Rechtsdatenbank
Welche Fragen Arbeitgeber auch zum Thema Sozialversicherungsrecht bewegen: Die Rechtsdatenbank der AOK liefert die Antworten – einfach, fundiert und topaktuell.

Welche Fragen Arbeitgeber auch zum Thema Sozialversicherungsrecht bewegen: Die Rechtsdatenbank der AOK liefert die Antworten – einfach, fundiert und topaktuell.
Die Inhalte des Bereichs „Fachwissen SV“ geben Ihnen kostenlos Auskunft zu allen Themen der Sozialversicherung. Sie sind ein exklusives Angebot für eingeloggte Nutzer.
Jetzt einloggen:
Sie sind noch nicht registriert?
Probezeit - Erkrankung
Probezeit - Erkrankung
Inhaltsübersicht
- 1.
- 2.
- 3.
- 4.
- 5.
Information
1. Allgemeines
Der Arbeitgeber braucht arbeits- und leistungsfähige Mitarbeiter. Die Erfahrung aus der Praxis zeigt indes, dass hier mehr Wunschdenken als Realität angesagt ist. Das lässt sich ganz einfach am betrieblichen Krankenstand ablesen. Arbeitsunfähig können sogar Mitarbeiter werden, die ihre Tätigkeit noch gar nicht aufgenommen haben oder gerade in der Probezeit sind. Da machen sich Arbeitsausfälle dann besonders bemerkbar - und führen oft zu einem vorzeitigen Beschäftigungsende.
Praxistipp:
Der Gesetzgeber lässt Entgeltfortzahlungsansprüche wegen Krankheit mit der Wartezeitregelung in § 3 Abs. 3 EFZG erst nach "vierwöchiger ununterbrochener Dauer des Arbeitsverhältnisses" entstehen. Das heißt: Tritt ein Arbeitnehmer sein Probearbeitsverhältnis wegen einer Erkrankung erst gar nicht an oder wird er in den ersten vier Wochen seiner Beschäftigung auf Probe arbeitsunfähig krank, braucht der Arbeitgeber das Entgelt nicht fortzuzahlen.
Früher gab es mal die "Rechtsfigur" missglückter Arbeitsversuch: Waren Arbeiter vor oder bei Beginn ihres Arbeitsverhältnisses arbeitsunfähig krank, hatten sie keinen Lohnfortzahlungsanspruch. Das ist mittlerweile Geschichte. Die Wartezeitregelung in § 3 Abs. 3 EFZG gilt für alle Arbeitnehmer. Wer seine Probezeit gleich mit einer Erkrankung beginnt, hat vier Wochen lang keinen Anspruch auf Entgeltfortzahlung. Danach besteht der Anspruch für volle sechs Wochen - vorausgesetzt, der Arbeitgeber kündigt vorher nicht (Ausnahme: eine Kündigung aus Anlass der Arbeitsunfähigkeit, § 8 Abs. 1 Satz 1 EFZG).
2. Erkrankung vor Beginn der Probezeit
Der Anspruch auf Entgeltfortzahlung entsteht nicht vor Beginn der Probezeit. Maßgeblich für das Entstehen des Anspruchs ist nicht mal die tatsächliche Arbeitsaufnahme. Entscheidend ist der rechtliche Bestand des Arbeitsverhältnisses.
Beispiele
- (1)
Lisa Meier bewirbt sich bei der Tintow & Rettow GmbH, einer Malerfirma in Sachsen-Anhalt. Ihr Arbeitsverhältnis soll am 01.02. mit einer 6-monatigen Probezeit beginnen. Vor diesem 01.02. können für Lisa keine Entgeltfortzahlungsansprüche entstehen - sie hat noch keine Arbeitspflicht und kann schon deswegen nicht "infolge Krankheit an" ihrer "Arbeitsleistung verhindert" sein, wie § 3 Abs. 1 EFZG es für den Entgeltfortzahlungsanspruch fordert.
- (2)
Michael Müller, ein Kollege Lisas, soll ebenfalls am 01.02. mit einer 6-monatigen Probezeit bei der Tintow & Rettow GmbH anfangen. Er fährt in der letzten Januarwoche noch kurz in den Wintersport, schneit dann aber oberhalb 1500 m fürchterlich ein. Michael ruft seinen zukünftigen Arbeitgeber an und sagt ihm, dass es mit dem 01.02. nichts werde, weil er keine Möglichkeit habe, seine Skihütte zu verlassen. Er könne seine Arbeit frühestens am 08.02 aufnehmen. Dann zieht sich Herr Müller am 04.02. eine bittere Lungenentzündung zu. Der 4-Wochen-Zeitraum des § 3 Abs. 3 EFZG beginnt trotzdem ab dem 01.02. - und nicht erst an dem Tag, an dem Michael Müller seine Arbeit bei der Tintow & Rettow GmbH tatsächlich aufnehmen kann.
