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Welche Fragen Arbeitgeber auch zum Thema Sozialversicherungsrecht bewegen: Die Rechtsdatenbank der AOK liefert die Antworten – einfach, fundiert und topaktuell.

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Politische Betätigung - Rechtsprechungsübersicht
Politische Betätigung - Rechtsprechungsübersicht
Inhaltsübersicht
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Information
1. Einzelfälle der Rechtsprechung
§ 74 Abs. 2 Satz 3 BetrVG schränkt - bezogen auf den Betrieb und auf Arbeitgeber und Betriebsrat - deren Recht auf freie Meinungsäußerung nach Art. 5 GG ein. Gegen dieses Verbot hat das Bundesverfassungsgericht keine verfassungsrechtlichen Bedenken erhoben, da sich das Verbot nicht gegen die Meinungsfreiheit als solche richtet, sondern einem anderen zu schützenden Rechtsgut, hier der Wahrung des Betriebsfriedens dient (BVerfG, 28.04.1976 - 1 BvR 71/73; BAG, 17.03.2010 - 7 ABR 95/08).
Werturteile fallen in den Schutzbereich des Rechts auf Meinungsfreiheit. Dasselbe gilt für Äußerungen, in denen sich Tatsachen und Meinungen vermengen, sofern sie durch die Elemente der Stellungnahme, des Dafürhaltens oder Meinens geprägt sind (BAG, 05.12.2019 - 2 AZR 240/19; Rn. 93)
Schmähkritik genießt nicht den Schutz von Art. 5 Abs. I Satz 1 GG. Eine Schmähung ist eine Äußerung - unter Berücksichtigung von Anlass und Kontext - jedoch nur dann, wenn jenseits auch polemischer und überspitzter Kritik nicht mehr die Auseinandersetzung in der Sache, sondern allein die Diffamierung der Person im Vordergrund steht (BAG, 05.12.2019 - 2 AZR 240/19; Rn. 87).
Nach der früheren Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts war der Begriff der parteipolitischen Betätigung in § 74 Abs. 2 Satz 3 BetrVG weit auszulegen (BAG, 12.06.1986 - 6 ABR 67/84).
In seiner späteren Entscheidung vom 17.03.2010 hat das Bundesarbeitsgericht es offen gelassen, ob schon das Eintreten für oder gegen eine bestimmte politische Richtung unabhängig von einem konkreten Bezug zu einer politischen Partei unter das Verbot der parteipolitischen Betätigung fällt. Jedenfalls erfasse - so das BAG - das Verbot nicht jede Äußerung allgemeinpolitischen Inhalts. Äußerungen allgemeinpolitischer Art, die eine politische Partei, Gruppierung oder Richtung weder unterstützen noch sich gegen sie wenden, fallen nicht unter das Verbot des § 74 Abs. 2 Satz 3 BetrVG. Dies ergebe sich aus dem Wortlaut der Vorschrift unter Berücksichtigung des Wertegehalts von Art. 5 Abs. 1 GG sowie aus Sinn und Zweck des Neutralitätsgebots (BAG, 17.03.2010 - 7 ABR 95/08).
Der Arbeitnehmer darf den Arbeitgeber nicht in der Öffentlichkeit oder innerhalb der Betriebsgemeinschaft (BAG, 28.09.1972 - 2 AZR 469/71) herabsetzen.
Ebenfalls nicht von der Meinungsfreiheit gedeckt, ist die Verbreitung bewusst unwahrer Behauptungen gegen den Arbeitgeber in Flugblättern (BAG, 26.05.1977 - 2 AZR 632/76) oder in sonstiger Weise (BAG, 11.08.1982 - 5 AZR 1089/79). Das LAG Düsseldorf hat am 29.01.1981 in einem solchen Fall zwar auch die Vertragswidrigkeit des Verhaltens bejaht, lehnte aber eine außerordentliche Kündigung ab.
Auch verbale Angriffe oder unwahre Äußerungen gegen Arbeitskollegen oder den Betriebsrat (BAG, 13.10.1977 - 2 AZR 387/76) sind ebenfalls nicht von der Meinungsfreiheit gedeckt.
