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Welche Fragen Arbeitgeber auch zum Thema Sozialversicherungsrecht bewegen: Die Rechtsdatenbank der AOK liefert die Antworten – einfach, fundiert und topaktuell.

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Ausschlussfristen - Sachlicher Geltungsbereich
Ausschlussfristen - Sachlicher Geltungsbereich
Inhaltsübersicht
- 1.
- 2.
- 3.Rechtsprechungs-ABC
- 3.1
- 3.2
- 3.3
- 3.4
- 3.5
- 3.6
- 3.7
- 3.8
- 3.9
- 3.10
- 3.11
- 3.12
- 3.13
- 3.14
- 3.15
- 3.16
- 3.17
Information
1. Von Ausschlussfristen nicht erfasste Ansprüche
Sinn und Zweck von Ausschlussfristen ist es, Ansprüche der Arbeitsvertragsparteien möglichst schnell zu klären. Mit der Anwendung von Ausschlussfristen werden der Arbeitsvertragsparteien Ansprüche genommen. Ausschlussfristen sind deshalb grundsätzlich eng auszulegen. Im Umkehrschluss sind Ausnahmevorschriften zu Ausschlussfristen weit auszulegen, wenn sie nicht eindeutig sind.
Absolute Rechte, wie z.B. Ansprüche aus Persönlichkeitsrechtsverletzungen oder der Anspruch auf Herausgabe von Eigentum fallen nicht unter Ausschlussklauseln, die ihren Wirkungsbereich auf Ansprüche aus dem Arbeitsvertrag oder dem Arbeitsverhältnis erstrecken.
Umstritten ist allerdings, ob vertragliche Ausschlussfristen, die gegen das Verbot von § 309 Nr. 7 BGB verstoßen, wonach die Haftung wegen Verletzung von Leben, Körper und Gesundheit nicht begrenzt oder gar ausschlossen werden darf. Das BAG hat entschieden, dass es sich bei der Vereinbarung einer Ausschlussklausel allein um die Vereinbarung einer Obliegenheit zur rechtzeitigen schriftlichen Geltendmachung handelt, nicht aber um einen Haftungsausschluss oder eine Haftungsbegrenzung (BAG, 28.09.2005 - 5 AZR 52/05).
Ansprüche aus dem Gesichtspunkt des verschleiertem Arbeitseinkommens nach § 850h ZPO werden wegen ihres Fiktionscharakters und ihre gesetzlichen Unabdingbarkeit ebenfalls nicht von tariflichen Ausschlussfristen umfasst. Gleiches gilt auch für sachenrechtliche Herausgabeansprüche, die wegen ihrer Unabdingbarkeit nicht der Tarifautonomie der Tarifvertragsparteien unterliegen. Tarifvertragliche Ausschlussfristen gelten auch nicht für den Krankengeldanspruch gegenüber der gesetzlichen Krankenkasse.
Ansprüche auf Leistungen der betrieblichen Altersversorgung unterliegen nur dann tarifvertraglichen Ausschlussfristen, wenn sich dies eindeutig und unmissverständlich aus dem Tarifvertrag ergibt. Die Stammrechte betrieblicher Versorgungsansprüche werden ebenfalls nicht von tariflichen Ausschlussfristen umfasst. Tarifvertraglichen Ausschlussfristen unterliegen ebenfalls nicht die Ansprüche von Angehörigen eines Arbeitnehmers auf Unterstützung im Todesfall.
Eine tarifliche Ausschlussfrist, nach der gegenseitige Ansprüche aller Art aus dem Arbeitsverhältnis nur innerhalb einer Frist von einem Monat seit Fälligkeit des Anspruchs schriftlich geltend gemacht werden können, ist auf Urlaubsansprüche nicht anzuwenden.
Weitere Fälle, die von einer Ausschlussfrist nicht umfasst sind:
Anspruch auf Beschäftigung nach dem allgemeinen und besonderen Beschäftigungsanspruch,
Fehlerhafte Eingruppierung in ein tarifliches Vergütungsschema,
Ansprüche aus der Tätigkeit als Betriebsratsmitglied (Schulungskosten),
Ansprüche auf Ruhegeld,
Anspruch auf Entfernung einer Abmahnung aus der Personalakte.
