Rechtsdatenbank
Welche Fragen Arbeitgeber auch zum Thema Sozialversicherungsrecht bewegen: Die Rechtsdatenbank der AOK liefert die Antworten – einfach, fundiert und topaktuell.

Welche Fragen Arbeitgeber auch zum Thema Sozialversicherungsrecht bewegen: Die Rechtsdatenbank der AOK liefert die Antworten – einfach, fundiert und topaktuell.
Die Inhalte des Bereichs „Fachwissen SV“ geben Ihnen kostenlos Auskunft zu allen Themen der Sozialversicherung. Sie sind ein exklusives Angebot für eingeloggte Nutzer.
Jetzt einloggen:
Sie sind noch nicht registriert?
Gewerkschaft - Tarifträger
Gewerkschaft - Tarifträger
Inhaltsübersicht
- 1.
- 2.
- 3.
- 4.Rechtsprechungs-ABC
- 4.1
- 4.2
- 4.3
- 4.4
- 4.5
- 4.6
- 4.7
- 4.8
- 4.9
- 4.10
- 4.11
- 4.12
- 4.13
- 4.14
- 4.15
- 4.16
- 4.17
- 4.18
- 4.19
- 4.20
- 4.21
- 4.22
- 4.23
- 4.24
- 4.25
- 4.26
- 4.27
- 4.28
- 4.29
- 4.30
- 4.31
- 4.32
- 4.33
- 4.34
- 4.35
- 4.36
- 4.37
- 4.38
- 4.39
- 4.40
- 4.41
- 4.42
- 4.43
- 4.44
- 4.45
- 4.46
- 4.47
- 4.48
- 4.49
- 4.50
- 4.51
- 4.52
- 4.53
- 4.54
- 4.55
- 4.56
- 4.57
- 4.58
- 4.59
- 4.60
- 4.61
- 4.62
- 4.63
- 4.64
Information
1. Allgemeines
Der Gesetzgeber hat wichtige Funktionen der Gewerkschaften im Tarifvertragsgesetz (TVG) verankert. Die Arbeitnehmerorganisationen tragen als Sozialpartner maßgeblich zum Zustandekommen von Tarifverträgen und deren Durchführung bei. Das TVG regelt aber nur einige Punkte. Wie Tarifverhandlungen ablaufen und welche Mittel die Gewerkschaften haben, ihre Ziele einzufordern und durchzusetzen, ist gesetzlich nicht geregelt. Hier sind den Sozialpartnern großzügige Spielräume eröffnet, die letzten Endes aus § 9 Abs. 3 GG herzuleiten und auch darüber zu rechtfertigen sind.
2. Statusbestimmung: Tarifvertragspartei
§ 2 Abs. 1 TVG sagt:
Tarifvertragsparteien sind Gewerkschaften, einzelne Arbeitgeber sowie Vereinigungen von Arbeitgebern (§ 2 Abs. 1 TVG).
Zusammenschlüsse von Gewerkschaften und von Arbeitgebervereinigungen, sogenannte Spitzenorganisationen, können im Namen der ihnen angeschlossenen Verbände ebenfalls Tarifverträge schließen - vorausgesetzt, sie sind entsprechend bevollmächtigt (§ 2 Abs. 2 TVG, weiterführend: § 2 Abs. 3 u. 4 TVG).
Die Mitglieder einer Tarifvertragspartei sind tarifgebunden, ebenso der Arbeitgeber, der selbst Partei eines Tarifvertrags ist (§ 3 Abs. 1 TVG).
Beispiel:
Die Gewerkschaft G schließt mit dem Arbeitgeberverband V einen Entgelttarifvertrag und mit dem nicht organisierten Arbeitgeber A einen Rahmentarifvertrag über Vergütungsgruppen ab. Arbeitnehmer N 1 ist Gewerkschaftsmitglied und arbeitet in einem verbandsangehörigen Unternehmen. Arbeitnehmer N2 ist kein Gewerkschaftsmitglied, arbeitet aber in dem gleichen Unternehmen wie N2. Arbeitnehmer N3 ist Gewerkschaftsmitglied und arbeitet in einem Unternehmen, das kein Mitglied von V ist. Arbeitnehmer N4 ist Gewerkschaftsmitglied und arbeitet in As Betrieb, Arbeitnehmer N5 arbeitet auch dort und ist kein Gewerkschaftsmitglied.
Für N1 und N4 besteht nach § 3 Abs. 1 TVG Tarifbindung. Sie sind Mitglieder der Tarifvertragspartei Gewerkschaft, ihre Arbeitgeber entweder verbandszugehörig oder - wie A - selbst Partei des Tarifvertrags. N2 und N5 sind keine Gewerkschaftsmitglieder - für sie gelten die Tarifverträge nicht. Und N3 hat trotz Zugehörigkeit zur Gewerkschaft in Sachen Tarifgebundenheit Pech, weil er in einem Unternehmen arbeitet, das weder einem Verband angehört noch selbst Partei eines Tarifvertrags ist.
Rechtsnormen eines Tarifvertrags über betriebliche und betriebsverfassungsrechtliche Fragen gelten für alle Betriebe, deren Arbeitgeber tarifgebunden ist (§ 3 Abs. 2 TVG).
Beispiel:
Die Gewerkschaft G schließt mit dem Arbeitgeberverband V einen Manteltarifvertrag, in dem u.a. verbindliche Vorgaben zur Besetzung einer betrieblichen Einigungsstelle gemacht werden. Arbeitgeber A1 ist Mitglied von V, Arbeitgeber A2 nicht. In den Betrieben von A1 und A2 sind sowohl Gewerkschaftsmitglieder als auch nicht organisierte Arbeitnehmer beschäftigt. In diesem Fall kommt es nach § 3 Abs. 2 TVG nur darauf an, dass der Arbeitgeber tarifgebunden ist. So ist die Einigungsstelle im Betrieb von A1 zwingend nach den tariflichen Vorgaben zu besetzen, im Betrieb von A2 dürfen die Betriebspartner frei darüber entscheiden, wie sie die Einigungsstelle bilden und damit verfahren.
Das TVG sagt nicht, was eine Gewerkschaft ist. Das ZEIT-Lexikon definiert "Gewerkschaften" als "Organisationen lohn- oder gehaltsabhängiger Arbeitnehmer, um bestimmte, v.a. wirtsch. und soziale Interessen durchzusetzen." Um "tariffähig" zu sein, muss sich eine Gewerkschaft als Arbeitnehmervertretung die Wahrnehmung der Interessen ihrer Mitglieder in deren Eigenschaft als Arbeitnehmer als satzungsmäßige Aufgabe gesetzt haben und willens sein, Tarifverträge abzuschließen. Sie muss frei gebildet, gegnerfrei, unabhängig und auf überbetrieblicher Grundlage organisiert sein und das geltende Tarifrecht als verbindlich anerkennen. Weiterhin ist Voraussetzung, dass die Arbeitnehmervereinigung ihre Aufgabe als Tarifpartnerin sinnvoll erfüllen kann. Dazu gehört einmal die Durchsetzungskraft gegenüber dem sozialen Gegenspieler, zum anderen eine gewisse Leistungsfähigkeit der Organisation (BAG, 28.03.2006 - 1 ABR 58/04 - mit weiteren Nachweisen). Nicht jede Koalition im Sinn des Art. 9 Abs. 3 GG ist damit auch gleichzeitig tariffähig.
3. Aufgaben nach dem TVG
Die Gewerkschaften spielen eine tragende Rolle bei der Allgemeinverbindlicherklärung von Tarifverträgen (s. dazu die Stichwörter Tarifvertrag - Allgemeinverbindlicherklärung und Tarifvertrag - Allgemeinverbindl. Tarifverträge). Zum einen sind sie antragsbefugt, zum anderen gehören sie dem Ausschuss an, der über die Allgemeinverbindlicherklärung zusammen mit dem Bundesministerium für Wirtschaft und Arbeit berät (s. dazu § 5 TVG).
Das Verfahren zur Durchführung der Allgemeinverbindlicherklärung ist in der Tarifvertragsgesetz - Durchführungsverordnung (TVGDV) geregelt.
Praxistipp:
§ 5 Satz 1 TVGDV bestimmt: "Ist ein Antrag auf Allgemeinverbindlicherklärung bekanntgemacht worden, so können Arbeitgeber und Arbeitnehmer, die von der Allgemeinverbindlicherklärung betroffen werden würden, von einer der Tarifvertragsparteien eine Abschrift des Tarifvertrages gegen Erstattung der Selbstkosten verlangen." Das Gleiche sieht § 9 Abs. 1 Satz 1 TVGDV für den Fall vor, dass ein Tarifvertrag infolge Allgemeinverbindlicherklärung verbindlich ist.
Tarifvertragsparteien - und das gilt für Gewerkschaften oft mehr als für Arbeitgeberverbände - stellen sich mit der Übersendung ihrer Tarifverträge an nicht Organisierte oft recht sparsam an. Sie sagen, sie schlössen die Tarifverträge für ihre Mitglieder und würden fremden Dritten keine Tarifverträge zur Verfügung stellen. Gewerkschaften verweisen Arbeitgeber-Anwälte gerne an die Verbände, Verbände schieben Anfragen von Arbeitnehmer-Anwälten gerne den Gewerkschaften zu. Die TVGDV macht hier keine Vorgaben. Jeder Tarifvertragspartei ist verpflichtet, eine Abschrift des Tarifvertrags herauszugeben. Und was die "Selbstkosten" betrifft: das sind nur die "Papier- und Vervielfältigungs- oder Druckkosten sowie das Übersendungsporto (§§ 5 Satz 3, 9 Abs. 1 Satz 2 TVGDV) - und nicht die Beteiligung Dritter an den Kosten der Tarifrunde...
Die Tarifvertragsparteien - das heißt Arbeitgeber, Arbeitgeberverbände und Gewerkschaften - sind verpflichtet, dem Bundesminister für Wirtschaft und Arbeit innerhalb eines Monats nach Abschluss kostenfrei
die Urschrift oder eine beglaubigte Abschrift
sowie zwei weitere Abschriften eines jeden Tarifvertrags
und seiner Änderungen
zu übersenden (§ 7 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 1 TVG). Außerdem haben sie dem Bundesminister das Außerkrafttreten eines jeden Tarifvertrags innerhalb Monatsfrist mitzuteilen (§ 7 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 2 TVG). Zusätzlich müssen sie den obersten Arbeitsbehörden der Länder, auf deren Bereich sich der Tarifvertrag erstreckt, innerhalb eines Monats nach Tarifabschluss kostenfrei je drei Abschriften des Tarifvertrag und seiner Änderungen übersenden und auch ihnen das Außerkrafttreten des Tarifvertrags innerhalb Monatsfrist mitzuteilen (§ 7 Abs. 2 TVG). Erfüllt eine Tarifvertragspartei die Verpflichtungen, so werden die übrigen Tarifvertragsparteien davon befreit (§ 7 Abs. 1 Satz 3 TVG). In der Regel stimmen sich die Sozialpartner darüber ab, wer von ihnen die Übersendung durchführt.
