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Welche Fragen Arbeitgeber auch zum Thema Sozialversicherungsrecht bewegen: Die Rechtsdatenbank der AOK liefert die Antworten – einfach, fundiert und topaktuell.

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Altersgrenze - Rechtsgrundlagen
Altersgrenze - Rechtsgrundlagen
Inhaltsübersicht
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Information
1. Allgemeines
Der Mensch muss von irgendetwas leben. Die meisten Menschen tauschen daher ihre Arbeitskraft, ihr Know-how und ihre mehr oder weniger ausgeprägten Fähigkeiten gegen Geld. Das erlaubt ihnen, mit dem erarbeiteten Geld die wichtigsten Bedürfnisse zu stillen. Bis irgendwann die Rente kommt - und sie davon leben können? Also doch arbeiten bis zum Lebensende? Gut möglich - ein vorzeitiges Aussteigen muss irgendwo und irgendwie geregelt sein.
Praxistipp:
Ein Arbeitsverhältnis hat kein allgemeingültiges Verfallsdatum. Wer als Arbeitgeber oder Personaler will, dass Arbeitnehmer zu irgendeinem Zeitpunkt automatisch ausscheiden, braucht dafür eine belastbare Rechtsgrundlage: eine Altersgrenze. Und die muss, wenn es dafür keine gesetzliche oder kollektivvertragliche Basis gibt, erforderlichenfalls auf arbeitsvertraglicher Ebene geschaffen werden.
Gesetzliche Altersgrenzen, die gleichzeitig das Aus für eine Beschäftigung bedeuten, gibt es nur wenige (s. dazu Gliederungspunkt 2.) Erster Ansatzpunkt für ein automatisches Ende ist in der Regel ein Tarifvertrag (s. dazu Gliederungspunkt 3.) Zweite tragfähige Grundlage kann eine Betriebsvereinbarung sein, dritte der Arbeitsvertrag und eventuell getroffene Zusatzvereinbarungen (s. dazu Gliederungspunkt 4.) Einzelfragen zu den Rechtsgrundlagen von Altergrenzen werden im Rechtsprechungs-ABC – Gliederungspunkt 5. – beantwortet.
2. Gesetzliche Regelungen
Die Annahme vieler Arbeitgeber und Personaler, dass Mitarbeiter bei Erreichen des Alters für den Bezug ihrer Regelaltersrente (für alle Jahrgänge ab 1964 das 67. Lebensjahr) automatisch ausscheiden, ist eine Fehleinschätzung. Es gibt dieses automatische Aus nicht, auch nicht via Gesetz. Der Gesetzgeber hat nur weniger Altergrenzen kodifiziert, z.B.:
Beamte mit Erreichen des 67. Lebensjahres (§ 51 BBG und entsprechende Regelungen in Landesgesetzen)
Bundesverfassungsrichter mit Erreichen des 68. Lebensjahres (§ 4 Abs. 1, Abs. 3 BVerfGG)
Feuerwehrbeamte mit Erreichen des 60. Lebensjahres (§ 51 Abs. 3 BBG und entsprechende Regelungen in Landesgesetzen)
Notare mit Erreichen des 70. Lebensjahres (§ 48a BNotO)
Wehrpflichtige im Spannungs- und Verteidigungsfall mit Ablauf des Jahres, in dem sie das 60. Lebensjahr vollenden (§ 3 Abs. 5 WPflG)
Mit Blick auf die Benachteiligungsverbote des AGG dürfen gesetzliche Altersgrenzen niemanden wegen des Merkmals Alter schlechter stellen. Eine unterschiedliche Behandlung wegen eines der in § 1 AGG genannten Merkmale ist allerdings zulässig, wenn das Alter wegen der Art der auszuübenden Tätigkeit oder der Bedingungen ihrer Ausübung eine wesentliche und entscheidende berufliche Anforderung darstellt. Weiter vorausgesetzt, der Zweck ist rechtmäßig und die Anforderung sind angemessen (§ 8 Abs. 1 AGG).
