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BAG, 09.10.1991 - 6 AZR 403/89 - Überzeitarbeit im Postpaketzustelldienst; Überschreitung dienstplanmäßiger Arbeitszeit; Fehlen verbindlicher Festsetzung der Arbeitszeit; Fiktive Funktion des Dienstplanes im Zustelldienst
Bundesarbeitsgericht
Urt. v. 09.10.1991, Az.: 6 AZR 403/89
Überzeitarbeit im Postpaketzustelldienst; Überschreitung dienstplanmäßiger Arbeitszeit; Fehlen verbindlicher Festsetzung der Arbeitszeit; Fiktive Funktion des Dienstplanes im Zustelldienst
Verfahrensgang:
vorgehend:
LAG Berlin - 11.05.1989 - AZ: 4 Sa 9/89
Fundstelle:
ZTR 1992, 464-465 (Volltext mit red. LS)
BAG, 09.10.1991 - 6 AZR 403/89
Der Sechste Senat des Bundesarbeitsgerichts
hat aufgrund der mündlichen Verhandlung
vom 9. Oktober 1991
durch
den Richter Prof. Dr. Jobs als Vorsitzenden,
die Richter Dr. Freitag und Dr. Armbrüster sowie
den ehrenamtlichen Richter Mergenthaler und
die ehrenamtliche Richterin Wax
für Recht erkannt:
Tenor:
- 1.
Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Berlin vom 11. Mai 1989 - 4 Sa 9/89 - wird zurückgewiesen.
- 2.
Der Kläger hat die Kosten der Revision zu tragen.
Tatbestand
1
Der Kläger begehrt Überstundenvergütung nach § 6 des Tarifvertrages für die Arbeiter der Deutschen Bundespost (TV Arb).
2
Der Kläger war aufgrund eines für die Zeit vom 5. April bis 30. September 1988 befristeten Arbeitsvertrages bei der Beklagten im Postamt B. als vollbeschäftigter Arbeiter in der Paketzustellung beschäftigt. Auf das Arbeitsverhältnis fand der TV Arb Anwendung.
3
Hinsichtlich der Arbeitszeit bestimmte § 5 TV Arb in der damals geltenden Fassung:
"(1)
Die regelmäßige Arbeitszeit ausschließlich der Pausen beträgt für die vollbeschäftigten Arbeiter 40 Stunden im wöchentlichen Durchschnitt (Wochenarbeitszeit). Im übrigen regelt sich die Arbeitszeit nach den für die Beamten der Deutschen Bundespost jeweils geltenden Vorschriften, soweit dieser Tarifvertrag nichts anderes bestimmt...."
4
Bezüglich Überzeitarbeit regelt § 6 TV Arb:
"(1)
Arbeitsstunden, die auf Anordnung, Anforderung oder mit Billigung des Dienstvorgesetzten bzw. des von ihm hierfür Beauftragten über die tägliche dienstplanmäßige Arbeitszeit hinaus geleistet werden, sind Überstunden. Sie dürfen nur angeordnet, angefordert bzw. geleistet werden, wenn zwingende dienstliche Gründe dies erfordern...."
5
Die Beklagte ermittelt den Personalbedarf in der Paketzustellung mittels eines Bemessungsverfahrens auf der Grundlage der durchschnittlichen wöchentlichen Verkehrsmenge in den Monaten Januar bis Oktober. Die Diensteinteilung der Paketzusteller richtet sich nach den von der Beklagten aufgestellten Dienstplänen, die Angaben über Beginn und Ende der täglichen Arbeitszeit enthalten. Die Beklagte vergütet Überschreitungen des im Dienstplan ausgewiesenen Arbeitsendes nicht ohne weiteres als Überzeitarbeit gem. § 6 TV Arb, sondern ermittelt diese nach der Verordnung über die Arbeitszeit der Bundesbeamten (AZVO nebst Ausführungsbestimmungen (AB). Danach wird Überzeitarbeit im Zustelldienst lediglich anerkannt bei einem zusätzlichen Zeitbedarf infolge überprüfungsbedürftiger Bemessung oder bei einem vorübergehenden zusätzlichen Zeitbedarf infolge Übernahme zusätzlicher Arbeiten, die im Bemessungsergebnis des Arbeitspostens des Zustellers nicht berücksichtigt sind (Anlage 1 S. 6 zu AZVO Ziff. 2.2.1.3.1 und 2.2.1.3.3 ArbZeitRegl).