Aufgaben und Befugnisse zur inhaltlichen Ausgestaltung von Tarifverträgen sind weder im TVG noch in der TVGDV geregelt. Sie gehören zu der durch Art. 9 Abs. 3 GG gewährleisteten Koalitionsfreiheit, zur Wahrung- und Förderung von
Arbeits- und
Wirtschaftsbedingungen
Vereinigungen zu bilden.
Die Arbeitsgerichte sind nach § 2a Abs. 1 Nr. 4 ArbGG im Beschlussverfahren ausschließlich zuständig für Entscheidungen über die
Tariffähigkeit und
Tarifzuständigkeit
einer Vereinigung. Tariffähigkeit ist die Eigenschaft, für sich selbst oder seine Mitglieder Tarifverträge abschließen zu können (BAG, 22.11.1988 - 1 ABR 6/87). Sie ist einheitlich und unteilbar (so: BAG, 22.06.2021 - 1 ABR 28/20).
Tarifzuständigkeit ist die Befugnis einer tariffähigen Partei, Tarifverträge mit einem bestimmten
räumlichen
fachlichen
betrieblichen
persönlichen
Geltungsbereich abzuschließen. Den Umfang der Tarifzuständigkeit bestimmen die Sozialpartner in ihrer Satzung in freier Selbstbestimmung. Der autonom in der Satzung festgelegte Organisationsbereich "bestimmt nicht nur für die eigenen Mitglieder und Verbandsorgane, sondern auch für den sozialen Gegenspieler die - selbst gezogene - Grenze wirksamen Handelns der Vereinigung" (BAG, 22.06.2021 - 1 ABR 28/20 - mit Hinweis auf BAG, 10.02.2009 - 1 ABR 36/08).
Das nähere Verfahren dazu regelt § 97 ArbGG. Antragsberechtigt sind nach § 97 Abs. 1 ArbGG eine Gewerkschaft, ein Arbeitgeberverband oder die oberste Arbeitsbehörde des Bundes oder eines Landes. Hängt die Entscheidung eines Rechtsstreits davon ab, ob eine Vereinigung tariffähig oder ob die Tarifzuständigkeit der Vereinigung gegeben ist, so hat das Gericht das Verfahren bis zur Erledigung des Beschlussverfahrens nach § 2a Abs. 1 Nr. 4 ArbGG auszusetzen.
Zur Durchsetzung ihrer sozialpolitischen Zielen dürfen Gewerkschaften Arbeitskämpfe führen (s. dazu die Stichwörter Arbeitskampf - Allgemeines ff.).
4. Rechtsprechungs-ABC
An dieser Stelle sind einige der interessantesten Entscheidungen zum Thema Gewerkschaften - Tarifträger in alphabetischer Reihenfolge nach Stichwörtern geordnet hinterlegt.
4.1 Arbeitskampfmaßnahme auf Betriebsgelände - 1
Einer Gewerkschaft kann nicht grundsätzlich untersagt werden, Arbeitskampfmaßnahmen auf dem Betriebsgelände des Arbeitgebers durchzuführen. In dem hier entschiedenen Fall hat die Gewerkschaft ver.di beabsichtigt, auf einem nicht eingefriedeten, aber zum Betriebsgelände des Arbeitgebers gehörenden gepachteten Parkplatz Streikposten aufzustellen, weil wegen der örtlichen Verhältnisse und des Organisationsgrads anders keine Kommunikation mit arbeitswilligen Beschäftigten möglich gewesen sei. Das LAG hat die Unterlassungsklage des Arbeitgebers abgewiesen. Begründung u.a.: Das Besitzrecht des Arbeitgebers müsse hier hinter die von Art. 9 Abs. 3 GG geschützte Betätigungsfreiheit der Gewerkschaft zurücktreten. Die Arbeitskampfmaßnahme auf dem Parkplatz beeinträchtige nicht die betriebliche Tätigkeit. Darüber hinaus müsse der Arbeitgeber keine weiteren Betriebsmittel zur Verfügung stellen (LAG Berlin-Brandenburg, 29.03.2017 - 24 Sa 979/16).
4.2 Arbeitskampfmaßnahme auf Betriebsgelände - 2
Nach dem LAG Berlin-Brandenburg hat auch das BAG im Fall des vorausgehenden Gliederungspunkts entschieden, dass der Arbeitgeber die Kampfmaßnahme nach Abwägung der berührten Grundrechtspositionen hinzunehmen hätte: "Eine nach den richterrechtlichen Grundsätzen erlaubte Arbeitskampfmaßnahme kann eine gesetzliche Gestattung iSv. § 858 Abs. 1 BGB sein" (BAG, 20.11.2018 - 1 AZR 189/17 - Leitsatz) und ist somit keine verbotene Eigenmacht. Der bestreikte Arbeitgeber wollte auch die Entscheidung dritter Instanz nicht hinnehmen und erhob Verfassungsbeschwerde. Das BVerfG schloss jedoch eine Grundrechtseinschränkung aus und hielt es mit den Arbeitsgerichten für richtig, dass der Arbeitgeber die Streikmaßnahme hier wegen der besonderen örtlichen Gegebenheiten hinnehmen musste (BVerfG, 09.07.2020 - 1 BvR 719/19 u. 1 BvR 720/19).
4.3 Ausgestaltung durch Dritte
Tarifvertragsparteien müssen nicht alles bis ins kleinste Detail selbst regeln. In vielen Fällen sind betriebliche Lösungen angezeigt, die Arbeitgeberverbände und Gewerkschaften während der Tarifverhandlungen nur unzureichend überblicken können. Man muss halt nur wissen, wie's gemacht werden soll: "Die Tarifvertragsparteien sind berechtigt, die nähere Ausgestaltung einzelner Arbeitsbedingungen einem Dritten - etwa den Betriebsparteien - zu überlassen. Die Einräumung einer solchen Befugnis muss sich aus Gründen der Rechtssicherheit und der Rechtsklarheit sowohl hinsichtlich des Adressaten als auch hinsichtlich des eröffneten Regelungsumfangs aus dem Tarifvertrag hinreichend deutlich ergeben" (BAG, 26.02.2020 - 4 AZR 48/19 - Leitsatz).
4.4 Aussetzung eines Rechtsstreits
Leiharbeitnehmer haben nach Maßgabe des § 13 Halbs. 1 AÜG Anspruch gegen ihren Entleiher auf Auskunft über die in seinem Betrieb für vergleichbare "eigene" Arbeitnehmer geltenden wesentlichen Arbeitsbedingungen einschließlich des Arbeitsentgelts. Hängt die Entscheidung eines Rechtsstreits von der Tariffähigkeit/Tarifzuständigkeit einer Vereinigung ab, kann dieser Rechtsstreit bis zur Erledigung des Beschlussverfahrens nach § 2a Abs. 1 Nr. 4 ArbGG ausgesetzt werden (§ 97 Abs. 5 Satz 1 ArbGG). Die Parteien dieses Rechtsstreits sind sogar im vorgreiflichen Beschlussverfahren antragsberechtigt (§ 97 Abs. 5 Satz 2 ArbGG).
Aber: "1. Hängt die Entscheidung eines nach § 97 Abs. 5 Satz 1 ArbGG ausgesetzten Rechtsstreits offensichtlich nicht von der in einem Verfahren nach § 2a Abs. 1 Nr. 4, § 97 ArbGG zu klärenden rechtlichen Eigenschaft der Tarifzuständigkeit oder Tariffähigkeit ab, vermittelt der Aussetzungsbeschluss keine Antragsbefugnis nach § 97 Abs. 5 Satz 2 ArbGG. 2. Ein Rechtsstreit, mit dem ein Leiharbeitnehmer von dem Entleiher Auskunft nach § 13 AÜG verlangt, kann nicht nach § 97 Abs. 5 Satz 1 ArbGG ausgesetzt werden" (BAG, 26.01.2016 - 1 ABR 13/14 - Leitsätze - in einem Rechtsstreit zwischen DGB-Gewerkschaften und dem Bundesverband Zeitarbeit Personal-Dienstleistungen - BZA).
4.5 Beschränkung eines tariflichen Geltungsbereichs
Innerhalb der durch ihre Satzung festgelegten Zuständigkeit dürfen Tarifvertragsparteien den Geltungsbereich ihrer Tarifverträge autonom festlegen. Wegen der ihnen verfassungsrechtlich verbürgten Tarifautonomie haben die Tarifpartner bei der Festlegung des Geltungsbereichs eines Tarifvertrags einen weiten Gestaltungsspielraum (s. dazu BAG, 16.11.2016 - 4 AZR 697/14 – und BAG, 24.04.2007 - 1 AZR 252/06). So dürfen sie beispielsweise den persönlichen Geltungsbereich eines Tarifvertrags auf einzelne Arbeitnehmergruppen oder auf bestimmte Berufsgruppen beschränken (BAG, 13.05.2020 – 4 AZR 489/19 – mit Hinweis auf BAG, 27.05.2004 - 6 AZR 129/03).
4.6 Bestandsschutz
"1. Das Freiheitsrecht aus Art. 9 Abs. 3 GG schützt alle koalitionsspezifischen Verhaltensweisen, insbesondere den Abschluss von Tarifverträgen, deren Bestand und Anwendung sowie Arbeitskampfmaßnahmen. Das Grundrecht vermittelt jedoch kein Recht auf unbeschränkte tarifpolitische Verwertbarkeit von Schlüsselpositionen und Blockademacht zum eigenen Nutzen. 2. Art. 9 Abs. 3 GG schützt die Koalitionen in ihrem Bestand, ohne dass damit eine Bestandsgarantie für einzelne Koalitionen verbunden wäre. Staatliche Maßnahmen, die darauf zielen, bestimmte Gewerkschaften aus dem Tarifgeschehen herauszudrängen oder bestimmten Gewerkschaftstypen die Existenzgrundlage zu entziehen, sind mit Art. 9 Abs. 3 GG ebenso unvereinbar wie die Vorgabe eines bestimmten Profils" (BVerfG, 11.07.2017 - 1 BvR 1571/15, 1 BvR 1588/15, 1 BvR 2883/15, 1 BvR 1043/16 u. 1 BvR 1477/16 - Leitsätze 1 und 2)."
4.7 Betriebsrentner
Die Gewerkschafts- und Tarifpolitik wird in erster Linie von aktiven Mitgliedern, sprich: Arbeitnehmern, bestimmt. Aber: Die Regelungsbefugnis von Tarifvertragsparteien erfasst ebenso Arbeitnehmer im Ruhestand, die Betriebsrentner. So haben auch Gewerkschaftsmitglieder, die Betriebsrentner sind, ein Recht darauf, an sie betreffenden Entscheidungen tarifpolitisch ebenso mitzuwirken wie die Gewerkschaftsmitglieder, die aktiv in einem Arbeitsverhältnis stehen (BAG, 17.06.2008 - 3 AZR 409/06).