Speziell beim Merkmal "Alter" ist zu berücksichtigen: "Ungeachtet des § 8 ist eine unterschiedliche Behandlung wegen des Alters auch zulässig, wenn sie objektiv und angemessen und durch ein legitimes Ziel gerechtfertigt ist. Die Mittel zur Erreichung dieses Ziels müssen angemessen und erforderlich sein" (§ 10 Satz 1 u. 2 AGG). § 10 Satz 3 AGG zählt im Anschluss sechs Fälle auf, in denen eine Ungleichbehandlung "insbesondere" durchgehen kann. Zulässig ist u.a.
"die Festlegung besonderer Bedingungen für den Zugang zur Beschäftigung und zur beruflichen Bildung sowie besonderer Beschäftigungs- und Arbeitsbedingungen, einschließlich der Bedingungen für Entlohnung und Beendigung des Beschäftigungsverhältnisses, um die berufliche Eingliederung von Jugendlichen, älteren Beschäftigten und Personen mit Fürsorgepflichten zu fördern oder ihren Schutz sicherzustellen" und
"eine Vereinbarung, die die Beendigung des Beschäftigungsverhältnisses ohne Kündigung zu einem Zeitpunkt vorsieht, zu dem der oder die Beschäftigte eine Rente wegen Alters beantrage kann; § 41 des Sechsten Buches Sozialgesetzbuch bleibt unberührt"
nach § 10 Satz 3 Nr. 1 u. Nr. 5 AGG. Auch wenn die Bundesrepublik hier einen weiten Ermessensspielraum hat: Diese Spielraum darf nicht zu einer Aushöhlung des Verbots der Altersdiskriminierung führen (BAG, 28.05.2014 - 7 AZR 360/12 - mit Hinweis auf EuGH, 05.03.2009 - C-388/07). Dabei ist die Prüfung, ob eine Altersgrenze dem Anliegen, "die angeführten Ziele in kohärenter und systematischer Weise zu erreichen", gerecht wird, Sache der nationalen Gerichte (BAG, 28.05.2014 - 7 AZR 360/12 - mit Hinweis auf EuGH, 18.11.2010 - C-250/09 und EuGH, 18.11.2010 - C-268/09).
3. Tarifvertragliche Regelungen
Der Schwerpunkt zu beachtender Altergrenzen liegt im Bereich der Tarifverträge. Da gibt es die unterschiedlichsten Regelungen, wobei die meisten auf das Alter abstellen, bei dessen Erreichen ein Anspruch auf die so genannte Regelaltersrente besteht:
65. Lebensjahr - Geburtsjahrgänge bis 31.12.1946
65. Lebensjahr plus x - Geburtsjahrgänge ab 01.01.1947 bis 31.12.1963
67. Lebensjahr - Geburtsjahrgänge ab 01.01.1964
Nachfolgend ein paar Beispiele tariflicher Regelungen aus unterschiedlichen Branchen:
Im iGZ-Manteltarifvertrag der Arbeitnehmerüberlassung steht in§ 2 Ziffer 2.1 Abs. 1:
"Das Beschäftigungsverhältnis endet mit dem Ablauf des Kalendermonats, in dem der Arbeitnehmer erstmals Anspruch auf ungekürzte Regelaltersrente nach den Bestimmungen der gesetzlichen Rentenversicherung hat oder haben würde, wenn er in der gesetzlichen Rentenversicherung versichert wäre."
