicht ausdrücklich geregelt ist (LAG Rheinland-Pfalz, 19.09.2019 – 5 Sa 91/19). Ist in eine arbeitsvertraglichen Versetzungsklausel auf einen Umkreis von 30 km um den Wohnsitz des Arbeitnehmers beschränkt, ist selbst nach Schließung der bisherigen Arbeitsstätte die Zuweisung einer Arbeit in der nächstgelegenen, aber 70 km entfernten Filiale nicht vertragsgerecht (LAG Köln, 27.01.2022 – 6 Sa 593/21).
Enthält der Arbeitsvertrag keine Regelungen über den Beschäftigungsort, ist eine Versetzung an einen anderen Ort im Rahmen des Weisungsrechts zulässig, soweit sie dem billigen Ermessen entspricht (siehe folgende Ausführungen; LAG Köln, 10.06.2020 - 8 SaGa 1/20).
2.2.4 Billiges Ermessen
Eine Versetzung entspricht dem billigen Ermessen, wenn die wesentlichen Umstände des Falles abgewogen und die beiderseitigen Interessen angemessen berücksichtigt worden sind. Dies verlangt eine Abwägung der wechselseitigen Interessen nach den verfassungsrechtlichen und gesetzlichen Wertentscheidungen, den allgemeinen Wertungsgrundsätzen der Verhältnismäßigkeit und Angemessenheit sowie der Verkehrssitte und der Zumutbarkeit. Das gebietet eine Berücksichtigung und Bewertung der Interessen unter Abwägung der Umstände des Einzelfalls. (LAG Köln, 20.08.2021 – 10 Sa 210/20). Dazu gehören die Vorteile aus einer Regelung, die Risikoverteilung zwischen den Vertragsparteien, die beiderseitigen Bedürfnisse, außervertragliche Vor- und Nachteile, Vermögens- und Einkommensverhältnisse sowie soziale Lebensverhältnisse wie familiäre Pflichten und Unterhaltsverpflichtungen (BAG, 28.08.2013 - 10 AZR 569/12 u. LAG Köln, 12.11.2021 - 10 Sa 281/20). Es muss insbesondere eine sachliche Notwendigkeit für die Maßnahme bestehen und die Versetzung muss für den Arbeitnehmer zumutbar sein. Auch daraus ergibt sich, dass die Tätigkeit zumindest gleichwertig (siehe oben) sein muss, wobei die Gleichwertigkeit nicht bereits durch eine gleiche Vergütung hergestellt ist (BAG, 23.02.2012 – 2 AZR 44/11 u. LAG Rheinland-Pfalz, 19.12.2018 – 7 Sa 99/18).
Entspricht die Weisung des Arbeitgebers nicht dem Billigkeitsprinzip, muss sie der Arbeitnehmer auch nicht vorläufig befolgen (BAG, 18.10.2017 – 10 AZR 330/16; LAG Rheinland-Pfalz, 13.02.2020 – 2 Sa 178/19). Allerdings trägt ein Arbeitnehmer, der eine von ihm als unbillig empfundene Weisung nicht befolgt, das Risiko, dass sich im Nachhinein herausstellt, dass diese doch in Ordnung war. Dann liegt eine Arbeitsverweigerung vor; es drohen Abmahnung oder gar Kündigung (LAG Rheinland-Pfalz, 14.07.2021 – 7 Sa 148/20).
Das billige Ermessen i.S.d. § 106 S. 1 GewO i.V.m. § 315 Abs. 1 BGB ist nicht gewahrt, wenn der Arbeitgeber ohne Kompensation der sich hieraus ergebenden Kosten eine in etwa 130 km entfernte neue Arbeitsstätte zuweist (LAG Rheinland-Pfalz, 13.02.2020 – 2 Sa 178/19). Ebenso ist eine Versetzung unbillig, wenn der betroffene Arbeitnehmer 54 Jahre alt ist, seit 16 Jahren an einem Standort arbeitet und für die Fahrt zu dem zugewiesenen Standort einen PKW benötigt, der nicht vorhanden ist (LAG Rheinland-Pfalz, 14.07.2021 – 7 Sa 148/20).
Eine Versetzung ist nicht bereits deshalb unbillig, weil der Arbeitnehmer an einem Einzelarbeitsplatz isoliert sitzt (BAG, 28.06.2018 – 2 AZR 436/17).
Praxistipp:
Es ist arbeitsrechtlich zwar nicht ausdrücklich festgelegt, aber sinnvoll, sich mit dem betroffenen Arbeitnehmer zu einigen. Erkennt er, dass die Maßnahme in seinem eigenen Interesse liegt, wird er zustimmen und damit werden Probleme von vornherein ausgeschlossen.
2.2.5 Sonstiges
Der Arbeitgeber ist nicht verpflichtet, einen leidensgerechten Arbeitsplatz erst einzurichten. Dies gilt insbesondere, wenn dadurch auch die Arbeitsplätze der anderen Mitarbeiter neu zugeschnitten werden müssten. Denn die Schaffung von Arbeitsplätzen liegt allein in der unternehmerischen Entscheidung des Arbeitgebers (BAG, 28.06.2017 – 5 AZR 263/16). Etwas Anderes gilt nach dem Urteil des BAG, wenn keine inhaltlich klar definierten Arbeitsplätze existieren, sondern nur Touren festgelegt sind, in deren Rahmen Kunden in bestimmter Reihenfolge (wie z.B. bei ambulanten Pflegediensten) aufzusuchen sind. Dann ist der Arbeitgeber verpflichtet, den Tourenplan so umzustellen, dass auf die gesundheitlichen Einschränkungen des erkrankten Mitarbeiters Rücksicht genommen werden kann.
Die Durchführung eines betrieblichen Eingliederungsmanagements ist keine formelle oder unmittelbar materielle Voraussetzung für die Wirksamkeit einer Versetzung im Rahmen des Weisungsrechts des Arbeitgebers. Dies gilt selbst dann, wenn die Entscheidung des Arbeitgebers im Zusammenhang mit dem Gesundheitszustand des Arbeitnehmers steht. Eine Zuordnung des Arbeitnehmers aus Gründen des Gesundheitsschutzes zu einer anderen Schicht (Versetzung von Nacht- zu Wechselschicht) ist bei ansonsten gleich bleibender Tätigkeit auch ohne ein an sich erforderliches BEM (siehe 4.5) demnach zulässig und wirksam. Sie kann insbesondere den Grundsätzen billigen Ermessens entsprechen (BAG, 18.10.2017 – 10 AZR 47/17).
Erweist sich eine Versetzung als unwirksam, hat der Arbeitnehmer grundsätzlich einen Anspruch auf Beschäftigung mit seiner bisherigen Tätigkeit am bisherigen Ort (BAG, 25.08.2010 – 10 AZR 275/09). Eine Ausnahme gilt aufgrund § 275 Abs. 1 und 2 BGB nur dann, wenn dem Arbeitgeber die Beschäftigung auf dem bisherigen Arbeitsplatz unmöglich oder unzumutbar ist (LAG Rheinland-Pfalz, 19.12.2018 – 7 Sa 99/18). War die Versetzung unwirksam, kann der Arbeitnehmer als Schadensersatz die Erstattung der Kosten verlangen, die ihm durch die Benutzung seines privaten PKW für die wöchentlichen Fahrten zwischen seinem Hauptwohnsitz und einem Zweitwohnsitz in der Nähe der zugewiesenen Niederlassung entstanden sind. Je gefahrenem Kilometer sind ihm 30 Cent zu erstatten (BAG, 28.11.2019 – 8 AZR 125/18). Der Arbeitgeber haftet auch auf Schadenersatz, wenn er gegen die Pflicht verstößt, interne Bewerber vorrangig zu berücksichtigen, und dem internen Bewerber dadurch ein kürzerer Arbeitsweg vorenthalten wird (LAG Rheinland-Pfalz, 15.03.2021 – 3 Sa 261/19).
2.3 Mitbestimmung
In Betrieben mit mehr als 20 Arbeitnehmern unterliegt die Versetzung der Mitbestimmung. Wird die Versetzung ohne Zustimmung des Betriebsrates vorgenommen, ist sie unwirksam (LAG Rheinland-Pfalz, 19.05.2021 - 5 Sa 292/20 u. LAG Nürnberg, 10.05.2021 – 1 TaBV 3/21). Der Betriebsrat kann die Zustimmung aus verschiedenen Gründen verweigern (§ 99 Abs. 2 BetrVG). Dazu gehören auch Mängel der Unterrichtung über die geplante Maßnahme durch den Arbeitgeber. Die Unterrichtung ist ordnungsgemäß, wenn der Arbeitgeber mitteilt, dass der Arbeitnehmer sich auf der Position, auf der er erprobt worden sei, "nicht bewährt" habe (LAG Rheinland-Pfalz, 07.05.2020 - 5 TaBV 18/19). Der Arbeitgeber kann vor dem Arbeitsgericht die Ersetzung der Zustimmung einklagen (§ 99 Abs. 4 BetrVG). Wird der Arbeitgeber wegen der fehlenden Mitbestimmung zur Aufhebung einer Versetzung verpflichtet, kann er eine erneute Versetzung unter Beachtung der Rechte des Betriebsrates vornehmen. Einer vorherigen tatsächlichen Rückversetzung des Arbeitnehmers bedarf es nicht, wenn die neue Versetzung aus dringenden sachlichen Gründen vorläufig durchgeführt wird (LAG Köln, 21.05.2021 – 9 TaBV 42/20).
Ein Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats bei dem Widerruf der Telearbeitsvereinbarung entfällt auch nicht deswegen, weil der TV Telearbeit eine Beteiligung des Betriebsrats ausdrücklich nur für die Einrichtung eines Telearbeitsplatzes und nicht auch für den Widerruf von Telearbeit vorsieht. Die Tarifvertragsparteien können Mitbestimmung nicht wirksam ausschließen, sofern nicht das Betriebsverfassungsgesetz selbst eine solche Möglichkeit - etwa nach Maßgabe des § 87 Abs. 1 Einleitungssatz BetrVG – vorsieht (BAG, 20.10.2021 - 7 ABR 34/20).
Eine mitbestimmungspflichtige Versetzung nach § 99 Abs. 1 S. 1 BetrVG liegt nicht vor bei einer örtlichen Verlagerung einer Betriebsabteilung um wenige Kilometer innerhalb einer politischen Gemeinde, wenn sich infolge der Umsetzung die funktionalen Beziehungen der Arbeitnehmer untereinander, die Art ihrer Tätigkeit, die Einordnung in die Arbeitsabläufe des Betriebs und die Zuständigkeiten von Vorgesetzten nicht geändert haben (BAG, 17.11.2021 - 7 ABR 18/20).
