Rechtsdatenbank
Welche Fragen Arbeitgeber auch zum Thema Sozialversicherungsrecht bewegen: Die Rechtsdatenbank der AOK liefert die Antworten – einfach, fundiert und topaktuell.

Welche Fragen Arbeitgeber auch zum Thema Sozialversicherungsrecht bewegen: Die Rechtsdatenbank der AOK liefert die Antworten – einfach, fundiert und topaktuell.
Die Inhalte des Bereichs „Fachwissen SV“ geben Ihnen kostenlos Auskunft zu allen Themen der Sozialversicherung. Sie sind ein exklusives Angebot für eingeloggte Nutzer.
Jetzt einloggen:
Sie sind noch nicht registriert?
Ausschlussfristen - Allgemeines
Ausschlussfristen - Allgemeines
Inhaltsübersicht
- 1.
- 2.
- 3.
- 4.
- 5.
- 6.
- 7.Rechtsprechungs-ABC
- 7.1
- 7.2
- 7.3
- 7.4
- 7.5
- 7.6
- 7.7
- 7.8
- 7.9
- 7.10
- 7.11
- 7.12
- 7.13
- 7.14
- 7.15
- 7.16
- 7.17
- 7.18
- 7.19
- 7.20
- 7.21
- 7.22
- 7.23
- 7.24
- 7.25
- 7.26
- 7.27
- 7.28
- 7.29
- 7.30
- 7.31
- 7.32
- 7.33
- 7.34
- 7.35
Information
1. Allgemeines
Ausschlussfristen dienen dem Rechtsfrieden und der Rechtssicherheit. Der Schuldner soll innerhalb einer bestimmten Frist sicher sein, ob und welche Ansprüche ihm gegenüber vom Gläubiger noch erhoben werden. Ausschlussfristen können sowohl Gegenstand gesetzlicher Regelungen als auch tarif- bzw. einzelvertraglicher Vereinbarungen sein. Besondere Bedeutung kommt hierbei den tarifvertraglichen Regelungen zu.
Ausschlussfristen sind auf die Rechtsbeziehungen zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer anzuwenden. Auf die Rechtsbeziehungen zwischen Arbeitnehmer finden Ausschlussfristen dagegen keine Anwendung. Dies gilt auch dann, wenn die Ansprüche auf den Arbeitgeber übergegangen sind (z.B. § 6 EFZG).
2. Begriff
Die Ausschlussfrist ist die Zeitspanne, in der Ansprüche geltend gemacht werden müssen, sollen sie nicht mit Ablauf der Ausschlussfrist erlöschen. Ausschlussfristen begrenzen damit zeitlich den Bestand von Ansprüchen.
Dabei sind grundsätzlich die einseitige und die zweiseitige Ausschlussfrist zu unterscheiden:
die einseitige Ausschlussfrist gilt nur für eine der beiden Vertragsparteien,
währenddessen die zweiseitige Ausschlussfrist Arbeitgeber und Arbeitnehmer bindet.
Nach der Rechtsprechung des BAG sind arbeitsvertragliche vereinbarte einseitige Ausschlussfristen unwirksam. Ausschlussfristen müssen gleichermaßen für Arbeitnehmer und Arbeitgeber gelten (BAG, 31.08.2005 - 5 AZR 545/04). Etwas anderes gilt bei einseitigen Ausschlussfristen, die von den Tarifvertragsparteien vereinbart worden sind.
Des Weiteren ist zwischen der einstufigen und der zweistufigen Ausschlussfrist zu unterscheiden.
Bei der einstufigen Ausschlussfrist muss der Anspruch innerhalb einer bestimmten Frist mündlich, in Textform oder schriftlich geltend gemacht werden.
Bei der zweistufigen Ausschlussfrist muss im Anschluss an die zunächst erfolglose Geltendmachung eine gerichtliche Geltendmachung folgen. Nach ständiger Rechtsprechung des BAG ist die Erhebung einer Kündigungsschutzklage grundsätzlich geeignet, die in Ausschlussfristenregelungen vorgesehene außergerichtliche Geltendmachung zu erfüllen, soweit Ansprüche betroffen sind, die vom Ausgang des Kündigungsschutzstreits abhängen (BAG, 17.11.2009 – 9 AZR 745/08). Nach Auffassung des BAG muss bei einer arbeitsvertraglich vereinbarten zweistufigen Ausschlussfrist sowohl für die erste als auch für die zweite Stufe eine Mindestfrist von drei Monaten vereinbart werden. Eine Ausschlussfrist von weniger als drei Monaten benachteilige den Arbeitnehmer unangemessen und ist daher unwirksam (BAG, 28.09.2005 - 5 AZR 52/05; BAG, 13.03.2013 – 5 AZR 424/12). Nach bisheriger Rechtsprechung des BAG war für die Wahrung der zweiten Stufe einer tarifvertraglichen Ausschlussfrist regelmäßig die Erhebung einer bezifferten Zahlungs- oder Feststellungsklage erforderlich. Diese Rechtsprechung hat das BAG im Jahr 2012 aufgegeben. Nunmehr reicht nach der Rechtsprechung des BAG, dass die vom Erfolg einer Bestandsstreitigkeit abhängigen Ansprüche bereits mit der Klage in der Bestandsstreitigkeit gerichtlich geltend gemacht wird (BAG, 19.9.2012 – 5 AZR 924/11). Werden die Ausschlussfristen zu kurz bemessen, werden sie insgesamt unwirksam und nicht auf drei Monate verlängert. In diesem Fall gelten dann die Fristen für die Verjährung von Ansprüchen. Ist bei einer zweistufigen Ausschlussfrist nur eine der beiden Fristen wirksam, bleibt die wirksame Frist als teilbare Klausel erhalten (ebd.). Stellt die zweite Stufe einer tariflichen Ausschlussfrist auf die Beendigung des Arbeitsverhältnisses ab, ist eine verfassungskonforme Auslegung dieser Norm dahin, dass bereits durch die Kündigungsschutzklage im Vorprozess die Ausschlussfrist zur Wahrung von Annahmeverzugsansprüchen gewahrt wird, nicht geboten (LAG Schleswig-Holstein, 07.05.2013 – 1 Sa 342/12).
Bei einer zweistufigen Ausschlussfrist wahrt nur eine zulässige Klage die Anforderungen an eine gerichtliche Geltendmachung. Die fristgerechte Einreichung eines Antrags im Mahnverfahren ist eine rechtzeitige gerichtliche Geltendmachung, wenn im Falle des Widerspruchs alsbald ein Termin zur mündlichen Verhandlung bestimmt wird.
Ausschlussfristen können in Tarifverträgen, Betriebsvereinbarungen und Einzelarbeitsverträgen vereinbart werden. Zulässig sind Ausschlussfristen auch in Formulararbeitsverträgen.
3. Tarifvertragliche Ausschlussfristen
Tarifvertragliche Ausschlussfristen sind grundsätzlich zulässig. Ausschlussfristen für die Geltendmachung tarifvertraglicher Rechte können nur in einem Tarifvertrag geregelt werden, § 4 Abs. 4 TVG. Darüber hinaus können in Tarifverträgen auch für Rechte, die Arbeitnehmer aus einer Betriebsvereinbarung erwerben, Ausschlussfristen vereinbart werden, § 77 Abs. 4 Satz 4 BetrVG. Nach der Rechtsprechung des BAG verstoßen unterschiedliche Ausschlussfristen für Arbeiter und Angestellte nicht gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz aus Art. 3 GG. Insofern sind einseitige tarifliche Ausschlussfristen, nach denen nur Ansprüche des Arbeitnehmers und nicht solche des Arbeitgebers dem tariflichen Verfall unterliegen, grundsätzlich zulässig. Dies gilt auch dann, wenn die Ausschlussklausel nicht nur tarifliche Ansprüche, sondern alle Ansprüche des Arbeitnehmers aus dem Arbeitsverhältnis umfasst. Der Gleichheitsgrundsatz aus Art. 3 GG ist nach der Rechtsprechung des BAG auch dann nicht verletzt, wenn die Tarifvertragsparteien für gewerbliche Arbeitnehmer und Angestellte unterschiedliche Ausschlussfristen vereinbart haben (BAG, 04.12.1997 - 2 AZR 809/96). In ständiger Rechtsprechung des BAG sind tarifvertragliche Ausschlussfristen eng auszulegen (BAG, 11.11.2010 – 8 AZR 392/09; BAG, 18.8.2011 – 8 AZR 187/10).
