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Welche Fragen Arbeitgeber auch zum Thema Sozialversicherungsrecht bewegen: Die Rechtsdatenbank der AOK liefert die Antworten – einfach, fundiert und topaktuell.

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Ausschlussfristen - Geltendmachung
Ausschlussfristen - Geltendmachung
Inhaltsübersicht
- 1.
- 2.
- 3.
- 4.
- 5.
- 6.
- 7.
- 8.Rechtsprechungs-ABC
- 8.1
- 8.2
- 8.3
- 8.4
- 8.5
- 8.6
- 8.7
- 8.8
- 8.9
- 8.10
- 8.11
- 8.12
- 8.13
- 8.14
- 8.15
- 8.16
- 8.17
Information
1. Geltendmachung als rechtsgeschäftliche Handlung
Die Geltendmachung ist eine einseitige rechtsgeschäftsähnliche Handlung, auf die die Vorschriften über Willenserklärungen Anwendung finden. Die Geltendmachung muss also dem Schuldner zugehen. Eine Anzeige bei der Polizei genügt also nicht.
2. Voraussetzungen der Geltendmachung
Zum Mindestinhalt der Geltendmachung gehört, dass der jeweilige Anspruch seinem Grunde nach hinreichend deutlich bezeichnet und die Höhe des Anspruchs, d.h. der Zeitraum, für den er verfolgt wird, ist mit der für den Schuldner notwendigen Deutlichkeit zu beschreiben.
Für die Geltendmachung von Ansprüchen zur Wahrung der Ausschlussfrist ist, falls dies nicht ausdrücklich vorgeschrieben ist, keine gerichtliche Klageerhebung erforderlich. Vielmehr genügt jede Aufforderung des Schuldners zur Erfüllung des Anspruchs. Eine Geltendmachung kann u.U. auch bei dem Lohnbuchhalter, der den beanstandeten Lohn errechnet hat, erfolgen (BAG, 05.04.1995 - 5 AZR 961/93).
Die bloße Erkundigung genügt dagegen nicht, wenn der Arbeitnehmer nach einer negativen Antwort darauf verzichtet, den streitigen Anspruch anzumelden; es genügt auch nicht eine Erklärung des Arbeitgebers, er behalte sich die Geltendmachung von Ansprüchen vor, bzw. der Arbeitnehmer müsse noch mit Schadensersatzforderungen rechnen (BAG, 27.03.1996 - 5 AZR 336/94). Ebenso unzureichend ist es, wenn der Arbeitnehmer den Arbeitgeber auffordert, er möge "seinen Standpunkt überdenken".
Unzureichend ist es auch, wenn der Arbeitnehmer lediglich die "Abrechnung" verlangt. Damit liegt noch keine Geltendmachung des Zahlungsanspruchs im Sinne tariflicher Ausschlussfristen vor (BAG, 05.11.2003 - 5 AZR 469/02).
3. Geltendmachung durch Vertreter
Die Geltendmachung braucht nicht vom Gläubiger persönlich vorgenommen zu werden. Eine Geltendmachung durch einen Bevollmächtigten oder Vertreter ist daher zulässig. Der Betriebsrat ist kein Vertreter des Arbeitnehmers, dennoch hält es die Rechtsprechung für zulässig, dass Individualansprüche der Arbeitnehmer auch vom Betriebsrat wirksam geltend gemacht werden können.
Beispiele aus der Rechtsprechung:
Für die Geltendmachung von Ansprüchen zur Wahrung der Ausschlussfrist gegenüber dem Arbeitgeber genügt u.U. eine Geltendmachung durch den Betriebsrat, auch wenn dieser nicht ausdrücklich bevollmächtigt ist;
Ein Sekretär einer Gewerkschaft, welcher der Arbeitnehmer angehört, ist nach der Verkehrsanschauung berechtigt, arbeitsrechtliche Ansprüche des Arbeitnehmers gegenüber dem Arbeitgeber zur Wahrung einer tariflichen Ausschlussfrist geltend zu machen (LAG Frankfurt/Main, 05.03.1993 - 9 Sa 1910/91);
Nicht ausreichend ist es, wenn der Arbeitgeber den Betriebsrat davon unterrichtet, dass er gegen bestimmte Arbeitnehmer Ansprüche geltend machen werde. Der Betriebsrat vertritt regelmäßig nur die kollektiven Interessen der Arbeitnehmer, ist jedoch im Zweifel nicht ihr rechtsgeschäftlicher Vertreter.
4. Form der Geltendmachung
Wichtig!