Stammrechte aus betrieblicher Altersversorgung,
Ansprüche aus einer Gruppenunfallversicherung,
Ansprüche der Hinterbliebenen eines Arbeitnehmers auf tarifliches Sterbegeld,
Vorruhestandsleistungen im Baugewerbe,
Sozialplanansprüche mit Vorsorgecharakter.
Nach Auffassung des LAG Düsseldorf sind von der einmonatigen Ausschlussfrist des § 10 MTV DGB-IGZ keine Ansprüche auf gleichen Lohn gemäß § 10 Abs. 4 Satz 1, 4 AÜG erfasst sind (LAG Düsseldorf, 29.8.2012 – 12 Sa 576/12). Das BAG hat offen gelassen, ob Regelungen zu Ausschlussfristen in Tarifverträgen der Arbeitnehmerüberlassungsbranche überhaupt den Anspruch auf gleiches Arbeitsentgelt erfassen (BAG, 13.3.2013 – 5 AZR 424/12).
2. Von Ausschlussfristen erfasste Ansprüche
Sinn und Zweck der Ausschlussfristen ist es, Ansprüche der Arbeitsvertragsparteien schnell zu klären. Da dem Gläubiger durch die Ausschlussfristen Ansprüche genommen werden, sind diese eng auszulegen. Eine spezielle Ausschlussfrist, die den Anspruch auf Nachzahlung von Lohn oder Gehalt wegen zu niedriger Eingruppierung betrifft, erfasst daher nicht auch einen Anspruch auf Nachzahlung von Lohn oder Gehalt wegen Einstufung in eine zu niedrige Tarifstufe (Berechnung nach Berufsjahren).
Ausschlussfristen sind eng auszulegen, weil die die Geltendmachung bestehender Ansprüche einschränken. Ausnahmevorschriften in tariflichen Ausschlussfristen sind dagegen weit auszulegen, wenn sie nicht eindeutig formuliert sind.
Eine tarifvertragliche Ausschlussfrist erfasst grundsätzlich auch solche Ansprüche, die vor der Bezugnahme auf den Tarifvertrag entstanden sind (LAG Düsseldorf, 24.10.2012 – 5 Sa 704/12). Ist in einem Tarifvertrag die fristgemäße Geltendmachung von "tariflichen Ansprüchen" erforderlich, so fallen unter eine solche Tarifbestimmung auch gesetzliche und vertragliche Ansprüche, deren Bestand von einem tariflichen ausgestalteten Anspruch abhängig ist (BAG, 19.01.1999 – 9 AZR 637/97; BAG, 8.9.2010 – 7 AZR 513/09). Hierzu gehört auch ein auf § 37 Abs. 4 Satz 1 BetrVG gestützter Anspruch des Betriebsrats. Ist in einem Tarifvertrag eine Ausschlussfrist ausdrücklich für sämtliche Rechte aus dem Arbeitsverhältnis vorgesehen, so bezieht sich diese Ausschlussfrist nicht nur auf tarifliche Ansprüche, sondern auch auf außertarifliche Ansprüche oder gesetzliche Rechte.
Beispiel für eine solche Regelung:
"Ansprüche aus dem Arbeitsvertrag" oder "Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis"
Eine solche Ausschlussfrist gilt auch für Ansprüche des Arbeitgebers auf Rückzahlung überzahlter Lohnbeträge. Dies gilt unabhängig davon, ob die Rückzahlungspflicht während oder nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses entstanden ist. Stellt dagegen die Ausschlussfrist auf Ansprüche ab, die bei Auflösung des Arbeitsverhältnisses bereits entstanden waren, werden Rückzahlungsansprüche des Arbeitgebers von einer solchen Ausschlussfrist nicht umfasst (BAG, 04.09.1991 5 AZR 647/90).
Einmalige Abfindungsansprüche aus Sozialplänen werden von tariflichen Ausschlussklauseln, die sämtliche Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis innerhalb einer bestimmt Frist erlöschen lassen, erfasst. Die nachträgliche Vereinbarung des Sozialplans steht dem nicht entgegen (BAG, 30.11.1994 - 10 AZR 79/94).
