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Welche Fragen Arbeitgeber auch zum Thema Sozialversicherungsrecht bewegen: Die Rechtsdatenbank der AOK liefert die Antworten – einfach, fundiert und topaktuell.

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Kündigung - personenbedingt: Prüfungsschema
Kündigung - personenbedingt: Prüfungsschema
Inhaltsübersicht
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1. Allgemeines
Der Arbeitgeber erwartet für die Prüfung der Frage, ob er personenbedingt kündigen darf, ein verlässliches Schema. Die Rechtsprechung hat für die Kündigung wegen eines Grunds, der in der Person eines Arbeitnehmers liegt, über die Jahre hinweg viele Voraussetzungen aufgestellt. Das 3-Stufen-Schema des BAG ist sicherlich kurz und bündig. Auf der anderen Seite treten für den Praktiker zwei Punkte - die Frage, ob überhaupt Leistungsstörungen da sind, und die Frage, ob die Kündigung nicht durch ein milderes Mittel vermieden werden kann - nicht so deutlich hervor. Daher wird in Gliederungspunkt 2. ein 5-Stufen-Schema empfohlen, das diese beiden Punkte ausreichend berücksichtigt.
Praxistipp:
Es gibt kaum eine personenbedingte Kündigung, die von Anfang an glatt läuft. Wer als Arbeitgeber unsicher ist oder Probleme sieht, die er nicht selbst lösen kann, sollte von Anfang an rechtliche Beratung in Anspruch nehmen.
Die Prüfung der Voraussetzungen für eine erfolgreiche personenbedingte Kündigung setzt zunächst die Feststellung voraus, dass überhaupt eine in der Person des Arbeitnehmers liegende Leistungsstörung eingetreten ist. Daran schließt sich die Negativprognose an, dass in Zukunft mit weiteren Leistungsstörungen zu rechnen ist. Diese weiteren Leistungsstörungen müssen im dritten Prüfungsschritt zu erheblichen betrieblichen Beeinträchtigungen führen. Trotz dieser erheblichen Beeinträchtigungen ist eine personenbedingte Kündigung ausgeschlossen, wenn sie durch mildere Mittel vermieden werden kann. Schließlich ist im Rahmen einer umfassenden Interessenabwägung die Entscheidung zu treffen, dass das Beendigungsinteresse des Arbeitgebers das Bestandsschutzinteresse des Arbeitnehmers überwiegt.
2. Prüfungsschritte
Das BAG wendet das so genannte 3-Stufen-Prinzip an (s. dazu BAG, 23.04.2008 - 2 AZR 1012/06). Es prüft
auf Stufe 1 die Negativprognose,
auf Stufe 2 die betrieblichen Beeinträchtigungen und
auf Stufe 3 die Interessenabwägung zwischen Beendigung und Fortsetzung.
Systematisch genauer wäre ein 5-stufiges Prüfungsschema, das folgende Schritte geht:
1. Schritt: Feststellung, dass eine in der Person des Arbeitnehmers eingetretene Leistungsstörung des Arbeitsverhältnisses vorliegt.
2. Schritt: Feststellung, dass sich die eingetretene Störung des Arbeitsverhältnisses auch zukünftig auf das Arbeitsverhältnis auswirken wird (Negativprognose).
3. Schritt: Feststellung, dass die zukünftigen Leistungsstörungen erhebliche betriebliche Auswirkungen haben werden (Beeinträchtigungen)
4. Schritt: Feststellung, dass die Kündigung wegen der zukünftig zu erwartenden Leistungsstörungen nicht durch ein milderes Mittel abgewendet werden kann.
5. Schritt: Feststellung, dass das Beendigungsinteresse des Arbeitgebers das Interesse seines Mitarbeiters, seinen Arbeitsplatz zu behalten, überwiegt (Interessenabwägung).