4.8 Betriebsverfassungsrechtliche Normen
Ein Tarifvertrag regelt nicht bloß Rechtsnormen, die den Abschluss, den Inhalt und die Beendigung von Arbeitsverhältnissen betreffen. Ein Tarifvertrag kann auch Rechtsnormen enthalten, die betriebsverfassungsrechtliche Fragen ordnen (§ 2 Abs. 1 TVG). Dabei ist allerdings auf Folgendes zu achten: "Ein Tarifvertrag über die Ausgestaltung von Beteiligungsrechten des Betriebsrats erfordert wegen der betriebseinheitlichen Geltung von betriebsverfassungsrechtlichen Normen grundsätzlich die satzungsmäßige Tarifzuständigkeit der abschließenden Gewerkschaft für alle Arbeitsverhältnisse der erfassten betrieblichen Einheiten" (BAG, 14.01.2014 - 1 ABR 66/12).
4.9 "Bloß Mitglied ..."
Die bloße Mitgliedschaft in einer Gewerkschaft hat wegen der kongruenten Tarifbindung der Arbeitsvertragsparteien – s. dazu §§ 3 Abs. 1, 4 Abs, 1 TVG und das Stichwort Tarifvertrag - Tarifgebundenheit – nicht zur Folge, dass für gewerkschaftlich organisierte Arbeitnehmer immer ein Tarifvertrag unmittelbar und zwingend gilt. Dann hinge die Durchsetzungskraft einer Vereinigung von Arbeitnehmern mittelbar von der Mitgliedersträke ihrer verbandlichen Gegenspieler ab. Daher "kann auch eine junge Arbeitnehmerkoalition, die ihre Aktivität auf einen räumlich, fachlich und ggf. persönlich eng begrenzten Bereich beschränkt, bereits frühzeitig – und ohne, dass es zu einem Abschluss flächendeckender Tarifverträge gekommen sein muss – schon eine hinreichende Durchsetzungskraft haben, wenn sie mangels ausreichenden Organisationsgrads über eine Mitgliederstruktur verfügt, die sich zwar aus einer vergleichsweise kleinen Berufsgruppe zusammensetzt, deren Angehörige aber wegen ihrer besonderen Stellung im Arbeitsprozess bei einem Arbeitskampf in der Lage sind, die Arbeitgeberseite gleichwohl unter einen erheblichen wirtschaftlichen Druck zu setzen, weil auch ihr kurzzeitiger Ausfall zu beträchtlichen finanziellen Einbußen führen würde" (BAG, 22.06.2021 - 1 ABR 28/20).
4.10 Differenzierungsklausel
Der vereinfachte Fall: Ein Sozialtarifvertrag sah vor, dass Überbrückungs- und Abfindungsleistungen nur Arbeitnehmern zu Gute kamen, die an einem bestimmten Stichtag gewerkschaftlich organisiert waren. Arbeitnehmer N hielt das für verfassungswidrig, insbesondere für einen Verstoß gegen seine negative Koalitionsfreiheit. Er meinte, er habe auch als Nichtorganisierter Anspruch auf die Leistungen, die Gewerkschaftsangehörige bekommen. LAG und BAG haben N's Klage abgewiesen, das BVerfG hat seine Verfassungsbeschwerde nicht zur Entscheidung angenommen.
Vereinigungen zur Förderung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen i.S.d. Art 9 Abs. 3 GG dürfen auf Arbeitnehmer keinen Druck oder Zwang in Richtung Mitgliedschaft ausüben. "Die Tatsache, dass organisierte ... Arbeitnehmer anders behandelt werden als nicht organisierte .., bedeutet insofern jedoch noch keine Grundrechtsverletzung, solange sich daraus nur ein eventueller faktischer Anreiz zum Beitritt ergibt, aber weder Zwang noch Druck entsteht" (s. dazu BVerfG, 03.07.2000 - 1 BvR 945/00). Bei N war weder ein "generalpräventiver Druck" noch eine "individuelle Zwangswirkung" erkennbar. Seine negative Koalitionsfreiheit - das Recht, sich nicht zu organisieren - war hier nicht betroffen (BVerfG, 14.11.2018 - 1 BvR 1278/16 - mit weiteren verfassungsrechtlichen Ausführungen).
4.11 "DHV"
Eine weitere "Gewerkschaft", die am Ende dann doch keine war: die "DHV – Die Berufsgewerkschaft e. V." Das Bundesarbeitsgericht hat ihr die Tariffähigkeit aberkannt. Tariffähig sind nämlich nur Gewerkschaften, die eine Durchsetzungsfähigkeit gegenüber den Arbeitgeberverbänden haben und über "eine hinreichende organisatorische Leistungsfähigkeit in einem zumindest nicht unbedeutenden Teil des beanspruchten Zuständigkeitsbereichs" verfügen. Dabei wird die organisatorische Mächtigkeit überwiegend durch die Zahl der organisierten Arbeitnehmer vermittelt. Von den 6,3 Millionen Beschäftigten, die es nach deren Aussage in dem selbst gewählten Zuständigkeitsbereich (vom Handel über Dienstleister bis hin zur Wohlfahrtpflege) gab, waren – nach eigener Auskunft – gerade mal 66.826 DHV-Mitglied. Das entspricht einem 1-prozentigen über alle Branchen verteilten Organisationgrad. Und das ist zu wenig, um tariffähig zu sein (BAG, 22.06.2021 – 1 ABR 28/20 – Pressemitteilung Nr. 15/21).
4.12 Durchführungsanspruch - 1
Schließt ein Arbeitgeber mit einer Gewerkschaft einen Haus- oder Firmentarifvertrag, ist er gegenüber der Gewerkschaft verpflichtet, diesen Tarifvertrag durchzuführen. Die vertragsschließende Gewerkschaft hat darauf einen schuldrechtlichen Anspruch. Diesen Anspruch kann die Gewerkschaft mit einer Leistungsklage vor dem Arbeitsgericht geltend machen, die auf die bei dem Arbeitgeber beschäftigten Gewerkschaftsmitglieder begrenzt ist. Dabei brauchen die einzelnen Mitglieder im Klageantrag nicht namentlich erwähnt zu werden. Es genügt, wenn der Klageantrag abstrakt auf "die Mitglieder" beschränkt wird. Verlangt eine Gewerkschaft die Durchführung des Firmentarifvertrags auch gegenüber nicht tarifgebundenen arbeitnehmerähnlichen Personen, ist ihre Klage unbegründet und folgerichtig abzuweisen (BAG, 13.10.2021 – 4 AZR 403/20).
4.13 Durchführungsanspruch - 2
"Der Anspruch einer Gewerkschaft gegenüber einem Arbeitgeber auf Durchführung eines Haustarifvertrags besteht nur hinsichtlich derjenigen Arbeitnehmer, die Mitglied der tarifschließenden Gewerkschaft sind. Ein auf Durchführung eines Haustarifvertrags gerichteter Leistungsantrag ist auch ohne namentliche Benennung der hiervon erfassten Gewerkschaftsmitglieder hinreichend bestimmt iSd. § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO. Es kann über Bestand und nähere inhaltliche Ausgestaltung der Durchführung des Tarifvertrags rechtskräftig entschieden werden. Eine sich daraus ergebende Verlagerung der namentlichen Feststellung der Gewerkschaftsmitglieder in das Zwangsvollstreckungsverfahren ist aus Gründen der Gewährung effektiven Rechtsschutzes hinzunehmen. Die Interessen des beklagten Arbeitgebers werden hierdurch nicht in rechtserheblicher Weise beeinträchtigt" (BAG, 13.10.2021 – 4 AZR 403/20 – Leitsatz).
4.14 Durchsetzungsfähigkeit
Eine Arbeitnehmerkoalition ist gegenüber ihrem sozialen Gegenspieler nicht nur dann duchsetzungsfähig, wenn sie in ihrem Zuständigkeitsbereich über eine Organisationsstärke verfügt, die ihr die "Chance des 'vollständigen Sieges'" über die Arbeitgebervereinigung vermittelt. Für sie genügt bereits die Erwartung, "dass sie vom Gegner ernst genommen wird und die Regelung der Arbeitsbedingungen damit nicht dessen 'Diktat' entspringt" – sondern von den Tarifpartnern ausgehandelt wird (s. dazu BVerfG, 20.10.1981 - 1 BvR 404/78). Hinzu kommt, dass die Garantien des Art. 9 Abs, 3 GG auf einem Wandel unterliegende wirtschaftliche und soziale Bedingungen zielen, also Fortentwicklungen und Modifikationen zulassen (BVerfG, 20.10.1981 - 1 BvR 404/78 - und BVerfG. 01.03.1979 - 1 BvR 532/77). "Dieser Umstand gebietet es, bei den Voraussetzungen der Tariffähigkeit von Arbeitnehmerkoalitionen auch – sich ggf. wandelnde – gesellschaftliche Wirklichkeiten in den Blick zu nehmen, damit diese überhaupt ihre Aufgabe erfüllen können" (BAG, 22.06.2021 - 1 ABR 28/20).
4.15 Fehlende Tariffähigkeit (CGZP)
Ein Tarifvertrag i.S.d. § 1 Abs. 1 TVG kann nur von Parteien geschlossen werden, die tariffähig sind. Bei fehlender Tariffähigkeit kann eine "Tarifpartei" lediglich eine "Kollektivvereinbarung" schließen - die aber keine normative Wirkung hat. Schließt eine nicht tariffähige Partei - hier: die Gewerkschaft CGZP - einen "Tarifvertrag", ist dieses Regelwerk von Anfang an unwirksam. "Die These vom fehlerhaften Tarifvertrag (...), die in Anlehnung an die Regeln der fehlerhaften Gesellschaft und des fehlerhaften Arbeitsverhältnisses zur Vermeidung einer Rückabwicklung die Unwirksamkeit vollzogener Tarifverträge ex nunc annimmt, ist bei der Vereinbarung tariflicher Regelungen gem. § 9 Nr. 2 AÜG ungeeignet" (BAG, 13.03.2013 - 5 AZR 294/12).
4.16 Fehlende Tarifzuständigkeit
§ 97 ArbGG regelt das Beschlussverfahren "über die Tariffähigkeit und Tarifzuständigkeit einer Vereinigung" i.S.d. § 2a Abs. 1 Nr. 4 ArbGG. Dabei muss die Feststellung weder gegenwarts- noch zukunftsbezogen sein. "1. § 97 Abs. 1 ArbGG lässt auch eine vergangenheitsbezogene Feststellung der Tarifzuständigkeit einer Gewerkschaft [hier: ver.di vs. "DHV - Die Berufsgewerkschaft e.V."] zu. 2. In dem Verfahren um die Tarifzuständigkeit einer Vereinigung sind weder die Spitzenorganisationen der Arbeitnehmer- und Arbeitgeberseite noch die obersten Arbeitsbehörden des Bundes und der Länder beteiligt" (BAG, 11.06.2013 - 1 ABR 32/12 - mit dem Ergebnis, dass der DHV bis zum 09.01.2013 die satzungsgemäße Tarifzuständigkeit für die Arbeitnehmer der DRK-Blutspendedienst West GmbH, die nicht kaufmännisch oder verwaltend tätig waren, fehlte).
