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Welche Fragen Arbeitgeber auch zum Thema Sozialversicherungsrecht bewegen: Die Rechtsdatenbank der AOK liefert die Antworten – einfach, fundiert und topaktuell.

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Arbeitsunfähigkeit - Freizeitverhalten
Arbeitsunfähigkeit - Freizeitverhalten
Inhaltsübersicht
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Information
1. Allgemeines
Ist der Arbeitnehmer wegen Krankheit arbeitsunfähig, zahlt der Betrieb die Vergütung für bis zu sechs Wochen weiter (§ 3 EFZG). Der Arbeitnehmer ist im Gegenzug verpflichtet, seinen Ausfall möglichst kurz zu halten und alles zu unterlassen, was den Heilungsprozess verzögert. Im Übrigen ist er in seiner Lebensführung und Freizeitgestaltung nicht eingeschränkt.
2. Verhalten des Arbeitnehmers
Mit der Mitteilung über die Arbeitsunfähigkeit bzw. der Vorlage einer Bescheinigung (§ 5 Abs. 1 EFZG) ist die Arbeitspflicht des Mitarbeiters aufgehoben. Nach wie vor gelten aber die arbeitsvertraglichen Nebenpflichten. Sie leiten sich aus dem in § 242 BGB enthaltenen Grundsatz ab, dass jeder bei Erfüllung seiner Rechtspflichten nach Treu und Glauben zu handeln hat. Außerdem werden sie auch mit § 241 Abs. 2 BGB begründet, wonach ein Vertragspartner Rücksicht auf die Rechte, Rechtsgüter und Interessen des anderen Partners nehmen muss. Daraus ergibt sich für den Arbeitnehmer nach h.M. eine Schadensabwendungspflicht:
Er muss somit im Rahmen des Zumutbaren wirtschaftliche Nachteile für den Betrieb abwenden. Dazu gehört auch, den Arbeitsausfall und die Entgeltfortzahlung möglichst gering zu halten. Deshalb kann ein pflichtwidriges Verhalten vorliegen, wenn ein Arbeitnehmer bei bescheinigter Arbeitsunfähigkeit den Heilungserfolg durch gesundheitswidriges Verhalten gefährdet. Damit verstößt er nicht nur gegen seine Leistungspflicht, sondern zerstört insbesondere auch das Vertrauen des Arbeitgebers in seine Redlichkeit. Ein grob genesungswidriges Verhalten kann eine außerordentliche Kündigung i.S.d. § 626 Abs. 1 BGB auf der ersten Prüfungsstufe an sich rechtfertigen (BAG, 02.02.2006 - 2 AZR 53/05). Denn ein arbeitsunfähig erkrankter Arbeitnehmer ist angehalten, alles zu unternehmen, um zu gesunden, und alles zu unterlassen, was diesem Prozess entgegenwirken könnte (LAG Hamm, 13.03.2015 - 1 Sa 1534/14; LAG Rheinland-Pfalz, 09.02.2022 – 8 Sa 194/20). Die Beweislast für ein genesungswidriges Verhalten trägt der kündigende Arbeitgeber. Ein genesungswidriges Verhalten liegt nicht nur vor, wenn der Arbeitnehmer während der Krankheit nebenher bei einem anderen Arbeitgeber arbeitet, sondern kann auch gegeben sein, wenn er Freizeitaktivitäten nachgeht, die mit der Arbeitsunfähigkeit nur schwer in Einklang zu bringen sind (BAG, 02.03.2006 - 2 AZR 53/05). Eine besonders gravierende Verletzung dieser Pflichten liegt vor, wenn der Mitarbeiter die Arbeitsunfähigkeit nur vortäuscht. Außerdem darf der Mitarbeiter durch sein Verhalten während der Arbeitsunfähigkeit die Außen- und Innendarstellung und den Ruf des Unternehmens nicht negativ beeinträchtigen (BAG, 02.03.2006 a.a.O).
Aus der Pflicht zur Schadensabwendung ergibt sich, dass der Mitarbeiter seine Arbeit auch während der bescheinigten Arbeitsunfähigkeit wieder aufnimmt, wenn er wider Erwarten früher gesund ist.
Darüber hinaus ist der Mitarbeiter während eines krankheitsbedingten Ausfalls grundsätzlich nicht in seiner Lebensführung eingeschränkt. z.B. kann er seine Einkäufe tätigen, spazieren gehen, Sport treiben und auch Lokale besuchen. Allerdings darf sein Verhalten die Genesung nicht verzögern. Er muss alles unterlassen, was einer baldigen Wiederherstellung der Gesundheit zuwiderläuft (BAG, 11.11.1965 – 2 AZR 69/65). Ein genesungswidriges Verhalten kann ein Grund für eine außerordentliche Kündigung sein (LAG Rheinland-Pfalz, 11.07.2013 – 10 Sa 100/13) – siehe hierzu auch Abschnitt 4.4.
Beispiele:
Das Tragen schwerer Einkaufstüten und das Heben von Getränkekisten können bei einem Bandscheibenvorfall bedenklich sein. Dagegen können Sport und Saunabesuche im gesundheitlich angepassten Rahmen durchaus die Genesung fördern. Ebenso ist der Besuch eines Lokals mit eingegipstem Arm vertretbar.