2.4 Versetzungsschutzklage
Ist der Arbeitnehmer mit der Versetzung nicht einverstanden, kann er dagegen beim Arbeitsgericht klagen. Soweit sich herausstellt, dass die Versetzung unwirksam war und hat der Arbeitnehmer ihr dennoch Folge geleistet, kann er ggf. Ansprüche auf Schadenersatz (z.B. Aufwendungen für die Fahrten zum weiter entfernten Arbeitsort) geltend machen (BAG, 28.11.2019 – 8 AZR 125/18). Ist die Versetzung rechtswidrig, besteht ein Anspruch auf Beschäftigung in der bisherigen Position. Ggf. kann auch ein Schadenersatzanspruch wegen rechtswidriger Nichtbeschäftigung in der Schwebezeit geltend gemacht werden (LSG Berlin-Brandenburg, 28.10.2020 – 25 Sa 1105/20).
Unzulässig ist jedoch eine Klage, die während einer Arbeitsunfähigkeit erhoben wird und sich gegen eine befristete Versetzung richtet, wenn nicht absehbar ist, dass der Arbeitnehmer vor Ablauf der Befristung wieder arbeitsfähig wird (LAG Köln, 28.10.2020 – 11 Sa 217/20).
3. Änderungskündigung
Ist nach dem Arbeitsvertrag eine Versetzung nicht möglich und stimmt der Mitarbeiter einer einvernehmlichen Lösung nicht zu, kann eine Änderungskündigung erfolgen. Dabei wird eine Kündigung des bisherigen Arbeitsverhältnisses mit dem Angebot eines neuen Arbeitsvertrages kombiniert (§ 2 KSchG). Dieser neue Arbeitsvertrag müsste bei dem gesundheitlich beeinträchtigten Mitarbeiter den Einsatz auf einem leidensgerechten Arbeitsplatz enthalten. Die Maßnahme muss außerdem der Billigkeit entsprechen, d.h. sie muss dem Arbeitnehmer zumutbar und damit sozial gerechtfertigt sein.
Bei der Frage, ob die Änderungskündigung sozial gerechtfertigt ist, ist der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz zu beachten. Die Änderungen müssen geeignet und erforderlich sein, um den Inhalt des Arbeitsvertrags den geänderten Beschäftigungsmöglichkeiten anzupassen. Diese Voraussetzungen müssen für jede einzelne Vertragsänderung vorliegen. Ist dies auch nur für eine angebotene Änderung nicht der Fall, ist die Änderungskündigung unwirksam (LSG Hamburg, 15.03.2021 – 5 Sa 67/20). Ausgangspunkt für die Beurteilung ist die bisherige vertragliche Regelung, das heißt, die angebotenen Änderungen dürfen sich nicht weiter vom Inhalt des bisherigen Arbeitsverhältnisses entfernen, als es zur Erreichung des angestrebten Ziels erforderlich ist (LAG Rheinland-Pfalz, 08.12.2020 - 8 Sa 130/20). Das Angebot eines Homeoffice-Arbeitsplatzes kann zumindest dann keine einklagbare mildere Maßnahme im Rahmen einer Änderungskündigung sein, wenn es Teil der unternehmerischen Entscheidung ist, bestimmte Arbeitsplätze in der Zentrale des Arbeitgebers zu konzentrieren und für diese Arbeitsplätze kein Homeoffice anzubieten (LAG Berlin-Brandenburg, 24.03.2021 - 4 Sa 1243/20).
In der Änderungskündigung muss zum Ausdruck kommen, dass das Arbeitsverhältnis endet, wenn das Angebot nicht angenommen wird. Da es sich um eine echte Kündigung handelt, muss die Kündigungsfrist eingehalten werden (Änderungskündigung - Allgemeines).
Praxistipp:
Für die Änderungskündigung insgesamt (also auch für das neue Vertragsangebot) gilt § 623 BGB (Schriftform). Sie können unser Formular Änderungskündigung verwenden.
Es ist auch eine personenbedingte Änderungskündigung zur Herabsetzung der Arbeitszeit möglich. Eine Änderung der Arbeitsbedingungen i.S.v. § 2 KSchG ist sozial gerechtfertigt, wenn sie durch Gründe i.S.d. § 1 Abs. 2 KSchG bedingt ist und das Änderungsangebot des Arbeitgebers sich darauf beschränkt, solche Änderungen vorzusehen, die der Arbeitnehmer billigerweise hinnehmen muss (LAG Berlin-Brandenburg, 08.05.2018 – 7 Sa 1588/17 m.w.N.) Die Änderungskündigung muss den unter 4. genannten Voraussetzungen, insbesondere dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz entsprechen.
Eine Änderungskündigung ist überflüssig und daher unwirksam, wenn eine Versetzung im Rahmen des Direktionsrechts zulässig ist, aber deshalb scheitert, weil die Zustimmung des Betriebsrats nicht rechtswirksam eingeholt wurde (LAG Rheinland-Pfalz, 19.05.2021 – 5 Sa 295/20).
4. Personenbedingte Kündigung
4.1 Negative Prognose
Praxistipp:
Für die Kündigung ist nach § 623 BGB die Schriftform zwingend vorgeschrieben. Auch die Übermittlung als Anlage zu einer WhatsApp-Nachricht ist nicht ausreichend.
Eine krankheitsbedingte dauernde Unfähigkeit, die vertraglich geschuldete Arbeitsleistung zu erbringen, berechtigt den Arbeitgeber grundsätzlich zur ordentlichen Kündigung des Arbeitsverhältnisses (vgl. § 1 Abs. 2 KSchG). Bei einem Arbeitsverhältnis, bei dem feststeht, dass der Arbeitnehmer in Zukunft die geschuldete Arbeitsleistung überhaupt nicht erbringen kann, ist das Verhältnis von Leistung und Gegenleistung auf Dauer ganz erheblich gestört. Davon kann ausgegangen werden, wenn eine Erkrankung ohne konkrete Aussicht auf Genesung besteht. Der Rückschluss von einer bereits länger bestehenden Arbeitsunfähigkeit auf eine voraussichtlich dauerhafte Leistungsunfähigkeit ist im Regelfall erst möglich, wenn der Arbeitnehmer etwa 18 Monate ununterbrochen krank war (LAG Mecklenburg-Vorpommern, 21.06.2022 – 5 Sa 259/21). Der Ungewissheit der Wiederherstellung der Arbeitsfähigkeit steht gleich, wenn in den nächsten 24 Monaten nicht mit einer Genesung zu rechnen ist (BAG, 30.09.2010 – 2 AZR 88/09).
Nach einer Arbeitsunfähigkeit kann der Arbeitgeber aber keine "Gesundschreibung" (z.B. eine ärztliche Stellungnahme, wonach der Arbeitnehmer in der Lage ist, seine frühere Tätigkeit wieder auszuüben) verlangen. Dies bedarf einer besonderen, nicht vorhandenen Rechtsgrundlage. Diese liegt nicht ohne Weiteres in dem pauschalen Hinweis auf eine arbeitgeberseitige "Fürsorgepflicht", deren Inhalt ohnehin unbestimmt und deren Reichweite ausfüllungsbedürftig ist. Nur bei Vorliegen besonderer Umstände kann es im Einzelfall dazu kommen, dass die Arbeitsfähigkeit näher belegt werden muss. Allein eine vorangegangene längere Arbeitsunfähigkeit begründet für sich genommen einen solchen Umstand regelmäßig nicht (LAG Mecklenburg-Vorpommern, 14.07.2020 - 2 Sa 52/20).
Eine negative Prognose kann auch vorliegen, wenn es zu häufigen Kurzerkrankungen kommt und für die Zukunft von weiteren, erheblichen Ausfällen auszugehen ist (BAG, 20.11.2014 – 2 AZR 755/13 u. LAG Nürnberg, 18.02.2020 – 7 Sa 124/19). Nach der Rechtsprechung ist dann zur Erstellung der Gesundheitsprognose - vorbehaltlich des Vorliegens besonderer Umstände des Einzelfalls - regelmäßig ein Referenzzeitraum von drei Jahren vor Zugang der Kündigung bzw. vor Einleitung des Verfahrens zur Beteiligung einer bestehenden Arbeitnehmervertretung zugrunde zu legen (BAG, 25.04.2018 – 2 AZR 6/18). Aber auch ein Referenzzeitraum von zwei Jahren vor Ausspruch einer personenbedingten Kündigung wegen häufiger (Kurz-)Erkrankungen kann eine hinreichende Basis der negativen Prognose zukünftiger Arbeitsunfähigkeiten sein (LAG Düsseldorf, 17.05.2022 - 14 Sa 825/21). Es ist aber darüber hinaus - insbesondere, wenn dem Kündigungsgrund ein prognostisches Element innewohnt - nicht unzulässig, die spätere Entwicklung in den Blick zu nehmen, soweit sie die Prognose bestätigt (LAG Rheinland-Pfalz, 05.10.2021 - 6 Sa 244/20). Die Prognose ist negativ, wenn der Arbeitnehmer in jedem dieser drei Jahre mindestens sechs Wochen arbeitsunfähig war und eine Besserung des Gesundheitszustandes nicht zu erwarten ist. Der Prüfungsmaßstab für häufige (Kurz-)Erkrankungen ist auch dann anzulegen, wenn sich unter den medizinischen Ausfallursachen einzelne Krankheiten befinden, die zu längeren Ausfallzeiten geführt haben (BAG, 20.11.2014 - 2 AZR 755/13). Der Indizwirkung der in der Vergangenheit bestandenen Krankheitszeiten kann jedoch entgegenstehen, dass die Arbeitsunfähigkeitszeiten im Halbjahr vor Ausspruch der Kündigung deutlich rückläufig waren (LAG Berlin-Brandenburg, 16.01.2020 - 26 Sa 1200/19). Der Arbeitgeber darf sich auf dieser ersten Prüfungsstufe zunächst darauf beschränken, die Fehlzeiten der Vergangenheit darzustellen und zu behaupten, in Zukunft seien Krankheitszeiten in entsprechendem Umfang zu erwarten. Dann ist es Sache des Arbeitnehmers, darzulegen, weshalb im Kündigungszeitpunkt mit einer baldigen Genesung zu rechnen war. Er genügt dieser prozessualen Mitwirkungspflicht schon dann, wenn er vorträgt, die behandelnden Ärzte hätten seine gesundheitliche Entwicklung positiv beurteilt, und wenn er diese von ihrer Schweigepflicht entbindet. Je nach Erheblichkeit des Vortrags ist es dann Sache des Arbeitgebers, den Beweis für die Berechtigung einer negativen Gesundheitsprognose zu führen (LAG Rheinland-Pfalz, 05.10.2021 - 6 Sa 244/20 m.w.N.). Eine danach begründete negative Gesundheitsprognose des Arbeitgebers kann der Arbeitnehmer seinerseits dadurch entkräften, dass er darlegt, aufgrund welcher Umstände (etwa eine bevorstehende Operation, der fortgeschrittene Heilungsprozess, ggf. die Entdeckung eines neuartigen Heilmittels) mit seiner alsbaldigen Genesung und der Wiederherstellung seiner Arbeitsfähigkeit zu rechnen ist oder inwieweit eine anderweitige Beschäftigungsmöglichkeit besteht, die keine Fehlzeiten erwarten lässt (LAG Rheinland-Pfalz, 29.06.2020 - 3 Sa 127/19 m.w.N.).