4.17 Freistellungsanspruch
Der hier anzuwendende Tarifvertrag sah die Regelung "Zur Teilnahme an Tarifverhandlungen mit der Vereinigung der kommunalen Arbeitgeberverbände oder ihrer Mitgliedsverbände kann auf Anforderung der vertragsschließenden Gewerkschaft Arbeitsbefreiung unter Fortzahlung des Arbeitsentgelts … ohne zeitliche Begrenzung erteilt werden." Arbeitnehmer A wollte – obwohl nicht angefordert – an den laufenden Tarifverhandlungen teilnehmen. Arbeitgeber G lehnte die Freistellung ab. A nahm sich danach die Auszeit eigenmächtig – und verlor seinen Arbeitsplatz: "1. Ein unentschuldigtes Fehlen eines Arbeitnehmers und eine eigenmächtige Urlaubsnahme sind geeignet, eine außerordentliche Kündigung gemäß § 626 Abs. 1 BGB zu begründen. 2. Ein Arbeitnehmer ist auch dann grundsätzlich nicht berechtigt, sich selbst zu beurlauben oder freizustellen, wenn er möglicherweise einen Anspruch auf Erteilung von Urlaub oder eine Freistellung gehabt hätte. Ein solcher Anspruch ist im Wege des gerichtlichen Rechtsschutzes, ggf. im Wege einer einstweiligen Verfügung, durchzusetzen, nicht aber durch eigenmächtiges Handeln" (LAG Mecklenburg-Vorpommern, 23.11.2021 – 5 Sa 88/21 – Leitsatz).
4.18 GDL und § 4a TVG - 1
Nachdem das ArbG Berlin die GDL schon abblitzen ließ, hat auch das zweitinstanzliche LAG Berlin-Brandenburg den Antrag der Gewerkschaft auf Erlass einer einstweiligen Verfügung zurückgewiesen, mit dem die GDL den Arbeitgeber- und Wirtschaftsverband der Mobilitäts- und Verkehrsdienstleister – AGV MOVE – veranlassen wollte, auf seine Mitglieder einzuwirken und auf die Anwendung ihrer Tarifverträge zu drängen. Zum einen fehle es an der Eilbedürftigkeit. Zum anderen kann die GDL von der AGV MOVE nicht verlangen, § 4a TVG (Tarifkollision) nur deswegen nicht anzuwenden, weil die GDL ihn für verfassungswidrig halte. Im einstweiligen Rechtsschutz kann nicht entschieden werden, ob § 4a TVG unverhältnismäßig in die Grundrechte der GDL eingreife (LAG Berlin-Brandenburg, 19.08.2021 – 14 SaGa 955/21).
4.19 GDL und § 4a TVG - 2
Da hatte die GDL jetzt aber so richtig Pech: Das Berliner Arbeitsgericht hat ihr in einer weiteren Entscheidung keinen Anspruch auf Durchführung ihrer Tarifverträge zuerkannt. Stattdessen hat es festgestellt: Die Unternehmen der Bahn wenden diese Tarfverträge in ihren Betrieben zu Recht nicht an, weil sie von der mehrheitlichen Organisation ihrer Mitarbeiter in der Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft (EVG) ausgehen. Auch das ArbG Berlin ist der Auffassung, dass § 4a TVG nicht verfassungswidrig sei. Insoweit sei es nicht zu beanstanden, wenn sich die Unternehmen der Bahn bei Nichtanwendung der GDL-Tarifverträge auf diese Bestimmung stützten (ArbG Berlin, 21.09.2021 – 30 Ca 563/21 – mit dem Hinweis, dass sich seine Entscheidung auf die aktuell noch geltenden Tarifverträge beziehe, nicht auf die nach erfolgter Einigung künftig noch in Kraft tretenden).
4.20 Gegnerunabhängigkeit
Wenn eine "Gewerkschaft" auf Arbeitgeber-Initiative hin gegründet wird, damit maßvollere Tarifverträge vereinbart werden, ist das sicherlich nicht im Sinne des Erfinders. Eine Gewerkschaft muss von ihrem sozialen Gegenspieler unabhängig sein. "Das Erfordernis der Gegnerunabhängigkeit ist nicht im formalen, sondern im materiellen Sinne zu verstehen. Es soll sicherstellen, dass die Vereinigung durch ihre koalitionsmäßige Betätigung zu einer sinnvollen Ordnung des Arbeitslebens beitragen kann. Die erforderliche Gegnerunabhängigkeit fehlt, wenn die Abhängigkeit vom sozialen Gegenspieler in der Struktur der Arbeitnehmervereinigung angelegt und verstetigt und die eigenständige Interessenwahrnehmung der Tarifvertragspartei durch personelle Verflechtungen, auf organisatorischem Weg oder durch wesentliche finanzielle Zuwendungen ernsthaft gefährdet ist" (BAG, 22.06.2022 – 1 ABR 28/20 – mit Hinweis auf BAG, 26.06.2018 – 1 ABR 37/16 – und BAG, 05.10.2010 – 1 ABR 88/09.
4.21 Gleichgewicht der Kräfte
Eine funktionierende Tarifautonomie verlangt ein ungefähres Kräftegleichgewicht zwischen den Tarifvertragsparteien. Parität setzt als Funktionsbedingung die Durchsetzungskraft der Arbeitnehmer- gegenüber der Arbeitgeberkoaliton, dem sozialen Gegenspieler, voraus (dazu: BVerfG, 24.02.1999 - 1 BvR 123/93). Sie gewährleistet den fairen und ausgewogenen Ausgleich der gegensätzlichen Arbeitsvertragsinteressen über kollektive Verhandlungen (dazu auch: BVerfG, 09.07.2020 - 1 BvR 719/19). Erst damit greift die Vermutung der Angemessenheit des Ausgehandelten. "Angesichts der arbeitsrechtlich strukturellen Überlegenheit der Arbeitgeberseite ist die soziale Mächtigkeit einer Gewerkschaft eine Voraussetzung dafür, dass ein Verhandlungsgleichgewicht überhaupt erst entstehen kann" (BAG, 22.06.2021 - 1 ABR 28/20 - mit Hinweis auf BVerfG, 09.07.2020 - 1 BvR 719/19).
4.22 Grundrechtsklage
"1. Enthalten Landesgrundrechte weitergehende Gewährleistungen als Bundesgrundrechte, besteht Raum für die Kontrolle der Anwendung von Bundesrecht durch die Landesstaatsgewalt am Maßstab von Landesgrundrechten nur, wenn das Bundesrecht dem Gesetzesanwender einen Entscheidungsspielraum belässt, in dem sich das Landesgrundrecht entfalten kann; ansonsten darf die Anwendung von Bundesrecht nur am Maßstab von Landesverfassungsrecht überprüft werden, das mit Grundrechten des Grundgesetzes inhaltsgleich ist. 2. Ein Gericht des Landes Hessen darf einer Gewerkschaft kein über Art. 9 Abs. 3 GG hinausgehendes Streikrecht aus Art. 29 Abs. 4 HV zubilligen. Das folgt aus Art. 31 GG und Art. 142 GG."
"3. Der durch die Art. 9 Abs. 3, Art. 12 Abs. 1 und Art. 14 Abs. 1 GG gesetzte Rahmen, innerhalb dessen sich gewerkschaftliche Arbeitskampfmaßnahmen halten müssen, lässt einem Gericht des Landes bei der Prüfung eines gegen solche Maßnahmen geltend gemachten Unterlassungsanspruchs gem. §§ 823, 1004 BGB keinen Raum für die Berücksichtigung einer etwaigen landesverfassungsrechtlichen Mehrgewährleistung nach Art. 29 Abs. 4 HV. Denn im Falle der Zuerkennung eines über Art. 9 Abs. 3 GG hinausreichenden Streikrechts aus der Hessischen Verfassung entstünde ein über Art. 31 GG aufzulösender Konflikt zwischen Bundes- und Landesgrundrecht, da die in Art. 12 und Art. 14 GG geschützten Grundrechte der Arbeitgeber weitergehend als durch das bundesverfassungsrechtliche Komplementärgrundrecht des Art. 9 Abs. 3 GG eingeschränkt würden" - ein Fall so genannter mehrpoliger Rechtsverhältnisse (StGH Hessen, 10.05.2017 - P.St. 2545).
4.23 Grundrechtsträger
Die Mitglieder einer Gewerkschaft unterliegen der tarifvertraglichen Normsetzung mindestens ihn ähnlicher Weise wie Bürger der staatlichen Rechtssetzung. Soweit es dessen Verhältnis als Grundrechtsträger zum Staat betrifft, darf er seine Freiheit in der Regel selbst in höherem Maße einschränken, als er Eingriffe von staatlicher Seite hinnehmen müsste. In puncto Tarifautonomie ist dagegen zu berücksichtigen: Gewerkschaftsmitglieder können sich durch ihren Beitritt zur Gewerkschaft nicht "zugleich freiwillig jeder nicht gerechtfertigten Ungleichbehandlung in Tarifnormen unterwerfen" – mit der weiteren Folge, dass der Gewerkschaftsbeitritt nicht gleichzeitig zu einem wirksamen Grundrechtsverzicht führt. "Die kollektive Koalitionsfreiheit ist mit dem Individualgrundrecht des Art. 3 Abs. 1 GG angemessen in Ausgleich zu bringen" (BAG, 09.12.2020 – 10 AZR 334/20).
4.24 Kontrollpflicht
"Ein Streik, dessen Kampfziel auch der Durchsetzung einer friedenspflichtverletzenden oder tarifwidrigen Forderung dient, ist rechtswidrig" (BAG, 26.07.2016 - 1 AZR 160/14 - 1. Leitsatz). Stellt eine Gewerkschaft Forderungen, muss sie prüfen, ob ihre Forderungen durch die in Art. 9 Abs. 3 GG verankerte Tarifautonomie gedeckt sind. Tariffähigkeit einer Gewerkschaft bedeutet nicht nur, dass sie dazu in der Lage ist, Forderungen gegenüber dem sozialen Gegenspieler zu stellen und durchzusetzen. Eine Gewerkschaft muss auch eine leistungsfähige Organisation vorhalten, die sie in die Lage versetzt, "die ihr von Art. 9 Abs. 3 GG zugedachten Aufgaben zu erfüllen." Dazu gehört zunächst eine angemessene - mit der Vorbereitung und dem Abschluss von Tarifverhandlungen befasste - Zahl von Mitarbeitern. Darüber hinaus gehört zu den Aufgaben einer Gewerkschaft "auch die Überprüfung der Legitimität einer Tarifforderung als Voraussetzung der Rechtmäßigkeit des um ihre Durchsetzung geführten Arbeitskampfes" (BAG, 26.07.2016 - 1 AZR 160/14).