Hinweis:
Bei den hier vorgestellten Prüfungsschemata gibt es kein richtig oder falsch. Die Schritte 1 und 4 des 5-Stufen-Schemas müssen im Rahmen der dreistufigen Prüfung des BAG bei den anderen Prüfungsschritten ohnehin mit berücksichtigt werden. Das 5-Stufen-Schema bietet allerdings den großen Vorteil, dass diese beiden Punkte, weil sie hier als eigene Prüfungsschritte angelegt sind, nicht vergessen werden.
3. Erster Prüfungsschritt: Störung des Arbeitsverhältnisses
Der Arbeitgeber muss auf der ersten Prüfungsstufe feststellen, dass das Arbeitsverhältnis durch ein Ereignis gestört ist, das in die Risikosphäre des Arbeitnehmers fällt und in seiner Person liegt (Leistungsstörung). Dabei muss er den personenbedingten Kündigungsgrund von
betriebs- und
verhaltensbedingten
Kündigungsgründen abgrenzen (s. dazu die Stichwörter Kündigung - betriebsbedingt: Abgrenzung und Kündigung - personenbedingt: Abgrenzung).
Beispiel:
Arbeitgeber A hat seine Produktion umgestellt. Mitarbeiter M ist trotz mehrfacher Anlernversuche nicht in der Lage, die neuen Tätigkeiten auszuüben. Wenn A deswegen das Arbeitsverhältnis des M beenden will, hat er dafür grundsätzlich drei Gründe: Die Kündigung kann wegen der Produktionsumstellung betriebsbedingt sein. M kann sich weigern, die Fähigkeiten und Fertigkeiten zu erlernen, die er für seine neue Tätigkeit braucht - was auf eine verhaltensbedingte Kündigung schließen lässt. Schließlich kann M nach seinen physischen und psychischen Eigenschaften einfach nur ungeeignet für die neuen Anforderungen sein, was dann für einen Kündigungsgrund spricht, der in seiner Person liegt. Lassen sich die beiden anderen Gründe ausschließen, ist allein die mangelnde Eignung des M Ursache für die Störung des Arbeitsverhältnisses.
Praxistipp:
Eine sorgfältige Abgrenzung des personenbedingten Kündigungsgrunds von den beiden anderen ist schon deswegen wichtig, weil jeder Kündigungsgrund nach der BAG-Rechtsprechung seine eigenen Voraussetzungen hat. Wer hier als Arbeitgeber einer falschen Spur folgt, wird im Kündigungsschutzprozess keinen Erfolg haben. Es gibt Prüfungsschritte, die sich später einfach nicht mehr nachholen lassen.
Als Gründe in der Person des Arbeitnehmers kommen unter anderem in Betracht: AIDS-Infektion, Alkoholabhängigkeit, Drogensucht, Eignungsmängel. Erwerbsunfähigkeit, fehlende Arbeits- oder Berufsausübungserlaubnis, Haft, Krankheit und Verlust der Fahrerlaubnis (Kündigung - personenbedingt: Einzelfall-ABC).
4. Zweiter Prüfungsschritt: Voraussehbarkeit zukünftiger Störungen
Die personenbedingte Kündigung ist keine Bestrafung des Arbeitnehmers für eine Leistungsstörung, die ihre Ursache in seiner Person hat. Der Arbeitgeber soll mit dem Instrument der personenbedingten Kündigung die Möglichkeit haben, zukünftigen Leistungsstörungen vorzubeugen.
Beispiele:
- (1)
Arbeitnehmer N1 war bisher ein Vorbild an Pflichterfüllung. Seit es in seiner Ehe kriselt, trinkt er abends verstärkt Alkohol. Das wiederum führt dazu, dass er morgens häufiger zu spät zur Arbeit kommt und seine Leistung über Tag erheblich nachlässt. Nach zwei Monaten, N1 hat sich inzwischen mit seiner Frau ausgesprochen und ausgesöhnt, ist er wieder wie früher. Arbeitgeber A1 sieht sich die Produktionszahlen der letzten beiden Monate an und möchte N1 wegen seiner alkoholbedingten Entgleisungen kündigen. A1 hat bis zur Krise vorbildlich gearbeitet. Seine Ehe ist wieder gefestigt. Es gibt keinen nachvollziehbaren Anlass, von zukünftigen Leistungsstörungen auszugehen.