Ein Arbeitnehmer darf durch das Tragen einer Plakette politisch Andersdenkende nicht provozieren oder den Betrieb als Wahlkampfplattform missbrauchen (BAG, 09.12.1982 - 2 AZR 620/80). So hat das BAG eine Anti-Atomkraft-Plakette als politisches Propagandamittel angesehen (BAG, 02.03.1982 - 1 AZR 694/79; VG Berlin, 20.04.1979 - VG 5 A 255/78 - einschränkend VG Hamburg, 06.03.1979 - XVG 2099/78).
Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hat in seinem Urteil v. 15.07.2021-C-804/18 festgestellt,
dass eine interne Regel eines Unternehmens, die den Arbeitnehmern das Tragen jedes sichtbaren Zeichens politischer, weltanschaulicher oder religiöser Überzeugungen am Arbeitsplatz verbietet, gegenüber Arbeitnehmern, die aufgrund religiöser Gebote bestimmte Bekleidungsregeln befolgen, keine unmittelbare Diskriminierung wegen der Religion oder der Weltanschauung im Sinne dieser Richtlinie darstellt, sofern diese Regel allgemein und unterschiedslos angewandt wird;
dass dies mit dem Willen des Arbeitgebers gerechtfertigt werden kann, eine Politik politischer, weltanschaulicher und religiöser Neutralität gegenüber seinen Kunden oder Nutzern zu verfolgen, sofern
diese Politik einem wirklichen Bedürfnis des Arbeitgebers entspricht, das der Arbeitgeber unter Berücksichtigung insbesondere der berechtigten Erwartungen dieser Kunden oder Nutzer und der nachteiligen Konsequenzen, die der Arbeitgeber angesichts der Art seiner Tätigkeit oder des Umfelds, in dem sie ausgeübt wird, ohne eine solche Politik zu tragen hätte, nachzuweisen hat,
die Ungleichbehandlung geeignet ist, die ordnungsgemäße Anwendung des Neutralitätsgebots zu gewährleisten, was voraussetzt, dass diese Politik konsequent und systematisch befolgt wird, und
das Verbot auf das beschränkt ist, was im Hinblick auf den tatsächlichen Umfang und die tatsächliche Schwere der nachteiligen Konsequenzen, denen der Arbeitgeber durch ein solches Verbot zu entgehen sucht, unbedingt erforderlich ist.
EuGH (Große Kammer), Urteil v. 15.07.2021 – C-804/18 (verbundene Rechtssachen IX/WABE eV Az.: C-804/18 und MH Müller Handels GmbH Az.: C-341/19)
Die Regelung in § 2 Berliner NeutrG, wonach es Lehrkräften und anderen Beschäftigten mit pädagogischem Auftrag in den öffentlichen Schulen ohne weiteres u.a. verboten ist, innerhalb des Dienstes auffallende religiös oder weltanschaulich geprägte Kleidungsstücke, mithin auch ein islamisches Kopftuch zu tragen, ist, sofern das Tragen dieses Kleidungsstücks nachvollziehbar auf ein als verpflichtend verstandenes religiöses Gebot zurückzuführen ist, verfassungskonform dahin auszulegen, dass sie das Tragen des Kopftuchs innerhalb des Dienstes nur bei Vorliegen einer konkreten Gefahr für den Schulfrieden oder die staatliche Neutralität verbietet (BAG vom 27.8.2020, 8 AZR 62/19).
Die öffentliche Beleidigung durch den Arbeitgeber brachte der Anzeigenvertreterin einer Zeitschrift einen Schmerzensgeldanspruch (i.H. von 10.000,00 DM) wegen einer Persönlichkeitsverletzung (LAG Berlin, 05.03.1997 - 13 Sa 137/96]) ein.
Bei der Entscheidung über die Übernahme eines Auszubildenden in ein Arbeitsverhältnis dürfen seine kritischen Äußerungen in einer Schülerzeitung der Berufsschule nicht zu seinem Nachteil gewertet werden (BVerfG, 19.05.1992 - 1 BvR 126/85).
2. Herabwürdigung von Arbeitskollegen
In zahlreichen Entscheidungen wurden Kündigungen, auch außerordentliche Kündigungen wegen ausländerfeindlicher und wegen antisemitischer Äußerungen als rechtens bestätigt (vgl. BAG, 14.02.1996 - 2 AZR 274/95).