Durch die Presse ging der Fall eines jungen Mannes, der wegen Rückenbeschwerden krankgeschrieben war. Er heiratete in dieser Zeit, hob seine schwangere Braut hoch. Das Foto postete er auf Facebook. Sein Arbeitgeber entdeckte das Bild und kündigte fristlos. In dem folgenden Prozess kam es nicht zum Urteil, weil sich die Parteien außergerichtlich auf eine ordentliche Kündigung einigten. Es spricht aber viel dafür, dass das Verhalten des Mitarbeiters genesungswidrig war.
Ein genesungswidriges Verhalten liegt nicht vor, wenn eine wegen einer Reaktion auf eine schwere psychische Belastung arbeitsunfähige Arbeitnehmerin sich eine Woche auf einer Nordseeinsel aufhält (LAG Hamm, 13.03.2015 – 1 Sa 1534/14). Bei psychischen Erkrankungen, wie auch einem Burnout, können Spaziergänge, Kontakt mit der Familie oder Freunden sowie Sport durchaus die Genesung fördern.
Unter Berücksichtigung dieser Aspekte kann auch die Weiterarbeit in einem (erlaubten) Nebenjob zulässig sein, wenn sie den Heilungsprozess nicht beeinträchtigt.
Arbeitnehmer dürfen auch während einer Arbeitsunfähigkeit an Bewerbungsgesprächen teilnehmen, soweit dies den Heilungsprozess nicht verzögert (LAG Mecklenburg-Vorpommern, 05.03.2013 – 5 Sa 106/12).
Ebenso kann ein arbeitsunfähiger Arbeitnehmer an Abendkursen einer Verwaltungsakademie teilnehmen, wenn dadurch die Genesung nicht gefährdet wird (ArbG Berlin, 15.04.2016 – 28 Ca 1714/16).
Nimmt ein wegen einer psychischen Erkrankung arbeitsunfähiger Mitarbeiter an Spielen des lokalen Fußballvereins teil, liegt darin weder eine Vortäuschung der Arbeitsunfähigkeit noch ein genesungswidriges Verhalten (LAG Rheinland-Pfalz, 11.11.2015 – 7 Sa 672/14).
Unschädlich für den Anspruch auf Entgeltfortzahlung ist es, wenn der Mitarbeiter während der Arbeitsunfähigkeit einem Bekannten hilft, Pizzakartons ins Auto zu laden. Der Beweiswert der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung wird dadurch nicht erschüttert (LAG Köln, 10.12.2020 – 8 Sa 491/20).
Ist unklar, ob ein bestimmtes Verhalten die Genesung beeinträchtigt, kann der Arbeitgeber zur Abklärung dieser Frage eine ärztliche Untersuchung verlangen. Verweigert der Arbeitnehmer eine notwendige Untersuchung, kann dies ein Grund für eine außerordentliche Kündigung sein (vgl. hierzu BAG, 06.11.1997 – 2 AZR 801/96).
3. Klärung von Zweifeln
3.1 Allgemeines
Der Arbeitnehmer hat mit der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung des Arztes bewiesen, dass er krank ist und nicht arbeiten kann. Diese Bescheinigung muss bei ernsthaften Zweifeln an der Richtigkeit ggf. durch entsprechende Beweismittel erschüttert werden. Die vom Arbeitgeber vorgetragenen Tatsachen müssen Anlass zu ernsthaften Zweifeln an der bescheinigten Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung geben (LAG Nürnberg, 27.07.2021 – 7 Sa 359/20). Dabei können sich Zweifel ergeben aufgrund der Bescheinigung selbst, aber auch durch das Verhalten des Arbeitnehmers. Denn die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung kann durch das eigene Verhalten widerlegt werden: Nimmt ein Polizist im Beamtenverhältnis auf Probe, der wegen einer Fußverletzung krankgeschrieben ist, an einem 16 km langen Hindernislauf teil, begründet dies Zweifel an der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung und außerdem auch an der charakterlichen Eignung für den Polizeidienst (VG Cottbus, 23.06.2017 – 5 L 110/17).
Das bloße Äußern von Zweifeln ist aber nicht ausreichend, um den Beweiswert der Bescheinigung zu erschüttern (vgl. LAG Rheinland-Pfalz, 06.07.2004 - 5 TaBV 10/04). Ebenso reichen bloße subjektiv gefärbte Vermutungen dafür nicht aus (LAG Niedersachsen, 04.05.2021 – 11 Sa 1180/20). Vielmehr muss der Betrieb seine Sicht der Dinge im Einzelnen erläutern und auch beweisen können. Dabei werden nicht selten auch Detektivbüros eingeschaltet, die durch Personenbeobachtung das Verhalten des Arbeitnehmers klären sollen (siehe auch LAG Rheinland-Pfalz, 11.07.2013 – 10 Sa 100/13).
Praxistipp:
Bei Einschaltung eines Detektivbüros entsteht ein Kostenrisiko. Der Mitarbeiter muss die entstandenen Aufwendungen nur erstatten, wenn der Beitrieb den Detektiv anlässlich eines konkreten Tatverdachts mit der Überwachung des Arbeitnehmers beauftragt hat und dieser dann einer vorsätzlichen Vertragsverletzung (wie z.B. Vortäuschung einer Arbeitsunfähigkeit) überführt wird (BAG, 28.10.2010 - 8 AZR 547/09). Außerdem muss die Überwachung notwendig sein, um den Sachverhalt aufzuklären. Einzelheiten siehe Detektiveinsatz – Allgemeines und Detektiveinsatz - Kostenerstattung.