Gilt eine tarifliche Ausschluss, die wie folgt formuliert ist: "Ansprüche aus diesem Tarifvertrag", so werden von ihr nur tarifliche, nicht aber vertragliche oder gesetzliche Ansprüche umfasst. Dagegen umfasst die Formulierung "alle beidseitigen Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis" einschränkungslos alle wechselseitigen Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis (BAG, 18.08.2011 – 8 AZR 187/10).
4. Ausschlussfristen in Betriebsvereinbarungen
Die Betriebspartner sind grundsätzlich befugt in einer Betriebsvereinbarung Ausschlussfristen für die Geltendmachung von Ansprüchen zu vereinbaren. Dies wird ausdrücklich durch § 77 Abs. 4 Satz 4 BetrVG klargestellt, wonach Ausschlussfristen für die Geltendmachung von Rechten, die den Arbeitnehmern durch eine Betriebsvereinbarung eingeräumt worden sind, auch in einer Betriebsvereinbarung vereinbart werden können. Der Tarifvorbehalt des § 77 Abs. 3 BetrVG schränkt diese Befugnis jedoch ein. Sind Ausschlussfristen für die Geltendmachung von Ansprüchen aus dem Arbeitsverhältnis tarifvertraglich geregelt, können durch Betriebsvereinbarungen nur dann Ausschlussfristen wirksam festgelegt werden, soweit die tarifliche Regelung eine Öffnungsklausel enthält (BAG, 09.04.1991 - 1 AZR 406/90).
5. Vertragliche Ausschlussfristen
Im Rahmen der Vertragsfreiheit ist die einzelvertragliche Vereinbarung von Ausschlussfristen zulässig, soweit dadurch nicht durch Tarifvertrag begründete und abdingbar gesetzliche Ansprüche berührt werden.
Wichtig!
Zum 01.10.2016 hat der Gesetzgeber den § 309 Nr. 13 BGB geändert: Demnach unterliegen Ausschlussklauseln (auch: Verfallsklauseln) bei Neuverträgen künftig nicht mehr der sog. Schriftformerfordernis. Vielmehr können Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis, sofern keine tarifliche Regelung besteht, künftig auch per Fax, E-Mail oder sogar per SMS bzw. Messenger geltend gemacht werden. Ausschlussklausel in Formulararbeitsverträgen - die Allgemeinen Geschäftsbedingungen entsprechen - sind fortan unwirksam, wenn sie zur Geltendmachung „eine strengere Form als die Textform“ verlangen. Folge: Ansprüche können noch während der gesamten gesetzlichen Verjährungsfrist von drei Jahren geltend gemacht werden.
Beispiel für eine arbeitsvertragliche Ausschlussfrist:
"Alle gegenseitigen Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis und soweit sie mit dem Arbeitsverhältnis in Verbindung stehen verfallen, wenn sie nicht innerhalb folgender Ausschlussfristen in Textform gegenüber der Gegenpartei geltend gemacht werden:
Ansprüche auf Arbeitsentgelt einschließlich Zuschlägen und sonstiger Entgeltzahlung gleich aus welchem Rechtsgrund, innerhalb von vier Wochen nach Erhalt der Abrechnung.
Alle übrigen Ansprüche innerhalb von zwei Monaten nach ihrer Fälligkeit."
Zweistufige vertragliche Ausschlussfristen von jeweils zwei Monaten, für die schriftliche Geltendmachung ab Fälligkeit und für die gerichtliche Geltendmachung ab Ablehnung des Anspruchs, können einzelvertraglich vereinbart werden (LAG Niedersachsen, 09.08.2001 - 14 Sa 2255/00).
Die Ausschlussfristen werden jedoch nur dann Vertragsinhalt, wenn sie im Arbeitsvertrag klar und eindeutig formuliert sind. Werden sie ohne besonderen Hinweis und ohne drucktechnische Hervorhebung unter falscher oder missverständlicher Überschrift (z.B. Lohnabrechnung und Zahlung) eingeordnet, werden sie als überraschende Klausel nicht Bestandteil des Arbeitsvertrages. Die einzelvertraglich vereinbarten Ausschlussfristen unterliegen einer Inhaltskontrolle nach Treu und Glauben gemäß § 242 BGB. So erfasst eine einzelvertraglich vereinbarte Ausschlussfrist in der Regel nicht den bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses entstehenden Zeugnisanspruch.
Eine Ausschlussfrist im Arbeitsvertrag kann auch unter Bezugnahme auf eine entsprechende Bestimmung des einschlägigen Tarifvertrages vereinbart werden. Die Wirkung einer Ausschlussfrist kraft Bezugnahme auf einen Tarifvertrag tritt auch dann ein, wenn weder der Arbeitgeber noch der Arbeitnehmer Kenntnis vom Inhalt der tarifvertraglichen Ausschlussfrist haben.
Aus in Formulararbeitsverträgen können Ausschlussfristen wirksam vereinbart werden. Ausschlussfristen in vorformulierten Arbeitsverträgen unterliegen der AGB-Kontrolle, sind also an den §§ 305 ff. BGB zu messen. Einseitige Ausschlussfristen in Formulararbeitsverträgen, die nur für den Arbeitnehmer zum Anspruchsverlust führen, widersprechen einer ausgewogenen Vertragsgestaltung und sind deshalb nach § 307 Abs. 1 Satz 1 BGB unwirksam. Eine einzelvertragliche, der AGB-Kontrolle unterliegende Ausschlussfrist, die für "alle Ansprüche der Vertragsparteien aus oder im Zusammenhang mit dem Arbeitsverhältnis" gelten soll, erfasst auch Ansprüche aus der Haftung wegen Vorsatzes sowie für Schäden, die auf Verletzung des Lebens, des Körpers oder der Gesundheit oder auf grober Fahrlässigkeit beruhen. Eine solche Ausschlussfrist ist unwirksam (LAG Hamm, 25.9.2012 – 14 Sa 280/12). Sie verstößt gegen das Transparenzgebot des § 307 Abs. 1 Satz 2 BGB sowie gegen § 309 Br. 7 BGB, denn eine Verkürzung der Verjährungsfristen stellt einen Haftungsausschluss bzw. Haftungsbegrenzung im Sinne dieser Vorschriften dar (LAG Hamm, 25.9.2012 – 14 Sa 280/12).
Ausschlussfristen sind im Arbeitsleben üblich. Dennoch können Ausschlussfristen in Formulararbeitsverträgen überraschend sein und damit gegen § 305c Abs. 1 BGB verstoßen, wenn sie nicht transparent im Vertrag hervorgehoben sind und insbesondere an ungewöhnlicher und überraschender Stelle im Vertrag untergebracht sind, etwa unter der missverständlichen Überschrift "Schlussbestimmungen" (BAG, 31.08.2005 - 5 AZR 545/04).
Ausschlussfristen in Formulararbeitsverträgen, die eine gerichtliche Geltendmachung zwingend vorsehen, sind nicht bereits nach § 309 Nr. 13 BGB unwirksam (BAG, 25.05.2005 - 5 AZR 572/04). In Formulararbeitsverträgen können also zweistufige Ausschlussklauseln vereinbart werden. Die Mindestfrist für die gerichtliche Geltendmachung der Ansprüche beträgt drei Monate. Ist die Ausschlussfrist zu kurz bemessen, benachteiligt sie den Arbeitnehmer unangemessen und ist deshalb unwirksam. Die Ausdehnung auf eine zulässige Dauer kommt nicht in Betracht. Es gilt dann allein das gesetzliche Verjährungsrecht.