Weitere Anwendungsfälle:
Mehrarbeitsvergütung,
Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall,
Anspruch des Arbeitnehmers auf Karenzentschädigung,
Ansprüche auf vermögenswirksame Leistungen
Anspruch auf Zeugniserteilung,
Anspruch auf Zeugnisberichtigung
Ansprüche auf 13. Monatsgehalt,
Anspruch auf Ersatz eines auf Grund verspäteter Lohnzahlung entstandenen Steuerschadens,
Rückzahlungsansprüche des Arbeitgebers,
Abfindungsansprüche aus gerichtlichem Vergleich,
Schadensersatzansprüche wegen vorsätzlich begangener Handlungen (BAG, 18.8.2011 – 8 AZR 187/10).
Schadensersatzansprüche wegen Verletzung der Fürsorgepflicht,
Vertragsstrafen.
Urlaubgeld und Urlaubsabgeltung (BAG, 9.8.2011 – 9 AZR 365/10; LAG Schleswig-Holstein, 7.2.2013 – 4 Sa 315/12; LAG Berlin-Brandenburg, 18.1.2013 – 6 Sa 1894/12; LAG Berlin-Brandenburg, 19.10.2012 – 13 Sa 1104/12).
Nach § 37 Abs. 1 TVöD verfallen Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis, wenn sie nicht innerhalb einer Ausschlussfrist von 6 Monaten nach Fälligkeit vom Angestellten oder vom Arbeitgeber schriftlich geltend gemacht werden, soweit tarifvertraglich nichts anderes bestimmt ist. Nicht unter die Ausschlussfrist fallen dem Grunde nach Ansprüche auf Reisekosten nach, Umzugskosten, Trennungsentschädigung und Trennungsgeld nach.
Darüber hinaus finden sich weitergehende Formulierung in Arbeitsverträge, die nicht nur aus das Arbeitsverhältnis als solches abstellen, sondern eine Verfallsfrist für Ansprüche vorsehen, die im Zusammenhang mit dem Arbeitsverhältnis stehen.
Beispiel für eine solche Regelung:
"Ansprüche, die mit dem Arbeitsverhältnis im Zusammenhang bzw. in Verbindung stehen."
Nach der Rechtsprechung sind solche Ausschlussklauseln zulässig. Allerdings sind nur solche Ansprüche erfasst, die mit dem Arbeitsverhältnis in besonders engen Zusammenhang stehen. Von einer solchen Ausschlussklausel sind u.a. umfasst,
Anspruch auf Rückzahlung des Arbeitnehmerdarlehen,
Wiedereinstellungsanspruch.
3. Rechtsprechungs-ABC
An dieser Stelle werden einige der interessantesten Entscheidungen zum Thema sachlicher Geltungsbereich von Ausschlussfristen in alphabetischer Reihenfolge nach Stichwörtern geordnet vorgestellt:
3.1 Allgemeines Persönlichkeitsrecht
"Ausschlussklauseln erfassen auch Ansprüche wegen der Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts. Nach der entgegenstehenden Auffassung würden Schadensersatzansprüche wegen der Verletzung des Persönlichkeitsrechts ohne nachvollziehbaren Grund gegenüber Schadensersatzansprüchen wegen der Verletzung der Gesundheit oder des Eigentums, die unstreitig tariflichen oder vertraglichen Ausschlussklauseln unterfallen" (…), "privilegiert" (s. zu tariflichen AusschlussfristenBAG, 16.05.2007 – 8 AZR 709/06 – und LAG Berlin-Brandenburg, 15.06.2021 – 7 Sa 185/21). "Dabei handelt es sich ebenfalls um Rechtsgüter bzw. Rechte iSd. § 823 Abs. 1 BGB, die zudem ebenso wie das Persönlichkeitsrecht verfassungsrechtlichen Schutz genießen. Gleichwohl hat sich der Gesetzgeber in § 309 Nr. 7 Buchst. a BGB dafür entscheiden, nur den Verfall von Ansprüchen wegen der Verletzung von Leben, Körper und Gesundheit zu untersagen. Das allgemeine Persönlichkeitsrecht hat er dort nicht genannt" (BAG, 24.05.2022 – 9 AZR 461/21).