Ob eine solche negative Prognose vorliegt, wenn ein Mitarbeiter, der nach einer ambulanten Entziehungskur wegen Alkoholabhängigkeit einen einmaligen Rückfall erleidet, ist unklar (offen gelassen LAG Berlin-Brandenburg, 05.09.2012 – 15 Sa 911/12 m.w.N.). Verletzungen des Skeletts oder des Gewebes, die man sich bei einem Unfall zuzieht, heilen im Regelfall aus. Die Ausfallzeiten, die auf derartige Heilungsprozesse zurückzuführen sind, fallen daher als Prognosegrundlage für zukünftige Fehlzeiten im Regelfall aus. Ob im Rahmen der erforderlichen negativen Gesundheitsprognose auch die Zeiten einer Rehabilitationsmaßnahme berücksichtigt werden können, richtet sich nach der Arbeitsunfähigkeits-Richtlinie des Gemeinsamen Bundesausschusses. Danach besteht Arbeitsunfähigkeit, wenn diese bereits vor Beginn der Maßnahme eingetreten ist und weiterhin andauert oder sie durch eine interkurrente Erkrankung ausgelöst wird (siehe auch LAG Berlin-Brandenburg, 29.09.2019 – 10 Sa 864/19).
Lebenskrisen wie beispielsweise eine Scheidung können zu einem vorübergehenden Verlust des Lebensmuts führen, der sich in krankheitsbedingten Ausfallzeiten niederschlägt. Es entspricht allgemeiner Lebenserfahrung, dass der angesichts solcher Lebenskrisen verlorene Lebensmut mit dem zeitlichen Abstand zu dem auslösenden Ereigniskomplex wiederkehrt, weil sich im Regelfall herausstellt, dass es trotz der erlebten Krise möglich ist, das Leben auch unter den veränderten Bedingungen fortzuführen (LAG Mecklenburg-Vorpommern, 07.03.2017 – 2 Sa 158/16). Soll die Fehlzeitenprognose auch mit der Krankheitsanfälligkeit des Arbeitnehmers gestützt werden, verlangt das zunächst die Feststellung, dass sich die Anzahl der Krankheitsereignisse und deren Dauer signifikant über dem zu erwartenden Durchschnitt des Auftritts gleicher oder vergleichbarer Krankheiten bei anderen Beschäftigten bewegt (BAG 10. 11.2005 - 2 AZR 44/05). Die Rechtsprechung des BAG zur Fehlzeitenprognose aufgrund einer Krankheitsanfälligkeit erschöpft sich allerdings nicht in einer statistischen Analyse der Ausfallzeiten. Vielmehr verlangt das BAG so etwas wie eine plausible Erklärung für die Krankheitsanfälligkeit (LAG Mecklenburg-Vorpommern, 07.03.2017 – a.a.O.).
4.2 Beeinträchtigung der betrieblichen Interessen
Der Arbeitsvertrag kann bei negativer Prognose aus personenbedingten Gründen gekündigt werden (ständige Rechtsprechung, vgl. BAG, 15.02.1984 - 2 AZR 573/82), wenn der Arbeitgeber außerdem erhebliche Beeinträchtigungen der betrieblichen Interessen nachweist (zweite Prüfungsstufe). Bei häufigen Kurzerkrankungen ist die Entscheidung oft schwierig, ob die Beeinträchtigungen so erheblich sind, dass die Interessen des Arbeitgebers an einer Beendigung des Arbeitsvertrages überwiegen. Die Rechtsprechung geht jedenfalls davon aus, dass eine Kündigung erst ausgesprochen werden kann, wenn der Mitarbeiter in Lauf eines Jahres mehr als sechs Wochen arbeitsunfähig war (BAG, 16.02.1989 – 2 AZR 299/88) und nach der Prognose weiterhin mit Entgeltfortzahlungskosten von mehr als sechs Wochen jährlich zu rechnen ist (BAG, 25.04.2018 – 2 AZR 6/18). Darüber hinaus kann es bei jahrelang immer wieder aufgetretenen Kurzerkrankungen auch auf die Zeitspanne bis zum Erreichen der Regelaltersgrenze ankommen (LAG Rheinland-Pfalz, 18.08.2016 – 5 Sa 77/16). Die betrieblichen Interessen werden auch beeinträchtigt, wenn die Ausfälle zu erheblichen Problemen in den Abläufen, z.B. zur Notwendigkeit von Überstunden durch andere Kollegen oder zu Schwierigkeiten bei der Urlaubsplanung, führen.
Als kündigungsrelevante wirtschaftliche Belastung des Arbeitgebers aufgrund zu erwartender Arbeitsunfähigkeitszeiten des Arbeitnehmers sind vor allem gem. § 12 EFZG unabdingbare Entgeltfortzahlungskosten nach §§ 3, 4 EFZG zu berücksichtigen. Unter diese Vorschriften fallen auch "arbeitsleistungsbezogene" Sondervergütungen mit reinem Entgeltcharakter. Leistungen, mit denen ausschließlich die erbrachte und/oder eine künftig erwartete Betriebstreue und nicht auch eine bestimmte Arbeitsleistung honoriert werden soll, gehen kündigungsrechtlich nicht zulasten des Arbeitnehmers. Der mit diesen Leistungen vom Arbeitgeber verfolgte Zweck wird durch die Arbeitsunfähigkeit des Arbeitnehmers nicht gestört. Der hierfür notwendige Bestand des Arbeitsverhältnisses bleibt von dem krankheitsbedingten Ausfall unberührt, der Arbeitgeber erhält gleichwohl die volle von ihm angestrebte Gegenleistung. Leistungen, die der Arbeitgeber zusätzlich zum laufenden Arbeitsentgelt erbringt (Sondervergütungen, § 4a EFZG), stellen selbst dann keine kündigungsrelevante wirtschaftliche Belastung dar, wenn sie nicht allein für den Bestand des Arbeitsverhältnisses, sondern auch für eine Arbeitsleistung im Bezugszeitraum gezahlt werden. Zwar führt die Arbeitsunfähigkeit des Arbeitnehmers insofern zu einer - teilweisen - Störung des Austauschverhältnisses. Doch ist diesbezüglich durch die Möglichkeit von Kürzungsvereinbarungen gem. § 4a EFZG eine abschließende Risikozuweisung erfolgt (BAG, 22.07.2021 - 2 AZR 125/21). Siehe hierzu auch Arbeitsunfähigkeit - Langzeitkranke.
4.3 Abwägung der Interessen
Schließlich muss die Kündigung aufgrund einer Abwägung der beiderseitigen Interessen gerechtfertigt sein (dritte Prüfungsstufe). Dabei ist insbesondere zu klären, ob trotz der negativen Zukunftsprognose und der Beeinträchtigungen der betrieblichen Interessen das Beschäftigungsinteresse des Mitarbeiters gegenüber dem Kündigungsinteresse des Arbeitgebers überwiegt. Bei der Abwägung spielen auf der Seite des Arbeitnehmers Faktoren wie z.B. das Alter des Mitarbeiters, dessen Unterhaltspflichten, die Möglichkeit der Beschäftigung auf einem anderen Arbeitsplatz etc. eine Rolle. Seitens des Arbeitgebers fallen z.B. ins Gewicht die Störungen des Betriebsablaufs und die zu erwartenden Kosten. Die Interessenabwägung muss insbesondere alle wesentlichen Umstände des Einzelfalles berücksichtigen. Sie muss vollständig sein, sie darf keine Widersprüche aufweisen (LAG Rheinland-Pfalz, 29.06.2020 - 3 Sa 127/19).
Haben Arbeitgeberin und Arbeitnehmer schon jahrelang ohne wesentliche Beanstandungen zusammengearbeitet, so werden regelmäßig Auflösungsgründe von größerem Gewicht erforderlich sein, um die Prognose zu rechtfertigen, dass eine den Betriebszwecken dienliche weitere Zusammenarbeit nicht zu erwarten ist, als wenn es sich um einen Arbeitnehmer ohne erheblichen sozialen Besitzstand handelt, der schon wenige Monate nach Beendigung der Probezeit Auflösungsgründe setzt (LAG Düsseldorf, 15.09.2021 - 12 Sa 10/21).
Die Kündigung muss somit verhältnismäßig sein. Die ordentliche Kündigung ist sozial ungerechtfertigt, wenn sie nicht durch Gründe in der Person des Klägers bedingt ist, § 1 Abs. 2 KSchG. Eine Kündigung ist durch Krankheit nicht gerechtfertigt, wenn es angemessene mildere Mittel zur Vermeidung oder Verringerung künftiger Fehlzeiten gibt. Dies können insbesondere die Umgestaltung des bisherigen Arbeitsbereichs oder die Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers auf einem anderen -leidensgerechten - Arbeitsplatz sein. Darüber hinaus kann sich aus dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit die Verpflichtung des Arbeitgebers ergeben, dem Arbeitnehmer vor einer Kündigung die Chance zu bieten, gegebenenfalls spezifische Behandlungsmaßnahmen zu ergreifen, um dadurch die Wahrscheinlichkeit künftiger Fehlzeiten auszuschließen (BAG, 20.11.2014 -2 AZR 755/13 u. LAG Hessen, 19.07.2021 - 16 Sa 231/21). Außerdem dürfen keine milderen Mittel (wie z.B. eine Versetzung oder Rehabilitationsmaßnahmen) zur Verfügung stehen, um die Leistungsstörung zu beseitigen. Insbesondere muss der Arbeitgeber nachweisen, dass er seinen Pflichten aus § 167 Abs. 2 SGB IX (Betriebliches Eingliederungsmanagement) ordnungsgemäß nachgekommen ist (LAG Baden-Württemberg, 28.07.2021 – 4 Sa 68/20). Der Arbeitgeber muss nachweisen, warum ein BEM im konkreten Fall nutzlos gewesen wäre (BAG, 20.11.2014 – 2 AZR 755/13). Er muss insbesondere darlegen und ggf. beweisen, dass es im Kündigungszeitpunkt kein milderes Mittel als die Kündigung gegeben hat, um der in der Besorgnis weiterer Fehlzeiten bestehenden Vertragsstörung entgegenzuwirken (LAG Rheinland-Pfalz, 26.01.2021 - 6 Sa 124/20).