Ausschlussklausel, die in ihrer Formulierung "Sämtliche Ansprüche" erfassen wollen, sind gem. § 134 BGB iVm. § 202 Abs. 1 BGB insoweit teilnichtig, da Ansprüche aus einer Haftung wegen Vorsatzes nicht im Vorfeld einbezogen werden dürfen. Rechtsfolge für unwirksam vereinbarte einzelvertragliche Ausschlussfristen ist ansonsten die Nichtigkeit der gesamten Ausschlussfrist, da eine geltungserhaltene Reduktion wegen § 306 Abs. 2 BGB ausscheidet (BAG, 25.05.2005 - 5 AZR 572/04).
6. Kenntnis
Tarifliche Verfallsfristen laufen grundsätzlich ohne Rücksicht auf Kenntnis der Arbeitsvertragspartei von der Ausschlussfrist (BAG, 18.02.1992 - 9 AZR 611/90).
Die Wirkung einer Ausschlussfrist in einem Tarifvertrag tritt auch dann ein, wenn die Parteien des von einem Tarifvertrag erfassten Einzelarbeitsvertrages keine Kenntnis von der tariflichen Ausschlussklausel haben. Der Arbeitgeber ist nicht verpflichtet, den Arbeitnehmer bei Arbeitvertragschluss auf Ausschlussklauseln des anzuwendenden Tarifvertrages hinzuweisen. Dies gilt auch dann, wenn in einem Formulararbeitsvertrag die Vorschriften eines Tarifvertrages ergänzend Anwendung finden sollen und ansonsten keine Tarifbindung bestehen würde.
7. Rechtsprechungs-ABC
An dieser Stelle werden einige der interessantesten Entscheidungen zum Thema Ausschlussfristen in alphabetischer Reihenfolge nach Stichwörtern geordnet vorgestellt:
7.1 Abbedungene Ausschlussfristen
Will eine Vertragspartei ihren Anspruch im Klageverfahren schlüssig begründen, gehört dazu grundsätzlich auch die Darlegung, dass die maßgeblichen tariflichen Verfallfristen beachtet wurden. Die Einhaltung dieser Fristen ist eine materiell-rechtliche Voraussetzung für das Bestehen des behaupteten Anspruchs – und von Amts wegen zu berücksichtigen. Auch von Amts wegen ist der Umstand zu prüfen, ob die Anwendung der tariflichen Ausschlussfristen im Einzelfall ausgeschlossen ist, zum Beispiel, weil die Vertragspartner ihre Geltung abbedungen haben. Und so eine Abbedingung von tariflichen Ausschlussfristen ist nach dem Günstigkeitsprinzip jederzeit möglich (BAG, 13.05.2020 – 4 AZR 489/19 – mit Hinweis auf BAG, 21.01.2006 – 4 AZR 622/04).
7.2 Ablaufhemmung
Wenn zwischen Schuldner und Gläubiger Verhandlungen über den Anspruch oder die den Anspruch begründenden Umstände schweben, sagt § 203 Satz 1 BGB, "ist die Verjährung gehemmt, bis der eine oder der andere Teil die Fortsetzung der Verhandlungen verweigert." Vergleichsverhandlung i.S.d. § 203 Satz 1 BGB meint grundsätzlich jeden den Anspruch oder die ihm zugrundeliegenden Umstände betreffenden Meinungsaustausch, sofern der Schuldner die Verhandlung nicht gleich und erkennbar ablehnt. Das bedeutet für eine doppelte Verfallklausel: "Verlangt eine arbeitsvertragliche Ausschlussfristenregelung, dass ein Anspruch aus dem Arbeitsverhältnis zur Vermeidung seines Verfalls innerhalb einer bestimmten Frist gerichtlich geltend gemacht werden muss, ist die Ausschlussfrist in entsprechender Anwendung des § 203 Satz 1 BGB gehemmt, solange die Parteien vorgerichtliche Vergleichsverhandlungen führen" (BAG, 20.06.2018 - 5 AZR 262/17 - Leitsatz).
7.3 AGB-Kontrolle - 1
Arbeitsvertraglich vereinbarte Ausschlussfristen sind in der Regel Allgemeine Geschäftsbedingungen. Für Ihre Auslegung gilt: Sie "sind nach ihrem objektiven Inhalt und typischen Sinn einheitlich so auszulegen, wie sie von verständigen und redlichen Vertragspartnern unter Abwägung der Interessen der normalerweise beteiligten Verkehrskreise verstanden werden, wobei nicht die Verständnismöglichkeiten des konkreten, sondern die des durchschnittlichen Vertragspartners des Verwenders zugrunde zu legen sind. Ansatzpunkt für die nicht am Willen der konkreten Vertragspartner zu orientierende Auslegung Allgemeiner Geschäftsbedingungen ist in erster Linie der Vertragswortlaut. Ist dieser nicht eindeutig, kommt es für die Auslegung entscheidend darauf an, wie der Vertragstext aus der Sicht der typischerweise an Geschäften dieser Art beteiligten Verkehrskreise zu verstehen ist" (BAG, 19.12.2018 - 10 AZR 233/18 - mit Hinweis auf BAG, 20.06.2018 - 7 AZR 690/16; BAG, 25.08.2010 - 10 AZR 275/09 und BGH, 24.10.2017 - VI ZR 504/16).
7.4 AGB-Kontrolle - 2
Nehmen Arbeitgeber und Arbeitnehmer in ihrem Arbeitsvertrag insgesamt auf einen – einschlägigen (Anm. d. Verf.) – Tarifvertrag Bezug, der u.a. auch eine Ausschlussklausel enthält, wird die in diesem Tarifvertrag enthaltene Ausschlussfristenregelung keiner AGB-Kontrolle mehr unterzogen. Die Verweisung im Arbeitsvertrag zielt hier nicht auf einzelne tarifliche Regelungen oder Teilkomplexe eines Tarifwerks, sondern auf den gesamten Tarifvertrag. Für die Gesamtheit aller Regelungen in diesem Tarifvertrag spricht dann die Vermutung, dass darin die divergierenden Interessen von Arbeitgebern und Arbeitnehmern angemessen ausgeglichen sind (s. dazu BAG, 21.05.2014 – 4 AZR 50/13). Das führt dazu, dass die vereinbarte Globalverweisung gemäß § 310 Abs. 4 Satz 1 BGB privilegiert und eine AGB-Kontrolle danach ausgeschlossen ist (BAG, 07.07.2020 – 9 AZR 323/19 – mit Hinweis auf BAG, 03.07.2019 – 10 AZR 300/18 u. BAG, 18.09.2012 – 9 AZR 1/11).
7.5 AGB-Kontrolle - 3
Nach § 307 BGB sind AGB-Bestimmungen unwirksam, wenn sie den Vertragspartner des Verwenders entgegen den Geboten von Treu und Glauben unangemessen benachteiligen. Eine Regelung, die auch Klauseln in Arbeitsverträgen betrifft. § 307 Abs. 1 und Abs. 2 BGB und die Klauselverbote der §§ 308, 309 BGB gelten aber nur für Vertragsbestimmungen, durch die von Rechtsvorschriften abweichende oder diese ergänzende Regelungen vereinbart werden. "Dieser Abschnitt", also die §§ 305 ff. BGB, sagt § 310 Abs. 4 Satz 1 BGB, "findet keine Anwendung … auf Tarifverträge, Betriebs- und Dienstvereinbarungen." Und das bedeutet: Bei tariflichen Regelungen findet keine Transparenz- oder Angemessenheitskontrolle nach § 307 BGB statt. Tarifverträge sind nach § 310 Abs. 4 Satz 1 BGB von der AGB-Kontrolle nach dem BGB ausgenommen (BAG, 27.10.2020 – 9 AZR 531/19 – mit dem Hinweis, dass auch keine Inhaltskontrolle von arbeitsvertraglich insgesamt in Bezug genommenen Tarifverträgen erfolgt).