3.2 Altverträge
Die Verjährung kann gem. § 202 Abs. 1 BGB "bei Haftung wegen Vorsatzes nicht im Voraus durch Rechtsgeschäft erleichtert werden." § 309 Nr. 7 BGB verbietet ergänzend einen Haftungsausschluss in Allgemeinen Geschäftsbedingungen bei Verletzung von Leben, Körper, Gesundheit und bei grobem Verschulden". "Eine vor Inkrafttreten des Schuldrechtsmodernisierungsgesetzes als Allgemeine Geschäftsbedingung vereinbarte arbeitsvertragliche Ausschlussfrist, die sich ohne Einschränkung auf 'alle beiderseitigen Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis' bezieht, ist im Wege der ergänzenden Vertragsauslegung einschränkend dahingehend auszulegen, dass ihr Anwendungsbereich Haftungsansprüche iSv. § 202 Abs. 1 BGB und § 309 Nr. 7 BGB nicht erfasst" (BAG, 24.09.2019 - 9 AZR 273/18 - Leitsatz).
3.3 Ausgenommen Vorsatz
In Allgemeinen Geschäftsbedingungen ist nach § 309 Nr. 7 lit. a) BGB "ein Ausschluss oder eine Begrenzung der Haftung für Schäden aus der Verletzung des Lebens, des Körpers oder der Gesundheit, die auf einer fahrlässigen Pflichtverletzung des Verwenders oder einer vorsätzlichen oder fahrlässigen Pflichtverletzung eines gesetzlichen Vertreters oder Erfüllungsgehilfen des Verwenders beruhen" unwirksam. Trotzdem gilt: "Unter angemessener Berücksichtigung der tatsächlichen und rechtlichen Besonderheiten der Haftung im Arbeitsverhältnis führt es nicht zur Unwirksamkeit einer die Haftung wegen Vorsatzes ausnehmenden Ausschlussklausel in einem Formulararbeitsvertrag, wenn sie im Übrigen die Klauselverbote des § 309 Nr. 7 Buchst. a BGB nicht beachtet und bei Nichteinhaltung der Ausschlussfrist Haftungsansprüche verfallen, auf die sich die Klauselverbote des § 309 Nr. 7 Buchst. a BGB beziehen" (BAG, 22.10.2019 - 9 AZR 532/18 - Leitsatz - zur Klausel "Die Haftung für vorsätzliches Verhalten bleibt von dieser Ausschluss- und Verfallklausel unberührt").
3.4 Mindestlohn - 1
"1. Eine vom Arbeitgeber vorformulierte arbeitsvertragliche Verfallklausel, die entgegen § 3 Satz 1 MiLoG auch den gesetzlichen Mindestlohn erfasst, verstößt gegen das Transparenzgebot des § 307 Abs. 1 Satz 2 BGB und ist insgesamt unwirksam, wenn der Arbeitsvertrag nach dem 31. Dezember 2014 geschlossen wurde. 2. § 3 Satz 1 MiLoG schränkt die Anwendung der §§ 306, 307 Abs. 1 Satz 2 BGB nicht ein" (BAG, 18.09.2018 - 9 AZR 162/18 - Leitsätze).
3.5 Mindestlohn - 2
Wenn eine Arbeitsvertragsklausel bei Vertragsschluss transparent ist, "verliert sie ihre Wirksamkeit nicht, wenn spätere Gesetzesänderungen zu ihrer Intransparenz führen" (s. dazu BAG, 18.09.2018 - 9 AZR 162/18). Damit führt die Klausel "Die Parteien vereinbaren, dass alle beiderseitigen Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis binnen drei Monaten nach Fälligkeit verfallen" in einem bis zum 16.08.2014 (= Inkrafttreten des MiLoG) geschlossenen Altvertrag (hier: vom 06.03.1997) nicht zur Intransparenz, "sondern lediglich zur Teilunwirksamkeit der im Arbeitsvertrag … vereinbarten Ausschlussfristenregelung, dass diese entgegen § 3 Satz 1 MiLoG auch den Anspruch auf den gesetzlichen Mindestlohn (§ 1 Abs. 1 und Abs. 2 MiLoG) erfasst, der nach dem am 16. August 2014 in Kraft getretenen Gesetz zur Regelung eines allgemeinen Mindestlohns (MiLoG) ab dem 1. Januar 2015 zu zahlen ist." "Die fehlende Ausnahme des gesetzlichen Mindestlohns in einem 'Altvertrag' hat für den Zeitraum ab dem 1. Januar 2015 lediglich die Teilunwirksamkeit der Ausschlussfristenregelung nach § 3 Satz 1 MiLoG zur Folge" (BAG, 24.09.2019 - 9 AZR 273/18 - mit Hinweis auf BAG, 18.09.2018 - 9 AZR 162/18; bestätigt durch BAG, 22.10.2019 - 9 AZR 532/18).