Deckt sich der Zeitraum der Arbeitsunfähigkeit mit dem Zeitraum eines beantragten, aber nicht genehmigten Urlaubs, genügt allein dies nicht, um den Beweiswert der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung zu erschüttern (LAG Hamm, 11.06.2008 - 18 Sa 2146/07). Ebenso ist eine Urlaubsreise während einer Arbeitsunfähigkeit an sich noch nicht geeignet, den Beweiswert der Arbeitsunfähigkeit zu erschüttern (LAG Hamm, 13.03.2015 – 1 Sa 1534/14). Der Arbeitnehmer ist daher nicht gehindert, eine geplante Urlaubsreise auch bei Arbeitsunfähigkeit anzutreten. Voraussetzung ist aber, dass die Genesung dadurch nicht gefährdet wird. Ggf. muss der Mitarbeiter diese Frage mit seinem behandelnden Arzt abklären. Denn ein pflichtwidriges Verhalten kann vorliegen, wenn ein Arbeitnehmer bei bescheinigter Arbeitsunfähigkeit den Heilungserfolg infolge der Urlaubsreise durch gesundheitswidriges Verhalten gefährdet (BAG, 02.03.2006 - 2 AZR 53/05).
Auslöser für Zweifel können u.a. die Erteilung einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung ohne Untersuchung nur nach telefonischer Rücksprache oder auch die gemeinsame Krankschreibung mehrerer Arbeitnehmer für die Dauer eines vom Arbeitgeber widerrufenen Betriebsurlaubes sein (LAG Nürnberg, 27.07.2021 – 7 Sa 359/20). Keine ernsthaften Zweifel an der Richtigkeit einer bescheinigten Arbeitsunfähigkeit ergeben sich durch die Aussage eines Arbeitnehmers gegenüber dem Arbeitgeber, er könne aus gesundheitlichen Gründen im Dienstplan vorgesehene Nachtdienste nicht leisten (LAG Berlin-Brandenburg, 29.04.2021 – 5 Sa 932/20).
Kündigt der Arbeitnehmer sein Arbeitsverhältnis und wird am Tag der Kündigung passgenau bis zum Ende der Kündigungsfrist krankgeschrieben, kann dies den Beweiswert der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung erschüttern. In diesem Fall ist der Arbeitnehmer verpflichtet, substantiiert dazulegen und zu beweisen, dass er tatsächlich arbeitsunfähig war. Als Beweismittel eignet sich, den behandelnden Arzt von der Schweigepflicht zu entbinden und ihn als Zeugen zu benennen (BAG, 08.09.2021 – 5 AZR 149/21).
Argumente für Zweifel an der Arbeitsunfähigkeit können z.B. sein:
Bescheinigung der Arbeitsunfähigkeit durch den Arzt ohne ausreichende Untersuchung;
Rückdatierung der Bescheinigung;
Missachtung einer Vorladung beim Medizinischen Dienst;
Krankheit nach abgelehntem Urlaubsantrag;
Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen werden von ständig wechselnden Ärzten ausgestellt;
Arbeitsunfähigkeit wurde angekündigt;
im Nebenjob wird weitergearbeitet
Genesungswidriges Freizeitverhalten.
Gelingt es dem Betrieb die Beweiskraft der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung erschüttern, muss der Arbeitnehmer seinerseits darlegen, weshalb er trotz der gemachten Beobachtungen nicht arbeiten konnte (vgl. auch LAG Rheinland-Pfalz, 09.02.2022 – 8 Sa 194/20).
Praxistipp:
Zur Abklärung bietet § 275 Abs. 1 und 1a SGB V die Möglichkeit, über die Krankenkasse eine gutachterliche Stellungnahme des Medizinischen Dienstes einzuholen. Es ist sinnvoll, in diesem Fall die Zweifel an der Arbeitsunfähigkeit schriftlich darzulegen und eine schriftliche Antwort der Krankenkasse zu erbitten. Diese darf allerdings aus Gründen des Datenschutzes lediglich das Bestehen oder Nichtbestehen der Arbeitsunfähigkeit bestätigen. Das Verfahren ist kostenlos und führt oft zumindest zu einer Abkürzung des Ausfalls. Es ist aber nicht Voraussetzung für eine Verweigerung der Entgeltfortzahlung (LAG Hamm, 09.04.2008 – 18 Sa 1938/07).
Allerdings darf nur die Krankenkasse eine Stellungnahme des Medizinischen Dienstes anfordern (§ 275 SGB V). Die Anweisung des Arbeitgebers an eine Arbeitnehmerin "sich unverzüglich zwecks Untersuchung an den Medizinischen Dienst zu wenden" und ihm eine Stellungnahme zum Untersuchungsergebnis vorzulegen geht daher ins Leere. Die Weigerung der Mitarbeiterin, dem Folge zu leisten, ist nicht als wichtiger Grund für eine außerordentliche Kündigung geeignet (LAG Köln, 21.06.2018 – 7 Sa 768/17).
Ein Gutachten des Medizinischen Dienstes ist geeignet, den Beweiswert einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung zu erschüttern. Im Falle eines Rechtsstreits kann der Arbeitgeber beantragen, dass das Gericht das MD-Gutachten hinzuzieht (LAG Rheinland-Pfalz, 20.03.2019 – 7 Sa 174/18).