Zum 01.10.2016 hat der Gesetzgeber den § 309 Nr. 13 BGB geändert: Demnach unterliegen Ausschlussklauseln (auch: Verfallsklauseln) bei Neuverträgen künftig nicht mehr der sog. Schriftformerfordernis. Vielmehr können Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis, sofern keine tarifliche Regelung besteht, künftig auch per Fax, E-Mail oder sogar per SMS bzw. Messanger geltend gemacht werden. Ausschlussklausel in Formulararbeitsverträgen - die Allgemeinen Geschäftsbedingungen entsprechen - sind fortan unwirksam, wenn sie zur Geltendmachung „eine strengere Form als die Textform“ verlangen. Folge: Ansprüche können noch während der gesamten gesetzlichen Verjährungsfrist von drei Jahren geltend gemacht werden.
Sieht eine tarifliche Ausschlussfrist eine schriftliche Geltendmachung vor, so ist eine Anspruchsübermittlung per Telefax ausreichend. Das evtl. Schriftformerfordernis bei der Geltendmachung von Ansprüchen wird auch bei der Erhebung einer entsprechenden gerichtlichen Klage gewahrt. Dies gilt auch dann, wenn die Klage später zurück genommen oder der Prozess nicht weiter betrieben wurde.
Die in einer tariflichen Ausschlussklausel vorgeschriebene Schriftform wird auch durch eine Klageschrift gewahrt. Verlangt eine tarifliche Ausschlussfrist die schriftliche Geltendmachung aller gegenseitigen Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis innerhalb einer bestimmten Frist, so erfasst die fristgerecht erhobene Kündigungsschutzklage regelmäßig auch Lohnansprüche.
Wichtig ist, dass periodische Ansprüche jeweils wieder neu geltend gemacht werden müssen. Die Rückforderung überzahlter Bezüge unter Hinweis auf die fehlerhafte Eingruppierung wahrt also nicht die Ausschlussfrist für Rückforderungsansprüche aus künftigen Überzahlungen.
5. Zeitpunkt der Geltendmachung
Bislang vertrat das BAG die Auffassung, dass die Frist wahrende Geltendmachung erst nach dem Entstehen des Anspruchs möglich ist. Diese Rechtsprechung hat das BAG aufgegeben. Es vertritt nun den Standpunkt, dass Ausschlussfristen auch durch die Geltendmachung vor Fälligkeit des Anspruchs gewahrt werden können. Voraussetzung ist jedoch, dass der Anspruch zumindest entstanden ist (BAG, 11.12.2003 - 6 AZR 539/02). Diese Rechtsprechung hat das BAG im Jahr 2013 konkretisiert. Danach widerspricht eine Geltendmachung vor Entstehung des Anspruchs regelmäßig dem Sinn und Zweck von Ausschlussfristen. Der Anspruchgegner soll vor der Verfolgung unzumutbarer Ansprüche bewahrt werden. Das sind regelmäßig solche mit denen deren Geltendmachung er nicht rechnet und auch nicht zu rechnen brauchte. Allerdings kann eine tarifliche Ausschlussfrist ausnahmsweise durch Geltendmachung des Anspruchs vor dessen Entstehung gewahrt werden. Das kommt dann in Betracht, wenn die Erfüllung von konkreten gegenwärtigen und künftigen Ansprüche auf einer bestimmten Berechnungsgrundlage verlangt wird und nur diese zwischen den Parteien streitig ist (BAG, 16.1.2013 – 10 AZR 863/11).
Beispiele aus der Rechtsprechung:
Eine schriftliche Mahnung des Arbeitnehmers, ihm Urlaub zu gewähren, wahrt die Ausschlussfrist auch für den nach Ablauf des Urlaubsjahres oder des Übergangszeitraumes entstehenden Schadensersatzanspruchs;
Bestimmt eine zweistufige tarifliche Ausschlussfrist, dass die Ausschlussfrist für die Geltendmachung von Ansprüchen, deren Bestand vom Ausgang des Kündigungsschutzprozesse abhängig ist, erst mit dem rechtskräftigen Abschluss des Verfahrens beginnt, kann der Arbeitnehmer solche Ansprüche vor diesem Zeitpunkt nicht Frist wahrend geltend machen;
6. Unzulässige Rechtsausübung
Der Lauf der Ausschlussfrist kann gemäß § 242 BGB (Treu und Glauben) gehemmt sein, wenn der Anspruchsberechtigte seine Ansprüche nicht erheben kann. Dies liegt vor, wenn der Anspruchsschuldner z.B. keine Abrechnung erteilt bzw. diese verzögert. Der Lauf der Ausschlussfrist ist solange gehemmt, wie die fehlende Abrechnung noch verlangt werden kann (BAG, 16.11.1989 - 6 AZR 168/89). Die Wirkungen einer tariflichen Ausschlussfrist treten grundsätzlich auch dann ein, wenn ein Arbeitnehmer erst später infolge einer Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts Kenntnis vom Bestehen seines Anspruchs erlangt. Hat ein Arbeitgeber einen vertretbaren Rechtsstandpunkt eingenommen, darf er sich ohne Verstoß gegen den Grundsatz von Treu und Glauben auf die Ausschlussfrist berufen (BAG, 13.12.2007 - 6 AZR 222/07).