3.6 Mindestlohn - 3 (Tarifvertrag)
Während es in den beiden vorausgehenden Gliederungspunkten um arbeitsvertraglich vereinbarte Ausschlussklauseln ging, macht das BAG nun für tarifvertragliche Ausschlussklauseln eine bedeutende Ausnahme: Sind MiLoG-Ansprüche in der tariflichen Verfallklausel nicht ausdrücklich aufgeführt, macht das die Tarifbestimmung nicht wegen Intransparenz unwirksam. Zum einen fallen Tarifverträge aus der AGB-Kontrolle nach den §§ 305 ff. BGB (s. dazu § 310 Abs. 4 Satz 1 BGB), zum anderen führt das Fehlen der MiLoG-Ansprüche gem. § 3 Satz 1 MiLoG nur "insoweit" zur Unwirksamkeit der tariflichen Ausschlussfrist, als die Vereinbarung der Tarifpartner die Geltendmachung des Anspruchs auf den gesetzlichen Mindestlohn ausschließt. Im Übrigen bleibt die tarifliche Verfallklausel dann wirksam (BAG, 07.07.2020 – 9 AZR 323/19 – mit Hinweis auf BAG, 23.01.2019 – 4 AZR 541/17).
3.7 Mindestlohn - 4
Finden Ausschluss- und Verfallfristen auf ein Arbeitsverhältnis Anwendung, gelten diese Fristen in der Regel - wenn es keine gesetzlichen oder individual- bzw. kollektivrechtlichenAusnahmetatbestände gibt - umfassend. Der Schuldner soll sich darauf verlassen dürfen, dass er irgendwann aus der Pflicht ist. Nach § 1 Abs. 1 MiLoG hat jeder Arbeitnehmer allerdings "Anspruch auf Zahlung eines Arbeitsentgelts mindestens in Höhe des Mindestlohns durch den Arbeitgeber". Und dieser Anspruch ist unabdingbar, sein Verfall ausgeschlossen (§ 3 MiLoG). Was im Fall von Annahmeverzug bedeutet: "Der Anspruch auf Vergütung wegen Annahmeverzugs kann in Höhe des gesetzlichen Mindestlohns einer Ausschlussfrist nicht unterworfen werden" (BAG, 13.07.2022 - 5 AZR 498/21 - Leitsatz - zu § 14 Nr. 1 BRTV-Bau).
3.8 Tariflicher Mehrurlaub - 1
"Die Tarifvertragsparteien sind befugt, die Befristung und Übertragungbzw. den Verfall des Mehrurlaubsanspruchs abweichend vom Bundesurlaubsgesetz festzulegen. Machen sie von dieser Befugnis Gebrauch, bedarf die Annahme, der tarifliche Mehrurlaub solle dennoch, für den Fall, dass der Arbeitnehmer ihn wegen Krankheit nicht nehmen konnte, nicht schon nach der tariflichen Regelung (hier: zum 30. April des Folgejahres), sondern erst nach § 7 Abs. 3 BUrlG frühestens 15 Monate nach Ablauf des Urlaubsjahres verfallen, deutlicher Anhaltspunkte. Fehlen solche, erlischt der Mehrurlaubsanspruch, sofern die Voraussetzungen seiner Befristung erfüllt sind, regelmäßig nach Maßgabe der tariflichen Bestimmungen" (BAG, 29.09.2020 – 9 AZR 364/19 – Leitsatz).