7.6 AGB-Kontrolle - 4
Die AGB-Wirksamkeitskontrolle ist bei einer teilbaren Klausel für die verschiedenen, lediglich formal in einer Allgemeinen Geschäftsbedingung verbundenen Bestimmungen jeweils getrennt durchzuführen. Dabei müssen die Regelungen nicht bloß sprachlich, sondern auch inhaltlich zu trennen sein (s. dazu BAG 27.01.2016 – 5 AZR 277/14). Die Teilbarkeit einer Klausel ist dabei durch Streichen des unwirksamen Teils – das ist der so genannte "blue-pencil-Test" – zu ermitteln. Eine teilbare Formularklausel kann nach dem blue-pencil-Test mit ihrem zulässigen Teil aufrechterhalten werden (s. dazu BAG, 13.11.2013 – 10 AZR 848/12 – und BGH, 05.05.2015 – XI ZR 214/14). Das Aufrechthalten des wirksamen Teils ist ist in diesem Fall keine BGB-widrige geltungserhaltende Reduktion, "denn die Trennung ist in den vom Verwender gestellten Vertragsbedingungen bereits vorgegeben" (BAG, 09.03.2021 – 9 AZR 323/20 – mit Hinweis auf BAG, 26.01.2017 – 6 AZR 671/15 – zu einer vertraglichen Ausschlussklausel).
7.7 AGB-Kontrolle - 5
Arbeitgeber A verwendete in seine Arbeitsverträgen u. a. die Verfallklausel: "Alle Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis verfallen, wenn sie nicht innerhalb einer Ausschlussfrist von drei Monaten nach ihrer Fälligkeit gegenüber dem Vertragspartner in Textform geltend gemacht werden und im Falle der Ablehnung durch den Vertragspartner innerhalb von weiteren drei Monaten eingeklagt werden. Hiervon unberührt bleiben Ansprüche, die auf Handlungen wegen Vorsatz oder grober Fahrlässigkeit beruhen." Unklar, irreführend? "Eine allgemeine Geschäftsbedingung in einem Arbeitsvertrag, die eine Verfallfrist/Ausschlussfrist zum Gegenstand hat, ist nicht deshalb intransparent nach § 307 Abs. 1 Satz 2 BGB und unwirksam, weil sie Ansprüche aus ihrem Anwendungsbereich nicht ausdrücklich ausnimmt, deren Erfüllung der Arbeitgeber zugesagt oder die er anerkannt oder streitlos gestellt hat. Ohne weitere Anhaltspunkte im Wortlaut ist die Klausel nicht irreführend hinsichtlich der wahren Rechtslage und suggeriert dem verständigen Arbeitnehmer auch nicht, er müsse den Anspruch auch in den genannten Fällen geltend machen" (LAG Baden-Württemberg, 24.08.2021 - 19 Sa 7/21 - Leitsatz - in Abgrenung zu BAG, 03.12.2019 - 9 AZR 44/19).
7.8 Auslegung
Die Auslegung von Allgemeinen Geschäftsbedingungen i. S. d. § 305 BGB durch die Vorinstanz ist revisionsrichterlich voll überprüfbar (s. dazu BAG, 03.12.2019 – 9 AZR 44/19 – und BAG, 11.10.2017 – 5 AZR 621/16). Ihr Inhalt ist nach einem objektiv-generalisierenden Maßstab zu ermitteln. Nach dem objektiven Inhalt und typischen Sinn sind sie einheitlich so auszulegen, "wie sie von verständigen und redlichen Vertragspartnern unter Abwägung der Interessen der normalerweise beteiligten Verkehrskreise verstanden werden". Dabei kommt es nicht auf die Verständnismöglichkeiten des konkreten, sondern auf die des durchschnittlichen Vertragspartners des Verwenders an (s. dazu BAG, 27.02.2019 – 10 AZR 341/18 – und BAG, 24.05.2018 – 6 AZR 116/17). Ansatzpunkt – wobei das Gericht sich nicht nach dem Willen der jeweiligen Vertragspartner zu richten hat – für die Auslegung ist in erster Linie der Vertragswortlaut. Erst wenn der nicht eindeutig ist, "kommt es für die Auslegung entscheidend darauf an, wie der Vertragstext aus Sicht der typischerweise an Geschäften dieser Art beteiligten Verkehrskreise zu verstehen ist" (BAG, 09.03.2021 – 9 AZR 323/20 – mit Hinweis auf BAG, 03.12.2019 – 9 AZR 44/19 u. a.).
7.9 Equal-pay
Arbeitgeber A, ein Unternehmen der Leiharbeitsbranche, hatte mit Arbeitnehmerin N in § 15 Abs. 2 ihres Arbeitsvertrags eine 2-stufige Ausschlussfrist vereinbart. Im dritten Absatz des § 15 hieß es zudem: "Absatz 1 gilt auch für etwaige Ansprüche des Mitarbeiters nach § 10 Absatz 4 Arbeitnehmerüberlassungsgesetz auf Gewährung der gleichen wesentlichen Arbeitsbedingungen einschließlich des Arbeitsentgelts eines vergleichbaren Arbeitnehmers im jeweiligen Kundenbetrieb." N machte ihre Ansprüche auf gleiches Arbeitsentgelt gegenüber A aus dem Zeitraum 24.01.2017 bis 28.04.2017 erst mit Schreiben vom 22.08.2017 geltend - ihre Zahlungsklage scheiterte. "Die Klägerin musste die erste Stufe der Ausschlussfristenregelung in § 15 Abs. 1 Arbeitsvertrag beachten. Es handelt sich um eine eigenständige arbeitsvertragliche Regelung, die der AGB-Kontrolle standhält. Dem steht die Unabdingbarkeit (§ 9 Abs. 1 Nr. 2 AÜG) des Anspruchs aus § 8 Abs. 1 AÜG bzw. § 10 Abs. 4 AÜG aF nicht entgegen, weil Ausschlussfristen ausschließlich die Art und Weise der Durchsetzung eines entstandenen Anspruchs betreffen und nicht zu dessen Inhalt gehören" (BAG, 16.12.2020 - 5 AZR 22/19 - mit Hinweis auf BAG, 13.03.2013 - 5 AZR 954/11).
7.10 Erkundigungspflicht?
Ausschlussfristen sollen im Interesse der Rechtssicherheit und Rechtsklarheit die kurzfristige Abwicklung offener Forderungen gewährleisten. Der Anspruchsgegner soll sich innerhalb des vorgegebenen Zeitfensters, in dem noch alles überschaubar ist, auf die aus Anspruchstellersicht noch offenen Ansprüche einstellen, mögliche Beweise sichern und Rückstellungen vornehmen können (s. dazu BAG, 12.12.2018 – 5 AZR 588/17). Diese Zwecke verlangen allerdings nicht, eine Erkundigungspflicht des Arbeitgebers zu fordern, wenn es um die Ausfüllung des Begriffs "Fälligkeit" geht. So ist der Arbeitgeber beispielsweise nicht verpflichtet, bei einer länger als sechs Wochen dauernden Arbeitsunfähigkeit – gewissermaßen ins Blaue hinein – Erkundigungen darüber einzuholen, ob eine den Entgeltfortzahlungsanspruch ausschließende Fortsetzungserkrankung vorliegt (BAG, 31.03.2021 – 5 AZR 197/20).
7.11 (Ersatz)Urlaubsanspruch - 1
Enthält ein Arbeitsvertrag die Klausel "Der Urlaub ist in dem jeweiligen Kalenderjahr zu nehmen. Ist dies aus betrieblichen Gründen oder krankheitsbedingt nicht möglich, kann der Urlaubsanspruch auf das nächstfolgende Kalenderjahr übertragen werden und ist dann bis spätestens 31.03. zu nehmen. Ist der Urlaub bis dahin, gleich aus welchen Gründen, nicht genommen, verfällt der Anspruch.", ist das eine unzulässige Regelung. Diese Regelung weicht zum Nachteil des Arbeitnehmers vom Bundesurlaubsgesetz ab. § 7 Abs. 3 BUrlG bestimmt in unionsrechtskonformer Auslegung, "dass der gesetzliche Mindesturlaub nicht vor Ablauf von 15 Monaten nach dem Ende des Urlaubsjahres erlischt, wenn der Arbeitnehmer bis zum Ende des Urlaubsjahres und/oder des Übertragungszeitraums krank und deshalb arbeitsunfähig ist" (BAG, 19.06.2018 - 9 AZR 615/17 - mit Hinweis auf BAG, 14.02.2017 - 9 AZR 207/16 - und BAG, 07.08.2012 - 9 AZR 353/10).