Eine gegen den Grundsatz von Treu und Glauben verstoßende und damit gem. § 242 BGB unzulässige Rechtsausübung stellt die Berufung auf eine Ausschlussfrist dar, wenn die zum Verfall des Anspruchs führende Untätigkeit durch ein Verhalten der Gegenpartei veranlasst worden ist. Wichtig ist auch, dass die Berufung des Arbeitgebers auf die Ausschlussfrist nicht allein deswegen gegen Treu und Glauben nach § 242 BGB verstößt, weil er dem Arbeitnehmer eine unzutreffende Auskunft über das Bestehen eines Anspruchs gegeben hat (BAG, 22.01.1997 - 10 AZR 459/96).
7. Gerichtliche Geltendmachung
In manchen Tarifverträgen sind sog. doppelte Ausschlussfristen normiert. Es handelt sich dabei um Regelungen, die bestimmen, dass Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis nach erfolgloser schriftlicher Geltendmachung innerhalb einer weiteren bestimmten Frist gerichtlich geltend gemacht werden müssen. Nach ständiger Rechtsprechung des BAG erfordert die gerichtliche Geltendmachung von Lohnansprüchen die Erhebung einer fristgerechten Zahlungsklage. Bei einer solchen zweistufigen Ausschlussfrist ersetzt die Kündigungsschutzklage nicht die gerichtliche Geltendmachung, wie sie für die zweite Stufe verlangt wird. Nach ständiger Rechtsprechung erfordert die gerichtliche Geltendmachung von Lohnansprüchen der Erhebung einer fristgerechten Leistungsklage.
Der auf Weiterbeschäftigung gerichteten Klageantrag enthält auch dann keine gerichtliche Geltendmachung von Zahlungsansprüchen, wenn in dem Antrag die Arbeitsbedingungen (Zahl der wöchentlichen Arbeitsstunden und der Stundenlohn) angegeben werden, zu denen die Weiterbeschäftigung erfolgen soll (BAG, 08.08.2000 - 9 AZR 418/99).
Ist aber in den Allgemeinen Geschäftsbedingungen des Arbeitgebers geregelt , dass von der Gegenseite abgelehnte Ansprüche binnen einer Frist von drei Monaten einzuklagen sind, um deren Verfall zu verhindern, genügt die Erhebung der Kündigungsschutzklage, um das Erlöschen der vom Ausgang des Kündigungsschutzstreits abhängigen Annahmeverzugsansprüche des Arbeitnehmers zu verhindern (BAG, 19.03.2008 - 5 AZR 429/07).
Ist die gerichtliche Geltendmachung in der Ausschlussfrist vorgesehen, so wird die Ausschlussfrist auch durch die Anrufung eines örtlich unzuständigen Gerichts gewahrt. Unzureichend ist aber allein das Stellen eines Antrags auf Prozesskostenhilfe. Die Ausschlussfrist wird jedoch gewahrt, wenn mit dem vollständigen Antrag auf Prozesskostenhilfe zugleich der Entwurf der Klageschrift eingereicht wird.
8. Rechtsprechungs-ABC
An dieser Stelle werden einige der interessantesten Entscheidungen zum Thema Ausschlussfristen und Geltendmachung in alphabetischer Reihenfolge nach Stichwörtern geordnet vorgestellt:
8.1 Anforderung an die Geltendmachung
Macht der Anspruchsteller seinen Anspruch geltend, verlangt die Geltendmachung keine ausführliche Substanziierung. Der Anspruchsteller muss seinen Anspruch nur so spezifizieren, dass diese Spezifizierung dem Anspruchsgegner die Möglichkeit gibt, die ihm gegenüber erhobenen Ansprüche zu prüfen (s. dazu BAG, 11.12.2003 - 6 AZR 539/02). Von seinem Empfängerhorizont muss der Anspruchsgegner in der Lage sein, erkennen zu können, um welche Forderung es sich handelt (s. dazu BAG, 18.02.2016 - 6 AZR 700/14 - und BAG, 18.03.1999 - 6 AZR 523/97). Dabei müssen die Art des Anspruchs und die Tatsachen, auf die der Anspruch gestützt wird, erkennbar sein - ohne dass gleich eine rechtliche Begründung mitgeliefert wird (s. dazu BAG, 22.04.2004 - 8 AZR 652/02). Erfüllt der Anspruchsteller diese Voraussetzungen, braucht er seinen Anspruch nicht zwingend zu beziffern (BAG, 11.04.2019 - 6 AZR 104/18 - mit Hinweis auf BAG, 18.02.2016 - 6 AZR 628/14 - und BAG, 19.08.2015 - 5 AZR 1000/13 - sowie der Ansicht, dass die bloße Bitte um Überprüfung der Rechtslage keine - auch nicht vorsorgliche - Geltendmachung ist).