3.9 Tariflicher Mehrurlaub - 2
Der Manteltarifvertrag für die Chemische Industrie sieht in § 12 der hier beurteilten Fassung vom 02.02.2016 vor: "11. Der Urlaub ist spätestens bis 31.3. des folgenden Kalenderjahres zu gewähren. Der Urlaubsanspruch erlischt, wenn er bis dahin nicht geltend gemacht worden ist." Während EuGH und BGH für durchgehend arbeitsunfähige Arbeitnehmer beim gesetzlichen Mindesturlaub nach Ende des Urlaubsjahres einen 15-monatigen Nachschlag für angebracht halten (s. dazu und BAG, 07.08.2012 - 9 AZR 353/10), sieht das beim tariflichen Mehrurlaub anders aus. Hier haben die Tarifpartner eine eigenständige Regelung getrofffen, die dazu führt, dass der tarifliche Mehrurlaub ohne Geltendmachung bereits mit dem 31.03. des Folgejahres verfällt. Und da der Tarifvertrag dem Arbeitnehmer aufgibt, seinen Anspruch geltend zu machen, hängt der Verfall nicht - wie in anderen Fällen - von einer vorausgehenden Aufforderung bzw. von einem vorausgehenden Hinweis des Arbeitgebers ab (BAG, 09.03.2021 - 9 AZR 275/14; zu Aufforderung/Hinweis s. BAG, 19.02.2019 - 9 AZR 423/16).
3.10 Teilnichtige Verfallklausel
"1. Zahlt der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer das Urlaubsentgelt nicht vor Urlaubsantritt aus, ist die Urlaubserteilung des Arbeitgebers jedenfalls im bestehenden Arbeitsverhältnis nach Treu und Glauben gesetzeskonform so zu verstehen (§ 157 BGB), dass der Arbeitgeber damit zugleich streitlos stellt, dass er für den gewährten Urlaub dem Grunde nach zur Zahlung von Urlaubsentgelt nach den gesetzlichen Vorgaben und etwaigen arbeitsvertraglichen Vereinbarungen verpflichtet ist, sofern dem nicht konkrete Anhaltspunkte entgegenstehen. 2. Eine als Allgemeine Geschäftsbedingung gestellte Verfallklausel, welche die von § 77 Abs. 4 Satz 4 BetrVG und § 4 Abs. 4 Satz 3 TVG geschützten Ansprüche umfasst, ist insoweit teilnichtig (§ 139 BGB). Allein dieser Verstoß und eine sich nur daraus ergebende unzureichende Transparenz führen aber nicht zur Gesamtunwirksamkeit der Verfallklausel nach § 307 Abs. 1 Satz 2 BGB" (BAG, 30.01.2019 - 5 AZR 43/18 - Leitsätze).
3.11 Urlaubsabgeltungsanspruch - 1
Die in diesem Fall zu beurteilende Verfallklausel des Manteltarifvertrags für die chemische Industrie vom 24.06.1992 i.d.F. vom 02.02.2016 sah in § 16 Nr. 2 u. Nr. 3 vor: "2. Die Ansprüche beider Seiten aus dem Arbeitsverhältnis müssen innerhalb einer Ausschlussfrist von drei Monaten nach Fälligkeit in Textform geltend gemacht werden. Nach Ablauf dieser Frist ist die Geltendmachung ausgeschlossen. Das gilt nicht, wenn die Berufung auf die Ausschlussfrist wegen des Vorliegens besonderer Umstände eine unzulässige Rechtsausübung ist. 3. Im Falle des Ausscheidens müssen die Ansprüche beider Seiten spätestens einen Monat nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses in Textform geltend gemacht werden." Arbeitnehmer N war zum 30.09.2016 ausgeschieden und hatte seinen Anspruch auf Urlaubsabgeltung erstmals mit Schreiben vom 04.12.2017 geltend gemacht. Zu spät.
Der Anspruch auf Abgeltung des gesetzlichen Mindesturlaubs ist ein reiner Geldanspruch und als reiner Geldanspruch kann er tariflichen Ausschlussfristen unterliegen (s. dazu BAG, 22.01.2019 – 9 AZR 149/17). Der unabdingbare Schutz des gesetzlichen Mindesturlaubs wird durch die tarifliche Ausschlussfrist nicht in Frage gestellt. Diesem Ergebnis steht auch das Unionsrecht nicht entgegen (s. dazu EuGH, 25.06.2020 – C-762/18 u. C-37/19; EuGH, 19.06.2014 – C-501/12 u.a., sowie EuGH, 08.07.2010 – C-246/09). Tarifliche Ausschlussfristen betreffen nicht den Inhalt eines Anspruchs, sondern seinen Fortbestand. Das bedeutet für den vorliegenden Fall: "Der streitgegenständliche auf Abgeltung von Urlaubsansprüchen gerichtete Zahlungsanspruch ist mit sonstigen Zahlungsansprüchen des Arbeitnehmers gegen den Arbeitgeber vergleichbar, insbesondere mit Ansprüchen auf Zahlung von Vergütung, für die § 16 Ziffer 2 MTV in gleicher Weise gilt" (BAG, 07.07.2020 – 9 AZR 323/19 – mit dem Ergebnis, dass die Zahlungsklage des ausgeschiedenen Mitarbeiters erfolglos war).