- (2)
Arbeitnehmer N2 leidet an einer vererblichen Gefäßerkrankung, die sein physisches und psychisches Leistungsvermögen immer stärker einschränkt. N2 vergisst häufig die einfachsten Arbeitsschritte und liefert bei weitem nicht mehr die Arbeitsergebnisse früherer Jahre. Arbeitgeber A2 merkt, dass es mit N2 so nicht mehr weitergeht. Die Gefäßerkrankung ist nicht zu heilen und nicht aufzuhalten. Das Leistungsvermögen des N2 wird in Zukunft weiter sinken und er wird nicht mehr in der Lage sein, seine Arbeit ordentlich auszuführen. A2 muss davon ausgehen, dass N2 die arbeitsvertraglich geschuldete Arbeit in Zukunft nicht mehr leisten kann.
Um zukünftige Leistungsstörungen annehmen zu dürfen, muss der Arbeitgeber eine Prognose treffen. Diese Prognose ist im Zeitpunkt der Kündigung zu stellen. Dabei muss die durch Tatsachen begründete Annahme gerechtfertigt sein, dass in Zukunft auf Grund der bereits eingetretenen und vorliegenden Leistungsstörungen mit weiteren Leistungsstörungen zu rechnen ist (s. dazu das Stichwort Kündigung - personenbedingt: Prognose).
Praxistipp:
Die Prognose über die zukünftige Entwicklung der Leistungsstörungen bedarf keiner hellseherischen Fähigkeiten. Im Prinzip kann der Arbeitgeber aus den Störungen der Vergangenheit und der Art des in der Person des Mitarbeiters liegenden Grunds schon die Vorausschau treffen, dass weiterhin mit Beeinträchtigungen zu rechnen ist. Nur eins darf er nicht - die Prognose gewissermaßen aus dem Bauch treffen. Es zählen Fakten, nicht Meinungen.
5. Dritter Prüfungsschritt: Vorhandensein betrieblicher Auswirkungen
Ist damit zu rechnen, dass in der Person eines Arbeitnehmers eingetretene Leistungsstörungen auch in Zukunft da sein werden, stellt sicht die Frage, wie sich diese Leistungsstörungen im Betrieb auswirken.
Beispiele:
- (1)
Arbeitnehmer N1 ist bei Arbeitgeber A als Lagerarbeiter tätig. Er wird nach einer feucht-fröhlichen Familienfeier von der Polizei angehalten. Ergebnis der Blutalkoholkontrolle: 1,7 Promille. N1 verliert seine Fahrerlaubnis. Er ist bei A als Lagerarbeiter nicht auf eine Fahrerlaubnis angewiesen. Ihre Entziehung wirkt sich nicht betrieblich aus. A kann deswegen nicht kündigen.
- (2)
Arbeitnehmer N2 ist bei Arbeitgeber A als Büroangestellter tätig. Ihm wird die Fahrerlaubnis ebenfalls wegen Trunkenheit im Straßenverkehr entzogen. Als Büroangestellter hatte N2 von Zeit zu Zeit die Aufgabe, Verbrauchsmaterialien vom örtlichen Fachmarkt abzuholen. A kann diese Arbeiten von Mitarbeiter M erledigen lassen, ohne dass es dabei zu erheblichen betrieblichen Auswirkungen kommt. Damit ist der Verlust der Fahrerlaubnis des N2 für A kein Grund, dessen Arbeitsverhältnis durch eine personenbedingte Kündigung zu beenden.
- (3)
Arbeitnehmer N3 ist bei Arbeitgeber A als Außendienstmitarbeiter tätig. Zu seinen Aufgaben gehört es, die Kunden des A zu besuchen. N3 verliert seine Fahrerlaubnis ebenfalls wegen Fahrens unter Alkoholeinfluss. A kann den Tätigkeitsbereich des N3 nicht so organisieren, dass er ihm einen Fahrer zur Seite stellt. Wenn N3 keine Fahrerlaubnis mehr besitzt, kann er seine Tätigkeit als Außendienstmitarbeiter nicht mehr ausüben. Hier liegt eine Leistungsstörung vor, die in Zukunft erhebliche betriebliche Auswirkungen hat. Bis N3 seine Lizenz neu erworben hat, kann er als Außendienstmitarbeiter nicht mehr tätig sein und seinen Arbeitsvertrag nicht mehr erfüllen.