8.2 Ausschlussfrist/Verjährung
Die Verjährungsfrist für einen Anspruch auf Zeitgutschrift beträgt nach § 195 BGB drei Jahre. Die Frist beginnt gemäß § 199 Abs. 1 BGB mit dem Schluss des Kalenderjahres, in dem der Anspruch entstanden ist. Gilt eine einstufige Ausschlussfrist, genügt es, wenn der Arbeitnehmer seinen Anspruch innerhalb dieser Ausschlussfrist in der darin vorgegebenen Form geltend macht. Danach läuft die Verjährung, deren Lauf dann nach den allgemeinen BGB-Regeln auch wieder gehemmt sein kann. Erhebt der Arbeitnehmer rechtzeitig vor Ablauf der Verjährungsfrist eine Klage auf Gutschrift eines Zeitguthabens, wird die Verjährung dadurch nach § 204 Abs. 1 Nr. 1 BGB gehemmt. Zur Wahrung der einstufigen Ausschlussfrist genügt die rechtzeitige Erhebung der Klage vor Ablauf der Ausschlussfrist (BAG, 15.07.2021 – 6 AZR 207/20 – mit Hinweis auf §§ 253 Abs. 1, 167 ZPO).
8.3 Befristungskontrollklage
Tarifliche Ausschlussfristen werden bezüglich des Anspruchs auf Urlaubsabgeltung nicht durch Erhebung einer Befristungskontrollklage gewahrt. Diese Klage lässt die Obliegenheit des Arbeitnehmers, seinen Anspruch nach Maßgabe der tariflichen Verfallklausel geltend zu machen, nicht entfallen (s. dazu BAG, 17.10.2017 - 9 AZR 80/17). Zwar wahrt ein Arbeitnehmer mit einer Bestandsschutzklage, "ohne dass es einer bezifferten Geltendmachung bedarf, eine einstufige Ausschlussfrist bzw. die erste Stufe einer zweistufigen Ausschlussfrist für alle aus dem Fortbestand des Arbeitsverhältnisses resultierenden Ansprüche" (s. dazu BAG, 24.09.2014 - 5 AZR 593/12 u. BAG, 19.09.2012 - 5 AZR 627/11). Der Urlaubsabgeltungsanspruch knüpft aber nicht an den Fortbestand des Arbeitsverhältnisses, sondern an das genaue Gegenteil: seine Beendigung. "Will der Arbeitnehmer den Verfall solcher Ansprüche verhindern, reicht die Erhebung einer Befristungskontrollklage nicht aus" (BAG, 07.07.2020 – 9 AZR 123/19 – mit Hinweis auf BAG, 17.10.2017 - 9 AZR 80/17).
8.4 Equal pay
Arbeitgeber A, ein Unternehmen der Leiharbeitsbranche, hatte mit Arbeitnehmerin N in § 15 Abs. 2 ihres Arbeitsvertrags eine 2-stufige Ausschlussfrist vereinbart. Im dritten Abs. des § 15 hieß es zudem: "Absatz 1 gilt auch für etwaige Ansprüche des Mitarbeiters nach § 10 Absatz 4 Arbeitnehmerüberlassungsgesetz auf Gewährung der gleichen wesentlichen Arbeitsbedingungen einschließlich des Arbeitsentgelts eines vergleichbaren Arbeitnehmers im jeweiligen Kundenbetrieb." N machte ihre Ansprüche auf gleiches Arbeitsentgelt gegenüber A aus dem Zeitraum 24.01.2017 bis 28.04.2017 erst mit Schreiben vom 22.08.2017 geltend - ihre Zahlungsklage scheiterte. "Die Klägerin musste die erste Stufe der Ausschlussfristenregelung in § 15 Abs. 1 Arbeitsvertrag beachten. Es handelt sich um eine eigenständige arbeitsvertragliche Regelung, die der AGB-Kontrolle standhält. Dem steht die Unabdingbarkeit (§ 9 Abs. 1 Nr. 2 AÜG) des Anspruchs aus § 8 Abs. 1 AÜG bzw. § 10 Abs. 4 AÜG aF nicht entgegen, weil Ausschlussfristen ausschließlich die Art und Weise der Durchsetzung eines entstandenen Anspruchs betreffen und nicht zu dessen Inhalt gehören" (BAG, 16.12.2020 - 5 AZR 22/19 - mit Hinweis auf BAG, 13.03.2013 - 5 AZR 954/11).