4.25 Landesrechtliche Besonderheiten?
Art. 29 Hessische Landesverfassung (HessV) enthält unter der Überschrift "Einheitliches Arbeitsrecht, Tarifsystem, Schlichtungswesen, Arbeitskampf" in Abs. 4 die Regelung: "Das Streikrecht wird anerkannt, wenn die Gewerkschaften den Streik erklären." Trotzdem gewährleistet Art. 29 Abs. 4 HessV Gewerkschaften kein besonderes Streikrecht, das über das in Art. 9 Abs. 3 GG verankerte hinausgeht. In Hessen besteht das gleiche Streikrecht wie in den anderen Bundesländern. Auch Art. 29 Abs. 4 HessV gewährleistet nur Arbeitskämpfe, die wegen eines tariflich regelbaren Ziels geführt werden. U.a. mit dieser Begründung hat der Hessische Staatsgerichtshof die Grundrechtsklage der Gewerkschaft Vereinigug Cockpit e.V. gegen das Land Hessen zurückgewiesen (StGH Hessen, 10.05.2017 - P. St. 2545 - und Bestätigung von LAG Hessen, 09.09.2015 - 9 SaGa 1082/15: Arbeitskampf wegen eines Unternehmensumbaus als unzulässiges Streikziel).
4.26 Mitgliedernamen
Eine Gewerkschaft braucht die Namen ihrer Mitglieder auch in einem Zivilprozess nicht ohne weiteres mitzuteilen. Das folgt aus der Tarifautonomie. Auf der anderen Seite müssen die verfahrensrechtlichen Anforderungen aus § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO beachtet werden (VerfGH Sachsen, 10.12.2004 - Vf. 99-IV-04).
4.27 Notlagentarifvertrag
Der vereinfachte Fall: Der CeBeeF - ein gemeinnütziger Verein - hatte mit der Gewerkschaft ver.di einen Tarifvertrag geschlossen. In der Folgezeit zahlte der CeBeef seinen Mitarbeitern den Tariflohn trotzdem nicht. Er behauptete eine existenzgefährdende Notlage und forderte ver.di auf, mit ihm einen Notlagentarifvertrag zu schließen. Etliche Arbeitnehmer klagten ihre tarifliche Vergütung ein - und bekamen Recht. Auch wenn sich die Gewerkschaft bereits 2012 verpflichtet habe, mit dem CeBeeF über einen Notlagentarifvertrag zu verhandeln, darf der Arbeitgeber seine Mitarbeiter nicht so behandeln, als gäbe es diesen Notlagentarifvertrag bereits. Er muss weiterhin den vereinbarten Tariflohn zahlen (LAG Hessen, 28.08.2015 - 3 Sa 295/14).
4.28 Offenlegung der Mitgliederstärke?
Gewerkschaften werden durch Art. 9 Abs. 3 GG nicht nur ihrem Bestand und ihrer Ausgestaltung geschützt. Art. 9 Abs. 3 GG schützt auch ihre Betätigungen, vorausgesetzt sie dienen der Förderung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen. Der Schutz der Verfassung besteht für alle koalitionsspezifischen Verhaltensweisen. Er umfasst insbesondere die Tarifautonomie. Die Wahl der Mittel überlässt Art. 9 Abs. 3 GG den Koalitionen selbst – und der Schutz reicht dabei so weit, wie eine funktionierende Tarifautonomie ihn erfordert (s. dazu BAG, 23.02.2021 – 3 AZR 15/20 – u. BAG, 18.11.2014 – 1 AZR 257/13). "Dies umfasst auch die Absicherung der Durchsetzung geschaffener Tarifnormen" (s. dazu BVerfG, 11.07.2017 – 1 BvR 1571/15). "Mit Rücksicht darauf ist nach Möglichkeit zu vermeiden, dass die Mitgliederstärke der Gewerkschaft im Betrieb gegenüber dem Arbeitgeber offengelegt wird" (BAG, 13.10.2021 – 4 AZR 403/20 – mit Hinweis auf BVerfG, 11.07.2017 – 1 BvR 1571/15 – u. BAG, 18.11.2014 – 1 AZR 257/13).
4.29 Partielle Tariffähigkeit?
Eine Gewerkschaft muss organisatorisch dazu in der Lage sein, die ihr gestellten Aufgaben in ihrem selbst gewählten Zuständigkeitsbereich zu erfüllen. Dazu muss sie Durchsetzungskraft und organisatorische Leistungsfähigkeit haben. "Es gibt keine partielle, auf bestimmte Regionen, Berufskreise oder Branchen beschränkte Tariffähigkeit. Die Tariffähigkeit einer Arbeitnehmerorganisation für den beanspruchten Zuständigkeitsbereich ist einheitlich und unteilbar" (dazu umfassend: BAG, 28.03.2006 – 1 ABR 58/04). "Danach kann einer Arbeitnehmerkoalition einerseits die Tariffähigkeit insgesamt nicht versagt werden, wenn die Durchsetzungskraft oder die organisatorische Leistungsfähigkeit in irgendeinem Teilbereich fehlt, während sie andererseits nicht festgestellt werden kann, wenn sie nur in irgendeinem Teilbereich ihrer Tarifzuständigkeit über eine Durchsetzungskraft verfügt" (BAG, 22.06.2021 – 1 ABR 28/20 – mit Hinweis auf BAG, 26.06.2018 – 1 ABR 37/16 – und BAG, 14.12.2010 – 1 ABR 19/10).“
4.30 Partizipationsstreik
Der vereinfachte Fall: Die K-Warenhäuser hatten 2016 mit der Gewerkschaft ver.di einen "Zukunftstarifvertrag K-Warenhaus" geschlossen, der Entgelterhöhungen für die K-Mitarbeiter in den Jahren 2017 bis 2020 und eine Friedenspflicht regelte. 2019 verhandelte ver.di mit dem Handelsverband über Entgelterhöhungen im Flächentarifvertrag, der für die K-Warenhäuser aber erst ab dem 01.04.2021 wieder gelten soll. Die Gewerkschaft wollte trotzdem in den K-Warenhäusern einen "Partizipationsstreik" durchführen, um damit die Tarifverhandlungen zum Flächentarifvertrag zu unterstützen - erlitt vor dem Arbeitsgericht Berlin jedoch eine Schlappe. Ihr Partizipationsstreik war unzulässig. Er verstieß gegen die im Zukunftstarifvertrag vereinbarte Friedenspflicht - und so wurden ver.di weitere Streikmaßnahmen in den K-Warenhäusern bis zum Abschluss des Flächentarifvertrags - längstens jedoch bis zum 30.09.2019 - untersagt (ArbG Berlin, 27.06.2019 - 4 Ga 7529/19).
4.31 Rechtsgrundlagen
Die Anforderungen, die an die Tariffähigkeit einer Arbeitnehmerkoalition gestellt werden, entstammen der Rechtsprechung. Es gibt für sie keine formalgesetzliche Grundlage. Und so lange der Gesetzgeber in puncto Tariffähigkeit nicht aktiv wird, ist es nicht nur Aufgabe, sondern geradezu Pflicht der Gerichte für Arbeitssachen, diese Anforderungen mit Blick auf Art. 9 Abs. 3 GG näher zu umschreiben (s. BVerfG, 13.09.2019 - 1 BvR 1/16). "Die Wesentlichkeitstheorie, nach welcher der Gesetzgeber in grundlegenden normativen Bereichen alle wesentlichen Entscheidungen selbst treffen muss (...), gilt lediglich für das Verhältnis von Staat und Bürger" (dazu: BVerfG, 08.08.1978 - 2 BvL 8/77). Soll die Tariffähigkeit einer Arbeitnehmerorganisation festgestellt werden, betrifft diese Feststellung das Verhältnis gleichgeordneter Grundrechtsträger. Da müssen die Gerichte, wenn die gesetzlichen Vorgaben unzureichend sind, "das materielle Recht mit den anerkannten Methoden der Rechtsfindung aus den allgemeinen Rechtsgrundlagen ableiten, die für das betreffende Rechtsverhältnis maßgeblich sind" (BAG, 22.06.2021 - 1 ABR 28/20 - mit Hinweis auf BVerfG, 16.09.1991 - 1 BvR 453/90).
4.32 Rechtswidriger Streik
"1. Ein Arbeitskampf, der um ein tariflich nicht regelbares Ziel geführt wird, ist rechtswidrig. Dies gilt jedenfalls dann, wenn es sich nicht nur um eine bloße Nebenforderung handelt. 2. Ein Arbeitskampf, der sich gegen eine unternehmerische Entscheidung (hier u.a. Gründung einer Fluggesellschaft im Ausland) als solche richtet, zielt grundsätzlich auf ein nicht tariflich regelbares Ziel ab. 3. Bei der Frage, welche Forderungen eine Gewerkschaft zum Gegenstand des Arbeitskampfes macht, ist grundsätzlich auf den Streikbeschluss der zuständigen Gremien abzustellen. Ausnahmsweise können allerdings auch sonstige Verlautbarungen der Gewerkschaft selbst, insbesondere von deren vertretungsberechtigten Mitgliedern und/oder deren Pressesprechers, Berücksichtigung finden" (LAG Hessen, 09.09.2015 - 9 SaGa 1082/15 - zum 2015er Streik der Vereinigung Cockpit gegen die Lufthansa).
4.33 Soziale Mächtigkeit
Soll die soziale Mächtigkeit einer Gewerkschaft beurteilt werden, ist dabei in erster Linie auf ihre Mitgliederzahl und deren Zusammensetzung abzustellen. Dieser Schwerpunkt ist verfassungsrechtlich unbedenklich (s. dazu BVerfG, 13.09.2019 - 1 BvR 1/16). Gerade die Mitgliederstärke einer Gewerkschaft ist ein wesentliches Kriterium ihrer Durchsetzungskraft (dazu: BVerfG, 11.07.2017 - 1 BvR 1571/15). Ansonsten wäre eine Arbeitnehmervereinigung, würde ihr eine gewisse Geschlossenheit der Organisation und eine Durchsetzungskraft gegenüber dem Sozialpartner fehlen, vom Goodwill der Arbeitgeberseite abhängig. Damit könnte sie den Aufgaben der Tarifautonomie nicht gerecht werden (dazu u.a.: BVerfG, 13.09.-2019 - 1 BvR 1/16 - und BVerfG, 24.02.1999 - 1 BvR 123/93). Auch die Verhandlungsstärke einer Gewerkschaft hängt von ihrer Mitgliederzahl ab. Sie entscheidet darüber, ob die Gewerkschaft in der Lage ist, "die mit dem Abschluss von Tarifverträgen verbundenen finanziellen und personellen Lasten zu tragen" (BAG, 22.06.2021 - 1 ABR 28/20 - mit Hinweis auf BVerfG, 13.09.2019 - 1 BvR 1/116).