Auch wenn eine Erkrankung bereits vor Beginn des (Probe)Arbeitsverhältnisses vorliegt: Sie schließt einen Entgeltfortzahlungsanspruch nicht aus - ist aber an die Wartezeitregelung in § 3 Abs. 3 EFZG geknüpft (BAG, 26.05.1999 - 5 AZR 338/98). Solange die 4-wöchige Wartezeit nicht zurückgelegt ist, gibt es eben keinen Entgeltfortzahlungsanspruch. Er ist bis zum Beginn der fünften Woche des Arbeitsverhältnisses gehemmt.
Bis zum 94er EFZG galt für Arbeiter und Angestellte unterschiedliches Entgeltfortzahlungsrecht. Arbeiter hatten keinen Anspruch auf Lohnfortzahlung, wenn sie ihre Arbeit nicht zuvor aufgenommen hatten oder bereits vor der Arbeitsaufnahme krank geworden sind. Hier wurde dann ein missglückter Arbeitsversuch angenommen (s. dazu auch BAG, 26.07.1989 - 5 AZR 301/88 + 5 AZR 491/88), der die Entgeltfortzahlung ausschloss. Arbeitsrechtlich ist diese "Rechtsfigur" spätestens seit Inkrafttreten des EFZG am 01.06.1994 und der ab dem 01.10.1996 eingeführten Wartezeitregelung in § 3 Abs. 3 EFZG überholt. Mit Urteilen vom 04.12.1997 - 12 RK 46/94 und 12 RK 3/97 - hat sich auch das BSG von dem missglückten Arbeitsversuch verabschiedet. Zuvor wurde sogar noch angenommen, dass in diesen Fällen erst gar kein Beschäftigungsverhältnis zustande gekommen sei.
3. Erkrankung mit Beginn der Probezeit
Der Anspruch auf Entgeltfortzahlung kann frühestens mit Beginn der Probezeit entstehen - wegen der Regelung in § 3 Abs. 3 EFZGallerdings erst nach Ablauf von vier Wochen/28 Tagen. Der Entgeltfortzahlungsanspruch knüpft an den rechtlichen Bestand des Arbeitsverhältnisses. Und der beginnt an dem Tag, an dem der Arbeitnehmer seine Arbeit vertragsgemäß aufnehmen soll.
Beispiel:
Herr Müller aus dem letzten der beiden vorausgehenden Beispiele sollte seine Tätigkeit am 01.02. vertragsgemäß aufnehmen. Das ging wegen der speziellen Witterungsverhältnisse nicht. Da das Einschneien aber kein Hinderungsgrund nach § 616 BGB ist, hat Michel für die Zeit vom 01.02. bis zum 03.02. ohnehin keinen Vergütungsanspruch. Herr Müller könnte von der Tintow & Rettow GmbH frühestens ab dem 04.02. Entgeltfortzahlung wegen Arbeitsunfähigkeit verlangen, die jedoch an der Wartezeit des § 3 Abs. 3 EFZG scheitert. Ganz abgesehen davon: Grund des Arbeitsausfalls bis zum 07.02. ist nicht die Arbeitsunfähigkeit, sondern die Tatsache, dass Michel eingeschneit war. Hier könnte ein Entgeltfortzahlungsanspruch wegen Arbeitsunfähigkeit frühestens ab dem 08.02. greifen, der dann aber gleich wieder an § 3 Abs. 3 EFZG scheitert.
Entsteht die Erkrankung erst mit Beginn der Probezeit, also an ihrem ersten Tag, greift die Wartezeitregelung des § 3 Abs. 3 EFZG ebenfalls. Der Entgeltfortzahlungsanspruch ist nicht an sich ausgeschlossen, sondern in den ersten vier Wochen des Arbeitsverhältnisses nur gehemmt. Danach besteht er - wie § 3 Abs. 1 EFZG es vorsieht - für einen vollen 6-Wochen-Zeitraum (BAG, 26.05.1999 - 5 AZR 338/98), der mit dem 29. Tag des Arbeitsverhältnisses beginnt.