3.12 Urlaubsabgeltungsanspruch - 2
Der Arbeitsvertrag von Arbeitgeber A enthielt die Ausschlussklausel "1. Alle beiderseitigen Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis und solche, die mit dem Arbeitsverhältnis in Verbindung stehen, verfallen, wenn sie nicht innerhalb von 3 Monaten nach der Fälligkeit gegenüber der anderen Vertragspartei schriftlich erhoben werden". Diese Klausel erfasst alle Ansprüche, nimmt ihrem Wortlaut nach keine aus. "Infolge dieser weitgefassten Formulierung unterfallen der Klausel alle gesetzlichen, tariflichen und vertraglichen Ansprüche, die Arbeitsvertragsparteien aufgrund ihrer durch den Arbeitsvertrag begründeten Rechtsstellung gegeneinander haben" (s. dazu BAG, 22.10.2019 – 9 AZR 532/18). Damit unterliegt auch der Urlaubsabgeltungsanspruch als reiner Geldanspruch dem Verfall (BAG, 05.07.2022 - 9 AZR 341/21, das die Klausel jedoch aus anderen Gründen - Ausschluss der Haftung wegen Vorsatz - scheitern ließ).
3.13 Vorsatz/Fahrlässigkeit
Die vertragliche Ausschlussklausel von Arbeitgeber A enthielt u.a. die Formulierung: "Hiervon unberührt bleiben Ansprüche, die auf Handlungen wegen Vorsatz oder grober Fahrlässigkeit beruhen." Der Wertungsmaßstab des § 309 Nr. 7 BGB wird durch das SGB VII begrenzt: "Die §§ 104 ff. SGB VII regeln – als im Arbeitsrecht geltende rechtliche Besonderheit – die für das Arbeitsverhältnis typischen Haftungssituationen im Zusammenhang mit Verletzungen von Leben, Körper oder der Gesundheit sondergesetzlich und schließen für die typischen Haftungsrisiken des Arbeitgebers als Verwender der Ausschlussfristenregelung einen Haftungsanspruch des Arbeitnehmers iSv. § 309 Nr. 7 Buchst. a BGB aus. Haftungsansprüche des Arbeitnehmers wegen fahrlässiger Verletzung von Leben, Körper oder Gesundheit können danach nur dann nach einer 'alle Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis' erfassenden Ausschlussfristenregelung verfallen, wenn – was in der betrieblichen Praxis den Ausnahmefall darstellt – der Anwendungsbereich der §§ 104 ff. SGB VII nicht eröffnet ist" (BAG, 24.05.2022 – 9 AZR 461/21 – mit dem Ergebnis, dass die von A verwendete Klausel wirksam war).
3.14 Vorsatzhaftung - 1
"1. Eine Ausschlussklausel in Allgemeinen Geschäftsbedingungen oder vorformulierten Vertragsbedingungen iSv. § 310 Abs. 3 Nr. 2 BGB, nach der ausnahmslos alle Ansprüche, die sich aus dem Arbeitsverhältnis ergeben, verfallen, wenn sie nicht binnen bestimmter Fristen geltend gemacht und eingeklagt werden, erfasst grundsätzlich alle wechselseitigen gesetzlichen und vertraglichen Ansprüche, die die Arbeitsvertragsparteien aufgrund ihrer durch den Arbeitsvertrag begründeten Rechtsstellung gegeneinander haben und damit auch Schadensersatzansprüche aus vorsätzlicher Vertragsverletzung und aus vorsätzlicher unerlaubter Handlung. 2. Eine solche Verfallklausel ist wegen Verstoßes gegen § 202 Abs. 1 BGB nach § 134 BGB nichtig. 3. Der Arbeitgeber als Verwender muss die Klausel unabhängig davon, ob in dem Verstoß gegen § 202 Abs. 1 BGB zudem eine unangemessene Benachteiligung iSv. § 307 Abs. 1 Satz 1 BGB liegt und ob die Klausel darüber hinaus ggf. aus anderen Gründen nach den §§ 307 ff. BGB unwirksam ist, nicht nach den Grundsätzen über die personale Teilunwirksamkeit von Allgemeinen Geschäftsbedingungen gegen sich gelten lassen" (BAG, 26.11.2020 - 8 AZR 58/20 - Leitsätze).