Für Arbeitnehmer im bayerischen Bäckerhandwerk sagt § 3 Nr. 5 des für sie maßgeblichen allgemeinverbindlichen Manteltarifvertrags:
"Das Arbeitsverhältnis endet mit Ablauf des Monats, in dem der Arbeitnehmer das gesetzliche Altersruhegeld bezieht oder eine entsprechende Leistung aus der gesetzlichen Sozialversicherung wegen unbefristeter Erwerbsunfähigkeit oder Berufsunfähigkeit erhält, spätestens jedoch mit Ablauf des Monats, in dem der Arbeitnehmer das Regelrenteneintrittsalter vollendet"
Der Manteltarifvertrag für den Einzelhandel in Nordrhein-Westfalen sieht in § 11 Abs. 5 die Regelung vor:
"Unbefristete Arbeitsverhältnisse enden, sofern nicht etwas anderes vereinbart ist, mit dem Ende des Kalendermonats, in dem der Arbeitnehmer die Regelaltersgrenze für den Bezug der gesetzlichen Rente erreicht hat oder in welchem dem Arbeitnehmer der Rentenbescheid über die Gewährung einer Rente wegen zeitlich nicht befristeter voller Erwerbsminderung oder vorgezogenem Altersruhegeld zugegangen ist."
Im 97er allgemeinverbindlichen Manteltarifvertrag für den Großhandel in Hessen heißt es in § 9 Abs. 11:
"Ein Arbeitsverhältnis endet unabhängig von seiner Kündigung spätestens mit Ablauf des Monats, in dem der/die Arbeitnehmer/in sein/ihr 65. Lebensjahr vollendet bzw. ab dem Tage, an dem vorzeitiges Altersruhegeld oder unbefristete Erwerbsminderungsrente bezogen wird. Abweichende einzelvertragliche Regelungen sind zulässig."
Der Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst regelt in § 33 Abs. 1 lit. a) TVöD:
"Das Arbeitsverhältnis endet, ohne dass es einer Kündigung bedarf, a) mit Ablauf des Monats, in dem die/der Beschäftigte das gesetzlich festgelegte Alter zum Erreichen der Regelaltersrente vollendet hat, es sei denn, zwischen dem Arbeitgeber und dem/der Beschäftigten ist während des Arbeitsverhältnisses vereinbart worden, den Beendigungszeitpunkt nach § 41 Satz 3 SGB VI hinauszuschieben.
Klartext: Mit 65, 65 plus x oder 67 ist automatisch Schluss - wenn die Vertragspartner für die Beendigung ihres Arbeitsverhältnisse nicht einen späteren Zeitpunkt vereinbart haben.
Auch tarifliche Altersgrenzen dürfen nicht willkürlich gezogen werden. Auch sie stellen rechtlich eine Befristung von Arbeitsverhältnissen dar - mit dem Ergebnis, dass sie der arbeitgerichtlichen Befristungskontrolle unterliegen (s. dazu BAG 08.12.2010 - 7 AZR 438/09). Diese Befristungskontrolle erfasst alle tariflichen Altergrenzen, nach denen ein Arbeitsverhältnis bei Erreichen eines bestimmten Lebensalters automatisch enden soll (so schon: BAG, 27.11.2002 - 7 AZR 655/01). Auch diese Altersgrenzen verlangen für ihre Wirksamkeit einen sachlichen Grund i. S. d. § 14 Abs. 1 TzBfG - der nicht in die durch Art. 9 Abs. 3 GG geschützte Tarifautonomie eingreift (so bereits BAG, 21.07.2004 - 7 AZR 589/03). Sachlicher Grund kann beispielsweise der Umstand sein, dass mit der Altersgrenze spezifischen körperlichen und mentalen Belastungen Rechnung getragen werden soll (so: BAG, 24.02.2022 - 6 AZR 320/20 - zu einer Altersgrenze im Justizvollzugsdienst).
Sprechen die Tarifpartner nur allgemein eine "Altersgrenze" an, kann damit jede gesetzliche Altergrenze gemeint sein, die einen Anspruch auf eine Rente wegen Alters auslöst (s. dazu BAG, 19.06.2018 - 9 AZR 564/17). Und da gibt es im SGB VI einige.