4.34 Sozialplan (tariflicher)
Für die Aufstellung betriebsbezogener Sozialpläne sind nach §§ 111, 112 BetrVG die Betriebspartner zuständig. Gewerkschaften dürfen allerdings zu Streiks für einen Tarifvertrag aufrufen, mit dem wirtschaftliche Nachteile aus einer Betriebsänderung ausgeglichen oder gemildert werden sollen. Die §§ 111, 112 BetrVG schränken die Regelungsbefugnis der Tarifpartner nicht ein. Der Umfang einer Streikforderung, die auf ein tariflich regelbares Ziel gerichtet ist, unterliegt wegen der durch Art. 9 Abs. 3 GG gewährleisteten Koalitionsbetätigungsfreiheit einer Gewerkschaft und im Interesse der Funktionsfähigkeit der Tarifautonomie keine gerichtlichen Kontrolle (BAG, 24.04.2007 - 1 AZR 252/06 - mit dem Ergebnis, dass der vom Arbeitgeberverband geltend gemachte Unterlassungsanspruch abgewiesen wurde).
4.35 Stichtagsregelung
Hat ein Haustarifvertrag einen sozialplanähnlichen Inhalt, darf er für Leistungen, die der Arbeitgeber an tarifgebundene Arbeitnehmer zum Ausgleich wirtschaftlicher und sozialer Nachteile zahlen muss, eine Stichtagsregelung vorsehen, wonach nur die gewerkschaftsangehörigen Arbeitnehmer Anspruch auf diese Leistungen haben, die bereits im Zeitpunkt der tariflichen Einigung Mitglied der Gewerkschaft waren. Die hier im Haustarifvertrag verwendete Abmachung ist keine bloße Differenzierungsklausel, die lediglich zwischen Gewerkschaftsmitgliedern und nicht beziehungsweise anders tarifgebundenen Arbeitnehmern unterscheidet. So eine Regelung verstößt auch nicht gegen den Grundsatz der negativen Koalitionsfreiheit. Selbst die "Binnendifferenzierung" zwischen den Mitgliedern der Gewerkschaft - Beitritt vor oder nach dem Stichtag - schränkt weder die Handlungs- oder Vertragsfreiheit des Arbeitgebers noch die von Außenseitern ein (BAG, 15.04.2015 - 4 AZR 796/13).
4.36 Streik als "außergewöhnlicher Umstand"
"Art. 5 Abs. 3 der Verordnung (EG) Nr. 261/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. Februar 2004 über eine gemeinsame Regelung für Ausgleichs- und Unterstützungsleistungen für Fluggäste im Fall der Nichtbeförderung und bei Annullierung oder großer Verspätung von Flügen und zur Aufhebung der Verordnung (EWG) Nr. 295/91 ist dahin auszulegen, dass durch den Streikaufruf einer Gewerkschaft von Beschäftigten eines ausführenden Luftfahrtunternehmens eingeleitete Streikmaßnahmen, bei denen die Anforderungen des nationalen Rechts - insbesondere die darin für die Vorankündigung vorgesehene Frist - beachtet werden, mit denen die Forderungen der Beschäftigten dieses Unternehmens durchgesetzt werden sollen und denen sich eine oder mehrere der für die Durchführung eines Fluges erforderlichen Beschäftigtengruppen anschließen, nicht unter den Begriff 'außergewöhnlicher Umstand' im Sinne dieser Vorschrift fallen" (EuGH, 23.03.2021 – C-28/20 – Leitsatz – Schweden).
4.37 Streikfonds - 1
So richtig weiß außer den Gewerkschaften selbst wohl niemand, wie voll deren Streikkasse für den nächsten Arbeitskampf ist und wie lange sie diesen Arbeitskampf stemmen können. Prozessual dürfen sie selbst in Anpassungsrechtsstreiten nach § 16 Abs. 1 BetrAVG nicht dazu gezwungen werden, ihre komplette Finanz- und Vermögenslage offenzulegen. Müssten sie das, würde das ihre Kampfkraft schwächen. Damit wird verhindert, "dass der potentielle Arbeitskampfgegner zu erkennen vermag, wie lange die Gewerkschaft in einem Arbeitskampf 'durchhalten' kann." Es reicht daher aus, wenn die Gewerkschaft vorträgt, welcher Anteil ihrer laufenden Einnahmen aufgrund welcher Entscheidungsfindung in den Streikfonds geht. "Gewerkschaften dürfen bis zur Willkürgrenze festlegen, welchen Teil ihrer laufenden Einnahmen sie dem Streikfonds zuführen wollen. Der Streikfonds und seine Erträge sind bei der Anpassungsprüfung nicht zu berücksichtigen" (BAG, 23.02.2021 – 3 AZR 15/20 – 2. Leitsatz).
4.38 Streikfonds - 2
Das Grundgesetz verlangt in Art. 9 Abs. 3 GG nicht, das neben dem Streikfonds vorhandene Gewerkschaftsvermögen in einer Art und Weise zu schützen, die sich vom Schutz des Vermögens gewinnorientierter Unternehmen unterscheidet. Natürlich ist bei den Unternehmen die Vermögenssubstanz vor Auszehrung geschützt. Zuwächse und Erträge des Vermögens sind dagegen schon bei einer Beurteilung der wirtschaftlichen Lage zu berücksichtigen (s. dazu BAG, 13.10.2020 – 3 AZR 246/20 – und BAG, 22.01.2019 – 3 AZR 489/17). Außerhalb der Zuführung von Vermögen zum Streikfonds gibt es keinen zu beachtenden Grund, Gewerkschaften in diesem Punkt besser zu stellen. Hier zeigen sich Parallelen zur Bewertung der wirtschaftlichen Lage von Vereinen, deren Zweck nicht gewinn-, sondern vereinszweckorientiert ist. Nur die auf den Vereinszweck gerichtete Tätigkeit ist durch Art. 9 Abs. 3 GG geschützt. "Ein weiter gehender Schutz etwa der Entscheidung, alle finanziellen Mittel nur für den Vereinszweck zu nutzen, wäre mit den kollidierenden Grundrechten der Betriebsrentner aus Art. 12 und Art. 14 GG nicht vereinbar" (BAG, 23.02.2021 – 3 AZR 15/20).
4.39 Streik mit beschränkter Haftung
Zwei Fluggesellschaften und die Fraport-AG hatten die Gewerkschaft der Flugsicherung - GdF - wegen eines teilweise rechtswidrigen Streiks auf mehr als 9 Millionen Euro Schadenseratz verklagt - und sind dabei gescheitert. Begründung: Die Fluggesellschaften seien Drittbetroffene, die nicht selbst bestreikt wurden und insoweit auch keinen Anspruch auf Schadensersatz hätten. Soweit es die Fraport-AG betreffe, sei davon auszugehen, dass die Streiks keinen anderen Verlauf genommen hätten, wenn ausschließlich für rechtmäßige Streikziele gestreikt worden wäre. Das Gleiche gelte für den Schaden - auch er wäre kein anderer gewesen, wenn die GdF nur rechtmäßige Streikziele verfolgt hätte (LAG Hessen, 05.12.2013 - 9 Sa 592/13).
4.40 Streikmobilisierung
Die streikführende Gewerkschaft darf Arbeitnehmer unmittelbar vor Betreten des Betriebs ansprechen, um sie für die Streikteilnahme zu mobilisieren. Gibt es vor Ort keine andere Möglichkeit, darf die Gewerkschaft die Arbeitnehmer sogar auf einem vom bestreikten Arbeitgeber vorgehaltenen Firmenparkplatzvor dem Haupteingang des Betriebsgebäudes kontaktieren. Der Arbeitgeber hat keinen Unterlassungsanspruch, wenn es sich nur um eine kurzzeitige, situative Beeinträchtigung seines Besitzes handelt. Die muss er hinnehmen. Vor allem dann, wenn die Gewerkschaft Mitarbeiter auf Grund der örtlichen Gegebenheiten nur auf diesem Parkplatz ansprechen kann (BAG, 20.11.2018 - 1 AZR 189/17).
4.41 Tarifautonomie - 1
"3. Gesetzliche Regelungen, die in den Schutzbereich des Art. 9 Abs. 3 GG fallen, und die Funktionsfähigkeit des Systems der Tarifautonomie herstellen und sichern sollen, verfolgen einen legitimen Zweck. Dazu kann der Gesetzgeber nicht nur zwischen den sich gegenüberstehenden Tarifvertragsparteien Parität herstellen, sondern auch Regelungen zum Verhältnis der Tarifvertragsparteien auf derselben Seite treffen, um strukturelle Voraussetzungen dafür zu schaffen, dass Tarifverhandlungen auch insofern einen fairen Ausgleich ermöglichen und in Tarifverträgen mit der ihnen innewohnenden Richtigkeitsvermutung angemessene Wirtschafts- und Arbeitsbedingungen hervorbringen können. 4. Bei der Regelung der Strukturbedingungen der Tarifautonomie verfügt der Gesetzgeber über eine Einschätzungsprärogative und einen weiten Handlungsspielraum. Schwierigkeiten, die sich nur daraus ergeben, dass auf einer Seite mehrere Tarifvertragsparteien auftreten, rechtfertigen eine Beschränkung der Koalitionsfreiheit grundsätzlich nicht" (BVerfG, 11.07.2017 - 1 BvR 1571/15 - 3. und 4. Leitsatz).
4.42 Tarifautonomie - 2
Die Anforderungen, die von der Rechtsprechung an die Tariffähigkeit einer Gewerkschaft gestellt werden, sichert die Funktionsfähigkeit der Tarifautonomie. Insoweit ist es nicht GG-widrig, nur solche Koalitionen an der Tarifautonomie teilnehmen zu lassen, "die in der Lage sind, den von der staatlichen Rechtsordnung freigelassenen Raum des Arbeitslebens durch Tarifverträge sinnvoll zu gestalten, um so die Gemeinschaft sozial zu befrieden" (dazu: BVerfG, 09.07.2020 – 1 BvR 719/19 ua. – und BVerfG, 13.09.2019 – 1 BvR 1/16). "Die von Art. 9 Abs. 3 GG geschützte Tarifautonomie ist nur funktionsfähig, solange zwischen den Tarifvertragsparteien ein ungefähres Kräftegleichgewicht besteht" (dazu: BVerfG, 11.07.2017 – 1 BvR 1571/15). "Parität zwischen den Tarifvertragsparteien als Funktionsbedingung für die Tarifautonomie setzt Durchsetzungskraft der Arbeitnehmerkoalition gegenüber dem sozialen Gegenspieler voraus" (s. dazu auch BVerfG, 24.02.1999 – 1 BvR 123/93). "Die zur Gewährleistung einer annähernd gleichen Verhandlungsstärke erforderliche Durchsetzungskraft stellt sicher, dass ein fairer und ausgewogener Ausgleich gegensätzlicher Arbeitsvertragsinteressen im Wege kollektiver Verhandlungen erzielt werden kann" (BAG, 22.06.2021 – 1 ABR 28/20 – mit Hinweis auf BVerfG, 09.07.2020 – 1 BvR 719/19).