6
Der Kläger ist der Auffassung, die von der Beklagten praktizierte Überstundenberechnung sei unzulässig. Überzeitarbeit sei grundsätzlich gem. § 6 TV Arb zu vergüten. Danach stehe ihm für die Monate April bis Juni 1988 eine restliche Überstundenvergütung für 41 Stunden in Höhe von insgesamt 707,75 DM brutto zu.
7
Der Kläger hat beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, an ihn 707,75 DM brutto nebst 4 % Zinsen seit dem 18. August 1988 zu zahlen.
8
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
9
Sie vertritt die Ansicht, § 6 TV Arb sei im Streitfall nicht anwendbar. Die Bestimmung von Überzeitarbeit setze nämlich voraus, daß Beginn und Ende der Arbeitszeit im Dienstplan genau bestimmt seien, d.h., daß der planmäßige Einsatz der Kräfte sich exakt nach den im Dienstplan ausgewiesenen Arbeitszeiten richte. Hinsichtlich der Dienstschlußzeiten sei der Dienstplan für die Paketzusteller nur als sogenannter Rahmendienstplan zu betrachten. Das Ende der täglichen Dienstzeit sei nur als Durchschnittswert im Dienstplan fixiert. Der Zusteller habe in der zeitlichen Gestaltung seines Zustellganges weitgehende Freiheit. Unter- und Überschreitungen der im Dienstplan als Dienstende festgelegten Durchschnittswerte, die anhand der Personalbemessung bestimmt werden, würden sich in aller Regel ausgleichen. Für im Zustelldienst eingesetzte Kräfte sei somit Überzeitarbeit in Anwendung von § 5 Abs. 1 Satz 2 TV Arb i. Verb. m. § 7 AZVO und den hierzu ergangenen Ausführungsbestimmungen nach einem besonderen Verfahren zu bestimmen, wie es auch zwischen den Tarifpartnern abgesprochen worden sei und seit über 30 Jahren gehandhabt werde.
10
Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben. Das Landesarbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Mit der Revision begehrt der Kläger die Wiederherstellung des erstinstanzlichen Urteils. Die Beklagte beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Gründe
11
Die Revision ist unbegründet.
12
I.
Das Landesarbeitsgericht hat angenommen, § 6 TV Arb komme als Anspruchsgrundlage für den Überstundenvergütungsanspruch nicht in Betracht, weil der Kläger nicht über die dienstplanmäßige Arbeitszeit hinaus gearbeitet habe. Dienstplanmäßige Arbeitszeit liege nur vor, wenn Beginn und Ende der Arbeitszeit genau bestimmt seien. Die Arbeitszeit der Arbeitnehmer im Zustelldienst richte sich hingegen gemäß § 5 Abs. 1 Satz 2 TV Arb nach den Ausführungsbestimmungen (AB) zur AZVO. Aus diesen ergebe sich, daß jedenfalls das Ende der Arbeitszeit nicht festgelegt sei. Sind sämtliche Sendungen zugestellt, sei der Dienst beendet, gleichgültig, ob dieser Zeitpunkt vor oder nach dem im Dienstplan ausgewiesenen Ende der Arbeitszeit liege. Diese Ausführungen des Landesarbeitsgerichts halten der revisionsrechtlichen Überprüfung stand.
13
II.
Der Zahlungsanspruch für die Monate April bis Juni 1988 ist unbegründet, da der Kläger keine gem. § 6 TV Arb über die tägliche dienstplanmäßige Arbeitszeit hinaus geleisteten Überstunden erbracht hat. Dies ergibt die Auslegung dieser Vorschrift.