4. Arbeitsvertragliche Regelungen und Betriebsvereinbarungen
Grundsätzlich haben Arbeitgeber und Betriebsrat die Möglichkeit, Altersgrenzen, nach deren Erreichen ein Arbeitsverhältnis automatisch enden soll, auch via Betriebsvereinbarung zu vereinbaren (BAG, 05.03.2013 - 1 AZR 417/12). Dabei müssen sie allerdings die Regelung in § 77 Abs. 3 BetrVG beachten:
"Arbeitsentgelte und sonstige Arbeitsbedingungen, die durch Tarifvertrag geregelt sind oder üblicherweise geregelt werden, können nicht Gegenstand einer Betriebsvereinbarung sein. Dies gilt nicht, wenn ein Tarifvertrag den Abschluss ergänzender Betriebsvereinbarungen ausdrücklich zulässt."
Betriebsvereinbarungen gelten nach § 77 Abs. 4 Satz 1 BetrVG unmittelbar und zwingend. Das schließt es nicht aus, dass Arbeitgeber individualvertraglich für den Mitarbeiter günstigere Absprachen treffen. Die Betriebspartner können jedoch in ihren Vereinbarungen - ausdrücklich oder konkludent - individuelle arbeitsvertragliche Regelungen zulassen.
Beispiel:
Carl Mey vereinbart mit seinem Betriebsrat als Betriebsvereinbarung i. S. des § 77 BetrVG: "Die Arbeitsverhältnisse der Mitarbeiter in der Produktion enden mit Ablauf des Monats, in dem sie das 65. Lebensjahr vollenden."
Eine Betriebsvereinbarung für die Mitarbeiter in Carl Meys Verwaltung gibt es nicht. Hier trifft er individuelle Regelungen. Mit Elvira Suhre-Handt hat er beispielsweise vereinbart: "Das Arbeitsverhältnis endet in dem Zeitpunkt, in dem die Mitarbeiterin eine vorzeitige Altersrente bezieht, spätestens aber mit dem Letzten des Monats, in dem die Mitarbeiterin das 67. Lebensjahr vollendet."
Die Parteien des Arbeitsvertrags haben korrespondierend die Möglichkeit, ihre Abmachungen betriebsvereinbarungsoffen zu gestalten (BAG, 05.03.2013 - 1 AZR 417/12). So eine Gestaltung ist anzunehmen, wenn der Vertragsgegenstand
in Allgemeinen Geschäftsbedingungen enthalten ist oder
einen kollektiven Bezug hat (so: BAG, 05.03.2013 - 1 AZR 417/12).
Argumente, die im Zusammenhang mit dem Erreichen der Regelrentenaltersgrenze für das Vorliegen eines Sachgrunds i. S. d. § 14 Abs. 1 Satz 1 TzBfG sprechen:
Der Arbeitnehmer hat mit Erreichen der Altersgrenze für die Regelaltersrente regelmäßig ein langes Berufsleben hinter sich.
Er selbst hat bei seiner Einstellung von der Anwendung der Altersgrenzenregelung durch den Arbeitgeber profitiert, weil für ihn durch das altersbedingte Ausscheiden anderer Arbeitnehmer eine Verbesserung seiner Einstellungs- und Aufstiegschancen eingetreten war.
Der Arbeitgeber hat ein vitales Interesse an einer sachgerechten und berechenbaren Personal- und Nachwuchsplanung.
Das Arbeitgeberinteresse ist gegenüber dem Bestandsschutzinteresse als vorrangig zu bewerten, wenn der Arbeitnehmer durch den Bezug einer Regelaltersrente wirtschaftlich abgesichert ist.
Verfassungsrechtlich ist der mit dem automatischen Ausscheiden verbundene dauerhafte Verlust des Arbeitsentgelts als Grundlage des Lebensunterhalts nicht zu beanstanden, wenn er durch den dauerhaften Bezug einer Altersrente aufgefangen wird.
"Die Anbindung an eine rentenrechtliche Versorgung bei Ausscheiden durch eine Altergrenze ist damit Bestandteil des Sachgrunds" (BAG, 05.03.2013 - 1 AZR 417/12).
