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Welche Fragen Arbeitgeber auch zum Thema Sozialversicherungsrecht bewegen: Die Rechtsdatenbank der AOK liefert die Antworten – einfach, fundiert und topaktuell.

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Arbeitskampf - Notmaßnahmen
Arbeitskampf - Notmaßnahmen
Inhaltsübersicht
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Information
1. Allgemeines
Der Arbeitskampf führt dazu, dass die gegenseitigen Pflichten aus dem Arbeitsverhältnis suspendiert sind. Die Arbeitgeber brauchen in der Regel kein Entgelt mehr zu zahlen, die Arbeitnehmer nicht mehr zu arbeiten. Das Aus für die arbeitsrechtlichen Hauptpflichten ist aber nicht alles. Es gibt nämlich auch Fälle, in denen bestimmte Notmaßnahmen durchgeführt werden müssen. Geschieht das nicht, drohen enorme Verluste. Insoweit ist das Verbot des ruinösen Arbeitskampfs zu beachten.
2. Die Ausgangslage
Entschließt sich ein Arbeitgeber zur Aussperrung oder eine Gewerkschaft zum Streik, soll damit Druck auf den Sozialpartner ausgeübt werden. Er soll beigeben und das Ziel des Arbeitskampfes akzeptieren. Nachdem das passiert ist, sollen die Arbeitsverhältnisse - dann mit den erkämpften Änderungen - fortgesetzt werden. Um das zu gewährleisten, ist es notwendig, Notstands- und Erhaltungsarbeiten durchzuführen.
Beispiel:
Die Food4U betreibt eine Filialkette mit mehreren Supermärkten, in denen Life-Style Lebens- und Genussmittel verkauft werden. In der nordrhein-westfälischen Stadt Kamen befindet sich günstig an der A1 und der A2 gelegen ein großes Auslieferungslager. In diesem Auslieferungslager gibt es mehrere Kühlabteilungen für Fisch. Fleisch, Obst, Gemüse und Wein sowie eine Abteilung, in der Zigarren gelagert werden, die immer eine bestimmte Luftfeuchtigkeit benötigen. Die Abteilungen müssen ständig gewartet werden. Passiert das nicht, nehmen die Lebens- und Genussmittel Schaden. Sie werden dann unverkäuflich. Ruft die Gewerkschaft ver.di einen Streik aus, muss sichergestellt sein, dass die Kühlabteilungen während des Arbeitskampfes ordnungsgemäß funktionieren. Es ist notwendig, hier die erforderlichen Notstands- und Erhaltungsarbeiten durchzuführen.
Auch während eines Arbeitskampfes darf es - selbstverständlich immer bezogen auf den Einzelfall - nicht zu einer völligen Arbeitsniederlegung kommen.
3. Der rechtliche Ansatzpunkt
Obwohl die Sozialpartner oft unterschiedliche Auffassungen zu den gewünschten Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen haben, sind sie sich mit Rechtsprechung und herrschender Meinung in der Literatur darüber einig: Die Notwendigkeit der Durchführung von Notstands- und Erhaltungsarbeiten wird anerkannt (stellvertretend: BAG, 31.01.1995 - 1 AZR 142/94; BAG, 14.12.1993 - 1 AZR 550/93; BAG, 30.03.1982 - 1 AZR 265/80).
Es werden unterschieden:
Erhaltungsarbeiten, d.h. Arbeiten, die erforderlich sind, um das Unbrauchbarwerden der sachlichen Betriebsmittel zu verhindern;
Notstandsarbeiten, d.h. Arbeiten, die erforderlich sind, um während eines Arbeitskampfes die Versorgung der Bevölkerung mit lebensnotwendigen Diensten und Gütern sicherzustellen.
Das BAG hat sich - soweit ersichtlich - bisher noch nicht festgelegt, auf welcher Grundlage Erhaltungs- und Notstandsarbeiten zu verrichten sind. In der Literatur werden folgende Ansatzpunkte diskutiert:
Treuepflicht aus dem nach Beendigung des Arbeitskampfes fortzusetzenden Arbeitsverhältnisses;
besondere Verpflichtung aus den zwischen den kämpfenden Sozialpartnern bestehenden Rechtsbeziehungen;
besondere Verpflichtung von Arbeitgeber und Betriebsrat, die erforderlichen Erhaltungs- und Notstandsarbeiten während eines Arbeitskampfes zu organisieren.
