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Welche Fragen Arbeitgeber auch zum Thema Sozialversicherungsrecht bewegen: Die Rechtsdatenbank der AOK liefert die Antworten – einfach, fundiert und topaktuell.

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Ethikrichtlinien - Grundlagen
Ethikrichtlinien - Grundlagen
Inhaltsübersicht
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Information
1. Allgemeines
Der Wert eines Unternehmens wird durch viele Kriterien bestimmt. Die rein wirtschaftlichen Faktoren prägen nur einen Teil davon. Das Ansehen in Fachwelt und Öffentlichkeit wird mehr und mehr durch ethische Standards bestimmt: Ethikrichtlinien, zu deren Einhaltung sich das Unternehmen und seine Mitarbeiter verpflichten. Während das deutsche Gesetzesrecht - mit Ausnahme des § 33 Abs. 1 Wertpapierhandelsgesetz (WpHG) - keine besonderen Vorschriften über die Einführung von Ethikrichtlinien (auch: Code of conduct oder Verhaltensregeln) kennt, sieht das auf internationalem Gebiet anders aus.
Praxistipp:
Auch wenn ein Betrieb oder Unternehmen in Deutschland durch eine ausländische Regelung verpflichtet wird, Ethikrichtlinien einzuführen: Es gilt deutsches Arbeitsrecht. So sieht § 87 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG beispielsweise vor, dass der Betriebsrat in Fragen der Ordnung des Betriebs und des Verhaltens der Arbeitnehmer im Betrieb mitzubestimmen hat. Darauf muss der Arbeitgeber achten. Er sollte sich deswegen vor der Einführung von Ethikrichtlinien in jedem Fall rechtlich beraten lassen.
Ein Arbeitsverhältnis wird durch viele Regelungstatbestände geprägt. Auf der obersten Stufe stehen die für alle geltenden Gesetze, auf der untersten das Weisungsrecht des Arbeitgebers aus § 106 GewO. In mitbestimmten Betrieben ist das Betriebsverfassungsgesetz - BetrVG - zu beachten. Das heißt nicht, dass ein Arbeitgeber in betriebsratslosen Betrieben willkürlich vorgeben kann, was er für falsch und richtig hält. Das außerbetriebliche Verhalten von Arbeitnehmern, das auch ethische Fragen aufwerfen mag, kann von ihm beispielsweise nur dann beeinflusst werden, wenn es einen betrieblichen Bezug hat.
2. Arbeitsrechtliche Grundprinzipien
Das deutsche Arbeitsrecht setzt sich aus unterschiedlichen Rechtsquellen zusammen:
Gesetze
Tarifverträge
Betriebsvereinbarungen
Arbeitsverträge
Direktionsrecht
Mehr und mehr wird das nationale Arbeitsrecht zudem durch EU-Recht bestimmt.
Ohne konkrete Vorgabe aus anderen Rechtsquellen gilt: Der Arbeitgeber kann die betriebliche Ordnung und das Verhalten der Arbeitnehmer im Betrieb nach billigem Ermessen näher bestimmen, soweit beides nicht durch den Arbeitsvertrag, Bestimmungen einer Betriebsvereinbarung, eines anwendbaren Tarifvertrags oder gesetzliche Vorschriften festgelegt sind (§ 106 Satz 2 i.V.m. Satz 1 GewO). Seine Weisungen zum bloßen Arbeitsverhalten sind dabei nach § 87 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG nicht einmal mitbestimmungspflichtig (BAG, 22.07.2008 - 1 ABR 40/07).
Zwei weitere wichtige Punkte, die das Miteinander von Arbeitgeber und seinen Mitarbeiter prägen, sind:
die Fürsorgepflicht des Arbeitgebers und
die Treuepflicht des Arbeitnehmers.
Die Prüfung der Rechtmäßigkeit von Anweisungen des Arbeitgebers kann im Einzelfall nicht dadurch umgangen werden, dass er mehr oder weniger verbindliche Ethikrichtlinien vorschiebt. Ethikrichtlinien des Arbeitgebers sind nichts Unumstößliches. Sie müssen selbst nach Recht und Gesetz zulässig sein.