8.5 (Ersatz)Urlaubsanspruch
Ausschlussfristen, die zu einer Verkürzung der im Gesetz vorgesehenen Fristen zur Geltendmachung des Urlaubsanspruchs führen, können für den gesetzlichen Mindesturlaub nicht wirksam vereinbart werden. "§ 7 Abs. 3 BUrlG unterstellt die gesetzlichen Urlaubsansprüche einem eigenständigen Fristenregime, das den Arbeitnehmer lediglich zwingt, seine Ansprüche rechtzeitig vor Ablauf des Urlaubsjahres oder des Übertragungszeitraums zu verlangen" (s. dazu BAG, 18.11.2003 - 9 AZR 95/03; BAG, 23.11.2017 - 6 AZR 43/16 u. BAG, 12.11.2013 - 9 AZR 727/12). § 13 BUrlG lässt keine Abweichung hiervon zuungunsten des Arbeitnehmers durch Ausschlussfristen, die den Arbeitnehmer zwingen, die Erfüllung gesetzlicher Urlaubsansprüche zur Vermeidung ihres Erlöschens zu einem früheren Zeitpunkt geltend zu machen als nach § 7 Abs. 3 BUrlG gefordert, zu. Und was bedeutet das für den Anspruch auf Ersatzurlaub? "Der als Schadensersatz an die Stelle des erloschenen Urlaubsanspruchs tretende Ersatzurlaub unterliegt wie der Urlaubsanspruch keinen Ausschlussfristen" (BAG, 19.06.2018 - 9 AZR 615/17 - Leitsatz).
8.6 Fälligkeit
Will man den in einer Ausschluss-/Verfallklausel verwendeten Begriff "Fälligkeit" auslegen, muss das interessengerecht unter "Einbeziehung des Kenntnisstandes des Gläubigers und subjektiver Zurechnungsgesichtspunkte" passieren. Das entspricht den grundsätzlichen Wertungen des § 199 Abs. 1 Nr. 2 BGB. So ist ein Schadensersatzanspruch beispielsweise nach ständiger BAG-Rechtsprechung i.S. einer Ausschlussfrist erst dann fällig, "wenn der Schaden für den Gläubiger feststellbar ist und geltend gemacht werden kann." Feststellbar wiederum ist der Schaden, "sobald der Gläubiger vom Schadensereignis Kenntnis erlangt oder bei Beachtung der gebotenen Sorgfalt Kenntnis erlangt hätte." Erst dann, wenn der Gläubiger in der Lage ist, sich ohne schuldhaftes Zögern einen Überblick zu verschaffen und seine Forderung zumindest annähernd beziffern kann, kann eine Schadensersatzforderung geltend gemacht werden (BAG, 28.06.2019 - 8 AZR 141/16 - mit Hinweis auf BAG, 18.08.2011 - 8 AZR 187/10; BAG, 16.05.2007 - 8 AZR 709/06; BAG, 01.03.2006 - 5 AZR 511/05; BAG, 27.10.2005 - 8 AZR 3/05 u. BAG, 25.05.2005 - 5 AZR 572/04).
8.7 Fristwahrung durch Kündigungsschutzklage?
Bei einer 2-stufigen Ausschlussfrist muss der Anspruchsberechtigte beide Fristen wahren. Wenn die rechtzeitige Geltendmachung auf der ersten Stufe nach dem maßgeblichen Tarifvertrag schriftlich erfolgen muss, muss der Arbeitnehmer das innerhalb der dafür vorgesehen Frist umsetzen. Hat er das gemacht, wahrt er mit einer Kündigungsschutzklage die zweite Stufe der Ausschlussklausel auch dann, wenn er keinen bezifferten Antrag stellt. Und das "für alle aus dem Fortbestand des Arbeitsverhältnisses resultierenden Ansprüche" (so: BAG, 24.09.2014 – 5 AZR 593/12 u. BAG, 19.09.2012 – 5 AZR 627/11). Für den Urlaubsabgeltungsanspruch gilt: "Der Anspruch auf Urlaubsabgeltung knüpft nicht an den mit der Kündigungsschutzklage angestrebten Fortbestand des Arbeitsverhältnisses an, sondern setzt mit der in § 7 Abs. 4 BUrlG geforderten Beendigung des Arbeitsverhältnisses gerade das Gegenteil voraus. Will der Arbeitnehmer den Verfall solcher Ansprüche verhindern, reicht die Erhebung einer Kündigungsschutzklage nicht aus" (BAG, 27.10.2020 - 9 AZR 531/19 – mit Hinweis auf BAG, 17.10.2017 – 9 AZR 80/17).
