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Welche Fragen Arbeitgeber auch zum Thema Sozialversicherungsrecht bewegen: Die Rechtsdatenbank der AOK liefert die Antworten – einfach, fundiert und topaktuell.

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Kündigungsschutz - Beschäftigungsanspruch
Kündigungsschutz - Beschäftigungsanspruch
Inhaltsübersicht
- 1.
- 2.
- 3.
- 4.Rechtsprechungs-ABC
- 4.1
- 4.2
- 4.3
- 4.4
- 4.5
- 4.6
- 4.7
- 4.8
- 4.9
- 4.10
- 4.11
- 4.12
- 4.13
- 4.14
- 4.15
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- 4.17
- 4.18
- 4.19
- 4.20
- 4.21
- 4.22
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- 4.24
- 4.25
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Information
1. Allgemeines
Der Arbeitgeber hat sich im Arbeitsvertrag verpflichtet, seinen Mitarbeiter mit bestimmten Tätigkeiten zu beschäftigen. Die Zahlung von Arbeitsentgelt allein genügt nicht. Das Bundesarbeitsgericht geht in ständiger Rechtsprechung davon aus, dass ein allgemeiner Beschäftigungsanspruch besteht (s. dazu BAG, 27.02.1985 - GS 1/84). Dieser allgemeine Beschäftigungsanspruch greift nicht nur während des Arbeitsverhältnisses, sondern auch nach einer - sei es fristlos, sei es fristgemäß - erklärten Kündigung.
Praxistipp:
Die Abwägung betroffener Interessen ist nicht immer leicht. Sind die Gefahren, die der Arbeitgeber für seinen Betrieb fürchtet, wirklich so gravierend, wenn der Arbeitnehmer weiter arbeitet? Ist das Beschäftigungsinteresse des Mitarbeiters wirklich so hoch anzusetzen, dass es das Arbeitgeberinteresse an seiner Nichtbeschäftigung aussticht? Die Fragen lassen sich für eine einseitige Freistellung oft nur schwer beantworten. Das Sinnvollste ist es daher, mit dem Arbeitnehmer nach Zugang der Kündigung eine vernünftige, schriftliche Vereinbarung über seine Freistellung zu treffen.
§ 102 Abs. 5 BetrVG sieht im Fall einer ordentlichen Kündigung vor, dass ein gesetzlicher Anspruch auf Weiterbeschäftigung besteht. Das Gleiche tut § 79 Abs. 2 BPersVG für den öffentlichen Dienst. Außerhalb der spezialgesetzlichen Regelungen ist Platz für die Anwendung des allgemeinen Beschäftigungsanspruchs. Auch wenn er aus dem Arbeitsvertrag und dem mit Art. 1, 2 Abs. 1 GG (Persönlichkeitsrecht) auszufüllenden Grundsatz von Treu und Glauben (§ 242 BGB) hergeleitet wird: Überwiegen die Interessen des Arbeitgebers an der Nichtbeschäftigung, muss der Beschäftigungsanspruch zurücktreten. Das ist u.a. der Fall, wenn der Arbeitnehmer in der verbleibenden Zeit den Betriebsfrieden stören oder Betriebsgeheimnisse verraten würde.
2. Die gesetzlichen (Weiter)Beschäftigungsansprüche
§ 102 Abs. 5 BetrVG sieht für mitbestimmte Betriebe einen betriebsverfassungsrechtlichen Weiterbeschäftigungsanspruch vor: Hat der Betriebsrat einer ordentlichen Kündigung
frist- und
ordnungsgemäß
widersprochen und der Arbeitnehmer eine Kündigungsschutzklage erhoben, so muss der Arbeitgeber den gekündigten Mitarbeiter nach § 102 Abs. 5 Satz 1 BetrVG
auf dessen Verlangen
nach Ablauf der Kündigungsfrist
bis zum rechtskräftigen Abschluss des Rechtsstreits
zu unveränderten Arbeitsbedingungen weiterbeschäftigen.
Mehr zum betriebsverfassungsrechtlichen Weiterbeschäftigungsanspruch in den Stichwörtern Kündigung - betriebsbedingt: Weiterbeschäftigungsanspruch, Kündigung - ordentliche: Mitbestimmung, Kündigung - personenbedingt: Mitbestimmung, Weiterbeschäftigung und Weiterbeschäftigungsanspruch.
Für Arbeitnehmer im öffentlichen Dienst ergibt sich ein Weiterbeschäftigungsanspruch aus § 79 Abs. 2 BPersVG, für Bundesbedienstete und für Kommunal- und Landesbedienstete aus den entsprechenden Personalvertretungsgesetzen der Länder.
Ein Weiterbeschäftigungsanspruch kann sich zudem aus einem gerichtlichen Vergleich ergeben
3. Der allgemeine Beschäftigungsanspruch
Es kommt häufig vor, dass Arbeitgeber gekündigte Mitarbeiter mit Zugang der Kündigung oder kurz danach bis zum Ablauf der Kündigungsfrist freistellen. Viele Arbeitnehmer nehmen die Freistellung ohne Gegenwehr hin. Sie bekommen ihre vertragsgemäße Vergütung bis zum Ausscheiden weiter und dürfen zu Hause bleiben. Andere wiederum lehnen ihre Freistellung ab und wollen bis zum Ende (und darüber hinaus) (weiter) arbeiten.
Die gesetzlichen Ansprüchen auf (Weiter)Beschäftigung nach
§ 79 Abs. 2 BPersVG.
sind unzureichend - vor allem in nicht mitbestimmten Betrieben. Arbeitnehmer haben daher nach ständiger BAG-Rechtsprechung (grundlegend: BAG, 27.02.1985 - GS 1/84)
einen arbeitsvertraglichen Anspruch auf vertragsgemäße Beschäftigung (= allgemeiner Beschäftigungsanspruch)
über den Ablauf der Kündigungsfrist hinaus oder nach Zugang einer außerordentlichen Kündigung
bis zum rechtskräftigen Abschluss des Kündigungsschutzverfahrens, wenn
die Kündigung unwirksam ist und
der Beschäftigung
keine überwiegend schützenswerten Interessen des Arbeitgebers entgegenstehen.
