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Welche Fragen Arbeitgeber auch zum Thema Sozialversicherungsrecht bewegen: Die Rechtsdatenbank der AOK liefert die Antworten – einfach, fundiert und topaktuell.

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Versetzung bei Krankheit des Arbeitnehmers
Versetzung bei Krankheit des Arbeitnehmers
Inhaltsübersicht
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Information
1. Allgemeines
Ist ein Arbeitnehmer längerfristig krank oder fällt er immer wieder aus, kann die Ursache darin liegen, dass ihn die Arbeit aus gesundheitlichen Gründen überfordert. In diesem Fall stellt sich in der Praxis die Frage, ob ihm eine andere - leidensgerechte - Tätigkeit zugewiesen werden kann. Beantragt der Mitarbeiter selbst die Versetzung auf einen anderen Arbeitsplatz, muss geklärt werden, ob der Betrieb dem entsprechen will oder er sogar verpflichtet ist, dem Wunsch nachzukommen. Dem Beitrag können Sie alle wichtigen Aspekte zu diesem Thema entnehmen.
2. Zuweisung einer Tätigkeit
2.1 Grundsätzliches
Nach § 106 GewO kann der Arbeitgeber Inhalt, Ort und Zeit der Arbeit bestimmen (Weisungs- oder Direktionsrecht). Die Regelung findet auf alle Arbeitnehmer Anwendung (§ 6 Abs. 2 GewO). Dieses Recht des Arbeitgebers kann allerdings durch den Arbeitsvertrag (ebenso durch Gesetze, Tarifvertrag oder Betriebsvereinbarung) eingeschränkt sein. Darüber hinaus muss der Arbeitgeber bei seiner Entscheidung nach billigem Ermessen verfahren und muss die Mitbestimmungsrechte des Betriebsrates beachten. Im Einzelfall ist daher zu prüfen, wie weit das Versetzungsrecht des Arbeitgebers reicht. Er trägt im Arbeitsgerichtsverfahren die Darlegungs- und Beweislast dafür, dass die rechtlichen Voraussetzungen für die Versetzung vorliegen (LAG Rheinland-Pfalz, 19.12.2018 – 7 Sa 99/18).
Nach § 95 Abs. 3 BetrVG ist eine Versetzung die Zuweisung eines anderen Arbeitsbereiches, die voraussichtlich die Dauer eines Monats überschreitet oder die mit einer erheblichen Änderung der Umstände verbunden ist, unter denen die Arbeit zu leisten ist. Es handelt sich um eine durch den Arbeitgeber vorgenommene einseitige Änderung des Arbeitsbereichs, den dieser im Rahmen seines Direktionsrechts (§ 106 GewO) neu festlegt. Dabei liegt die Zuweisung eines anderen Arbeitsbereiches vor, wenn sich das Gesamtbild der bisherigen Tätigkeit des Arbeitnehmers so verändert hat, dass die neue Tätigkeit vom Standpunkt eines mit den betrieblichen Verhältnissen vertrauten Beobachters als eine andere anzusehen ist (BAG, 17.06.2008 - 1 ABR 38/07). Der "Arbeitsbereich" in diesem Sinne wird nach der BAG-Entscheidung durch die Aufgabe und Verantwortung des Arbeitnehmers sowie die Art seiner Tätigkeit und ihre Einordnung in den Arbeitsablauf des Betriebes umschrieben (vgl. § 81 Abs. 2 i.V.m. Abs. 1 Satz 1 BetrVG). Der Begriff bezieht sich also sowohl auf die Art (funktionale Ebene) wie auch auf den Ort der Tätigkeit (räumliche Ebene).
Eine Versetzung stellt sich individualrechtlich als die schuldrechtliche Befugnis des Arbeitgebers dar, dem Arbeitnehmer eine andere Tätigkeit zuzuweisen. Sie unterscheidet sich in tatsächlicher Hinsicht von der Erstzuweisung einer Tätigkeit dadurch, dass ihr auf der Grundlage eines bestehenden Arbeitsvertrages eine ehemalige Tätigkeit vorausgehen und eine neu zugewiesene Tätigkeit nachfolgen muss (LAG Hamm, 12.02.2021 - 1 Sa 1173/20).
Der Arbeitgeber ist im Rahmen angemessener Vorkehrungen verpflichtet, einem Arbeitnehmer, die die Eignung für seine bisherige Tätigkeit verloren hat, an einem anderen Arbeitsplatz zu verwenden (Schlussanträge Generalanwalt vom 11.11.2021 im Verfahren EuGH C-485/20). Dies gilt jedenfalls dann, wenn der Mitarbeiter die erforderliche Kompetenz, Fähigkeit und Verfügbarkeit besitzt und diese Maßnahme keine unverhältnismäßige Belastung für den Arbeitgeber darstellt.
Bei der Prüfung der Wirksamkeit einer Versetzung ist durch Auslegung der Inhalt der vertraglichen Regelungen unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls zu ermitteln. Festzustellen ist, ob ein bestimmter Tätigkeitsinhalt und Tätigkeitsort vertraglich festgelegt sind und welchen Inhalt ein gegebenenfalls vereinbarter Versetzungsvorbehalt hat (LAG Berlin-Brandenburg, 02.10.2019 - 20 Sa 264/19).
Werden in einem Callcenter eines Postdienstleisters unter strikter organisatorischer Trennung einerseits Geschäftskunden und andererseits Privatkunden betreut, kann die Umsetzung von dem einen in den anderen Bereich eine Versetzung i.S.d. § 95 Abs. 3 BetrVG darstellen (LAG Düsseldorf, 31.01.2018 – 4 TaBV 113/16).
Wird der Arbeitnehmer nach dem Wegfall seines Arbeitsplatzes aus dem darauf bezogenen operativen Betriebsprozess herausgenommen und der "Betreuung" einer beim Arbeitgeber gebildeten betrieblichen Einheit unterstellt, in der er sich aktiv an der Vermittlung auf einen neuen Arbeitsplatz zu beteiligen hat und auf Anforderung temporäre Projekteinsätze sowie die zu seiner Weitervermittlung erforderlichen Qualifizierungsmaßnahmen durchführen muss, liegt eine nach § 99 Abs. 1 BetrVG zustimmungspflichtige Versetzung i.S.v. § 95 Abs. 3 BetrVG vor (BAG, 09.04.2019 – 1 ABR 30/17).
Keine Versetzung liegt vor, wenn einzelne Filialen aus einem Betrieb ausgegliedert werden und der Arbeitnehmer gleichzeitig zu einem anderen Betrieb des Arbeitgebers zugeordnet wird (LAG Berlin-Brandenburg, 02.09.2020 - 15 TaBVGa 883/20).