Was es allerdings unbedingt zu beachten gibt:
"Die Wirksamkeit der Befristung ist ... nicht von der konkreten wirtschaftlichen Absicherung des Arbeitnehmers bei Erreichen der Altersgrenze abhängig" (BAG, 05.03.2013 - 1 AZR 417/12 - mit Hinweis auf BAG, 21.09.2011 - 7 AZR 134/10).
Die Wirksamkeit einer vertraglichen Abmachung beurteilt sich nach allgemeinen arbeitsrechtlichen Grundsätzen. Im Bereich der Altersgrenzen hat vor allem der Regelung in § 41 SGB VI Bedeutung:
"Der Anspruch des Versicherten auf eine Rente wegen Alters ist nicht als ein Grund anzusehen, der die Kündigung eines Arbeitsverhältnisses durch den Arbeitgeber nach dem Kündigungsschutzgesetz bedingen kann. Eine Vereinbarung, die die Beendigung des Arbeitsverhältnisses eines Arbeitnehmers ohne Kündigung zu einem Zeitpunkt vorsieht, zu dem der Arbeitnehmer vor Erreichen der Regelaltersgrenze eine Rente wegen Alters beantragen kann, gilt dem Arbeitnehmer gegenüber als auf das Erreichen der Regelaltersgrenze abgeschlossen, es sei denn, dass die Vereinbarung innerhalb der letzten drei Jahre vor diesem Zeitpunkt abgeschlossen oder von dem Arbeitnehmer innerhalb der letzten drei Jahre vor diesem Zeitpunkt bestätigt worden ist. Sieht eine Vereinbarung die Beendigung des Arbeitsverhältnisses mit dem Erreichen der Regelaltersgrenze vor, können die Arbeitsvertragsparteien durch Vereinbarung während des Arbeitsverhältnisses den Beendigungszeitpunkt, gegebenenfalls auch mehrfach, hinausschieben."
Praxistipp:
Wer - als nicht tarifgebundener - Arbeitgeber eine Altersgrenze im Arbeitsvertrag oder in einer Betriebsvereinbarung verankern möchte und dabei Formulierungsschwierigkeiten hat, sollte sich an den Texten einschlägiger tariflicher Regelungen orientieren. Wer ohnehin tarifgebunden ist, braucht eigentlich nichts weiter zu veranlassen. Es sei denn, der Branchentarif gibt entsprechende Freiräume vor oder enthält eine Öffnungsklausel. Als Musterformulierung bietet sich an: "Die Parteien des Arbeitsvertrages sind sich einig, dass ihr Beschäftigungsverhältnis in dem Zeitpunkt endet, in dem der/die Arbeitnehmer/in das 65. Lebensjahr vollendet."
Auch die individualvertragliche Vereinbarung einer zum automatischen Ende des Arbeitsverhältnisses führenden Altersgrenze braucht zur Rechtfertigung einen sachlichen Grund i. S. d. § 14 Abs. 1 Satz 1 TzBfG. Und wichtig: Befristung und ordentliche Unkündbarkeit schließen sich gegenseitig nicht aus (BAG, 19.02.2014 - 7 AZR 260/12 - mit Hinweis auf die Regelung in § 15 Abs. 3 TzBfG).