4.43 Tariffähigkeit - 1
Eine Gewerkschaft i.S.d. BetrVG - z.B. i.S.d. § 2 BetrVG - ist nur eine tariffähige Arbeitnehmervereinigung. Die Rechte, die das BetrVG den dort genannten Gewerkschaften einräumt, können deshalb nicht von Arbeitnehmerorganisationen in Anspruch genommen werden, die nicht die zur Tariffähigkeit erforderliche Mächtigkeit haben. Die effektive Wahrnehmung der Befugnisse der Gewerkschaft verlangt auch die Bereitschaft und Fähigkeit, den komplexen Verflechtungen und Wechselwirkungen von Tarif- und Betriebsverfassungsrecht Rechnung zu tragen (BAG, 19.09.2006 - 1 ABR 53/05 - hier: Gewerkschaftseigenschaft verneint für den VGB, den Verband der Gewerkschaftsbeschäftigten).
4.44 Tariffähigkeit - 2
Tarifverträge können auf Arbeitnehmerseite nur von tariffähigen Vereinigungen geschlossen werden. So eine Vereinigung muss gegenüber dem Sozialpartner eine gewisse Durchsetzungskraft haben. Zudem muss sie organisatorisch in der Lage sein, die Aufgaben einer Tarifvertragspartei zu erfüllen. Die Zahl der Mitglieder und die Leistungsfähigkeit der Organisation sind erste Anhaltspunkte für die Tariffähigkeit. "Bei Zweifeln an der Durchsetzungs- und Leistungsfähigkeit einer Arbeitnehmervereinigung kann die nennenswerte Zahl eigenständiger abgeschlossener Tarifverträge ihre Tariffähigkeit indizieren" (BAG, 05.10.2010 - 1 ABR 88/09 - zur Gewerkschaft für Kunststoffgewerbe- und Holzverarbeitung im Christlichen Gewerkschaftsbund unter Zurückweisung an das LAG zwecks weiterer Anhörung).
4.45 Tariffähigkeit - 3
§ 97 Abs. 2 ArbGG sieht seit dem 16.08.2014 vor: "Für Verfahren nach § 2a Absatz 1 Nummer 4 [Tariffähigkeit und Tarifzuständigkeit einer Vereinigung] ist das Landesarbeitsgericht zuständig, in dessen Bezirk die Vereinigung, über deren Tariffähigkeit oder Tarifzuständigkeit zu entscheiden ist, ihren Sitz hat." Dazu das LAG Hessen: "1. § 97 Abs. 2 ArbGG n.F. ist nicht verfassungswidrig. 2. Die Neue Assekuranz Gewerkschaft (NAG) e.V. ist keine tariffähige Gewerkschaft im Sinne des § 2 Abs. 1 TVG" (LAG Hessen, 09.04.2015 - 9 TaBV 225/14 - Leitsätze). Begründung: Die NAG erfüllt nicht die erforderlichen Mindestvoraussetzungen für eine Tariffähigkeit, so habe sie u.a. viel zu wenig Mitglieder, einen zu geringen Organisationsgrad und sei auch nicht in der Lage, eine leistungsfähige Organisation zu unterhalten.
4.46 Tariffähigkeit - 4
Tariffähigkeit ist die Fähigkeit, "durch Vereinbarung mit dem sozialen Gegenspieler ua die Arbeitsbedingungen des Einzelarbeitsvertrags mit der Wirkung zu regeln, dass sie für die tarifgebundenen Personen unmittelbar und zwingend wie Rechtsnormen gelten" (s. dazu BVerfG, 19.10.1966 - 1 BvL 24/65). Sie ist die Voraussetzung dafür, dass ein wirksamer Tarifvertrag i.S.d. § 1 Abs. 1 TVG geschlossen werden kann (s. dazu BAG, 14.12.2010 - 1 ABR 19/10). Tariffähigkeit und Tarifzuständigkeit sind Wirksamkeitsvoraussetzung für den jeweils abgeschlossenen Tarifvertrag als statuarisches Recht (s. dazu BAG, 21.09.2016 - 10 ABR 33/15). Beide müssen bei Abschluss des Tarifvertrags vorgelegen haben (BAG, 31.01.2018 - 10 AZR 695/16 (A) - mit Hinweis auf BAG, 14.01.2014 - 1 ABR 66/12).
4.47 Tariffähigkeit - 5
Wann eine Koalition von Arbeitnehmern als tariffähig und damit als Gewerkschaft anzusehen ist, regelt weder das Grundgesetz noch das Tarifvertragsgesetz. § 2 Abs. 1 TVG setzt den Gewerkschaftsbegriff voraus. Es gibt auch sonst keine gesetzliche Normierung der an die Tariffähigkeit einer Arbeitnehmervereinigung zu stellenden Voraussetzungen. "Solange der Gesetzgeber auf die Normierung der Voraussetzungen für die Gewerkschaftseigenschaft und die Tariffähigkeit im Einzelnen verzichtet, ist es daher Aufgabe der Gerichte für Arbeitssachen, im Rahmen der an sie herangetragenen Streitigkeit den unbestimmten Rechtsbegriff durch Auslegung im Lichte des Art. 9 Abs. 3 GG auszufüllen" (s. dazu BVerfG, 13.09.2019 – 1 BvR 1/16 – und BAG, 26.06.2018 – 1 ABR 37/16) "und dabei die im Zustimmungsgesetz vom 25. Juni 1990 zum Ausdruck gekommene Willensbekundung der Gesetzgebungsorgane der Bundesrepublik Deutschland zu beachten" (dazu: BAG, 26.06.2018 – 1 ABR 37/16 – und BAG, 28.03. 2006 – 1 ABR 58/04). Die Beurteilung erfolgt daher weiter nach den von BAG-Rechtsprechung entwickelten Grundsätzen (BAG, 22.06.2022 – 1 ABR 28/20).
4.48 Tariffähigkeit - Arbeitnehmervertretung - 1
Eine Vertretung von Arbeitnehmern ist tariffähig, "wenn sie sich als satzungsgemäße Aufgabe die Wahrnehmung der Interessen ihrer Mitglieder in deren Eigenschaft als Arbeitnehmer gesetzt hat und willens ist, Tarifverträge abzuschließen. Sie muss frei gebildet, gegnerfrei, unabhängig und auf überbetrieblicher Grundlage organisiert sein und das geltende Tarifrecht als verbindlich anerkennen. Zudem ist erforderlich, dass die Arbeitnehmervereinigung ihre Aufgabe als Tarifpartnerin sinnvoll erfüllen kann. Dazu gehören die durch ihre Mitglieder vermittelte Durchsetzungskraft gegenüber dem sozialen Gegenspieler und eine leistungsfähige Organisation" (BAG, 31.01.2018 - 10 AZR 695/16 (A) - mit Hinweis auf BAG, 14.12.2010 - 1 ABR 19/10; bestätigt durch BAG, 22.06.2021 – 1 ABR 28/20).
4.49 Tariffähigkeit - Arbeitnehmervereinigung - 2
"1. An dem Erfordernis der hinreichenden Durchsetzungskraft und organisatorischen Leistungsfähigkeit als Voraussetzung der Tariffähigkeit einer Arbeitnehmervereinigung haben weder das Gesetz zur Regelung eines allgemeinen Mindestlohns noch das Gesetz zur Tarifeinheit etwas geändert. 2. Der langjährigen Teilnahme einer Arbeitnehmervereinigung am Tarifgeschehen in Form von Tarifvertragsabschlüssen kommt keine ausschlaggebende indizielle Wirkung für deren soziale Mächtigkeit zu, wenn diese auf einer Zuständigkeit basiert, die für die von der Arbeitnehmervereinigung gegenwärtig beanspruchte Zuständigkeit nicht mehr repräsentativ ist. Gleiches gilt, wenn die Arbeitnehmervereinigung nicht nur vereinzelt Tarifverträge außerhalb ihrer satzungsmäßigen Zuständigkeit geschlossen hat" (BAG, 26.06.2018 - 1 ABR 37/16 - Leitsätze; bestätigt durch BAG, 22.06.2021 – 1 ABR 28/20).
4.50 Tarifgeltung
Die unmittelbare und zwingende Wirkung von Tarifverträgen kann nicht durch Bestimmungen in der Satzung eines Tarifpartners - hier: § 95 der Satzung der Gewerkschaft ver.di - eingeschränkt oder ausgeschlossen werden. Eine Satzung kann die gesetzlichen Regelungen über die Anknüpfung der Tarifgebundenheit an die Mitgliedschaft in einem tarifschließenden Verband nicht außer Kraft setzen oder modifizieren. Die Tarifvertragsparteien haben keine Kompetenz, die gesetzliche angeordnete des Wirkung des § 4 Abs. 1 TVG - Geltung der Rechtsnormen eines Tarifvertrags für die beiderseits Tarifgebundenen - abzubedingen (BAG, 04.07.2007 - 4 AZR 491/06).
4.51 Tarifinformationen im Intranet?
Ein weit verbreiteter Spruch unter Juristen: "Das Recht ist für die Hellen da!" "Und die gut Informierten", möchte man ergänzen. Denn nur wenn man seine Rechte kennt, kann man sie nutzen und durchsetzen. Also ist es im Sinne der Gewerkschaft, wenn der Arbeitgeber seine Mitarbeiter über tarifliche Änderungen infomieren muss? Einspruch! "1. Für die Geltendmachung eines Anspruchs einer Arbeitnehmervereinigung auf arbeitgeberseitige Veröffentlichung von Informationen im Intranet des Arbeitgebers ist der Rechtsweg zu den Gerichten für Arbeitssachen nach § 2 Abs. 1 Nr. 2 ArbGG eröffnet. 2. Aus Art. 9 Abs. 3 GG folgt kein Anspruch einer Arbeitnehmervereinigung auf arbeitgeberseitige Veröffentlichung von Informationen im Intranet des Arbeitgebers" (ArbG Hamburg, 31.03.2022 - 4 Ca 248/21 - Leitsätze).
4.52 Tarifzuständigkeit - 1
Die IG Metall ist auch zuständig für den Abschluss von Tarifverträgen für Beschäftigte der deutschen IBM-Unternehmen, die sich mit Dienstleistungen im Bereich der Informationstechnik beschäftigen. Die Tarifzuständigkeit wird nicht durch interne Absprachen zwischen den DGB-Gewerkschaften IG Metall und ver.di berührt (BAG, 27.09.2005 - 1 ABR 41/04).