Praxistipp:
Wenn die Kündigung nicht offensichtlich unwirksam ist, reicht in der Regel die Ungewissheit über den Ausgang des Kündigungsrechtsstreits aus, für die Dauer des Kündigungsschutzprozesses ein überwiegendes Interesse des Arbeitgebers an der Nichtbeschäftigung des gekündigten Mitarbeiters zu bejahen. Der Arbeitgeber soll nicht gezwungen werden, gegen seine Interessen zu handeln. Es besteht nämlich die Gefahr, dass seine betriebs-, personen- oder verhaltensbedingten Kündigungsgründe bei einer (Weiter)Beschäftigung des Mitarbeiters an Substanz verlieren.
Der vom BAG bestätigte Anspruch wird auch als allgemeiner Beschäftigungsanspruch bezeichnet. Zur Unterscheidung:
Beschäftigungsanspruch ist der Anspruch auf Beschäftigung, der während des laufenden Arbeitsverhältnisses gegen den Arbeitgeber besteht;
Weiterbeschäftigungsanspruch ist der Anspruch, der nach Zugang einer außerordentlichen Kündigung oder Ablauf der Kündigungsfrist im Fall der ordentlichen Kündigung entsteht.
Der Beschäftigungsanspruch wird
aus dem Arbeitsvertrag (§§ 611 Abs. 1, 613 BGB) und
dem Persönlichkeitsrecht des Arbeitnehmers (§ 242 BGB i.V.m. Art. 1, 2 Abs. 1 GG)
hergeleitet. Er verkörpert das Recht auf tatsächliche Beschäftigung. Es reicht eben nicht aus, den Arbeitnehmer nur zu bezahlen. Der Arbeitgeber ist verpflichtet, seinem Mitarbeiter die vertraglich vereinbarten Tätigkeiten zuzuweisen - wenn sein Interesse an der Nichtbeschäftigung nicht höher anzusetzen ist. Die Beschäftigungspflicht ist eine Nebenpflicht des Arbeitgebers.
Praxistipp:
Die Art der vereinbarten und ausgeübten Beschäftigung ist für den Beschäftigungsanspruch unerheblich. Es kommt auch nicht darauf an, ob der Arbeitnehmer eine hoch oder gering qualifizierte Arbeit schuldet.
Die Durchsetzung des allgemeinen Beschäftigungsanspruchs erfolgt im Weg der Leistungsklage (§ 259 ZPO), die Vollstreckung nach § 888 Abs. 1 ZPO über Zwangsgeld oder Zwangshaft. Bei Vorliegen eines ausreichenden Verfügungsgrunds kann der Arbeitnehmer seinen Beschäftigungsanspruch sogar mit einer einstweiligen Verfügung sichern (§ 940 ZPO).
Gesetzliche Beschäftigungsansprüche gibt es für Auszubildende (§ 14 Abs. 1 Nr. 1 BBiG) und Schwerbehinderte (§ 81 Abs. 4 SGB IX).
4. Rechtsprechungs-ABC
An dieser Stelle werden einige der interessantesten Entscheidungen zum Thema Kündigungsschutz und Beschäftigungsanspruch in alphabetische Reihenfolge nach Stichwörtern geordnet hinterlegt:
4.1 Änderungskündigung
Auch wenn § 102 BetrVG für alle Kündigungen gilt: Bei einer Änderungskündigung hängt ein vorläufiger Weiterbeschäftigungsanspruch des Arbeitnehmers zu den bisherigen Bedingungen davon ab, ob er die neuen Arbeitsbedingungen abgelehnt oder unter Vorbehalt angenommen hat. Während es bei der Ablehnung keine Besonderheit gibt, gilt bei einer Annahme unter Vorbehalt: der Arbeitnehmer hat sich bereit erklärt, zunächst unter den neuen Arbeitsbedingungen weiterzuarbeiten. Da ist es widersprüchlich, gleichzeitig die Weiterbeschäftigung zu den bisherigen Arbeitsbedingungen zu verlangen. Der Arbeitnehmer muss sich an seiner Erklärung festhalten lassen - er hat kein Wahlrecht (LAG Hessen, 19.06.2012 - 15 SaGa 242/12).
4.2 Anspruch auf Beschäftigung
Es gibt keinen Anspruch auf Beschäftigung ohne vertragliche Grundlage. Vertragliche Grundlage ist der Arbeitsvertrag. Allein aus Art. 12 GG lässt sich kein Beschäftigungsanspruch des Arbeitnehmers gegen den Arbeitgeber herleiten. "Ein Anspruch auf Beschäftigung ohne vertragliche Grundlage ist dem geltenden Recht fremd" (BAG, 01.10.1986 - 7 AZR 141/85).
4.3 Anspruchsinhalt
Arbeitnehmer haben gegen ihren Arbeitgeber regelmäßig einen Anspruch auf tatsächliche Beschäftigung, der sich inhaltlich nach den arbeitsvertraglichen Vereinbarungen richtet. Die Änderung der vertraglich vereinbarten Beschäftigung setzt ebenso wie ihre Begründung einen Vertragsantrag i.S.d. § 145 BGB voraus. Dieser Vertragsantrag muss vom Arbeitnehmer nach den §§ 146 ff. BGB angenommen werden. "Welche Aufgaben zu übertragen sind, richtet sich nach dem Arbeitsvertrag, dessen Inhalt durch Auslegung (§§ 133, 157 BGB) zu ermitteln ist" (BAG, 17.01.2006 - 9 AZR 226/05).
4.4 Ausschluss
Der Beschäftigungsanspruch ist nicht absolut. Er kann ausgeschlossen sein, wenn der Arbeitgeber für den Mitarbeiter keine Beschäftigungsmöglichkeit (mehr) hat. Das kann beispielsweise der Fall bei einem Auftragsmangel (s. dazu BAG, 27.02.1985 – GS 1/84) oder einer auf rechtmäßiger Unternehmerentscheidung beruhenden Umorganisation der Fall sein (s. dazu BAG, 21.03.2018 – 10 AZR 560/16 u. BAG, 25.01.2018 – 8 AZR 524/16). Da aus dem Beschäftigungsanspruch keine Beschäftigungsgarantie gefolgert wird, braucht der Arbeitgeber nicht auf die Durchführung beschlossener unternehmerischer Entscheidungen zu verzichten. Letztlich sind auch hier bei der Interessenabwägung wieder die gesamten Umstände des Einzelfalls zu berücksichtigen. Und da kann es dann im Einzelfall durchaus passieren, dass dem Nichtbeschäftigungsinteresse des Arbeitgebers "besonders schwerwiegende, insbesondere verfassungsrechtlich geschützte Belange des Arbeitnehmers entgegenstehen" (BAG, 15.06.2021 - 9 AZR 217/20).