Hinweis:
Der Gemeinsame Bundesausschuss hat am 16.07.2020 eine Änderung der Arbeitsunfähigkeits-Richtlinie beschlossen. Danach kann die Arbeitsunfähigkeit auch im Rahmen einer Videosprechstunde festgestellt werden. Voraussetzung ist, dass der Patient dem behandelnden Arzt bekannt ist und die Art der Erkrankung dies nicht ausschließt. Außerdem muss eine sichere Beurteilung der Arbeitsunfähigkeit auf diesem Weg möglich sein. Die erstmalige Feststellung der Arbeitsunfähigkeit ist in diesem Rahmen auf maximal sieben Tage begrenzt. Eine Folgebescheinigung darf im Rahmen der Videosprechstunde nur erfolgen, wenn die vorherige Krankschreibung aufgrund eines persönlichen Kontaktes mit dem Arzt erfolgte. Ob der Arzt die Arbeitsunfähigkeit auf diesem Weg feststellt, liegt in seinem Ermessen. Der Versicherte hat keinen Anspruch darauf.
Durch einen Beschluss des Gemeinsamen Bundesausschusses vom 19.11.2021 wurde festgelegt, dass der Vertragsarzt im Rahmen der ausschließlichen Fernbehandlung Arbeitsunfähigkeit für bis zu drei Kalendertage auch für Patienten, die in der Arztpraxis nicht bekannt sind, feststellen kann. Voraussetzung ist, dass dem die Erkrankung nicht entgegensteht. Es soll keine Verlängerungsbescheinigung ausgestellt werden (vgl. auch § 92 Abs. 4a SGB V i.d.F. durch das Digitale-Versorgung-und-Pflege-Modernisierungsgesetz vom 03.06.2021, BGBl. I Nr. 28 S. 1309). Der Beschluss vom 19.11.2021 trat nach Prüfung und Veröffentlichung durch das Bundesgesundheitsministerium am 19.01.2022 in Kraft.
Im Hinblick auf die Corona-Pandemie hat der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA), dem Ärzte, Krankenkassen und Kliniken angehören, beschlossen, dass befristet eine telefonische Krankschreibung erfolgen kann: Patienten, die an leichten Atemwegserkrankungen leiden, können auf diesem Wege bis zu 7 Kalendertage krankgeschrieben werden. Die niedergelassenen Ärzte müssen sich dabei persönlich vom Zustand des Patienten durch eine eingehende telefonische Befragung überzeugen. Eine einmalige Verlängerung der Krankschreibung kann telefonisch für weitere 7 Kalendertage erfolgen. Die Regelung gilt aktuell bis zum 31.03.2023.
Die so ausgestellte Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung hat den gleichen Beweiswert wie eine Krankschreibung nach persönlichem Arzt/Patientenkontakt (siehe aber LAG Nürnberg, 27.07.2021 – 7 Sa 359/20). Es ist für den Arbeitgeber ohnehin nicht erkennbar, ob der Arbeitnehmer untersucht wurde oder die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung auf Grundlage eines telefonischen Kontakts bzw. per Videosprechstunde zustande kam. Dagegen ist eine aufgrund eines reinen Online-Kontaktes über das Internetportal "www.au-schein.de" ohne persönlichen oder telefonischen Kontakt zu einem Arzt ausgestellte Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung kein Nachweis für die Entgeltfortzahlung (ArbG Berlin, 01.04.2021 – 42 Ca 16289/20).
3.2 Datenschutz
Im Zusammenhang mit Zweifeln an der Arbeitsunfähigkeit oder dem Verdacht eines genesungswidrigen Verhaltens stellt sich auch die Frage, ob Erhebungen zur Aufklärung datenschutzrechtlich zulässig sind. Insbesondere die Privatsphäre des Mitarbeiters unterliegt dem geschützten allgemeinen Persönlichkeitsrecht, das sich aus der Verfassung (Art. 2 Abs. 1 GG und Art. 1 Abs. 1 GG) ableitet.
Der Datenschutz und auch der Beschäftigten-Datenschutz wurden durch die DSGVO der EU und die Neufassung des BDSG mit Wirkung vom 25.05.2018 in vielen Punkten verändert. Der Beschäftigten-Datenschutz ergibt sich aufgrund der Öffnungsklausel des Art. 88 DSGVO aus § 26 BDSG. Aber auch bei Anwendung dieser Vorschrift sind die generellen Vorgaben des BDSG zu beachten.
Die Verarbeitung (dazu gehören z.B. das Erheben, Erfassen, Organisieren, Speichern, Löschen und Vernichten) der Daten von Beschäftigten ist zulässig
soweit die Informationen im Zusammenhang mit der Begründung (Bewerbungsverfahren) oder
der Durchführung und der Beendigung des Beschäftigungsverhältnisses erforderlich sind;
in Bezug auf die gesetzlichen oder vertraglichen Aufgaben der Interessenvertretung der Beschäftigten im Betrieb;
bei Einwilligung des Mitarbeiters;
zur Aufdeckung von Straftaten.
Insbesondere die Verarbeitung von Informationen, die über die notwendigen Daten für das Personalwesen hinausgehen, erfordert die Einwilligung des Mitarbeiters (§ 26 Abs. 2 BDSG).