Wird einem Mitarbeiter, der bisher als Springer in verschiedenen Abteilungen einer Lackiererei tätig war, ein fester Arbeitsplatz zugewiesen, liegt eine Versetzung vor, die nach § 99 Abs. 1 i.V. m. § 95 Abs. 3 BetrVG der Mitbestimmung des Betriebsrates unterliegt (LAG Hamm, 07.11.2019 – 13 TaBV 44/19).
Die Zuweisung des Arbeitnehmers an einen anderen, 12 Km entfernten Standort in der gleichen Gemeinde ist bei inhaltlich unveränderter Tätigkeit als Versetzung anzusehen (LAG Nürnberg, 10.05.2021 – 1 TaBV 3/21).
Eine die Dauer von einem Monat überschreitende Zuordnung eines in einem Home Office tätigen Arbeitnehmers zu einem neuen Dienstort ist auch dann eine mitbestimmungspflichtige Versetzung, wenn der Inhalt seiner Tätigkeit, sein Arbeitsort in seinem Home Office und die Person seines Fachvorgesetzten unverändert bleiben (LAG Hessen, 14.01.2020 - 4 TaBV 5/19; Rechtsbeschwerde aus prozessualen Gründen nicht erfolgreich: BAG, 22.09.2021 – 7 ABR 13/20). So auch das LAG Köln: Bei dem von der Arbeitgeberin beabsichtigten Widerruf der alternierenden Telearbeit handelt es sich um eine Versetzung i.S.d. §§ 99 Abs. 1, 95 Abs. 3 BetrVG, denn die Einbindung des Arbeitnehmers in den Betriebsablauf und die Aufgabenerfüllung ist auch bei teilweiser Telearbeit aufgrund von deren Besonderheiten eine völlig andere als ohne Telearbeit, sodass sich bei der Beendigung der Telearbeit das Bild der Tätigkeit grundsätzlich ändert (LAG Köln, 14.08.2020 - 9 TaBV 11/20). Nach der aktuellen, seit 01.10.2022 geltenden Fassung der Sars-2-CoV Arbeitsschutzverordnung hat der Arbeitgeber im Rahmen der Gefährdungsbeurteilung u.a. das Angebot an die Beschäftigten zu prüfen, von zu Hause aus zu arbeiten, soweit keine betriebsbedingten Gründe entgegenstehen. Der Arbeitgeber ist aufgrund des § 106 GewO berechtigt, die Tätigkeit im Home-Office durch Weisung zu beenden (LAG München, 26.08.2021 – 3 SaGa 13/21).
Keine Versetzung liegt vor, wenn ein Bühnenmitarbeiter innerhalb des gleichen Theaters in einen anderen Bühnenbereich wechselt. Daher besteht kein Mitbestimmungsrecht (LAG Rheinland-Pfalz, 24.06.2019 - 3 TaBV 30/18).
Werden gesundheitliche Probleme aufgrund der zwischenmenschlichen Beziehungen des Arbeitnehmers zu seinen Kollegen bzw. Vorgesetzen ausgelöst, kann grundsätzlich der Arbeitgeber entscheiden, wie er darauf reagiert. Unabhängig von den Ursachen der Streitigkeiten liegt es auch im Ermessen des Arbeitgebers, eine Versetzung vorzunehmen. Er muss die Verantwortlichkeit für die Konflikte dabei nicht im Detail aufklären (LAG Mecklenburg-Vorpommern, 30.07.2019 – 5 Sa 233/18). Eine evtl. tarifvertraglich vorgeschriebene Verpflichtung zur Anhörung des betroffenen Arbeitnehmers ist grundsätzlich verbindlich. Die Nichtbeachtung dieser Verpflichtung führt aber nicht zur Unwirksamkeit der Versetzung. Der Arbeitgeber trägt das Risiko, wenn er durch die unterbliebene Anhörung berechtigte Interessen des Arbeitnehmers nicht ausreichend berücksichtigt und die Versetzung daher nicht dem billigen Ermessen entspricht (LAG Mecklenburg-Vorpommern, a.a.O.).
Erweist sich eine Versetzung als unwirksam, hat der Arbeitnehmer grundsätzlich einen Anspruch auf Beschäftigung mit seiner bisherigen Tätigkeit am bisherigen Ort (BAG, 25.08.2010 – 10 AZR 275/09). Eine Ausnahme gilt aufgrund § 275 Abs. 1 und 2 BGB nur dann, wenn dem Arbeitgeber die Beschäftigung auf dem bisherigen Arbeitsplatz unmöglich oder unzumutbar ist (LAG Rheinland-Pfalz, 19.12.2018 – 7 Sa 99/18). Der Arbeitgeber haftet auch auf Schadenersatz, wenn er gegen die Pflicht verstößt, interne Bewerber vorrangig zu berücksichtigen und dem internen Bewerber dadurch ein kürzerer Arbeitsweg vorenthalten wird (LAG Rheinland-Pfalz, 15.03.2021 – 3 Sa 261/19).
2.2 Arbeitsvertrag
Praktische Bedeutung haben in erster Linie die Festlegungen im Arbeitsvertrag. Je konkreter die Tätigkeit dort beschrieben wird, je mehr schränkt dies den Arbeitgeber bei der Ausübung des Weisungsrechts ein (LAG Rheinland-Pfalz, 10.06.2020 – 2 Sa 373/19). Es kommt darauf an, ob ein bestimmter Tätigkeitsinhalt und Tätigkeitsort vertraglich festgelegt sind und welchen Inhalt ein gegebenenfalls vereinbarter Versetzungsvorbehalt hat (LAG Rheinland-Pfalz, 05.11.2019 - 8 Sa 28/19). Eine Versetzung ist insbesondere möglich, wenn die vom Arbeitnehmer zu erbringende Arbeitsleistung im Arbeitsvertrag nur rahmenmäßig umschrieben ist (BAG, 14.10.2020 – 5 AZR 649/19). Insbesondere die Nennung eines bestimmten Berufsbildes (z.B. "Bilanzbuchhalter") engt die Möglichkeiten ein. Das Gleiche gilt für die räumliche Ebene: Ist im Arbeitsvertrag ein bestimmter Ort für die Erbringung der Arbeitsleistung festgelegt, kann der Mitarbeiter nicht ohne weiteres in eine Filiale in einer anderen Stadt versetzt werden. Umgekehrt hat ein Arbeitnehmer keinen Anspruch darauf, dass ihm der Arbeitgeber einen Stammarbeitsplatz in einem bestimmten Werk in einer bestimmten Abteilung zuordnet und ihn dort einsetzt, sofern dies im Arbeitsvertrag nicht ausdrücklich geregelt ist (LAG Rheinland-Pfalz, 19.09.2019 - 5 Sa 91/19).
