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Welche Fragen Arbeitgeber auch zum Thema Sozialversicherungsrecht bewegen: Die Rechtsdatenbank der AOK liefert die Antworten – einfach, fundiert und topaktuell.

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Vertragsstrafe - Mitbestimmung
Vertragsstrafe - Mitbestimmung
Inhaltsübersicht
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Information
1. Allgemeines
Der Arbeitsvertrag ist grundsätzlich eine Sache zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer. Die betriebsverfassungsrechtliche Arbeitnehmervertretung hat hier nur eingeschränkte Mitbestimmungsrechte. Das gilt auch bei der Vereinbarung arbeitsvertraglicher Vertragsstrafenklauseln. Sie haben den Zweck, individualrechtliche Ansprüche des Gläubigers Arbeitgeber gegen den Schuldner Arbeitnehmer zu sichern. Dabei hat der Betriebsrat, der sich um kollektivrechtliche Fragen kümmern soll, nichts mitzubestimmen.
Praxistipp:
Auch wenn der Betriebsrat bei einer individualrechtlichen Vertragsstrafenregelung nichts mitzubestimmen hat: Er wird versuchen, auf die Willensbildung und die Vertragsgestaltung des Arbeitgebers Einfluss zu nehmen. Schließlich möchte er die von ihm vertretenen Mitarbeiter vor finanziellen Einbußen schützen. Aber auch wenn insoweit eine freiwillige Mitbestimmung grundsätzlich möglich wäre - der Arbeitgeber sollte sich dieses Stück Vertragsfreiheit nicht ohne sachlichen Grund nehmen lassen.
Obwohl der Betriebsrat nach § 94 BetrVG vorab seine Zustimmung erteilen muss, wenn der Arbeitgeber Personalfragebögen benutzen oder persönliche Daten in seine Arbeitsverträge aufnehmen möchte: Der individualrechtliche Inhalt von Arbeitsverträgen bleibt mitbestimmungsfrei. Will der Arbeitgeber mit einer Vertragsstrafenabrede allerdings mehr erreichen, als die individuelle Ahndung arbeitsvertraglicher Pflichtverletzungen, muss er seinen Betriebsrat schon beteiligen. Dann handelt es sich um eine Betriebsbuße, für die nach § 87 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG - Frage der Ordnung des Betriebs und des Verhaltens der Arbeitnehmer im Betrieb - ein Mitbestimmungsrecht besteht.
2. Vereinbarungszweck
Der Arbeitgeber will mit einer Vertragsstrafe sicherstellen, dass der Arbeitnehmer seine arbeitsvertraglichen Pflichten erfüllt. Die Vertragsstrafe ist wie
die Abmahnung,
eine Versetzung oder
Kündigung
ein individualrechtliches Gestaltungsmittel des Arbeitgebers. Sie dient als Sanktion für Verstöße gegen arbeitsvertragliche Pflichten. Der Arbeitnehmer soll eine Vertragsstrafe zahlen, weil er seine arbeitsvertraglichen Pflichten
nicht,
nicht rechtzeitig oder
nicht ordentlich
erfüllt. Der Erfüllungsanspruch des Arbeitgebers ergibt sich direkt aus dem Arbeitsvertrag. Für den Anspruch auf eine Vertragsstrafe müssen Arbeitgeber und Arbeitnehmer allerdings eine besondere Vereinbarung getroffen haben. Ohne diese Vereinbarung kann eine - darauf deutet das Wort schon hin - Vertragsstrafe nicht verlangt werden.
3. Mitbestimmung bei individuellen Regelungen
Das BetrVG sieht in puncto Vertragsstrafe kein ausdrückliches Mitbestimmungsrecht vor - bei einer Abmahnung auch nicht. Lediglich eine Versetzung (§ 99 BetrVG) und die Kündigung (§ 102 BetrVG) sind nach dem BetrVG mitbestimmungspflichtig. Das heißt, dass der Arbeitgeber eine Vertragsstrafe grundsätzlich mitbestimmungsfrei vereinbaren und einfordern kann.
