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Welche Fragen Arbeitgeber auch zum Thema Sozialversicherungsrecht bewegen: Die Rechtsdatenbank der AOK liefert die Antworten – einfach, fundiert und topaktuell.

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Arbeitskampf - Arbeitskampfrisiko
Arbeitskampf - Arbeitskampfrisiko
Inhaltsübersicht
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Information
Der Arbeitskampf hat nicht nur Auswirkungen auf die unmittelbar beteiligten Arbeitgeber und Arbeitnehmer (s. dazu Arbeitskampf - Arbeitsverhältnis). Die Folgen von Streik und Aussperrung treffen immer wieder auch Dritte. Das Spektrum möglicher Folgen reicht vom simplen Arbeitsausfall bis hin zu empfindlichen Vermögenseinbußen. Während rechtmäßige Arbeitskämpfe keine Konsequenzen für die unmittelbar Beteiligten nach sich ziehen, stellt sich die Frage: Was passiert mit den Drittbetroffenen?
1. Arbeitskampfrisiko - Betriebsrisiko
Der Arbeitgeber trägt grundsätzlich das sogenannte Betriebsrisko (s. Betriebsrisiko). Betriebsrisiko ist die Gefahr, auch bei einem vom Arbeitgeber nicht verschuldeten Arbeitsausfall zur Entgeltzahlung verpflichtet zu sein.
Bei einem Arbeitskampf fällt die Arbeit aus, weil der Einsatz von Arbeitskampfmitteln - egal ob Streik oder Aussperrung - zur Suspendierung der Arbeitsverhältnisse führt (s. dazu Arbeitskampf - Arbeitsverhältnis). Streikende oder ausgesperrte Arbeitnehmer haben keine Vergütungsansprüche. Das Arbeitskampfrisiko trifft alle Arbeitnehmer eines kämpfenden oder bekämpften Betriebs. Bei einer Aussperrung oder einem Streik also auch die Arbeitswilligen und Nichtorganisierten.
Die Zuordnung des Arbeitskampfrisikos knüpft immer an ein rechtmäßiges Kampfverhalten an (s. dazu Arbeitskampf - Zulässigkeit; Arbeitskampf - wilder Streik). Das Betriebsrisiko trägt der Arbeitgeber nicht mehr uneingeschränkt, wenn die Störungen, die auf einen Streik in einem anderen Betrieb beruhen, die Fortsetzung des Betriebs ganz oder teilweise unmöglich oder wirtschaftlich unzumutbar machen (BAG, 22.12.1980 - 1 ABR 2/79 und BAG, 07.11.1975 - 5 AZR 61/75).
2. Fernwirkung von Arbeitskämpfen
Ein Arbeitskampf betrifft nicht nur die unmittelbar Kämpfenden.
Beispiel:
Die IG Metall ruft wieder einmal für einen "heißen Herbst" zu Arbeitskämpfen auf. Um die großen Unternehmen der Autoindustrie zu treffen, werden kleine Zulieferbetriebe bestreikt. Zu den bestreikten Betrieben gehört auch ein Unternehmen, das Felgen für Autoräder herstellt. Die Produktion steht infolge des Arbeitskampfes still. Es werden keine Felgen mehr ausgeliefert. Das wiederum führt dazu, dass bei einem namhaften Autohersteller keine Wagen mehr in die Schlussfertigung kommen. Die Arbeitnehmer, die sonst mit der Montage der Räder und der Endkontrolle beschäftigt sind, können nicht mehr sinnvoll eingesetzt werden. Ihre Arbeitskraft wird nicht mehr benötigt.
Das Beispiel zeigt: Hier wird durch einen Streik in einem Zulieferunternehmen ganz gezielt ein anderes Unternehmen getroffen, das auf die Produktion des Zulieferbetriebs angewiesen ist. Es handelt sich um die so genannte Dritt- oder Fernwirkung: Die Auswirkungen des Arbeitskampfes treten dabei nicht bloß beim unmittelbar kämpfenden oder bekämpften Betrieb ein, sondern - in der Regel beabsichtigt - bei einem nur mittelbar betroffenen.