Aus diesen Gründen wird allgemein empfohlen, insbesondere die Beschreibung des Aufgabenbereichs im Arbeitsvertrag nicht zu eng zu fassen. Das Direktionsrecht des Arbeitgebers kann auch arbeitsvertraglich eingeschränkt werden. Eine nachträgliche vertragliche Beschränkung des Direktionsrechts muss jedoch - wie jeder Rechtsverzicht - eindeutig erklärt werden. Allein das Einvernehmen zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer bei der Zuweisung von Arbeitsaufgaben stellt nicht schon stets eine Vertragsänderung dar (LAG Rheinland-Pfalz, 19.05.2020 - 8 SaGa 1/20).
Enthält der Arbeitsvertrag keine Regelungen über den Beschäftigungsort, ist eine Versetzung an einen anderen Ort im Rahmen des Weisungsrechts zulässig, soweit sie dem billigen Ermessen entspricht (siehe folgende Ausführungen; LAG Köln, 10.06.2020 - 8 SaGa 1/20). Dieses Recht erlischt auch dann nicht, wenn der Arbeitgeber von seinem Direktionsrecht über lange Zeit keinen Gebrauch gemacht hat (ArbG Erfurt, 08.06.2022 – 4 Ca 1602/21). Nach § 2 Abs. 1 Nr. 4 NachwG muss ein Hinweis in der Niederschrift bzw. im Arbeitsvertrag enthalten sein, dass der Mitarbeiter an verschiedenen Orten beschäftigt werden oder seinen Arbeitsort frei wählen kann.
Oft besteht ein Versetzungsvorbehalt auf eine gleichwertige Stelle. Die Gleichwertigkeit der arbeitsvertraglichen Aufgaben bestimmt sich grundsätzlich aus der auf den Betrieb abgestellten Verkehrsauffassung und dem sich daraus ergebenden Sozialbild (vgl. BAG, 30.08.1995 - 1 AZR 47/95 u. BAG, 16.10.2013 – 10 AZR 9/13). Kriterien der Gleichwertigkeit sind die Anzahl der unterstellten Mitarbeiter oder der Umfang der Entscheidungsbefugnisse über den Einsatz von Sachmitteln oder einer Personalkapazität (LAG Hamm, 09.01.1997 - 17 Sa 1554/96). Die Gleichwertigkeit einer Tätigkeit ergibt sich dabei nicht nur nach dem unmittelbaren Tätigkeitsinhalt selbst, sondern auch nach den betrieblichen Rahmenbedingungen, unter denen die Tätigkeit ausgeübt werden soll. Zu diesen Rahmenbedingungen zählt insbesondere die Einordnung der Stelle in die Betriebshierarchie ebenso wie z.B. die Frage, ob, und wenn ja, in welchem Umfang die Tätigkeit mit Vorgesetztenfunktionen gegenüber anderen Mitarbeitern verbunden ist. Kriterien zur Ermittlung der Gleichwertigkeit sind daher insbesondere der unmittelbare Tätigkeitsinhalt, die Anzahl der unterstellten Mitarbeiter, der Umfang der Entscheidungsbefugnisse über den Einsatz von Sachmitteln oder Personal und die Einordnung der Stelle in der Betriebshierarchie (LAG Rheinland-Pfalz, 19.05.2020 - 8 SaGa 1/20). Nicht zuletzt durch die vorgenannten Rahmenbedingungen wird maßgeblich das soziale Ansehen beeinflusst, das mit der Ausübung einer bestimmten vertraglichen Tätigkeit verbunden ist (LAG Köln, 09.07.2020 - 8 Sa 623/19 m.w.N.). Aus dem Anspruch des Arbeitnehmers auf vertragsgemäße Beschäftigung folgt aber auch ohne ausdrücklichen Vorbehalt im Arbeitsvertrag, dass die Zuweisung geringer wertigerer Tätigkeiten auch dann unzulässig ist, wenn die bisherige Vergütung weitergezahlt wird (BAG, 24.10.2018 - 10 AZR 19/18). Ob dienstliche Gründe für eine Versetzung (hier i.S.d. TV für den öffentlichen Dienst der Länder) vorliegen, ist in vollem Umfang gerichtlich nachprüfbar (LAG Rheinland-Pfalz, 26.10.2021 - 6 Sa 99/21).
Ist eine Beschäftigung als Leiterin Finanz- und Rechnungswesen vereinbart, kann im Rahmen eines arbeitsvertraglichen Versetzungsvorbehalts auf eine gleichwertige und gleich bezahlte Stelle keine Versetzung auf eine Tätigkeit als "Leiterin Prozessoptimierung" erfolgen. Denn die Stelle ist nicht als gleichwertig anzusehen (LAG Köln, 09.07.2020 – 8 Sa 623/19).
Der Arbeitgeber kann einer Mitarbeiterin die Funktion als Fachleiterin im Rahmen seines Weisungsrechts entziehen, wenn dieser Teil der Tätigkeit nicht Inhalt des Arbeitsvertrages der Parteien geworden und das Weisungsrecht nicht durch Selbstbindung des Arbeitgebers beschränkt ist (BAG, 24.10.2018 – 10 AZR 19/18).
Ist ein Arbeitnehmer laut Arbeitsvertrag als Vorarbeiter beschäftigt, darf ihm auch bei gleichbleibendem Gehalt keine Arbeit als Monteur zugewiesen werden (LAG Rheinland-Pfalz, 10.06.2020 – 2 Sa 373/19).
Die Versetzung eines Sachbearbeiters in ein Callcenter ist rechtswidrig, wenn die zugewiesene Tätigkeit nicht der bisherigen Beschäftigung gleichwertig ist und damit über die Grenzen des Direktionsrechts hinausgeht (LAG Köln, 21.05.2021 – 10 Sa 1208/20).
Auch soweit auf einen Arbeitsvertrag die Regelungen über Allgemeine Geschäftsbedingungen (§§ 305 ff. BGB) anwendbar sind, ist die Wirksamkeit einer Versetzung zunächst durch Auslegung des Inhalts der vertraglichen Regelungen unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles zu ermitteln (BAG, 27.07.2016 – 7 ABR 55/14 m.w.N). Dabei sind alle dem Arbeitsverhältnis innewohnenden Besonderheiten zu berücksichtigen (BAG, 13.03.2007 – 9 AZR 433/06 u. LAG Rheinland-Pfalz, 19.12.2018 – 7 Sa 99/18).