4.5 Beschäftigungsanspruch schwerbehinderter Menschen?
Der vereinfachte Fall: Das Arbeitsverhältnis des schwerbehinderten Mitarbeiters S unterfiel einem tariflichen Sonderkündigungsschutz. Sein Arbeitgeber A wurde insolvent und kündigte das Arbeitsverhältnis im Rahmen der InsO-Eigenverwaltung. Zuvor hatte A mit seinem Betriebsrat einen Interessenausgleich mit Namensliste i.S.d. § 125 InsO vereinbart und den zukünftigen Mitarbeiterbedarf auf sein neues unternehmerisches Konzept abgestellt. S meinte, er habe als Schwerbehinderter gem. § 164 Abs. 4 SGB IX (= § 81 Abs. 4 SGB IX a.F.) einen Beschäftigungsanspruch.
Das Bundesarbeitsgericht sah das anders. Der tarifliche Sonderkündigungsschutz hat wegen § 113 Satz 1 InsO keine Wirkung - wogegen keine verfassungsrechtliche Bedenken bestehen. Und weil A nach seiner neuen organisatorischen Ausrichtung keine geeignete Weiterbeschäftigungsmöglichkeit für S mehr hat, kommt auch der Anspruch aus § 164 Abs. 4 SGB IX nicht zum Tragen. A war nicht verpflichtet, für S einen neuen Arbeitsplatz zu schaffen oder seinen früheren zu erhalten. Nach seinem neuen Organisationskonzept - die Hilfstätigkeiten, die S ausübte, werden nun von den Fachkräften miterledigt - war S' Arbeitsplatz nicht mehr vorhanden. S wurde nicht mehr gebraucht (BAG, 16.05.2019 - 6 AZR 329/18).
4.6 Beschäftigungsklage
Gegenstand einer Kündigungsschutzklage ist die Wirksamkeit einer Kündigung. Will ein Arbeitnehmer seinen Beschäftigungsanspruch sichern, ohne dass sein Arbeitgeber zuvor eine Kündigung ausgesprochen hat, muss er diesen Anspruch mit einer Beschäftigungsklage geltend machen. Sie ist keine Kündigungsschutzklage i.S.d. § 4 KSchG – und somit auch nicht geeignet, eine tarifliche Ausschlussfrist zu wahren, die in Fällen, in denen die Parteien einen Kündigungsschutzprozess führen, auf dessen Ausgang es für etwaige Ansprüche ankommt, nicht zu laufen beginnt (BAG, 19.11.2014 – 5 AZR 121/13 – zu § 15 Ziffer 2 BRTV-Bau).
4.7 Beschäftigungsurteil
Wie weit ein Beschäftigungsurteil (= Titel) nach § 322 Abs. 1 ZPO rechtskraftfähig ist, muss aus dem Urteil und den dazu ergangenen Gründen bestimmt werden. "Der Titel muss aus sich heraus einen bestimmten oder zumindest bestimmbaren Inhalt haben (...). Das Erfordernis der - von Amts wegen zu prüfenden - Bestimmtheit des Urteilsausspruchs dient der Rechtsklarheit und Rechtssicherheit. Der Umfang der materiellen Rechtskraft i.S.v. § 322 Abs. 1 ZPO und damit die Entscheidungswirkungen müssen festgestellt werden können."
Stellt das LAG in zweiter Instanz fest, dass das Arbeitsverhältnis nicht aufgelöst ist und verurteilt es den Arbeitgeber, seinen Mitarbeiter "über den 31.3.2007 hinaus zu unveränderten Arbeitsbedingungen gemäß Arbeitsvertrag als Angestellten bis zum rechtskräftigen Abschluss des Kündigungsschutzverfahrens weiter zu beschäftigen", ist das ein der Rechtskraft nicht fähiger Titel. "Der Entscheidung ist schon nicht mit der erforderlichen Bestimmtheit zu entnehmen, ab welchem Zeitpunkt eine Verpflichtung der Beklagten bestehen soll." Hinzu kommt, dass überhaupt nicht deutlich wird, "um welche Art von Beschäftigung es geht. Für den Schuldner muss aus rechtsstaatlichen Gründen erkennbar sein, in welchen Fällen er mit einem Zwangsmittel zu rechnen hat" (BAG, 27.05.2015 - 5 AZR 88/14).
4.8 Bestehen des Anspruchs
Besteht das Arbeitsverhältnis unangefochten, ist der Arbeitgeber verpflichtet, seinen Arbeitnehmer vertragsgemäß zu beschäftigen. Ist eine Arbeitgeberkündigung rechtsunwirksam, besteht der Beschäftigungsanspruch des gekündigten Mitarbeiters über das Ende der Kündigungsfrist hinaus fort. Das Arbeitsverhältnis wird durch diese Kündigung ja nicht aufgelöst. Ist die Arbeitgeberkündigung dagegen wirksam, besteht nach Ablauf der Kündigungsfrist bzw. nach Zugang der außerordentlichen Kündigung kein Beschäftigungsanspruch. Hier ist im Wege einer Interessenabwägung ein Ausgleich für die Zeit zu schaffen, in der es noch keine Gewissheit über den Ausgang des Kündigungsrechtsstreits gibt (BAG, 05.04.1990 - 2 AZR 522/89).
4.9 Darlegungs- und Beweislast
Beruft sich der Arbeitgeber im Prozess auf das Überwiegen seines Interesses an der Nichtbeschäftigung des Arbeitnehmers, trägt er nach den allgemeinen Regeln für die Tatsachen, mit denen er das Überwiegen seines Interesses untermauern will, die Darlegungs- und Beweislast. Dazu gehört es, dass er ganz konkret sagt, "in welchem Umfang und aufgrund welcher Maßnahmen die bisher vom Arbeitnehmer ausgeübten Tätigkeiten für diesen zukünftig entfallen" (s. dazu BAG, 16.05.2019 – 6 AZR 329/18; BAG, 22.10.2015 – 2 AZR 650/14 u. BAG, 24.05.2012 – 2 AZR 124/11). Dabei trifft den Arbeitgeber eine gesteigerte Darlegungslast, wenn die von ihm getroffene Organisationsentscheidung und der Abbau des vom Arbeitnehmer bisher besetzten Arbeitsplatzes praktisch deckungsgleich sind. Wie substanziiert der Arbeitgeber dann vorzutragen hat, ergibt sich aus der Einlassung des Arbeitnehmers (BAG, 15.06.2021 - 9 AZR 217/20 – mit Hinweis auf BAG, 31.07.2014 – 2 AZR 422/13).