Durch die Auswirkung des Arbeitskampfes auf einen anderen Betrieb wird das Kräfteverhältnis der kämpfenden Parteien gestört. In diesem Fall ist es gerechtfertigt, das Arbeitskampfrisiko auf die Arbeitnehmer des mittelbar betroffenen Betriebs zu legen. Eine Fernwirkung, die das Kräfteverhältnis der Kampf führenden Parteien beeinflusst, ist dann anzunehmen, wenn die für den mittelbar betroffenen Betrieb zuständigen Verbände mit den unmittelbar Kampf führenden Verbänden identisch oder zumindest organisatorisch eng verbunden sind (BAG, 22.12.1980 - 1 ABR 2/79).
3. Rechtsfolgen
Die Vergütungspflicht des Arbeitgebers richtet sich nach den Grundsätzen des Arbeitskampfrisikos, wenn ein Arbeitskampf mittelbar zu Störungen in Betrieben führt, die weder von Aussperrungen noch von Streiks betroffen sind (BAG, 22.12.1980 - 1 ABR 76/79). Die betroffenen Arbeitnehmer haben für die Dauer der Störung weder Beschäftigungs- noch Vergütungsansprüche (BAG, 22.12.1980 - 1 ABR 2/79; s. dazu Arbeitskampf - Arbeitsverhältnis).
Der Arbeitgeber ist nicht gezwungen, seinen bestreikten Betrieb oder Betriebsteil unter allen Umständen aufrechtzuhalten. Er darf ihn für die Dauer des Arbeitskampfes komplett stilllegen. Das wiederum führt dazu, dass die beiderseitigen Rechte und Pflichten aus den Arbeitsverhältnissen suspendiert werden. Damit verlieren dann auch Arbeitswillige ihren Vergütungsanspruch (BAG, 22.03.1994 - 1 AZR 622/93 unter Aufgabe von BAG, 14.12.1993 - 1 AZR 550/93).
Andererseits: Ist es einem Arbeitgeber in der Druckindustrie möglich und zumutbar, wenigstens einen Teil der Arbeitnehmer zum Druck einer Notausgabe heranzuziehen, muss er im Rahmen des Direktionsrechts eine Auswahl treffen. Tut er das nicht, kommt er gegenüber allen Arbeitnehmern, die ihre Arbeitskraft ordnungsgemäß anbieten, in Annahmeverzug (BAG, 17.02.1998 - 1 AZR 386/97). Abwehrmaßnahmen des Arbeitgebers lassen sich bei einem Wellenstreik (s. Arbeitskampf - Wellenstreik) nicht so planen und begrenzen, dass sie sich nur während der Dauer einzelner Kurzstreiks auswirken. Wenn keine andere Planung möglich und zumutbar ist, verlieren Schichtarbeiter, die für den Rest der laufenden Schicht nicht mehr beschäftigt werden können, ihre Vergütungsansprüche (BAG, 12.11.1996 - 1 AZR 364/96).
Muss mit der Produktion einer Tageszeitung zu einem bestimmten Zeitpunkt begonnen werden, stellt die Entscheidung des Arbeitgebers, mit einer Ersatzmannschaft eine eingeschränkte Ausgabe zu drucken, eine Abwehrmaßnahme dar. Dabei tragen die Arbeitnehmer das Arbeitskampfrisiko, wenn sie
den Streik zwar noch während der Schicht beenden
aber vom Arbeitgeber nicht mehr herangezogen werden
weil er für den Rest der Schicht neue Arbeitsniederlegungen befürchten muss
und deswegen weiter auf die Ersatzmannschaft setzt (BAG, 15.12.1998 - 1 AZR 216/98). Bei der vorsorglichen Vergabe von Arbeiten an ein Fremdunternehmen bleibt das Vergütungsrisiko beim Arbeitgeber, wenn der befürchtete Streikaufruf ausbleibt (BAG, 15.12.1998 - 1 AZR 289/98).
Siehe auch
Arbeitskampf - Arbeitslosengeld
Arbeitskampf - Arbeitsverhältnis
Arbeitskampf - Friedenspflicht
Arbeitskampf - Sozialversicherung