4.4 Beweislast
Kommt es zu einem Arbeitsgerichtsverfahren, muss der Arbeitgeber darlegen und ggf. beweisen, dass die Voraussetzungen für eine krankheitsbedingte Kündigung vorliegen. Dies bezieht sich auf die negative Prognose, die erhebliche Beeinträchtigung der betrieblichen Interessen und die fehlende Weiterbeschäftigungsmöglichkeit (zu letzterem siehe LAG Rheinland-Pfalz, 25.04.2018 – 7 Sa 477/17; aber auch auf die Interessenabwägung, siehe auch LAG Köln, 12.03.2021 – 10 Sa 804/20). Soweit ihm jedoch insbesondere die krankheitsbedingten Umstände nicht bekannt sind, sind keine zu hohen Anforderungen an die Beweisführung zu stellen. Dann ist es ausreichend auf die Fehlzeiten in der Vergangenheit hinzuweisen und zu behaupten, dass sie in diesem Umfang auch künftig zu erwarten sind (ErfK, Oetker, § 1 KSchG, 18. Aufl. 2018, Rn. 179).
4.5 Betriebliches Eingliederungsmanagement
Vor der Kündigung ist es wichtig, ggf. ein betriebliches Eingliederungsmanagement (BEM) durchzuführen (§ 167 Abs. 2 SGB IX). Der Arbeitgeber ist verpflichtet, ein solches Verfahren durchzuführen; der Arbeitnehmer hat jedoch keinen Rechtsanspruch darauf (BAG, 07.09.2021 – 9 AZR 571/20). Das BEM ist zwar keine formelle Voraussetzung für eine personenbedingte Kündigung, das Unterlassen führt jedoch im Streitfall zu einer strengeren Darlegungs- und Beweislast im Hinblick auf alternative, leidensgerechte Beschäftigungsmöglichkeiten (LAG Hamburg, 08.06.2017 – 7 Sa 20/17) und auf das Fehlen milderer Mittel zur Vermeidung der Kündigung (LAG Rheinland-Pfalz, 25.04.2018 – 7 Sa 477/17). Eine nicht angebotene BEM-Maßnahme macht die Kündigung nicht von vornherein unwirksam, schränkt aber die Verhältnismäßigkeit zu Lasten des Arbeitgebers ein (LAG Rheinland-Pfalz, 13.04.2021 - 8 Sa 240/20 u. BAG, 20.11.2014 – 2 AZR 755/13). Der Arbeitgeber muss dann grundsätzlich zumindest beweisen, dass dem künftigen Auftreten erheblicher Fehlzeiten weder durch innerbetriebliche Anpassungsmaßnahmen noch durch Maßnahmen der Rehabilitation hätte entgegengewirkt werden können und die Kündigung dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz entspricht. Beruft sich der Arbeitgeber darauf, dass ein BEM bei häufigen Kurzerkrankungen offensichtlich aussichtslos ist, hat er darzulegen, dass auch etwaige Vorschläge der Berufsgenossenschaften und der DGUV konkret nicht umsetzbar wären oder nicht zu einer Reduzierung der Fehlzeiten geführt hätten (LAG Berlin-Brandenburg, 26.09.2019 - 10 Sa 864/19).
Die Darlegungs- und Beweispflicht kann sich vermindern, falls dem Betrieb die Krankheitsursachen unbekannt sind und er vor der Kündigung wegen der fehlenden Weiterbeschäftigungsmöglichkeiten ein Einvernehmen mit Betriebsrat, ggf. Schwerbehindertenvertretung und Integrationsamt hergestellt hat (ArbG Ulm, 20.01.2017 – 5 Ca 346/16). Jedoch geht von der Zustimmung des Integrationsamtes zur krankheitsbedingten Kündigung eines schwerbehinderten oder gleichgestellten Arbeitnehmers nicht die Vermutung aus, dass ein BEM nutzlos gewesen wäre (LAG Baden-Württemberg, 10.02.2022 – 17 Sa 57/21).
Ein BEM unterliegt formalen Voraussetzungen z.B. hinsichtlich der Einladung und des Verfahrens. Wurden diese nicht eingehalten, hat kein BEM stattgefunden, auch wenn z.B. ein Gespräch zwischen dem Arbeitgeber und dem Mitarbeiter hinsichtlich der Frage eines möglichen Zusammenhangs zwischen der Tätigkeit und der Erkrankung stattgefunden hat (LAG Hessen, 19.07.2021 – 4 Ca 378/20).
Praxistipp:
4.6 Außerordentliche Kündigung
In der Regel kommt aus Krankheitsgründen nur eine ordentliche Kündigung mit der maßgebenden Frist (nach dem Tarifvertrag, dem Arbeitsvertrag oder nach § 622 Abs. 2 BGB) in Betracht. Nach verschiedenen Tarifverträgen, insbesondere auch für den öffentlichen Dienst, ist eine ordentliche Kündigung bei Erreichen eines bestimmten Lebensalters und nach einer bestimmten Beschäftigungszeit nicht mehr möglich (vgl. § 34 Abs. 2 TVöD). In diesem Fall kann aber eine außerordentliche Kündigung mit Auslauffrist erfolgen, wenn auch künftig mit hohen Entgeltfortzahlungskosten zu rechnen ist (BAG, 25.04.2018 – 2 AZR 6/18). Denn auch eine Krankheit und die dadurch bedingten Arbeitsausfälle können in solchen Fällen einen wichtigen Grund i.S.v. § 626 Abs. 1 BGB bilden (LAG Rheinland-Pfalz, 07.12.2021 – 6 Sa 154/21). Es bedarf dafür eines gravierenden Missverhältnisses zwischen Leistung und Gegenleistung (LAG München, 14.10.2021 - 3 Sa 83/21). Davon ist auszugehen, wenn der Arbeitnehmer krankheitsbedingt auf Dauer außerstande ist, die vertraglich geschuldete Arbeitsleistung zu erbringen und daher ein Leistungsaustausch nicht mehr möglich ist (BAG 28.10.2010 - 2 AZR 688/09; LAG Rheinland-Pfalz, 07.02.2021 - 6 Sa 154/21). Dies ist insbesondere der Fall bei häufigen Kurzerkrankungen. Eine außerordentliche Kündigung kann in Betracht kommen bei Alkohol- oder Medikamentenmissbrauch (LAG München, 14.10.2021 – a.a.O.).
Eine solche "außerordentliche Kündigung", die auf die tariflichen Regelungen zur ordentlichen Kündigung Bezug nimmt, ist mit Blick auf das vom Kündigenden gemeinte Beendigungsdatum unbestimmt und daher insgesamt unwirksam (LAG Köln, 27.05.2021 - 6 Sa 20/21).
Die Kündigung eines Mitglieds eines Betriebsrats, einer Jugend- und Auszubildendenvertretung, einer Bordvertretung oder eines Seebetriebsrats ist unzulässig, es sei denn, dass Tatsachen vorliegen, die den Arbeitgeber zur Kündigung aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist berechtigen, und dass die erforderliche Zustimmung vorliegt oder durch gerichtliche Entscheidung ersetzt ist (§ 15 Abs. 1 S 1 KSchG). Voraussetzung ist, dass ein wichtiger Grund i.S.v. § 626 Abs. 1 BGB vorliegt. Eine krankheitsbedingte Arbeitsunfähigkeit ist nicht von vornherein ungeeignet, einen solchen wichtigen Grund darzustellen (BAG, 25.04.2018 - 2 AZR 6/18). Die Voraussetzungen für die krankheits- und personenbedingte Kündigung müssen jedoch vorliegen (Prüfung der drei Stufen lt. 4.1 bis 4.3). Darüber hinaus ist bei der außerordentlichen Kündigung wegen krankheitsbedingter Ausfälle ein besonders strenger Maßstab anzulegen (LAG Rheinland-Pfalz, 30.11.2021 – 8 Sa 200/21).
Es müssen aber auch bei Krankheit die hohen Anforderungen an eine außerordentliche Kündigung i.S.v. § 626 Abs. 1 BGB erfüllt sein: Unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile muss dem Arbeitgeber die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses nicht mehr zumutbar sein. Um einen wichtigen Grund gem. § 626 Abs. 1 BGB für eine außerordentliche Kündigung bilden zu können, müssen die zu erwartenden Entgeltfortzahlungskosten daher deutlich über das Maß hinausgehen, welches eine ordentliche Kündigung rechtfertigen könnte (vgl. LAG Rheinland-Pfalz, 07.12.2021 – 6 Sa 154/21). Es bedarf nicht nur eines erheblichen, sondern eines gravierenden Missverhältnisses von Leistung und Gegenleistung. Ein solches liegt zwar nicht erst vor, wenn den Entgeltzahlungen des Arbeitgebers gar keine (nennenswerte) Arbeitsleistung mehr gegenübersteht. Der Leistungsaustausch muss aber nicht (nahezu) entfallen. Er muss "nur" besonders schwer gestört sein (BAG, 25.04.2018 - 2 AZR 6/18 u. LAG Hamm, 17.06.2020 - 6 Sa 1521/19). Ein gravierendes Missverhältnis zwischen Leistung und Gegenleistung i.S.d. Rechtsprechung des BAG liegt nicht vor, wenn ein Arbeitnehmer zwei Drittel der Jahresarbeitszeit arbeitsfähig und insoweit der Betrieb nicht mit Entgeltfortzahlung belastet ist (LAG Mecklenburg-Vorpommern, 18.08.2021 – 3 Sa 6/21). Auch das BAG geht davon aus, dass eine negative Gesundheitsprognose und damit ein wichtiger Grund i.S.v. § 626 Abs. 1 BGB vorliegt, wenn die Belastung mit Entgeltfortzahlungskosten für durchschnittlich mehr als ein Drittel der Arbeitstage pro Jahr zu erwarten ist (BAG, 25.04.2018 – 2 AZR 6/18). Dabei müssen tatsächlich Entgeltfortzahlungskosten in diesem Umfang entstehen; erhält der Arbeitnehmer Krankengeld oder hat der Arbeitgeber zu Unrecht Entgeltfortzahlung geleistet, sind diese Tage nicht anrechenbar. Bei einer Fünf-Tage-Woche kann von 260 Arbeitstagen ausgegangen werden (52 X 5); daher ist die maßgebende Grenze erreicht, wenn jährlich für 87 Arbeitstage Entgeltfortzahlung geleistet wurde. Für die erforderliche Gesundheitsprognose ist nach der BAG-Entscheidung ein Referenzzeitraum von drei Jahren vor Zugang der Kündigung zugrunde zu legen. Es ist aber nicht stets erforderlich, die Sechs-Wochenfrist des EFZG vor dem Ausspruch einer Kündigung abzuwarten. Die negative Gesundheitsprognose ist auch dann begründet, wenn der Arbeitnehmer erst kurze Zeit erkrankt ist, und die konkreten Umstände (etwa unfallbedingte schwere Verletzungen) die Prognose einer lang andauernden Erkrankung dennoch rechtfertigen (LAG Rheinland-Pfalz, 29.06.2020 - 3 Sa 127/19).