Bei langjährig beschäftigten Arbeitnehmern ist auch zu bedenken, dass alleine die Nichtausübung des Direktionsrechts über einen längeren Zeitraum regelmäßig keinen Vertrauenstatbestand dahingehend schafft, dass der Arbeitgeber von seinem Recht in Zukunft keinen Gebrauch machen will (LAG Rheinland-Pfalz, 05.11.2019 - 8 Sa 28/19 u. LAG München, 26.08.2021 – 3 SaGa 13/21). Es gibt auch keine Verpflichtung des Arbeitgebers, auf die arbeitsrechtliche Möglichkeit einer Versetzung hinzuweisen.
2.3 Ermessen
Der Arbeitgeber muss bei der Ausübung des Weisungsrechts die Grundsätze des billigen Ermessens beachten (§ 106 GewO). Er ist verpflichtet, die wesentlichen Umstände des Einzelfalles abzuwägen und die beiderseitigen Interessen angemessen zu berücksichtigen (BAG, 24.04.1996 – 5 AZR 1031/94). Dies verlangt eine Abwägung der wechselseitigen Interessen nach den verfassungsrechtlichen und gesetzlichen Wertentscheidungen, den allgemeinen Wertungsgrundsätzen der Verhältnismäßigkeit und Angemessenheit sowie der Verkehrssitte und der Zumutbarkeit. Es muss insbesondere eine sachliche Notwendigkeit für die Maßnahme bestehen und die Versetzung muss für den Arbeitnehmer zumutbar sein. Zu der Abwägung gehören auch die Vorteile aus einer Regelung, die Risikoverteilung zwischen den Vertragsparteien, die beiderseitigen Bedürfnisse, außervertragliche Vor- und Nachteile, Vermögens- und Einkommensverhältnisse sowie soziale Lebensverhältnisse wie familiäre Pflichten und Unterhaltsverpflichtungen (LAG Köln, 12.11.2021 - 10 Sa 281/20). Ob dienstliche Gründe für eine Versetzung (hier i.S.d. TV für den öffentlichen Dienst der Länder) vorliegen, ist in vollem Umfang gerichtlich nachprüfbar (LAG Rheinland-Pfalz, 26.10.2021 – 6 Sa 99/21).
Der Arbeitgeber trägt im Arbeitsgerichtsverfahren die Darlegungs- und Beweislast dafür, dass die rechtlichen Voraussetzungen für die Versetzung vorliegen (LAG Rheinland-Pfalz, 19.12.2018 – 7 Sa 99/18). Dazu gehört auch, dass er darlegt und gegebenenfalls beweist, dass seine Entscheidung billigem Ermessen entspricht (vgl. BAG, 10.07.2013 - 10 AZR 915/12; BAG, 21.07.2009 - 9 AZR 378/08 u. LAG Köln, 20.08.2021 - 10 Sa 210/20).
Dies bedeutet, dass der Arbeitgeber in der Regel seinen Mitarbeiter zu der beabsichtigten Maßnahme anhören muss. Manche Tarifverträge verpflichten den Arbeitgeber ausdrücklich, den Mitarbeiter vor einer Versetzung anzuhören (vgl. z.B. § 4 Abs. 1 TVöD). Die Verletzung dieser Pflicht führt jedoch nicht zur Unwirksamkeit der Versetzung (LAG Berlin-Brandenburg, 02.10.2019 a.a.O.). Ausdrücklich im Gesetz erwähnt ist, dass der Arbeitgeber bei der Ausübung des Weisungsrechts auch auf Behinderungen des Arbeitnehmers Rücksicht nehmen muss (§ 106 S. 3 GewO). Maßstab für die Beachtung des billigen Ermessens sind neben den verfassungsrechtlichen und gesetzlichen Wertentscheidungen u.a. die Verhältnismäßigkeit und die Angemessenheit der Versetzung (LAG Berlin-Brandenburg, 02.10.2019 a.a.O.).
Entspricht die Weisung des Arbeitgebers nicht dem Billigkeitsprinzip, muss sie der Arbeitnehmer auch nicht vorläufig befolgen (BAG, 18.10.2017 – 10 AZR 330/16 u. LAG Rheinland-Pfalz, 13.02.2020 – 2 Sa 178/19). Allerdings trägt ein Arbeitnehmer, der eine von ihm als unbillig empfundene Weisung nicht befolgt, das Risiko, dass sich im Nachhinein herausstellt, dass diese doch in Ordnung war. Dann liegt eine Arbeitsverweigerung vor; es drohen Abmahnung oder gar Kündigung (LAG Rheinland-Pfalz, 14.07.2021 – 7 Sa 148/20).
Das billige Ermessen i.S.d. § 106 S. 1 GewO i.V.m. § 315 Abs. 1 BGB ist nicht gewahrt, wenn der Arbeitgeber ohne Kompensation der sich hieraus ergebenden Kosten eine in etwa 130 km entfernte neue Arbeitsstätte zuweist (LAG Rheinland-Pfalz, 13.02.2020 – 2 Sa 178/19). Ebenso ist eine Versetzung unbillig, wenn der betroffene Arbeitnehmer 54 Jahre alt ist, seit 16 Jahren an einem Standort arbeitet und für die Fahrt zu dem zugewiesenen Standort einen PKW benötigt, der nicht vorhanden ist (LAG Rheinland-Pfalz, 14.07.2021 – 7 Sa 148/20). Ist in eine arbeitsvertraglichen Versetzungsklausel auf einen Umkreis von 30 km um den Wohnsitz des Arbeitnehmers beschränkt, ist selbst nach Schließung der bisherigen Arbeitsstätte die Zuweisung einer Arbeit in der nächstgelegenen, aber 70 km entfernten Filiale nicht vertragsgerecht und daher unzumutbar (LAG Köln, 27.01.2022 – 6 Sa 593/21).
2.4 Änderungskündigung
Kann der Arbeitgeber eine Versetzung auf einen anderen Arbeitsplatz im Rahmen des Weisungsrechts nicht vornehmen, besteht die Möglichkeit einer Änderungskündigung (vgl. § 2 KSchG). Dabei ist zu berücksichtigen, dass es sich um eine Kündigung handelt und daher einerseits alle entsprechenden Formalien eingehalten werden müssen und andererseits sich der Arbeitnehmer mit einer Kündigungsschutzklage dagegen wehren kann.
Praxistipp:
Wegen dieser Probleme ist es sinnvoll, vor einer Änderungskündigung dem Arbeitnehmer anzubieten, seinen Vertrag einvernehmlich zu ändern. Erklärt er sich damit einverstanden, kann eine Versetzung ohne das Risiko einer gerichtlichen Auseinandersetzung erfolgen. Sinnvoll ist es, das Änderungsangebot mit einer kurzen Annahmefrist zu machen.