Die drei Beispielfälle machen klar, dass ein und derselbe Auslöser im Ergebnis recht unterschiedlich zu bewerten ist. Hat der Umstand, der in der Person des Arbeitnehmers eingetreten ist, keine oder nur geringe betriebliche Auswirkungen, kommt er als Grund für eine personenbedingte Kündigung nicht in Frage.
Praxistipp:
Zu Beginn einer personenbedingten Leistungsstörung wird noch niemand daran denken, die eingetretenen Beeinträchtigungen zu dokumentieren und beweisbar zu machen. Das kostet in einem späteren Kündigungsschutzprozess möglicherweise wertvolle Punkte. Deshalb sollte ein Arbeitgeber möglichst frühzeitig damit beginnen, die Art der Leistungsstörungen und ihre Auswirkungen auf den Betrieb sorgfältig festzuhalten. Dabei ist es auch wichtig, sich den Namen von Zeugen zu notieren und sich von ihnen gegebenenfalls eine kurze schriftliche Aussage geben zu lassen.
6. Vierter Schritt: Vermeidung einer Kündigung durch mildere Mittel
Bei Kündigungen gilt der Grundsatz, dass sie nach dem Ultima-Ratio-Prinzip immer erst dann zulässig sind, wenn mildere Mittel keine Aussicht auf Erfolg versprechen (s. dazu auch die Stichwörter Kündigung - außerordentliche: Ultima Ratio, Kündigung - betriebsbedingt: Dringlichkeit).
Auch wenn personen- und verhaltensbedingte Kündigungsgründe manchmal recht dicht beieinander liegen, eine Abmahnung scheidet bei einer personenbedingten Kündigung als milderes Mittel aus.
Beispiel:
Arbeitnehmer N braucht für seine Fahrtätigkeit eine augenärztliche Bescheinigung. Da seine Sehkraft in Folge einer seltenen, unheilbaren Augenkrankheit bei einer sich mehr und mehr ablösenden Netzhaut zunehmend schlechter wird, bekommt N die ärztliche Bescheinigung nicht mehr. N kann die Verschlechterung seiner Sehkraft nicht willentlich steuern. Eine Abmahnung würde ihr Ziel verfehlen, sie scheidet insoweit als milderes Mittel aus.
Als wirksame mildere Mittel kommen eine Um- oder Versetzung in Betracht.
Beispiele:
- (1)
Arbeitnehmer N1 arbeitet in der Nähe einer Schleifbank. Die dort entstehenden Schleifstäube lösen bei ihm Atemwegsallergien aus. N1 ist deswegen häufiger arbeitsunfähig krank. Arbeitgeber A spielt mit dem Gedanken, sein Arbeitsverhältnis zu kündigen. Hat er die Möglichkeit, N1 auf einen Arbeitsplatz umzusetzen, wo er mit den Schleifstäuben nicht in Kontakt kommt, muss er das tun. Das mildere Mittel Umsetzung ist vorrangig.
- (2)
Arbeitnehmer N2 arbeitet in einem Kühlhaus als Lagerist. Bedingt durch den häufigen Temperaturwechsel ist N2 sehr anfällig für Erkältungskrankheiten. Häufige, zum Teil 2-wöchige Ausfallzeiten sind die Folge. Arbeitgeber A beabsichtigt, ihn deswegen zu kündigen. Kann A den N2 in einer anderen Betriebsabteilung als Lagerist weiterbeschäftigen, ohne das N2 dabei häufigen Temperaturschwankungen ausgesetzt ist, muss er das tun. Das mildere Mittel Versetzung ist insoweit vorrangig.
