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BFH, 11.10.1961 - VII 167/60 U - Funktionelle Zuständigkeit der Geschäftsstelle eines Finanzamts zur Kostenfestsetzung im Verfahren nach der Abgabenordnung; Anspruch eines Steuerpflichtigen auf Erstattung der für einen hinzugezogenen Rechtsanwalt entrichteteVerhandlungsgebühr oder Erledigungsgebühr im Falle der Erledigung
Bundesfinanzhof
Urt. v. 11.10.1961, Az.: VII 167/60 U
Funktionelle Zuständigkeit der Geschäftsstelle eines Finanzamts zur Kostenfestsetzung im Verfahren nach der Abgabenordnung; Anspruch eines Steuerpflichtigen auf Erstattung der für einen hinzugezogenen Rechtsanwalt entrichteteVerhandlungsgebühr oder Erledigungsgebühr im Falle der Erledigung
Fundstellen:
BFHE 73, 800 - 804
BStBl III 1961, 557
DB 1961, 1540 (amtl. Leitsatz)
NJW 1961, 2376 (Volltext mit amtl. LS)
BFH, 11.10.1961 - VII 167/60 U
Amtlicher Leitsatz:
- 1.
An der Zuständigkeit der Geschäftsstelle des Finanzamts zur Kostenfestsetzung nach § 322 AO hat sich durch § 19 BRAGebO nichts geändert.
- 2.
Findet ein Rechtsbeschwerdeverfahren seine Erledigung dadurch, daß die Verwaltung ihre Rb. zurücknimmt, nachdem der Bg. zur Rechtsbeschwerdebegründung schriftlich Stellung genommen hat, so steht dem Steuerpflichtigen ein Anspruch auf Erstattung einer Verhandlungs- oder Erledigungsgebühr für einen zugezogenen Rechtsanwalt nicht zu.
Zusammenfassung:
- 1.
An der Zuständigkeit der Geschäftsstelle des Finanzamts zur Kostenfestsetzung nach §322 AO hat sich durch §19 BRAGebO nichts geändert.
- 2.
Findet ein Rechtsbeschwerdeverfahren seine Erledigung dadurch, daß die Verwaltung ihre Rb. zurücknimmt, nachdem der Bg. zur Rechtsbeschwerdebegründung schriftlich Stellung genommen hat, so steht dem Steuerpflichtigen ein Anspruch auf Erstattung einer Verhandlungs- oder Erledigungsgebühr für einen zugezogenen Rechtsanwalt nicht zu.
Tatbestand
1
Die Bfin. hatte gegen einen Eingangsabgaben-Nachforderungsbescheid Rechtsmittel eingelegt. Das Finanzgericht hob den Bescheid im zweiten Rechtszug durch Urteil ersatzlos auf und legte die Kosten des gesamten Rechtsmittelverfahrens dem Bund zur Last. Die gegen dieses Urteil von dem Vorsteher des Hauptzollamts eingelegte Rb. wurde, nachdem die bevollmächtigten Rechtsanwälte der Bfin. zu der Rechtsbeschwerdebegründung Stellung genommen hatten, zurückgenommen.
2
Dem Antrag der Bfin. auf Kostenerstattung nach § 316 AO gab das Hauptzollamt insoweit nicht statt, als es für das zweite Verfahren vor dem Bundesfinanzhof nur eine Gebühr (Prozeßgebühr) und die anteilige Umsatzsteuer zuerkannte, die Zubilligung einer weiteren Gebühr (Verhandlungs- bzw. Erledigungsgebühr) und der auf sie entfallenden Umsatzsteuer dagegen ablehnte.
3
Erinnerung und Berufung hatten keinen Erfolg. Das Finanzgericht, dessen Urteil in den Entscheidungen der Finanzgerichte 1961 Nr. 45 abgedruckt ist, lehnte für das zweite Verfahren vor dem Bundesfinanzhof die Zubilligung einer weiteren Gebühr neben der Prozeßgebühr ab.
4
Hiergegen richtet sich die Rb., mit der
- 1.
geltend gemacht wird, nicht die Geschäftsstelle des Hauptzollamts, sondern der Urkundsbeamte der Geschäftsstelle des Finanzgerichts sei gemäß § 19 der Bundesgebührenordnung für Rechtsanwälte (BRAGebO) für die Kostenfestsetzung zuständig. Nach dem Grundsatz, daß das spätere Gesetz das frühere entgegenstehende aufhebt, gelte für Rechtsanwälte die Bestimmung des § 322 AO ab 1. Oktober 1957 nicht mehr. Sowohl aus der Zivilprozeßordnung (ZPO) wie auch aus der Tendenz der BRAGebO ergebe sich, daß der Kostenfestsetzungsbescheid durch einen Richter oder dessen Ersatz, einen gerichtlichen Urkundsbeamten ergehen solle;
- 2.