Art. 5 Abs. 1 Buchst. a 1 und Art. 6 Abs. 1 DSGVO (die den Grundsatz der Rechtsmäßigkeit der Verarbeitung regeln), sind Schutzgesetze i.S.v. § 823 Abs. 2 BGB. Die Datenverarbeitung ist nur erforderlich, wenn kein milderes, gleich effektives Mittel zur Verfügung steht, um die Interessen des Verantwortlichen zu erreichen. Im Rahmen der Abwägung nach Art. 6 Abs. 1 Buchst. f DSGVO ist neben der berechtigten Erwartungshaltung der betroffenen Person maßgeblich zu berücksichtigen, ob der Verantwortliche seinen Informationspflichten nach der DSGVO gegenüber der betroffenen Person nachgekommen ist und dieser die Möglichkeit gegeben hat, ihre nach der DSGVO bestehenden Rechte wahrzunehmen. Die Regelung des Art. 6 Abs. 1 Buchst. f DSGVO hat auch in dem Anwendungsbereich des § 26 BDSG Gültigkeit (LAG Hamm, 14.12.2021 - 17 Sa 1185/20). Ein Schadenersatzanspruch besteht bei materiellen und immateriellen Schäden auch aufgrund des Art. 82 DSGVO, wenn ein Verstoß gegen die DSGVO vorliegt. Zur Schätzung eines immateriellen Schadens siehe BAG, 05.05.2022 – 2 AZR 363/21).
Die Klärung von Zweifeln hinsichtlich der Arbeitsunfähigkeit dient in der Regel nicht der Aufdeckung einer Straftat, sondern der Feststellung, ob der Mitarbeiter seine arbeitsrechtlichen Pflichten verletzt hat. Die Erforderlichkeit der Erhebung personenbezogener Daten, mit denen ein Fehlverhalten unterhalb der Schwelle zur Straftat belegt werden soll, können daher nur im Rahmen der Durchführung des Beschäftigungsverhältnisses begründet sein. Da der Anspruch auf Entgeltfortzahlung i.S.v. § 3 Abs. 1 EFZG und außerdem auch die Verletzung arbeitsrechtlicher Nebenpflichten geklärt werden sollen, kann die Erforderlichkeit bejaht werden. Soweit der Mitarbeiter sich die Entgeltfortzahlung erschlichen hat, kann aber auch eine Straftat (Betrug) vorliegen.
So kann eine (verdeckte) Überwachungsmaßnahme durch den Einsatz eines Detektivs zur Aufklärung eines auf Tatsachen gegründeten konkreten Verdachts einer schwerwiegenden Pflichtverletzung des Arbeitnehmers nach § 26 Abs. 1 S. 1 BDSG zulässig sein, selbst wenn es nicht um die Aufdeckung einer im Beschäftigungsverhältnis begangenen Straftat i.S.d. § 26 Abs. 1 S. 2 BDSG geht (BSG, 29.06.2017 – 2 AZR 597/16). Das BAG-Urteil, das die Verwertbarkeit der gefertigten Video-Aufnahmen bejaht hat, bezieht sich auf die gleich lautende Vorschrift des § 32 BDSG in der bis 24.05.2018 geltenden Fassung. Damit sind Maßnahmen zur Klärung von begründeten Zweifeln des Bestehens einer Arbeitsunfähigkeit oder beim Verdacht auf genesungswidriges Verhalten grundsätzlich zulässig, da sie zur Durchführung des Beschäftigungsverhältnisses erforderlich sind. Der damit verbundene Eingriff unterliegt aber dem Verhältnismäßigkeitsprinzip: Es dürfen keine milderen Mittel zur Klärung der Zweifel zur Verfügung stehen und der Eingriff in das Persönlichkeitsrecht muss verhältnismäßig sein. Der Eingriff in das Persönlichkeitsrecht muss auch angemessen sein; z.B. können eine Dauerüberwachung oder das Betreten des Privatgrundstücks des Mitarbeiters diese Schwelle überschreiten.
Praxistipp:
Sofern begründete Zweifel an der Arbeitsunfähigkeit oder ein Verdacht auf eine Pflichtverletzung besteht, sollte dies dokumentiert werden. Damit lässt sich die eingeleitete Maßnahme ggf. begründen.
4. Sanktionsmöglichkeiten
4.1 Allgemeines
Hat der Arbeitnehmer z.B. durch genesungswidriges Verhalten gegen seine Rücksichtspflichten verstoßen, kann der Betrieb entscheiden, wie er darauf reagiert. Maßgebende Faktoren dafür können z.B. die Schwere des Verstoßes, die Betriebszugehörigkeit und das bisherige Verhalten des Arbeitnehmers sein. Wichtig ist es im Hinblick auf die längerfristige Zusammenarbeit, dass der Mitarbeiter zu dem Sachverhalt angehört wird. Die mildeste Form der Ahndung ist die (nicht förmliche) Ermahnung. Dabei bringt der Vorgesetzte nach der Anhörung die Missbilligung zum Ausdruck, verbunden mit der Erwartung, dass sich dies nicht wiederholt. Die Ermahnung hat keine Konsequenzen, sie kann auch nicht (rückwirkend) in eine Abmahnung umgewandelt werden.