4.10 Einschränkung
Der für ein bestehendes Arbeitsverhältnis aus den §§ 611a, 613 BGB i.V.m. § 242 BGB gefolgerte allgemeine Beschäftigungsanspruch hat Grenzen. Zunächst muss es zwischen Arbeitgeber und -nehmer eine arbeitsvertragliche Verbindung geben. Des Weiteren muss das Interesse des Arbeitnehmers an seiner Beschäftigung das des Arbeitgebers an dessen Nichtbeschäftigung überwiegen (s. dazu BAG, 27.02.1985 – GS 1/84). Arbeitgeber sind auch nach § 242 BGBG – Treu und Glauben – nicht verpflichtet, Arbeitnehmerinteressen zu fördern, ohne dabei auf die eigenen – überwiegenden und schutzwerten - Interessen Rücksicht zu nehmen. "Andererseits kann sich auf Seiten des Arbeitnehmers das allgemeine ideelle Beschäftigungsinteresse im Einzelfalle noch durch besondere Interessen ideeller und/oder materieller Art verstärken" (s. dazu BAG, 27.02.1985 – GS 1/84). Um hier zu einem sachgerechten Ergebnis zu kommen, bedarf es einer die gesamten Umstände des Einzelfalls einbeziehenden Interessenabwägung. Überwiegen dabei die schutzwürdigen Arbeitgeberinteressen, braucht er den Arbeitnehmer nicht zu beschäftigen (BAG, 15.06.2021 – 9 AZR 217/20 – mit Hinweis auf BAG, 27.02.1985 – GS 1/84; BAG, 25.01.2018 – 8 AZR 524/16 u. BAG, 09.04.2014 – 10 AZR 637/13).
4.11 Einstweilige Verfügung
Der Arbeitnehmer kann seinen Beschäftigungsanspruch auch in einem Eilverfahren sichern - muss dabei allerdings gewisse Voraussetzungen beachten. So braucht er einen Verfügungsanspruch (= Beschäftigungsanspruch) und einen Verfügungsgrund (= drohender Rechtsverlust). Auch wenn tatsächlich ein Beschäftigungsanspruch besteht, genügt allein der wegen Zeitablaufs drohende Rechtsverlust nicht aus, einen Verfügungsgrund anzunehmen. Zur Annahme des Verfügungsgrunds gehört es u.a., dass der antragstellende Arbeitnehmer dringend auf die Erfüllung seines Anspruchs angewiesen ist und die geschuldete Leistung so kurzfristig zu erbringen ist, "dass die Erwirkung eines Titels im ordentlichen Verfahren nicht möglich ist und der dem Antragsteller aus der Nichterfüllung drohende Schaden .. außer Verhältnis zu dem Schaden" steht, "der dem Antragsgegner aus der sofortigen vorläufigen Erfüllung droht" (LAG Berlin-Brandenburg, 16.03.2011 - 4 SaGa 2600/10).
4.12 Entgeltfortzahlung bei Prozessbeschäftigung
Arbeitnehmer haben nach § 3 Abs. 1 EFZG Anspruch auf Entgeltfortzahlung – "Arbeitnehmer", wie gesagt. Hat ein gekündigter Mitarbeiter, den der Arbeitgeber nur deswegen vorläufig weiterbeschäftigt, weil der ihm mit der Vollstreckung des erstinstanzlichen Weiterbeschäftigungstitel gedroht hat, Anspruch auf Entgeltfortzahlung? Wird durch die Prozessbeschäftigung ein Arbeitsverhältnis, möglicherweise auch nur ein faktisches oder fehlerhaftes begründet? Nein, meint das BAG: "Wird ein gekündigter Arbeitnehmer nach Ablauf der Kündigungsfrist zur Abwendung der Zwangsvollstreckung aus einem titulierten allgemeinen Weiterbeschäftigungsanspruch vorläufig weiterbeschäftigt, bestehen keine Ansprüche auf Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall und Entgeltzahlung an Feiertagen, wenn sich nachträglich die Kündigung als wirksam erweist" (BAG, 27.05.2020 – 5 AZR 247/19 – Leitsatz).
4.13 Förderungspflicht des Arbeitgebers
In einem bestehenden Arbeitsverhältnis wird der Beschäftigungsanspruch des Arbeitnehmers aus den §§ 611, 613 i.V.m. § 242 BGB hergeleitet. Der Arbeitgeber hat im Hinblick auf das Beschäftigungsinteresse seiner Mitarbeiter - unter Berücksichtigung der verfassungsrechtlichen Wertentscheidungen der Art. 1 und 2 GG - eine arbeitsvertragliche Förderungspflicht. Ohne vertragliche Vereinbarung ist die einseitige Suspendierung von Arbeitnehmern grundsätzlich unzulässig. Der Beschäftigungsanspruch des Arbeitnehmers muss allerdings zurücktreten, "wenn überwiegende schutzwerte Interessen des Arbeitgebers entgegenstehen" (BAG, 09.04.2014 - 10 AZR 637/13).
4.14 Grundsatz
Arbeitnehmer haben in ihrem laufenden Arbeitsverhältnis prinzipiell Anspruch auf vertragsgemäße und tatsächliche Beschäftigung. Die Rechtsgrundlage für diesen Anspruch hat die Rechtsprechung im Wege richterlicher Rechtsfortbildung entwickelt. Sie nimmt sie aus den §§ 611a, 613 BGB in Verbindung mit der in § 242 BGB hinterlegten Generalklausel von Treu und Glauben. Diese Klausel wiederum wird durch die verfassungsrechtlichen Wertentscheidungen der Art. 1 und Art. 2 GG zum allgemeinen Persönlichkeitsrecht ausgefüllt (s. dazu BAG, 27.02.1985 – GS 1/84; BAG 25.01.2018 – 8 AZR 524/16; BAG, 21.02.2017 – 1 AZR 367/15; BAG, 09.04.2014 – 10 AZR 637/13 u. BAG, 27.05.2020). Als Ausdruck und Achtung ihrer Persönlichkeit und ihres Entfaltungsrechts sollen Arbeitnehmer die Möglichkeit haben, tatsächlich arbeiten zu können (s. dazu BAG, 21.02.2017 – 1 AZR 367/15). Verlangt ein Arbeitnehmer seine Weiterbeschäftigung, ist der Arbeitgeber verpflichtet, das vertragsgemäß umzusetzen (BAG, 15.06.2021 – 9 AZR 217/20 – mit Hinweis auf BAG, 24.06.2015 – 5 AZR 225/14).