Eine personenbedingte Kündigung ist auch dann ausgeschlossen, wenn es die Möglichkeit gibt, den Arbeitnehmer auf einem anderen freien Arbeitsplatz, wenn auch zu schlechteren Arbeitsbedingungen, weiter zu beschäftigen.
Beispiel:
Arbeitnehmer N ist bei Arbeitgeber A als Lagerist im Fertigteilelager tätig. Er leistet dort schwere körperliche Arbeit. Diese schwere körperliche Arbeit wird nach dem einschlägigen Branchentarifvertrag in der Lohngruppe 5 mit einem Monatslohn von 2.500 EUR brutto vergütet. Nach einer Wirbelsäulenoperation ist N nicht mehr in der Lage, schwere körperliche Arbeiten auszuführen. Arbeitgeber A hat noch einen freien Arbeitsplatz im Kleinteilelager. Hier fallen zwar keine schweren körperlichen Arbeiten an, dafür bekommen die Lageristen aber nach der Lohngruppe 4 nur einen Brutto-Monatslohn von 2.300 EUR. Eine personenbedingte Kündigung des N wäre ausgeschlossen, wenn er als Lagerist im Kleinteilelager weiter beschäftigt werden könnte.
Praxistipp:
In der Praxis passiert es immer wieder, dass kündigende Arbeitgeber ihrem Mitarbeiter die Weiterbeschäftigung auf einem anderen Arbeitsplatz erst gar nicht anbieten. Das hängt zum einen damit zusammen, dass man den Arbeitnehmer einfach loswerden möchte, weil der "echte" Kündigungsgrund ganz woanders liegt. Zum anderen wird das Angebot schlicht vergessen. Der Mitarbeiter wird sich dann im Kündigungsrechtsstreit darauf berufen, dass die Kündigung wegen eines Verstoßes gegen das Ultima-Ratio-Prinzip schon unwirksam ist. Daher die Empfehlung, dem zu kündigenden Mitarbeiter vor der Kündigung die Weiterbeschäftigung schriftlich anzubieten. Lehnt er das Angebot ab, steigen die Chancen des Arbeitgebers für eine erfolgreiche Kündigung.
Weitere Hinweise zur Vermeidung einer Kündigung durch Weiterbeschäftigung sind im Stichwort Kündigung - betriebsbedingt: Weiterbeschäftigungsmöglichkeit hinterlegt. Dabei ist vor allem wichtig, dass Arbeitgeber und Arbeitnehmer die Weiterbeschäftigung sowohl
objektiv möglich als auch
subjektiv zumutbar
ist.
7. Fünfter Schritt: Abwägung der betroffenen Interessen
Wer bei den vier vorausgehenden Schritten alle Hürden genommen hat, kommt an den letzten Punkt: die Interessenabwägung. Dabei sind das
Beendigungsinteresse des Arbeitgebers mit dem
Bestandsinteresse des Arbeitnehmers
abzuwägen. Hier ist die Frage zu beantworten, ob der Arbeitgeber die festgestellten Leistungsstörungen billigerweise noch hinnehmen muss.
Praxistipp:
Die Punkte, die bei einer Interessenabwägung zu berücksichtigen sind, ergeben sich oft erst durch die individuellen Besonderheiten des Einzelfalls. Wer auf Nummer sicher gehen will, sollte sich an den nachfolgenden Kriterien orientieren und eine Checkliste machen, nach der er die einzelnen Faktoren Punkt für Punkt abhakt. Und das vor der Kündigung - denn in den meisten Fällen sieht es so aus, dass Arbeitgeber ihre Interessenabwägung erst dann vornehmen, wenn der Arbeitnehmer sie im Kündigungsschutzprozess bestreitet.
Die Arbeitsgerichte haben im Rahmen der Interessenabwägung zu prüfen, ob die betriebliche Beeinträchtigung auf Grund der Besonderheiten des Einzelfalls vom Arbeitgeber billigerweise noch hinzunehmen ist oder ihn überfordert (BAG, 10.11.2005 - 2 AZR 44/05).