14
Das Landesarbeitsgericht hat den Begriff der "täglichen dienstplanmäßigen Arbeitszeit" i. S. § 6 TV Arb zutreffend dahin ausgelegt, daß er eine verbindliche Festlegung des Beginns und des Endes der täglichen Arbeitszeit voraussetzt. Arbeitszeiten eines Arbeitnehmers im Zustelldienst sind aber gerade nicht verbindlich in diesem Sinne festgelegt, da es jedenfalls an einer exakten Bestimmung des Endes der täglichen Arbeitszeit fehlt. Dies folgt aus § 5 Abs. 1 Satz 2 TV Arb. Danach finden auf das Arbeitsverhältnis des Klägers die für die Beamten der Deutschen Bundespost jeweils geltenden Vorschriften Anwendung. Daraus folgt, daß die Anlage 1 der AB zur Anwendung kommt. Nach dieser Bemessungsgrundlage gilt die Arbeitszeit eines Zustellers an dem einzelnen Tag jeweils mit dem tatsächlichen Ende seiner Arbeitszeit als beendet (Abs. 3 der AB zu § 9 AZVO).
15
Entsprechend der Anlage 1 der AB zu § 7 AZVO Ziff. 2.2.1.3.1 gilt das im Dienstplan angegebene Ende der täglichen Arbeitszeit nur als Durchschnittswert. Überschreitungen dieses Durchschnittswertes stellen deshalb nicht in jedem Fall Überzeitarbeit dar. Es gilt nicht die Regel, daß Überzeitarbeit grundsätzlich bei der Überschreitung der dienstplanmäßigen täglichen Arbeitszeit entsteht.
16
Die Tarifvertragsparteien sind davon ausgegangen, durch zeitweilige Verkehrsschwankungen bedingte Über- und Unterschreitungen des im Dienstplan als Durchschnittswert ausgewiesenen Arbeitsendes würden sich in aller Regel ausgleichen. Der Möglichkeit, daß ein zusätzlicher Arbeitszeitbedarf infolge einer Steigerung des Verkehrsaufkommens - sei es vorübergehender, sei es dauernder Art - oder infolge sonstiger Erschwernisse eintritt, wird durch die Regelungen in Abschn. 2.2.1.3.2 und 2.2.1.3.3 der Anlage 1 der AB zu § 7 AZVO Rechnung getragen. Im Zustelldienst hat der Dienstplan somit nur eine "fiktive" Funktion (vgl. Bolck, Tarifrecht für die Arbeitnehmer der Deutschen Bundespost, Stand April 1989, Abschnitt 4.2 Rz 3 u. 5). Eine exakte Bestimmung des Endes der täglichen Arbeitszeit ist nicht gegeben, weil das Ende der Arbeitszeit lediglich einen Durchschnittswert darstellt.
17
§ 6 TV Arb (Überzeitarbeit) scheidet somit als Anspruchsgrundlage aus, da der Kläger lediglich im Rahmen seiner ihm obliegenden täglichen dienstplanmäßigen Arbeitszeit gem. § 5 TV Arb i. Verb. der AZVO und der hierzu ergangenen AB gearbeitet hat. Nach den Feststellungen des Landesarbeitsgerichts war der Kläger gerade nicht in Zeiten mit durchgängig erhöhtem Verkehrsaufkommen eingesetzt. Dieses lag im Monat April 11,3 v.H. über und in den Monaten Mai (4,8 v.H.) und Juni (16,8 v.H.) unter dem Durchschnitt. Es lagen damit keine Überstunden gem. § 6 TV Arb vor.
18
Soweit die Revision einwendet, das Landesarbeitsgericht habe Erklärungen der Tarifvertragsparteien anläßlich der Tarifabschlüsse im Jahr 1956 und im Jahr 1974 nicht zutreffend gewürdigt, ist dies unerheblich. Solche Erklärungen sind nur ein Auslegungskriterium (vgl. BAGE 46, 308 = AP Nr. 135 zu § 1 TVG Auslegung). Hier ist der tarifliche Wortlaut schon eindeutig; deshalb kommt es auf andere Auslegungskriterien nicht an (vgl. BAG, a.a.O.).
19
Soweit vom Kläger gem. § 286 ZPO gerügt wird, das Landesarbeitsgericht sei zu Unrecht davon ausgegangen, der Kläger sei bei Dienstantritt auf die Unverbindlichkeit des Arbeitszeitendes hingewiesen worden, kommt es darauf nicht an, da die Entscheidung nicht auf diesem Umstand beruht.
20
III.
Die Kostenfolge ergibt sich aus § 97 Abs. 1 ZPO.
Dr. Freitag für den in Kur befindlichen Prof. Dr. Jobs
Dr. Freitag
Dr. Armbrüster
Wax
Mergenthaler
Von Rechts wegen!