4.15 Interessenkonflikt
Der Beschäftigungsanspruch besteht nur dann, wenn im Einzelfall keine schützenswerten Interessen des Arbeitgebers entgegenstehen. Er kann allerdings nicht mit einer unwirksamen Kündigung beseitigt werden. Bei Prüfung des Weiterbeschäftigungsanspruchs sind aber die Ungewissheit über die objektive Rechtslage und das entsprechende beiderseitige Risiko des ungewissen Prozessausgangs zu berücksichtigen. "Die Ungewissheit über den Ausgang des Kündigungsschutzprozesses" begründet "ein schutzwertes Interesse des Arbeitgebers an der Nichtbeschäftigung des gekündigten Arbeitnehmers für die Dauer des Prozesses, das in der Regel das Beschäftigungsinteresse des Arbeitnehmers bis zu dem Zeitpunkt überwiege, in dem im Kündigungsschutzprozess ein die Unwirksamkeit der Kündigung feststellendes Urteil ergehe" (BAG, 21.01.1987 - 7 AZR 513/84).
4.16 Keine Beschäftigungsgarantie
Auch wenn man es auf den ersten Blick meinen könnte: Die §§ 611a, 613 BGB i.V.m. § 242 BGB gewährleisten nur einen Beschäftigungsanspruch – keine Beschäftigungsgarantie (s. dazu BAG, 16.05.2019 – 6 AZR 329/18). So ist es dem Arbeitgeber allein wegen des Beschäftigungsanspruchs seines Mitarbeiters nicht verboten, "eine Organisationsentscheidung zu treffen, die zum Wegfall des Arbeitsplatzes führt." Wenn die vertragsgemäße Beschäftigung auf dem bisherigen oder auf einem anderen freien Arbeitsplatz nicht möglich ist, braucht der Arbeitgeber für den von der Umsetzung seiner Organisationsentscheidung betroffenen Arbeitnehmer grundsätzlich keinen zusätzlichen Arbeitsplatz einzurichten (s. dazu BAG, 16.05.2019 – 6 AZR 329/18). Er muss nicht auf die beschlossene Organisationsmaßnahme verzichten. Ebenso wenig kann er gezwungen werden, die einmal getroffene "Organisationsentscheidung mit dem Ziel zu 'modifizieren', eine Beschäftigungsmöglichkeit zu erhalten." Würde man das anders sehen, führte das nicht nur zu einer Kontrolle der unternehmerischen Entscheidung, man müsste ihr auch eine andere Gestalt geben. "Dem Arbeitgeber kann auch unter Beachtung der jeweils aus Art. 12 Abs. 1 GG folgenden, gegenläufigen Grundrechtspositionen der Arbeitsvertragsparteien nicht vorgegeben werden, welche und wie viele Arbeitsplätze er in seinem Betrieb weiter vorzuhalten hat" (BAG, 15.06.2021 – 9 AZR 217/20 – mit Hinweis auf BAG, 24.09.2015 – 2 AZR 562/14).
4.17 Mandatsträger
Arbeitnehmer N war befristet bei Arbeitgeber G beschäftigt und Mitglied des Wahlvorstands. Mit der Begründung, N habe an einem illegalen Streik teilgenommen, kündigte G dessen Arbeitsverhältnis fristlos. Dagegen wehrte sich N mit einer Kündigungsschutzklage. Gleichzeitig beantragte er im Eilverfahren, G zu verpflichten, ihn tatsächlich weiter zu beschäftigen. Vor dem Arbeitsgericht ohne Erfolg, in zweiter Instanz dagegen siegreich. Das Berufungsgericht hat N's Antrag bis zum Auslauf der vereinbarten Befristung stattgegeben. Begründung u. a.: Die gegenüber N ausgesprochene außerordentliche Kündigung sei offensichtlich unwirksam. Als Mitglied des Wahlvorstands habe N den besonderen Kündigungsschutz nach § 15 Abs. 3 KSchG. Und da in G's Betrieb noch kein Betriebsrat gewählt worden war, hätte G vor N's Kündigung gemäß § 103 Abs. 2a BetrVG das Zustimmungsersetzungsverfahren beantragen müssen (LAG Berlin-Brandenburg, 12.01.2022 - 23 SaGa 1521/21 - mit weiteren Ausführungen, insbesondere zum Sonderkündigungsschutz).
4.18 Mögliche Anspruchsgrundlagen
Zunächst gibt es den betriebsverfassungsrechtlichen Weiterbeschäftigungsanspruch. Das ist aber nicht alles: Arbeitgeber und gekündigte Mitarbeiter können sich beispielsweise auch individualvertraglich darauf verständigen, dass das Arbeitsverhältnis vorübergehend fortgesetzt wird (s. dazu BAG, 20.05.2021 – 2 AZR 457/20). Das Arbeitsverhältnis kann dann auflösend bedingt bis zur rechtskräftigen Abweisung der Kündigungsschutzklage weitergeführt oder bis zum rechtskräftigen Abschluss des Kündigungsschutzverfahrens befristet werden (s. dazu BAG, 27.05.2020 – 5 AZR 247/19). Unter Umständen ist es auch möglich, neben das gekündigte Arbeitsverhältnis eine zweites, zweckbefristetes zu stellen (s. dazu BAG, 04.09.1986 – 8 AZR 636/84). "Hat der gekündigte Arbeitnehmer ein vorläufig vollstreckbares Weiterbeschäftigungsurteil erstritten, kommt darüber hinaus die rein tatsächliche Beschäftigung des Arbeitnehmers aufgrund des im Weiterbeschäftigungsurteil titulierten allgemeinen Weiterbeschäftigungsanspruchs in Betracht" (BAG, 08.09.2021 – 5 AZR 205/21 – mit Hinweis auf BAG, 27.05.2020 – 5 AZR 247/19).