3. Gründe für die Einführung von Ethikrichtlinien
Grundsätzlich sollen mit Ethikrichtlinien
abstrakte ethische Anforderungen
in konkrete betriebliche Verhaltensmuster oder
in konkrete betriebliche Organisationsstrukturen
eingeführt werden. Sie sollen den Unternehmen unter anderem dabei helfen,
bestehende gesetzliche Pflichten zur Regelung und Überwachung des Arbeitnehmerverhaltens zu erfüllen oder
die für sie maßgeblichen berufs- oder wettbewerbsethischen Standards umzusetzen.
Soweit es Arbeitnehmer betrifft, wollen Ethikrichtlinien oft
sowohl betriebliches Verhalten als auch
außerbetriebliches Verhalten
steuern. Das ist vom Grundsatz her eine gute Sache, kann man sich doch nur von allen Menschen ein ethisch-korrektes Verhalten beim Zusammenleben und -arbeiten wünschen. Unterm Strich stoßen Ethikrichtlinien allerdings auf Grenzen. Sie müssen nicht nur allgemein gesetzmäßig sein, im Arbeitsverhältnis müssen sie auch individual- und kollektivrechtlich zulässig sein.
4. NYSE Listed Company Manual
Ethikrichtlinien basieren auf Abschnitt 303A.10 des Listed Company Manuals der New Yorker Börse (NYSE = New York Stock Exchange). Er gibt ihnen vor: "Listed companies must adopt and disclose a code of business conduct and ethics for directors, officers and employees, and promptly disclose any waivers of the code for directors or executive officers".
Der von der New Yorker Börse verlangte "code of business conduct and ethics" verlangt unter anderem Regelungen zu folgenden Punkten:
Einhaltung eines lauteren und fairen Wettbewerbs
Meldung von Gesetzesverstößen und Verstößen gegen den Verhaltenskodex
Schutz des unternehmerischen Eigentums
Umgang mit Interessenkonflikten
Verhinderung von Interessenkonflikten
Verpflichtung der Mitarbeiter zu gesetzestreuem Verhalten
Verschwiegenheit
Auch wenn US-amerikanische Firmen verpflichtet sind, einen "code of business conduct and ethics" einzurichten: Für Unternehmen und Betriebe in der Bundesrepublik Deutschland gilt deutsches Recht. Insoweit mag Abschnitt 303A.10 des Listed Company Manuals eine faktische Wirkung auf deutsche Ableger von US-Unternehmen haben - nationales Recht kann er bei deutschen Firmen nicht ausschließen. - schon gar nicht die Mitbestimmung des deutschen Betriebsrats.
Auch das Argument, eine US-amerikanische Muttergesellschaft habe die Ethikrichtlinie für die deutsche Unternehmenstochter herausgegeben, weil sie dazu nach US-Recht verpflichtet sei, hilft nicht. Die deutsche Tochtergesellschaft eines US-Unternehmens mag gesellschaftsrechtlich und damit firmenintern gehalten sein, Ethikrichtlinien einzuführen - da sie ihren Sitz und Betrieb aber in der Bundesrepublik hat, muss sie deutsches Recht beachten (LAG Düsseldorf, 14.11.2005 - 10 TaBV 46/05). So stoßen von einem ausländischen Konzern verabschiedete und vorgegebene Ethikrichtlinien in der Bundesrepublik auf nationale Grenzen.
5. Gesetzliche Grundlagen
Wer als Arbeitgeber einen Betrieb in Deutschland hat und wer als Arbeitnehmer in Deutschland arbeitet, unterliegt grundsätzlich den nationalen Rechtsvorschriften.
Beispiel:
§ 242 Abs. 1 StGB sagt: "Wer eine fremde bewegliche Sache einem anderen in der Absicht wegnimmt, die Sache sich oder einem Dritten rechtswidrig zuzueignen, wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe bestraft". Im Klartext: Diebstahl ist verboten. Daher brauchen weder Arbeitgeber noch Arbeitnehmer eine Ethikrichtlinie, die Mitarbeitern verbietet, Eigentum des Arbeitgebers zu entwenden oder Kollegen zu bestehlen. Das nationale Recht regelt das schon - und zwar für jedermann abschließend und verbindlich.
Art. 30 EGBGB sieht vor:
- (1)
"Bei Arbeitsverträgen und Arbeitsverhältnissen darf die Rechtswahl der Parteien nicht dazu führen, dass dem Arbeitnehmer der Schutz entzogen wird, der ihm durch die zwingenden Bestimmungen des Rechts gewährt wird, das nach Absatz 2 mangels einer Rechtswahl anzuwenden wäre."