8.8 Hemmung der Ablauffrist
Wenn zwischen Schuldner und Gläubiger Verhandlungen über den Anspruch oder die den Anspruch begründenden Umstände schweben, sagt § 203 Satz 1 BGB, "ist die Verjährung gehemmt, bis der eine oder der andere Teil die Fortsetzung der Verhandlungen verweigert." Vergleichsverhandlung i.S.d. § 203 Satz 1 BGB meint grundsätzlich jeden den Anspruch oder die ihm zugrundeliegenden Umstände betreffenden Meinungsaustausch, sofern der Schuldner die Verhandlung nicht gleich und erkennbar ablehnt. Das bedeutet für eine doppelte Verfallklausel: "Verlangt eine arbeitsvertragliche Ausschlussfristenregelung, dass ein Anspruch aus dem Arbeitsverhältnis zur Vermeidung seines Verfalls innerhalb einer bestimmten Frist gerichtlich geltend gemacht werden muss, ist die Ausschlussfrist in entsprechender Anwendung des § 203 Satz 1 BGB gehemmt, solange die Parteien vorgerichtliche Vergleichsverhandlungen führen" (BAG, 20.06.2018 - 5 AZR 262/17 - Leitsatz).
8.9 Hinweis auf drohenden Verfall - 1
"1. Der Anspruch auf den gesetzlichen Mindesturlaub (§§ 1, 3 Abs. 1 BUrlG) erlischt bei einer mit Art. 7 der Richtlinie 2003/88/EG konformen Auslegung von § 7 BUrlG nur dann am Ende des Kalenderjahres (§ 7 Abs. 3 Satz 1 BUrlG) oder eines zulässigen Übertragungszeitraums (§ 7 Abs. 3 Satz 3 und Satz 4 BUrlG), wenn der Arbeitgeber den Arbeitnehmer zuvor in die Lage versetzt hat, seinen Urlaubsanspruch wahrzunehmen, und der Arbeitnehmer den Urlaub dennoch aus freien Stücken nicht genommen hat.
2. Die Befristung des Urlaubsanspruchs nach § 7 Abs. 3 BUrlG setzt grundsätzlich voraus, dass der Arbeitgeber seinen aus einem richtlinienkonformen Verständnis von § 7 Abs. 1 Satz 1 BUrlG resultierenden Mitwirkungsobliegenheiten bei der Verwirklichung des Urlaubsanspruchs genügt, indem er den Arbeitnehmer - erforderlichenfalls förmlich - auffordert, seinen Urlaub zu nehmen, und ihm klar und rechtzeitig mitteilt, dass der Urlaub mit Ablauf des Kalenderjahres oder Übertragungszeitraums verfällt, wenn er ihn nicht beantragt" (BAG, 19.02.2019 - 9 AZR 423/16 - Leitsätze).
8.10 Hinweis auf drohenden Verfall - 2
Die im vorausgehenden Gliederungspunkt dargestellten Grundsätze gelten nicht zwingend für tarifvertraglich geregelte Ansprüche auf Mehrurlaub. "Die unionsrechtlichen Vorgaben betreffen ausschließlich den gesetzlichen Urlaubsanspruch von vier Wochen. Die Tarifvertragsparteien können Urlaubs- und Urlaubsabgeltungsansprüche, die den von Art. 7 Abs. 1 der Richtlinie 2003/88/EG gewährleisteten und von §§ 1, 3 Abs. 1 BUrlG begründeten Anspruch auf Mindestjahresurlaub von vier Wochen übersteigen, frei regeln. Ihre Regelungsmacht ist nicht durch die für gesetzliche Urlaubsansprüche erforderliche richtlinienkonforme Auslegung der §§ 1, 7 BUrlG beschränkt" (s. dazu BAG, 05.08.2014 - 9 AZR 77/13 u. EuGH, 03.05.2012 - C-337/10)." Will man keinen Gleichlauf von gesetzlichen und tariflichen Mehrurlaubsansprüchen annehmen, müssen jedoch greifbare Anhaltspunkte für einen entsprechenden Willen der Tarifvertragsparteien bestehen - ein abweichendes Fristenregime allein genügt nicht, die Obliegenheiten des Arbeitgebers (s. dazu den vorausgehenden Gliederungspunkt) entfallen zu lassen (BAG, 19.02.2019 - 9 AZR 541/15).