Das BAG hat die Motive des Gesetzgebers aufgegriffen und sagt:
"durch die Einführung einer vierwöchigen Wartezeit werde eine Kostenentlastung der Arbeitgeber erreicht. Zudem werde das Prinzip von Leistung und Gegenleistung stärker betont. Es erscheine unbillig, dem Arbeitgeber die Kosten der Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall aufzubürden, wenn ein gerade erst eingestellter Arbeitnehmer krankheitsbedingt ausfalle. Der erkrankte Arbeitnehmer erhalte während der Wartezeit Krankengeld (BAG, 26.05.1999 - 5 AZR 338/98)".
Den Motiven des Gesetzgebers - so das BAG in der zitierten Entscheidung - sei nicht zu entnehmen, dass er eine weitere Einschränkung gewollt und die 4-wöchige Wartezeit noch in den 6-Wochen-Zeitraum des § 3 Abs. 1 EFZG hineinrechnen wollte.
4. Erkrankung während der Probezeit
Erkrankt ein Arbeitnehmer während der Probezeit, besteht in der ersten vier Wochen des Arbeitsverhältnisses wegen der Regelung in § 3 Abs. 3 EFZGkein Anspruch auf Entgeltfortzahlung - danach für volle sechs Wochen.
Beispiel:
Paul Neumann nimmt seine Tätigkeit als Anstreicher bei der Tintow & Rettow GmbH am 01.09. auf. Die ersten sechs Monate seines Arbeitsverhältnisses gelten als Probezeit. Am 19.07. bekommt Paul kurz vor Feierabend beim Abbeizen einer Oberfläche in beide Augen eine ätzende Flüssigkeit. Er wird notärztlich behandelt, danach gleich in eine Augenklinik eingeliefert. Paul ist bis zum 23.11. arbeitsunfähig krank. Für die Zeit vom 20.09. bis einschließlich 28.09. bekommt Herr Neumann wegen § 3 Abs. 3 EFZG keine Entgeltfortzahlung, danach vom 29.09. bis einschließlich 09.11. die vollen sechs Wochen des § 3 Abs. 1 EFZG.
Bei Kündigungen in der Probezeit im Zusammenhang mit einer Erkrankung ist die Regelung in § 8 EFZG zu beachten:
"Der Anspruch auf Fortzahlung des Arbeitsentgelts wird nicht dadurch berührt, dass der Arbeitgeber das Arbeitsverhältnis aus Anlass der Arbeitsunfähigkeit kündigt."
Beispiel:
Die Tintow & Rettow GmbH, der Arbeitgeber des Anstreichers Neumann aus dem vorausgehenden Beispiel, kündigt am 20.09. aus Anlass der Arbeitsunfähigkeit mit 14-tägiger Kündigungsfrist. Pauls Arbeitsverhältnis läuft damit zwar am 04.10. aus, sein Entgeltfortzahlungsanspruch entsteht trotzdem ab dem 29.09. und endet erst am 09.11. Sein Arbeitsverhältnis wird bis dahin wegen § 8 Abs. 1 Satz 1 EFZG entgeltfortzahlungsmäßig als fortbestehend weitergedacht.
Das BAG versteht § 8 Abs. 1 Satz 1 EFZG mit Blick auf § 3 Abs. 3 EFZG so, "dass durch die .. Kündigung auch die 'Entstehung' des Anspruchs auf Fortzahlung des Arbeitsentgelts nicht berührt wird" (BAG, 26.05.1999 - 5 AZR 338/98). "Beruht die Beendigung des Arbeitsverhältnisses vor Ablauf der Wartefrist des § 3 Abs. 3 EFZGauf einer durch Krankheit veranlassten Kündigung, steht sie der Entstehung des Entgeltfortzahlungsanspruchs nicht entgegen. Für ... [den Anspruch] ist deshalb der Fortbestand des Arbeitsverhältnisses über den ... [Beendigungszeitpunkt] hinaus zu fingieren, so als wäre es nicht gekündigt worden" (BAG, 26.05.1999 - 5 AZR 338/98).