Beispiele:
- (1)
Die Happ & Giehr GmbH vereinbart mit allen Mitarbeitern schriftliche Arbeitsverträge, die in Ziffer 13. jeweils eine Vertragsstrafenklausel enthalten. Dem Betriebsrat der Happ & Giehr GmbH sind diese Vertragsstrafenklauseln schon lange ein Dorn im Auge. Er verlangt vom Geschäftsführer, die Verwendung der Vertragsstrafenklausel in zukünftigen Arbeitsverträgen zu unterlassen. Zu Unrecht - der Betriebsrat hat hier kein Mitbestimmungsrecht.
- (2)
Nachdem es zwischen Arbeitnehmerin Nathalie Meaux-Bing und dem Geschäftsführer der Happ & Giehr GmbH eine heftige verbale Auseinandersetzung gegeben hatte, packte Nathalie ihre Sachen und verließ das Betriebsgebäude. Sie meldete sich am nächsten Tag auch nicht krank, sondern fehlt seitdem einfach. Die Geschäftsleitung fasst Nathalies Verhalten als Vertragsbruch auf und will die für diesen Fall vereinbarte Vertragsstrafe geltend machen. Der Betriebsrat fordert sie auf, das sein zu lassen. Zu Unrecht - er hat kein Mitbestimmungsrecht.
Nach § 94 Abs. 1 Satz 1 BetrVG bedarf lediglich die Einführung von Personalfragebögen der Zustimmung des Betriebsrats. Und § 94 Abs. 2 BetrVG ergänzt:
"Absatz 1 gilt entsprechend für persönliche Angaben in schriftlichen Arbeitsverträgen, die allgemein für den Betrieb verwendet werden sollen (...)."
Aber: § 94 Abs. 1 Satz 1 BetrVG und § 94 Abs. 4 BetrVG geben dem Betriebsrat kein Recht, bei der Vereinbarung individueller Vertragsstrafenabreden mitzubestimmen.
4. Mitbestimmung bei kollektiven Regelungen
Der Betriebsrat hat, soweit
eine gesetzliche oder
tarifliche Regelung
nicht besteht, nach § 87 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG in Fragen
der Ordnung des Betriebs und
des Verhaltens der Arbeitnehmer im Betrieb
mitzubestimmen.
Nur: Die Vereinbarung und Durchsetzung einer Vertragsstrafe betrifft individualrechtliche Ansprüche ohne kollektiven Bezug. Sie knüpft an die Arbeitsleistung und das Arbeitsverhalten von Mitarbeitern an. Erst dann, wenn eine Strafe darüber hinausgeht und das Ordnungsverhalten von Arbeitnehmern sanktionieren soll, kommt eine Mitbestimmung nach § 87 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG in Betracht.
Beispiel:
Die Well & Ness AG stellt ihren Mitarbeitern kostenlos mehrere betriebseigene Fitnessräume und eine Spa-Anlage zur Verfügung. Der Geschäftsführung fällt nach kurzer Zeit auf, dass beide Bereiche oft verschmutzt sind und einige Geräte unsachgemäß behandelt werden. Sie entschließt sich daher, etwaige Auffälligkeiten zu ahnden. Nach einem detaillierten Punktekatalog sollen Mitarbeiter jeweils 5, 10, 15 und 20 EUR Strafgeld zahlen, wenn sie beim Verschmutzen der Anlage oder bei der unsachgemäßen Behandlung von Fitnessgeräten erwischt werden. Der Well & Ness-Betriebsrat fordert die Geschäftsführung auf, die Einführung des Strafgeld-Katalogs zu unterlassen. Zu Recht - es handelt sich um eine mitbestimmungspflichtige Maßnahme zur Regelung einer Frage der Ordnung des Betriebs und des Verhaltens der Arbeitnehmer im Betrieb.
Zusätzliche Sanktionen, die über die Sicherung individualrechtlicher Ansprüche hinausgehen, sind Betriebsbußen. Sie dienen der Durchsetzung der betrieblichen Ordnung und dürfen in mitbestimmten Betrieben nur unter Beachtung des Mitbestimmungsrechts aus § 87 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG eingeführt werden (BAG, 17.10.1989 - 1 ABR 100/88).