Auf der Seite des Arbeitgebers zählen unter anderem:
Arbeitgeber hält keine Personalreserve vor
Arbeitnehmer ist auf dem Arbeitsmarkt leicht vermittelbar
Arbeitnehmer stellt Gefahr für sich und Arbeitskollegen dar
Arbeitsausfälle sind erheblich
Arbeitsausfälle verursachen erhebliche Kosten
Art der geschuldeten Arbeitsleistung ist anfällig für Störungen
Austauschverhältnis von Leistung und Gegenleistung ist erheblich gestört
besondere Schutzwürdigkeit des Arbeitnehmers fehlt
betriebliche Auswirkungen der Leistungsstörung sind erheblich
betriebliche Maßnahmen zur Behebung der Leistungsstörung waren bislang erfolglos
betriebliche Ursachen sind für Leistungsstörung nicht (mit)verantwortlich
Betriebszugehörigkeit nur kurz
Familienstand: ledig
Kosten der Folgen der Leistungsstörung sind hoch
Lebensalter des Arbeitnehmers noch nicht so hoch
Leistungsstörung ist chronisch und wird immer wieder auftreten
Schwerbehinderung des Arbeitnehmers liegt nicht vor
Überbrückungsmaßnahmen sind für den Arbeitgeber unzumutbar
ungestörter Bestand des Arbeitsverhältnisses nur für einen kürzeren Zeitraum
Unterhaltspflichten des Arbeitnehmers für keinen oder wenige Unterhaltsberechtigte
Auf der Seite des Arbeitnehmers zählen unter anderem:
Arbeitgeber hält eine Personalreserve vor
Arbeitnehmer ist auf dem Arbeitsmarkt schwer vermittelbar
Arbeitnehmer stellt keine Gefahr für sich und Arbeitskollegen dar
Arbeitsausfälle sind gering
Arbeitsausfälle verursachen keine erheblichen Kosten
Art der geschuldeten Arbeitsleistung ist nicht anfällig für Störungen
Austauschverhältnis von Leistung und Gegenleistung ist nur unerheblich gestört
besondere Schutzwürdigkeit
betriebliche Auswirkungen der Leistungsstörung sind nicht erheblich
betriebliche Maßnahmen zur Behebung der Leistungsstörung waren erfolgreich
betriebliche Ursachen sind für Leistungsstörung (mit)verantwortlich
Betriebszugehörigkeit schon länger
Familienstand: verheiratet
Kosten der Folgen der Leistungsstörung sind niedrig
Lebensalter des Arbeitsnehmers schon höher
Leistungsstörung ist nicht chronisch, erneutes Auftreten ist fraglich
Schwerbehinderung des Arbeitnehmers liegt vor
Überbrückungsmaßnahmen sind für den Arbeitgeber zumutbar
ungestörter Bestand des Arbeitsverhältnisses über einen längeren Zeitraum
Unterhaltspflichten des Arbeitnehmers für mehrere Unterhaltsberechtigte
Bei der Interessenabwägung kommt es nicht darauf an, die Prüfkriterien in einer bestimmten Reihenfolge oder Gewichtung zu berücksichtigen. Es reicht schon aus, wenn die im Einzelfall in Betracht kommenden Umstände berücksichtigt und in vertretbarer Weise gegeneinander abgewogen werden (so: BAG, 18.01.2007 - 2 AZR 759/05).
8. Rechtsprechungs-ABC
An dieser Stelle werden die interessantesten Entscheidungen zum Thema Prüfungsschema bei einer personenbedingten Kündigung in alphabetischer Reihenfolge nach Stichwörtern geordnet hinterlegt:
8.1 Abgrenzung
Bei der Interessenabwägung ist einzelfallbezogen zu prüfen, ob die erheblichen betrieblichen Beeinträchtigungen auf Seiten des Arbeitgebers zu einer billigerweise nicht mehr hinzunehmenden betrieblichen und wirtschaftlichen Belastung führen. Kann das bejaht werden, ist eine Kündigung aus Gründen, die in der Person des Arbeitnehmers liegen, sozial gerechtfertigt. Da die Krankheit eines Arbeitnehmers immer ein personenbedingter Kündigungsgrund ist, kommt es nicht darauf an, ob die Krankheit eine Kündigung aus betrieblichen Gründen unumgänglich notwendig macht oder ob für die Kündigung im betrieblichen Interesse ein objektiver Sachzwang besteht (LAG Rheinland-Pfalz, 30.08.2004 - 7 Sa 447/04).