In der Änderungskündigung muss zum Ausdruck kommen, dass das Arbeitsverhältnis endet, wenn das Angebot nicht angenommen wird. Da es sich um eine echte Kündigung handelt, muss die Kündigungsfrist eingehalten werden (Änderungskündigung - Allgemeines). Die Maßnahme muss außerdem der Billigkeit entsprechen, d.h. sie muss dem Arbeitnehmer zumutbar und damit sozial gerechtfertigt sein.
Bei der Frage, ob die Änderungskündigung sozial gerechtfertigt ist, ist der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz zu beachten. Die Änderungen müssen geeignet und erforderlich sein, um den Inhalt des Arbeitsvertrags den geänderten Beschäftigungsmöglichkeiten anzupassen. Diese Voraussetzungen müssen für jede einzelne Vertragsänderung vorliegen. Ist dies auch nur für eine angebotene Änderung nicht der Fall, ist die Änderungskündigung unwirksam (LSG Hamburg, 15.03.2021 – 5 Sa 67/20). Ausgangspunkt für die Beurteilung ist die bisherige vertragliche Regelung, das heißt, die angebotenen Änderungen dürfen sich nicht weiter vom Inhalt des bisherigen Arbeitsverhältnisses entfernen, als es zur Erreichung des angestrebten Ziels erforderlich ist (LAG Rheinland-Pfalz, 08.12.2020 - 8 Sa 130/20).
Praxistipp:
Für die Änderungskündigung insgesamt (also auch für das neue Vertragsangebot) gilt Schriftform. Sie können unser Formular verwenden.
Das Angebot eines Homeoffice-Arbeitsplatzes kann zumindest dann keine einklagbare mildere Maßnahme im Rahmen einer Änderungskündigung sein, wenn es Teil der unternehmerischen Entscheidung ist, bestimmte Arbeitsplätze in der Zentrale des Arbeitgebers zu konzentrieren und für diese Arbeitsplätze kein Homeoffice anzubieten (LAG Berlin-Brandenburg, 24.03.2021 - 4 Sa 1243/20).
Eine Änderungskündigung ist überflüssig und daher unwirksam, wenn eine Versetzung im Rahmen des Direktionsrechts zulässig ist, aber deshalb scheitert, weil die Zustimmung des Betriebsrats nicht rechtswirksam eingeholt wurde (LAG Rheinland-Pfalz, 19.05.2021 – 5 Sa 295/20).
2.5 Tarifverträge
Teilweise enthalten auch Tarifverträge Versetzungsklauseln. Solche tarifvertraglichen Regelungen können das Direktionsrecht des Arbeitgebers einschränken. Sie sind ggf. vorrangig vor Betriebsvereinbarungen und Sozialplänen anzuwenden (LAG Berlin-Brandenburg, 20.04.2018 – 6 Sa 1586/17). Durch eine tarifvertragliche Klausel kann das Direktionsrecht des Arbeitgebers aber auch erweitert werden: Aus einer tariflichen Regelung, wonach die Vereinbarung alternierender Telearbeit von beiden Seiten mit einer Frist von drei Monaten zum Monatsende ohne Angabe von Gründen widerrufen werden kann, ergibt sich, dass die Arbeitgeberin keine Ermessens- und Billigkeitserwägungen bei der individuellen Ausübung des Widerrufsrechts einhalten muss (LAG Köln, 14.08.2020 - 9 TaBV 11/20). Das BAG hat im Rahmen des Revisionsverfahrens bestätigt, dass es sich um eine mitbestimmungspflichtige Versetzung handelt, wenn eine Arbeitnehmerin auf unabsehbare Zeit und damit länger als einen Monat nicht mehr in alternierender Telearbeit an ihrem häuslichen Arbeitsplatz, sondern vollständig in der Betriebsstätte der Arbeitgeberin eingesetzt werden soll (BAG, 20.10.2021 - 7 ABR 34/20).
3. Versetzung kranker Arbeitnehmer
3.1 Betriebliches Eingliederungsmanagement
Für Arbeitnehmer, die innerhalb eines Jahres länger als sechs Wochen arbeitsunfähig waren, muss der Betrieb ein betriebliches Eingliederungsmanagement (BEM) einleiten. Einzubeziehen sind der betroffene Arbeitnehmer, der Betriebsrat und ggf. die Schwerbehindertenvertretung sowie ggf. weitere Akteure, wie Integrationsamt oder Betriebsarzt. Dabei ist mit Zustimmung des Arbeitnehmers u.a. zu klären, wie die Arbeitsunfähigkeit überwunden und der Arbeitsplatz erhalten werden kann. Ergebnis dieses Verfahrens kann auch die Versetzung auf einen anderen Arbeitsplatz sein. Allerdings ist es für die arbeitsrechtliche Zulässigkeit einer Versetzung ohne Bedeutung, ob diese durch das Eingliederungsmanagement oder außerhalb dessen durchgeführt werden soll. Stimmt der Mitarbeiter nicht zu, kann das Eingliederungsmanagement nicht durchgeführt werden.
Der Arbeitgeber ist nur dann berechtigt, ein betriebliches Eingliederungsmanagement wegen der fehlenden Zustimmung des Arbeitnehmers zu unterlassen, wenn er den betroffenen Arbeitnehmer zuvor regelkonform um Zustimmung zur Durchführung eines betrieblichen Eingliederungsmanagements ersucht hat. Es ist Sache des Arbeitgebers, die Initiative zur Durchführung des betrieblichen Eingliederungsmanagements zu ergreifen (BAG, 17.04.2019 - 7 AZR 292/17). Lehnt der Mitarbeiter die Durchführung des BEM ab, sollte dies – ggf. auch mit seiner Unterschrift - dokumentiert werden.
Der Mitarbeiter kann im Rahmen seiner Zustimmung die Beteiligung einzelner Akteure ablehnen. Dies gilt auch für den Betriebsrat (vgl. § 167 Abs. 2 SGB IX). Der Mitarbeiter ist im Rahmen der Information über das Verfahren darauf hinzuweisen, dass von der Beteiligung des Betriebsrates abgesehen werden kann (BAG, 22.03.2016 – 1 ABR 14/14). Wurde der Arbeitnehmer über sein Wahlrecht hinsichtlich der Beteiligung des Betriebsrates nicht korrekt informiert, ist das BEM nicht ordnungsgemäß durchgeführt (BAG, 17.04.2019 – 7 AZR 292/17). Selbst wenn eine Betriebs- oder Dienstvereinbarung die Beteiligung von betrieblichen Interessenvertretungen vorsieht, kann der Arbeitnehmer dies rechtwirksam ablehnen; Regelungen, die sich über das Wahlrecht des Mitarbeiters hinwegsetzen, sind unwirksam (BAG, 19.11.2019 – 1 ABR 36/18). Das ArbG Berlin hat in einem viel beachteten Urteil (16.10.2015 – 28 Ca 9065/15) die vom BAG aufgestellten Forderungen an bei wirksames BEM konkretisiert. Im Rahmen eines organisierten Suchprozesses ist danach zu prüfen, ob und ggf. in welcher Weise der Arbeitnehmer weiter beschäftigt werden kann. Zu dem Suchprozess gehören:
Das Gespräch zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer, ggf. unter Hinzuziehung von externem Sachverstand;
in dafür geeigneten Fällen die stufenweise Wiedereingliederung des Mitarbeiters (Wiedereingliederungsverhältnis) im Rahmen des so genannten "Hamburger Modells";
die Prüfung, ob der Arbeitsplatz, die Arbeitsumgebung und die Arbeitsmittel, die Organisation und die Arbeitszeit leidensgerecht angepasst werden können oder ob eine Versetzung auf einen anderen, leidensgerechten Arbeitsplatz sinnvoll und zumutbar ist.