8.11 Hinweis auf drohenden Verfall - 3
Bis zur EuGH-Entscheidung vom 06.11.2018 - C-619/16 - war eigentlich alles recht einfach. Hat der Arbeitnehmer keinen Urlaub beantragt, war der Urlaub - wenn keine Übertragungsvoraussetzung nach § 7 Abs. 3 Satz 2 BUrlG vorlag - mit dem Ende des Urlaubsjahres verfallen. Und das ersatzlos. Das ist nun anders: Der Urlaubsanspruch erlischt nur dann, wenn der Arbeitgeber den Mitarbeiter zuvor über seinen Urlaubsanspruch und den Verfall dieses Anspruchs belehrt und ihn aufgefordert hat, diesen Urlaub zu nehmen, um ihn vor dem drohenden Verfall zu retten. Und das gilt nicht nur für das laufende Urlaubsjahr, sondern auch für den Urlaub aus vorangegangenen Kalenderjahren (LAG Köln, 09.04.2019 - 4 Sa 242/18).
8.12 Rechtsmissbräuchlicher Einwand
Dem infolge einer Ausschlussklausel (hier: § 23 AVR Caritas) regelmäßig eintretenden Anspruchsverfall kann der Grundsatz von Treu und Glauben - § 242 BGB - entgegengehalten werden. Das betriff einmal die Situation, dass der Schuldner den Gläubiger aktiv von der Einhaltung der Ausschlussfrist abhält (s. dazu BAG, 28.09.2017 - 8 AZR 67/15 u. BAG, 06.09.2006 - 5 AZR 684/05), zum anderen aber auch Sachverhalte, bei denen "der Schuldner dem Gläubiger die Geltendmachung des Anspruchs oder die Einhaltung der Frist durch ein positives Tun oder durch ein pflichtwidriges Unterlassen erschwert oder unmöglich gemacht hat oder .. an objektiven Maßstäben gemessen den Eindruck erweckt hat, der Gläubiger könne darauf vertrauen, dass der Anspruch auch ohne Wahrung einer geltenden Ausschlussfrist erfüllt werde" (s. dazu BAG, 18.08.2011 - 8 AZR 187/10 u. BAG, 10.10.2002 - 8 AZR 8/02; bestätigt durch BAG, 11.04.2019 - 6 AZR 104/18). Zudem greift der Einwand Ausschlussfrist nicht, wenn sich eine Partei damit in Widerspruch zu ihrem vorausgehenden Verhalten setzt, zuvor ein für die andere Partei ein schützenswerter Vertrauenstatbestand geschaffen wurde oder sonstige besondere Umstände die Rechtsausübung als treuwidrig erscheinen lassen (BAG, 28.06.2018 - 8 AZR 141/16 - mit Hinweis auf BAG, 24.05.2018 - 6 AZR 308/17 u. BAG, 27.04.2017 - 6 AZR 367/16).
8.13 Rechtsvernichtende Einwendung
Wenn eine Klageforderung einer Ausschlussfrist unterliegt, ist die Einhaltung dieser Ausschlussfrist von Amts wegen zu prüfen - und das ohne vorausgehende Rüge des Klagegegners (s. dazu BAG, 11.12.2014 - 8 AZR 838/13, vertragliche Ausschlussfrist; BAG, 24.08.2016 - 5 AZR 853/15, tarifliche Ausschlussfrist. Der Schuldner braucht sich nicht auf die Wirkung der Ausschlussfrist zu berufen - sie ist eine rechtsvernichtende Einwendung (s. dazu BAG, 24.08.2016 - 5 AZR 853/15 - und BAG, 16.03.2016 - 4 AZR 421/15). "Die rechtzeitige Geltendmachung ist eine materiell-rechtliche Voraussetzung für den Fortbestand des behaupteten Anspruchs, die zur schlüssigen Darlegung der Begründetheit einer Klageforderung gehört (BAG, 19.06.2018 - 9 AZR 615/17 - mit Hinweis auf BAG, 20.04.2012 - 9 AZR 504/10).