für das zweite Verfahren vor dem Bundesfinanzhof die Zubilligung einer weiteren Gebühr, sei es als Verhandlungs-, sei es als Erledigungsgebühr (§ 24 BRAGebO) neben der Prozeßgebühr beantragt wird. Zur Begründung dieses Antrages wird im wesentlichen folgendes vorgetragen:
5
Die Versagung einer Verhandlungsgebühr durch das Finanzgericht widerspreche der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs, insbesondere derjenigen im Urteil II 199/55 U vom 13. Februar 1957, BStBl 1957 III S. 118. Zwischen den Begriffen "entschieden" in § 117 Abs. 2 BRAGebO und "Entscheidung" im Leitsatz dieses Urteils bestehe nicht der geringste Unterschied. § 117 Abs. 2 BRAGebO bilde keine einschränkende Bestimmung gegenüber diesem Urteil, sondern dessen unmittelbare Fortsetzung und gesetzmäßige Statuierung. Daß Entscheidung im Sinne des vorgenannten Urteils und des § 117 Abs. 2 BRAGebO jedwede Maßnahme des Gerichts, also auch der Beschluß oder die richterliche Anordnung der Zustellung eingegangener Schriftsätze an einen der Beteiligten bilde, sei nicht in Abrede zu stellen.
6
Die zweite Gebühr könne aber auch in Gestalt der echten Erledigungsgebühr nach § 24 BRAGebO beansprucht werden, die anfiele mit der Zurücknahme des angefochtenen Verwaltungsaktes. Wenn die Behörde von sich aus durch ein Rechtsmittel die Wiederherstellung eines urteilsmäßig aufgehobenen Verwaltungsaktes erstrebe und dann dieses Rechtsmittel zurücknehme, so liege in dieser Rücknahme zugleich die Rücknahme des Verwaltungsaktes selbst. Nach Lauterbach, Kostengesetze, 14. Aufl., BRAGebO § 24 Anm. 2 B, dürfe die Fassung des § 24 BRAGebO nicht eng ausgelegt werden, und es sei "§ 24 in diesen Fällen mindestens entsprechend anzuwenden, da es dem Sinn des § 24 entspreche, durch endgültige Beseitigung des früheren Verwaltungsaktes diesen für immer zum Erlöschen zu bringen". Die in § 24 BRAGebO geforderte "Mitwirkung" des Rechtsanwalts sei gegeben, wenn der Rechtsanwalt durch seine schriftsätzlichen Ausführungen den Anstoß gegeben und damit zur Einwirkung auf die Entschließung der Behörde alles getan habe, was in seiner gesetzlichen Befugnis stehe. Für den Fall der Erledigungsgebühr - insbesondere in der höheren Instanz - von dem Rechtsanwalt noch weitere Betätigung zu fordern, die er in einer Vielzahl der Fälle überhaupt nicht leisten könnte, sei unzumutbar.
7
Der Bundesminister der Finanzen, der dem Verfahren beigetreten ist, führt zu dem Vorbringen, nicht die Geschäftsstelle des Hauptzollamts, sondern der Urkundsbeamte des Finanzgerichts hätte den Kostenerstattungsbeschluß erlassen müssen, aus, daß § 19 BRAGebO, wie aus seiner Überschrift und seinem Wortlaut hervorgehe, nur für die Festsetzung der Vergütung des Rechtsanwalts gegenüber seinem Auftraggeber, nicht dagegen für die Festsetzung des Betrages der von einem Prozeßbeteiligten zu erstattenden Unkosten gelte. Letztere sei in der jeweiligen Gerichtsverfahrensordnung geregelt, z.B. für den Zivilprozeß in § 104 ZPO, für den Strafprozeß in § 464 Abs. 2 der Strafprozeßordnung und für das finanzgerichtliche Verfahren in § 322 AO. In der Sache selbst stimmt er den Ausführungen des Finanzgerichts zu, daß eine Verhandlungsgebühr nicht zugebilligt werden könne, da die Voraussetzung, daß das Gericht eine Entscheidung getroffen habe, hier fehle, und eine Erledigungsgebühr um deswillen nicht, weil der angefochtene Verwaltungsakt nicht zurückgenommen worden sei.
8
Im übrigen sollte die BRAGebO nicht extensiv, sondern eng ausgelegt werden.
Entscheidungsgründe
9
Die Prüfung der Rb. ergibt folgendes:
10
1.