7.12 (Ersatz)Urlaubsanspruch - 2
Ausschlussfristen, die zu einer Verkürzung der im Gesetz vorgesehenen Fristen zur Geltendmachung des Urlaubsanspruchs führen, können für den gesetzlichen Mindesturlaub nicht wirksam vereinbart werden. "§ 7 Abs. 3 BUrlG unterstellt die gesetzlichen Urlaubsansprüche einem eigenständigen Fristenregime, das den Arbeitnehmer lediglich zwingt, seine Ansprüche rechtzeitig vor Ablauf des Urlaubsjahres oder des Übertragungszeitraums zu verlangen" (s. dazu BAG, 18.11.2003 - 9 AZR 95/03; BAG, 23.11.2017 - 6 AZR 43/16 - und BAG, 12.11.2013 - 9 AZR 727/12). § 13 BUrlG lässt keine Abweichung hiervon zuungunsten des Arbeitnehmers durch Ausschlussfristen, die den Arbeitnehmer zwingen, die Erfüllung gesetzlicher Urlaubsansprüche zur Vermeidung ihres Erlöschens zu einem früheren Zeitpunkt geltend zu machen als nach § 7 Abs. 3 BUrlG gefordert, zu. Und was bedeutet das für den Anspruch auf Ersatzurlaub? "Der als Schadensersatz an die Stelle des erloschenen Urlaubsanspruchs tretende Ersatzurlaub unterliegt wie der Urlaubsanspruch keinen Ausschlussfristen" (BAG, 19.06.2018 - 9 AZR 615/17 - Leitsatz).
7.13 Hinweis auf drohenden Verfall - 1
"1. Der Anspruch auf den gesetzlichen Mindesturlaub (§§ 1, 3 Abs. 1 BUrlG) erlischt bei einer mit Art. 7 der Richtlinie 2003/88/EG konformen Auslegung von § 7 BUrlG nur dann am Ende des Kalenderjahres (§ 7 Abs. 3 Satz 1 BUrlG) oder eines zulässigen Übertragungszeitraums (§ 7 Abs. 3 Satz 3 und Satz 4 BUrlG), wenn der Arbeitgeber den Arbeitnehmer zuvor in die Lage versetzt hat, seinen Urlaubsanspruch wahrzunehmen, und der Arbeitnehmer den Urlaub dennoch aus freien Stücken nicht genommen hat.
2. Die Befristung des Urlaubsanspruchs nach § 7 Abs. 3 BUrlG setzt grundsätzlich voraus, dass der Arbeitgeber seinen aus einem richtlinienkonformen Verständnis von § 7 Abs. 1 Satz 1 BUrlG resultierenden Mitwirkungsobliegenheiten bei der Verwirklichung des Urlaubsanspruchs genügt, indem er den Arbeitnehmer - erforderlichenfalls förmlich - auffordert, seinen Urlaub zu nehmen, und ihm klar und rechtzeitig mitteilt, dass der Urlaub mit Ablauf des Kalenderjahres oder Übertragungszeitraums verfällt, wenn er ihn nicht beantragt" (BAG, 19.02.2019 - 9 AZR 423/16 - Leitsätze).
7.14 Hinweis auf drohenden Verfall - 2
Die im vorausgehenden Gliederungspunkt dargestellten Grundsätze gelten nicht zwingend für tarifvertraglich geregelte Ansprüche auf Mehrurlaub. "Die unionsrechtlichen Vorgaben betreffen ausschließlich den gesetzlichen Urlaubsanspruch von vier Wochen. Die Tarifvertragsparteien können Urlaubs- und Urlaubsabgeltungsansprüche, die den von Art. 7 Abs. 1 der Richtlinie 2003/88/EG gewährleisteten und von §§ 1, 3 Abs. 1 BUrlG begründeten Anspruch auf Mindestjahresurlaub von vier Wochen übersteigen, frei regeln. Ihre Regelungsmacht ist nicht durch die für gesetzliche Urlaubsansprüche erforderliche richtlinienkonforme Auslegung der §§ 1, 7 BUrlG beschränkt" (s. dazu BAG, 05.08.2014 - 9 AZR 77/13 - und EuGH, 03.05.2012 - C-337/10). Will man keinen Gleichlauf von gesetzlichen und tariflichen Mehrurlaubsansprüchen annehmen, müssen jedoch greifbare Anhaltspunkte für einen entsprechenden Willen der Tarifvertragsparteien bestehen - ein abweichendes Fristenregime allein genügt nicht, die Obliegenheiten des Arbeitgebers (s. dazu den vorausgehenden Gliederungspunkt) entfallen zu lassen (BAG, 19.02.2019 - 9 AZR 541/15).
7.15 Hinweis auf drohenden Verfall - 3
Bis zur EuGH-Entscheidung vom 06.11.2018 - C-619/16 - war eigentlich alles recht einfach. Hat der Arbeitnehmer keinen Urlaub beantragt, war der Urlaub - wenn keine Übertragungsvoraussetzung nach § 7 Abs. 3 Satz 2 BUrlG vorlag - mit dem Ende des Urlaubsjahres verfallen. Und das ersatzlos. Das ist nun anders: Der Urlaubsanspruch erlischt nur dann, wenn der Arbeitgeber den Mitarbeiter zuvor über seinen Urlaubsanspruch und den Verfall dieses Anspruchs belehrt und ihn aufgefordert hat, diesen Urlaub zu nehmen, um ihn vor dem drohenden Verfall zu retten. Und das gilt nicht nur für das laufende Urlaubsjahr, sondern auch für den Urlaub aus vorangegangenen Kalenderjahren (LAG Köln, 09.04.2019 - 4 Sa 242/18).
7.16 Kirchliche Arbeitsrechtsregelungen
Ausschlussfristen sind eine wesentliche Arbeitsbedingung i.S.d. § 2 Abs. 1 Satz 1 NachwG. Nimmt der Arbeitsvertrag eines kirchlichen Arbeitgebers bloß auf die kirchlichen Arbeitsrechtsregelungen Bezug, genügt das für den erforderlichen Nachweis nicht. Die Ausschlussfrist muss im Volltext nachgewiesen werden. Macht der kirchliche Arbeitgeber das nicht, kann der Arbeitnehmer u.U. im Wege des Schadensersatzes so gestellt werden, als ob der die Ausschlussfrist nicht versäumt hätte (BAG, 30.10.2019 - 6 AZR 465/18).
7.17 Mindestlohn - 1
"Eine vom Arbeitgeber vorformulierte arbeitsvertragliche Verfallklausel, die ohne jede Einschränkung alle beiderseitigen Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis und damit auch den ab dem 1. Januar 2015 von § 1 MiLoG garantierten Mindestlohn erfasst, verstößt gegen das Transparenzgebot des § 307 Abs. 1 Satz 2 BGB und ist - jedenfalls dann - insgesamt unwirksam, wenn der Arbeitsvertrag nach dem 31. Dezember 2014 geschlossen wurde" (BAG, 18.09.2018 - 9 AZR 162/18 - Pressemitteilung). "§ 3 Satz 1 MiLoG schränkt die Anwendung der §§ 306, 307 Abs. 1 Satz 2 BGB nicht ein" (BAG, 18.09.2018 - 9 AZR 162/18 - 2. Leitsatz).