8.14 Tod des Arbeitnehmers
Stirbt ein Arbeitnehmer, haben seine Erben gem. § 1922 Abs. 1 BGB i.V.m. § 7 Abs. 4 BUrlG Anspruch auf Abgeltung der noch nicht erfüllten Urlaubsansprüche. Es gilt der Grundsatz der Universalsukzession - mit dem Ergebnis, dass der Abgeltungsanspruch nach einer tariflichen Ausschlussfrist verfallen kann, wenn er nicht rechtzeitig geltend gemacht wird. Weiter vorausgesetzt, die Ausschlussfrist erfasst den Urlaubsabgeltungsanspruch und der Arbeitnehmer hätte sie wegen bestehender Tarifgebundenheit bei seinem Fortleben wahren müssen, um so den Verfall des Anspruchs zu verhindern. Der Abgeltungsanspruch entsteht mit dem Tod des Erblassers (= rechtliche Beendigung des Arbeitsverhältnisses, Wegfall des Abgeltungsverbots) und wird gleichzeitig fällig (BAG, 22.01.2019 - 9 AZR 149/17).
8.15 Unionsrechtlicher Staatshaftungsanspruch
Leistet ein Arbeitnehmer - hier: Angestellter im feuerwehrtechnischen Dienst - in gegen EU-Bestimmungen verstoßender Weise Zuvielarbeit (hier: eine über 48 Stunden hinausgehende Arbeitszeit), kann das einen unionsrechtlichen Staatshaftungsanspruch (= finanzieller Ausgleich für die zu viel geleistete Arbeit) auslösen. Bei diesem Anspruch handelt es sich um ein vom EuGH entwickeltes Rechtsinstitut, nach dem die EU-Mitgliedstaaten verpflichtet sind, Schäden zu ersetzen, die einzelnen EU-Bürgern durch dem jeweiligen EU-Staat zuzurechnende Verstöße gegen das Unionsrecht entstehen. Der Anspruch unterliegt tariflichen Verfallklauseln: "Der unionsrechtliche Staatshaftungsanspruch wegen unionsrechtswidriger Zuvielarbeit ist ein Anspruch 'aus dem Arbeitsverhältnis' iSd. § 37 TVöD-V" (BAG, 11.04.2019 - 6 AZR 104/18 - Leitsatz - mit dem Ergebnis, dass der Anspruch hier nicht rechtzeitig geltend gemacht worden war).
8.16 Urlaubsabgeltung
Erst mit Beendigung des Arbeitsverhältnisses wird aus dem Urlaubsanspruch ein Urlaubsabgeltungsanspruch. Dieser Urlaubsabgeltungsanspruch ist dann ein reiner Geldanspruch (s. dazu u.a. BAG, 07.07.2020 – 9 AZR 323/19 u. BAG, 22.01.2019 – 9 AZR 149/17). Eine tarifliche Ausschlussklausel, die vorsieht, dass "alle übrigen Ansprüche innerhalb von drei Monaten nach ihrer Fälligkeit" gegenüber dem Arbeitgeber schriftlich geltend zu machen sind, verstößt nicht gegen den unabdingbaren Schutz des gesetzlichen Mindesturlaubs. Diesem Ergebnis steht auch EU-Recht nicht entgegen. "Die Festsetzung von angemessenen Ausschlussfristen ist als Anwendungsfall des grundlegenden Prinzips der Rechtssicherheit grundsätzlich mit dem Erfordernis der Effektivität vereinbar" (BAG, 27.10.2020 – 9 AZR 531/19 – mit Hinweis auf EuGH, 21.12.2016 – C-154/15, C-307/15 u. C-308/15).
8.17 Wahrung durch Kündigungsschutzklage
Eine arbeitsvertraglich einbezogene tarifvertragliche Ausschlussfrist zur Geltendmachung arbeitsrechtlicher Ansprüche kann durch die Erhebung einer Kündigungsschutzklage gewahrt werden. "Mit einer Bestandsschutzklage wahrt der Arbeitnehmer, ohne dass es einer bezifferten Geltendmachung bedarf, eine einstufige Ausschlussfrist bzw. die erste Stufe einer zweistufigen Ausschlussfrist für alle aus dem Fortbestand des Arbeitsverhältnisses resultierenden Ansprüche" (s. dazu BAG, 17.10.2017 - 9 AZR 80/17). Mit seiner Bestandsschutzklage macht der Arbeitnehmer bei einer zweistufigen Ausschlussfrist zugleich die Ansprüche "gerichtlich geltend", die vom Ausgang dieses Rechtsstreits abhängen (BAG, 02.10.2018 - 5 AZR 376/17 - mit Hinweis auf BAG, 24.09.2014 - 5 AZR 593/12).