Das BAG hat in seiner Entscheidung folgende Voraussetzungen für die außerordentliche Kündigung gefordert:
Eine negative Gesundheitsprognose (siehe 4.1);
eine erhebliche Beeinträchtigung der betrieblichen oder wirtschaftlichen Interessen des Arbeitgebers (siehe 4.2);
das Ergebnis der Interessenabwägung (siehe 4.3) ist, dass die Beeinträchtigungen von dem Arbeitgeber billigerweise nicht mehr hingenommen werden können.
Zu beachten ist des Weiteren das das gesamte Kündigungsrecht beherrschende Verhältnismäßigkeitsprinzip: Auch eine aus Gründen in der Person des Arbeitnehmers ausgesprochene Kündigung ist unverhältnismäßig und damit rechtsunwirksam, wenn sie durch mildere Mittel vermieden werden kann (z.B. durch Qualifikation des Arbeitnehmers zur Bedienung oder eine Versetzung). d.h. wenn die Kündigung zur Beseitigung der eingetretenen Vertragsstörung nicht geeignet oder nicht erforderlich ist (LAG Rheinland-Pfalz, 29.06.2020 - 3 Sa 127/19).
Bei einem Betriebsratsmitglied mit erheblichen Fehlzeiten kann im Hinblick auf den besonderen Kündigungsschutz nur außerordentlich gekündigt werden, wenn bei einem vergleichbaren Arbeitnehmer ohne besonderen Kündigungsschutz dessen Weiterbeschäftigung bis zum Ablauf der ordentlichen Kündigungsfrist unzumutbar wäre (LAG Mecklenburg-Vorpommern, 18.08.2021 – 3 Sa 6/21).
Die ernstliche und im Zustand freier Willensbetätigung im Rahmen es betrieblichen Eingliederungsmanagements abgegebene Drohung mit Selbstmord kann einen wichtigen Grund zur Kündigung des Arbeitsverhältnisses bilden, wenn es dem Arbeitnehmer darum geht, mit der Drohung Druck auf den Arbeitgeber auszuüben, um bestimmte eigene Interessen oder Forderungen durchzusetzen BAG, 29.06.2017 – 2 AZR 47/16).
Häufige Kurzerkrankungen eines Arbeitnehmers können ein kündigungsrechtlicher Dauertatbestand sein. Voraussetzung ist, dass die verschiedenen Erkrankungen den Schluss auf eine dauerhafte Krankheitsanfälligkeit des Arbeitnehmers zulassen und damit eine negative Prognose begründen. Bei solchen Dauertatbeständen ist die Frist nach § 626 Abs. 2 BGB gewahrt, wenn die Umstände, auf die der Arbeitgeber die Kündigung stützt, noch bis mindestens zwei Wochen vor Zugang der Kündigung gegeben waren (BAG, 23.01.2014 - 2 AZR 582/13).
Eine außerordentliche Kündigung mit sozialer Auslauffrist kann gerechtfertigt sein, wenn eine negative Gesundheitsprognose (wegen jahrelanger Alkoholerkrankung) vorliegt und zu erwarten ist, dass die Ausfallzeiten des Arbeitnehmers die berechtigten Interessen des Betriebes auch künftig erheblich beeinträchtigen. Voraussetzung ist auch, dass aufgrund der Interessenabwägung der Vertragsparteien die Beeinträchtigung der Arbeitsleistung von dem Arbeitgeber nicht mehr hingenommen werden muss (LAG Berlin-Brandenburg, 24.07.2019 – 15 Sa 2498/18). Von einer negativen Prognose kann nach einem Urteil des LAG Hamm im Falle einer Alkoholerkrankung grundsätzlich nur ausgegangen werden, wenn dem Erkrankten deutlich gemacht worden ist, dass er sich zur Heilung einer Entziehungskur unterziehen muss und er eine derartige Maßnahme abgelehnt hat oder wenn eine tatsächlich durchgeführte Kur erfolglos verlaufen ist (LAG Hamm, 17.06.2020 - 6 Sa 1521/19 m.w.N.). Die außerordentliche Kündigung einer Kinderpflegerin in einer Kindertagesstätte wegen Alkoholsucht ist rechtmäßig, wenn keine Therapiebereitschaft vorliegt und die betrieblichen Interessen erheblich beeinträchtigt werden. Bei einer Kündigung mit Auslauffrist wegen Alkoholsucht muss eine Drei-Stufen-Prüfung (siehe oben) erfolgen (LAG Rheinland-Pfalz, 15.04.2021 - 5 Sa 331/20).
Eine außerordentliche Kündigung mit sozialer Auslauffrist kann auch in Betracht kommen bei Medikamentenabhängigkeit eines ordentlich unkündbaren Mitarbeiters, wenn dadurch ein gravierendes Missverhältnis zwischen Leistung und Gegenleistung eintritt und eine anderweitige – leistungsgerechte – Verwendung nicht möglich ist (LAG München, 14.10.2021 – 3 Sa 83/21). Bei der infolge des Medikamentenmissbrauchs vorliegenden dauernden Unfähigkeit, die vertraglichen Dienste zu erbringen, handelte es sich um einen Dauertatbestand, bei dem es für die Einhaltung der Zwei-Wochen-Frist ausreichte, dass er in den letzten zwei Wochen vor Ausspruch der Kündigung angehalten hat (BAG, 23.01.2014 - 2 AZR 582/13; 25.03.2004 - 2 AZR 399/03 u. LAG München, 14.10.2021 – a.a.O).
4.7 Feststellung der Leistungsfähigkeit
Tarifverträge sehen teilweise vor, dass der Arbeitgeber verlangen kann, dass sich der Mitarbeiter von einem bestimmten Arzt untersuchen lässt, um festzustellen, ob er arbeitsfähig ist (vgl. z.B. § 3 Abs. 4 TVöD Bund). Eine solche Anordnung ist auch bei schwerbehinderten Menschen nicht davon abhängig, ob zuvor ein Präventionsverfahren i.S.v. § 167 Abs. 1 SGB IX durchgeführt wurde (BAG, 25.01.2018 – 2 AZR 382/17).
4.8 Mitbestimmung
Der Betriebsrat ist vor jeder Kündigung zu hören. Soweit dies unterbleibt, ist die Kündigung unwirksam (§ 102 Abs. 3 BetrVG). Dabei sind ihm die tragenden Gründe für die beabsichtigte Kündigung mitzuteilen. Soweit die ordnungsgemäße Anhörung unterbleibt, ist die Kündigung unwirksam (§ 102 Abs. 1 S. 3 BetrVG). Mängel im Verfahren des Betriebsrats berühren die Wirksamkeit der Anhörung nicht (LAG Rheinland-Pfalz, 04.05.2021 - 6 Sa 359/20). Soweit er Bedenken gegen die Kündigung hat, kann er diese innerhalb einer Woche (bei außerordentlicher Kündigung innerhalb von drei Tagen) dem Arbeitgeber mitteilen. Er kann der Kündigung widersprechen. In Bezug auf die Kündigung wegen Krankheit kommen folgende Gründe dafür in Frage:
Der Mitarbeiter kann auf einem anderen Arbeitsplatz des Betriebes bzw. des Unternehmens weiterbeschäftigt werden;
eine Weiterbeschäftigung ist nach zumutbaren Umschulungs- oder Fortbildungsmaßnahmen möglich;
eine Weiterbeschäftigung ist unter geänderten Vertragsbedingungen möglich; der Mitarbeiter ist damit einverstanden.
Der Widerspruch des Betriebsrates bewirkt, dass bei einem Kündigungsschutzverfahren der Arbeitnehmer auf sein Verlangen bis zu dessen rechtkräftigem Abschluss weiterbeschäftigt werden muss.
Für den öffentlichen Dienst gelten vergleichbare Regelungen (vgl. § 79 BPersVG).
5. Verhaltensbedingte Kündigung
5.1 Allgemeines
Eine verhaltensbedingte Kündigung ist in der Regel aufgrund einer durch Krankheit verursachten Arbeitsunfähigkeit nicht zulässig, da die dadurch entstehende Leistungsstörung dem Mitarbeiter nicht vorzuwerfen ist. Auch wenn ein zeitlicher Zusammenhang zwischen einer Arbeitsunfähigkeit und der Kündigung besteht, kann der Arbeitgeber den Anscheinsbeweis, dass die Kündigung wegen der Erkrankung erfolgte, entkräften (z.B. durch einen Nachweis, dass die Kündigung im Hinblick auf die Probezeit erfolgen sollte – LAG Rheinland-Pfalz, 22.07.2021 – 5 Sa 93/21). Dennoch gibt es auch im Zusammenhang mit einer Arbeitsunfähigkeit Sachverhalte, die eine verhaltensbedingte – ordentliche oder außerordentliche – Kündigung rechtfertigen. In der Regel ist zunächst eine Abmahnung erforderlich; dadurch ist aber der Kündigungsgrund verbraucht. Erst bei erneutem Fehlverhalten kann gekündigt werden.