4.2 Vorlage der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung
Dauert die Arbeitsunfähigkeit länger als drei Kalendertage, hat der Arbeitnehmer eine ärztliche Bescheinigung über das Bestehen der Arbeitsunfähigkeit sowie deren voraussichtliche Dauer spätestens am darauf folgenden Arbeitstag vorzulegen (§ 5 Abs. 1 EFZG). Einzelheiten vgl. Arbeitsunfähigkeit - Nachweispflicht. Der Arbeitgeber ist berechtigt, die Vorlage der ärztlichen Bescheinigung früher zu verlangen. Allerdings muss zuvor geprüft werden, ob dem tarif- oder arbeitsvertragliche Regelungen bzw. Betriebsvereinbarungen entgegenstehen (die aber das Recht aus § 5 Abs. 1 S. 3 EFZG ausdrücklich ausschließen müssten). Ist dies nicht der Fall, kann eine frühere Vorlage des ärztlichen Attestes verlangt werden (BAG, 14.11.2012 – 5 AZR 886/11). Die Ausübung dieses Rechts steht im Ermessen des Arbeitgebers, welches nicht an besondere Voraussetzungen gebunden ist. Die Aufforderung bedarf nach dem eindeutigen Wortlaut des § 5 Abs. 1 S. 3 EFZG und der Gesetzessystematik weder einer Begründung noch eines Sachverhalts, der Anlass für ein rechtsmissbräuchliches Verhalten des Arbeitnehmers gibt. (BAG, 14.11.2012 – a.a.O.; LAG Rheinland-Pfalz, 23.12.2021 – 5 Sa 231/21). Es sind lediglich die allgemeinen gesetzlichen Schranken der Willkür und des Diskriminierungsverbotes zu beachten. Ebenso darf das Verlangen des Arbeitgebers nicht gegen den allgemeinen Gleichbehandlungsgrundsatz verstoßen (BAG, 14.11.2012 - 5 AZR 886/11 u. LAG Berlin-Brandenburg, 03.12.2021 - 12 TaBV 74/21). Bei Missbrauchsverdacht und häufigen Kurzerkrankungen bietet dies die Möglichkeit der engeren Überwachung. Ein Mitbestimmungsrecht des Betriebsrates besteht nicht, wenn eine solche Anordnung ohne kollektiven Bezug nur im Einzelfall erfolgt und daher nur einen kleinen Teil der Belegschaft betrifft (LAG Berlin-Brandenburg, 03.12.2021 – a.a.O.). Dies gilt auch, wenn für die Anordnung Textbausteine oder Vorlagen verwendet werden.
Hinweis:
Ab 01.01.2023 entfällt die Pflicht der Arbeitnehmer, die gesetzlich krankenversichert sind, zur Vorlage der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung beim Arbeitgeber. Die erforderlichen Daten erhält der Betrieb dann auf elektronischem Weg von der zuständigen Krankenkasse aus dem systemgeprüften Entgeltabrechnungsprogramm bzw. einer elektronisch gestützten, systemgeprüften Ausfüllhilfe. Der Arbeitnehmer erhält beim Arzt aber auf Wunsch nach wie vor eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung in Papierform. Siehe hierzu auch die Grundsätze des GKV-Spitzenverbandes Bund für die Meldung der Arbeitsunfähigkeitszeiten im Rahmen des Datenaustausches, Stand: 16.05.2022.
Auch für geringfügig Beschäftigte gilt dieses Verfahren. Sie müssen daher den Arbeitgeber informieren, bei welcher Krankenkasse sie versichert sind. Die Abfrage ist nicht an die Mini-Job-Zentrale zu richten, sondern an die Krankenkasse, bei der sie (familien)versichert sind.
Für Privatversicherte gilt das neue Verfahren nicht; sie müssen nach wie vor Ihre Arbeitsunfähigkeit gegenüber dem Arbeitgeber nachweisen.
In Bezug auf die Verpflichtung von Krankengeldbeziehern, der Krankenkasse eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung vorzulegen, hat das SG Dresden klargestellt, dass die Verzögerung bei dem elektronischen Verfahren nicht zu Lasten der Versicherten gehen darf (SG Dresden, 19.01.2022 – S 45 KR 575/21 – Berufung möglich und Sprungrevision zum BSG zugelassen).
4.3 Abmahnung
Je nach Sachverhalt wird der Betrieb bei Verstoß gegen die Verhaltenspflichten mit einer Abmahnung reagieren. Sie beinhaltet u.a. die Androhung einer Konsequenz - in der Regel die verhaltensbedingte Kündigung - für den Fall erneuten Fehlverhaltens. Die Abmahnung ist mündlich möglich und rechtsgültig, aus Beweisgründen sollte sie aber schriftlich erfolgen (vgl. Mustertext Abmahnung). Sie ist nicht mitbestimmungspflichtig. Damit die Abmahnung ihre Funktion erfüllen kann, muss sie zeitnah auf das festgestellte Fehlverhalten erfolgen.
4.4 Kündigung
Im Wiederholungsfall kann eine ordentliche, verhaltensbedingte Kündigung in Betracht kommen. Nach der Rechtsprechung muss ihr in der Regel mindestens eine Abmahnung vorausgehen (vgl. hierzu auch LAG Berlin-Brandenburg, 15.03.2013 – 10 Sa 2427/12). Dies gilt nicht, wenn für den Arbeitnehmer das KSchG nicht anwendbar ist (vgl. § 23 Abs. 1 KSchG).