5. Rechtsprechungs-ABC
An dieser Stelle werden einige der interessantesten Entscheidungen zu den Rechtsgrundlagen von Altersgrenzen in alphabetischer Reihenfolge nach Stichwörtern geordnet vorgestellt:
5.1 Auflösende Bedingung
Neben der automatischen Beendigung eines Arbeitsverhältnisses durch Erreichen einer Altergrenze kommt auch die automatische Beendigung eines Arbeitsverhältnisses bei Eintritt einer auflösenden Bedingung in Betracht - in dem hier vorgestellten Fall beim Verlust der Flugdiensttauglichkeit eines Flugbegleiters. So eine auflösende Bedingung dient "dem Schutz des Arbeitnehmers, der aufgrund eines körperlichen Mangels dauerhaft nicht mehr in der Lage ist, seine arbeitsvertraglich geschuldete fliegerische Tätigkeit zu erbringen, und der zum Schutz seiner eigenen Gesundheit sowie zum Schutz der Flugsicherheit hierzu auch nicht berechtigt ist" – einerseits. Andererseits will so eine Regelung "den berechtigten Interessen des Arbeitgebers Rechnung tragen und es ihm ermöglichen, sich unter erleichterten Voraussetzungen von dem Arbeitnehmer trennen zu können, wenn infolge der Flugdienstuntauglichkeit eine Beschäftigungsmöglichkeit nicht mehr besteht." Aber Vorsicht: Kann der Arbeitnehmer trotz fehlender Flugdiensttauglichkeit noch auf einem freien Arbeitsplatz im Bodendienst weiterbeschäftigt werden, kommt so eine auflösende Bedingung nicht durch die Bedingungskontrolle (BAG, 26.02.2020 - 7 AZR 61/19 - mit Hinweis auf BAG, 17.04.2019 – 7 AZR 292/17).
5.2 Betriebliche Altersversorgung
Das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz hält in § 10 Satz 3 Nr. 4 AGG eine unterschiedliche Behandlung von Arbeitnehmern wegen des Merkmals "Alter" unter den dort genannten Voraussetzungen u. a. für zulässig, wenn es um die "Festsetzung von Altersgrenzen bei den betrieblichen Systemen der sozialen Sicherheit als Voraussetzung für ... den Bezug von Altersrenten ..." geht. § 10 Satz 3 Nr. 4 AGG regelt die Zulässigkeit von Altersgrenzen im Betriebsrentenrecht jedoch nicht abschließend. Auch § 10 Satz 1 und Satz 2 AGG können eine Altersgrenze rechtfertigen. Selbst wenn eine Versorgungsordnung die Gewährung von Versorgungsbeiträgen zu einem Versorgungskonto auf die Zeit bis zur Vollendung des 60. Lebensjahres begrenzt, kann dass noch AGG-konform sein, wenn dies durch ein legitimes Ziel - u.a. die Sicherstellung eines bestimmten Dotierungsrahmens - gerechtfertigt ist (BAG, 26.04.2018 - 3 AZR 19/17).
5.3 Betriebsvereinbarung
Der vereinfachte Fall: Arbeitgeber und Betriebsrat hatten in einer Betriebsvereinbarung u.a. folgende Regelung getroffen: "Das Arbeitsverhältnis endet ohne Kündigung mit Ablauf des Monats, in dem der Arbeitnehmer die Altersgrenze für eine Regelaltersrente in der gesetzlichen Rentenversicherung (derzeit §§ 35, 235 SGB VI) ohne Abschläge erreicht hat und diese auch durch einen ihm zustehenden Anspruch beziehen kann, unabhängig davon, ob ein entsprechender Rentenantrag bereits gestellt wurde."
Das BAG dazu: "1. Betriebsparteien sind berechtigt, eine Altersgrenze für die Befristung von Arbeitsverhältnissen zu regeln, die auf das Erreichen der Regelaltersgrenze in der gesetzlichen Rentenversicherung abstellt. 2. Eine solche Betriebsvereinbarung muss aus Gründen des Vertrauensschutzes Übergangsregelungenfür die bei Inkrafttreten der Betriebsvereinbarung bereits rentennahen Arbeitnehmer vorsehen" (BAG, 21.02.2017 - 1 AZR 292/15 - Leitsätze - mit dem Ergebnis, dass die Altersgrenzenregelung hier insoweit unwirksam war, als sie mit ihrem Inkrafttreten gleich für alle Arbeitnehmer gelten sollte und die Betriebspartner den schützenswerten Interessen der Mitarbeiter, die zu diesem Zeitpunkt kurz vor Erreichen der maßgeblichen Altersgrenze standen, nicht ausreichend Rechnung getragen hatten).