5.2 Maßregelungsverbot
Nach § 612a BGB darf der Arbeitgeber einen Arbeitnehmer bei einer Vereinbarung oder einer Maßnahme nicht benachteiligen, weil der Arbeitnehmer in zulässiger Weise seine Rechte ausübt. Eine Arbeitsunfähigkeit ist aber keine Ausübung eines Rechts i.d.S., sondern sie führt nur dazu, dass die Hauptpflicht des Arbeitnehmers, die Arbeitsleistung suspendiert wird. § 612a BGB ist nur dann anwendbar, wenn das aus der Arbeitsunfähigkeit folgende Recht zum Fernbleiben von der Arbeit vom Arbeitgeber verneint wird und dann die Sanktionierung der entsprechenden Rechtswahrnehmung durch den Arbeitnehmer durch eine Kündigung erfolgt (LAG Köln, 11.12.2020 - 10 Sa 551/20). Unter diesen Bedingungen kann ein Verstoß gegen das Maßregelungsverbot i.S.v. § 612a BGB vorliegen. Will der Arbeitgeber jedoch durch die Kündigung die für die Zukunft zu erwartenden Störungen im Betriebsablauf abwenden, fehlt es an einem unlauteren Motiv und damit sind die Voraussetzungen des Maßregelungsverbotes nicht erfüllt (BAG, 20.05.2021 – 2 AZR 560/20). Auch eine Probezeitkündigung nach einer Krankmeldung kann in der Regel nicht gegen § 612a BGB verstoßen (LAG Baden-Württemberg, 30.10.2020 – 12 Sa 33/20). Die Beweislast für die Voraussetzungen des § 612a BGB und für den Kausalzusammenhang zwischen der benachteiligenden Maßnahme des Arbeitgebers und der zulässigen Rechtsausübung trägt der Arbeitnehmer. Dabei reicht ein bloß zufälliger Zusammenhang zwischen der Maßnahme und der Rechtsausübung nicht aus (LAG München, 26.08.2021 – 3 SaGa 13/21). Insbesondere bei Kündigungen ist zu beachten, dass ein Verstoß gegen das Maßregelungsverbot des § 612a BGB vorliegt, wenn die zulässige Rechtsausübung der tragende Beweggrund für die benachteiligende Maßnahme ist. Handelt der Arbeitgeber aufgrund eines Motivbündels, ist auf das wesentliche Motiv abzustellen. Eine Kündigung im bloßen zeitlichen Zusammenhang mit der Vorlage einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung begründet nicht grundsätzlich die Annahme, es liege ein Verstoß gegen das Verbot nach § 612a BGB vor (BAG, 18.11.2021 - 2 AZR 229/21).
5.3 Pflichtverletzung
Eine verhaltensbedingte Kündigung kann gerechtfertigt sein, wenn der Arbeitnehmer seine arbeitsvertraglichen Pflichten verletzt.
Fährt ein Berufskraftfahrer unter Alkoholeinfluss, liegt eine schwerwiegende Pflichtverletzung vor, die i.S.v. § 626 Abs. 1 BGB ein wichtiger Grund für eine außerordentliche Kündigung ist (LAG Schleswig-Holstein, 24.03.2021 – 8 Sa 284/20). Nach einer Entscheidung des ArbG Berlin (03.04.2014 – 24 Ca 8017/13) ist eine verhaltensbedingte Kündigung eines Berufskraftfahrers wegen Fahrens unter Alkoholeinfluss aber auch dann rechtswirksam, wenn eine Alkoholkrankheit besteht. Mit einem solchen Verhalten verletze der Mitarbeiter seine arbeitsvertraglichen Pflichten schwerwiegend. Auch bei einer Alkoholkrankheit sei dem Arbeitnehmer vorzuwerfen, eine Fahrt unter Alkoholeinfluss angetreten und hierdurch andere Verkehrsteilnehmer gefährdet zu haben. Das Vorliegen einer Alkoholabhängigkeit schließt nicht stets ein Verschulden des Arbeitnehmers aus (BAG, 30.09.1993 – 2 AZR 188/93; siehe auch LAG Köln, 16.01.2014 – 13 Sa 516/13; LAG Schleswig-Holstein, 24.03.2021 – 6 Sa 284/20 u. LAG Rheinland-Pfalz, 06.09.2021 – 1 Sa 299/20). Im Zweifel ist der Arbeitgeber darlegungs- und beweispflichtig für die Tatsachen, mit denen eine verhaltungsbedingte Kündigung begründet wird (siehe LAG Köln, 18.06.2020 – 8 Sa 670/19). Dies gilt über § 1 Abs. 2 S. 4 KSchG hinaus auch für eine außerordentliche Kündigung (LAG Köln, 08.06.2021 – 6 Sa 723/20). Nach einer Entscheidung des LAG Thüringen rechtfertigt auch eine schwerwiegende Pflichtverletzung nicht ohne weiteres eine (außer-)ordentliche Kündigung, wenn sie sich als Auswirkung einer Alkoholsucht und deren pathologischer Veränderung in Interaktionen darstellt sowie im Zeitpunkt der Kündigung Therapiebereitschaft besteht (LAG Thüringen, 03.03.2021 - 4 Sa 154/19).
Eine verhaltensbedingte Kündigung kommt auch in Betracht, wenn der Arbeitnehmer die Arbeitsunfähigkeit nur vorgetäuscht hat (LAG Nürnberg, 27.07.2021 – 7 Sa 359/20). Zu beachten ist dabei aber der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit (LAG Rheinland-Pfalz, 04.05.2021 – 6 Sa 359/20). Da die Kündigung eine Vertragsverletzung des Arbeitnehmers voraussetzt, die der Arbeitgeber zu beweisen hat, obliegt dem Arbeitgeber nicht nur der Nachweis dafür, dass der Arbeitnehmer überhaupt gefehlt hat, sondern auch dafür, dass er unentschuldigt gefehlt hat, also die vom Arbeitnehmer behauptete Krankheit nicht vorliegt (LAG Rheinland-Pfalz, 11.11.2015 – 7 Sa 672/14). Gelingt dieser Nachweis, muss der Arbeitnehmer seinerseits beweisen, dass er arbeitsunfähig war. Zu diesem Zweck könnte er z.B. seinen behandelnden Arzt von der Schweigepflicht entbinden (weitere Einzelheiten siehe LAG Rheinland-Pfalz a.a.O.). Nimmt ein wegen einer psychischen Erkrankung arbeitsunfähiger Mitarbeiter an Spielen des lokalen Fußballvereins teil, liegt darin weder eine Vortäuschung der Arbeitsunfähigkeit noch ein genesungswidriges Verhalten. Werden alle Mitarbeiterinnen nach einer Streichung eines bereits genehmigten Betriebsurlaubs wegen einer zuvor wegen der Corona-Pandemie verhängten Praxisschließung am Tag des geplanten Beginns des Betriebsurlaubs krankgeschrieben, kann dies die Beweiskraft der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen erschüttern (LAG Nürnberg, 27.07.2021 – 7 Sa 359/20). Die betroffenen Arbeitnehmer müssen dann beweisen, dass sie tatsächlich arbeitsunfähig waren.
5.4 Verletzung der Mitteilungspflicht nach § 5 Abs. 1 EFZVG
Der Arbeitnehmer ist verpflichtet, dem Arbeitgeber die krankheitsbedingte Arbeitsunfähigkeit und deren voraussichtliche Dauer unverzüglich mitzuteilen (§ 5 Abs. 1 EFZG). Diese Verpflichtung besteht grundsätzlich auch während einer länger andauernden Arbeitsunfähigkeit. Daher muss der Arbeitnehmer auch die Fortdauer einer Arbeitsunfähigkeit über die zunächst angezeigte Dauer hinaus unverzüglich dem Betrieb mitzuteilen. Das BAG hat hierzu entschieden, dass eine schuldhafte Verletzung der sich aus § 5 Abs. 1 Satz 1 EFZG ergebenden (Neben-)Pflicht zur unverzüglichen Anzeige der Fortdauer einer Arbeitsunfähigkeit grundsätzlich geeignet ist, die Interessen des Vertragspartners zu beeinträchtigen und daher - je nach den Umständen des Einzelfalls - einen zur Kündigung berechtigenden Grund im Verhalten des Arbeitnehmers i.S.v. § 1 Abs. 2 Satz 1 KSchG darstellen kann (BAG, 07.05.2020 – 2 AZR 619/19; siehe auch LAG Rheinland-Pfalz, 05.02.2020 – 2 Sa 275/18 sowie LAG Baden-Württemberg, 25.11.2020 – 10 Sa 52/18). Eine verhaltensbedingte Kündigung kann auch in Betracht kommen bei mehrfach verspäteter Krankmeldung. Dies verstößt nicht gegen den Grundsatz von Treu und Glauben, wenn die Kündigung sich nicht als willkürlich oder auf sachfremden Motiven beruhend darstellt (LAG Rheinland-Pfalz, 14.01.2020 - 6 Sa 83/19).
Im Falle einer Kündigung wegen Verletzung der Anzeigepflicht gehört das Fehlen von betrieblichen Ablaufstörungen als Folge der unterbliebenen Mitteilung über die Fortdauer der Arbeitsunfähigkeit ebenso wie ihr Vorhandensein zur notwendigen Interessenabwägung nach § 1 Abs. 2 KSchG (BAG, 07.05.2020 - 2 AZR 619/19).
Unter besonderen Umständen kann die Verletzung der Anzeigepflicht auch ein wichtiger Grund zur außerordentlichen Kündigung sein. Wegen des regelmäßig geringen Gewichts bedarf es jedoch - auch bei Vorliegen einer einschlägigen Abmahnung - stets der Feststellung erschwerender Umstände des Einzelfalles, die ausnahmsweise die Würdigung rechtfertigen, dem Arbeitgeber sei die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist nicht zumutbar. Dies kann der Fall sein bei einer hartnäckigen, trotz dreimaliger Abmahnung über längere Zeit fortgesetzter Verletzung der Anzeigepflicht bei erstmaliger oder fortgesetzter Erkrankung, die zu einem völligen Ausfall der Planbarkeit des Einsatzes des Arbeitnehmers führt. Dieser Sachverhalt kann an sich geeignet sein, eine außerordentliche Kündigung zu rechtfertigen, weil insoweit eine beharrliche Pflichtverletzung vorliegt (LAG Rheinland-Pfalz, 24.08.2020 - 3 Sa 87/20).
5.5 Außerordentliche verhaltensbedingte Kündigung
Nach dem Verhältnismäßigkeitsprinzip ist die außerordentliche Kündigung "Ultima Ratio", so dass sie dann nicht gerechtfertigt ist, wenn die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses bis zum Ablauf der ordentlichen Kündigungsfrist zumutbar ist, weil dann die ordentliche Kündigung ein milderes Mittel als die außerordentliche Kündigung darstellt. Deshalb setzt eine Kündigung wegen einer Vertragspflichtverletzung regelmäßig eine Abmahnung voraus; sie dient der Objektivierung der Prognose, ob weitere Störungen des Vertragsverhältnisses zu erwarten sind. Sie ist nur dann entbehrlich, wenn im Einzelfall besondere Umstände vorgelegen haben, aufgrund derer eine Abmahnung als nicht Erfolg versprechend angesehen werden kann (LAG Rheinland-Pfalz, 03.08.2020 - 3 Sa 52/20 m.w.N.).