7.18 Mindestlohn - 2
Vereinbarungen, die den Anspruch auf den gesetzlichen Mindestlohn unterschreiten oder seine Geltendmachung beschränken oder ausschließen, sind insoweit unwirksam (§ 3 Satz 1 MiLoG). "Die Verwirkung des Anspruchs ist ausgeschlossen" (§ 3 Satz 3 MiLoG). Und das heißt für den Mindestlohn in puncto Entgeltfortzahlung: "Der Anspruch auf Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall kann in Höhe des gesetzlichen Mindestlohns einer Ausschlussfrist nicht unterworfen werden" (BAG, 20.06.2018 - 5 AZR 377/17 - Leitsatz).
7.19 Mindestlohn - 3
Die Regelung in § 3 Satz 1 MiLoG, wonach Vereinbarungen, die die Geltendmachung des Mindestlohns beschränken oder ausschließen, insoweit unwirksam sind, gilt auch für entsprechende Ausschlussfristen und Verfallklauseln in Tarifverträgen. Das führt hier – anders als bei arbeitsvertraglichen Klauseln dieser Art – aber nicht dazu, dass damit gleich die ganze Tarifklausel unwirksam ist. § 3 Satz 1 MiLoG sagt ja ausdrücklich "insoweit". In Bezug auf die anderen Ansprüche, die von der Ausschluss-/Verfallfrist erfasst werden sollen, bleibt die Klausel daher wirksam – z.B. für den Anspruch auf Urlaubsabgeltung, der innerhalb von drei Monaten nach Fälligkeit geltend zu machen ist (BAG, 27.10.2020 – 9 AZR 531/19).
7.20 Mindestlohn - 4
Das MiLoG sieht in § 3 Satz 1 MiLoG vor, dass eine Vereinbarung, mit der die Geltendmachung des Anspruchs auf Mindestlohn beschränkt oder ausgeschlossen wird, unwirksam ist. So weit, so gut. Aber was ist mit dem Verfall des Anspruchs auf Urlaubsabgeltung infolge einer tariflichen Ausschlussfrist? Steht § 3 Satz 1 MiLoG da auch im Weg? Das BAG meint nein. § 3 Satz1 MiLoG steht selbst dem vollständigen Verfall des Urlaubsabgeltungsanspruchs aus § 7 Abs. 4 BUrlG nicht entgegen. Die MiLoG-Bestimmungen finden auf diesen Anspruch keine Anwendung (BAG, 27.10.2020 – 9 AZR 531/19 – mit Hinweis auf BAG, 22.10.2019 – 9 AZR 532/18 – und der Auffassung, dass die hier anstehende Frage allein nach nationalem Recht beantwortet werden kann und ein Vorabentscheidungsverfahren nach Art. 267 Abs. 3 AEUV nicht erforderlich ist).
7.21 NachwG-Verletzung
Die Verletzung einer Nachweispflicht gemäß § 3 Satz 1 NachwG (Änderung der Angaben) ist grundsätzlich dazu geeignet, einen Schadensersatzanspruch zu begründen. Gerichtet ist dieser Schadensersatzanspruch gemäß § 249 BGB auf Naturalrestitution - wobei von einem Kausalverlauf ausgegangen wird, "der sich ergeben hätte, wenn der Arbeitgeber seine Nachweispflicht erfüllt hätte" (s. dazu BAG, 21.02.2012 - 9 AZR 486/10). "Dabei unterstellt die Rechtsprechung zugunsten des Arbeitnehmers ein aufklärungsgemäßes interessengerechtes Verhalten. Diese Vermutung ist z.B. bei dem - unterlassenen - Nachweis des Bestehens einer Verfallfrist von Bedeutung. Allerdings entbindet diese Beweiserleichterung den Arbeitnehmer nicht von der Verpflichtung, eine Kausalität zwischen der Pflichtverletzung und dem eingetretenen Schaden darzulegen" (BAG, 20.06.2018 - 4 AZR 235/15 - mit Hinweis auf BAG, 20.04.2011 - 5 AZR 171/10).
7.22 Rechtsmissbräuchlicher Einwand
Dem infolge einer Ausschlussklausel (hier: § 23 AVR Caritas) regelmäßig eintretenden Anspruchsverfall kann der Grundsatz von Treu und Glauben - § 242 BGB - entgegengehalten werden. Das betriff einmal die Situation, dass der Schuldner den Gläubiger aktiv von der Einhaltung der Ausschlussfrist abhält (s. dazu BAG, 28.09.2017 - 8 AZR 67/15 - und BAG, 06.09.2006 - 5 AZR 684/05), zum anderen aber auch eine Sachlage, in der "der Schuldner dem Gläubiger die Geltendmachung des Anspruchs oder die Einhaltung der Frist durch ein positives Tun oder durch ein pflichtwidriges Unterlassen erschwert oder unmöglich gemacht hat oder .. an objektiven Maßstäben gemessen den Eindruck erweckt hat, der Gläubiger könne darauf vertrauen, dass der Anspruch auch ohne Wahrung einer geltenden Ausschlussfrist erfüllt werde" (s. dazu BAG, 18.08.2011 - 8 AZR 187/10 - und BAG, 10.10.2002 - 8 AZR 8/02). Zudem greift der Einwand Ausschlussfrist nicht, wenn sich eine Partei damit in Widerspruch zu ihrem vorausgehenden Verhalten setzt, zuvor ein für die andere Partei ein schützenswerter Vertrauenstatbestand geschaffen wurde oder sonstige besondere Umstände die Rechtsausübung als treuwidrig erscheinen lassen (BAG, 28.06.2018 - 8 AZR 141/16 - mit Hinweis auf BAG, 24.05.2018 - 6 AZR 308/17 - und BAG, 27.04.2017 - 6 AZR 367/16).
7.23 Schadensersatzansprüche infolge Abwerbetätigkeit
Der Arbeitsvertrag von Pflegedienstleitung P enthielt die Klausel: "Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis können nur innerhalb von zwei Wochen nach Beendigung geltend gemacht werden, Klageerhebung innerhalb von vier Wochen. Späteres Geltendmachen von Ansprüchen ist hiermit ausgeschlossen." Gleichzeitig sah der Vertrag ein umfangreiches Wettbewerbsverbot vor. P warb ihrem Arbeitgeber in der Folgezeit Patienten und Mitarbeiter ab. Die Auslegung der Vertragsklausel brachte das Ergebnis: "§ 4 Abs. 2 des Arbeitsvertrags ist dahin auszulegen, dass Schadensersatzansprüche wegen Wettbewerbs während des bestehenden Arbeitsverhältnisses von der Ausschlussklausel nicht erfasst werden. Die Ausschlussfrist erfasst lediglich Ansprüche, die mit der Beendigung des Arbeitsverhältnisses in Zusammenhang stehen" (BAG, 19.12.2018 - 10 AZR 233/18).
7.24 Teilnichtige Verfallklausel
"1. Zahlt der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer das Urlaubsentgelt nicht vor Urlaubsantritt aus, ist die Urlaubserteilung des Arbeitgebers jedenfalls im bestehenden Arbeitsverhältnis nach Treu und Glauben gesetzeskonform so zu verstehen (§ 157 BGB), dass der Arbeitgeber damit zugleich streitlos stellt, dass er für den gewährten Urlaub dem Grunde nach zur Zahlung von Urlaubsentgelt nach den gesetzlichen Vorgaben und etwaigen arbeitsvertraglichen Vereinbarungen verpflichtet ist, sofern dem nicht konkrete Anhaltspunkte entgegenstehen. 2. Eine als Allgemeine Geschäftsbedingung gestellte Verfallklausel, welche die von § 77 Abs. 4 Satz 4 BetrVG und § 4 Abs. 4 Satz 3 TVG geschützten Ansprüche umfasst, ist insoweit teilnichtig (§ 139 BGB). Allein dieser Verstoß und eine sich nur daraus ergebende unzureichende Transparenz führen aber nicht zur Gesamtunwirksamkeit der Verfallklausel nach § 307 Abs. 1 Satz 2 BGB" (BAG, 30.01.2019 - 5 AZR 43/18 - Leitsätze).