5.4 Betriebsvereinbarungsoffenheit
Sieht eine Gesamtbetriebsvereinbarung die Regelung "V-Altersrente wird gezahlt, wenn ein V-Mitarbeiter nach Vollendung des 65. Lebensjahres aus dem Arbeitsverhältnis mit der V AG ausscheidet (= Versorgungsfall bei fester Altersgrenze)" vor und nimmt der Arbeitsvertrag AGB-artig auf bestimmte Regelwerke Bezug, ist die Regelung in der Betriebsvereinbarung im systematischen Zusammenhang als "Beendigungsnorm" auszulegen.
"1. In Betriebsvereinbarungen können Altersgrenzen vereinbart werden, nach denen das Arbeitsverhältnis mit Erreichen der Regelaltersgrenze endet. 2. Die Arbeitsvertragsparteien können ihre Absprachen betriebsvereinbarungsoffen gestalten. Dies ist regelmäßig anzunehmen, wenn der Vertragsgegenstand in Allgemeinen Geschäftsbedingungen enthalten ist und einen kollektiven Bezug hat" (BAG, 05.03.2013 - 1 AZR 417/12).
5.5 FLC - Flight Crew Licensing
"1. Die Prüfung der ersten und der zweiten Frage hat nichts ergeben, was die Gültigkeit von FCL.065 Buchst. b des Anhangs I der Verordnung (EU) Nr. 1178/2011 der Kommission vom 3. November 2011 zur Festlegung technischer Vorschriften und von Verwaltungsverfahren in Bezug auf das fliegende Personal in der Zivilluftfahrt gemäß der Verordnung (EG) Nr. 216/2008 des Europäischen Parlaments und des Rates im Hinblick auf Art. 15 Abs. 1 bzw. Art. 21 Abs. 1 der Charta beeinträchtigen könnte."
"2. FCL.065 Buchst. b des Anhangs I der Verordnung Nr. 1178/2011 ist dahin auszulegen, dass er dem Inhaber einer Pilotenlizenz, der das Alter von 65 Jahren erreicht hat, weder verbietet, als Pilot Leer- oder Überführungsflüge im Gewerbebetrieb eines Luftverkehrsunternehmens durchzuführen, bei denen weder Fluggäste noch Fracht oder Post befördert werden, noch - ohne Mitglied der Flugbesatzung zu sein -, als Ausbilder und/oder Prüfer an Bord eines Luftfahrzeugs tätig zu sein" (EuGH, 05.07.2017 - C-190/16 - Leitsätze - Deutschland).
5.6 Hinausschieben des Beendigungszeitpunkts
Arbeitgeber und älterer Arbeitnehmer haben nach § 41 Satz 3 SGB VI die Möglichkeit, den Beendigungszeitpunkt während ihres Arbeitsverhältnisses nach Erreichen der Regelaltersgrenze - gegebenenfalls auch mehrfach - weiter hinauszuschieben. Eine Regelung, die nicht zu beanstanden ist. Sie führt zu einer wirksamen Befristung des Arbeitsverhältnisses. § 41 Satz 3 SGB VI ist sowohl mit der Verfassung als auch mit EU-Recht (s. dazu EuGH, 28.02.2018 - C-46/17) vereinbar (BAG, 19.12.2018 - 7 AZR 70/17 - wobei das Gericht offengelassen hat, ob eine wirksame Vereinbarung über das Hinausschieben verlangt, dass bloß der Beendigungszeitpunkt geändert und ansonsten alle Vertragsbedingungen beibehalten werden).