Nach § 167 Abs. 2 S. 3 SGB IX ist der Betroffene vor Durchführung auf die Ziele des betrieblichen Eingliederungsmanagements sowie auf Art und Umfang der hierfür erhobenen und verwendeten Daten hinzuweisen. Der Hinweis auf die Datenerhebung ist aber noch nicht die Rechtsgrundlage für die Verarbeitung der gewonnenen Daten. Auch die Zustimmung des Mitarbeiters zur Durchführung des BEM kann nicht als Einwilligung zur Datenverarbeitung gewertet werden. Da es sich zudem bei Gesundheitsdaten um eine besondere Kategorie persönlicher Informationen handelt, ist § 26 Abs. 3 BDSG i.V.m. Art. 9 Abs. 1 DSGVO zu beachten. Die Verarbeitung solcher Daten ist für Zwecke des Beschäftigungsverhältnisses zulässig, wenn sie zur Ausübung von Rechten aus dem Arbeitsrecht, dem Recht der sozialen Sicherheit und des Sozialschutzes erforderlich ist und kein Grund zur Annahme besteht, dass das schutzwürdige Interesse der betroffenen Person an dem Ausschluss der Verarbeitung überwiegt.
Es ist daher für die Verarbeitung dieser Informationen eine separate Einwilligungserklärung des Betroffenen zu empfehlen, die sich ausdrücklich auf die Erhebung der Gesundheitsdaten für den Zweck des BEM bezieht (Art. 6 und. 9 Abs. 2 DSGVO). Eine Einwilligung i.d.S. ist jede freiwillige, für einen bestimmten Zweck, in informierter Weise und unmissverständlich abgegebene Willensbekundung, mit der die betroffene Person zu verstehen gibt, dass sie mit der Verarbeitung der betreffenden Daten einverstanden ist (Art. 4 Nr. 11 DSGVO). In der Einwilligungserklärung sollten die zu erhebenden Daten möglichst vollständig aufgelistet werden. Für die Einwilligung ist Geschäftsfähigkeit erforderlich (BAG, 11.12.2014 – 8 AZR 1010/13). Weitere Einzelheiten siehe auch die Stichwörter zum Thema Datenschutz (Datenschutz - Begriffsbestimmungen, Datenschutz - Datenverarbeitung, Datenschutz - Arbeitnehmerrechte, Datenschutz - Mitbestimmung und Datenschutz - Datenschutzbeauftragter).
Die Durchführung eines betrieblichen Eingliederungsmanagements ist keine formelle oder unmittelbar materielle Voraussetzung für die Wirksamkeit einer Versetzung im Rahmen des Weisungsrechts des Arbeitgebers. Dies gilt selbst dann, wenn die Entscheidung des Arbeitgebers im Zusammenhang mit dem Gesundheitszustand des Arbeitnehmers steht. Eine Zuordnung des Arbeitnehmers aus Gründen des Gesundheitsschutzes zu einer anderen Schicht (Versetzung von Nacht- zu Wechselschicht) ist demnach bei ansonsten gleich bleibender Tätigkeit auch ohne ein an sich erforderliches BEM zulässig und wirksam. Sie kann insbesondere den Grundsätzen billigen Ermessens entsprechen (BAG, 18.10.2017 – 10 AZR 47/17).
Ein "Mindesthaltbarkeitsdatum" hat ein BEM nicht. Es ist erneut durchzuführen, wenn der Beschäftigte nach Abschluss des BEM bzw. der Umsetzung der beschlossenen Maßnahmen innerhalb eines Jahres wieder länger als sechs Wochen arbeitsunfähig war. Der Abschluss eines BEM ist dabei der Tag "Null" für einen neuen Zeitraum von einem Jahr. Kommt es in diesem Jahr erneut zu Fehlzeiten von von mehr als sechs Wochen, ist erneut ein BEM durchzuführen. Eine Begrenzung der rechtlichen Verpflichtung auf eine nur einmalige Durchführung des BEM im Jahreszeitraum des § 167 Abs. 2 Satz 1 SGB IX lässt sich dem Gesetz nicht entnehmen (BAG, 18.11.2021 – 2 AZR 138/21).
Weitere Einzelheiten siehe Betriebliches Eingliederungsmanagement - Allgemeines.
3.2 Versetzung auf Initiative des Arbeitgebers
Möchte der Betrieb aufgrund der Verminderung der Leistungsfähigkeit des Mitarbeiters eine Umsetzung auf einen anderen Arbeitsplatz vornehmen, sollte er zunächst im Gespräch mit dem Arbeitnehmer eine einvernehmliche Lösung suchen.
Praxistipp:
Soweit ein Konsens hergestellt werden kann, ist die Änderung des Arbeitsvertrages auch formlos rechtswirksam, soweit die Schriftform für solche Fälle nicht ausdrücklich vereinbart wurde. Es ist aber aus Beweisgründen ohnehin sinnvoll, die Änderungsvereinbarung schriftlich zu schließen (siehe dazu auch § 3 NachwG).
Kann mit dem Mitarbeiter keine Einigung erzielt werden, sollte zunächst geprüft werden, ob im Rahmen des Weisungsrechts des Arbeitgebers eine andere, leidensgerechte Tätigkeit zugewiesen werden kann. Inwieweit dies der Fall ist, hängt davon ab, wie konkret der Aufgabenbereich in dem Arbeitsvertrag und ggf. der ergänzenden Tätigkeitsbeschreibung festgelegt ist (siehe auch oben Abschnitt 2).