Praxistipp:
Bei anschließend korrektem Verhalten verliert eine Abmahnung nach ca. zwei Jahren ihre Wirksamkeit und kann dann nicht mehr im Rahmen der verhaltensbedingten Kündigung herangezogen werden.
Bei schweren Pflichtverletzungen ist eine Abmahnung vor der außerordentlichen Kündigung nur erforderlich, wenn der Arbeitnehmer mit vertretbaren Gründen annehmen konnte, sein Verhalten sei nicht vertragswidrig oder werde vom Arbeitgeber zumindest nicht als erhebliches, den Bestand des Arbeitsverhältnisses gefährdendes Verhalten angesehen. Daher kann in besonders gravierenden Fällen auch eine außerordentliche Kündigung ohne Abmahnung erfolgen (zum Sachverhalt siehe BAG, 02.03.2006 - 2 AZR 53/05). Es müssen neben einem wichtigen Grund Tatsachen vorliegen, aufgrund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist nicht zugemutet werden kann. Gem. § 314 Abs. 2 BGB ist eine außerordentliche Kündigung erst nach erfolglosem Ablauf einer zur Abhilfe bestimmten Frist oder nach einer erfolglosen Abmahnung zulässig (LAG Köln, 27.05.2021 - 6 Sa 20/21.
Eine außerordentliche Kündigung aus wichtigem Grund kann insbesondere gerechtfertigt sein, wenn eine schwerwiegende Verletzung der arbeitsrechtlichen Rücksichtnahmepflicht vorliegt. Ein grob genesungswidriges Verhalten kann eine außerordentliche Kündigung i.S.d. § 626 Abs. 1 BGB auf der ersten Prüfungsstufe an sich rechtfertigen (BAG, 02.02.2006 - 2 AZR 53/05). Ein pflichtwidriges Verhalten i.d.S. kann vorliegen, wenn ein Arbeitnehmer bei bescheinigter Arbeitsunfähigkeit den Heilungserfolg durch gesundheitswidriges Verhalten gefährdet. Dies ist z.B. der Fall, wenn infolge einer während der Arbeitsunfähigkeit weiter ausgeübten Nebentätigkeit eine Verzögerung der Genesung eingetreten ist (BAG, 26.08.1993 – 2 AZR 154/93). Denn ein arbeitsunfähig erkrankter Arbeitnehmer ist angehalten, alles zu unternehmen, um zu gesunden, und alles zu unterlassen, was diesem Prozess entgegenwirken könnte (LAG Hamm, 13.03.2015 - 1 Sa 1534/14 u. LAG Rheinland-Pfalz, 09.02.2022 – 8 Sa 194/20). Außerdem kann eine schwerwiegende Pflichtverletzung bei vorgetäuschter Arbeitsunfähigkeit bestehen (LAG Berlin, 03.08.1998 - 9 TaBV 4/98 u. LAG Nürnberg, 27.07.2021 – 7 Sa 359/20). Mit solchen Verhaltensweisen verstößt der Mitarbeiter nicht nur gegen seine Leistungspflicht, sondern zerstört insbesondere auch das Vertrauen des Arbeitgebers in seine Redlichkeit. (LAG Rheinland-Pfalz, 11.07.2013 – 10 Sa 100/13). Darüber hinaus hat der Arbeitnehmer in der Regel auch einen vollendeten Betrug begangen, da er den Arbeitgeber unter Vorlage einer falschen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung veranlasst hat, ihm unberechtigt Entgeltfortzahlung zu leisten (LAG Nürnberg, 27.07.2021 – a.a.O.). Für die Vertragsverletzung ist bei einer außerordentlichen Kündigung der Arbeitgeber darlegungs- und beweispflichtig (LAG Köln, 08.06.2021 – 6 Sa 723/20). Eine außerordentliche Kündigung, die auf die tariflichen Regelungen zur ordentlichen Kündigung Bezug nimmt, ist mit Blick auf das vom Kündigenden gemeinte Beendigungsdatum unbestimmt und daher insgesamt unwirksam (LAG Köln, 27.05.2021 - 6 Sa 20/21). Im Rahmen der außerordentlichen Kündigung muss eine Interessenabwägung stattfinden. Das Beendigungsinteresse des Arbeitgebers muss mit dem Bestandsinteresse des Arbeitnehmers verglichen und abgewogen werden. Außerdem ist zu prüfen, ob entsprechend dem "Ultima-Ratio-Prinzip" mildere Mittel zu Beseitigung der Vertragsstörung zur Verfügung stehen.
Eine bloße, durch zeitliche Abläufe hervorgerufene Vermutung der Vertragsverletzung durch den Arbeitnehmer ist nicht ausreichend (hier: Krankmeldung nach einem Streit zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer, LAG Rheinland-Pfalz, 08.09.2009 - 1 Sa 230/09). Erklärt der Arbeitnehmer gegenüber Dritten, er könne eine (körperlich schwere) Schwarzarbeit ausführen, ist damit nach Auffassung des LAG Hessen (01.04.2009 - 6 Sa 1593/08) erwiesen, dass die Arbeitsunfähigkeit nur vorgetäuscht wurde und eine außerordentliche Kündigung gerechtfertigt. Dies gilt auch, wenn der sechswöchige Entgeltfortzahlungszeitraum bereits abgelaufen ist.