Das LAG Baden-Württemberg hat z.B. die außerordentliche Kündigung eines Arbeitnehmers wegen massiver Beleidigungen und islamfeindlicher Äußerungen über WhatsApp als wirksam angesehen. Der Arbeitgeber stützte die Kündigung auf massive Beleidigungen eines türkischen Arbeitskollegen muslimischen Glaubens (u. a. «hässlicher Türke«, »Ziegenficker«) und die Übersendung von Bilddateien über WhatsApp mit islamfeindlichem Hintergrund (u. a. »Wir bauen einen Muslim«). Der Arbeitnehmer bestritt bestreitet die Beleidigungen. Die WhatsApp-Nachrichten seien satirischen Inhalts. Danach ist die Kündigung wirksam. Bereits die an den Kollegen übersandten WhatsApp-Nachrichten stellten einen Grund für eine außerordentliche Kündigung dar. Die Inhalte der WhatsApp-Nachrichten seien eine massive Beleidigung des Arbeitskollegen muslimischen Glaubens (u.a. "Wir bauen einen Muslim"). Die übermittelten Inhalte seien menschenverachtend und von der Meinungsfreiheit nicht gedeckt. Dies gelte auch unter Berücksichtigung der langen Betriebszugehörigkeit und der Schwerbehinderung des Arbeitnehmers (LAG Baden-Württemberg, 19.12.2019 - 3 Sa 30/19).
3. Besonderheiten im öffentlichen Dienst
Im öffentlichen Dienst obliegt auch den Arbeitnehmern - wenngleich mit weniger hohen Anforderungen als gegenüber Beamten - neben der Loyalität gegenüber dem Dienstherrn eine Treuepflicht gegenüber der freiheitlich demokratischen Grundordnung (BVerfG, 22.05.1975 - 2 BvL 13/73).
Ferner hat das Gebot der Mäßigung und Zurückhaltung bei politischer Betätigung besonderes Gewicht. Das BAG billigte mit Urteil vom 02.03.1982 - 1 AZR 694/79 das gegenüber einem angestellten Lehrer ausgesprochene Verbot, während des Schuldienstes die "Anti-Atomkraft-Plakette" zu tragen.
Das Tragen der "Anti-Atomkraft-Plakette" wurde dagegen einer wissenschaftlichen Hilfskraft der Hochschule der Bundeswehr in Hamburg trotz bestehendem, vom Präsidenten ausgesprochenen generellen Plaketten- und Aufklebeverbotes gestattet (ArbG Hamburg, 06.06.1979 - 15 Ca 124/79).
Erfolglos blieb die Klage eines Arbeitnehmers gegen eine fristlose Kündigung, die darauf gestützt worden war, dass er im Betrieb die "Anti-Strauß-Plakette" trug (BAG, 09.12.1982 - 2 AZR 620/80).
Erhebliche Verstöße gegen arbeitsvertragliche Pflichten, auch wenn es sich um außerdienstliches Verhalten handelt, können im öffentlichen Dienst nicht nur zu einer Abmahnung, sondern darüber hinaus zu einer ordentlichen oder außerordentlichen verhaltensbedingten Kündigung führen, so z.B.:
Eintreten für eine verfassungswidrige Partei (BAG, 12.05.2011 - 2 AZR 479/09);
strafbare Volksverhetzung, z.B. durch Verbreiten von ausländerfeindlichen Flugblättern (BAG, 14.02.1996 - 2 AZR 274/95);
Beschimpfung und Verächtlichmachung der Verfassung und deren Organe (BAG, 06.09.2012 - 2 AZR 372/11);
auffälliges Tragen einer Anti-Atomkraft-Plakette durch einen Lehrer im Unterricht (BAG, 02.03.1982 - 1 AZR 694/79).
Siehe auch
Politische Betätigung - Akteure und VerbotsadressatenPolitische Betätigung - AllgemeinesPolitische Betätigung - Arbeitnehmer im öffentlichen DienstPolitische Betätigung - AusländerPolitische Betätigung - Behandlung betriebsbezogener, politischer AngelegenheitenPolitische Betätigung - Friedenspflicht für Arbeitgeber und BetriebsratPolitische Betätigung - Gewerkschaftliche Betätigung im BetriebPolitische Betätigung - Parteipolitische Betätigung im BetriebPolitische Betätigung - Rechtsfolgen bei VerstoßPolitische Betätigung - Schutznormen zugunsten der Arbeitnehmer