Das Erschleichen von Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen kann einen wichtigen Grund i.S.d. § 626 Abs. 1 BGB zur außerordentlichen Kündigung bilden. Dies gilt nicht nur, wenn der Arbeitnehmer für die Zeit einer vorgetäuschten Arbeitsunfähigkeit Entgeltfortzahlung erhält. Erhält er Entgeltfortzahlung, begeht er bei einer vorgetäuschten Arbeitsunfähigkeit regelmäßig einen Betrug zu Lasten des Arbeitgebers (LAG Rheinland-Pfalz, 06.02.2020 - 5 Sa 123/19). Täuscht er eine Arbeitsunfähigkeit erst nach Ablauf des Entgeltfortzahlungszeitraums vor, aber zu dem Zweck, während der attestierten Arbeitsunfähigkeit einer Konkurrenztätigkeit nachgehen zu können, verletzt er ebenfalls in erheblicher Weise seine Pflicht zur Rücksichtnahme auf die Interessen des Arbeitgebers gem. § 241 Abs. 2 BGB (BAG, 29.06.2017 – 2 AZR 597/16). Ein solches Verhalten ist eine Pflichtverletzung, die "an sich" geeignet ist, eine außerordentliche Kündigung zu rechtfertigen. Ein wichtiger Grund i.S.d. § 626 Abs. 1 BGB liegt auch vor, wenn ein dringender, auf objektive Tatsachen gestützter Verdacht einer schwerwiegenden Pflichtverletzung besteht (BAG, 29.06.2017 – 2 AZR 597/16 u. LAG Rheinland-Pfalz, 24.04.2022 – 1 Sa 484/21). Ein Verdacht ist dringend, wenn eine große Wahrscheinlichkeit dafür besteht, dass er zutrifft. Die Umstände, die ihn begründen, dürfen nach allgemeiner Lebenserfahrung nicht ebenso gut durch ein Geschehen zu erklären sein, das eine Kündigung nicht zu rechtfertigen vermöchte (BAG 31.01.2019 - 2 AZR 426/18 u. LAG Rheinland-Pfalz, 22.04.2022 - 1 Sa 484/21).
Ist der Sachverhalt "an sich" geeignet, eine außerordentliche Kündigung zu rechtfertigen, muss in einem zweiten Schritt geprüft werden, ob dem Betrieb die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses aufgrund der konkreten Umstände des Falles und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile – ggf. bis zum Ablauf der ordentlichen Kündigungsfrist – zumutbar ist oder nicht (BAG, 29.06.2017 – a.a.O.). Bei der Abwägung sind auch die persönlichen Umstände des Arbeitnehmers, wie Alter und Betriebszugehörigkeit zu berücksichtigen (LAG Rheinland-Pfalz, 05.11.2020 – 5 Sa 147/20).
Die Drohung, sich krankschreiben zu lassen, falls die Schichteinteilung nicht wie gewünscht erfolgt, stellt eine schwerwiegende Verletzung der arbeitsvertraglichen Rücksichtnahmepflicht dar, die eine außerordentliche Kündigung rechtfertigen kann. Dennoch kann die Interessenabwägung zugunsten des Arbeitnehmers ausgehen, wenn die Drohung mit der Krankschreibung auf einem innerbetrieblichen Konflikt zwischen Arbeitnehmern beruhte, auf den der Arbeitnehmer bereits mit einer Eigenkündigung reagiert hat, und das Arbeitsverhältnis deshalb in Kürze endet (LAG Mecklenburg-Vorpommern, 04.05.2021 - 5 Sa 319/20). Im Grundsatz ist eine außerordentliche Kündigung auch gerechtfertigt, wenn der Arbeitnehmer einer Weisung des Arbeitgebers mit der Drohung entgegentritt, sich krankschreiben zu lassen. Unerheblich ist hierbei, ob der Arbeitnehmer später tatsächlich erkrankt oder ob die Weisung rechtswidrig war, denn die kündigungsrelevante Nebenpflichtverletzung besteht in der Art und Weise des Vorgehens des Arbeitnehmers (LAG Rheinland-Pfalz, 21.07.2020 - 8 Sa 430/19).
Kein wichtiger Grund für eine außerordentliche Kündigung i.S.v. § 626 Abs. 1 BGB liegt vor, wenn der Mitarbeiter während der Arbeitsunfähigkeit einem Bekannten hilft, Pizzakartons ins Auto zu laden. Der Beweiswert der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung wird dadurch nicht erschüttert (LAG Köln, 10.12.2020 – 8 Sa 491/20).
Die Kündigungsfrist für eine außerordentliche Kündigung beginnt nach § 626 Abs. 2 BGB mit dem Zeitpunkt, in dem der Arbeitgeber von den dafür maßgebenden Tatsachen Kenntnis erlangt. Dafür muss eine zuverlässige und vollständige Kenntnis der einschlägigen Tatsachen vorliegen, die dem Arbeitgeber die Entscheidung ermöglichen, ob er das Arbeitsverhältnis fortsetzen soll oder nicht (BAG, 11.06.2020 – 2 AZR 442/19). Auch grob fahrlässige Unkenntnis setzt die Frist nicht in Gang (BAG, 27.02.2020 – 5 AZR 570/19). Der Kündigungsberechtigte kann daher nach pflichtgemäßem Ermessen weitere Ermittlungen anstellen und den Betroffenen anhören, ohne dass die Frist des § 626 Abs. 2 BGB zu laufen beginnt. Er muss eine zuverlässige und hinreichend vollständige Kenntnis der einschlägigen Tatsachen haben, die ihm die Entscheidung darüber ermöglicht, ob er dieses konkrete Arbeitsverhältnis fortsetzen soll oder nicht (LAG Baden-Württemberg, 03.11.2021 - 10 Sa 7/21).
Praxistipp:
Problematisch kann es sein, wenn zwar ein wichtiger Grund i.S.v. § 626 BGB vorliegt, der Arbeitgeber aber dennoch den Sachverhalt weiter klären will. Ergeben sich dann neue, belastende Erkenntnisse, läuft die Kündigungsfrist von dem Zeitpunkt an, an dem der Arbeitgeber die entsprechenden Informationen erlangt hat. Ergeben sich aber keine neuen Aspekte, bleibt es beim ursprünglichen Beginn der Frist; je nach Dauer der Ermittlungen können die zwei Wochen abgelaufen sein und eine außerordentliche Kündigung wäre dann unwirksam. Daher ist es ratsam, in solchen Fällen die Kündigung zunächst ohne tragfähigen Grund auszusprechen; Kündigungsgründe können nachgereicht oder ausgetauscht werden (BAG, 12.01.2021 – 2 AZN 724/20).
Der Arbeitgeber kann sich entsprechend § 242 BGB nicht auf die Wahrung der Kündigungserklärungsfrist des § 626 Abs. 2 S. 1 BGB berufen, wenn er es zielgerichtet verhindert hat, dass eine für ihn kündigungsberechtigte Person bereits zu einem früheren Zeitpunkt Kenntnis von den für die Kündigung maßgebenden Tatsachen erlangte, oder wenn sonst eine Abwägung aller Umstände des Einzelfalls ergibt, dass sich die späte Kenntniserlangung einer kündigungsberechtigten Person als unredlich darstellt. Dies hindert aber ein Unternehmen nicht, den Sachverhalt gründlich aufzuklären; daher können auch umfassende Compliance-Untersuchungen und -Bewertungen den Beginn der Kündigungsfrist hinauszögern (BAG, 05.05.2022 - 2 AZR 483/21).
Soll der zu Kündigende angehört werden, muss dies innerhalb einer kurzen Frist erfolgen. Sie darf im Allgemeinen nicht mehr als eine Woche betragen. Nur bei Vorliegen besonderer Umstände darf sie überschritten werden (LAG Mecklenburg-Vorpommern, 27.07.2021 - 2 Sa 25/21).
Die ärztlich attestierte Arbeitsunfähigkeit eines Arbeitnehmers als solche schließt dessen Anhörung zu dem dringenden Verdacht einer schwerwiegenden Pflichtverletzung nicht von vornherein aus, und zwar weder die schriftliche Anhörung noch - soweit aus sachlichen Gründen vom Arbeitgeber für erforderlich gehalten - die Anhörung im Rahmen eines Personalgesprächs. Solange dem erkrankten Arbeitnehmer die Teilnahme an einem Personal-/Anhörungsgespräch nicht krankheitsbedingt unmöglich oder unzumutbar ist, kann er dementsprechend gehalten sein, daran teilzunehmen. Infolgedessen ist der Arbeitgeber gehalten, auch bei Arbeitsunfähigkeit des Arbeitnehmers den Anhörungsprozess durch Einladung zum Personalgespräch oder schriftliche Anhörung einzuleiten bzw. fortzuführen und damit zu klären, ob und welche Hindernisse arbeitnehmerseitig bestehen bzw. mitgeteilt werden. Die bloße Arbeitsunfähigkeit als solche hemmt den Lauf der Ausschlussfrist des § 626 Abs. 2 BGB nicht. Unternimmt ein Arbeitgeber, der im Falle fortbestehender Arbeitsfähigkeit den Arbeitnehmer nunmehr zu den Verdachtsgründen angehört hätte, während einer zweiwöchigen Arbeitsunfähigkeitsphase des Mitarbeiters nicht einmal den Versuch einer Anhörung und Kontaktaufnahme, ist die nach Beendigung der Arbeitsunfähigkeit und dann erfolgter Anhörung ausgesprochene außerordentliche Verdachts- und Tatkündigung verfristet und damit unwirksam (LAG Düsseldorf, 18.06.2019 - 3 Sa 1077/18 – Revision zugelassen).
Unter besonderen Umständen können auch schuldlose Pflichtverletzungen des Arbeitnehmers ausnahmsweise einen wichtigen Grund zur verhaltensbedingten Arbeitgeberkündigung sein. Hierzu ist jedoch erforderlich, dass das - schuldlose - Fehlverhalten des Arbeitnehmers die betriebliche Ordnung derart nachhaltig stört, dass dem Arbeitgeber eine Aufrechterhaltung dieses Zustandes selbst dann nicht zumutbar ist, wenn der Arbeitnehmer seine Vertragspflichtverletzung nicht zu vertreten hat (LAG Köln, 18.06.2020 - 8 Sa 670/19).