Besteht zwischen Anzeige der Erkrankung und der Kündigung ein enger zeitlicher Zusammenhang, wird schnell vermutet, dass ein Fall des § 8 Abs. 1 Satz 1 EFZG vorliegt und der Arbeitgeber das Arbeitsverhältnis "aus Anlass der Arbeitsunfähigkeit" gekündigt hat. Dabei geht es auch anders: "Endet das Arbeitsverhältnis vor Ablauf der in § 3 Abs. 1 bezeichneten Zeit nach dem Beginn der Arbeitsunfähigkeit, ohne dass es einer Kündigung bedarf, oder infolge einer Kündigung aus anderen als den in Absatz 1 bezeichneten Gründen, so endet der Anspruch mit dem Ende des Arbeitsverhältnisses" (§ 8 Abs. 2 EFZG). Man muss halt für die Kündigung nur ein wichtigeres Motiv als die Arbeitsunfähigkeit haben.
5. Rechtsprechungs-ABC
An dieser Stelle werden einige der interessantesten Entscheidungen zum Thema Erkrankung und Probezeit in alphabetischer Reihenfolge nach Stichwörtern geordnet hinterlegt:
5.1 Ausgeschlossener Anspruch
§ 3 Abs. 3 EFZG setzt für den Entgeltfortzahlungsanspruch voraus, dass das Arbeitsverhältnis ununterbrochen länger als vier Wochen besteht. Beendet der Arbeitgeber das Arbeitsverhältnis des erkrankten Mitarbeiters innerhalb dieses 4-Wochen-Zeitraums, "ist die Entstehung eines Entgeltfortzahlungsanspruchs für die Zeit, in der das Arbeitsverhältnis bestanden hat, ausgeschlossen". Die 4-wöchige Wartezeit wird nicht in den 6-Wochen-Zeitraum des § 3 Abs. 1 EFZG hineingerechnet, sodass der Arbeitnehmer nach erfüllter Wartezeit bei fortbestehendem Arbeitsverhältnis volle sechs Wochen Entgeltfortzahlung verlangen kann (BAG, 26.05.1999 - 5 AZR 338/98).
5.2 Fortdauernde Arbeitsunfähigkeit
"1. Erkrankt ein Arbeitnehmer während der Wartezeit des § 3 Abs. 3 EFZG und dauert die Arbeitsunfähigkeit über den Ablauf der Wartezeit hinaus an, so entsteht der Anspruch auf Entgeltfortzahlung nach § 3 Abs. 1 EFZG für die Dauer von sechs Wochen. In die Wartezeit fallende Krankheitstage sind nicht anzurechnen. 2. Das gilt wegen § 8 Abs. 1 Satz 1 EFZG auch dann, wenn das Arbeitsverhältnis durch eine aus Anlass der Arbeitsunfähigkeit ausgesprochene Kündigung noch innerhalb der Wartezeit beendet worden ist" (BAG, 26.05.1999 - 5 AZR 476/98 - Leitsätze).
5.3 Missglückter Arbeitsversuch
Nach der Rechtsfigur eines missglückten Arbeitsversuchs sollte einem Missbrauch von Versicherungsleistungen in der Krankenversicherung vorgebeugt werden. Mit dem neuen SGB V, dass die alte Reichsversicherungsordnung (RVO) abgelöst hat, ist diese Rechtsfigur nicht mehr anzuwenden. "Die Rechtsfigur des missglückten Arbeitsversuchs beruhte nach ihrem letzten Stand auf richterlicher Rechtsfortbildung. Im Wege der Gesetzesauslegung ließ sie sich nicht mehr gewinnen. Zu Gewohnheitsrecht (...) hat sie sich nicht verfestigt. Insbesondere ist sie nicht über lange Zeit unumstritten gewesen und zudem in ihrer Ausgestaltung unsicher geblieben" (BSG, 04.12.1997 - 12 RK 46/94 - unter Abkehr von der "Rechtsfigur des missglückten Arbeitsversuchs").
5.4 Tarifliche Änderung
§ 3 Abs. 3 EFZG verkürzt die 6-wöchige Dauer der Entgeltfortzahlung nicht, sondern stellt nur eine besondere Modalität dar. § 3 Abs. 3 EFZG schränkt auch den Kreis der Anspruchsberechtigten nicht ein - genauso wenig, wie er Anlass und Dauer der Zahlung verändert. Haben Tarifpartner zur Wartezeitfrage und zum Beginn der Entgeltfortzahlung bereits ab dem ersten Tag des Arbeitsverhältnisses keine abschließende Regelung getroffen, "sind sie, sofern der Gesetzgeber Regelungen in das Gesetz aufnimmt, die dem Willen der Tarifvertragsparteien nicht entsprechen, auf eine nachträgliche Korrektur der Rechtslage durch nachfolgenden Tarifvertrag angewiesen" (LAG Köln, 21.07.2011 - 6 Sa 20/11).