3.15 Vorsatzhaftung - 2
Die Klausel "Für Ansprüche aus unerlaubter Handlung verbleibt es bei der gesetzlichen Regelung" in einer vertraglich vereinbarten 3-monatigen Verfall- und Ausschlussfristenregelung erfasst keine Haftungsansprüche aus vorsätzlich begangener Vertragspflichtverletzung. Der vom Arbeitgeber verwendete Begriff "unerlaubte Handlung" ist in seiner allgemeinen juristischen Bedeutung auszulegen. Und da unterscheidet das Haftungsrecht zwischen Ansprüchen aus einer vorsätzlichen unerlaubten Handlung, insbesondere einer Handlung i. S. der §§ 823 ff. BGB, und Ansprüchen, die aus einer vorsätzlichen Vertragspflichtverletzung herrühren. Zwischen beiden besteht eine Anspruchskonkurrenz (BAG, 09.03.2021 – 9 AZR 323/20 – mit dem Ergebnis, dass hier die gesamte Klausel wegen Ausschlusses der Vorsatzhaftung unwirksam war).
3.16 Vorsatzhaftung - 3
Das Gesetz enthält in § 202 Abs. 1 BGB eine klare Ansage: "Die Verjährung kann bei Haftung wegen Vorsatzes nicht im Voraus durch Rechtsgeschäft erleichtert werden." Verstößt eine 3-monatige arbeitsvertragliche – mit dem blue-pencil-Test nicht teilbare – Verfallklausel, die Haftungsansprüche wegen vorsätzlicher Handlung nicht aus ihrem Regelungsbereich herausnimmt, gegen § 202 Abs. 1 BGB, führt dieser Verstoß zum ersatzlosen Wegfall einer nicht teilbaren Klausel. Im Übrigen wird der Arbeitsvertrag selbstverständlich aufrechtgehalten (§ 306 Abs. 1 und Abs. 2 BGB). Die weitere Folge: Mit dem ersatzlosen Wegfall der Klausel ist sie auch auf andere Ansprüche, bei denen eine 3-monatige Ausschlussfrist durchaus zulässig wäre, nicht mehr anzuwenden(BAG, 09.03.2021 – 9 AZR 323/20).
3.17 Vorsatzhaftung - 4
Die Vertragsklausel "Alle beiderseitigen Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis und solche, die mit dem Arbeitsverhältnis in Verbindung stehen, verfallen, wenn sie nicht innerhalb von 3 Monaten nach der Fälligkeit gegenüber der anderen Vertragspartei schriftlich erhoben werden" kommt nicht durch die AGB-Kontrolle. Sie verstößt gegen § 202 Abs. 1 BGB - und das führt zur Gesamtunwirksamkeit einer – wie im Streitfall – nicht teilbaren Klausel. "Die Rechtsfolgen von § 306 BGB kommen nicht nur zur Anwendung, wenn sich die Unwirksamkeit einer AGB-Klausel aus den §§ 305 ff. BGB selbst ergibt, sondern auch dann, wenn sie gegen sonstige Verbote verstößt. § 306 Abs. 1 BGB enthält eine kodifizierte Abweichung von der Auslegungsregel des § 139 BGB und bestimmt, dass bei Teilnichtigkeit grundsätzlich der Vertrag im Übrigen wirksam bleibt. Soweit die Klausel nicht teilbar ist, tritt an ihre Stelle nach § 306 Abs. 2 BGB das Gesetz" (BAG, 05.07.2022 - 9 AZR 341/21 - mit Hinweis auf BAG, 09.03.2021 – 9 AZR 323/20 – und BAG, 26.11.2020 – 8 AZR 58/20).