4. Die durchzuführenden Notstands- und Erhaltungsmaßnahmen
Es gibt keine gesetzliche Regelung, die den kämpfenden Sozialpartnern bestimmte Notstands- und Erhaltungsarbeiten vorschreibt. Wünschenswert ist daher eine Vereinbarung der Arbeitskampfparteien über die durchzuführenden Tätigkeiten (so: BAG, 31.01.1995 - 1 AZR 142/94). Sie können selbst am besten voraussehen und beurteilen, was während des Arbeitskampfes notwendig ist. In einigen Arbeitskampfrichtlinien sind entsprechende Regelungen aufgenommen (s. Arbeitskampf - Richtlinien).
Eine andere Frage ist: Wer bestimmt Art und/oder Umfang der Notmaßnahmen? Das BAG räumt hier den Sozialpartnern zwar einen weiten Beurteilungsspielraum ein (BAG, 31.01.1995 - 1 AZR 142/94). Eine Antwort auf die Zuständigkeitsfrage hat es jedoch noch nicht gegeben. Es gibt unterschiedliche Ansätze:
der Arbeitgeber ist Träger der erforderlichen Erhaltungs- und Notstandsmaßnahmen
die Streik führende Gewerkschaft ist Trägerin der erforderlichen Erhaltungs- und Notstandsmaßnahmen
die erforderlichen Erhaltungs- und Notstandsmaßnahmen sind von Arbeitgeber und Gewerkschaft im Wege einer Vereinbarung zu treffen.
In der Regel ist es so, dass sich die Kampfparteien verständigen. Sie können eine Notdienstvereinbarung schließen. Diese Vereinbarung ist aber keine konstitutive Voraussetzung für die Durchführung von Notmaßnahmen (BAG, 14.12.1993 - 1 AZR 550/93).
Zu den erforderlichen Notmaßnahmen zählen Arbeiten
zur Abwehr unverhältnismäßiger Schäden
zum Schutz des Betriebes
zur Erhaltung der Betriebsanlagen
zur Sicherung der Weiterbeschäftigung
zum Erhalt verderblicher Rohstoffe und Produkte
zur Abwehr von Gefahren für die Allgemeinheit
Die Frage, wer als Arbeitnehmer zu Notmaßnahmen herangezogen werden darf, ist ebenfalls höchstrichterlich noch nicht entschieden. In der Regel werden das die Arbeitnehmer sein, die auch sonst für die anfallenden Arbeiten vorgesehen sind. Die einseitige Anordnung durch den Arbeitgeber macht wegen der zwingenden Beteiligung der Gewerkschaft an den Arbeitskampfmaßnahmen Probleme. Die Sozialpartner sollten sich auch hier verständigen.
Praxistipp:
Wenn ein Arbeitskampf droht, sollten sich die Parteien - am besten mit einer Sonderkommission, die nicht zu den Verhandlungspartnern gehört - an einen Tisch setzen und möglichst frühzeitig die erforderlichen Erhaltungs- und Notstandsarbeiten abstimmen. So lassen sich spätere Reibereien auf ein Minimum reduzieren.
Finden die Arbeitskampfparteien keine Einigung, kann jede von ihnen das Arbeitsgericht anrufen. Die Gerichte für Arbeitssachen sind zuständig für "bürgerliche Rechtstreitigkeiten zwischen tariffähigen Parteien (...), soweit es sich um Maßnahmen zum Zwecke des Arbeitskampfes (...) handelt (§ 2 Abs. 1 Nr. 2 ArbGG)."
5. Rechtsprechungs-ABC
An dieser Stelle werden einige der interessantesten Entscheidungen zum Thema Arbeitskampf und Notdienst in alphabetischer Reihenfolge nach Stichwörtern geordnet vorgestellt:
5.1 Leiharbeitnehmer als Streickbrecher?
Das Arbeitnehmerüberlassungsgesetz sieht in § 11 Abs. 5 AÜG – mit gesetzlich geregelten Ausnahmen – ein Verbot des Einsatzes von Leiharbeitnehmern in Betrieben vor, die unmittelbar durch einen Arbeitskampf betroffen sind. Das fand ein Arbeitgeber der Unterhaltungsindustrie überhaupt nicht gut. Er rief wegen der Regelung in § 11 Abs. 5 AÜG direkt das Bundesverfassungsgericht an, das seine Verfassungsbeschwerde jedoch gar nicht erst zur Entscheidung annahm. Zum einen war die Verfassungsbeschwerde in Teilen schon unzulässig, zum anderen sahen die Verfassungshüter bei der Regelung in § 11 Abs. 5 AÜG keinen Verstoß gegen das Grundgesetz. Das angegriffene Gesetz ist mit den sich aus Art. 9 Abs. 3 GG ergebenden Anforderungen vereinbar. Es wird vom Entscheidungsspielraum des Gesetzgebers gedeckt und ist auch im engeren Sinne verhältnismäßig. § 11 Abs. 5 AÜG verbietet nicht den generellen Einsatz von Leiharbeitnehmern während eines Arbeitskampfes, sondern lediglich ihren unmittelbaren oder mittelbaren Einsatz als Streikbrecher (BVerfG, 19.06.2020 – 1 BvR 842/17).
5.2 Schriftliche Notdienstvereinbarung?
Zu einem Streik gehört es auch, dass Vorkehrungen für eventuelle Notfälle getroffen werden. Setzt das dann zwangsläufig eine schriftliche Notdienstvereinbarung voraus oder reichen bloße Absprachen zwischen den Sozialpartnern? Nun, der Arbeitgeber, der in dem hier vorgestellten Fall einer Gewerkschaft das Streiken wegen fehlender schriftlicher Notdienstvereinbarung verbieten lassen wollte, scheiterte mit diesem Ansinnen. Die Untersagung eines Streiks kann nicht allein deshalb beansprucht werden, weil mit dem bestreikten Arbeitgeber keine schriftliche Notdienstvereinbarung getroffen wird. Für die Rechtmäßigkeit eines Streiks reicht es aus, dass ein erforderlicher Notdienst tatsächlich sichergestellt ist. Soweit der Arbeitgeber diesen Notdienst in einzelnen Punkten für unzureichend gehalten hatte, hat das Gericht der Gewerkschaft für den bevorstehenden Streik die Auflage gemacht, konkrete Nachbesserungen vorzusehen (LAG Berlin-Brandenburg, 20.10.2021 – 12 Ta 1310/21).
5.3 "Tarifvertrag Entlastung"
Die Gewerkschaft ver.di rief ihre Mitglieder im Gesundheitswesen auf, das Universitätsklinikum B für einen Entlastungs-Tarifvertrag zu bestreiken. B hielt den Arbeitskampf gleich aus mehreren Gründen für rechtswidrig, u.a. auch, weil er in der konkreten Situation unverhältnismäßig sei. Trotzdem ist B mit seinem Unterlassungsantrag vor Gericht gescheitert. Natürlich habe das in Art. 9 Abs. 3 GG verankerte Streikrecht Grenzen, meinte das Berufungsgericht, im Gesundheitsbereich vor allem die aus Art. 2 Abs. 2 GG herzuleitenden Patientenrechte. Bei Abwägung der betroffenen Rechte gelte jedoch keines absolut, beide müssen im Wege der praktischen Konkordanz zu einem Ausgleich geführt werden. Das war hier mit der Vereinbarung einer angemessenen, ausreichenden und geeigneten Notversorgung (Erhöhung des Mindestbetriebs von 16 auf 25 Operationssäle und Einsatz entsprechenden Fachpersonals) geschehen (LAG Köln, 01.07.2022 – 10 SaGa 8/22).
5.4 Unzureichende Notdienstregelung
Der Arbeitgeber hat die Möglichkeit, sich mit einer einstweiligen Verfügung gegen drohende widerrechtliche Arbeitskampfmaßnahmen zu wehren. Beantragt er den Erlass einer einstweiligen Unterlassungsverfügung wegen eines angekündigten Warnstreiks mit der Begründung, es läge weder eine Notdienstvereinbarung vor noch sei der von der Gewerkschaft vorgeschlagene Notdienst ausreichend, ist das allein kein Verfügungsgrund. Die Rechtmäßigkeit eines Warnstreiks verlangt zwar die Einrichtung eines Notdienstes, aber keine extra Notdienstvereinbarung (ArbG Gießen, 06.03.2020 - 9 Ga 1/20).
Siehe auch
Arbeitskampf - AllgemeinesArbeitskampf - ArbeitskampfrisikoArbeitskampf - FriedenspflichtArbeitskampf - RichtlinienArbeitskampf - SozialversicherungArbeitskampf - StreikArbeitskampf - StreikbruchprämieArbeitskampf - StreikpostenArbeitskampf - UrabstimmungArbeitskampf - WarnstreikArbeitskampf - wilder Streik