Die Anweisung des Arbeitgebers an eine Arbeitnehmerin "sich unverzüglich zwecks Untersuchung an den Medizinischen Dienst zu wenden" und ihm eine Stellungnahme zum Untersuchungsergebnis vorzulegen geht ins Leere. Denn nur die Krankenkasse kann eine Stellungnahme des Medizinischen Dienstes anfordern. Die Weigerung der Mitarbeiterin, der Aufforderung des Arbeitgebers Folge zu leisten, ist nicht als wichtiger Grund für eine außerordentliche Kündigung geeignet (LAG Köln, 21.06.2018 – 7 Sa 768/17). Dies gilt auch, wenn nach Einschätzung des Arbeitgebers die Mitarbeiterin auch einer Aufforderung der Krankenkasse nicht nachgekommen wäre.
Arbeitnehmer dürfen eine Krankheit nicht als Druckmittel einsetzen, um ein gewünschtes Verhalten des Betriebes zu erreichen; grundsätzlich ist ein solches Verhalten ein Grund für eine außerordentliche Kündigung. Insbesondere wenn der Arbeitnehmer einer Weisung des Arbeitgebers mit der Drohung entgegentritt, sich krankschreiben zu lassen, so rechtfertigt das im Grundsatz eine außerordentliche fristlose Kündigung. Unerheblich ist hierbei, ob der Arbeitnehmer später tatsächlich erkrankt oder ob die Weisung rechtswidrig war, denn die kündigungsrelevante Nebenpflichtverletzung besteht in der Art und Weise des Vorgehens des Arbeitnehmers (LAG Rheinland-Pfalz, 21.07.2020 - 8 Sa 430/19). Zu berücksichtigen sind aber die Gesamtumstände im Einzelfall (LAG Mecklenburg-Vorpommern, 04.05.2021 – 5 Sa 319/20). Dies scheidet aber aus, wenn der Arbeitnehmer objektiv an einer nach wie vor bestehenden Grunderkrankung leidet und befürchtet, dass sich ein Gesundheitszustand verschlechtert, wenn der Arbeitgeber seinem Verlangen nicht entsprechen sollte (LAG Köln, 29.01.2014 – 5 Sa 631/13). Werden alle Mitarbeiterinnen nach einer Streichung eines bereits genehmigten Betriebsurlaubs wegen einer zuvor wegen der Corona-Pandemie verhängten Praxisschließung am Tag des geplanten Beginns des Betriebsurlaubs krankgeschrieben, kann dies die Beweiskraft der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen erschüttern (LAG Nürnberg, 27.07.2021 – 7 Sa 359/20).
Nach § 612a BGB darf der Arbeitgeber einen Arbeitnehmer nicht deshalb bei einer Maßnahme benachteiligen, weil dieser in zulässiger Weise seine Rechte ausübt. Auch eine Kündigung kann eine Maßnahme i.S.v. § 612a BGB sein. Ein Verstoß gegen dieses Maßregelungsverbot liegt vor, wenn die zulässige Rechtsausübung der tragende Beweggrund für die benachteiligende Maßnahme ist. Es reicht nicht aus, dass die Rechtsausübung nur den äußeren Anlass für die Maßnahme bietet. Handelt der Arbeitgeber aufgrund eines Motivbündels, so ist auf das wesentliche Motiv abzustellen. Eine Kündigung aus Anlass einer Krankmeldung ist nur dann eine unzulässige Maßregelung i.S.v. § 612a BGB, wenn gerade das zulässige Fernbleiben von der Arbeit sanktioniert werden soll. Will der Arbeitgeber dagegen für die Zukunft erwarteten Folgen weiterer Arbeitsunfähigkeit, insbesondere (neuerlichen) Betriebsablaufstörungen, vorbeugen, fehlt es an einem unlauteren Motiv für die Kündigung (BAG, 20.05.2021 - 2 AZR 560/20).
4.5 Verweigerung der Entgeltfortzahlung
Hat der Betrieb aufgrund des Verhaltens des Arbeitnehmers Zweifel an der Arbeitsunfähigkeit, kann er auch die Fortzahlung der Vergütung im Rahmen des allgemeinen Zurückbehaltungsrechts nach § 273 BGB verweigern. Ist der Arbeitnehmer nämlich nicht arbeitsunfähig, erfüllt er seine Verpflichtung zur Arbeitsleistung nicht, ohne dafür einen Grund zu haben. Der Arbeitgeber kann daher seine Leistung, die Vergütung, zurückbehalten. Allerdings ist er beweispflichtig, dass der Arbeitnehmer entgegen der Bescheinigung des Arztes arbeitsfähig ist (siehe Abschn. 3). Hat der Mitarbeiter durch genesungswidriges Verhalten die Wiederaufnahme der Arbeit verzögert, kann die Entgeltfortzahlung für die Dauer der Verzögerung dementsprechend ebenfalls verweigert werden. Kein Anspruch auf Entgeltfortzahlung besteht, wenn der Arbeitnehmer bereits aus anderen Gründen nicht mehr arbeitsbereit ist, er z.B. nach einem Streit mit dem Arbeitgeber deutlich gemacht hat, in dem Betrieb nicht mehr arbeiten zu wollen. In diesem Fall spielt die Frage, ob er tatsächlich arbeitsunfähig war, keine Rolle mehr. Insoweit kommt es auch auf die Beweiskraft der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung nicht mehr an (LAG Rheinland-Pfalz, 20.03.2009 - 6 Sa 361/08)