4.19 Rechtliches Hindernis
Wurde der Arbeitgeber zur Weiterbeschäftigung eines Arbeitnehmers verurteilt, heißt das nicht unbedingt, dass er diesen Mitarbeiter tatsächlich weiterbeschäftigen muss. Die titulierte Weiterbeschäftigung ist ausgeschlossen, wenn sie dem Arbeitgeber i.S.d. § 275 Abs. 1 BGB unmöglich ist (s. dazu BAG, 05.02.2020 – 10 AZB 31/19 – und BAG, 21.03.2018 – 10 AZR 560/16). "Unmöglich" ist eine Weiterbeschäftigung, wenn ein Fall des "rechtlichen Unvermögens" vorliegt, z. B., weil der Arbeitgeber den Mitarbeiter gar nicht einsetzen darf, weil Letzterem die besondere berufliche Qualifikation für die Beschäftigung (oder eine behördliche Erlaubnis, Anm. d. Verf.) fehlt. Auf die fehlende berufliche Qualifikation kann sich der Arbeitgeber jedoch nicht berufen, wenn er den Mitarbeiter zuvor in Kenntnis der fehlenden Qualifikation eingestellt, ihn längere Zeit auf dieser Stelle beschäftigt und ihm dafür auch noch gute Noten erteilt hat (BAG, 01.06.2022 – 5 AZR 407/21 – mit dem Hinweis, dass hier ein Fall des gegen § 242 BGB verstoßenden widersprüchlichen Verhaltens vorliegt).
4.20 Rechtsgrundlage
Grundsatzentscheidung: "Rechtsgrundlage eines Beschäftigungsanspruchs ist ... der Arbeitsvertrag (§ 611 BGB), der den Arbeitnehmer gemäß § 613 BGB zur persönlichen Dienstleistung für den Arbeitgeber verpflichtet. Der Anspruch beruht unmittelbar auf der sich für den Arbeitgeber aus § 242 BGB unter Berücksichtigung der verfassungsrechtlichen Wertentscheidungen der Art. 1 und 2 GG über den Persönlichkeitsschutz ergebenden arbeitsvertraglichen Förderungspflicht der Beschäftigungsinteressen des Arbeitnehmers" (BAG, 27.02.1985 - GS 1/84; bestätigt durch BAG, 01.06.2022 - 5 AZR 407/21).
4.21 Schadensersatz
Ein Verstoß des Arbeitgebers gegen seine Beschäftigungspflicht kann unter Umständen Schadensersatzansprüche des Arbeitnehmers auslösen. Dabei ist aber nicht jede Vermögenseinbuße gleich ein "Schaden" i.S.d. Schadensersatzrechts. "1. Der Schutzzweck des von der Rechtsprechung entwickelten Beschäftigungsanspruchs des Arbeitnehmers und damit korrespondierend der Beschäftigungspflicht des Arbeitgebers wird durch das Persönlichkeitsrecht des Arbeitnehmers bestimmt. 2. Bei Nichtbefolgung der Beschäftigungspflicht gehört der entgangene Verdienst nicht zum ersatzfähigen Schaden. Die finanzielle Absicherung bei Nichtbeschäftigung ist in § 615 Satz 1 BGB geregelt, der dem Arbeitnehmer unter den Voraussetzungen der §§ 293 ff. BGB den Entgeltanspruch trotz Nichtarbeit aufrechterhält" (BAG, 24.06.2015 - 5 AZR 462/14 - Leitsätze).
4.22 Streitwert
"1. Der Streitwert für einen Beschäftigungsanspruch, dem ein grundlegender Streit über den Inhalt und/oder den Umfang der arbeitsvertraglichen Rechte und Pflichten zugrunde liegt, bemisst sich nach § 48 Abs. 1 GKG in Verbindung mit § 3 ZPO und den sich aus § 42 Abs. 2 Satz 1 GKG ergebenden Wertvorstellungen (Anlehnung an die Empfehlungen I.4.1 und I.12 des Streitwertkatalogs in der überarbeiteten Fassung vom 05.04.2016). 2. Die Miterledigung eines anderweitig anhängigen Streits um die Wirksamkeit der vom Integrationsamt erteilten Zustimmung zu einer Kündigung im Rahmen der vergleichsweisen Beendigung des Rechtsstreits über diese begründet keinen Mehrwert" (LAG Baden-Württemberg, 12.10.2016 - 5 Ta 130/16 - Leitsätze).
4.23 Ungekündigtes Arbeitsverhältnis
Arbeitnehmer haben in einem ungekündigten Arbeitsverhältnis grundsätzlich einen Beschäftigungsanspruch. Dieser Beschäftigungsanspruch folgt aus dem Persönlichkeitsrecht der Arbeitnehmer. Erst dann, wenn der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer-Persönlichkeitsrecht selbst überwiegende und schützenswerte Arbeitgeber-Interessen entgegensetzen kann, darf er einen Mitarbeiter auch gegen dessen Willen von der Arbeit suspendieren. Und das gilt auch für einen Klinikbetreiber. Will der nach einem Chefarztwechsel eine ordentlich unkündbare geschäftsführende Oberärztin freistellen, um mit ihrer Freistellung die Aufhebung des Vertragsverhältnisses zu erzwingen, reicht dieses - nicht schutzwürdige - Arbeitgeber-Interesse für die einseitige Freistellung der Mitarbeiterin nicht (LAG Schleswig-Holstein, 06.02.2020 - 3 SaGa 7 öD/19).
4.24 Unmögliche Weiterbeschäftigung
Fällt der bisherige Arbeitsplatz des Mitarbeiters weg, bedeutet das für den Arbeitgeber die Unmöglichkeit der Weiterbeschäftigung auf diesem Arbeitsplatz (§ 275 Abs. 1 BGB). Kann eine Leistung tatsächlich nicht mehr gebracht werden, ist sie unmöglich. Das ist insbesondere dann der Fall, wenn der Erfolg der Leistung weder vom Schuldner noch von einem Dritten herbeigeführt werden kann. Verlangt die Leistung einen bestimmten Arbeitsplatz, wird dem Arbeitnehmer die Leistung Arbeit unmöglich, wenn dieser Arbeitsplatz wegfällt. Und das gilt nicht bloß dann, wenn die bisherigen Aufgaben des Mitarbeiters nicht mehr da sind, sondern auch dann, wenn der Arbeitsplatz wegfällt, weil die Aufgaben durch Umorganisation auf andere Bereiche verteilt wurden (LAG München, 18.08.2011 - 2 Sa 62/10 - mit dem Hinweis, dass der Arbeitgeber nicht gezwungen werden kann, seine Organisationsstruktur wieder zu ändern).