Bei der Prüfung der Wirksamkeit einer Versetzung ist durch Auslegung der Inhalt der vertraglichen Regelungen unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls zu ermitteln. Festzustellen ist, ob ein bestimmter Tätigkeitsinhalt und Tätigkeitsort vertraglich festgelegt sind und welchen Inhalt ein gegebenenfalls vereinbarter Versetzungsvorbehalt hat (LAG Berlin-Brandenburg, 02.10.2019 - 20 Sa 264/19).
Soweit die Versetzung im Rahmen des Weisungsrechts nicht möglich ist, bleibt nur die Änderungskündigung.
3.3 Versetzung auf Wunsch des Arbeitnehmers
Auch in diesem Fall ist die einvernehmliche Lösung unproblematisch. Ist die Versetzung jedoch aus betrieblichen Gründen schwierig, stellt sich die Frage, ob der Arbeitnehmer einen Anspruch hierauf haben kann. Der Grundsatz des § 241 Abs. 2 BGB, wonach jeder Vertragspartner zur Rücksicht auf die Rechte und Interessen des Partners verpflichtet sein kann, gilt auch für Arbeitsverträge.
Bei Mitarbeitern, die aus gesundheitlichen Gründen ihre bisher im Rahmen des § 106 GewO festgelegte Tätigkeit nicht mehr ausüben können, ist der Arbeitgeber daher verpflichtet, sein Weisungsrecht erneut auszuüben: Er muss dem Arbeitnehmer eine im Rahmen der arbeitsvertraglichen Vereinbarung liegende andere Tätigkeit zuweisen, die seinem eingeschränkten Leistungsvermögen entspricht und die gleichwertig ist. Der Arbeitnehmer kann also keine Versetzung auf einen höherwertigen oder niedriger bewerteten Arbeitsplatz fordern.
Die Gleichwertigkeit bestimmt sich grundsätzlich nach der auf den Betrieb bezogenen Verkehrsauffassung und dem sich daraus ergebenden Sozialbild. Kriterien zur Ermittlung der Gleichwertigkeit sind insbesondere der unmittelbare Tätigkeitsinhalt, die Anzahl der unterstellten Mitarbeiter, der Umfang der Entscheidungsbefugnisse über den Einsatz von Sachmitteln oder Personal und die Einordnung der Stelle in der Betriebshierarchie (LAG Rheinland-Pfalz, 19.05.2020 - 8 SaGa 1/20).
Die Verpflichtung zur Zuweisung einer anderen Tätigkeit ergibt sich darüber hinaus erst, wenn der Arbeitnehmer die Umsetzung verlangt und dem Betrieb mitteilt, wie er sich seine weitere Beschäftigung vorstellt. Außerdem muss die angestrebte Maßnahme für das Unternehmen zumutbar und rechtlich möglich sein. Die Zumutbarkeit geht jedoch relativ weit: Der Arbeitgeber muss alle Möglichkeiten, die der Betrieb hat, ausschöpfen. Ist der leidensgerechte Arbeitsplatz besetzt, muss der Arbeitgeber sogar prüfen, ob er dem Inhaber der Stelle im Rahmen des Direktionsrechts eine andere Tätigkeit zuweisen und so den geeigneten Arbeitsplatz freimachen kann (BAG, 19.05.2010 – 5 AZR 162/09). Der Arbeitgeber ist aber nicht verpflichtet, einen leidensgerechten Arbeitsplatz erst einzurichten. Dies gilt insbesondere, wenn dadurch auch die Arbeitsplätze der anderen Mitarbeiter neu zugeschnitten werden müssten. Denn die Schaffung von Arbeitsplätzen liegt allein in der unternehmerischen Entscheidung des Arbeitgebers (BAG, 28.06.2017 – 5 AZR 263/16).
Praxistipp:
Der Zumutbarkeit einer Versetzung können betriebliche Gründe oder die sich aus § 241 Abs. 2 BGB ergebende Pflicht zur Rücksichtnahme auf die Belange anderer Arbeitnehmer entgegenstehen. Stimmt z.B. der Inhaber eines geeigneten Arbeitsplatzes seiner Versetzung nicht zu und droht deswegen für den Betrieb eine arbeitsgerichtliche Auseinandersetzung, ist dies nicht mehr zumutbar. Betriebliche Gründe können auch wirtschaftlicher Art sein.
Ein Arbeitgeber kommt in Annahmeverzug, wenn es ihm möglich und zumutbar ist, einen gesundheitlich eingeschränkten Arbeitnehmer in dem diesem obliegenden Aufgabenbereich mit Tätigkeiten unter Berücksichtigung der Einschränkungen zu betrauen und er den Arbeitnehmer nicht beschäftigt, obwohl dieser seine Arbeitsleistung angeboten hat. Der Arbeitgeber kann sich schadensersatzpflichtig machen, wenn es ihm möglich und zumutbar ist, dem Arbeitnehmer einen anderen geeigneten Arbeitsplatz gegebenenfalls nach entsprechender Umorganisation zuzuweisen und er dies unterlässt. Der Arbeitnehmer muss in beiden Fällen die in Betracht kommenden Einsatzmöglichkeiten aufzeigen. (LAG Berlin-Brandenburg, 03.12.2021 - 21 Ta 1158/21).
3.4 Schadenersatz
Soweit der Betrieb seine vertraglichen Pflichten bei der Zuweisung eines geeigneten Arbeitsplatzes verletzt, kann dies Schadenersatzansprüche nach sich ziehen (§ 280 Abs. 1 BGB). Mit einer Entscheidung des BAG (19.05.2010 – 5 AZR 162/09) wurde jedoch die zuvor aus der Rechtsprechung abgeleitete Auffassung, der Arbeitgeber sei wegen Annahmeverzug zum Schadenersatz verpflichtet, wenn der Arbeitnehmer nicht die geschuldete, sondern eine andere Leistung anbietet, aufgegeben.
Sofern sich - ggf. nach einer gerichtlichen Auseinandersetzung - rückwirkend herausstellt, dass die Versetzung rechtswidrig war, muss der Arbeitgeber entstandene Mehrkosten (z.B. Fahrkosten) ersetzen (BAG, 28.11.2019 – 8 AZR 125/18).
War eine Versetzung rechtswidrig, hat der Arbeitnehmer Anspruch auf Beschäftigung mit der bisherigen Tätigkeit. Außerdem kann sich für die Zeit der rechtswidrigen Nichtbeschäftigung ein Anspruch auf Zahlung einer Entschädigung ergeben (LAG Berlin-Brandenburg, 28.10.2020 - 25 Sa 1105/20).