- (2)
"Mangels einer Rechtswahl unterliegen Arbeitsverträge und Arbeitsverhältnisse dem Recht des Staates,
in dem der Arbeitnehmer in Erfüllung des Vertrages gewöhnlich seine Arbeit verrichtet, selbst wenn er vorübergehend in einen anderen Staat entsandt ist, oder
in dem sich die Niederlassung befindet, die den Arbeitnehmer eingestellt hat, sofern dieser seine Arbeit gewöhnlich nicht in ein und demselben Staat verrichtet, es sei denn, dass sich aus der Gesamtheit der Umstände ergibt, dass der Arbeitsvertrag oder das Arbeitsverhältnis engere Verbindungen zu einem anderen Staat aufweist; in diesem Fall ist das Recht dieses anderen Staates anzuwenden".
Deutsches Arbeitsrecht wird durch ausländische Bestimmungen, die in Deutschland tätigen Unternehmen gewisse Pflichten auferlegen,
nicht eingeschränkt und auch
nicht ausgeschlossen.
Ausländische Bestimmungen können nur dann deutsches Gesetzesrecht werden, wenn sie durch eine wirksame völkerrechtliche Transformation ins nationale Recht übernommen werden. Ansonsten gilt im Arbeitsrecht das Territorialitätsprinzip: Das heißt, auf die Rechtsbeziehungen zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer ist grundsätzlich die nationale Rechtsordnung anzuwenden. Insoweit sind weder das NYSE Listed Company Manual noch eine darauf beruhende Vorgabe einer ausländischen Konzernmutter für einen deutschen Betrieb im Inland arbeitsrechtlich bindend. So gilt beispielsweise
unabhängig von der Staatsangehörigkeit des Arbeitgebers und der Arbeitnehmer und
unabhängig von der für die einzelnen Arbeitsverhältnisse maßgeblichen Rechtsordnung
für sämtliche inländischen Betriebe - auch ausländischer Unternehmer - das deutscheBetriebsverfassungsgesetz(LAG Düsseldorf, 14.11.2005 - 10 TaBV 46/05).
Eine nationale Bestimmung, die Unternehmen und Betrieben die Einführung von Ethikrichtlinien vorschreibt, ist § 33 Abs. 1 WpHG:
"Ein Wertpapierdienstleistungsunternehmen muss die organisatorischen Pflichten nach § 25a Abs. 1 und 4 des Kreditwesengesetzes einhalten. Darüber hinaus muss es 1. angemessene Grundsätze aufstellen, Mittel vorhalten und Verfahren einrichten, die darauf ausgerichtet sind, sicherzustellen, dass das Wertpapierdienstleistungsunternehmen selbst und seine Mitarbeiter den Verpflichtungen dieses Gesetzes nachkommen, wobei insbesondere eine dauerhafte und wirksame Compliance-Funktion einzurichten ist, die ihre Aufgaben unabhängig wahrnehmen kann".
Weitere Vorgaben enthalten die übrigen Nummern des § 33 Abs. 1 WpHG. Darüber hinaus gibt es besondere Bestimmungen für:
die bestmögliche Ausführung von Kundenaufträgen, § 33a WpHG;
Mitarbeiter und Mitarbeitergeschäfte, § 33b WpHG.
Der in § 33 Abs. 1 WpHG angesprochene § 25a KWG gibt Kreditinstituten besondere organisatorische Pflichten vor
§ 12 Abs. 1 AGG verpflichtet Arbeitgeber, in ihren Betrieben "die erforderlichen Maßnahmen zum Schutz vor Benachteiligungen wegen eines in § 1 genannten Grundes zu treffen". Dazu gehören auch vorbeugende Maßnahmen, § 12 Abs. 1 Satz 2 AGG.
Und § 12 Abs. 2 Satz 1 AGG sagt:
"Hat der Arbeitgeber seine Beschäftigten in geeigneter Weise zum Zwecke der Verhinderung von Benachteiligung geschult, gilt dies als Erfüllung seiner Pflichten nach Absatz 1".
Das heißt in der praktischen Anwendung: Der Arbeitgeber kann - zumindest einen Teil seiner Pflichten aus § 12 Abs. 1 AGG - auch durch die Einführung von Ethikrichtlinien - erfüllen. Er muss seine Mitarbeiter dann in der Anwendung und Beachtung dieser Richtlinien nur noch schulen.