4.25 Urlaub - nach rechtswidriger Entlassung
"1. Art. 7 Abs. 1 der Richtlinie 2003/88/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 4. November 2003 über bestimmte Aspekte der Arbeitszeitgestaltung ist dahin auszulegen, dass er einer nationalen Rechtsprechung entgegensteht, wonach ein Arbeitnehmer, der rechtswidrig entlassen wurde und sodann nach nationalem Recht infolge der Nichtigerklärung seiner Entlassung durch eine Gerichtsentscheidung seine Beschäftigung wieder aufgenommen hat, deshalb keinen Anspruch auf bezahlten Jahresurlaub für den Zeitraum zwischen dem Tag der Entlassung und dem Tag der Wiederaufnahme seiner Beschäftigung hat, weil er während dieses Zeitraums keine tatsächliche Arbeitsleistung für den Arbeitgeber erbracht hat."
"2. Art. 7 Abs. 2 der Richtlinie 2003/88 ist dahin auszulegen, dass er einer nationalen Rechtsprechung entgegensteht, wonach der betreffende Arbeitnehmer bei Beendigung eines Arbeitsverhältnisses, nachdem er rechtswidrig entlassen worden war und sodann nach nationalem Recht infolge der Nichtigerklärung seiner Entlassung durch eine Gerichtsentscheidung seine Beschäftigung wieder aufgenommen hatte, keinen Anspruch auf eine finanzielle Vergütung für während des Zeitraums vom Tag der rechtswidrigen Entlassung bis zum Tag der Wiederaufnahme seiner Beschäftigung nicht genommenen bezahlten Jahresurlaub hat" (EuGH, 25.06.2020 – C-762/18 u. C-37/19 – Leitsätze – Bulgarien/Spanien).
4.26 Verwirkung eines Arbeitsverhältnisses
Ist ein Arbeitsverhältnis erst einmal begründet worden, ist es fraglich, ob das Recht, sich auf seinen Bestand zu berufen, jemals verwirken kann. "Verwirkung ist die Folge einer illoyalen Verspätung der Rechtsausübung" (so: BAG, 25.11.2010 - 2 AZR 323/09 und BGH, 26.02.2003 - XII ZR 66/01). Der Fortbestand des Dauerschuldverhältnisses Arbeitsverhältnis ist aber nicht davon abhängig, dass es ausgeübt wird. Lediglich aus einem Dauerschuldverhältnis entstandene subjektive Rechte können verwirken. Ein Dauerschuldverhältnis selbst bleibt dagegen so lange bestehen, wie es im gegenseitigen Einvernehmen oder einseitig durch eine Kündigung beendet wird. "Dies spricht dafür, sie insofern mit dinglichen Rechten wie z.B. dem Eigentum für vergleichbar zu halten, die ebenfalls nicht verwirken können, sondern nur die aus ihnen folgenden Ansprüche" (s. dazu BGH, 16.05.2014 - V ZR 181/13). Zudem könnten bei der Verwirkung eines Arbeitsverhältnisses Rechtspositionen erlöschen, die bereits nach einschlägigen gesetzlichen Vorgaben nicht verwirken können (BAG, 21.04.2016 - 2 AZR 609/15 - mit Hinweis auf § 77 Abs. 4 Satz 3 BetrVG und § 4 Abs. 4 Satz 2 TVG sowie BAG, 18.02.2003 - 3 AZR 160/02 und dem Ergebnis, dass das Arbeitsverhältnis hier nicht verwirkt ist).
4.27 Vollstreckungsabwehrklage
Der Arbeitgeber hat die Möglichkeit, sich gegen die Vollstreckung eines Beschäftigungstitels mit der so genannten Vollstreckungsabwehrklage nach § 767 ZPO zu wehren - grundsätzlich. Sein Einwand, der konkrete Arbeitsplatz sei weggefallen und ihm die Erfüllung des rechtskräftig zuerkannten Beschäftigungsanspruchs daher nicht möglich, zieht jedoch nicht, wenn er den arbeitsvertraglichen Beschäftigungsanspruch durch Zuweisung eine anderen vertragsgemäßen Tätigkeit erfüllen könnte. In diesem Fall ist der Arbeitgeber nämlich verpflichtet, seinem Arbeitnehmer die andere vertragsgemäße Tätigkeit zuzuweisen - er verstößt sonst gegen seine aus § 611 Abs. 1 BGB folgende Beschäftigungspflicht (BAG, 21.03.2018 - 10 AZR 560/16).
4.28 Weiterbeschäftigungsanspruch
Das BAG gibt betriebsbedingt gekündigten Mitarbeitern - u.U. sogar rückwirkend - einen Wiedereinstellungsanspruch, "wenn zwischen dem Kündigungszugang und dem Ablauf der Kündigungsfrist unvorhergesehen eine Beschäftigungsmöglichkeit auf einem freien Arbeitsplatz i.S.d. § 1 Abs. 2 KSchG entsteht, und der Arbeitgeber den Arbeitnehmer auf die fragliche Position ohne Änderung des Arbeitsvertrags einseitig umsetzen könnte." Damit setzt es "ein geeignetes und im Allgemeinen notwendiges Korrektiv dafür", dass es die Wirksamkeit der Kündigung nach deren Zeitpunkt beurteilt und dabei schon eine hinreichend begründete Prognose zum Wegfall des Beschäftigungsbedarfs für ausreichend hält (s. dazu BAG, 27.02.1997 - 2 AZR 160/96). Und dennoch: Dem Weiterbeschäftigungsanspruch können berechtigte Arbeitgeberinteressen entgegenstehen. Zum Beispiel die anderweitige Besetzung des Arbeitsplatzes - wenn sie den Wiedereinstellungsanspruch des gekündigten Mitarbeiters nicht treuwidrig vereitelt (BAG, 26.01.2017 - 2 AZR 61/16 - mit Hinweis auf BAG, 09.11.2006 - 2 AZR 509/05).
4.29 Weiterbeschäftigungsanspruch in der Insolvenz?
Es passiert bisweilen, dass Arbeitnehmer gegen ihren Arbeitgeber einen Anspruch auf Wiedereinstellung haben. Dann wird der Arbeitgeber insolvent – und nun? § 108 Abs. 1 InsO bindet den Insolvenzverwalter lediglich an die vom Insolvenzschuldner bereits begründeten Arbeitsverhältnisse. § 108 Abs. 1 InsO sieht keinen Kontrahierungszwang des Insolvenzverwalters für den (Neu)Abschluss von vor der Insolvenz gekündigten Arbeitsverhältnissen mit Wiedereinstellungsanspruch vor. So einen Kontrahierungszwang kann nur der Gesetzgeber anordnen. Für betroffene Arbeitnehmer bedeutet das: Ein bereits vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens entstandener Wiedereinstellungsanspruch erlischt mit der Insolvenzeröffnung. "In der Insolvenz des Arbeitgebers besteht kein Wiedereinstellungsanspruch des Arbeitnehmers" (BAG, 25.05.2022 - 6 AZR 224/21 - PM Nr. 19/22 v. 25.05.2022 – zu einem Fall, in dem das dringende betriebliche Erfordernis für die Kündigung durch einen späteren Betriebsübergang neutralisiert wurde).