7.25 Tod des Arbeitnehmers
Stirbt ein Arbeitnehmer, haben seine Erben gem. § 1922 Abs. 1 BGB i.V.m. § 7 Abs. 4 BUrlG Anspruch auf Abgeltung der noch nicht erfüllten Urlaubsansprüche. Es gilt der Grundsatz der Universalsukzession - mit dem Ergebnis, dass der Abgeltungsanspruch nach einer tariflichen Ausschlussfrist verfallen kann, wenn er nicht rechtzeitig geltend gemacht wird. Weiter vorausgesetzt, die Ausschlussfrist erfasst den Urlaubsabgeltungsanspruch und der Arbeitnehmer hätte sie wegen bestehender Tarifgebundenheit bei seinem Fortleben wahren müssen, um so den Verfall des Anspruchs zu verhindern. Der Abgeltungsanspruch entsteht mit dem Tod des Erblassers (= rechtliche Beendigung des Arbeitsverhältnisses, Wegfall des Abgeltungsverbots) und wird gleichzeitig fällig (BAG, 22.01.2019 - 9 AZR 149/17).
7.26 Überraschende Klausel - 1
Der Arbeitsvertrag von Mitarbeiterin M enthielt in § 15 Abs. 2 folgende Regelung: "Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis verfallen, wenn sie nicht innerhalb einer Ausschlussfrist von drei Monaten nach Fälligkeit gegenüber der anderen Vertragspartei in Textform geltend gemacht werden. Lehnt die Gegenpartei die Ansprüche in Textform ab, sind die Ansprüche innerhalb einer weiteren Ausschlussfrist von drei Monaten ab Zugang der Ablehnung gerichtlich geltend zu machen. Ansprüche, die nicht innerhalb dieser Fristen geltend gemacht werden, sind ausgeschlossen." Eine überraschende Klausel i. S. des § 305c Abs. 1 BGB?
Das BAG meint nein: Diese Klausel ist nicht überraschend. Sie ist Bestandteil des Arbeitsvertrags geworden. § 305c BGB steht dem nicht entgegen. Die Vereinbarung von Ausschlussfristen beruht auf einer weit verbreiteten Übung im Arbeitsleben. Die streitgegenständliche Klausel ist hier im Text des Arbeitsvertrags mit der fett gedruckten Überschrift "§ 15 Ausschlussfristen" auch nicht an einer unübersichtlichen Stelle versteckt, sondern deutlich sichtbar gemacht worden (s. dazu BAG, 13.03.2013 - 5 AZR 954/11). "Zudem wird in § 15 Abs. 2 Arbeitsvertrag ausdrücklich darauf hingewiesen, dass die Klausel auch den Anspruch auf gleiches Arbeitsentgelt nach dem Arbeitnehmerüberlassungsgesetz erfasst" (BAG, 16.12.2020 - 5 AZR 22/19).
7.27 Überraschende Klausel - 2
Vertragsklauseln, die i.S.d. § 305 Abs. 1 BGB überraschend sind, werden nicht Vertragsbestandteil. Ob eine Klausel überraschend ist, ist an den Umständen des Einzelfalls zu messen, insbesondere am äußeren Erscheinungsbild des Vertrags. Die Klausel muss so unüblich sein, dass der Vertragspartner des Verwenders mit ihr nicht zu rechnen braucht. Das heißt: Die Klausel muss objektiv so ungewöhnlich sein, dass der Vertragspartner sie subjektiv nicht erwartet (s. dazu BAG, 24.02.2016 – 5 AZR 258/14). Dabei kommt es nicht allein auf den Inhalt der Klausel an. Es reicht schon aus, wenn der äußere Zuschnitt der Klausel ungewöhnlich ist – weil sie z. B. im Vertrag an einer unerwarteten Stelle – hier: eine drucktechnisch nicht hervorgehobene Verfallklausel unter der Überschrift "Tätigkeit/Probezeit/Kündigung" – versteckt ist (BAG, 04.05.2022 – 5 AZR 474/21 – mit dem Hinweis, dass die hier verwendete Klausel auch der AGB-Inhaltskontrolle nicht standhält, weil sie den gesetzlichen Mindestlohn nicht ausnahm).
7.28 Unionsrechtlicher Staatshaftungsanspruch
Leistet ein Arbeitnehmer - hier: Angestellter im feuerwehrtechnischen Dienst - in gegen EU-Bestimmungen verstoßender Weise Zuvielarbeit (hier: eine über 48 Stunden hinausgehende Arbeitszeit), kann das einen unionsrechtlichen Staatshaftungsanspruch (= finanzieller Ausgleich für die zu viel geleistete Arbeit) auslösen. Bei diesem Anspruch handelt es sich um ein vom EuGH entwickeltes Rechtsinstitut, nach dem die EU-Mitgliedstaaten verpflichtet sind, Schäden zu ersetzen, die einzelnen EU-Bürgern durch dem jeweiligen EU-Staat zuzurechnende Verstöße gegen das Unionsrecht entstehen. Der Anspruch unterliegt tariflichen Verfallklauseln:"Der unionsrechtliche Staatshaftungsanspruch wegen unionsrechtswidriger Zuvielarbeit ist ein Anspruch 'aus dem Arbeitsverhältnis' iSd. § 37 TVöD-V" (BAG, 11.04.2019 - 6 AZR 104/18 - Leitsatz - mit dem Ergebnis, dass der Anspruch hier nicht rechtzeitig geltend gemacht worden war).
7.29 Unzulässiger Einwand
Der vereinfachte Fall: Arbeitgeber A hatte in seinem Arbeitsvertrag die Klausel "Alle Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis und solche, die mit dem Arbeitsverhältnis in Verbindung stehen, ausgenommen Provisionsansprüche, verfallen innerhalb von drei Monaten nach Fälligkeit, spätestens jedoch innerhalb von drei Monaten nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses, wenn sie nicht vorher gegenüber der anderen Vertragspartei schriftlich geltend gemacht worden sind" verwendet. Mitarbeiter M wurde bei einem Autokauf von einem Kunden gelinkt, A entstand ein Schaden von knapp 30.000 EUR, den er dann von M ersetzt verlangte. Die vereinbarte Verfallfrist war zu diesem Zeitpunkt abgelaufen.
Das BAG ließ es dahinstehen, ob die vereinbarte Verfallklausel eine Allgemeine Geschäftsbedingung und als solche wirksam war. Es hat weder eine AGB-Kontrolle nach den §§ 307 ff. BGB noch nach § 309 Nr. 7 BGB - Haftungsausschluss bei grobem Verschulden - vorgenommen. Denn selbst wenn die Klausel unwirksam wäre: A war Verwender dieser Klausel. Er kann sich deshalb nicht auf die Unwirksamkeit der von ihm in den Vertrag gebrachten Klausel berufen. Die AGB-Kontrolle des BGB hat den Zweck, einen Ausgleich für die einseitige Inanspruchnahme der Vertragsfreiheit durch den Klauselverwender zu schaffen. Sie dient nicht seinem Schutz "vor den von ihm selbst eingeführten Formularbestimmungen" (BAG, 07.06.2018 - 8 AZR 96/17 - mit Hinweis auf BAG, 18.12.2008 - 8 AZR 105/08; BAG, 27.10.2005 - 8 AZR 3/05 - und BGH, 05.04.2006 - VIII ZR 152/05).