3.5 Zustimmung des Betriebsrats
Eine Versetzung unterliegt als personelle Einzelmaßnahme nach § 99 Abs. 1 BetrVG der Mitbestimmung. Versetzung ist die Zuweisung eines anderen Arbeitsbereichs, die voraussichtlich die Dauer eines Monats überschreitet (§ 95 Abs. 3 BetrVG). Wird einem erkrankten Arbeitnehmer eine andere Tätigkeit zugewiesen, die sich inhaltlich wesentlich von der bisherigen Arbeit unterscheidet, ist dies eine Versetzung. Dies gilt auch dann, wenn damit keine räumliche Veränderung verbunden ist. Damit liegt auch in solchen Fällen eine zustimmungspflichtige Maßnahme vor.
Wird die Versetzung ohne Zustimmung des Betriebsrates vorgenommen, ist sie unwirksam (LAG Rheinland-Pfalz, 19.05.2021 – 5 Sa 292/20 u. LAG Nürnberg, 10.05.2021 – 1 TaBV 3/21).
Der Betriebsrat kann die Zustimmung aus verschiedenen Gründen verweigern (§ 99 Abs. 2 BetrVG). Dazu gehören auch Mängel der Unterrichtung über die geplante Maßnahme durch den Arbeitgeber. Die Unterrichtung ist ordnungsgemäß, wenn der Arbeitgeber mitteilt, dass der Arbeitnehmer sich auf der Position, auf der er erprobt worden sei, "nicht bewährt" habe (LAG Rheinland-Pfalz, 07.05.2020 - 5 TaBV 18/19).
Der Mitbestimmung unterliegt auch die Versetzung eines Arbeitnehmers, der seinen Arbeitsplatz für den erkrankten Mitarbeiter räumen soll. Stimmt der Betriebsrat dem nicht zu, ist der Arbeitgeber nicht verpflichtet, ein Zustimmungsersetzungsverfahren (§ 99 Abs. 4 BetrVG) einzuleiten.
Die Zuweisung eines festen Arbeitsplatzes an einen als Springer zwischen verschiedenen Abteilungen der Lackiererei tätigen Arbeitnehmer stellt sich als Versetzung dar und unterliegt nach § 99 Abs. 1 i.V.m. § 95 Abs. 3 BetrVG der Mitbestimmung durch den Betriebsrat (LAG Hamm, 07.11.2019 - 13 TaBV 44/19). Keine Versetzung liegt vor, wenn ein Mitarbeiter innerhalb des gleichen Tätigkeitsortes bei Beibehaltung seiner beruflichen Aufgaben in einen anderen Bereich des Unternehmens versetzt wird (LAG Rheinland-Pfalz, 24.06.2019 – 3 TaBV 30/18).
Eine die Dauer von einem Monat überschreitende Zuordnung eines in einem Home Office tätigen Arbeitnehmers zu einem neuen Dienstort ist auch dann eine mitbestimmungspflichtige Versetzung, wenn der Inhalt seiner Tätigkeit, sein Arbeitsort in seinem Home Office und die Person seines Fachvorgesetzten unverändert bleiben (LAG Hessen, 14.01.2020 - 4 TaBV 5/19 - Revision war aus prozessualen Gründen nicht erfolgreich, BAG, 22.09.2021 – 7 ABR 13/20). Soll ein Arbeitnehmer, der bislang im Rahmen einer Beschäftigung in alternierender Telearbeit weit überwiegend an einem vom Arbeitgeber eingerichteten häuslichen Arbeitsplatz tätig war, wieder ausschließlich an der Betriebsstätte eingesetzt werden, liegt darin regelmäßig eine beteiligungspflichtige Versetzung i.S.v. § 99 Abs. 1 BetrVG(BAG, 20.10.2021 – 7 ABR 34/20). Der Betriebsrat kann die Zustimmung zu dieser Maßnahme nicht nach § 99 Abs. 2 Nr. 1 BetrVG erfolgreich auf Verstöße gegen Normen stützen, die lediglich die individualrechtliche Unwirksamkeit des Widerrufs der Telearbeitsvereinbarung bzw. der Versetzung bewirken und die die ausschließliche Beschäftigung in der Betriebsstätte nicht untersagen. Das Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats bei Einstellungen und Versetzungen ist kein Instrument zur umfassenden Vertragsinhaltskontrolle. Der Zustimmungsverweigerungsgrund nach § 99 Abs. 2 Nr. 4 BetrVG liegt nicht vor, wenn beim betroffenen Arbeitnehmer eintretende versetzungsbedingte Nachteile durch den Vollzug einer unternehmerischen Entscheidung des Arbeitgebers bedingt und daher aus betrieblichen Gründen gerechtfertigt sind. Sind Organisationsentscheidung des Arbeitgebers und der darauf beruhende Versetzungsentschluss - wie im Fall der Aufgabe des heimischen Telearbeitsplatzes - praktisch deckungsgleich, sind die durch die Versetzung eintretenden Nachteile jedoch nur dann i.S.v. § 99 Abs. 2 Nr. 4 BetrVG aus betrieblichen Gründen gerechtfertigt, wenn der Arbeitgeber seine Organisationsentscheidung hinsichtlich ihrer organisatorischen Durchführbarkeit verdeutlicht und sie auf sachlich nachvollziehbaren, plausiblen Gründen beruht (BAG, 20.10.2021 – a.a.O.).
Keine Versetzung liegt vor, wenn ein Bühnenmitarbeiter innerhalb desselben Theaters in einen anderen Bühnenbereich wechselt. Daher besteht kein Mitbestimmungsrecht (LAG Rheinland-Pfalz, 24.06.2019 - 3 TaBV 30/18).
Eine mitbestimmungspflichtige Versetzung nach § 99 Abs. 1 S. 1 BetrVG liegt nicht vor bei einer örtlichen Verlagerung einer Betriebsabteilung um wenige Kilometer innerhalb einer politischen Gemeinde, wenn sich infolge der Umsetzung die funktionalen Beziehungen der Arbeitnehmer untereinander, die Art ihrer Tätigkeit, die Einordnung in die Arbeitsabläufe des Betriebs und die Zuständigkeiten von Vorgesetzten nicht geändert haben (BAG, 17.11.2021 - 7 ABR 18/20).
Wird der Arbeitgeber wegen der fehlenden Mitbestimmung zur Aufhebung einer Versetzung verpflichtet, kann er eine erneute Versetzung unter Beachtung der Rechte des Betriebsrates vornehmen. Einer vorherigen tatsächlichen Rückversetzung des Arbeitnehmers bedarf es nicht, wenn die neue Versetzung aus dringenden sachlichen Gründen vorläufig durchgeführt wird (LAG Köln, 21.05.2021 – 9 TaBV 42/20).
Siehe auch
Betriebliches EingliederungsmanagementDirektionsrecht – AllgemeinesDirektionsrecht - Billiges ErmessenDirektionsrecht - InhaltDirektionsrecht - MitbestimmungFormular: Geplante Versetzung