4.53 Tarifzuständigkeit - 2
Der von einer Arbeitnehmervertretung in ihrer Satzung autonom festgelegte Organisationsbereich legt ihre Tarifzuständigkeit fest und ist Ausdruck der in Art. 9 Abs. 1 und Abs. 3 GG garantierten Vereins- und Koalitionsfreiheit. Dabei kann eine Gewerkschaft ihren Organisationsbereich sowohl betriebs- als auch unternehmensbezogen festzurren, sich branchen- wie berufsbezogen aufstellen und sich auch regional- und personenbezogen etablieren. Darüber hinaus darf sie mehrere Kriterien kombinieren oder ihre Zuständigkeit auch nur für die Arbeitnehmer bestimmter, konkret bezeichneter Unternehmen beschränken (s. dazu BAG, 22.02.2017 - 5 AZR 252/16). Das Gesetz beschreibt in § 3 Abs. 1 und Abs. 2 TVG die äußersteGrenze der Tarifzuständigkeit in subjektiver Hinsicht. So kann ein Verband keinen Tarifvertrag mit einem betrieblichen Geltungsbereich abschließen, der über den Bereich hinausgeht, aus dem er satzungsgemäß Mitglieder aufnehmen kann (s. dazu BAG, 19.12.1958 - 1 AZR 109/58). Die Tarifzuständigkeit eines Verbandes besteht nur für solche Personengruppen, die auch wirklich die Verbandsmitglieder stellen (BAG, 31.01.2018 - 10 AZR 695/16 (A)).
4.54 Umwandlung in SE
"Art. 4 Abs. 4 der Richtlinie 2001/86/EG des Rates vom 8. Oktober 2001 zur Ergänzung des Statuts der Europäischen Gesellschaft hinsichtlich der Beteiligung der Arbeitnehmer ist dahin auszulegen, dass die für eine durch Umwandlung geschaffene SE geltende Vereinbarung über die Beteiligung der Arbeitnehmer im Sinne dieser Bestimmung für die Wahl der Arbeitnehmervertreter in den Aufsichtsrat der SE in Bezug auf die von den Gewerkschaften vorgeschlagenen Kandidaten einen getrennten Wahlgang vorsehen muss, sofern das anwendbare nationale Recht einen solchen getrennten Wahlgang in Bezug auf die Zusammensetzung des Aufsichtsrats der in eine SE umzuwandelnden Gesellschaft vorschreibt; im Zusammenhang mit diesem Wahlgang muss die Gleichbehandlung der Arbeitnehmer dieser SE, ihrer Tochtergesellschaften und Betriebe sowie der in ihnen vertretenen Gewerkschaften gewahrt sein" (EuGH, 18.10.2022 – C-677/20 – Leitsatz – Deutschland).
4.55 Unterlassungsanspruch - 1
Der Unterlassungsantrag, der sich gegen die Durchführung oder den Abschluss tarifwidriger Betriebsvereinbarungen richtet, ist im arbeitsgerichtlichen Beschlussverfahren geltend zu machen. Er betrifft eine betriebsverfassungsrechtliche Angelegenheit, geht es doch um die Frage, ob die Betriebspartner in zulässiger Weise von ihrer Regelungsbefugnis Gebrauch gemacht haben. Und das gilt sogar dann, wenn sich der Unterlassungsanspruch nicht aus dem BetrVG, sondern aus einer zivilrechtlichen Anspruchsgrundlage ergibt (BAG, 13.03.2001 - 1 AZB 19/00; hier: Betriebsvereinbarung über die Kürzung tarifvertraglicher Leistungen).
4.56 Unterlassungsanspruch - 2
"Der gewerkschaftliche Anspruch auf Unterlassung tarifwidriger Regelungsabreden und deren einzelvertragliche Umsetzung nach § 1004 Abs. 1, § 823 Abs. 1 BGB i.V.m. Art. 9 Abs. 3 GG erfordert eine unmittelbare und zwingende Bindung des in Anspruch genommenen Arbeitgebers nach § 3 Abs. 1 oder Abs. 3 TVG an die maßgebenden Tarifbestimmungen. Nach Beendigung der Tarifgebundenheit kann das Recht auf koalitionsgemäße Betätigung durch vom Tarifvertrag abweichende betriebliche Regelungen als Voraussetzung eines negatorischen Unterlassungsanspruchs nicht mehr beeinträchtigt werden" (BAG, 07.06.2017 - 1 ABR 32/15 - Leitsatz).
4.57 Untertarifliche Bezahlung
Nach ständiger BAG-Rechtsprechung können sich Gewerkschaften gegen Eingriffe in ihre Koalitionsfreiheit mit einem Unterlassungsanspruch wehren. Dieser Unterlassungsanspruch besteht - je nach Einzelfall - auch gegenüber tarifwidrigen betrieblichen Regelungen (BAG, 20.04.1999 - 1 ABR 72/98). Damit können Gewerkschaften einem Arbeitgeber verbieten, betrieblich vereinbarte untertarifliche Arbeitsbedingungen anzuwenden. Auf der anderen Seite können Gewerkschaften, wenn ein Tarifvertrag eine Öffnungsklausel enthält, auch ungünstigere Betriebsvereinbarungen rückwirkend genehmigen (BAG, 20.04.1999 - 1 AZR 631/98).
4.58 Unzulässiges Arbeitskampfziel
Die Vereinigung Cockpit e.V. hatte im Sommer 2015 ihre Mitglieder zum Streik aufgerufen. Der Arbeitskampf richtete sich gegen die Lufthansa AG und die Lufthansa Cargo AG. Während das erstinstanzliche Arbeitsgericht Frankfurt (08.09.2015 - 13 Ga 130/15) die gewerkschaftliche Maßnahme noch für zulässig hielt, hat das LAG Hessen den Streik in zweiter Instanz für unzulässig erklärt. Arbeitskampfziel sei nicht in erster Linie der neue Tarifvertrag zur Übergangsversorgung des Cockpitpersonals, sondern das so genannte Wings*Konzept der Lufthansa. Und das - so das LAG Hessen - ist ein unternehmerisches Konzept, das kein tariflich regelbares Ziel der Vereinigung Cockpit e.V. sei (LAG Hessen, 09.09.2015 - 9 SaGa 1082/15 - mit dem Hinweis, dass es gegen seine Entscheidung kein Rechtsmittel gibt, weil das BAG in Eilverfahren nicht angerufen werden kann).
4.59 ver.di - 1
Schon der Name ist Programm: ver.di – die vereinte dienstleistungsgewerkschaft. Und trotzdem gibt es hin und wieder Zweifel, ob ver.di wirklich eine Gewerkschaft für alle Dienstleistungen ist. So stellte der Arbeitgeberverband Pflege e. V. (AGVP) beim LAG Berlin-Brandenburg den Antrag, festzustellen, dass ver.di für den hier fraglichen Bereich – die Pflege außerhalb von Krankenhäusern – nicht tariffähig ist. Ihr fehle nämlich in der Pflegebranche die erforderliche Durchsetzbarkeit. Die fehlte allerdings auch dem AGVP in der von ihm angezettelten Auseinandersetzung, in der er am Ende gar die Tariffähigkeit ver.dis insgesamt in Frage stellte. Das Gericht war der Auffassung, dass nicht auf eine partielle Durchsetzungsfähigkeit abzustellen sei. Als Gesamtorganisation sei ver.di jedenfalls organisations- und durchsetzungsfähig und auch in der Lage, hinreichenden Druck auf die sozialen Gegenspieler aufzubauen (LAG Berlin-Brandenburg, 24.06.2021 – 21 BVL 5001/21).
4.60 ver.di - 2
Der Arbeitgeberverband aus dem vorausgehenden Gliederungspunkt wollte die vor dem LAG Berlin-Brandenburg erlittene Schlappe nicht auf sich sitzen lassen und erhob gegen die erstinstanzliche (!) LAG-Entscheidung eine Rechtsbeschwerde. Mit noch weniger Erfolg. Das BAG hielt den auf Feststellung einer teilweisen Tarifunfähigkeit gerichteten Hauptantrag bereits für unzulässig. Die Tariffähigkeit einer Gewerkschaft, also ihre rechtliche Fähigkeit, im selbst beanspruchten Organisationsbereich wirksam Tarifverträge mit dem sozialen Gegenspieler abzuschließen, sei einheitich und unteilbar. Es gibt nach BAG-Auffassung keine teilweise, auf bestimmte Branchen, Regionen, Berufskreise oder Perssonengruppen beschränkte Tariffähigkeit einer Koalition (BAG, 13.09.2022 - 1 ABR 24/21 - mit dem Ergebnis, dass die ver.di-Tariffähigkeit nun rechtskräftig feststeht).
4.61 Vergütungsregelung
Soll eine Vergütungsregelung für Gewerkschaftsbeschäftigte einen Tarifvertrag ersetzen, wird davon das gesamte Unternehmen betroffen. Diese Regelung kann nicht betrieblich erfolgen. Daher ist das Mitbestimmungsrecht hier vom Gesamtbetriebsrat auszuüben. Und das gilt auch für Vergütungsgruppen oder funktionsbezogene Zulagen, die ausschließlich für Arbeitnehmer eines einzigen Gewerkschaftsbetriebs in Betracht kommen (BAG, 14.12.1999 - 1 ABR 27/98).
4.62 Vorvertrag
Halten Tarifvertragsparteien ein Verhandlungsergebnis verbindlich fest und wurde dieses Ergebnis von den zuständigen Gremien der Arbeitgeber- und Arbeitnehmervereinigungen gebilligt, kann dies als Vorvertrag zu werten sein, aus dem sich für den Arbeitgeberverband ein klagbarer Anspruch auf Abschluss eines Tarifvertrags ergeben kann (BAG, 05.07.2006 - 4 AZR 381/05).
4.63 Zwangstarifgemeinschaft?
Art. 9 Abs. 3 GG sichert Tarifvertragsparteien das Recht, Tarifverträge abzuschließen. Dabei gibt es kein rechtliches Gebot, dass mehrere in einem Betrieb vertretene Gewerkschaften stets eine Tarifgemeinschaft bilden müssten. Eine Zwangstarifgemeinschaft stellt einen Eingriff in die durch Art. 9 Abs. 3 GG geschützte Abschlussfreiheit dar. Sie umfasst nämlich auch das Recht, die Regelung von Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen durch Tarifvertrag überhaupt, mit einem bestimmten Gegenspieler oder unter bestimmten Bedingungen abzulehnen. Die Auswahlfreiheit bezüglich des Vertragspartners gilt sowohl für Arbeitgeber- als auch Arbeitnehmervereinigungen und einzelne Arbeitgeber (BAG, 09.12.2009 - 4 AZR 190/08).
4.64 Zuständigkeitsänderung
Eine Gewerkschaft darf ihren Zuständigkeitsbereich ändern. Sie kann im Rahmen ihrer Satzungs- und Tarifautonomie frei entscheiden, für welche Arbeitnehmer und in welchen Wirtschaftszweigen sie tätig werden will. Satzungsverstöße führen im Außenverhältnis nicht dazu, dass die gewerkschaftliche Betätigung unwirksam wird (BAG, 27.09.2005 - 1 ABR 41/04 - hier: Doppelzuständigkeit von DGB-Gewerkschaften, IG-Metall und ver.di-Vorgängerin HBV).