5. Rechtsprechungs-ABC
An dieser Stelle werden einige der interessantesten Entscheidungen zum Thema Mitbestimmung bei Vertragsstrafen in alphabetischer Reihenfolge nach Stichwörtern geordnet hinterlegt:
5.1 Arbeitgeber-Vertragsstrafe
"Eine Vereinbarung zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat, wonach der Arbeitgeber bei der Verletzung von Mitbestimmungsrechten an einen Dritten eine Vertragsstrafe zu zahlen hat, ist unwirksam". Der Betriebsrat ist nicht vermögensfähig. Und weil das so ist, fehlt ihm auch die Rechtsfähigkeit, Vereinbarungen abzuschließen, durch die eigene vermögensrechtliche Ansprüche begründet werden sollen. Das gilt auch für den Fall, dass die Vertragsstrafe an einen dem Betriebsrat zur Verfügung stehenden Fonds gezahlt werden soll. Und soweit es den Dritten betrifft: Soll die Vertragsstrafe einem Dritten zufließen, wäre sie der Disposition des Betriebsrats entzogen, was ohnehin zwingenden betriebsverfassungsrechtlichen Grundsätzen widerspricht (BAG, 19.01.2010 - 1 ABR 62/08).
5.2 Auslegung
Eine Vertragsstrafe soll die individuellen Arbeitspflichten sichern, eine Betriebsbuße Verstöße des Arbeitnehmers gegen die betriebliche Ordnung - das heißt ein gemeinschaftswidriges Verhalten mit kollektivem Bezug - ahnden. Welchen Rechtscharakter eine Vertragsstrafenklausel wirklich hat, ist durch Auslegung zu ermitteln. Dabei ist die Abgrenzung in erster Linie danach vorzunehmen, welche Vertragsverstöße geahndet werden sollen. Für eine Vertragsstrafe spricht, wenn auf die in Frage kommenden arbeitsvertraglichen Pflichten in der Vertragsklausel ausdrücklich Bezug genommen wird (LAG Berlin, 25.08.2004 - 9 Sa 877/04).
5.3 Betriebsbußen
Das Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats nach § 87 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG beinhaltet auch das Recht, "sowohl bei der Aufstellung einer Bußordnung als auch bei der Verhängung einer Betriebsbuße im Einzelfall mitzubestimmen." Dies folgt aus der den Betriebspartnern in § 87 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG eingeräumten Befugnis, Fragen der Ordnung des Betriebs und des Verhaltens der Arbeitnehmer im Betrieb gemeinsam und in der Regel normativ durch Betriebsvereinbarung zu regeln. Die betriebliche Ordnung ist das Regelwerk, das das Zusammenleben und Zusammenwirken der Arbeitnehmer ordnet (BAG. 17.10.1989 - 1 ABR 100/88).
5.4 Bußordnung
Betriebsbußen dienen der Durchsetzung der betrieblichen Ordnung. Sie dürfen aber nur dann als Sanktion verhängt werden, wenn eine mitbestimmte betriebliche Bußordnung besteht, die den formellen Anforderungen des § 77 Abs. 2 BetrVG entspricht: "Betriebsvereinbarungen sind von Betriebsrat und Arbeitgeber gemeinsam zu beschließen und schriftlich niederzulegen. Sie sind von beiden Seiten zu unterzeichnen (...). Der Arbeitgeber hat die Betriebsvereinbarungen an geeigneter Stelle im Betrieb auszulegen." (BAG, 18.07.2006 - 1 AZR 578/05).
5.5 Individualinteresse
Nicht gruppenschädliches Verhalten des Arbeitnehmers ist der Ansatzpunkt für eine Vertragsstrafe, sondern das individuelle Interesse des Arbeitgebers als Gläubiger der Arbeitsleistung. Die Vertragsstrafe soll die vertragsgerechte Erfüllung der Arbeitnehmerpflichten sichern. Daher unterliegt die Vertragsstrafe nicht der Betriebsstrafgewalt und löst auch sonst kein Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats aus. Die Zulässigkeit einer Vertragsstrafe und ihre Durchsetzung orientieren sich ausschließlich nach den §§ 339 ff. BGB und dem Arbeitsvertragsrecht. (BAG, 05.02.1986 - 5 AZR 564/84).
Siehe auch
Vertragsstrafe - AGB-Kontrolle
Vertragsstrafe - Rechtsgrundlagen
Vertragsstrafe - Regelungszweck
Vertragsstrafe - vermeidbare Fehler