Zur Frage der Zuständigkeit für die Kostenfestsetzung
11
Die Auffassung der Bfin., nicht die Geschäftsstelle des Finanzamts, sondern der Urkundsbeamte der Geschäftsstelle des Finanzgerichts sei für die Festsetzung der zu erstattenden Kosten zuständig, geht fehl. Das in § 19 BRAGebO vom 26. Juli 1957 (BGBl I S. 861, 907) vorgesehene Festsetzungsverfahren befaßt sich, wie sich aus der Überschrift und dem Wortlaut dieser Vorschrift und auch aus ihrer Begründung (Bundestag, 2. Wahlperiode 1953, Drucksache Nr. 2545 S. 238) ergibt, mit dem Vergütungsanspruch des Rechtsanwalts gegen seinen Auftraggeber. Es hat somit einen anderen Gegenstand als das Kostenfestsetzungsverfahren, in dem der Kostenbetrag festgestellt wird, den der unterliegende Teil dem obsiegenden Teil zu erstatten hat (vgl. u.a. Gerold, Bundesgebührenordnung für Rechtsanwälte, 2. Aufl., § 19 Anm. 1 und 2; Riedel-Sußbauer, Bundesgebührenordnung für Rechtsanwälte, § 19 Anm. 1 und 2; Lauterbach, Kostengesetze, 14. Aufl., BRAGebO § 19 Anm. 1). Da es im Streitfall um die Festsetzung der dem Steuerpflichtigen nach § 316 AO vom Fiskus zu erstattenden Kosten geht, ist hierfür nach wie vor die Geschäftsstelle des Finanzamts gemäß § 322 AO zuständig. Daher ist diese Vorschrift auch weder durch das Gesetz zur Änderung und Ergänzung kostenrechtlicher Vorschriften vom 26. Juli 1957 (BGBl I S. 861) noch auch durch das Steueränderungsgesetz 1961 (BGBl I S. 981) aufgehoben oder geändert worden.
12
2.
Frage der Erstattung einer zweiten Gebühr im zweiten Verfahren vor dem Bundesfinanzhof
13
Da die Rb. des Vorstehers des Hauptzollamts nach dem 1. Oktober 1957 eingelegt worden ist, ist für die Frage, ob außer der Prozeßgebühr auch eine Verhandlungsgebühr zuzubilligen ist, § 117 Abs. 2 BRAGebO maßgebend. Da dieser bei Verfahren ohne mündliche Verhandlung eindeutig eine Entscheidung des Gerichts verlangt, hat das Finanzgericht die Verhandlungsgebühr zu Recht versagt. Der Bundesfinanzhof hat auf Grund der Zurücknahme der Rb. durch den Vorsteher des Hauptzollamts keine Entscheidung getroffen. Nicht jedwede Maßnahme des Gerichts ist eine solche Entscheidung, insbesondere ist es nicht die - was im Streitfall allein geschehen ist - bloße Mitteilung der Beschwerdeschrift und der Begründung des Vorstehers des Hauptzollamts durch den Vorsitzenden des Gerichts an den damaligen Bg. zur schriftlichen Erklärung nach § 292 AO. Hierbei handelt es sich lediglich um eine prozeßleitende Maßnahme des Vorsitzenden, nicht aber um eine Entscheidung des Gerichts.
14
Ebenfalls zu Recht hat das Finanzgericht einen Anspruch auf die Erledigungsgebühr verneint. Diese steht gemäß § 24 BRAGebO dem Rechtsanwalt dann zu, wenn sich der Rechtsstreit ganz oder teilweise durch Zurücknahme oder Änderung des angefochtenen Verwaltungsaktes erledigt und der Rechtsanwalt bei der Erledigung mitgewirkt hat. Angefochtener Verwaltungsakt ist im Streitfall der Eingangsabgaben-Nachforderungsbescheid. Diesen hat das Hauptzollamt weder zurückgenommen noch geändert, sondern das Finanzgericht hat ihn durch Urteil aufgehoben. Daß, wie die Bfin. behauptet, im vorliegenden Fall in der Zurücknahme der Rb. zugleich die Rücknahme des Verwaltungsaktes selbst liege, trifft nicht zu. Abgesehen davon, daß das Hauptzollamt in der Rechtsbeschwerdeinstanz den Abgabenbescheid gar nicht mehr hätte zurücknehmen können (§ 94 Abs. 2 AO), ist die Zurücknahme einer Rb. eine typische Prozeßhandlung und somit etwas anderes als die verwaltungsmäßige Zurücknahme eines angefochtenen Verwaltungsaktes (ebenso Boeker in "Der Betriebs-Berater" 1961 S. 557). Der von Lauterbach a.a.O. zu § 24 BRAGebO vertretenen extensiven Auslegung vermag der Senat mit Rücksicht auf den eindeutigen Wortlaut des Gesetzes nicht zu folgen.
15
Da es sonach schon an dem ersten Erfordernis des § 24 BRAGebO, der Zurücknahme oder Änderung des angefochtenen Verwaltungsaktes (des Abgabenbescheides) durch die Verwaltungsbehörde (das Hauptzollamt) fehlte, konnte, was weitere Voraussetzung ist, der Rechtsanwalt dabei auch nicht mitgewirkt haben, so daß es eines Eingehens auf die Frage, was unter "mitwirken" zu verstehen ist, hier nicht bedarf.
16
Nach allem war die Rb. als unbegründet zurückzuweisen.