5.6 Abmahnung
Soweit die Leistungsstörung durch ein steuerbares Verhalten beseitigt werden kann, ist vor Ausspruch einer Kündigung eine Abmahnung geboten (BAG, 27.02.2020 – 2 AZR 570/19 u. LAG Köln, 07.07.2022 – 6 Sa 115/22). Dies soll bewirken, dass der Mitarbeiter sein Verhalten überdenkt und solche Pflichtverletzungen in Zukunft nicht mehr vorkommen (LAG Hamburg, 17.06.2021 – 8 Sa 22/20). Eine Abmahnung liegt vor, wenn der Arbeitgeber in einer für den Arbeitnehmer hinreichend deutlich erkennbaren Art und Weise Leistungsmängel beanstandet und damit den Hinweis verbindet, im Wiederholungsfall seien Inhalt oder Bestand des Arbeitsverhältnisses gefährdet (BAG, 18.01.1980 - 7 AZR 75/78). Nur dann, wenn der Arbeitgeber den Arbeitnehmer deutlich und ernsthaft ermahnt und ihn auffordert, ein genau bezeichnetes Fehlverhalten zu ändern bzw. aufzugeben, weiß der Arbeitnehmer, dass sein Arbeitgeber ein bestimmtes Verhalten als nicht vertragsgemäß ansieht und dies künftig nicht mehr hinnehmen will. (LAG Rheinland-Pfalz, 08.06.2022 - 7 Sa 431/21). Einer Abmahnung bedarf es nach Maßgabe des auch in § 314 Abs. 2 i.V.m. § 323 Abs. 2 BGB zum Ausdruck kommenden Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes nur dann nicht, wenn bereits von vornherein erkennbar ist, dass eine Verhaltensänderung in Zukunft auch nach der Abmahnung nicht zu erwarten steht, oder es sich um eine so schwere Pflichtverletzung handelt, dass selbst deren erstmalige Hinnahme dem Arbeitgeber nach objektiven Maßstäben unzumutbar und damit offensichtlich - auch für den Arbeitnehmer erkennbar - ausgeschlossen ist (BAG, 20.11.2014 - 2 AZR 651/13 u. LAG Rheinland-Pfalz, 08.06.2022 - 7 Sa 431/21). Eine Abmahnung ist aber nicht grundsätzlich deshalb unverhältnismäßig, weil nur ein leichter Pflichtverstoß vorliegt und zuvor keine einschlägige Ermahnung oder Rüge als milderes Mittel erteilt wurde (LAG Sachsen, 07.04.2022 - 9 Sa 250/21). Die Rechtsprechung verneint die Notwendigkeit einer Abmahnung z.B., wenn während der Krankheit eine schwerwiegende Pflichtverletzung durch genesungswidriges Verhalten begangen wird (ArbG Köln, 12.02.2014 – 2 Ca 4192/13). Der Arbeitnehmer kann dann nicht davon ausgehen, dass sein Verhalten nicht vertragswidrig ist bzw. vom Arbeitgeber toleriert wird. Im Zweifel ist es jedenfalls sinnvoll, vor der verhaltensbedingten Kündigung abzumahnen. Nach der Rechtsprechung ist eine Abmahnung nur dann entbehrlich, wenn im Einzelfall besondere Umstände vorgelegen haben, aufgrund derer sie als nicht erfolgversprechend angesehen werden kann. Das ist insbesondere dann anzunehmen, wenn erkennbar ist, dass der Arbeitnehmer nicht gewillt ist, sich vertragsgerecht zu verhalten (LAG Rheinland-Pfalz, 04.11.2019 – 3 Sa 1/19; BAG, 27.02.2020 – a.a.O.). Außerdem bedürfen besonders schwere Vorwürfe keiner Abmahnung, wenn und weil der Arbeitnehmer dann von vornherein nicht mit einer Billigung seines Verhaltens rechnen kann (LAG Rheinland-Pfalz, 26.02.2010 - 6 Sa 682/09).
Verstößt ein langjährig beschäftigter Arbeitnehmer durch eine Trunkenheitsfahrt außerhalb der Arbeitszeit schuldhaft gegen arbeitsvertragliche Nebenpflichten und erscheint eine Wiederholung als wenig wahrscheinlich, ist nach dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit eine Abmahnung nicht von vorneherein entbehrlich (LAG Rheinland-Pfalz, 06.09.2021 - 1 Sa 299/20).
Der Arbeitnehmer kann aber nach der Rechtsprechung analog § 242, 1004 Abs. 1, Satz 2 BGB die Entfernung einer zu Unrecht erteilten Abmahnung aus der Personalakte verlangen. Der Anspruch besteht dann, wenn die Abmahnung entweder inhaltlich unbestimmt ist, unrichtige Tatsachenbehauptungen enthält, die den Arbeitnehmer in seiner Rechtstellung und seinem beruflichen Fortkommen beeinträchtigen können, auf einer unzutreffenden rechtlichen Bewertung des Verhaltens des Arbeitnehmers beruht oder den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit verletzt, sowie ferner dann, wenn selbst bei einer zu Recht erteilten Abmahnung kein schutzwürdiges Interesse des Arbeitgebers mehr an deren Verbleib in der Personalakte besteht (LAG Rheinland-Pfalz, 16.11.2020 - 3 Sa 188/20 m.w.N.). Eine so entfernte Abmahnung kann keine Rechtswirkung mehr entfalten, so dass bei einem späteren Fehlverhalten vor einer Kündigung zunächst wieder eine Abmahnung ausgesprochen werden muss.
5.7 Mitbestimmung
Auch bei einer verhaltensbedingten Kündigung ist der Betriebs- bzw. Personalrat anzuhören. Eine ordnungsgemäße Anhörung setzt voraus, dass der Personalvertretung alle relevanten Umstände, wegen derer die Kündigung erfolgen soll, mitgeteilt werden. Wird dagegen verstoßen, ist die Kündigung unwirksam (LAG Köln, 23.09.2020 – 11 Sa 724/19).
6. Betriebsbedingte Kündigung
Naturgemäß kommt im Zusammenhang mit Krankheitszeiten keine betriebsbedingte Kündigung in Betracht. Das LAG Köln hat klargestellt, dass die betriebsbedingte Kündigung kein "Auffangtatbestand" für Sachverhalte ist, in denen die Tatsachen zur Begründung einer verhaltensbedingten oder personenbedingten Kündigung nicht ausreichen (LAG Köln, 08.06.2021 - 6 Sa 723/20). Im Streitfall muss der Arbeitgeber darlegen können, welche betriebsbedingten Gründe zur Zeit der Kündigung vorlagen (vgl. LAG Rheinland-Pfalz, 04.03.2021 – 5 Sa 278/20).
7. Auswirkungen der Kündigung
Grundsätzlich endet mit dem Arbeitsverhältnis auch die Pflicht zur Entgeltfortzahlung. Wird während der Arbeitsunfähigkeit ordentlich gekündigt, dürfte in der Regel durch die Kündigungsfrist der Anspruch auf Entgeltfortzahlung nicht tangiert werden. Lediglich bei einer außerordentlichen Kündigung oder bei Kündigung in der Probezeit (§ 622 Abs. 3 BGB) stellt sich die Frage, bis wann der Anspruch auf Entgeltfortzahlung zu erfüllen ist. Nach § 8 Abs. 1 EFZG endet dieser Anspruch nicht, wenn der Arbeitgeber das Arbeitsverhältnis aus Anlass der Arbeitsunfähigkeit gekündigt hat. Dabei genügt es, wenn die objektive Ursache für die Kündigung in der Arbeitsunfähigkeit des Arbeitnehmers liegt. Sie muss nicht alleiniger Grund für die Kündigung sein, sie muss nur den entscheidenden Anstoß dafür gegeben haben (LAG Berlin-Brandenburg, 01.03.2018 – 10 Sa 1507/17). Der Arbeitgeber kündigt daher aus Anlass der Arbeitsunfähigkeit, wenn die Arbeitsunfähigkeit wesentliche Bedingung der Kündigung ist. Es kommt nicht auf das Motiv der Kündigung an. Maßgebend sind die objektiven Umstände bei Ausspruch der Kündigung. Der Begriff "aus Anlass" i.S.d. § 8 Abs. 1 EFZG ist weit auszulegen. Es genügt, wenn die Kündigung ihre objektive Ursache und wesentliche Bedingung in der Arbeitsunfähigkeit des Arbeitnehmers hat und den entscheidenden Anstoß für den Kündigungsentschluss gegeben hat (LAG Nürnberg, 10.12.2019 – 7 Sa 364/18). Darlegungs- und beweispflichtig für eine solche Anlasskündigung ist die Arbeitnehmerin bzw. im Falle des Forderungsübergangs (§ 115 SGB X) die Krankenkasse. Indessen kommt ihr regelmäßig der Anscheinsbeweis zu Gute, wenn die Kündigung in zeitlich engem Zusammenhang zur angezeigten Arbeitsunfähigkeit ausgesprochen worden ist. Eine Anlasskündigung ist mithin zu vermuten, wenn sie in unmittelbarem zeitlichem Zusammenhang mit dem zeitlichen Eintritt der Arbeitsunfähigkeit erfolgt (LAG Nürnberg, 04.07.2019 - 5 Sa 115/19 m.w.N.). Diese Vermutung muss der Arbeitgeber nachvollziehbar widerlegen (LAG Nürnberg, 10.12.2019 – 7 Sa 364/18). Gelingt dies nicht, muss Entgeltfortzahlung geleistet werden.
8. Kündigungsschutzklage
Gegen die Kündigung kann sich der Arbeitnehmer mit einer Kündigungsschutzklage wehren. Diese muss innerhalb von drei Wochen nach dem Zugang der Kündigung beim Arbeitsgericht vorliegen. Wird die Klage durch einen Rechtsanwalt bzw. einen anderen professionellen Einreicher erhoben, sind die Anforderungen des elektronischen Rechtsverkehrs (§ 46c und 46g ArbGG) zu beachten (vgl. LAG Schleswig-Holstein, 13.10.2021 – 6 Sa 337/20).
Das Arbeitsgericht beraumt zunächst einen Gütetermin an, in dem sich die Vertragsparteien gütlich einigen sollen. Kommt es nicht zu einer Einigung, wird ein Verhandlungstermin festgelegt. Das Ziel eines solchen Verfahrens kann aus Arbeitnehmersicht unterschiedlich sein; z.B. er will entweder das Arbeitsverhältnis fortsetzen oder evtl. eine Abfindung erstreiten.
Eine Klage auf vertragsmäßige Beschäftigung wahrt zugleich die Ausschlussfrist, die bei Geltendmachung von Lohn- oder Gehaltsansprüchen zu beachten ist. Dies gilt zumindest für Ausschlussfristen der so genannten ersten Stufe (Geltendmachung der Ansprüche gegenüber dem Vertragspartner; BAG, 18.09.2019 - 5 AZR 240/18). Darüber hinaus sind tarifvertragliche Ausschlussfristen, die eine rechtzeitige gerichtliche Geltendmachung vorsehen, verfassungskonform dahingehend auszulegen, dass die vom Erfolg einer Bestandsstreitigkeit abhängigen Ansprüche bereits mit der Klage in der Bestandsstreitigkeit gerichtlich geltend gemacht sind (vgl. BAG, 24.09.2014 - 5 AZR 593/12).