4.30 Weiterbeschäftigungsantrag
Eine Klageschrift muss gem. § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO "die bestimmte Angabe des Gegenstandes und des Grundes des erhobenen Anspruchs, sowie einen bestimmten Antrag" enthalten. Bei einem Weiterbeschäftigungsantrag muss "für den Prozessgegner aus rechtsstaatlichen Gründen erkennbar sein, in welchen Fällen er bei Nichterfüllung der ausgeurteilten Verpflichtung mit einem Zwangsmittel zu rechnen hat." Darüber hinaus verlangt das Rechtsstaatsprinzip verbunden mit dem daraus abzuleitenden Gebot effektiven Rechtsschutzes (s. dazu BVerfG, 12.02.1992 – 1 BvL 1/89), "dass materiell-rechtliche Ansprüche effektiv durchgesetzt werden können." Daher kann bei einem unstreitig bestehenden Arbeitsverhältnis vom Arbeitnehmer nicht verlangt werden, den "Klageantrag auf eine ganz bestimmte, im Einzelnen beschriebene Tätigkeit oder Stelle" zuzuschneiden. Wegen des arbeitgeberseitigen, in § 106 GewO geregelten, Direktionsrechts hat der Arbeitnehmer darauf regelmäßig keinen Anspruch. Die Art der verlangten Beschäftigung muss allerdings "durch Auslegung des Antrags ggf. unter Heranziehung der Klageschrift und des sonstigen Vorbringens der klagenden Partei feststellbar sein." So ist es erforderlich und ausreichend, "wenn sich das Berufsbild der begehrten Beschäftigung oder die zuzuweisende Tätigkeit hinreichend bestimmt feststellen lässt" (BAG, 15.06.2021 – 9 AZR 217/20 – mit Hinweis auf BAG, 03.12.2019 – 9 AZR 78/19; BAG, 27.05.2015 – 5 AZR 88/14 u. BAG, 15.04.2009 – 3 AZB 93/08).
4.31 Zwangsvollstreckung - 1
Verklagt der Arbeitnehmer seinen Arbeitgeber auf Weiterbeschäftigung, muss er dafür sorgen, dass dieser Weiterbeschäftigungsanspruch im Urteil oder Vergleich sauber formuliert wird. Denn: "Unklarheiten über den Inhalt der Verpflichtung dürfen nicht aus dem Erkenntnisverfahren in das Vollstreckungsverfahren verlagert werden. Dessen Aufgabe ist es zu klären, ob der Schuldner einer festgelegten Verpflichtung nachgekommen ist, nicht aber, worin diese besteht. Bei der Prüfung, welche Verpflichtungen durch den Vollstreckungstitel festgelegt werden, kann grundsätzlich nur auf diesen selbst, nicht dagegen auf andere Schriftstücke zugegriffen werden [es folgt ein Hinweis auf BAG, 15.04.2009 - 3 AZB 93/08]. Demnach kann im Vollstreckungsverfahren nicht geklärt werden, zu welchen Arbeitsbedingungen eine Beschäftigung zu erfolgen hat, wenn diese Bedingungen nicht ausdrücklich tituliert sind" (LAG Rheinland-Pfalz, 02.04.2013 - 2 Ta 38/13).
4.32 Zwangsvollstreckung - 2
Die Beschäftigung des Arbeitnehmers durch den Arbeitgeber ist eine unvertretbare Handlung i.S.d. § 888 Abs. 1 Satz 1 ZPO, weil die Beschäftigung als "Handlung durch einen Dritten nicht vorgenommen werden" kann und "ausschließlich von dem Willen des Schuldners abhängt". Beschäftigt der Arbeitgeber den Mitarbeiter nicht freiwillig, kann er gem. § 888 Abs. 1 ZPO dazu im Wege der Vollstreckung durch Zwangsgeld oder Zwangshaft angehalten werden. Dabei ist der materielle Einwand des Arbeitgebers, die Beschäftigung sei inzwischen wegen Wegfall des Arbeitsplatzes nach einer Umstrukturierung unmöglich geworden, bereits im Vollstreckungsverfahren zu berücksichtigen - und nicht erst im Rahmen einer Vollstreckungsabwehrklage nach § 767 ZPO(BAG, 05.02.2020 - 10 AZB 31/19).
4.33 Zwangsvollstreckung - 3
Arbeitnehmer A hatte sein Kündigungsschutzverfahren erfolgreich beendet, Arbeitgeber G war verpflichtet, ihn weiter zu beschäftigen. Das lehnte der jedoch mit dem Hinweis ab, A's frühere Stelle als HR-Director sei inzwischen ersatzlos gestrichen worden. Ein Punkt für G? Mitnichten: "1. Im Zwangsvollstreckungsverfahren nach § 888 ZPO ist der Unmöglichkeitseinwand grundsätzlich zu berücksichtigen. 2. Beruft sich der Schuldner im Zwangsvollstreckungsverfahren darauf, die Beschäftigung sei ihm unmöglich geworden, weil er nach Urteilserlass eine Organisationsentscheidung getroffen habe, die zum Wegfall des Arbeitsplatzes geführt habe, kommt eine Berücksichtigung nur in Betracht, wenn diese unstreitig oder offenkundig ist" (LAG Hamm, 06.12.2021 – 12 Ta 378/21 – Leitsätze – mit dem Ergebnis, dass G unter Androhung und Festsetzung von Zwangsgeld verpflichtet wurde, A wieder arbeiten zu lassen).
Siehe auch
Änderungskündigung - AllgemeinesÄnderungskündigung - WeiterbeschäftigungsanspruchKündigung - betriebsbedingt: WeiterbeschäftigungsmöglichkeitKündigung - ordentliche: MitbestimmungKündigung - personenbedingt: MitbestimmungKündigungsschutz - FreistellungKündigungsschutz - MitbestimmungKündigungsschutz - VergleichWeiterbeschäftigung