6. Rechtsprechungs-ABC
An dieser Stelle werden einige der interessantesten Entscheidungen zum Thema Grundlagen von Ethikrichtlinien in alphabetischer Reihenfolge nach Stichwörtern geordnet hinterlegt:
6.1 Ausländische Rechtsvorschriften
§ 87 Abs. 1 Eingangssatz BetrVG schließt eine Mitbestimmung des Betriebsrats aus, wenn die mitbestimmungspflichtige Angelegenheit schon durch ein Gesetz geregelt ist. Ausländische Rechtsvorschriften sind keine gesetzlichen Bestimmungen im Sinn des § 87 Abs. 1 Eingangssatz BetrVG, wenn keine wirksame völkerrechtliche Transformation in das deutsche Arbeitsrecht vorgenommen wurde. Die Mitwirkungsrechte der Arbeitnehmervertretungen in Betrieben, die in Deutschland liegen, richten sich auch dann nach deutschem Recht, wenn der Arbeitgeber seinen Sitz im Ausland hat - was dem im internationalen Arbeitsrecht geltenden Territorialitätsprinzip entspricht (BAG, 22.07.2008 - 1 ABR 40/07).
6.2 Konzernunternehmen
§ 58 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 1 BetrVG regelt die Zuständigkeit des Konzernbetriebsrats für die Behandlung von Angelegenheiten, die den Konzern oder mehrere Konzernunternehmen betreffen und nicht durch die einzelnen Gesamtbetriebsräte innerhalb des Unternehmens geregelt werden können. Der bloße Wunsch des Arbeitgebers, eine bestimmte Angelegenheit konzerneinheitlich regeln zu wollen, genügt nicht, die Zuständigkeit des Konzernbetriebsrats zu begründen. Sie ist aber zu bejahen, wenn der Arbeitgeber mit einem Verhaltenskodex eine konzerneinheitliche Unternehmensphilosophie umsetzen, für ein einheitliches ethisch-moralisches Erscheinungsbild und eine konzernweite Identität sorgen will (BAG, 22.07.2008 - 1 ABR 40/07).
6.3 Tendenzbetrieb
Auf Unternehmen und Betriebe, die unmittelbar und überwiegend Zwecken der Berichterstattung oder Meinungsäußerung, auf die Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG Anwendung findet, dienen, finden die BetrVG-Vorschriften keine Anwendung, soweit die Eigenart des Unternehmens oder Betriebs dem entgegensteht (§ 118 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 BetrVG). Bei der Einführung von Regeln, die für Redakteure einer Wirtschaftszeitung den Besitz von Wertpapieren oder die Ausübung von Nebentätigkeiten mit dem Ziel einschränken, die Unabhängigkeit der Berichterstattung zu gewährleisten, schließt der Tendenzschutz des § 118 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 BetrVG eine Mitbestimmung des Betriebsrats aus.
Allein die Tatsache, dass ein Betrieb oder Unternehmen ein Tendenzbetrieb ist und die umstrittene Maßnahme Redakteure als typische Tendenzträger trifft, führt nicht zum Ausschluss des Mitbestimmungsrechts nach § 87 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG - es muss schon eine Verletzung der durch Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG geschützten Freiheit vorliegen (BAG, 28.05.2002 - 1 ABR 32/01).
6.4 Territorialitätsprinzip
Der räumliche Anwendungsbereich des BetrVG richtet sich nach dem Territorialitätsprinzip. Nach diesem Prinzip gilt - und das unabhängig von der Staatsangehörigkeit des Arbeitgebers und seiner Mitarbeiter sowie unabhängig von der für die einzelnen Arbeitsverhältnisse maßgeblichen Rechtsordnung - für sämtliche inländischen Betriebe, auch ausländischer Unternehmen, das deutsche BetrVG. Das heißt, auch wenn eine inländische Tochter einer ausländischen Muttergesellschaft gesellschaftsrechtlich verpflichtet ist, vom Mutterunternehmen vorgegebene Ethikrichtlinien in ihren Betrieb einzuführen: beachten muss sie dabei deutsches Betriebsverfassungsrecht (LAG Düsseldorf, 14.11.2005 - 10 TaBV 46/05).
Siehe auch