5.7 Mitbestimmung
Beschäftigt der Arbeitgeber einen Mitarbeiter über eine auf dessen Arbeitsverhältnis anzuwendende tarifliche Altergrenze hinaus, ist das eine mitbestimmungspflichtige Einstellung i. S. d. § 99 Abs. 1 Satz 1 BetrVG (so schon: BAG, 10.03.1992 - 1 ABR 67/91 - und BAG, 12.07.1988 - 1 ABR 85/86). Bleibt nämlich ein Arbeitnehmer, der wegen Erreichens der für ihn maßgeblichen Altergrenze eigentlich automatisch ausscheiden müsste, weiterhin im Betrieb, ist das etwas, dass die Interessen der im Betrieb (weiter)beschäftigten Mitarbeiter berührt. Der Arbeitgeber besetzt nämlich mit der Weiterbeschäftigung eine eigentlich frei gewordene Stelle. Und das kann Zustimmungsverweigerungsrechte des Betriebsrats nach § 99 Abs. 2 BetrVG auslösen. Die der erstmaligen Einstellung des betroffenen Mitarbeiters erteilte Zustimmung des Betriebsrats wirkt nur bis zum Erreichen der Altergrenze - nicht darüber hinaus für die Weiterbeschäftigung (BAG, 22.09.2021 - 7 ABR 22/20 - mit Hinweis auf BAG, 07.08.1990 - 1 ABR 68/89 - und BAG, 12.07.1988 - 1 ABR 85/86).
5.8 "Verjüngungskur"?
Die Frage, ob eine unmittelbare Benachteiligung von Arbeitnehmern wegen des Merkmals Alter tatsächlich über § 10 AGG mit der Begründung zulässig ist, "der Arbeitgeber strebe mit der Einstellung jüngerer Arbeitnehmer eine ausgewogene Altersstruktur an", wird auch im juristischen Schrifttum kontrovers diskutiert (...). Der 8. BAG-Senat war jedenfalls schon im Jahr 2013 mit Blick auf die EuGH-Rechtsprechung "zur möglichen Zulässigkeit von Altersgrenzen bei der Beendigung von Arbeitsverhältnissen" (s. dazu EuGH, 21.07.2011- C-159/10 und C-160/10) der Meinung, dass die "Sicherung einer ausgewogenen Altersstruktur" durchaus ein legitimes Ziel i. S. d. § 10 Satz 1 AGG sein könne (s. dazu BAG, 24.01.2013 – 8 AZR 429/1). Was der 8. Senat damals nicht beantwortet hat: Die Frage, "ob es ein legitimes Ziel nach § 10 Satz 1 und Satz 2 AGG sein könne, wenn der Arbeitgeber nur noch jüngere Bewerber einstellen will, um eine verjüngte Personalstruktur erst zu schaffen" (s. dazu BAG, 24.01.2013 – 8 AZR 429/11). Diese Frage blieb auch in dem hier vorgestellten Fall offen - der Arbeitgeber hatte nicht substanziiert dargelegt, dass er mit der Förderung junger Nachwuchskräfte ein legitimes Ziel i. S. d. § 10 Satz 1 AGG verfolge (BAG, 21.01.2021 - 8 AZR 195/19).
5.9 Vorzeitiger Rentenbeginn
Das Erreichen der so genannten "Regelaltersgrenze" wird nach dem SGB VI nicht für jede Rente wegen Alters verlangt. Das Ob und der Zeitpunkt einer vorzeitig in Anspruch genommenen Altersrente bestimmt sich - so kommt es in § 77 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 lit. a) SGB VI zum Ausdruck - nach der Differenz "zwischen der Regelaltersgrenze für die konkret in Anspruch genommene Altersrentenart und dem tatsächlichen Alter des Versicherten bei Beginn der für diese Rentenart vorgesehenen 'vorzeitige(n) Inanspruchnahme' mit einem niedrigeren Lebensalter." Andere Altergrenzen, die von Rechts wegen für eine nach dem tatsächlichen Rentenbeginn mögliche Alterrente gelten sollen, sind in diesem Fall belanglos (s. dazu BSG, 17.06.2020 - B 5 R 2/19 R - und BSG, 11.12.2019 - B 13 R 7/19 R). Wann die vorzeitige Inanspruchnahme einer Rente wegen Alters möglich ist, ergibt sich aus den maßgeblichen SGB VI-Bestimmungen (BAG, 25.01.2022 - 9 AZR 249/21).