8.2 Interessenabwägung - 1
Bei der personenbedingten Kündigung ist zu prüfen, ob dem Arbeitnehmer die Fähigkeit oder Eignung, die geschuldete Arbeit zu leisten, im Kündigungszeitpunkt fehlt oder ob sie erheblich eingeschränkt ist und ob mit ihrer baldigen Wiederherstellung gerechnet werden kann. Das muss zu einer konkreten Störung des Arbeitsverhältnisses führen, die im Kündigungszeitpunkt noch andauert und die in Zukunft noch andauern wird und bei der auch zukünftig zu befürchten ist, dass sie - zum Beispiel durch eine Umsetzung - nicht zu beseitigen ist. Schließlich muss eine umfassende Interessenabwägung vorgenommen werden, bei der vor allem zu prüfen ist, ob der Arbeitgeber "die auf Grund des personenbedingten Kündigungsgrundes eingetretene Störung des Arbeitsverhältnisses billigerweise noch hinnehmen muss oder ob die Kündigung bei verständiger Würdigung und Abwägung der beiderseitigen Interessen der Vertragsparteien und des Betriebes billigenswert und angemessen erscheint" (BAG, 10.10.2002 - 2 AZR 472/01).
8.3 Interessenabwägung - 2
Eine Interessenabwägung ist auch bei einer personenbedingten Kündigung wegen dauernder Arbeitsunfähigkeit oder auf nicht absehbare Zeit bestehender Erkrankung erforderlich. Diese Interessenabwägung kann hier aber nur bei Vorliegen einer besonderen Schutzbedürftigkeit des Mitarbeiters zu dem Ergebnis führen, dass der Arbeitgeber trotz der erheblichen Störung des Arbeitsverhältnisses deren Fortsetzung billigerweise weiter hinnehmen muss. Bei der Bewertung der widerstreitenden Interessen hat die Tatsacheninstanz einen Beurteilungsspielraum (BAG, 18.01.2007 - 2 AZR 759/05).
8.4 Organisationsschema
Hat der Arbeitgeber ein festes Organisationsschema und verlangt der personenbedingt gekündigte Mitarbeiter davon für sich eine Abweichung, kann dieses Abweichen das Organisationsschema nachhaltig beeinträchtigen. Der Arbeitgeber müsste dann einen bisher nicht vorhandenen Arbeitsplatz schaffen und wäre darüber hinaus noch verpflichtet, sein unternehmerisches Konzept insgesamt zu überarbeiten und neu zu gestalten oder aber Einzelfallregelungen zu schaffen, die die Wünsche des gekündigten Arbeitnehmers berücksichtigen. Das ist - hier nach den Umständen des Einzelfalls - und angesichts des aus Art. 14 GG abgeleiteten Eigentumsschutzes des Arbeitgebers unzumutbar (LAG Düsseldorf, 07.10.2004 - 5 Sa 1067/04).
8.5 Ultima Ratio
Der Arbeitgeber muss alle Möglichkeiten zur Vermeidung einer Kündigung ausschöpfen. Tut er das nicht, geht das zu seinen Lasten. An Stelle einer personenbedingten Kündigung wegen Krankheit kommt nicht bloß eine Weiterbeschäftigung auf einem anderen, freien Arbeitsplatz in Betracht. Der Arbeitgeber muss alle gleichwertigen, leidensgerechten Arbeitsplätze, auf denen der betroffene Arbeitnehmer unter Wahrnehmung seines Direktionsrechts einsetzbar wäre, in Betracht ziehen und gegebenenfalls freimachen (LAG Nürnberg, 14.10.2008 - 6 Sa 272/08).