7.30 Urlaubsabgeltungsanspruch
Der Arbeitgeber muss Urlaub, den er wegen Beendigung des Arbeitsverhältnisses ganz oder teilweise nicht mehr gewähren kann, abgelten (§ 7 Abs. 4 BUrlG). Der mit Beendigung des Arbeitsverhältnisses aus dem Urlaubsanspruch entstehende Urlaubsabgeltungsanspruch ist ein reiner Geldanspruch. Und dieser reine Geldanspruch kann aufgrund einer wirksam vereinbarten Ausschlussfrist verfallen. Diesem Ergebnis der Anwendung nationalen Rechts steht weder der in den §§ 1, 3 Abs. 1, 13 Abs. 1 Satz 1 BUrlG verankerte unabdingbare Schutz des gesetzlichen Mindesturlaubs noch die vom EuGH und für die nationalen Gerichte nach Maßgabe des Art. 267 AEUV verbindliche Auslegung von Art. 7 RL 2003/88/EG und Art. 31 Abs. 2 GRCh entgegen (BAG, 24.05.2022 – 9 AZR 461/21 – mit Hinweis auf BAG, 09.03.2021 – 9 AZR 323/29 – und BAG, 18.09.2018 – 9 AZR 162/18).
7.31 Verfall von Urlaubsansprüchen
Urlaubsjahr ist das Kalenderjahr. Urlaub muss im laufenden Kalenderjahr gewährt und genommen werden (§ 7 Abs. 3 Satz 1 BUrlG). Bis zum 19.02.2019 wurde allgemein die Ansicht vertreten, dass Urlaubsansprüche verfallen, wenn der Arbeitnehmer sie bis zum Jahresende nicht realisiert und kein Übertragungsfall - § 7 Abs. 3 Satz 2 BUrlG - vorliegt. Das ist nun anders. Einer Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH, 06.11.2018 - C-684/16) folgend ist das BAG jetzt der Meinung: "Der Anspruch eines Arbeitnehmers auf bezahlten Jahresurlaub erlischt in der Regel nur dann am Ende des Kalenderjahres, wenn der Arbeitgeber ihn zuvor über seinen konkreten Urlaubsanspruch und die Verfallfristen belehrt und der Arbeitnehmer den Urlaub dennoch aus freien Stücken nicht genommen hat" (BAG, 19.02.2019 - 9 AZR 541/15 - Pressemitteilung - mit dem Ergebnis, dass der Arbeitgeber seine Mitarbeiter konkret aufzufordern hat, Urlaub zu nehmen, und sie ebenso konkret darauf hinweisen muss, dass ihr Urlaub anderenfalls erlischt).
7.32 Vorsatzhaftung
"1. Eine Ausschlussklausel in Allgemeinen Geschäftsbedingungen oder vorformulierten Vertragsbedingungen iSv. § 310 Abs. 3 Nr. 2 BGB, nach der ausnahmslos alle Ansprüche, die sich aus dem Arbeitsverhältnis ergeben, verfallen, wenn sie nicht binnen bestimmter Fristen geltend gemacht und eingeklagt werden, erfasst grundsätzlich alle wechselseitigen gesetzlichen und vertraglichen Ansprüche, die die Arbeitsvertragsparteien aufgrund ihrer durch den Arbeitsvertrag begründeten Rechtsstellung gegeneinander haben und damit auch Schadensersatzansprüche aus vorsätzlicher Vertragsverletzung und aus vorsätzlicher unerlaubter Handlung. 2. Eine solche Verfallklausel ist wegen Verstoßes gegen § 202 Abs. 1 BGB nach § 134 BGB nichtig. 3. Der Arbeitgeber als Verwender muss die Klausel unabhängig davon, ob in dem Verstoß gegen § 202 Abs. 1 BGB zudem eine unangemessene Benachteiligung iSv. § 307 Abs. 1 Satz 1 BGB liegt und ob die Klausel darüber hinaus ggf. aus anderen Gründen nach den §§ 307 ff. BGB unwirksam ist, nicht nach den Grundsätzen über die personale Teilunwirksamkeit von Allgemeinen Geschäftsbedingungen gegen sich gelten lassen" (BAG, 26.11.2020 - 8 AZR 58/20 - Leitsätze).
7.33 Wahrung durch Kündigungsschutzklage
Eine arbeitsvertraglich einbezogene tarifvertragliche Ausschlussfrist zur Geltendmachung arbeitsrechtlicher Ansprüche kann durch die Erhebung einer Kündigungsschutzklage gewahrt werden. "Mit einer Bestandsschutzklage wahrt der Arbeitnehmer, ohne dass es einer bezifferten Geltendmachung bedarf, eine einstufige Ausschlussfrist bzw. die erste Stufe einer zweistufigen Ausschlussfrist für alle aus dem Fortbestand des Arbeitsverhältnisses resultierenden Ansprüche" (s. dazu BAG, 17.10.2017 - 9 AZR 80/17). Mit seiner Bestandsschutzklage macht der Arbeitnehmer bei einer zweistufigen Ausschlussfrist zugleich die Ansprüche "gerichtlich geltend", die vom Ausgang dieses Rechtsstreits abhängen (BAG, 02.10.2018 - 5 AZR 376/17 - mit Hinweis auf BAG, 24.09.2014 - 5 AZR 593/12).
7.34 Wirkung
Wenn eine Klageforderung einer Ausschlussfrist unterliegt, ist die Einhaltung dieser Ausschlussfrist von Amts wegen zu prüfen - und das ohne vorausgehende Rüge des Klagegegners (s. dazu BAG, 11.12.2014 - 8 AZR 838/13, vertragliche Ausschlussfrist; BAG, 24.08.2016 - 5 AZR 853/15, tarifliche Ausschlussfrist. Der Schuldner braucht sich nicht auf die Wirkung der Ausschlussfrist zu berufen - sie ist eine rechtsvernichtende Einwendung (s. dazu BAG, 24.08.2016 - 5 AZR 853/15 und BAG, 16.03.2016 - 4 AZR 421/15). "Die rechtzeitige Geltendmachung ist eine materiell-rechtliche Voraussetzung für den Fortbestand des behaupteten Anspruchs, die zur schlüssigen Darlegung der Begründetheit einer Klageforderung gehört (BAG, 19.06.2018 - 9 AZR 615/17 - mit Hinweis auf BAG, 20.04.2012 - 9 AZR 504/10).
7.35 Zweistufige Ausschlussklausel
Der vereinfachte Fall: Arbeitgeber A verwendete in seinen Arbeitsverträgen eine Ausschlussklausel, die auf der zweiten Stufe vorsah: "Lehnt die Gegenseite den Anspruch ab, oder erklärt sie sich nicht innerhalb von zwei Wochen nach Geltendmachung des Anspruchs dagegen, so verfällt dieser, wenn er nicht innerhalb von drei Monaten nach der Ablehnung oder dem Fristablauf gerichtlich geltend gemacht wird." Arbeitnehmer N's Anspruch auf Spesen wurde regelmäßig, wenn auch oft verspätet, von A erfüllt. Probleme gab es erst wegen einer Firmenauflösung und damit verbundenen finanziellen Veränderungen, derentwegen sich A veranlasst sah, "die noch nicht gezahlten Spesen aus der Vergangenheit an" N "zurück zu geben".
Die vereinfachte Lösung: Klauselverwender sind wegen des Transparenzgebots gehalten, die Rechte und Pflichten der Vertragspartner klar und verständlich zu regeln. Der Vertragspartner des Verwenders muss erkennen können, welche Rechtsfolgen er zu erwarten hat und was er tun muss, um diese Rechtsfolgen zu vermeiden. D.h. in diesem Fall: "Die zweite Stufe einer vom Arbeitgeber als Allgemeine Geschäftsbedingung gestellten Ausschlussfristenregelung ist intransparent, wenn sie - ausgehend von dem bei der Auslegung Allgemeiner Geschäftsbedingungen iSv. § 305 Abs. 1 Satz 1 BGB anzuwendenden abstrakt-generellen Prüfungsmaßstab (…) - dem verständigen Arbeitnehmer suggeriert, er müsse den Anspruch ausnahmslos innerhalb der vorgesehenen Ausschlussfrist auch dann gerichtlich geltend machen, wenn der Arbeitgeber die Erfüllung des Anspruchs zugesagt oder den Anspruch anerkannt oder streitlos gestellt hat" (BAG, 03.12.2019 - 9 AZR 44/19 - mit dem Ergebnis, dass sich der Arbeitgeber hier nicht auf seine Verfallklausel berufen konnte).